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Die neue Show-Vielfalt im ZDF

Die Nachrichtenagentur dpa hat den neuen ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler per E-Mail unter anderem nach der Zukunft von Jörg Pilawa gefragt.

Norbert Himmler: „Pilawa präsentiert derzeit ‚Rette die Million!‘ und dann eine neue Staffel der ‚Quizshow mit Jörg Pilawa‘, in der es für die Kandidaten um Grips und sportliche Leistung geht. Es folgt die neue Spielshow ‚Der Super-Champion 2012‹ und die Fortsetzung von ‚Deutschlands Superhirn‘. Zudem haben wir für den Herbst ‚Der neue deutsche Bildungstest‘ geplant.“

Man kann die häufig gedachte Frage „Merken die noch was?“ also getrost mit „Nein“ beantworten.

Warum ARD und ZDF für ACTA kämpfen

ARD und ZDF gehören bekanntlich zu den Unterzeichnern eines Aufrufs an die Bundesregierung, das Anti-Piraterie-Abkommen ACTA „ohne weitere Verzögerung wie bereits beschlossen zu unterzeichnen“.

Ich habe — ursprünglich für eine „Spiegel“-Geschichte, in der das dann aber keinen Platz fand — bei den Sendern nachgefragt, welche Konsequenzenes für sie hätte, wenn ACTA nicht unverzüglich und unverändert unterzeichnet würde.

Eva-Maria Michel, Vorsitzende der Juristischen Kommission der ARD und WDR-Justiziarin:

Schon die Überschrift der angesprochenen Pressemitteilung der „Deutschen Content Allianz“ (DCA) macht deutlich, dass ACTA lediglich der Anlass ist, um die Bundesregierung zu einer „konsistenten Positionierung zum Urheberrecht“ aufzufordern. Dementsprechend erschöpft sich der Aufruf nicht auf die von Ihnen durch wörtliches Zitat isolierte Passage, sondern das eigentliche Petitum an die Bundesregierung fängt danach erst an („[…] und mit größerem Nachdruck als bisher eine zukunftsorientierte Reform des Urheberrechts [.] in Angriff zu nehmen. Hierzu zählt auch eine Verbesserung der urheberrechtlichen Rahmenbedingungen für legale Angebote“).

Dementsprechend wird auch im Weiteren darauf hingewiesen, dass die von ACTA vorgesehenen Maßnahmen bereits dem deutschen Schutzniveau entsprechen, was auch die Bundesjustizministerin – jedenfalls bislang – so sah. Aus einer Unterzeichnung des Abkommens durch die Bundesrepublik ergäben sich dementsprechend auch keine unmittelbaren Konsequenzen für die Beteiligten der DCA.

Eine unterbleibende Unterzeichnung würde allerdings deutlich machen, dass der politische Wille, eine eigentlich zentral wichtige Urheberrechtsreform endlich anzupacken, entgegen früherer, anders lautender Aussagen (siehe z.B. Koalitionsvertrag) nicht (mehr?) da ist. Der Bundesregierung insofern „auf den Zahn zu fühlen“, das ist das eigentliche und unseres Erachtens berechtigte Anliegen dieser politisch gemeinten Intervention der DCA.

Alexander Stock, Unternehmenssprecher ZDF:

Das ZDF als Nutzer und Inhaber von Rechten braucht klare Regeln und Rechtssicherheit. Es bedarf einer Anpassung der urheberrechtlichen Rahmenbedingungen an die Nutzungen in der digitalen Welt im Rahmen der anstehenden Novellierungen des Urheberrechts auf europäischer Ebene, vor allem aber auch in der dringend notwendigen Fortschreibung des deutschen Urhebergesetzes (3. Korb). Diese müssen den berechtigten Schutz des geistigen Eigentums einerseits und dessen Sozialgebundenheit andererseits berücksichtigen.

Der rechtliche Rahmen muss eine technologieneutrale Ausgestaltung der Weitersendung unserer Angebote auf Drittplattformen, unabhängig von drahtgebundenen oder drahtlosen Technologien ermöglichen. Dazu brauchen wir effektive Mechanismen für die Rechteklärung in der digitalen Welt. So sollen für die Nutzer leicht zugängliche, legale Angebote gefördert werden, was gleichzeitig die beste Prävention gegen Piraterie ist.

Die Interessen von Nutzern und Rechteinhabern müssen dazu in einen fairen Ausgleich gebracht werden. Dementsprechend kommt es für das ZDF – das sowohl Rechteinhaber als auch Rechtenutzer ist – in der digitalen Welt auf folgendes an:

1. Faire Bedingungen, angemessene Vergütung und Anerkennung für die Arbeit von Künstlern und Urhebern, was auch einen hinreichenden Schutz des geistigen Eigentums voraussetzt.

2. Die Zugangsinteressen der Nutzer und damit das Gemeinwohl müssen geschützt werden. Die Offenheit des Internet ist eine wichtige Vorbedingung für Meinungsvielfalt, Pluralismus, kommunikative Chancengleichheit und damit für die Meinungsbildung. Das ZDF spricht sich deshalb für eine möglichst weitgehende Sicherung der Netzneutralität aus.

3. ACTA lässt zwar bewährte Schranken des Urheberrechts wie bspw. die Privatkopie oder das Zitatrecht unberührt, die Umsetzung sollte aber wie oben dargestellt von der Modernisierung des Urheberrechts zur Förderung legaler Angebote begleitet werden.

4. Für das ZDF sind Fernsehen und redaktionelle Telemedienangebote gerade in der digitalen Welt keine gewöhnlichen Wirtschaftsgüter. Es handelt sich vielmehr um Kulturgüter, die für Meinungsvielfalt und Kommunikation in unserer Gesellschaft von entscheidender Bedeutung sind.

Tri-Tra-Trullala, der Philipp und die Angela: Markus Lanz redet über Politik

Mein Kollege Michael Hanfeld von der FAZ hat einen gewaltigen Wutausbruch über die „Markus Lanz“-Sendung vom Donnerstag bekommen. Er nennt den Auftritt des FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler „ein Lehrstück über Propaganda im Gewand der Familienunterhaltung“, den „‚tiefsten Tiefpunkt‘ (Rudi Völler) des deutschen Journalismus und den Marianengraben politischer Wahrhaftigkeit“.

Michael Hanfeld ist relativ leicht zu erregen, und ich würde nicht jede Wertung in seinem Artikel unterschreiben. Aber beim Lesen habe ich mich daran erinnert, wie sehr auch mich beim Zuschauen ein Gefühl von Ekel überwältigt hatte und wie real mir die Sorge erschien, dass, wenn ich das zuende gucken würde, ich später in meinem eigenen Erbrochen zu mir käme.

Es hat ja nicht nur die Ebene der politischen Propaganda, wie sie Hanfeld beschreibt. Es ist auch die Dimension der Boulevardisierung von Themen und Infantilisierung von Kommunikation im Fernsehen, die hier sichtbar wird. Angesichts der Vorarbeit von Leuten wie dem Seelenprokler Reinhold Beckmann und dem Vaselineartisten Johanns B. Kerner müsste es eigentlich schwer sein, da noch neue Tiefen auszuloten. Lanz gelingt es mühelos.

Er nimmt politische Prozesse und Auseinandersetzungen konsequent aus der Perspektive des Menschelns wahr. Ich bin fast sicher, sie haben in der Redaktion vorher noch überlegt, ob sie die entscheidenden Begegnungen zwischen Angela Merkel und Philipp Rösler im Bundespräsidentenkandidaten-Findungsprozess nicht mit Handpuppen nachspielen sollten; vielleicht hätte Rösler auch den richtigen Gesichtsausdruck der Angela-Figur mit Knete oder Nudeln formen können. Dass das dann nicht geschah, hatte sicher nur den einen Grund: Alle wussten, dass Markus Lanz das auch so hinkriegt, ein Kleinkinderprogramm aus dem Gespräch mit dem FDP-Vorsitzenden zu machen, ohne Knete und Krokodil.

