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Jan Böhmermanns Traum und Mühe: Ein Besuch beim „Neo Magazin“

Im Vorraum zum Studio hängt sie noch, die Anzeigetafel, auf der mit großen Klackerbuchstaben „ROCHE & BÖHMERMANN“ zu lesen war. Nun steht da nur noch: „BÖHMERMANN“. Auf einem alten Poster zur Sendung, an der Tür zum Besprechungszimmer, hat jemand das Gesicht von Charlotte Roche mit dem von Kermit überklebt. Haha: Frosch & Böhmermann.

Anscheinend war es doch größer, das Trauma, das die Moderatorin hinterließ, als sie sich Anfang des vergangenen Jahres sehr abrupt von der Talkshow verabschiedete. Aber etwas hat überlebt: die Zusammenarbeit von Jan Böhmermann mit der Bild- und Tonfabrik. Und das ist ein Glück. Gemeinsam produzieren sie wöchentlich das „Neo Magazin“, und die Filmhochschulstudenten von der Produktionsfirma geben mit ihrer Arbeit, mit präzisen und aufwändigen Inszenierungen, auch halbgaren und läppischen Ideen eine professionelle Brillanz.

Mittwochs am späten Nachmittag, wenn die Aufzeichnung einer neuen Folge beginnt, sieht es hinter den Kulissen aus wie bei einem Abschlussball. Lauter junge Leute, die plötzlich in Hemd, Krawatte und schwarzem Anzug dastehen: Kameraleute, Lichtarbeiter, Tonmänner, Praktikanten. Wer seine feinen Sachen nicht dabei und im Produktionsstress keine Zeit mehr hat, lässt sie sich von jemandem mitbringen. Denn wenn Böhmermann mit der Bild- und Tonfabrik eine Sendung aufzeichnet, gibt es einen Dresscode: „Abendgarderobe“.

Es ist ein dreiviertelernst gemeintes Symbol dafür, dass man hier gemeinsam etwas Besonderes zelebriert: die Herstellung von Fernsehen. Böhmermann hat die Mitarbeiter neulich gefragt, ob ihnen das lästig ist; ob sie sich von dem Konfirmanden-Ritual inzwischen lieber wieder verabschieden würden. Sie haben Nein gesagt. Sie wollen sich weiter jede Woche feinmachen fürs Fernsehenmachen.

So ernst nehmen sie es hier mit der Albernheit.

„Wir sind nicht nur eine Produktionsfirma“, sagt Böhmermann, „sondern auch eine Werbeagentur für das, was wir machen wollen.“ Noch nie habe er irgendwo gearbeitet, wo man sich gemeinsam so viel Mühe gebe. Und dieses Mühegeben, das ist, vielleicht mehr noch als irgendein besonderes Talent, was diese Show von vielen anderen deutschen TV-Produktionen unterscheidet.

„Neo Magazin“ im kleinen digitalen Kanal ZDFneo ist die vielleicht verschwenderischste Sendung im deutschen Fernsehen: die größte Mühe für das kleinste Publikum. In guten Wochen enthält sie schon in den Eröffnungsszenen mehr Ideen und Leidenschaft als anderswo ganze Programmstrecken. Opulent inszenierte Musical- oder Filmparodien.

Oder ein animiertes Riesenwimmelbild des Illustrators Christoph Hoppenbrock, das vor Anspielungen auf Inspirationsquellen für die böhmermannsche Fernsehunterhaltung aus allen Nähten platzt.

Im Vorspann reitet Böhmermann säbelschwingend auf einem Triceratops durch eine zerfallene Zeitungslandschaft, während Witold Lutosławskis anstrengende Melodie ertönt, die ältere deutsche Fernsehzuschauer als Erkennungsmelodie des „ZDF-Magazins“ mit Gerhard Löwenthal kennen. Konstantin Gropper von „Get Well Soon“ hat sie eigens für das „Neo Magazin“ remixt.

Es folgte eine halbe Stunde, die man als Late-Night-Show bezeichnen würde, wenn dieses Genre nicht in Deutschland als tot gelten würde. Was nicht sein müsste, wie Böhmermann findet: Man müsste sich nur mal richtig anstrengen und etwas einfallen lassen.

