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Beim „Focus“ wirbt der Chef noch selbst

Ich finde es zu billig, sich über den „Focus“ lustig zu machen, nur weil Bastian Schweinsteiger in dem exklusiven „Focus“-Interview, in dem der Fußballspieler zum ersten Mal seit der WM spricht, teilweise fast wörtlich dasselbe sagt wie in dem „Bild“-Interview, in dem er vor Monaten zum ersten Mal seit der WM sprach. Also, ich finde es zu billig, sich darüber lustig zu machen, ohne auch den Spot entsprechend zu würdigen, mit dem der „Focus“ im Fernsehen für dieses Heft wirbt.

Es ist ein Film, an dem sicher viele Kreative im Hause Burda und in irgendwelchen Werbeagenturen lange gearbeitet haben, bis er, nicht zuletzt verkörpert durch den Auftritt des neuen Hoffnungsträgers in der Chefredaktion, Ulrich Reitz, exakt die Professionalität und Kompetenz ausstrahlt, für die die Marke „Focus“ steht.

Sehen Sie selbst:

Nachtrag, 12. Dezember. Die Leute von „Clap“ waren auch ganz angetan.

Wie Waldo im Wimmelbild: Journalismus und die Inflation von Online-Werbung

Nichts gegen Werbung. Werbung ist theoretisch und oft auch praktisch eine wunderbare Art, hochwertige Inhalte zu finanzieren. Das Unternehmen gibt Geld und ich zahle mit meiner Aufmerksamkeit.

Das ist oft ein guter, fairer Deal für alle Beteiligten: Leser, Medium, Werbetreibender.

Online aber ist aus Werbung ein Monster geworden, das alles zu fressen und zersetzen droht. Es gibt hier ein solches Überangebot an Werbeflächen, dass Werbung fast nichts kostet. Weil die einzelne Anzeige so wenig einbringt, vervielfältigen die Medien das Angebot an Werbeflächen — auf jeder einzelnen Seite und durch eine Maximierung der Klickzahlen. Durch die Vervielfältigung der Werbung sinkt der Wert jeder einzelnen Fläche weiter, ein Kreislauf: Inflation.

Machen wir es konkret. Nehmen wir die „Düsseldorf“-Seite der „Rheinischen Post“. Ich habe das ganze Werbegedöns mal abgeschnitten; das hier rechts ist die Spalte mit den eigentlichen Inhalten.

Könnte man glauben.

Nur dass jeder dritte Artikel eine Anzeige ist.

Es steht sogar das Wort „Anzeige“ darüber, und wenn man es weiß, kann man es an der Dachzeile erkennen, die nicht grau, sondern orange ist. Und am Rhythmus natürlich: Redaktion, Redaktion, Werbung; Redaktion, Redaktion, Werbung …

Die bezahlten Inhalte sind gekennzeichnet. Getrennt von den redaktionellen Inhalten sind sie nicht. Sie sehen aus wie Artikel. Sie sind Artikel. Das ist native advertising.

Die ganze Gestaltung ist darauf angelegt, dass man das eine mit dem anderen verwechseln kann und soll. Und selbst wenn man es nicht verwechselt: Dass man bewusst an den als Artikelanrisse gestalteten Werbeinhalten vorbeilesen muss.

Für zwei Artikel-Anrisse einen Anzeigen-Anriss lesen. Das ist der Preis, den derjenige zahlt, der sich bei der „Rheinischen Post“ kostenlos und werbefinanziert über Düsseldorf informieren will.

(Der Preis, den die „Rheinische Post“ dafür zahlt, dass sie die Arbeit ihrer Journalisten verwechselbar mit irgendwelchen Anzeigentexten macht und eine klare gestalterische Trennung für verzichtbar hält, steht auf einem anderen Blatt. Aber für jemanden, der heute möglichst viel Geld verdienen will und sich nicht um sein Image morgen sorgt, ist das kein Problem.)

Nehmen wir an, ein Leser schafft es, auf einen Teaser zu klicken, der tatsächlich zu einem redaktionellen Inhalt führt. Zum Beispiel eine etwas rätselhafte Meldung des nordrhein-westfälischen Landesdienstes von dpa über einen Termin in einem Düsseldorfer Hotel: Udo Lindenberg zeigte hier der Presse, wo er vor vielen Jahren gearbeitet hat.

Oben auf der Seite ist ein Banner mit Autowerbung. Über dem Artikel ist ein Banner mit Werbung einer Fluggesellschaft. Rechts neben dem Artikel ist ein Banner mit Telefonanbieter-Werbung. Im Artikel stehen Textanzeigen für Udo-Lindenberg-Bilder …

… und, ironischerweise, für einen Journalismus-Lehrgang. Unter dem Artikel steht eine Textanzeige für ein Open-Air-Festival.