„Wie stellt man sich das denn vor?“ Das ist die Schlüsselfrage von Markus Lanz. Sie symbolisiert perfekt seine ganze verklemmte Zudringlichkeit und zudringliche Verklemmtheit.

Tatsächlich erfahren wird dank der Art von Markus Lanz einiges über Philipp Rösler. Vor allem, dass er gut sein muss im Umgang mit Kindern oder Verrückten. Wenn ich einmal in eine Situation gerate, wo es darauf ankommt, einem bewaffneten Irren geduldig zu erklären, dass man nur ein Mobiltelefon in der Hand hält und keine Fernzündung für ein von Außerirdischen hinter den Wolken geparktes Waffensystem, dann wünsche ich mir einen Menschen mit dieser unerschöpflichen Geduld und Gelassenheit an meiner Seite. Ich habe die Sendung aus oben beschriebenen Gründen nicht zu Ende geguckt, aber ich bin zuversichtlich, dass Rösler es bis zuletzt geschafft hat, Lanz nicht zu fragen, ob er vergessen hat, seine Tabletten zu nehmen. Dafür bewundere ich ihn.

Man kann sich die ganze Sendung in der ZDF-Mediathek angucken. Das kann ich aber niemandem empfehlen. Hier ist ein Kondensat:
 

Am Ende dieses Ausschnitts fragt Markus Lanz den FDP-Vorsitzenden, wieso er keinen Knacks hat, obwohl er doch als Kleinkind aus Vietnam adoptiert wurde und Frauen auf die Frage, welches Sternzeichen er ist, nicht mit Bestimmtheit die Wahrheit sagen kann. Das war tatsächlich der Punkt, als ich abgeschaltet habe und mich fragte, warum das ZDF sich nicht jeden Tag für diesen Mann und diese Talkshow rechtfertigen muss.

Vorauseilende Selbstverstümmelung

Es scheint, als hätten alle Proteste von Betroffenen und Experten nichts genützt: Wenn sich die Intendanten von ARD und ZDF am morgigen Dienstag mit Vertretern der Zeitungsverlage treffen, sind sie bereit, einen wesentlichen Teil der öffentlich-rechtlichen Online-Angebote aufzugeben — im Tausch gegen einen medienpolitischen Burgfrieden.

Seit Wochen arbeiten Spitzenvertreter der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger BDZV an einer „gemeinsamen Erklärung“. Die Entwürfe sehen unter anderem eine Aufteilung des deutschen Online-Journalismus vor: ARD und ZDF sollen sich in ihren Internet-Auftritten auf Audio- und Videoinhalte konzentrieren. Im Gegenzug würden sich die Online-Ableger der Zeitungen im Wesentlichen auf Texte und Fotos beschränken.

Eine gemeinsame Arbeitsgruppe soll gebildet werden, die exemplarisch Online-Angebote der Beteiligten durchgeht. Dabei sollen auch Kooperationsmöglichkeiten und gegenseitige Verlinkungen geprüft werden.

Sowohl die Redakteursausschüsse von ARD und ZDF als auch die Internetverantwortlichen der ARD in der Redaktionskonferenz Online (RKO) haben die Intendanten eindringlich vor den Folgen einer solchen „Erklärung“ gewarnt. Der Entwurf könne zu „weitreichenden negativen Auswirkungen und Eingriffen in den Bestand und die Entwicklungen der Telemedien der ARD“ führen, schrieb die RKO. „Für die aktuelle Berichterstattung jedes Onlineangebots sind Schlagzeilen, Kurztexte und Langfassungen im Verbund mit Fotos eine notwendige Grundlage, sowohl im Hinblick auf die Quellenlage, als auch auf das Nutzungsverhalten.“ Die „publizistische Relevanz“ der öffentlich-rechtlichen Online-Angebote würde geschwächt und damit die öffentlich-rechtlichen Sender insgesamt.

ARD-Sprecher taten das nach außen mit der Behauptung ab, die Kritiker protestierten auf der Grundlage einer „älteren Version“. Doch auch die aktuelle Fassung, die erst eine Woche alt ist, unterscheidet sich davon nicht grundsätzlich.

Die Federführung bei den Verhandlungen mit den Verlegern hat die WDR-Intendantin und amtierende ARD-Vorsitzende Monika Piel. Außer ihr sind die Intendanten Ulrich Wilhelm (BR) und Lutz Marmor (NDR) beteiligt — nicht aber der für Online in der ARD zuständige SWR-Intendant Peter Boudgoust.

Nach der internen und externen Kritik haben die ARD-Intendanten auf ihrer Sitzung am 6./7. Februar in Erfurt offenbar kontrovers über das Vorgehen beraten. Doch die Appeasement-Fraktion um Monika Piel konnte sich durchsetzen: Die Änderungen, die nachträglich am Entwurf vorgenommen wurden, sind eher kosmetischer Natur. So bleibt es dabei, dass eigenständige Texte in den Online-Angeboten von ARD und ZDF als Ausnahme festgeschrieben werden. Neu hinzugekommen ist in diesem Zusammenhang nur der Hinweis darauf, dass im Sinne eines barrierefreien Zugangs auch Texte erforderlich sein könnten. Umgekehrt sollen auch die Zeitungsangebote im Netz aus Gründen der Barrierefreiheit eigenständige Video- und Audio-Inhalte veröffentlichen dürfen.

Nichts von alldem ergibt Sinn.

Unklar ist schon einmal, warum ARD und ZDF überhaupt mit den Verlegern über ein solches Kompromisspapier verhandeln. Im Streit um die Tablet-Version von tagesschau.de, gegen die mehrere Verlage geklagt haben, hatte der Richter zwar angeregt, dass beide Seiten miteinander reden. Aber erstens geht es in den Gesprächen, die nun geführt werden, gar nicht um die „Tagesschau“-App, sondern ein viel fundamentaleres Abstecken der Grenzen öffentlich-rechtlicher Online-Angebote. Und zweitens spricht wenig dafür, dass die ARD diesen Rechtsstreit am Ende verloren und deshalb ein Interesse daran hätte, den Verlegerforderungen vorsorglich weit entgegen zu kommen.

Erklären lässt sich die als Kompromiss verkleidete Kapitulation von ARD und ZDF nur durch das unbedingte Bedürfnis einiger ihrer Vertreter, in den zu erwartenden Auseinandersetzungen um ihre zukünftige Legitimation Ruhe an dieser Front zu haben. Dafür steht der BR-Intendant Wilhelm, der erst vor gut einem Jahr aus der Bundesregierung in dieses Amt wechselte. Und dafür steht in ganz besonderem Maße Monika Piel.

Sie hatte bereits unmittelbar nach ihrem Amtsantritt als ARD-Vorsitzende mit der Bereitschaft zur öffentlich-rechtlichen Selbstaufgabe kokettiert und Sätze gesagt wie: „Wenn der Verlegerverband die Apps kostenpflichtig macht, dann werde ich mich auch vehement dafür einsetzten, dass unsere öffentlich-rechtlichen Apps kostenpflichtig sind.“

Auch die geplante „gemeinsame Erklärung“ muss man als Teil einer Appeasement-Taktik verstehen. In einer solchen Erklärung liege eine „medienpolitische Chance“, mit der „uns wichtige Spielräume erhalten werden könnten“, schrieb Piel vor drei Wochen in einer internen Mail. Darin interpretierte sie die Gespräche mit den Verlegern ausdrücklich auch vor dem Hintergrund der „Debatte um die Perspektiven des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und des Dualen Systems (Stichwort AG Beitragsstabilität)“. In der genannten AG, die von der sächsischen Staatskanzlei initiiert wurde, beraten die Bundesländer, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk eingeschränkt werden kann.

