Schlagwort: Welt am Sonntag

Elende Twitzbolde

Ist es nicht immer wieder rührend zu sehen, wie sehr sich die Leute von „Bild“ freuen, wenn mal einer anderen Zeitung ein Fehler passiert und nicht immer nur ihnen?

Gestern ist mein „FAZ“-Kollege Michael Hanfeld in einer kleinen Randnotiz auf den falschen „Harald Schmidt“ auf Twitter reingefallen, und wenn ich die „Verlierer des Tages“-Meldung in der „Bild“-Zeitung heute richtig interpretiere, hätte ihr das schon deshalb nicht passieren können, weil sie an der Existenz von Twitter insgesamt zweifelt.

Es ist aber auch ein Elend mit diesem „vermeintlichen Blogging-Dienst“ („Bild“). Nehmen wir nur den Scherzbold, der sich da als Peter Sloterdijk ausgibt. Nach der Premiere der ZDF-Sendung „Die Vorleser“ twitterte er über den neuen Moderator und „Zeit“-Redakteur Ijoma Mangold:

Minusvisionen (!)

Die Authentizität dieser Wortmeldung zu überprüfen, ist eine nur mittelanspruchsvolle Aufgabe. Man hätte zum Beispiel diesen Tweet finden können, in dem der Account als Fake bezeichnet wird, hätte sich dann aber möglicherweise in dem logischen Labyrinth verlaufen, ob man mit Hilfe eines Tweets beweisen kann, dass man Tweets nicht trauen darf (vgl. Kreta). Alternativ hätte eine kurze Nachfrage bei der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe geholfen, deren Pressestelle innerhalb von Minuten bestätigt: Nein, hinter @PeterSloterdijk steckt nicht der bekannte Philosoph Peter Sloterdijk.

„Welt am Sonntag“-Mitarbeiter Joachim Bessing jedoch nutzte die Woche Recherchezeit, die ihm theoretisch zur Verfügung stand, für keine dieser Möglichkeiten, sondern konfrontierte stattdessen den echten Mangold mit der vermeintlichen Kritik des falschen Sloterdijk, und brachte also folgende Meldung:

Peter Sloterdijk sieht schwarz für „Die Vorleser“

(…) Peter Sloterdijk äußerte sich unumwunden auf Twitter: „Minusvisionen (!) „Die Vorleser“ im ZDF: Gebe Herrn Mangold noch max. 2 Sendungen …“ schrieb er. Twitter ist nicht die Welt des Moderators und „Zeit“-Feuilletonisten Ijoma Mangold und so bekam er auch nichts von der harschen Kritik des Philosophen mit: „Herr Sloterdijk hat ja selber eine Sendung beim ZDF. Insofern hat er bestimmt einen guten Blick dafür, wie Sendungen verfolgt werden und wann sie wie funktionieren.“

Damit ist zwar nebenbei auch die Frage beantwortet, ob Twitter die Welt des Joachim Bessing ist, aber man muss ihm mildernde Umstände zugestehen. Zu denjenigen, die den falschen Sloterdijk für den echten halten, gehört nämlich auch: Sloterdijks Verlag. Auf der entsprechenden Autoren-Seite von Diederichs (Random House) ist der falsche Account fröhlich verlinkt unter der Zeile: „Aktuelles von Peter Sloterdijk“.

Nachtrag, 30. Juli. Der Verlag hat den Link entfernt.

Der Kulturkampf gegen das Web 2.0

Nach dem Amoklauf in Erfurt mussten sich die Medien noch fragen lassen, was denn ihre Verantwortung für solche Ereignisse sein könnte. Die Fernsehsender sollten sich sogar auf Wunsch von Bundeskanzler Gerhard Schröder um einen Runden Tisch zum Thema Gewalt in den Medien setzen.

Diese Zeiten sind vorbei. Denn es gibt ja jetzt das Internet, in dem jedermann selbst publizieren kann. Seit die professionellen Medien das Monopol auf die Veröffentlichung zweifelhafter, persönlichkeitsrechtsverletzender oder gefährlicher Inhalte verloren haben, können sie sich hemmungslos über die Veröffentlichung derselben zweifelhaften, persönlichkeitsverletzenden oder gefährlichen Inhalte durch andere empören. Wenn Laien das tun, ist das offenbar viel schlimmer.

Die Medien schaffen es, das sogenannte Mitmachnetz dafür verantwortlich zu machen, dass auf YouTube ein Video von den letzten Minuten des Amokläufers zu sehen ist, und dabei auszublenden, dass dieses Video von RTL exklusiv gekauft und verbreitet wurde. Sie schaffen es, sich darüber aufzuregen, dass auf Twitter das Haus der Familie des Amokläufers gezeigt wird, und dabei auszublenden, dass ihr eigenes Medium dieses Haus groß als Aufmacherbild zeigt.

Ich hatte das zunächst für die Deformation einzelner Kollegen gehalten. Inzwischen bin ich überzeugt: Das hat System. Journalisten nutzen das Internet, um die berechtigte Kritik an ihrem eigenen Vorgehen systematisch auf die Amateur-Publizisten zu projizieren. Womöglich hat das nicht nur eine strategische, sondern auch eine psychologische Komponente und hilft irgendwie, den unterschwelligen Selbsthass zu kompensieren.

