Schlagwort: YouTube-Kolumne

Nicht egal

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Nichts löst derzeit so viel Hass im Netz aus wie Kampagnen gegen Hass im Netz.

Anfang der Woche ist eine neue gestartet. Sie nennt sich „#nichtegal“, was dafür steht, dass uns Hass nicht egal sein soll. Bekannte Youtuber haben sich vor die Kamera gesetzt – oder besser: sind vor den Kameras sitzen geblieben -, um ein Zeichen dafür zu setzen, dass man ein Zeichen dagegen setzen soll, wenn Leute im Netz Hass verbreiten. Achselzuckendes Hinnehmen sei keine Lösung. Jeder Einzelne könne, müsse, aktiv werden gegen Beleidigungen und Hetze.

Das Video ist von größter Substanzlosigkeit, selbst für ein eineinhalb Minuten langes Filmchen, das nicht viel mehr will, als Aufmerksamkeit zu wecken. Am besten zu gebrauchen ist es vielleicht noch als Negativbeispiel für sinnlosen Hashtag-Aktionismus. Wogegen genau es sich richtet, bleibt genauso unklar wie die Frage, was denn helfen soll. Die 21-jährige Kölner BWL-Studentin Diana zur Löwen, die auf ihrem Youtube-Kanal sonst vor allem für Kosmetikprodukte wirbt, sagte bei der Vorstellung des Projektes, sie wolle „Negativität mit einem Lächeln begegnen und den Leuten zeigen, dass mir das gar nicht so nahegeht“, was ein bisschen klingt, als wären ihr der Hashtag „#mirdochegal“ und ein Projekt, in dem es darum geht, blöde Hasskommentare einfach zu ignorieren, genauso recht gewesen.

Andere Unterstützer scheinen in dem Hashtag einfach eine praktische Abkürzung zu sehen, wenn man auf Hasskommentare eigentlich nicht antworten, aber auch nicht nicht antworten will. Stattdessen könne man „#nichtegal“ hinschreiben.

Dass so vage ist, wie und wogegen diese Aktion kämpfen will, ist vor allem deshalb ein Problem, weil es eine erhebliche Zahl von Kritikern gibt, die genau zu wissen glauben, was tatsächlich dahintersteckt: eine beinahe allmächtige Koalition aus einem globalen Internetkonzern (Google), der Bundesregierung und linken, stasiähnlichen Organisationen, die gemeinsam eine Gutmenschen-Diktatur errichten und jeden Widerspruch wegzensieren wollen.

Der Verdacht, dass es in Wahrheit nur darum geht, unliebsame Meinungen zu bekämpfen, ist allgegenwärtig. Und selbst unter denjenigen, die meinen, dass die Kampagne auf üble Beschimpfungen zielt, gibt es Widerstand: Die Freiheit, Leute zu beleidigen, gilt vielen, die sich in den Kommentaren äußern, als ein Menschen- und Internetrecht. (In welcher Form diese Leute für dieses Recht kämpfen, können Sie sich leicht ausmalen.)

Es herrscht ein Klima, in dem viele der Kampagne nicht einmal abnehmen, dass sie „gut gemeint“ ist, und die Auswahl der Protagonisten hilft nicht unbedingt, ihre Glaubwürdigkeit zu erhöhen. Dass eine Dagi Bee wegen ihrer Ultrakommerzialität umstritten ist, mag man vielleicht noch als Preis dafür hinnehmen, auch deren zahlreiche Fans zu erreichen. Christian Brandes („Schlecky Silberstein“) hat in einem Video aber auch Beispiele gesammelt, wie genau die Testimonials aus dem Video früher hasserfüllt auf Kritiker reagiert haben. Sein alternativer Hashtag: „#NichtEuerErnst“.