Das Studio liegt im angesagten Kölner Stadtteil Ehrenfeld inmitten einiger unansehnlicher Gewerbegrundstücke, im Hof gleich neben einer Teppichwäscherei, deren Logo so altmodisch ist, dass es in Berlin-Mitte als hippes Retro-Design durchginge. Aber das sind keine Hipster hier, es sind Nerds. Stolz führen sie die Technik vor, alles selbst konzipiert und zusammengeschraubt, die Regie, die Projektion der Hintergründe auf die wabenförmige Wand, woanders gibt es sowas angeblich gar nicht, schon gar nicht für so wenig Geld.

(Das animierte Logo in der Projektion hinter Böhmermann ist übrigens seit der zweiten Staffel kein schnödes dallidallihaftes Sechseck mehr, wie man glauben könnte, sondern ein Ikosaeder: ein aus zwanzig gleichseitigen Dreiecken bestehender platonischer Körper, der in der richtigen Draufsicht aussieht — wie ein Sechseck. Da haben Sie doch mal was, mit dem Sie beim nächsten Gucken mit Freunden angeben können.)

Vor kurzem war dies noch eine Lagerhalle für Sportgeräte. Es ist eigentlich zu schmal als Studio, aber es ist ihrs. Hier können sie bauen und experimentieren, anstatt Fertiges zu nutzen.

Philipp Käßbohrer ist einer der beiden Geschäftsführer der Bild- und Tonfabrik, 30 Jahre alt, aus Biberach an der Riß. „Keiner hier ist tätowiert“, sagt er, wie zum Beweis, dass man es hier mit grundsoliden, spießigen Leuten aus der Provinz zu tun hat. Böhmermann fügt hinzu: „Wir hatten mal eine tätowierte Mitarbeiterin, die hatte auch ein Piercing, aber die ist jetzt in Berlin.“

Er erzählt, wie wichtig Tugenden wie Disziplin und Verlässlichkeit seien, und stöhnt, wie wenig selbstverständlich die in der Branche seien. So einer ist er.

Im vergangenen Sommer sind sie zusammen nach New York gefahren, um sich anzugucken, wie in Amerika Fernsehen gemacht wird. Böhmermann war beeindruckt. „Das ist anders als hier, wo man bei Unterhaltungsproduktionen sagt: Ach komm, wir halten einfach die Kamera drauf, wird schon lustig werden.“

Eigentlich bräuchte er mehr gute Autoren, sagt Böhmermann. „Aber solche Leute haben dann eben Hauptprogramm-Preise.“ Es würde helfen, mehr als eine Sendung in der Woche zu machen, „damit du Leute binden und ihnen eine Perspektive bieten kannst.“ Und als Übung für ihn.


Foto: ZDF

Mit dem klassischen Stand-Up, den sie hier natürlich Sit-Up nennen, weil Böhmermann dabei in seinem Schreibtischsechseck sitzt, ist er regelmäßig — zu recht — unzufrieden. Das werde halt nur richtig gut, wenn man es wieder und wieder und wieder macht.

Jan Böhmermann hat einen Traum. Er will eine Late-Night-Show im ZDF moderieren, nach Mitternacht, nach Markus Lanz.

Er kann ganz unironisch ins Schwärmen geraten, wenn er müde nach einem Probentag beim Italiener sitzt und es ihn aus der Kurve trägt, während er von diesem „absoluten Wunschtraum“ erzählt …

„Nicht weil ich Schmidt beerben will, sondern weil das die beste aller Sendungen ist, die man machen kann und das Team am wenigsten unterfordern würde. Und das ist total crazy, seinen Platz zu finden, wenn man sowas glaubt zu können oder schon gut kann und bald noch besser zu können. Es wäre eine Show, in der du alles machen kannst und die du als Plattform für alles nutzen kannst: Gäste einladen, Musiker auftreten lassen. Es wäre eine tolle Startplattform für andere Inhalte, eine selbstgestaltete, das ZDF sich selbst gönnende Möglichkeit, Programm zu machen.“

Es würde für den Anfang schon helfen, das „Neo Magazin“ in der Nacht im ZDF-Hauptprogramm zu wiederholen. Allein das brächte deutlich mehr Zuschauer. „Ein größeres Publikum, das bedeutet: Mehr Reaktionen auf Aufrufe, mehr Beschwerden und Lob. Es werden ganz andere Sachen freigesetzt, und es macht mehr Spaß.“

Böhmermann hadert mit der fehlenden Perspektive. Er sehnt sich sehr nach einer größeren Bühne.