Den vorläufigen Tiefpunkt bildet ein Artikel, den „Welt am Sonntag“-Chefredakteur Thomas Schmid am vergangenen Wochenende als Kulturaufmacher über den Amoklauf veröffentlicht hat. Er benutzt das Thema nicht nur, um, wie immer, gegen „linke [beliebiges Substantiv]“ zu wettern. Er benutzt es auch, um dem Web 2.0 eine Mitschuld zu geben.

Der Vorspann seines Artikels geht so:

Die Unsterblichkeit des Amok-Täters: Tim K. wusste wohl, dass er schon Stunden nach seiner Tat auf immer in die Hall of Fame des Verbrechens eingehen würde. Mit seiner Tat hat er die große Erzählung vom Amok weitergesponnen. Dass er das konnte, ist auch eine Folge von medialer Demokratisierung.

Schmid beschreibt geradezu verführerisch, wie attraktiv so ein Amoklauf in Zeiten der Massenmedien ist:

Mit ein paar Schüssen wird einer, der bisher ein gänzlich Unbekannter oder gar ein Gehänselter und Verlachter war, zu einem, der schon zwei Stunden nach den ersten Schüssen auf allen Fernseh- und Internetkanälen des Globus präsent ist. (…) Er betritt eine Hall of Fame, der er auf immer angehören wird, aus der niemand ihn vertreiben kann.

Nun könnte man schon fragen, ob das angemessene Formulierungen angesichts der sehr realen Gefahr von Nachahmungtstätern ist. Und vor allem müsste man fragen, was die Medien dagegen tun könnten, auf diese Weise zu posthumen Werkzeugen der Mörder zu werden. Das müssten die Medien nicht zuletzt sich selbst fragen (der „Spiegel“ zum Beispiel, der dem Mörder gerade ein hübsches Titelbild-Denkmal gesetzt hat) — das müssen sie aber nicht mehr, denn es gibt ja den publizierenden Pöbel im Internet. Und genau dorthin biegt Thomas Schmid zum Finale seines Artikels ebenso konsequent wie unvermittelt ab:

Letztlich aber sind es nicht einmal, wie die linke Kulturkritik meint, „die“ Medien, die dem Täter zum Ruhm verhelfen. Es sind Krethi und Plethi, die das (oft mit medialer Hilfestellung) besorgen. Und das ist, wenn man will, ein Demokratisierungserfolg. Konnten früher medial nur die Privilegierten, also die journalistischen Fachleute, mithalten, hat das weltweite Netz, das alle mit allen verbinden kann, im Prinzip jeden Einzelnen zum Wirklichkeitsdeuter und -bildner gemacht. Dass Tim K. heute eine populäre, in der ganzen Welt bekannte Gestalt ist, ist auch eine Folge von user generated content.

In vielen digitalen Galerien wird die Tat von Tim K. aufbewahrt, wird die Erinnerung an ihn gepflegt werden. Seine Motive mögen die gleichen sein wie die eines Attentäters von 1907. Neu ist, dass man heute mit Taten wie diesen binnen Stunden den Laufsteg der Unsterblichkeit betreten (und sich von der Mühsal des Alltags verabschieden) kann. Vielleicht besitzt dieses Angebot, an dem Millionen von usern mitweben, eine metaphysische Anziehungskraft. Ist es vorstellbar, dieses wahrhaft massenmediale Angebot wieder zurückzuziehen?

Was für ein hanebüchener Unsinn: Nicht die Massenmedien verhelfen dem Täter zum verführerischen Ruhm, wenn sie in Millionenauflage über ihn berichten und einen nicht enden wollenden Strom von Bildern, Illustrationen, Videos, Fakten und Scheinfakten produzieren, sondern Krethi und Plethi (wie der „Pöbel“ offenbar mit Vornamen heißt), die dieses ganze Material dann verlinken, in ihr StudiVZ-Profil stellen und auf YouTube mit kitschiger Musik unterlegen?

So unverschämt ist das Heilsversprechen beim Kampf gegen die digitale Revolution selten formuliert worden: Wenn wir nur die Zahnpasta zurück in die Tube brächten und das Publizieren wieder den Profis überließen, könnte die Welt eine bessere sein. (Und den Journalisten ginge es auch besser.)

Um dieses Ablenkungsmanöver in all seiner dreisten Verlogenheit würdigen zu können, muss man allerdings sehen, wie der Artikel des „Welt am Sonntag“-Chefredakteurs in der Zeitung aufgemacht war.

So:


(Verpixelung von mir.)

Testfrage: Wen zeigt das große Foto neben den Worten „Die Unsterblichkeit des Amok-Täters“, das keinen weiteren Bildtext hat?

Nein, es zeigt nicht den „Amok-Täter“ Tim K. Der Junge auf dem großen Foto, den der unbefangene „Welt am Sonntag“-Leser für den Amokläufer halten muss, ist ein namenloser trauernder Junge bei einem Gottesdienst für die Opfer in Winnenden.

