Schlagwort: Wikipedia

Nicht mein Willy

In unserer Reihe „Etablierte Medien beklagen die Fehlerhaftigkeit der Wikipedia“ lesen Sie heute: die „Berliner Zeitung“.

Seit Bestehen der Internet-Enzyklopädie gab es immer wieder inhaltliche Fehler oder Auslassungen, die teilweise bewusst eingestreut wurden. Der Medienjournalist Stefan Niggemeier prüfte mittels Wikipedia die Recherchemethoden deutscher Redaktionen, als er Karl-Theodor zu Guttenberg nach dessen Ernennung zum Wirtschaftsminister einen weiteren Vornamen andichtete.

Nee.

Wikipedia & der verschobene Tod in Venedig

Die Briten haben die viel bessere Wikipedia-Manipulations-Geschichte.

Premierminister Gordon Brown erzählte neulich eine Anekdote über den venezianischen Maler Tizian, der seine besten Werke im hohen Alter geschaffen habe und 90 Jahre alt geworden sei. Gestern piesakte ihn daraufhin der konservative Oppositionsführer David Cameron im Unterhaus, der Regierungschef kriege ja wohl wieder mal seine Fakten nicht auf die Reihe: Tizian sei schon mit 86 gestorben.

Zu diesem Zeitpunkt gab die englische Wikipedia allerdings Gordon Brown recht. Also machte sich ein Mitarbeiter in der Parteizentrale der Tories kurzerhand an dem Eintrag zu schaffen und ließ Tizian vier Jahre früher sterben. Er übersah allerdings, dass jemand anders, womöglich mit der gleichen Intention, schneller war und seinerseits schon das Geburtsjahr um fünf Jahre heraufgesetzt hatte, so dass Tizian laut Wikipedia nun nicht einmal mehr 86, sondern höchstens 82 Jahre alt geworden war.

Die Konservative Partei hat sich inzwischen entschuldigt und zugegeben, dass ein „übereifriger“ Mitarbeiter am Werk war. Die genauen Lebensdaten von Tizian sind unbekannt.

Über Heilmann und die Wikipedia

Sven Felix Kellerhoff hat in einem Artikel in der „Welt“ formuliert, was er daran, dass sich der Politiker Lutz Heilmann (Die Linke) erfolgreich gegen Behauptungen in der Wikipedia über ihn gewehrt hat, besonders bemerkenswert findet:

Besonders bemerkenswert ist zudem, dass mit Heilmann ein ehemaliger hauptamtlicher Mitarbeiter des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit die Mittel des Rechtsstaates einsetzt, um seine Persönlichkeitsrechte schützen zu lassen.

Was für ein verräterischer Satz.

Die Logik ist mir vertraut: aus der Schwesterzeitung „Bild“, die regelmäßig an unserer Verfassung verzweifelt (die sie und ihr Verlag sonst ebenso regelmäßig gegen die Linke glauben verteidigen zu müssen), wenn sie fassungslos zusehen muss, dass unser schönes Recht einfach so von jedem dahergelaufenen Penner, Kinderschänder und Mörder in Anspruch genommen werden kann. Sogar von ehemaligen Terroristen!

Und so argumentiert nun also auch der Journalist und Autor Sven Felix Kellerhoff. Wäre es Herrn Kellerhoff lieber, wenn ehemalige Stasi-Mitarbeiter weiter die Mittel des Unrechtsstaates nutzen, also spitzeln, verleumden und bedrohen? Findet er es eine Zumutung, sich die Mittel des Rechtsstaates nun mit ehemaligen Stasi-Mitarbeitern teilen zu müssen? Hat man, wie das Altpapier der „Netzeitung“ als Interpretation vorschlägt, „als ehemaliger Mitarbeiter des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit naturgemäß seine Menschenrechte mit dem Vollzug der Deutschen Einheit verwirkt“? Oder ist sein Besonders-bemerkenswert-Satz nur ein ebenso kindisches wie Alt-Springereskes Na-Na-Nana-Na: Wir haben gewonnen und Du musst Dich sogar erniedrigen und unseren Rechtsstaat benutzen?