Er nutzt die Möglichkeiten, auf ZDFneo Fernsehen zu machen, das nicht auf Bedenken, Konventionen und die Erwartungen eines Massenpublikums Rücksicht nehmen muss. Gleichzeitig plagt ihn die Sorge, dass die Leute denken, dass er nur sowas könnte. Dass er nicht wüsste, dass die Sendung anders sein müsste, wenn sie in einem größeren Rahmen stattfände, und dass er das nicht auch könnte. Er sagt: „Wir machen nur Independent-Fernsehen, weil wir es müssen.“

Er ist ehrgeizig, und er misstraut manchen Verlockungen der Branche. Seine Spitzen gegen Joko und Klaas, „die Privatfernseh-Fuzzis“, „die beiden superlustigen Geldautomaten-Visagen“, mit denen er er freundschaftlich verfeindet ist und sich einen senderübergreifenden Mittelgroßkrieg liefert, haben neben dem schlichten Spaß am Spiel einen ernsten Kern: Böhmermann sieht diese ganzen lukrativen Werbeverträge kritisch. Er schwört stattdessen darauf, „den Lebensstandard niedrig zu halten — das entspannt total“. Zur Not werde er seinen Lebensunterhalt auch damit bestreiten können, auf einer Bühne in Bremen-Vegesack vor hundert Zuschauern zu stehen.

Müssen sie nicht langsam erwachsen werden, er und Olli Schulz, Joko und Klaas? „Glaube ich nicht“, sagt Böhmermann. „Wir müssen mehr Zuschauer haben. Und Vertrauen.“

Böhmermann macht sich Mut mit dem Gedanken, dass die Biologie auf ihrer Seite sei, „die Leute werden älter, und irgendwann sagt man halt: Gottschalk ist super, aber wollen wir nicht den Winterscheidt ausprobieren, der kann das doch auch. Wenn wir nicht grobe Fehler machen und weiter versuchen, konstant gute Sachen zu machen, muss sich das doch mal auszahlen.“

Am Abend des Deutschen Fernsehpreises, als die Produzenten Philipp Käßbohrer und Matthias Schulz für „Roche & Böhmermann“ ausgezeichnet wurden, aber nicht Roche und Böhmermann, hat er mir mal detailliert die verschiedenen Generationen der Möchtegern-Late-Night-Talker nach Harald Schmidt analysiert. (Leider war ich ein bisschen betrunken und habe mir keine Notizen gemacht, und obwohl Böhmermann nicht trinkt, kann er sich auch nicht mehr genau daran erinnern.) Jedenfalls gehöre er schon nicht mehr zur Generation der Niels Rufs, die Schmidt und seine ironische Uneigentlichkeit imitierten, sondern zur nächsten Generation, die von Schmidt geprägt wurde, aber eine eigene Haltung suchte: „Wenn wir selbst ins Fernsehen gehen, können wir entweder sagen, wir machen es genau so — und daran scheitern, weil diese Referenz unerreichbar ist. Oder wir nehmen es als Basis unserer Kunst und entwickeln was eigenes.“

Vielleicht sogar doch irgendwann in einer eigenen richtigen Late-Night-Show? „Das Altwerden in der eigenen Sendung“, sagt Böhmermann, „ist auf jeden Fall ein erstrebenswerter Zustand.“

(Am Freitag kommender Woche werden Böhmermann, Schulz und Käßbohrer für „Neo Magazin“ mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Dieser Text ist Bonus-Material zu einem Artikel, den ich für das „SZ-Magazin“ über Böhmermann geschrieben habe.)

Minus mal Minus ergibt EinsPlus: Das Digitalkanalelend von ARD und ZDF

Heute lernen wir, wie die ARD sich vorstellt, in Zukunft junge Zuschauer für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk begeistern zu können. Keine Sorge: Um Inhalte geht es dabei nicht.

Zur Einstimmung hilft eine Übung: Wir versuchen, die Digitalkanäle der ARD voneinander zu unterscheiden.

Lassen wir tagesschau24 mal weg, das ist zu leicht, da laufen den ganzen Tag Nachrichten und abends Wiederholungen aktueller Magazine, Talkshows und Dokumentationen.

Aber es gibt ja noch Einsfestival und EinsPlus.

Laut „Programmkonzept Digitale Fernsehprogramme der ARD“ ist Einsfestival ein „innovatives, kulturell orientiertes Angebot mit jüngerer Ausrichtung“. EinsPlus hingegen sei zu einem „öffentlich-rechtlichen Service-, Ratgeber- und Wissensangebot weiterentwickelt“ worden, „das schnell Akzeptanz bei den Fernsehzuschauern gefunden hat“.