Piel will deshalb wenigstens Ruhe an der Front mit den Verlegern, die behaupten, die nicht kostenpflichtigen und texthaltigen Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verhinderten, dass sie im Internet Geld verdienen können. Piel spricht davon, dass Verleger und öffentlich-rechtlicher Rundfunk eine „Verantwortungsgemeinschaft“ bildeten.

Der Preis, den die Intendanten von ARD und ZDF bereit sind, für diesen Frieden zu zahlen, ist gewaltig. Fassungs- und verständnislos verfolgen viele, die in der ARD für Online-Angebote zuständig sind, wie dabei bisher selbstverständliche Positionen über Bord geworfen werfen.

Die Entwürfe der „gemeinsamen Erklärung“ sind geprägt von einer Vorstellung des Internets als einer Maschine, die einfach Radio und Fernsehen abspielt oder Zeitungsinhalte veröffentlicht. Der Gedanke eines eigenständigen Mediums, das all diese Formen miteinander verknüpft, ist den öffentlicih-rechtlichen Verhandlungsführern offensichtlich fremd.

Das deutet nicht nur auf eine grundsätzliche und ganz praktische Realitätsferne hin, sondern führt auch dazu, dass sich die „gemeinsame Erklärung“ implizit die Interpretationen der Verleger zu eigen macht. Die unterstellen nämlich, dass ein Internetangebot, das in relevantem Maße auf Texte setzt, „presseähnlich“ und deshalb den Öffentlich-Rechtlichen verboten sei. Dabei ist der Einsatz von Text als Mittel, um Nutzer schnell zu informieren, um Überblicke zu schaffen und multimediale Inhalte sinnvoll miteinander zu verknüpfen, schlicht das Wesen eines modernen Online-Journalismus — und nicht Ausdruck von Presseähnlichkeit.

Dadurch, dass die Intendanten von ARD und ZDF den Verlegern anbieten, auf eigenständige Textberichterstattung fast völlig zu verzichten, machen sie sich deren Anmaßung zu eigen, Online-Texte für „Presse“ zu halten.

In einer extremeren Form suggerieren die Verleger sogar, dass all das, was Zeitungen im Internet machen, automatisch „presseähnlich“ sei. Wenn etwa die „Tagesschau“-App, so die Argumentation, aussehe wie die „Welt“-App, dann könne sie nicht erlaubt sei. Selbst auf dieses Spiel lassen sich die Öffentlich-Rechtlichen in dem Entwurf der „gemeinsamen Erklärung“ noch ein: Die Online-Angebote von ARD und ZDF sollten so geordnet und gestaltet werden, heißt es darin, dass sie anders aussehen als die Online-Angebote der Zeitungen.

Die einen machen Online-Fernsehen, die anderen machen Online-Zeitungen: So einfach verläuft die Waffenstillstandslinie in der Welt der Intendanten. Das wäre an sich schon verrückt genug. Es wird noch verrückter dadurch, dass Piel und ZDF-Intendant Markus Schächter sich gerade erst in einer multipel verunglückten Presseerklärung der „Deutschen Content Allianz“ sogar namentlich zu den letzten Verteidigern der Medien-„Konvergenz“ erklärt haben.

Diese Art der Aufteilung des deutschen Online-Journalismus hat aber noch ein anderes Problem. Doch dass einem aus Gebühren finanzierten Angebot Grenzen gesetzt werden dürfen, wo auch immer sie liegen, steht außer Frage. Warum aber sollten sich privatwirtschaftlich finanzierte Medien einschränken müssen? Warum sollte eine regionale Tageszeitung im Internet nicht ein Webradio veranstalten und täglich drei, dreißig oder dreihundert Videos veröffentlichen, wenn sie das will und es sich rentiert?

Die Kompromiss-Simulation im Entwurf der „gemeinsamen Erklärung“ — wir verzichten auf Text, ihr auf Audio und Video — suggeriert eine grundsätzliche Symmetrie zwischen gebührenfinanzierten und kommerziellen Angeboten, die in keiner Weise besteht. Übrigens sitzen nur Vertreter von Zeitungsverlagen am Verhandlungstisch (Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner Korrektur: FAZ-Geschäftsführer Roland Gerschermann, WAZ-Geschäftsführer Christian Nienhaus und BDZV-Präsident Helmut Heinen). Angebote wie „Spiegel Online“ mit starkem Video-Schwerpunkt wären also ohnehin nicht eingebunden.

Wenn die „gemeinsame Erklärung“ tatsächlich verabschiedet wird, sind zwei Szenarien denkbar. Entweder ARD und ZDF nehmen die Selbstverpflichtung sehr ernst. Dann würden sie massiv in die redaktionelle Arbeit ihrer Internet-Auftritte eingreifen müssen und ihren Online-Journalismus amputieren. Oder sie behandeln die — juristisch nicht bindende — Erklärung als reines Lippenbekenntnis, ein folgenloses Papier zur Ruhigstellung der Verleger. Dann würde der Konflikt in einigen Jahren umso heftiger aufbrechen, weil die Gegner von ARD und ZDF ihre Online-Auftritte nicht nur an umstrittenen Definitionen, sondern an den eigenen Selbstverpflichtungen messen könnten.

In jedem Fall wären ARD und ZDF geschwächt. Weshalb die Kritiker im Haus die zentrale Frage stellen: Warum bringt man sich überhaupt mit solchen Verhandlungen und einem solchen Papier in eine solche Situation?

Konvergenz, Konsistenz, Inkontinenz: Die „Deutsche Content Allianz“

In der „Deutschen Content Allianz“ haben sich die Dieter Gornys dieses Landes zusammengeschlossen. Sie versuchen, sich vor dem Ertrinken zu bewahren, indem sie sich gegenseitig umklammern und das Wasser beschimpfen.

Es fiele mir leichter, ihnen dabei zuzusehen, wenn nicht ARD und ZDF ohne Not zu ihnen ins lecke Boot gestiegen wären — zwei Institutionen, die nicht zuletzt aufgrund ihrer Finanzierung durch das Volk in einer fundamental anderen Position sind, was die Herausforderung betrifft, sich in einer digitalen Welt professionelle kreative und journalistische Produktionen leisten zu können.

Insbesondere die WDR-Intendantin und amtierende ARD-Vorsitzende Monika Piel scheint sich aber zu einer Überlebensstrategie entschlossen zu haben, die auf dem Gedanken beruht, dass dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nichts passieren kann, solange er sich nur eng genug an seine natürlichen Gegner kuschelt. Die Interessen der Gebührenzahler müssen demgegenüber im Zweifel zurückstehen. (Mehr dazu in den nächsten Tagen an dieser Stelle.)

Jedenfalls hat die „Deutsche Content Allianz“, die man vielleicht treffender als den Verband der urheberrechteverwertenden Industrie bezeichnen könnte, gestern die Bundesregierung dazu aufgefordert, das ACTA-Abkommen unverzüglich und unverändert zu unterzeichnen. Es sagt schon viel aus, dass die „Deutsche Content Allianz“ ACTA als ein „Abkommen zum Schutz vor Internetpiraterie“ bezeichnet – dass sich die „Piraterie“, mit der sich der Vertrag beschäftigt, keineswegs auf das Internet beschränkt, verschweigen die beteiligten Verbände im Sinne einer klareren Desinformation.