Diese Medien haben allen Grund, von ihrer eigenen Verantwortung abzulenken.

[via „Medium Magazin“]

Die WamS, das Netz und die Gosse

Ich habe gezögert, das hier jetzt schon wieder aufzuschreiben, weil es immer ein bisschen so aussieht, als würde man sich als Blogger reflexartig über Journalisten empören, die kritisch über Blogger schreiben. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass ausgerechnet jene Journalisten, die sich den Bloggern in Anstand / Wissen / Glaubwürdigkeit / Recherchestärke für meilenweit überlegen halten, es regelmäßig nicht schaffen, fair oder wenigstens korrekt über Blogs zu berichten.

Und damit wären wir bei der „Welt am Sonntag“ (deren Titelseite heute übrigens so wie hier rechts aussieht, aber das nur am Rande) und bei Marco Stahlhuts Artikel von über die re:publica. Er trägt diese Überschrift:

Okay. Ich würde zwar sagen, dass die Überschrift genauso treffend wäre, wenn man „ein Blog“ durch „ein Büro“, „eine Wohnung“, „ein Auto“ oder „einen Platz im Kino“ ersetzte, aber das macht sie ja noch nicht falsch. Im Gegensatz zur Dachzeile. Ich bin mir nicht sicher, was die re:publica genau wollte, aber ich mir ganz sicher: Manieren wollte sie (wem eigentlich) nicht beibringen.

Der Artikel beginnt mit einer Beschreibung, wie nervös Johnny Haeusler gewesen sei, „weil jedes Wort, das er sagt, sofort live von den Zuhörern per SMS kommentiert werden kann“, was mir sehr unwahrscheinlich erscheint, aber gut.

Stahlhut schreibt weiter:

Um das „Leben im Netz“ soll es bei der Re:publica gehen. Und weil das manchmal wie ein Leben in der Gosse aussieht, geht eine Diskussionsrunde der staatstragenden Fragestellung „Wie viel Verantwortung braucht die Freiheit?“ nach. Seit Internetnutzer ihre Bilder und Texte unkontrolliert auf extra dafür geschaffene Webseiten stellen können, scheint die Moral im Netz endgültig erodiert. Gewaltvideos und selbst gedrehte Pornos sind besonders beliebt. Auf Blogs, eine Art von Internettagebüchern und Kommentarseiten, beschimpfen sich User gegenseitig als Idioten oder drohen einander Schläge an.

Hui, da weiß man doch gar nicht, wo man anfangen soll. Von welchen „extra dafür geschaffenen Webseiten“ reden wir, Herr Stahlhut? YouTube zum Beispiel? Haben Sie mal versucht, da einen Porno hochzuladen zu finden? Schicken Sie mir den Link? Und Gewaltvideos? Reden wir von Bären, die aus Hängematten plumpsen? Oder von Kindern, die sich mit dem Fahrrad hinlegen? Herr Stahlhut? Helfen Sie mir! Und Ihre Definition von Blogs… Nein, ich merke gerade, ich habe nicht einmal Lust, mir dazu eine treffende Formulierung auszudenken.

Die Diskussion (bei der ich auch auf dem Podium saß) fasst Stahlhut so zusammen:

Am Ende einigt man sich darauf, keine neue Ethik für das Webzeitalter zu brauchen, es würde ausreichen, wenn Leute ihre gute Erziehung nicht mit dem Einschalten des Computers ausschalten. Ja, das wäre schön.

Ja, Himmel. Ich würde mir auch wünschen, dass Leute ihre gute Erziehung nicht mit dem Einsteigen in eine volle U-Bahn ausschalten. Oder mit dem Betreten einer Kneipe. Oder mit dem Benutzen eines Autos.

Später geht’s um den Kommerz:

Ein Amerikaner schreibt ein spezialisiertes Blog über ein einziges Handymodell. Er verdient so rund 30 000 Dollar im Monat.

Echt? Wusste ich gar nicht. Kennt das jemand? Die „Welt am Sonntag“ hat leider vergessen, den Namen dieses Blogs zu recherchieren hinzuschreiben, mit dem man sich in drei Jahren quasi zum Millionär bloggt. Aber Stahlhut hat auch ein deutsches Beispiel:

Ein privates Blog zu „Deutschland sucht den Superstar“ hat täglich mehr Besucher als die offizielle Seite von RTL. Ein paar Tausend
Euro monatlich soll der Betreiber mit Werbung einnehmen.

Auch hier fehlt der Name, aber eigentlich kann es sich dabei nur um dsds-news.de handeln — das Blog, das ein paar Mal an den Tagen nach der Sendung auf Platz 1 der Blogscout-Charts landete. Es hatte an diesen Tagen (und auch nur an diesen Tagen) knapp 50.000 Besucher. RTL.de hatte im März täglich 1.000.000 Besucher.

Bei Welt Online ist der Artikel bislang übrigens noch nicht aufgetaucht. Womöglich hat der Autor sich das verbeten. Wollte nicht neben diesen ganzen Idioten-Blogs stehen.