Marktanteile I/2013
ZDFneo 0,8 Prozent
ZDFinfo 0,6 Prozent
ZDFkultur 0,2 Prozent
Einsfestival 0,3 Prozent
EinsPlus 0,1 Prozent
tagesschau24 0,1 Prozent
Zuschauer ab 3 Jahren. Quelle: ARD

EinsPlus brachte es im ersten Quartal 2013 auf einen Marktanteil von 0,1 Prozent. Das ist ungefähr das Maß an Zuschauer-„Akzeptanz“, das entsteht, wenn mehrere Leute beim Durchzappen versehentlich drei Sekunden bei einem Sender hängen bleiben.

Die Definitionen sind also offenbar nicht hilfreich. Die Namen schon gar nicht. Aber vielleicht hilft ein Blick ins Programm:

Auf EinsPlus läuft die „LateLine mit Jan Böhmermann“. Auf Einsfestival läuft der „1Live Talk“ mit Sabine Heinrich.

EinsPlus zeigt aktuelle Musikvideos in der Sendung „EinsPlus Charts“. Einsfestival zeigt aktuelle Musikvideos in der Sendung „Clipster“.

EinsPlus bringt „Es geht um mein Leben“ mit Pierre M. Krause. Einsfestival bringt die „SWR3 latenight“ mit Pierre M. Krause.

Gut, andererseits zeigt EinsPlus „Die allerbeste Sebastian Winkler Show“ am Dienstagabend und Einfestival am Donnerstagabend. Und der aktuelle „Tatort“ läuft auf Einsfestival am jeweiligen Sonntag nochmal um 21:45 und 23:45 Uhr und auf EinsPlus gar nicht.

Es hilft, das zu wissen, um zu verstehen, warum die Intendanten der ARD dem ZDF am Montag öffentlich vorgeschlagen haben, die jeweils drei Digitalkanäle der beiden zu fusionieren. Die ARD ist mit dem, was man euphemistisch eine Digital-„Strategie“ nennen könnte, umfassend gescheitert. Sie veranstaltet zwei Sender mit irreführenden Namen und unklarem Profil, die niemand auseinanderhalten kann und keiner guckt, sowie eine Nachrichtendauerschleife. Es gelingt ihr nicht, ein klares unterscheidbares Profil für die beiden Kanäle EinsPlus und Einsfestival zu entwickeln, weil das Konzept in Wahrheit darin besteht, dass das eine Programm vom SWR gemacht wird und das andere vom WDR.

Deshalb ist es für die ARD auch unmöglich, das zu tun, was naheliegend wäre: einen ihrer beiden Möchtegernjugendkanäle zu schließen. Denn dann müssten ja der WDR oder der SWR etwas aufgeben. Und wenn ARD-Anstalten so etwas könnten, gäbe es keine fünf wöchentlichen Talkshows und das ARD-Wirtschaftsmagazin „Plusminus“ würde nicht im Wechsel von fünf verschiedenen Moderatoren präsentiert.

Doch nun hat die ARD doch noch eine sinnvolle Verwendung für ihre vermurksten Digitalkanäle gefunden: Sie bietet an, sie zu opfern, und nutzt sie gleichzeitig als Pfand, um das ZDF in eine Senderehe zu zwingen.

Die ARD hat angesichts der dokumentierten Erfolglosigkeit ungefähr nichts zu verlieren, aber einiges zu gewinnen: Gemeinsam mit dem ZDF würde ein Neustart möglich, der nicht nur gesichtswahrend ist, sondern sogar imageträchtig: Es wirkt ungemein einsichtig und sparsam und politisch vorauseilend, mit dem Vorschlag, drei Sender einzusparen, nach vorne zu preschen. Gemeinsam könnten die Kanäle mehr Geld haben. Und auf eine bizarre Art ist es aus ARD-Sicht womöglich sogar tatsächlich einfacher, die Rivalitäten zwischen den eigenen Anstalten zu lösen, wenn man Gemeinschaftssender mit dem ZDF bildet.

Alles würde besser werden. Durch „intensivere Kooperationen“ wäre es möglich, die Digitalkanäle „weiter und besser zu profilieren“ — sagt der Senderverbund, dem es nicht einmal im Ansatz gelungen ist, zwei eigenen Kanälen ein eigenes Profil zu geben.