Links neben dem Artikel ist Werbung für ein Jazz-Festival, für eine Medizin-Schule, für Sprachreisen, für das Rheinland. Man kann sie leicht an der orange hinterlegten Zeile und dem Wort „Anzeige“ darüber erkennen.

Der graue Kasten darunter hat keine orange hinterlegte Zeile und keine Kennzeichnung als „Anzeige“, ist aber auch eine.

Gelb hinterlegte Rubriken scheinen für redaktionellen Inhalt stehen; orange hinterlegte Rubriken für werblichen Inhalt. Könnte man glauben.

Unter dem Artikel ist eine gelbe Rubrik „Das könnte Sie auch interessieren“ mit redaktionellen Empfehlungen. Danach folgt eine ebenfalls gelbe Rubrik „Mehr aus dem Web“ mit Werbelinks, erkennbar nur daran, dass darunter in hellgrau fast zu lesen ist: „Content Anzeigen empfohlen von …“.

Ganz rechts unten schiebt sich gelb ein Kasten „Auch interessant“ in die Seite. Eine Anzeige.

Außerdem steht neben und unter dem Artikel noch Werbung für: ein Auto, „Zukunft stechnik aus Asien“, ein Casino, einen Obsthof.

Das mitten im Artikel eingebundene Video von center.tv trägt zwar den Titel „Udo Lindenberg in Düsseldorf“, bezieht sich aber auf einen über ein halbes Jahr zurückliegenden Besuch (und beginnt natürlich erst nach einem halbminütigen Werbevideo).

Die verlinkte 16-teilige und mit dem Anlass des Artikels nur sehr indirekt verbundene Klickstrecke „Das ist das Hotel Atlantic in Hamburg“ besteht ausschließlich aus PR-Fotos des Hotels.

Die verlinkte 13-teilige Klickstrecke „Bildband Udo Lindenberg ‚Stark wie zwei'“ ist Jahre alt und nur scheinbar redaktionell: Sie besteht aus Fotos aus dem Buch und dem PR-Text des Verlages.

Weitere Werbung verbirgt sich auf der Seite im Inhaltskasten oben, der sich öffnet, wenn man mit der Maus darüber fährt: Für einen Autohersteller („erkennbar“ an der orangen Färbung), einen Reiseanbieter, Lotto, noch einen Reiseanbieter.


Ich könnte ewig so weitermachen. In den Menuleisten finden sich manchmal kleine Texte, wie hier „Ihre Meinung NRW“. Man muss den Mauszeiger ein paar Sekunden darüber halten, um vor dem Klick zu erfahren, dass es sich um Werbung handelt. (Echte Profis erkennen es vermutlich daran, dass hinter dem Wort ein kleiner oranger Pfeil ist.)

Inhalte, die auf einer Seite als Anzeige verlinkt sind, kommen auf einer anderen Seite dann als scheinbar redaktionelles „Extra“ daher. Und natürlich befindet sich im Fuß der Seiten immer ein branchenüblicher Kasten mit „Top-Services“, wohinter sich, bunt gemischt, redaktionelle Inhalte, bezahlte Werbung und fremde E-Commerce-Angebote verbergen.

Und im Seitenkopf stehen noch Links zu diversen redaktionellen oder E-Commerce-Angeboten, an denen die „Rheinische Post“ irgendwie beteiligt ist.

27 Werbelinks habe ich alleine auf der Seite mit dem kleinen dpa-Artikelchen über Udo Lindenberg gezählt, und ich bin sicher, ich habe welche übersehen. Die RP-Online-Seiten sind prachtvolle Wimmelbilder aus werblichen Inhalten, in denen sich der Journalismus fast wie Waldo versteckt. Hier dient Werbung nicht mehr der Finanzierung von Journalismus; hier ist Journalismus nur noch ein Vorwand dafür, Leser an die werbungtreibende Industrie zu verkaufen, zur Not durch Täuschung. Seien wir ehrlich: Bei RP-Online macht Werbung hochwertige Inhalte nicht möglich, sondern unmöglich.

Ich bin mir nicht sicher, ob das ein nachhaltiges Modell zur Finanzierung von Journalismus ist.

Offenlegung: Ich bin Autor bei „Krautreporter“, einem Versuch, Journalismus radikal anders zu finanzieren.

Wir unterbrechen diese Sätze für eine Werbebotschaft

Neulich hat „Focus Online“ bekanntgegeben, sich nicht am allgemeinen Wettherunterziehen von Bezahlschranken zu beteiligen. Das Angebot soll kostenlos bleiben. Zu groß sei die Gefahr, Stammleser zu verprellen.