Vielleicht aber bewirken solche Anti-Hass-Aktionen doch etwas Positives: Mit etwas Glück ziehen sie so viel Hass auf sich, dass für diejenigen, die sonst regelmäßig Opfer davon werden, kaum noch etwas übrigbleibt.

nichtegal.withyoutube.com

Die Verlobung von Dagi Bee

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Nun ist es passiert. Es hatte sich schon länger abgezeichnet. Es mangelte auch nicht an Indizien und verräterischen Zeichen. Und spätestens nach dem gemeinsamen Kurzurlaub in Paris, der sogenannten Stadt der Liebe, war das Getrapse der Nachtigall ohrenbetäubend geworden. Am vergangenen Donnerstag machte Dagi Bee es endlich offiziell, in der einzigen angemessenen Form: Sie setzte sich vor ihre Videokamera und erzählte ihren vielen hunderttausend Fans, dass sie sich mit ihrem Eugen verlobt hat. In den vergangenen Wochen waren die Fragen immer lauter geworden, in der Presse, auf Instagram, auf Twitter, in den Youtube-Kommentaren: Was ist das für ein Ring da an deiner Hand, Dagi? Hast du dich verlobt? Nee, ist nur Schmuck, oder? Oder doch verlobt? Nee, nur Schmuck, oder?

Dann hatte sie auch noch getwittert: „Ich bin das glücklichste Mädchen auf dieser Welt“, und Eugen hatte getwittert: „Ich bin der glücklichste Mann auf dieser Welt“, einige Leute dachten aber, sie wollten ihre Fans nur wieder foppen, was ja auch nicht das erste Mal wäre – so was gehört in Youtuber-Kreisen zum Handwerk der Aufmerksamkeitssteigerung. (Ein Video, das die beiden vor zwei Wochen mit der Zeile „Wir werden Eltern!“ zeigte, entpuppte sich als Film, in dem sie mit der Welt teilten, dass sie nun einen Hund haben, einen Zwergspitz, der natürlich auch schon einen eigenen Instagram-Account hat.)

Eine Internetseite machte prompt eine Umfrage unter ihren Lesern, ob die „Anspielungen von Dagi Bee und Eugen nerven“, und von den, jawohl: mehr als 13 000 Teilnehmern sagte die Mehrheit: „Ja, total. Das glaubt doch niemand mehr!“

Tjaha. Stimmt aber. Dagi Bee ist, was man den meisten Unter-25-Jährigen nicht erklären müsste, eine der bekanntesten und erfolgreichsten Webvideoproduzentinnen Deutschlands. Ihr Youtube-Kanal hat mehr als 2,7 Millionen Abonnenten. Sie plaudert darin über Kosmetik, Mode, Shopping und ihr Leben. Ihre Verlobung ist ein faszinierendes und leicht bestürzendes Beispiel dafür, wie ein größeres persönliches Ereignis wie eine Verlobung in der Welt dieser neuen Stars inszeniert und begleitet wird.

Dagi Bee ist prominent genug, um Thema für die Boulevard- und People-Berichterstattung zu sein, mit deren üblichen Spekulationen über das Privatleben. Gleichzeitig gibt sie selbst mit Videos, Fotos und Kommentaren auf den unterschiedlichsten Plattformen immer wieder Anlass und Nahrung für solche Berichte. Und, vor allem: Diese Kommunikation von ihr ist nicht, wie bei traditionellen Prominenten, ein Begleitprogramm zur eigentlichen Arbeit in der Öffentlichkeit. Diese Kommunikation ist das, wofür sie berühmt ist; worauf ihre Prominenz beruht und woraus sie besteht.

Entsprechend wichtig sind diese privaten Ereignisse in der Real-Life-Soap, die sich in einem nicht enden wollenden Strom aus Postings auf den unterschiedlichen Kanälen entfaltet, entsprechend genau werden sie verfolgt – und entsprechend niedlich ist es, wenn sie erzählt, dass sie so ein Verlobungs-Bekanntgabe-Video ursprünglich gar nicht machen wollte, weil das „eigentlich ’ne ziemlich private Sache ist“. Aber „weil ich mein ganzes Leben mit euch teile, war es wirklich an der Zeit, es euch zu sagen“. Sie sagt dann noch, dass sie ihren Freund, „so gut es geht, aus der Öffentlichkeit heraushält“, aber das bedeutet bloß, dass er nicht in jedem ihrer Videos vorkommt, sondern nur in manchen.