Wenn die sechs Digitalsender zu dreien zusammengelegt würden, biete das „die Chance zu einer weiteren Profilschärfung der schon bestehenden Gemeinschaftsprogramme Phoenix und 3sat“, träumt die ARD. Als ob es da bislang an „Chancen“ gemangelt hätte und nicht am Willen! Was die ARD und das ZDF bisher daran hindert, das Profil von Phoenix und 3sat zu schärfen, verrät die Pressemitteilung der ARD nicht.

Der Plan der ARD sieht vor, EinsPlus und ZDFkultur zu einem neuen Kanal für 14- bis 29-Jährige zu vereinen und Einsfestival und ZDFneo zu einem für 30- bis 49-Jährige. (Dass die ARD letztere als „jüngere Erwachsene“ bezeichnet, spricht Bände.)

Das öffentlich vorzuschlagen und das ZDF so unter Druck zu setzen, ist frech. Aber schon das Konzept auf der Grundlage einer solchen Altersaufteilung an sich ist Unsinn. Ist „Mad Men“ eine Sendung für 30- bis 49-Jährige? Wie groß ist die Übereinstimmung zwischen dem, was ein frisch Pubertierender und ein Familienvater mitten im Berufsleben sehen will? Angesichts der gründlich dokumentierten Schwierigkeit der Öffentlich-Rechtlichen, überhaupt Zuschauer unterhalb von 50 Jahren anzusprechen, wäre „ambitioniert“ ein schillernder Euphemismus für den Versuch, diese dann auch noch nach zwei Altersgruppen zu differenzieren.

Aber genau so scheint sich die ARD die zukünftige öffentlich-rechtliche Lebensbegleitung der Menschen vorzustellen. Erst gucken sie den gemeinsamen Kika, mit einsetzender Pubertät schalten sie zum gemeinsamen Jugendkanal um, mit 30 wechseln sie dann zum gemeinsamen jüngeren Älterenkanal.

Deshalb sei es auch keine Lösung, dass die ARD einfach einen ihrer Digitalkanäle abschalte und sich mit dem anderen auf ein junges Publikum konzentriert, sagte Lutz Marmor, der NDR-Intendant und amtierende ARD-Vorsitzende, heute Vormittag bei der Pressekonferenz nach der Frühjahrstagung der Intendanten: Wie soll das gehen? „Die ARD hat die ganz Jungen, und dann wechseln sie zu ZDFneo?“

Mit keinem Wort wurde bei der weit über einstündigen Pressekonferenz angesprochen, was jüngere Leute überhaupt sehen wollen, welche Formen der Ansprache richtig wären, welche Inhalte fehlen. „Die Zielgruppen fächern sich auf, deshalb brauchen wir Zusatzangebote für diese Zielgruppen“, sagte Marmor — als ließen sich diese Zielgruppen formal-technisch aufgrund ihres Alters unterscheiden.

Das ZDF hatte mit seinen Digitalkanälen ZDFkultur und ZDFneo ein besseres Konzept: ZDFkultur ist elitär, ZDFneo populär. Auf ZDFkultur liefen Konzerte, auf ZDFneo Serien wie „Mad Men“ und „30 Rock“. Gleich drei Sendungen von ZDFkultur sind in diesem Jahr für einen Grimme-Preis nominiert worden. Kein Wunder.

Dass das ZDF mit seinen Kanälen ungleich erfolgreicher ist als die ARD, liegt aber auch daran, dass es besonders schamlos ist, was das besinnungslose Wiederholen von zuschauerträchtigen Programmen angeht. Auf ZDFkultur läuft pro Woche 12-mal „Unser Charly“, 13-mal „Ein Heim für Tiere“, 15-mal „Tierarzt Dr. Engel“ und 39-mal die „Hitparade“. ZDFneo macht seine Quoten nicht zuletzt mit Wiederholungen von irgendeiner „Soko“, „Inspector Barnaby“, „Raumschiff Enterprise“ und der schon von RTL endlos wiederholten „Nanny“. Und ZDFinfo punktet mit Hitler.