Doch die Umsonstheit hat ihren Preis. Die Stammleser müssen dafür an anderer Stelle besonders hart im Nehmen sein (vom Journalismus jetzt mal ganz abgesehen): Sie müssen sich darauf einstellen, dass „Focus Online“-Artikel mitten im Absatz von Werbebotschaften im Fließtext unterbrochen werden.

Nach Angaben des Werbevermakters Tomorrow Focus handelt es sich um einen Test. Die Werbeform werde den Kunden noch nicht angeboten, ob sie bei „Focus Online“ eingeführt wird, sei noch offen, sagt eine Sprecherin. Die ersten Erfahrungen seien aber „sehr positiv“. (Ich hatte konkret nach Reaktionen von Lesern gefragt, halte es aber eher für unwahrscheinlich, dass sich die Antwort darauf bezieht und stimmt.)

Es handelt sich um eine verschärfte Form von In-Text-Advertising. Das besteht sonst in der Regel daraus, dass einzelne Wörter im Text unterstrichen sind und beim Überfahren mit der Maus dazu vermeintlich passende Werbung angezeigt wird. Hier nun schiebt sich die Anzeige auch ohne (absichtliches oder versehentliches) Zutun des Lesers in den redaktionellen Text.

Selbst für den durchschnittlich desinteressierten Online-Medien-Nutzer muss dank solcher und ähnlicher Zudringlichkeiten längst unübersehbar sein, wie groß die Not der Angebote ist. Werbeformen wie diese sind Monumente der Verzweiflung, eine weitere Eskalation im zunehmend gewaltsamen Versuch, die Aufmerksamkeit der ebenso zunehmend abstumpfenden Leser auf die Botschaften der Werbekunden zu lenken.

Vermutlich muss man froh sein, dass die Werbung nicht mitten im Satz steht oder einzelne Wörter unterbricht, aber wahrscheinlich ist auch das nur eine Frage der Zeit. Die Kreativität, die man im deutschen Onlinejournalismus vermisst, sie scheint in die Erfindung solch immer neuer, immer noch aufdringlicherer Werbezumutungen zu fließen.

Sie haben übrigens noch weitere originelle Ideen bei „Focus Online“. Wenn man einen Artikel eine Weile offen lässt, erscheint oben eine Zeile, die einen informiert, dass es seit dem letzten Besuch „neue Artikel von FOCUS Online“ gebe, und dazu auffordert, die Seite „jetzt“ zu „aktualisieren“. Mit einem Klick kommt man dann auf die Startseite.

Die Einblendung erscheint natürlich unabhängig davon, ob tatsächlich in der Zwischenzeit neue Artikel auf „Focus Online“ veröffentlicht wurden. Sie kommt einfach immer automatisch nach zehn Minuten.

Katrin Müller-Milch-Hohenstein

Manche Dinge ändern sich nicht.

„Hallo. Ich bin Ilona Christen, und wie Sie vielleicht wissen, gehe ich den Dingen ganz gerne auf den Grund. Da gibt es ein neues Waschmittel: ‚Ariel Futur‘ – verspricht ‚Reinheit pur‘. Starke Worte. Deshalb hab ich erstmal bei den Ariels nachgefragt, was das eigentlich heißt.“ (Werbung, 1996)

„Als Mutter trage ich besondere Verantwortung für die Ernährung meiner Familie. Deshalb will ich mir immer sicher sein, dass die Qualität unserer Lebensmittel immer die beste ist. Der Qualitätsbeirat der Molkerei Weihenstephan sorgt für Transparenz gegenüber dem Verbraucher und gibt mir das Gefühl, wirklich zu wissen, wie meine Molkereiprodukte hergestellt worden sind. (…) Und dann gehen wir der Sache einfach mal auf den Grund.“ (Werbung, 2010)

Es gibt dann aber doch ein paar Unterschiede zwischen der Werbung der damaligen RTL-Talkmasterin Ilona Christen und der heutigen ZDF-Sportmoderatorin Katrin Müller-Hohenstein, und der unterschiedliche Arbeitgeber ist schon einmal kein unwesentlicher.

