Ich male mir das so aus, dass sich irgendwie am Ende des langen Wochenendes plötzlich herausstellte, dass auf der prestigeträchtigen Seite 3 der „Süddeutschen Zeitung“ noch Platz war. Und dann in der Verzweiflung der Parlamentsredakteur angerufen wurde, was denn an der Sache dran sei, dass die Bundeskanzlerin unzufrieden sei mit Volker Kauder, das stünde ja in der „Bild am Sonntag“. Und der Parlamentsredaktionschef antwortete, also, puh, er hätte nichts dergleichen gehört, aber man könne ja nichts ausschließen, und wenn dem so wäre, was er natürlich nicht wisse, aber wenn, dann wär das schon, naja, schwierig. Und er also damit den Auftrag bekam, die Seite vollzuschreiben.
So ist es gewesen, wenn es so gewesen ist, und deshalb steht heute als Zweittext auf der Seite 3 der „Süddeutschen Zeitung“ ein Stück mit einer Überschriften-Frage, die gar nicht rhetorisch gemeint ist, und einem hübschen, alles sagenden Bildtext:
Der Artikel ist ein Meisterwerk der journalistischen Kunst, auf einer Glatze locken zu drehen. Nico Fried schreibt:
(…) Wenn es Dinge gibt, die kein anderer beantworten kann, fragt Kauder auch die Kanzlerin. So dürfte es an Pfingsten gewesen sein, nachdem der Fraktionschef in einer Boulevardzeitung lesen musste, dass Angela Merkel unzufrieden mit ihm sei und das auch im kleinen Kreis ausgeplaudert habe. Immerhin bedurfte es für Kauders mutmaßliche Nachfrage keines außerplanmäßigen Telefonates, denn am Wochenende sprechen der Fraktionschef und die Kanzlerin regelmäßig miteinander.
Nochmal zum Mitdenken: Der SZ-Korrespondent weiß, dass Merkel und Kauder am Wochenende regelmäßig miteinander telefonieren. Deshalb geht er davon aus, obwohl er es nicht weiß, dass sie es auch am vergangenen Wochenende taten. Und wenn sie es taten, dann geht er davon aus, obwohl er es nicht weiß, dass sie auch über die „Bild am Sonntag“-Sache miteinander sprachen.
Beeindruckend.
Grundsätzlich gilt, dass die Verbindung zwischen einem Regierungs- und einem Fraktionschef reißfest sein muss, sonst zerfasert in kürzester Zeit das ganze Gewebe der Macht. Deshalb wären Spannungen zwischen Merkel und Kauder, sollte es sie tatsächlich geben, mehr als eine atmosphärische Störung. Viel mehr.
Jahaha, viel, viel mehr. Vermutlich sogar noch viel mehr! Am hypothetischen Ende eines Gedankens, der von einer bloßen Möglichkeit unbekannter Wahrscheinlichkeit abhängt, lässt sich natürlich beliebig viel Gewicht aufstapeln.
Nun plötzlich missfällt Merkel angeblich, dass Kauder sich aus schwierigen Verhandlungen zu oft heraushalte und sein Job an Kanzleramtschef Peter Altmaier hängen bleibe. Außerdem soll die Kanzlerin bei Kauder Verantwortung dafür abladen, dass das Gemurre aus der Unionsfraktion über die Regierung in der Wirtschafts- und Sozialpolitik kein Ende nimmt. Verlauten ließ Merkel das alles der Bild am Sonntag zufolge unter Vertrauten, was für Kauder wohl das Unerfreulichste wäre — denn genau zu denen, und zwar den engsten Vertrauten, durfte er sich bisher zählen.
Ja, das wäre superunerfreulich für ihn, wenn es so wäre. Und es wäre auch superinteressant für einen Artikel, wenn es so wäre. Blöd halt, dass man nicht weiß, ob es so ist.
Oder ist es so? Auf der Zielgerade, nach über 100 Zeilen mit Ausmalungen des Möglichen, wagt die „Süddeutsche“ so etwas wie eine eigene Einschätzung:
Auch mit Merkel soll alles weiter in Ordnung sein, hieß es am Pfingstmontag aus sämtlichen erreichbaren sogenannten Umfeldern von Kanzlerin und Fraktionschef. Der Bericht über ihre Unzufriedenheit sei frei erfunden. Tatsächlich wäre Merkel, die für ihre Vorsicht berühmt ist, nicht mehr Merkel, wenn sie über ein politisch so sensibles Verhältnis wie das mit Kauder überhaupt in einem Kreis gesprochen hätte, auf dessen Verschwiegenheit sie sich nicht absolut verlassen kann.
Also: Vermutlich an allem nichts dran. Und wenn Sie sich als Leser an dieser Stelle schon leicht veräppelt fühlen, dann warten Sie ab, bis Sie den letzten Satz gelesen haben, der auf den zitierten Absatz noch folgt. Er lautet:
Andererseits passiert natürlich immer mal etwas irgendwann zum ersten Mal.
Ja. Vielen Dank für das Gespräch.
[via Christoph Herwartz]