Dieser Sven Felix Kellerhof ist übrigens anscheinend leitender „Welt“-Redakteur für Zeit- und Kulturgeschichte.

· · ·

Ich finde an der Debatte über Heilmanns Vorgehen gegen Wikipedia und die Häme, die fast reflexartig über ihn ausgeschüttet wird, einen anderen Aspekt interessant, den auch Christian Stöcker bei „Spiegel Online“ anspricht: Welche Alternative hätte Heilmann gehabt, um gegen (angenommen) falsche Behauptungen über ihn vorzugehen? Die Standardantwort, dass bei der Wikipedia ja jeder selbst mitschreiben, redigieren und löschen kann, ist falsch. Schon der bloße Verdacht, dass der Betroffene selbst oder ein Mitarbeiter sich an seinem eigenen Eintrag zu schaffen gemacht hat, reicht, um empörte bis hysterische Reaktionen auszulösen.

Aber was ist richtige Weg, gegen Fehler oder problematische Formulierungen in der Wikipedia vorzugehen?

Ich weiß es nicht. Ich fürchte aber, ich weiß, welcher Weg funktioniert.

Denn Andreas Englisch, der Vatikan-Korrespondent der „Bild“-Zeitung hat es geschafft. Sein Wikipedia-Eintrag ist frei von jeder Kritik. Zum Beispiel frei von jedem Hinweis darauf, dass Herr Englisch leider wiederholt Fehlmeldungen liefert. Oder darauf, dass der Leiter der deutschsprachigen Radio-Vatikan-Redaktion, Pater Eberhard von Gemmingen, erklärt hat: „Herr Englisch liefert leider wiederholt Fehlmeldungen.“

Das stand einmal in Englischs Wikipedia-Eintrag. Aber dann scheint jemand die Wikipedia aufgefordert zu haben, diesen Hinweis zu löschen. Und ein Mitarbeiter des Support-Teams der Wikipedia hat diesen Hinweis gelöscht und erklärt, BILDblog dürfe in diesem Zusammenhang nicht mehr als Quelle verwendet werden.

Tatsächlich war der gelöschte Absatz zwischenzeitlich vielleicht ungenau formuliert: als offizielle Kritik von Radio Vatikan, nicht als Stellungnahme von Gemmingen. Aber auch eine korrigierte Version wurde von dem Wikipedia-Mitarbeiter wieder gelöscht.

Doch das Zitat Gemmingens stimmt. Es war die Antwort des Leiters der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan auf eine Presseanfrage von BILDblog an die offizielle E-Mail-Adresse deutsch@vatiradio.va. Wir stehen zu dem Zitat. Und Gemmingen hat uns — nach einigem Hin und Her — am Ende unmissverständlich mitgeteilt, dass er keine Löschung seines Zitates mehr wünsche.

Wir sind nicht der Meinung, dass Andreas Englisch ein Recht darauf hat, dass sein Wikipedia-Eintrag frei von Kritik ist. Wir haben den Dialog mit der Wikipedia gesucht. Wir haben irgendwann ermattet aufgegeben.

Keine Frage, dass der Fall für Wikipedia knifflig war, weil Radio Vatikan vorübergehend kalte Füße bekommen hat. Aber kann das bedeuten, dass es im Eintrag über Andreas Englisch keinen Hinweis auf seine nachweislichen Fehlmeldungen geben darf?

Und ob all diejenigen, die die Wikipedia unreflektiert als Hort der freien Berichterstattung und als Widerstandskämpfer gegen Einflussnahmen Betroffener feiern, wissen, dass es manchmal so einfach sein kann, seinen Eintrag zu säubern, wenn man es nur geschickter anstellt als Herr Heilmann?