Ein weiterer ist, dass Ilona Christen damals nicht so getan hat, als sei ihre Werbung irgendetwas anderes als Werbung. Katrin Müller-Hohenstein hingegen hat laut „Spiegel“ gesagt: „Es war nie meine Absicht zu werben.“ (Immerhin vermied sie knapp die historisch vorbelastete Formulierung: „Niemand hat die Absicht, Werbung zu treiben.“)

Müller-Hohensteins Auftritt auf der Weihenstephan-Seite hat dieselbe alberne Diskrepanz zwischen behaupteter Kompetenz und demonstrierter Naivität. Mit ihrer „journalistischen Kompetenz“ unterstütze die Moderatorin die Mitglieder des „Weihenstephan Qualitätsbeirats“, schreibt die Molkerei, die seit zehn Jahren zur Unternehmensgruppe Theo Müller („Müllermilch“) gehört. Die Moderatorin selbst lässt sich mit den Worten zitieren, sie unterstütze die „Qualitätstester“ „mit meinem journalistischen Wissen und meiner natürlichen Neugier“.

Sie begleitet die vier ausgewählten Verbraucher dann bei einem Rundgang durch die Produktionsstätte, den das Unternehmen sicher in ähnlicher Form auch für Schülergruppen anbietet, stellt Fragen wie: „Was is’n überhaupt ESL?“ und verabschiedet die Statisten am Ende mit den Worten:

„Vielen Dank darf ich sagen, für eure Zeit, für euer Engagement, für euer Interesse am Qualitätsbeirat von Weihenstephan. Ich glaube, es ist wichtig, dass es kritische Verbraucher gibt, die auch mal genauer hinschauen. Das genau habt ihr getan. Vielen Dank!“

Ihr eigenes Fazit als kritische Journalistin:

„Also, ich fand’s ganz toll.“

Vielleicht kann man da den ZDF-Chefredakteur verstehen, dass er nicht glücklich ist mit dieser Form der Nebentätigkeit seiner Star-Moderatorin (obwohl sie von seinem Vorgänger Nikolaus Brender genehmigt worden sein soll): „Ihr Internet-Auftritt auf den Seiten von Weihenstephan ist nicht glücklich und kann so nicht bleiben“, sagte er gegenüber dem „Medium Magazin“. Er sei „nicht grundsätzlich dagegen, dass Kollegen Nebentätigkeiten ausüben, solange sie keinen werblichen Charakter haben und die journalistische Glaubwürdigkeit nicht gefährden“ und regte neue Richtlinien für solche Fälle an.

Das könnte alles eine Lappalie sein, vor allem nachdem sich Müller-Hohenstein entschuldigt hat und ihr Schein-Amt im lustigen „Beirat“ niederlegen will. Aber Müller-Hohenstein und ihr Management tun gerade alles, um den Fall zu einem Skandal eskalieren zu lassen. Dazu gehört der dreiste Versuch, so tun, als handle es sich gar nicht um Werbung. Gegenüber „Spiegel Online“ behauptet das Management der Moderatorin, sie preise nicht die Vorzüge der Marke Weihenstephan. Dort liest es sich auch, als sei Müller-Hohenstein ein Opfer, das fies unter Druck gesetzt werde. Erst aus der Presse habe die Moderatorin am gestrigen Freitag erfahren müssen, dass das ZDF mit ihrem Werbeauftritt unzufrieden sei. Dem widerspricht das „Medium Magazin“. Es dokumentiert detailliert die schriftlichen Anfragen an Müller-Hohenstein – bereits am Dienstag hätte sie demnach die Kritik Freys kennen können oder müssen. Laut „Medium Magazin“ verzichtete das Management trotz Nachfrage auf die Möglichkeit, eine Stellungnahme abzugeben.

Über die Frage, ob Menschen, die im öffentlich-rechtlichen Fernsehen an prominenter Stelle im weitesten Sinne als Journalisten arbeiten, auch noch Werbung machen sollten, kann man streiten. Und darüber, wie Gier jedes Gefühl für peinliche Auftritte auszuschalten scheint, staunen. Aber für dumm verkaufen lassen sollte man sich als Gebührenzahler von einer Katrin Müller-Hohenstein nicht müssen.

Werbeblocksitting

Das menschliche Gedächtnis arbeitet – das wissen wir spätestens, seit irgendjemand irgendwas veröffentlicht hat – höchst selektiv. So war ich davon überzeugt, irgendwo gelesen zu haben, dass die ARD nicht mehr so viel Werbung in der „Sportschau“ bringen wollte.

Korrekt lautete die Meldung aber:

Mit weniger Platz für Sonderwerbeformen als im Vorjahr geht im August die „Sportschau“ an den Start. Die bestehenden werden dadurch teurer. Bei klassischer Werbung bleibt alles beim Alten.

Und so ist es wohl völlig normal, dass ich jetzt seit 18 Uhr mehr Werbeblöcke als Erstligaspiele gesehen habe.

Andererseits: Was guck ich mir das überhaupt an? Borussia Mönchengladbach spielt ja eh erst am Montag.