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Was bin ich?

Süddeutsche Zeitung

Schwein gehabt. „Was bin ich?“ und das Geheimnis der Antizyklik: Wie eine kleine, leise Show auf Kabel 1 zum großen Erfolg wurde.

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Angenommen, jemand wollte in seinem Leben nur eine einzige Fernsehsendung besuchen. Wollte einmal dabei sein, um sich zu überzeugen, dass es sie wirklich gibt, die Leute, die er täglich in seinem Wohnzimmer trifft; wollte einmal die Kameras sehen, das Studio und die Prominenten und dann nach Hause zurückkehren und seinen Lieben berichten, dass alles so ist, wie es auf dem Bildschirm aussieht, nur ein bisschen bunter vielleicht und kleiner. In dem Wissen, dass alles seine Ordnung hat, könnte er fortan beruhigt zur Fernbedienung greifen. Er müsste allerdings bei Was bin ich? gewesen sein.

Wäre er zu Andreas Türck gegangen, hätte er schnell gemerkt, dass es nur im Fernsehen so aussieht, als unterhielten sich bei Talkshows mehrere Menschen miteinander. Wäre er in einer ARD-Geburtstagsgala gelandet, hätte er feststellen müssen, dass nur die Zuschauer kontinuierlich mit alkoholischen Getränken versorgt werden, die dauernd im Bild sind, und der Jubilar in den Pausen gar nicht fröhlich und überrascht aussieht, was daran liegen könnte, dass er gar nicht fröhlich und überrascht ist. Beim Grand Prix der guten Laune hätte er erleben können, dass Frank Zander in der Halle viel mehr dummes Zeug redet als im Fernsehen, weil der Hessische Rundfunk ihn zwei Tage später alles noch einmal aufsagen ließ. Und wenn er bei der Abenteuershow Fort Boyard dabei gewesen wäre, wüsste er, dass sich ganze Rätsel mehrmals drehen lassen, indem die Kandidaten tun, als wüssten sie noch nicht die richtige Antwort.

Desillusionierend, sowas.

Was bin ich? ist eine Sendung mit vier Menschen, die den Eindruck erwecken, als seien sie ernsthaft daran interessiert, heiter Berufe zu erraten. Als hätten sie Vergnügen daran, miteinander und gegeneinander zu spielen. Als gäbe es echten Ehrgeiz, derjenige gewesen zu sein, der als erster „Drehorgelspieler“ gerufen hat.

Am Ende, nach der Verabschiedung, wenn die Kameras letzte Bilder einfangen, unter die später der Abspann gelegt wird, stecken Vera Int-Veen und Herbert Feuerstein die Köpfe zusammen. Sie tun das aus dem gleichen Grund, aus dem Peter Klöppel am Ende der Nachrichten auf seiner Computer-Tastatur rumtippt: Es sieht hübsch aus und vermittelt einen trügerischen Anschein von Authentizität.

Aber der Herbert lässt sich auch dann noch von der Vera erklären, wie sie Susanne Uhlen erraten hat, als die Kameras längst aus sind. Sie sitzen da, quasseln und gestikulieren. Und eine halbe Stunde später kann man Feuerstein im Aufenthaltsraum treffen, wie er erregt auf den Moderator Björn Hergen-Schimpf einredet, der ihn seiner Meinung nach aus reiner Bösartigkeit, „aus reiner Bösartigkeit, Hergen!“, mit einem irreführenden Nein um einen schnellen Sieg brachte. Spätestens, als Norbert Blüm vom Autogrammkarten-Unterschreiben aufschaut und aus dem Hintergrund einen Spruch nach dem nächsten in die Runde wirft, sitzen hier nicht mehr Fernseh-Profis zwischen zwei Arbeitsschichten – sondern Spieler zwischen zwei Partien.

Das allein macht Was bin ich? noch nicht zu einer guten Sendung. Aber es erklärt ein wenig, warum die Show funktioniert. Warum 46 Jahre nach der ersten Sendung von Robert Lembke und zwölf nach seiner letzten jeden Donnerstag zwei bis drei Millionen Menschen Kabel 1 einschalten — mehr als jedes andere Programm auf diesem Sender und mehr als dieser je erwartet hatte –, obwohl ihr alles fehlt, was heute Pflicht ist: Millionengewinne, Duschszenen, ein Art Ufo als Kulisse.

Was bin ich? wird in der Fernsehfabrik in Köln-Hürth aufgezeichnet. Nebenan stehen dienstags die Leute für Wer wird Millionär? an, hinten geht’s zum Container von Big Brother. Dazwischen eine andere Welt. Was bin ich? sieht aus, als funktionierte es auch ohne Kameras. Als würden sich die vier Ratefüchse und ihr Spielleiter auch sonst zum Beruferaten treffen. Das Publikum sitzt so dicht an der Bühne, dass Zuschauer schon mal ganz ungezwungen auf rhetorische Fragen der Promis antworten.