Inhaltlich ist zum Streit um ACTA an anderen Stellen reichlich gesagt worden; ich möchte hier vor allem die verräterische Sprache in diesem Dokument würdigen. Die ganze hilflose Traurigkeit offenbart schon die Überschrift: „Deutsche Content Allianz fordert Bundesregierung zur konsistenten Positionierung zum Urheberrecht auf“. Man muss sich das bildlich vorstellen, Monika Piel und Dieter Gorny auf einer Demonstration vor dem Kanzleramt, in den Händen identische Plakate mit der Aufschrift: „Mehr Konsistenz wagen!“ Die vage und harmlos klingende Forderung steht in Wahrheit für einen Wunsch, wie er radikaler kaum sein könnte: Urheber-, oder genauer: Verwertungsrechte sollen durchgesetzt werden ohne lästige Abwägung mit anderen Rechten, mit denen sie kollidieren. Mit irgendeiner „konsistenten Positionierung“ ist exakt diese Positionierung gemeint — konsistent in ihrer Absolutsetzung eines Interesses.

Die „Deutsche Content Allianz“ fordert weiter laut ihrer Pressemitteilung:

Es seien jetzt eindeutige Signale notwendig, die Reform anpacken und durchsetzen zu wollen, da sonst die Gefahr einer Kluft zwischen der deutschen Kreativwirtschaft und den Gruppen unserer Gesellschaft, die den Schutz des geistigen Eigentums als einen Angriff auf die Freiheit im Internet diskreditierten, bestehe.

Ignorieren wir einmal die Problematik des Begriffes vom „geistigen Eigentums“ an sich, der eine Vergleichbarkeit mit tatsächlichem Eigentum suggeriert, die von der Content-Lobby politisch gewollt, aber in vielerlei Hinsicht irreführend ist. Abgesehen davon also: Ist das nicht rührend? Die Rechtindustrie sorgt sich, dass sich da womöglich, vielleicht, wenn man nicht aufpasst, in Zukunft eine Kluft auftun könnte. Als wäre diese Kluft nicht längst ein gewaltiger Canyon. Als würde es helfen, wenn die Bundesregierung „eindeutige Signale“ geben würde, Reformen „anpacken“ zu wollen. Und als würde sich die Kluft dadurch verringern, dass der Gesetzgeber auf der einen Seite des Grabens ein Flatterband als Absperrung zieht.

Die „Deutsche Content Allianz“ diskreditiert berechtigte Sorgen um die Freiheit des Internets als Diskreditierung. Und dann beteuert sie:

Diese Freiheit sei ein hohes, unbestrittenes Gut, solange sie nicht als Rechtlosigkeit interpretiert werde.

Da hat vermutlich Freud zugeschlagen. Niemand – außer vielleicht die Musikindustrie in ihren feuchtesten Träumen – käme auf die Idee, Freiheit als Rechtlosigkeit zu interpretieren. Freiheit im Internet wäre ja in ihrer extremsten Interpretation gerade das Recht, alles zu tun, was man will. Die Autoren wollten wohl sagen, Freiheit sei gut, solange sie nicht als Gesetzeslosigkeit interpretiert werde. Nicht einmal das ist ihnen gelungen.

Nun wird die „Deutsche Content Allianz“ geradezu selbstkritisch:

Von der Kreativwirtschaft müsse offenbar in diesem Zusammenhang noch stärker als bisher vermittelt werden, dass sie mit dem für alle Kreativen und die Vermittler ihrer Werke existenziellen Schutz des geistigen Eigentums keineswegs Barrieren in der digitalen Internetwelt errichten wolle, sondern es zusammen mit zeitgemäßen Angeboten längst als unverzichtbare Zukunftssicherung begriffen hätte.

Hat jemand eine Idee, worauf sich das kleine „es“ beziehen könnte, das die „unverzichtbare Zukunftssicherung“ (wessen?) darstellt? Es, das „geistige Eigentum“? Es, das hier ungenannte Internet?

Die Content-Industrie braucht geistiges Eigentum zusammen mit zeitgemäßen Angeboten? Sie braucht das Internet zusammen mit zeitgemäßen Angeboten? Was?

Weiter im Text:

Gerade bei einer Generation, in der viele ohne jedes Unrechtsbewusstsein für „digitalen Diebstahl“ aus Schule und Elternhaus in die große Welt des Internets entlassen worden seien, verlange dies viel Aufklärung und vor allem Diskussionsbereitschaft, wie sie die vor knapp einem Jahr gegründete Deutsche Content Allianz bereits bei ihrer Gründung öffentlich angeboten hatte.

Ich weiß nicht, welche Generation die „Deutsche Content Allianz“ genau meint. Ich ahne aber, welche Generation da schreibt, wenn sie das Bild bemüht von Kindern, die „aus Schule und Elternhaus in die große Welt des Internets entlassen“ wird. Es ist ein vielfach perfides Bild: Es behauptet, dass die Kinder klauen wie die Raben. Es gibt Eltern und Lehrern die Schuld, dass die Kinder angeblich klauen wie die Raben. Und es stellt das Internet selbst als verkommenen Ort dar, in den die Kinder umziehen, nachdem sie die bürgerlichen Institutionen verlassen haben.

Der letzte Absatz ist mein Lieblingsabsatz:

Die Vertreter der Deutschen Content Allianz kritisieren, noch gelte für zu viele der Schutz des geistigen Eigentums und die Freiheit im Internet als unüberbrückbare Kluft. Das schlage sich auch in der praktischen Politik durch ein Auseinanderdriften von Medien- und Netzpolitik nieder. Politik, Medien und Gesellschaft seien gemeinsam aber einmal unter der Überschrift „Konvergenz“ angetreten. Auch wenn dies stets eine besondere Herausforderung dargestellt habe, dürfe man es nun nicht aus den Augen verlieren, argumentieren die Köpfe der Deutschen Content Allianz.

Politik, Medien und Gesellschaft sind gemeinsam einmal unter der Überschrift „Konvergenz“ angetreten. Das muss selbst in der Phrasenwelt eines Markus Schächter ein rekordverdächtig quatschiger Satz sein. Man wüsste so gerne, wo sie alle, wir alle, angetreten sind. Und wofür. Und wer die Überschrift gemacht hat. Und ob es auch eine Unterzeile gab. Und natürlich überhaupt, wer oder was da mit wem oder was konvergiert?

Unterdessen befindet sich übrigens Frau Piel in Verhandlungen mit den Zeitungsverlegern, den Online-Journalismus in Deutschland aufzuteilen: In Video und Audio, wofür die Öffentlich-Rechtlichen zuständig wären, und Texte, was die Verlage machen würden. –Frau Piel? Die Konvergenz hat angerufen für Sie. Sie möchte ihre Überschrift zurückhaben.

Immerhin stellen ARD, ZDF, Privatsender, Produzenten, Musikindustrie, Filmwirtschaft, Buchhändler und GEMA am Ende noch einmal gemeinsam fest, das sie „es“ nicht aus den Augen verlieren wollen. Was auch immer damit gemeint sein mag.

Diese Erklärung ist ein aufschlussreiches Dokument. Es macht anschaulich, in welchem Maße ein Verein, der behauptet, für die Existenz hochwertiger Inhalte zu stehen, nicht einmal in der Lage ist, selbst einen Inhalt zu formulieren, der verständlich, sprachlich richtig und inhaltlich korrekt ist. Die Presseerklärung ist mit all ihrem Sprachmüll und ihrer Gedankenlosigkeit ein Dokument der Hilflosigkeit. Aber ich fürchte, so niedlich es wirkt, wie ungelenk da die Branchengrößen mit Förmchen werfen, so hart ist in Wahrheit der Druck, den sie hinter den Kulissen auf die Politik ausüben. Die „Deutsche Content Allianz“ bezieht sich in ihrer Pressemitteilung sogar zustimmend auf einen Brief diverser Verbände an Abgeordnete des EU-Parlaments, der mit zutiefst antidemokratischer Haltung die Proteste gegen ACTA skandalisierte.

Das größte Ärgernis aber bleibt für mich, dass die öffentlich-rechtlichen Sender bei alldem mitmischen. Von Sascha Lobo kommt der treffende Satz: „Inhalte nennt man in Deutschland immer dann ‚Content‘, wenn jemand damit Geld verdienen will.“ Was haben ARD und ZDF, deren Aufgabe es ist, von unseren Gebühren Programme für uns zu machen, in dieser „Content Allianz“ zu suchen?