Körperteile-Challenge

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Ich habe das vielleicht traurigste Youtube-Video der Welt gesehen. Es trägt den Titel „Welcher Youtuberin gehören diese Titten“, und es ist nicht das, was Sie jetzt glauben.

Die deutsche Youtube-Welt wird seit einigen Monaten von einem Genre heimgesucht, das man „Körperteile-Challenge“ nennen könnte. Zwei Jungs sitzen vor deKr Kamera, zeigen einander Fotos von Brüsten oder Pos und raten, wem sie gehören.

Das ist einfältig, aber nicht sehr dramatisch: Die Fotos, die als Material dienen, sind aus dem unerschöpflichen Fundus öffentlicher Selbstdarstellungsdokumente auf Instragram und ähnlichen Kanälen. Alles atmet den Geist der Ferienlager-Abendgestaltung pubertierender Schüler: sehr peinlich anzusehen, wenn man nicht selbst Teil der Clique ist.

Schöner war’s, als diese Vergnügungen noch nicht vor der digitalen Weltöffentlichkeit stattfanden, und schöner wär’s, wenn die jungen Leute die Möglichkeiten von Webvideos kreativer nutzen würden – aber das sind beides natürlich sinnlos-spießige Erwachsenen-Gedanken.

Der Erfolg dieser Anatomie-Heim-Quiz-Shows ist allerdings bemerkenswert: Einige von ihnen sind über eine Million Mal angesehen worden. Das ruft immer mehr Nachahmer auf den Plan. Die Youtube-Trends sind oft voll mit Varianten von „Welchem Youtuber gehört der Arsch?!“ und „Youtuber Brüste erraten extrem!“ – oft beworben mit Standbildern, die sehr sexuelle Inhalte versprechen.

Ein Tiefpunkt schien in der vergangenen Woche erreicht, als MarcelScorpion, ein bekannter hauptberuflicher Youtuber, mit seinem Kumpel Haptic ein Video veröffentlichte: „Welcher Youtuberin gehört diese F**ze?!“ Ihre Variante bestand darin, mit Fotoausschnitten zu spielen, die den Unterleib von Personen zeigten, bekleidet natürlich. Dazu sagten die beiden immer und immer wieder das F-Wort, jedes Mal überpiept. Es wirkte fast wie eine Parodie auf die Plumpheit all dieser Videos.

Stellt sich raus: Es war wirklich eine Parodie. Marcel hatte sich sogar, als Signal, eine Perücke aufgesetzt (was aber bloß zur Nachfrage führte, ob er nicht mal wieder zum Friseur wolle). Verstanden wurde das Video anscheinend von den wenigsten, geklickt aber massenhaft.

Und so haben Marcel und Haptic in dieser Woche ein Erklärvideo nachgeschoben, natürlich unter dem Titel „Welcher Youtuberin gehören diese Titten“, in dem sie sich beklagen: Überall die Bekloppten, die sich solche Videos angucken, und überall die Bekloppten, die sich solche Videos angucken, nur um sich über sie zu beklagen. Darüber, dass man ihnen zutraut, so ein Video im Ernst zu machen, und darüber, dass man es ihnen nicht zugesteht, auch mal so ein Video zu machen, im Ernst, aus Spaß, als Protest – und weil es eben super geklickt wird.

Marcel beklagt sich, dass solche Billig-Videos viel besser geklickt werden als gute, aufwendige Sachen. Er verheddert sich hoffnungslos in seinen Erklärungen, dass doch klar sei, dass er in seinen Videos immer nur eine Parodie darstelle, darin aber ganz oft auch „real“ sei. Und sagt Sätze wie: „Man muss gucken als hauptberuflicher Youtuber, wo man bleibt. Und Erfolg bekommt man durch so was. Man muss sich anpassen. Ich passe mich auf einem solchen Level an, dass ich immer noch Marcel bin, aber trotzdem immer noch erfolgreicher werden kann.“ Und das ist noch trauriger als all die traurigen Titten-Rate-Videos.