Kurz verlinkt (12)

Sie haben ein Kaffeeservice bekommen, die Frauen der Fußballnationalmannschaft, die 1989 die Europameisterschaft gewannen. Ein Bügelbrett bekamen sie nicht.

Eine einzige kleine boshafte Änderung in der „Wikipedia“ reichte, um diverse Medien vom Gegenteil zu überzeugen — am Ende schaffte es das Bügelbrett sogar in eine Rede des Bundespräsidenten.

Die schöne Geschichte dazu hat Arne Nordmann aufgeschrieben.

„Manager Magazin“ im Schönwaschgang

Na, da lass ich mich doch nicht zweimal bitten.

Da ist zum Beispiel die schöne Geschichte, wie plötzlich ein kümmerlich karger Wikipedia-Eintrag über das „Manager Magazin“ erblühte — fruchtbar gemacht durch einen warmen PR-Schauer:

(…) manager-magazin.de hat (…) seine Reichweite auf hohem Niveau stabilisiert. (…)

Kernelementen des Magazins sind exklusive Informationen und fundierte Unternehmensberichterstattung. Das manager magazin analysiert und dokumentiert unternehmerische Erfolge und Misserfolge; liefert exklusiv Namen und Nachrichten aus den Top-Etagen; verrät anhand konkreter Fallstudien, wie Unternehmen Probleme erfolgreich lösen; beschreibt, wie Manager Führungsaufgaben angehen, wie sie Weichen für die Zukunft stellen, Mitarbeiter motivieren, und porträtiert die Macher der Wirtschaft. (…)

Sein investigative Ansatz erzeugt Nachrichten, die manager magazin zu einem der meistzitierten Wirtschaftsmagazine Deutschlands machen. (…)

(…) konnte die Auflage in einem für die Wirtschaftspresse sehr schwierigen Jahr mit einem Rekordergebnis abgeschlossen werden. Der hohe hohe Abonnentenanteil von 46,8 Prozent bietet dem Anzeigenkunden große Planungssicherheit.

Und so weiter und so fort. Der anonyme Nutzer, der den Eintrag mit vielen Absätzen dieser Art veredelt hatte und die nächsten Stunden noch mit diversen Detailverbesserungen verbrachte, tat dies aus dem Computernetz des Spiegel-Verlages. Der bringt, Überraschung, auch das „Manager Magazin“ heraus. (Die Änderungen waren kurz darauf schon wieder Geschichte. Mit der lapidaren Erklärung „werbekram rausgeworfen“ machte sie jemand komplett rückgängig.)

Aber der Wiki-Scanner entblößt den Spiegel-Verlag nicht nur in diesem Fall als Selbstdarsteller, wie „Spiegel Online“ formulieren wurde. Anonym, aber von einem „Spiegel“-Computer aus, wurde im Juni auch der Wikipedia-Eintrag über den deutschen Milliardär Karl-Heinz Kipp verändert. Ursprünglich stand dort:

Er nimmt Rang 132 auf der Forbes Liste der reichsten Menschen (2007) mit geschätzten 5,7 Milliarden US-Dollar ein (…)

Ein „Spiegel“- oder „Manager Magazin“-Mensch machte daraus:

Er nimmt Rang 37 auf der Manager Magazin Liste der reichsten Deutschen (2006) mit geschätzten 2,9 Milliarden Euro ein.

Dass keine objektiv sachlichen Gründe für die Änderung sprachen, lässt sich schon aus der Tatsache erahnen, dass die „Forbes“-Liste vom März 2007 stammt, die des „Manager Magazins“ aber schon ein knappes halbes Jahr älter ist.

Zwischenzeitlich war diese Schönung auch prominent auf der Wikipedia-Seite aufgelistet, die bemerkenswerte Beispiele für Änderungen in Einträgen sammelt und auf die auch der „Spiegel Online“-Artikel verlinkt. Inzwischen hat sie jemand dort gelöscht. Warum auch immer.

[via René per Mail]