Die Zielkonflikte des ZDF

[Das hier lag noch von den Feiertagen ungebloggt rum.]

Matthias Fornoff ist seit Anfang des Jahres Leiter der „heute“-Nachrichten im ZDF. Vor gut zwei Wochen gab er dem Mediendienst DWDL ein Interview, in dem er viel Nichts sagte, sich aber auch in bemerkenswerter Weise über die Programmierung seines Senders beklagte:

Jüngere Zuschauer sehen die „heute“-Sendung inzwischen kaum noch, beim Gesamtpublikum liegt „RTL aktuell“ inzwischen sehr deutlich vorn. Schmerzt es Sie eigentlich, dass die Nachrichten oft sogar weniger Zuschauer erreichen als die ohne Frage sehr starken „SOKO“-Serien im Vorprogramm?

Fornoff: Man muss ganz klar sagen, dass die „heute“-Sendung nicht unmittelbar auf die „SOKO“-Serien folgt, weil es dazwischen einen großen Werbeblock gibt. Insofern ist die „SOKO“ nur bedingt ein starker Vorlauf für uns.

Das heißt, es braucht in diesem Punkt Veränderungen?

Fornoff: Das ist nicht meines Amtes. Die „SOKO“ ist ein starkes Programm und wir würden uns wünschen, mehr davon profitieren zu können. Momentan liegen zwischen den Formaten fünf bis zwölf Minuten Werbung. Das ist einfach viel Zeit, weil dazwischen zu viel verloren geht. Ich kann das natürlich immer wieder ansprechen, aber es gibt in unserem Haus auch Zielkonflikte, die ich nicht entscheiden kann. Klar, dass wir uns das anders wünschen würden.

Tatsächlich verhindern die langen Werbeblöcke in erheblichem Maße einen Zuschauerfluss von den Krimiserien zu den Nachrichten. Während das ZDF sonst — wie die meisten Sender auch — sogar die Abspänne der Programme kürzt oder in einen Bildschirmteil quetscht, um den Zuschauern möglichst keine Sekunde zum Umschalten zu geben, ist der Umschaltimpuls hier massiv:

Der Erfolg von „heute“ hängt also davon ab, dass genug Leute gezielt einschalten oder rechtzeitig nach der Werbepause zurückzappen. Die Sendung kann kaum Schwung aus dem populären Vorprogramm mitnehmen.

Fornoff nennt das einen „Zielkonflikt“: Einerseits will das ZDF möglichst viele Zuschauer für „heute“; andererseits will es möglichst viel Geld mit Werbung verdienen.

Ahem.

Das ist ausnahmsweise genau die richtige Gelegenheit, die Totschlagfrage „Wofür zahlen wir eigentlich Gebühren“ zu stellen. Und zu beantworten: Dafür, dass das ZDF an dieser Stelle keine Kompromisse eingehen muss, hier im Gegensatz zu den Privatsendern keinen „Zielkonflikt“ hat und alles dafür tun kann, dass möglichst viele Menschen die Nachrichten sehen (von denen wir jetzt der Einfachheit halber mal annehmen, dass sie die Zuschauer klüger machen).

Was ist das Tollste an diesem Winter?

Ich habe hier einen kurzen Ausschnitt aus der 19-Uhr-Ausgabe der „heute“-Sendung im ZDF. Schauen Sie mal, ob Sie die exakte Stelle erraten können, an der der Herr Heinser beim Zuschauen rote Flecken im Gesicht bekam.

Also, so orangerote.
 

(Erstaunlicherweise lief derselbe „Ja ist denn schon Frühling“-Beitrag in der 17-Uhr-Ausgabe von „heute“ mit dem Satz „… wie hier in Stuttgart…“ anstelle von „… wie hier in München …“ und mit Menschen, die sich einfach freuten, sich nicht so dick anziehen zu müssen, anstelle von blöden Modegetränknamedropperinnen. Naja. München.)

Die SPD rettet ARD und ZDF

Es gibt sie noch, die großen politischen Würfe. Zwei SPD-Politiker haben die Lösung gefunden, wie es die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender in Deutschland schaffen können, endlich auch jüngere Menschen zu erreichen. In einem Gastbeitrag für die Samstagausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ verraten sie ihre Gewinner-Formel:

Das ZDF könnte (…) mit seinem digitalen Kanal ZDF Neo die Zielgruppe der 30- bis 49-Jährigen konsequenter ansprechen. Konsequenter bedeutet, einen Marktanteil von etwa fünf Prozent anzupeilen.

Warum ist darauf nicht eher jemand gekommen? Wieso gibt sich das ZDF bei ZDFneo mit Marktanteilen im Promillebereich zufrieden, wenn es doch fünf Prozent anpeilen könnte! Auch jüngere Zielgruppen wären plötzlich ganz leicht zu erreichen, wenn man nur Marktanteile anpeilt, die hoch genug sind. Und wundern Sie sich nicht, wenn die SPD in Zukunft bei Wahlen richtig abräumt: Die Partei wird einfach konsequent Ergebnisse von etwa 40 Prozent anpeilen.

Man könnte lachen über diesen Text, man kann ihn leicht vergessen oder ignorieren, aber er lässt sich auch als trauriges Symbol dafür lesen, was in Deutschland als Medienpolitik durchgeht. Die Autoren sind Martin Stadelmaier, der Chef der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei, und Marc Jan Eumann, der Vorsitzende der SPD-Medienkommission. Beide sind Mitglied im ZDF-Fernsehrat.

Die „Süddeutsche“ hat über den Text geschrieben:

Warum weniger manchmal wirklich mehr ist: Wie sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk verändern muss

Kein Wunder, dass es sich um zwei Fragen handelt. Antworten enthält das Stück nicht.

Aber schon die Fragen, die sich Stadelmaier und Eumann stellen, sind toll.

1. Wie kann der öffentlich-rechtliche Auftrag im Netz so ausgestaltet werden, dass er Qualität und Überblick im Meer der Informationen bietet und regen Zuspruch findet?

2. Wie kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der auf der Basis solider Informationen über die wesentlichen Zusammenhänge in unserer Gesellschaft informiert und damit zur Demokratiebildung durch freie Meinungsbildung beiträgt, den Generationenabriss stoppen, der sich vor allem bei jungen Menschen vollzieht, die sich von ARD und ZDF abwenden?

3. Wie kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk zeitgemäße, den inhaltlichen und finanziellen Herausforderungen entsprechende Strukturen legen?

Die diversen Sprachunglücke in diesen Sätzen sind kein Zufall, sondern Ausdruck davon, dass hier jemand nicht klar denken kann oder wenigstens nicht klar reden will. Ein ausgestalteter Auftrag soll regen Zuspruch finden? Ein Rundfunk soll auf der Basis von Informationen informieren? Durch Meinungsbildung zur Demokratiebildung beitragen? Herausforderungen entsprechende Strukturen legen?

Auf keine der tatsächlichen Fragen, die man hinter diesen Worthaufen erahnen kann, findet der Text auch nur die Idee einer Antwort.

Stadelmaier und Eumann erwähnen kurz die Klage der Verleger gegen die „Tagesschau“-App und fügen hinzu:

Ein scheinbar geeintes Verlegerlager will im Netz Bezahlinhalte durchsetzen. Das ist, um nicht missverstanden zu werden, legitim. Das Vorgehen knüpft damit an die europaweite, kontroverse Diskussion um den Schutz der Urheberrechte beziehungsweise Leistungsschutzrechte an und hat sich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Angriffsziel ausgesucht. Es ist aber auch eine gravierende Verkennung der Interessenslage, insbesondere der Tages- und Wochenpresse, die auf ihre Art wie ARD und ZDF zu verlässlichen, orientierenden Informationen für unsere Gesellschaft beiträgt.