Der Heimwerkerkönig

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Es gibt nicht viele erste Sätze, nach denen man ein Youtube-Video einfach weitergucken muss, aber diese gehören sicher dazu: „Heute bauen wir einen Selfie-Stick. Dazu brauchen wir Cocktailwürstchen und einen Putter zum Golfen.“

Später wird sich herausstellen, dass man noch einiges mehr braucht, Gaffa-Tape natürlich, einen Draht, einen Radkreuzschlüssel, verschiedene Halter und natürlich einen Kompressor, der das Cocktailwürstchen mit Luftdruck auf das Mobiltelefon schießt, aber erstens hat man das alles ja im Haus, und zweitens kann man zur Not improvisieren, macht der Fynn ja auch, das ist schließlich der halbe Spaß, wenn nicht fast der ganze.

Am Ende zeigt er seiner Freundin den Selfiestick. „Wie findste das?“ – „Gut.“ – „Würdste das auch verwenden?“ – (Stille.)

Fynn Kliemann nennt sich „Heimwerkerkönig“, aber er meint das nicht so. Er ist niemand, der Videos dreht, in denen er vorführt, wie man mit Geschick und einem guten Plan große Dinge bauen kann. Er dreht Videos, in denen er vorführt, wie man als Chaot ohne Angst vor Elektrizität, Schweißgeräten, scharfen Kanten und Nahtoderfahrungen aller Art viel Spaß dabei haben kann, Dinge auseinander zu nehmen und neu wieder zusammen zu setzen – und am Ende mit etwas Glück und viel Schwund etwas geschaffen zu haben, das so ähnlich ist wie das, was man eigentlich bauen wollte.

Das Ganze ist, so unwahrscheinlich das klingen mag, regelmäßig lehrreich. Wenn Fynn zum Beispiel nach Dutzenden Fehlversuchen darauf kommt, warum die Cocktailwürstchen kein Bild auslösen. „Würstchen funktionieren nicht grundsätzlich“, sagt er dann in die Kamera. „Würstchen funktionieren nur, wenn sie leiten.“ Der Fachbegriff „Kapazitiver Touchscreen“ wird dann eingeblendet, während Fynn sich daran macht, seine waghalsige Konstruktion um einen Draht zu ergänzen, der den Wurstfinger mit der menschlichen Hand verbindet und so für die nötige Leitfähigkeit sorgt.

Er ist ein grandioser norddeutscher Dummschwätzer, eine ADHS-Variante von Dittsche. „Für eine Wurstschussmaschine brauchen wir vier Bar“, doziert er, nur um grinsend hinzuzufügen: „Das ist ein Schätzwert.“ Als er Erde aushebt für einen Teich, sagt er: „Ich untergrabe die Autorität dieses Ackers.“

Überhaupt, der Teich. Der ist am Ende viel größer geworden als geplant, weil ihm ein Nachbar seinen Bagger geliehen hat und „baggern einfach Bock macht“. Wenn man ihn dabei sieht, glücklich wie ein Kind, ist man versucht zu sagen, dass das Hauptproblem von Youtube, ach, der ganzen Welt ist, dass nicht genug gebaggert wird.

Definitiv aber gibt es nicht genug Fynns. Seine Kamikaze-Heimwerker-Videos sind ein fantastisches Gegenprogramm zu den Frauen, die Drogerieartikel auspacken, und Männern, die am Computer spielen. Und praktisch sind sie auch noch! Zuletzt hat er einem Kumpel die große Maschine „gepimpt“, mit der auf dem Rübenacker die Steine aussortiert, wobei er aber immer blöd ums Gerät herumlaufen musste, um es aus- und wieder einzuschalten. „Diese Anleitung dürfte für sehr viel Menschen interessant sein“, schreibt der Fynn dazu, „da ja jeder dieses Problem kennt und selbst so eine Maschine besitzt. Daher gehe ich davon aus, hiermit Gangnam Style recht flott vom Youtube-Thron zu stürzen.“