Sicher, man würde sich das Wohnzimmer eher nicht in Orange und Grün einrichten und vielleicht auf die blonde Assistentin verzichten. Man müsste auch nicht jemanden haben, der auf die Zeit achtet und nacheinander Pappschilder hochhält, auf denen „Frage stellen!“, „Tempo!“ steht und zwei Totenköpfe oder eine Bombe mit ziemlich kurzer Lunte abgebildet sind. Wahrscheinlich würden Vera Int-Veen und Tanja Schumann einander auch nur dann zum Spieleabend einladen, wenn niemand anders Zeit hätte. Aber das Spiel könnte genau so stattfinden, mit so viel Ehrgeiz, Ernsthaftigkeit und Spaß.

Offenbar weiß Kabel-1-Unterhaltungschef Karsten Schlüter, wie wichtig es ist, dass sein Team tatsächlich Spaß hat an der Arbeit. Es wäre preiswerter und durchaus üblich, von solchen Shows drei oder vier am Tag aufzunehmen; bei Was bin ich? sind es zwei, und nach drei Tagen in Folge gibt es eine Pause. „Es lohnt sich, dafür mehr Geld auszugeben“, sagt Schlüter. „Notfalls muss ich das an anderer Stelle einsparen. “ (Das Team ist überzeugt: Er spart bei der Verpflegung. Als warmes Gericht gibt es ab-wechselnd Suppe, Suppe und Suppe, und das Versprechen Schlüters, eine tolle Espressomaschine zu organisieren, stellte sich als billiger Motivationstrick heraus. ) „Ich habe noch nie so entspannt gearbeitet, das ist wie Kindergeburtstag“, sagt Talkmasterin Vera Int-Veen. „Wir haben alle genug zu tun, wir würden hier nicht mitmachen, wenn es uns keinen Spaß machen würde. “

Ein Programm, so billig wie beliebt — das klingt so, als müssten die Sender nur alte, unsterbliche Konversationsspiele ausgraben. „So einfach ist es nicht“, sagt Schlüter, und dann erzählt er lange Geschichten, wie man über Flohmärkte gelaufen sei um einen passenden Gong zu finden. Dass man die Titelmusik in den USA produzieren ließ und ein paar Sekunden vom Original („in Mono!“) drinliess. Und dass am Anfang 540 Leute auf der Liste möglicher Ratefüchse gestanden hätten.

Selbst über die Frage, wer der vier Auserwählten wo sitzt, hat Schlüter, der sich sonst ums Glücksrad kümmert, lange gegrübelt. Die Gag-Autoren, die ihnen ursprünglich witzige Fragevarianten aufschreiben sollten, schickte man schnell wieder nach Hause. Die neue Vorgabe hieß: „Nur Mut, spielt einfach, und wir filmen das ab. Und wenn ihr daneben steht, schieben wir einfach die Kulisse rüber.“

Und so sitzen sie und spielen, und das reicht. Als eine Wünschelrutengängerin, nachdem sie erraten ist, im Studio nach gefährlichen Wasseradern sucht, findet sie eine genau unter Feuersteins Platz, der natürlich unter Protest das Studio verlässt. Und Björn-Hergen Schimpf schwört, dass das Ergebnis nicht abgesprochen war. „Das ist fast eine Live-Sendung“, sagt Feuerstein, der früher im WDR in einer ganz ähnlichen Sendung namens Pssst aufgetreten ist. „So viel hängt von der Tagesform ab, so viel Spontaneität ist möglich. “ Bei einem großen Sender sähe Was bin ich? anders aus. „Pro Sieben oder RTL müssten das ganz anders aufziehen“, sagt Schlüter. Mit großer Showbühne und Musikeinlage, mindestens. „Dann besteht die Gefahr, dass sie von der guten Kernidee ablenken. “

Letztlich ist der Erfolg kein Wunder. Natürlich funktioniert die alte, kleine, leise, harmlose Sendung, weil so viele andere jung, groß, laut, riskant sind. Antizyklik nennt man das an der Börse. „Man hat immer zwei Richtungen, in die man gehen kann, um aufzufallen“, sagt Schlüter. „Alle anderen machen Rockkonzerte, wir machen ein Kammerspiel. “

Am Anfang jeder Sendung begrüßt Björn-Hergen Schimpf die Zuschauer zu einer Stunde „gepflegter Unterhaltung“. Das ist nicht nur eine Phrase.

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