Ich weiß nicht, was die Urheber- und Leistungsschutzrechte mit dem Thema zu tun haben, aber was weiß man schon von Vorgehen, die sich Ziele aussuchen.

Irgendwie, sagen die SPD-Medienpolitiker dann, sollten die Verlage und die öffentlich-rechtlichen Anstalten gemeinsam „für attraktive Informationsangebote im Internet sorgen“.

Um gerade bei den unter 20-Jährigen die öffentlich-rechtliche Zugkraft im Netz zu steigern, wird es mehr Geld für Kreativität, neuer Angebote und Geschäftsmodelle bedürfen.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es ausgerechnet Geld ist, das ARD und ZDF fehlt, aber vielleicht meinen Stadelmaier und Eumann ja eine Umverteilung der Ressourcen. Man weiß es nicht, denn sie schreiben nichts darüber. Auch nicht, was für „neue Angebote“ denn gebraucht werden und vor allem, wie man mit neuen „Geschäftsmodellen“ Jugendliche erreicht. Bis gerade dachte ich, dass das Geschäftsmodell der Öffentlich-Rechtlichen ist, Gebühren zu bekommen und dafür ein gutes Programm zu machen.

Für ARD und ZDF wird entscheidend sein, dass sie sich neue Prioritäten setzen und zugleich von Liebgewordenem trennen.

Was sehnte man sich nach einem Beispiel – oder besser zweien: eins für die neu zu setzenden Prioritäten und eins für das abzuschaffende Liebgewordene. Aber es kommt keines, und damit ist die Abhandlung der Frage 1 auch schon beendet, in der es eigentlich um den öffentlich-rechtlichen Auftrag im Netz ging.

Als Antwort auf Frage 2 referieren die SPD-Männer, dass Jugendliche und junge Erwachsene kaum Angebote von ARD und ZDF im Internet und im Fernsehen wahrnähmen, insbesondere keine Nachrichten. Sie fügen hinzu:

Der gebührenfinanzierte Rundfunk hat (…) die (…) gesetzliche Aufgabe, alle Bevölkerungsschichten und Altersgruppen anzusprechen, insbesondere mit seinen Hauptprogrammen. Dieses Ziel ist heute nicht mehr allein mit den Vollprogrammen zu erreichen, allerdings mit Spartenprogrammen im Marktanteilsbereich von weniger als einem Prozent auch nicht.

Aha: Das Ziel, Menschen mit dem Hauptprogramm anzusprechen, lässt sich heute nicht mehr allein mit dem Hauptprogramm erreichen.

Und: Das Ziel, alle Menschen anzusprechen, lässt sich nicht mit Programmen erreichen, die nur wenige Menschen gucken.

Nun folgt der eingangs zitierte Gedanke, dass ZDFneo doch einfach mehr jüngere Leute erreichen sollte, als es tut, und erstaunlicherweise sogar ein konkreter Vorschlag:

Die Länder sollten dazu einen Konstruktionsfehler der Beauftragung beseitigen, nämlich das Verbot, in den Spartenkanälen (zielgruppenadäquate) Nachrichten zu bringen.

Spätestens beim Wort „Beauftragung“ war ich mir dann sicher, dass sich der Text nicht an mich, geschweige denn einen interessierten fachfremden Zuschauer richtet.

Ich bin durchaus dafür, dass das ZDF auf ZDFneo Nachrichten für junge Leute senden darf — es wäre ein interessanter Versuch, einen öffentlich-rechtlichen Gegenentwurf zu den „RTL 2 News“ zu entwickeln. Aber dass das die Quoten des Senders in die Höhe katapultieren würde, halte ich selbst im besten Fall für unwahrscheinlich.

Zunächst sollten ARD und ZDF ihre Infokanäle aufgeben und Phoenix stärken, indem sie diesen Gemeinschaftskanal in seinen Aufgaben als Ereignis- und Informationskanal stärken.

Eine konkrete Idee, und keine schlechte! Leider lautet der nächste Satz:

Es bliebe dann auch mehr Raum für die beiden privaten Spartenangebote n-tv und N 24.

Die Mini-Kanäle ARD extra und ZDF info sind schuld am Rumpel- und Resteprogramm von n-tv und N24? Das ist schwer zu glauben. Vor allem aber könnte Phoenix genau dadurch, dass es vom Ereignis- zum umfassenden Informationskanal aufgewertet würde, erst recht eine relevante Größe erreichen.

Dann gibt es keinen vernünftigen Grund, sich neben den herausragenden Kultursendern Arte und 3sat kannibalisierende öffentlich-rechtliche Kulturkanäle zu leisten.

Das ist nicht ganz falsch und trifft den Kern überhaupt nicht. Auch arte und 3sat sind längst in einem Maße auf relative Massentauglichkeit optimiert, dass sie für die Experimente, die sich ZDF.kultur leistet, gar keinen Raum hätten. Anders gesagt: Das Problem ist nicht ZDF.kultur. Das Problem sind 3sat und arte.

Aber was red ich, Stadelmaier und Eumann sind im nächsten Satz längst ganz woanders:

Sehr wohl sollten ARD und ZDF allerdings an Silvester je ein Konzert von Mozart und Beethoven übertragen können, ohne dass ihnen daraus ein Nachteil entstünde.

Ich weiß nicht, ob das wegen des „je“ auf zwei oder auf vier Konzerte hinausläuft, aber vor allem: Hä?

Im vergangenen Jahr übertrug die ARD live das Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker, das ZDF ebenso live aus der Dresdner Staatsoper ein Konzert der Staatskapelle Dresden. Ihnen wurde daraufhin Gebührenverschwendung vorgeworfen — allerdings, weil beide Sendungen zeitgleich liefern. Wenn den Öffentlich-Rechtlichen daraus „ein Nachteil“ entstand, dann wegen ihrer eigenen Beklopptheit bei der Programmierung (vgl. Parallel-Übertragung der englischen Prinzenhochzeit).

Der Bewusstseinsstrom von Stadlmaier und Eumann endet:

Ein so restrukturierter öffentlich-rechtlicher Rundfunk kann sich mit den Interessen der Tages- und Wochenpresse idealerweise treffen. Beide Seiten könnten sich in der Frage eines anspruchsvollen Journalismus und eines insgesamt anspruchsvollen Medienangebots ergänzen und stärken.

Das „so“ im ersten Satz ist wirklich niedlich. Der Text hat exakt keine Ahnung davon, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk umstrukturiert werden müsste. ARD und ZDF sollen ihre Info- und Kultur-Kanäle schließen und stattdessen junge und noch jüngere Zuschauer erreichen; sie sollen Verwaltungskosten abbauen und vielleicht noch ein paar Orchester schließen. Plattitüden, Phrasen, Lächerlichkeiten.

Die Autoren sind, um es noch einmal zu sagen, die führenden Medienpolitiker der SPD. Martin Stadelmaier ist der vielleicht einflussreichste Strippenzieher auf diesem Gebiet. Und so ein Artikel kommt dabei heraus, wenn er sich mit seinem Kollegen Eumann sagt: Hey, lass uns mal in die „Süddeutsche“ schreiben, wie wir uns die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vorstellen?

Man hat danach keine Fragen mehr.

Wie ARD und ZDF ihren Gebührenbedarf kleinrechnen

Die ARD behauptet, der zusätzliche Finanzbedarf, den sie für die kommenden vier Jahre angemeldet habe, entspreche einer jährlichen Steigerung um 1,1 Prozent. Die ARD-Vorsitzende Monika Piel hat diese Zahl auch in diversen Interviews genannt. Das ZDF rechnet seinen zusätzlichen Bedarf öffentlich in eine jährliche Steigerung von 1,3 Prozent um. Beide Angaben sind falsch. In Wahrheit sind die Steigerungen deutlich höher.

Das wird jetzt ein bisschen kompliziert.

Es gibt mehrere Gründe, warum die Zahlen über die von ARD und ZDF bei der zuständigen Kommission KEF beantragten Mittel so schwer einzuordnen und so leicht zu skandalisieren sind. Der naheliegendste sind natürlich die schieren absoluten Größe der Zahlen, die Millionen- und Milliardenbeträge. Aber es kommt noch etwas hinzu: Die Gebührenperiode läuft über vier Jahre. Die bewilligten Etats steigen am Anfang sprunghaft an und bleiben dann konstant.

Die ARD zum Beispiel hat eine Bedarfssteigerung um insgesamt 900 Millionen Euro angemeldet. Das entspricht 225 Millionen Euro jährlich. Diese 225 Millionen Euro stellen eine Zunahme des Etats um 4,1 Prozent dar. Dem stehen dann aber drei Jahre ohne weiteres Wachstum gegenüber. Die 4,1 Prozent lassen sich deshalb nicht mit jährlichen Steigerungsraten wie etwa der Inflation vergleichen.

Es ist deshalb prinzipiell sinnvoll, diese Zahl auf eine jährliche Steigerungsquote umzurechnen, wie es ARD und ZDF tun. Mit der behaupteten jährlichen Anpassung von 1,1 Prozent der ARD ergäbe sich allerdings folgendes Bild:

Tatsächlich ist nach vier Jahren mit einer jährlichen Steigerung von 1,1 Prozent die neue beantragte Etathöhe erreicht. Nur hat die ARD diese Höhe ja auch schon für die Jahre zuvor beantragt. Anstatt der 900 Millionen, die sie angeblich insgesamt zusätzlich braucht, bekäme sie mit einer jährlichen Steigerungsrate von 1,1 Prozent in vier Jahren nur rund 614 Millionen zusätzlich.

Um auf 900 Millionen Mehreinnahmen zu kommen, müsste der Etat nicht vier Jahre lang um 1,1 Prozent, sondern um 1,6 Prozent steigen.

Das ZDF hat exakt denselben Rechenfehler gemacht. Es hat — nach neuesten Zahlen — einen Bedarf von 411 Millionen Euro angemeldet. (Die von der „Zeit“ behaupteten 435 Millionen sind falsch; die vom ZDF später bestätigten 428 Millionen inzwischen nach ZDF-Angaben überholt.)

Der Sender erklärt mir:

Dieser Finanzbedarf (411 Mio) würde bezogen auf die Beitragsperiode 2013-2016, bei dem angenommenen Beitragsaufkommen eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 0,248 € bedeuten. Der aktuelle Anteil des ZDF an der Rundfunkgebühr beträgt 4,735 €. Setzt man die ermittelten 0,248 € in Relation dazu, entspricht dies einer Steigerung von 5,2 Prozent für den Zeitraum von vier Jahren. Verteilt man diese Steigerung gleichmäßig über die vier Jahre, ergibt sich mit Hilfe des geometrischen Mittelwerts eine jährliche Steigerung von 1,3 Prozent.

Nur verteilt sich die Steigerung eben nicht gleichmäßig über die vier Jahre, sondern wird sofort im ersten Jahr wirksam und bleibt dann konstant. In Wahrheit entspricht der angemeldete zusätzliche Bedarf des ZDF nach meinen Berechnungen einer jährlichen Steigerung um gut 2,0 Prozent.

Das ist immer noch eine Größenordnung, die vermutlich bestenfalls einen Inflationsausgleich darstellt. Insofern halte ich die Reaktionen auf diese Bedarfsanmeldung (die ohnehin von der KEF deutlich gekürzt werden wird) für unverändert abwegig und hysterisch. Ich hätte mich aber nicht auf die Zahlen verlassen dürfen, die ARD und ZDF angegeben haben. Sie erwecken einen falschen, zu niedrigen Eindruck von dem zusätzlichen Bedarf, den sie angemeldet haben.

[via Michael in den Kommentaren]

Das Gebührenwucherphantom

ARD und ZDF haben der zuständigen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) mitgeteilt, wieviel Geld sie in der nächsten Gebührenperiode mehr benötigen. Die Summen entsprechen nach Angaben der Sender einer jährlichen Steigerung von 1,1 bzw. 1,3 Prozent. (Nachtrag/Korrektur hier.) Das ist weniger als die aktuelle Inflationsrate von über 2 Prozent. Das nominale Wachstum, das ARD und ZDF beantragt haben, entspricht also einem realen Rückgang ihrer Etats.

Es ist schwer, darin einen Skandal zu sehen. Natürlich kann man der Meinung sein, dass die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland ohnehin schon über viel zu viel Geld verfügen und in Zukunft deutlich schrumpfen sollten. Aber man muss schon ideologisch verblendet sein und irreführend rechnen, um aus einem Wachstum unterhalb der Inflationsrate einen Beleg für Maßlosigkeit und Gier der öffentlich-rechtlichen Anstalten zu machen.

Den Gegnern von ARD und ZDF in den Verlagsredaktionen, den Lobbyverbänden und der Politik ist das mit vereinten Kräften gelungen. Mit teils bloß reflexhafter, teils sicher bewusst einseitiger Berichterstattung haben sie die Bedarfsanmeldung in den vergangenen Tagen in grotesker Weise skandalisiert. Es ist ein Lehrstück darüber, wie man mit geschickter Propaganda den Verlauf einer Debatte fast vollständig bestimmen kann.

An ihrem Beginn steht ausnahmsweise nicht die „Bild“-Zeitung, sondern die „Zeit“. Sie hat exklusiv in Erfahrung gebracht, welchen Bedarf ARD und ZDF bei der KEF angemeldet hatte, und gibt die Kommentierung gleich in der Überschrift ihres Artikels vor: „Immer in die Vollen“.

„Maßlos“ sei die „Forderung“ von ARD und ZDF, suggeriert die Autorin Anna Marohn, noch bevor sie sie überhaupt genannt hat. Ihr Artikel beginnt so:

Wunschzettel, das lernen Kinder früh, sind ein diplomatischer Akt. Wer sich ein Pony wünscht, bekommt am Ende vielleicht einen Hasen oder einen Wellensittich. Wer es aber übertreibt und auch noch zehn Puppen oder zehn Roller haben will, der zieht sich den Unmut der Eltern zu. So viel zur Theorie der Wunschzettel.

Ironisch spricht sie später angesichts der Zahlen, die sich über vier Jahre auf insgesamt 1,47 Milliarden Euro zusätzlich belaufen, von der „neuen Bescheidenheit“, nennt sie eine „üppige Forderung“.

Weil die „Zeit“ ihre Informationen samt wilder Spekulationen über eine Erhöhung der Rundfunkgebühren vorab an die Agenturen gegeben hat, stehen ihre Zahlen und Interpretationen am Donnerstag auch in anderen Zeitungen. Die „Bild“-Zeitung lässt sie durch irreführende Vergleiche von Zahlen, die sich auf ein einzelnes Jahr und auf vier Jahre beziehen, noch maßloser erscheinen, und brüllt: „Gebühren-Irrsinn“. Die „Stuttgarter Nachrichten“ berichten unter der Überschrift: „Sender halten Hand auf“.

Jürgen Doetz, dessen Beruf es ist, im Auftrag der Privatsender gegen ARD und ZDF zu wettern, nutzt seine Chance. Die Agenturen zitieren ihn: „Diese Zahlen zeugen von einem völligen Realitätsverlust der gebührenfinanzierten Anstalten und im Besonderen beim ZDF.“ Es handle sich um einen „Affront gegenüber den Gebührenzahlern“ sowie „eine Ohrfeige für die Politiker“.

Angesichts der historisch niedrigen Forderungen von ARD und ZDF könnte man seine Lautstärke hysterisch und die propagandistische Absicht durchschaubar finden. Doch im durch „Zeit“ und „Bild“ vorgegebenen Kontext wirkt Doetz‘ Gebrüll genau umgekehrt: Sie lässt die Beteuerungen von ARD und ZDF unwahrscheinlich wirken, die beantragten Steigerungsraten seien historisch niedrig.

Es ist die Stunde von Leuten wie Wolfgang Börnsen, dem medienpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der alliteriert, die Anträge von ARD und ZDF seien „unangebracht, unpassend und unangemessen“. Und natürlich meldet sich auch sein FDP-Kollege Burkhardt Müller-Sönksen mit üblichen Rülpsern zu Wort. Von einer „dreisten Selbstbedienungsmentalität der Intendanten“ spricht er und von einem „Generalangriff auf das duale System“.

Der Tonfall ist ansteckend.

Das „Hamburger Abendblatt“ aus dem Verlag Axel Springer ist ganz außer sich und kommentiert unter der Überschrift „Paralleluniversum ARD und ZDF. Die Gebührenforderung der öffentlichen Sender ist absurd“:

Irgendwo da draußen in den Funkhäusern an der Rothenbaumchaussee, auf dem Mainzer Lerchenberg, am Kölner Appellhofplatz oder am Münchner Rundfunkplatz müssen Menschen leben, die mit einer seltenen Gabe gesegnet sind: Sie bekommen von dem, was um sie herum geschieht, nichts mit. Rein gar nichts.

Sie wissen nicht, dass wir in einer schweren Finanzkrise stecken, deren Ende nicht abzusehen ist. Ihnen ist unbekannt, dass deshalb überall kräftig gespart werden muss. Und davon, dass die Unternehmen ihrer Branche, die sich nicht durch Gebühren finanzieren, auch ganz ohne Finanzkrise schwere Zeiten durchmachen, weil sich viele Mediennutzer und Werbetreibende ins Internet verabschieden, haben sie auch noch nie gehört.

Auch der Rest des Kommentars von Kai-Hinrich Renner ist pure Empörung und verirrt sich am Ende noch in der Behauptung, die Forderungen von ARD und ZDF seien „absurd“, weil sie aufgrund der Haushaltsabgabe ab 2013 eh mehr Geld kriegten. Das ist schlicht falsch, denn selbst wenn es so wäre, müssten sie den Betrag, der ihren angemeldeten und genehmigten Bedarf übersteigt, später wieder abgeben bzw. verrechnen.

Der Medienredakteur des Berliner „Tagesspiegel“, Joachim Huber, schnappt nach Luft: „Das Letzte“ hat er seinen Kommentar überschrieben, in dem er keucht: „Demut sieht anders aus, das erfüllt den Tatbestand der Nötigung.“

Die „Berliner Zeitung“ berichtet unter der Überschrift „schiefergelegt“ und bemüht im Text das falsche Bild von der „Schieflage im Dualen Rundfunksystem“. Es beruht auf der von der Privatsenderlobby kultivierten Annahme, Private und Öffentlich-Rechtliche sollten ungefähr gleich stark sein. Dabei ist die Architektur des Dualen Systems eine ganz andere. Sie ist darauf ausgelegt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer stark sein soll, auch wenn die privaten — aus welchen Gründen auch immer — schwach sind. Dieses System kann man natürlich für falsch halten und verändern wollen. Aber dann muss man das auch sagen anstatt so zu tun, als gefährde ein Inflationsausgleich für ARD und ZDF die Logik des vorhandenen Systems.

Noch einmal: Natürlich hat jeder, zumal in einem Kommentar, das Recht, die Etatsteigerungswünsche von ARD und ZDF zu hoch zu finden. Die Debatte wird aber geführt auf der Grundlage der Behauptung, die Anmeldungen bedeuteten eine massive Zunahme der Etats, was falsch ist. Hilfreich ist dabei natürlich, die Steigerungen nicht in Prozenten, sondern den zweifellos eindrucksvollen absoluten Zahlen auszudrücken, und das auch noch über den Zeitraum von vier Jahren.

Man denke sich versuchsweise die Meldung, dass die „Bild“-Zeitung ihren Verkaufspreis von 60 auf 70 Cent erhöht hat, in dieser Form: Wir würden darüber diskutieren, dass „Bild“ ihre Vertriebsumsätze um 90 Millionen Euro jährlich, um 360 Millionen in vier Jahren steigert.

Überhaupt fällt auf, wie sehr etwas, das in ungefähr jedem anderen Lebensbereich, bei Preisen und Löhnen, selbstverständlich ist, nämlich Inflation bzw. ihr Ausgleich, in Bezug auf ARD und ZDF automatisch anrüchig und Ausweis von „Selbstbedienungsmentalität“ und „Realitätsverlust“ sein soll.

Wie dramatisch sind die Rundfunkgebühren tatsächlich gestiegen? Natürlich ist es etwas grundsätzlich anderes, ob ein privates Medium, das ich kaufen oder es lassen kann, seinen Preis erhöht oder eine Gebühr erhöht wird, die ich unabhängig vom eigenen Medienkonsum zahlen muss. Dennoch ist ein Vergleich der Preisentwicklung erhellend:

Der Preis einer „Bild“-Zeitung hat sich in den vergangenen elf Jahren verdoppelt; ein „Spiegel“ kostet 60 Prozent mehr; die Rundfunkgebühren stiegen um 27 Prozent. Ein Monat ARD, ZDF und Deutschlandradio mit all ihren Fernseh-, Radio- und Internetangeboten kostet heute nicht mehr als ein Monat „Bild“-Zeitung. Von der grundsätzlichen Frage nach der Legitimität der „Zwangsgebühren“ abgesehen: Das klingt im Vergleich nicht nach einem überteuerten Angebot.

Dass die Debatte darüber, welche Gebühren für ARD und ZDF angemessen sind, eine solche Schieflage hat und eine Steigerung unterhalb der Inflationsrate als Wucher dargestellt wird, liegt aber nicht nur an der Bereitschaft der Zeitungsredaktionen, sich ganz in den Dienst des billigen Populismus oder des Kampfes ihrer Verlage gegen ARD und ZDF zu stellen. Es liegt auch an der Unfähigkeit der öffentlich-rechtlichen Sender zu Transparenz und Kommunikation.

Sie erwischt die Diskussion zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt: mitten im Ratifizierungsprozess des neuen Rundfunkstaatsvertrages, der die neue Haushaltsabgabe einführen soll. Es ist vermutlich kein Wunder, dass die Zahlen ausgerechnet jetzt lanciert wurden. Dabei stehen sie seit Monaten fest. Warum haben ARD und ZDF sie nicht selbst öffentlich gemacht? Sie hätten nicht nur im gewissen Rahmen selbst bestimmen können, wann sie sie lancieren. Sie hätten auch eine viel größere Chance gehabt, die Dramaturgie der Diskussion zu beeinflussen und von Anfang an ihre eigenen Argumente in die Öffentlichkeit zu bringen.

Die ARD brauchte fast 24 Stunden, bis sie auf die Vorabmeldung der „Zeit“ mit einem Statement der Vorsitzenden Monika Piel reagierte. Zunächst hatte sie sich sogar geweigert, die Zahlen zu bestätigen, und somit auch bewusst darauf verzichtet, sie zu erklären und einzuordnen.

ARD und ZDF können die Hoffnung getrost fahren lassen, dass private Medien unvoreingenommen über sie und die Rundfunkgebühren berichten. Ihre einzige Chance ist es, die Gebührenzahler selbst zu überzeugen. Dazu müssten sie lernen, transparenter zu werden. Das wäre nicht nur strategisch geschickt. Es wäre auch Ausdruck einer Tatsache, die ARD und ZDF gern vergessen: dass sie nicht sich selbst dienen, sondern uns.