Eigentlich hat der feine „Elektrische Reporter“ seine Heimat auf ZDFinfo. Sein origineller regulärer Sendetermin scheint inzwischen der Sonntagvormittag um 11:30 Uhr zu sein. ZDFinfo wiederholt die Sendung aber auch montags gegen 4:40 Uhr, mittwochs gegen 4:35 Uhr, donnerstags gegen 0:20 Uhr, samstags gegen 4:30 Uhr und sonntags gegen 4:45 Uhr. Es scheint eine interne Vorschrift zu geben, die Sendung nicht zu einer Zeit ins Programm zu nehmen, in der mehr als zwei Dutzend Menschen sie zufällig entdecken und schätzen lernen könnten.*

Was aus dem einstigen Anspruch (oder wenigstens: Versprechen) von ZDFneo („Wenn ich mich nur berieseln lassen will, geh ich unter die Dusche“) geworden ist, hat Peer Schader neulich anschaulich dokumentiert. Zwischen den ganzen Wiederholungen und dem „Hollywood-Freitag“ fand er in einer Woche exakt 45 Minuten neues eigenproduziertes Programm. Sein Fazit über den Kanal:

Bloß ein auf Quotenoptimierung getrimmter Programmplanersender, der sein Publikum ausschließlich als Zahl hinter der Kommastelle bei der Marktanteilsauswertung kennt.

Und ZDFkultur ist praktisch schon Geschichte: Der Sender, der mit seiner Spezialisierung insbesondere auf Musik immerhin eine klare Identität hatte, eine höchst öffentlich-rechtliche noch dazu, soll „so rasch wie möglich“ auf ein „Wiederholungs- und Schleifenmodell umgestellt werden“, wobei eh längst schon nicht mehr klar ist, woran man erkennen können sollte, wann damit begonnen wird.

Ausgerechnet diesen — von Intendant Thomas Bellut ungeliebten — Sender glaubt sich das ZDF nicht mehr leisten zu können. Und hat dadurch, dass es ihn quasi schon als eingestellt betrachtet, den Trumpf in der Hand, dass der Etat, den es nach den Träumen der ARD mit in eine Jugendkanalehe einbringen soll, gar nicht mehr vorhanden ist.

„Wir haben ein Manko“, sagte Marmor. „Wir haben kein klar definiertes Angebot für die ganz jungen, die 14- bis 29-Jährigen.“
Und ich dachte, dass EinsPlus genau so ein Angebot sein wollte und sich bloß mangels Ausstattung, Kreativität und Kompetenz dabei nicht gut anstelle.

Was hätte das ZDF davon, mit der ARD zu kooperieren? Marmor sagte, man könne sich heute schon vorstellen, wie attraktiv ein Sender wäre, der die Stärken, die ZDFneo und Einsfestival haben, kombiniert. Worin die „Stärken“ von Einsfestival aktuell bestehen, sagte er nicht. Andererseits deutete er an, dass sich, wenn man Einsfestival und ZDFneo zusammenlegte, vielleicht Geld sparen könnte, das man dann wiederum in den Jugendkanal stecken könnte.

Wie sich tagesschau24 und ZDFinfo sinnvoll zusammenlegen ließen, weiß die ARD auch noch nicht. Aber das klingt natürlich erstmal gut, und der Privatsenderverband VPRT klatschte prompt Beifall.

Die Diskussion um die Zahl der Digitalkanäle ist ohnehin irreführend. Es kommt nicht darauf an, ob es sechs sind, fünf oder drei, sondern darauf, wie die Sender sie nutzen und ob sie einen klaren Mehrwert darstellen, und sei es auch nur für eine kleine Gruppe. ZDFkultur hat das im Ansatz gezeigt. Aber ZDFkultur wird gerade abgewickelt.

*) Nachtrag, 16:30 Uhr. ZDFinfo weist mich darauf hin, dass der „Elektrische Reporter“ um 0:20 Uhr nicht versteckt wird, sondern dort erwiesenermaßen mehr Zuschauer finde, auch in absoluten Zahlen, als wenn er nicht so spät in der Nacht liefe.

Vom Umgang mit Enten

Gestern mittag veröffentlichte das „Handelsblatt“ eine Exklusivmeldung. Hans-Peter Siebenhaar, der langjährige Medienredakteur der Wirtschaftszeitung, berichtete:

Susanne Müller: Neue Chefin für den ZDF-Spartensender Neo

(…) Zum ersten Mal in der Geschichte des ZDF steht eine Frau an der Spitze eines Senders. Susanne Müller übernimmt die Geschäftsführung von ZDF Neo, dem Zweitkanal der Mainzer Sendeanstalt. Das bestätigten ZDF-Manager dem Handelsblatt auf der Film- und Fernsehmesse Mip-TV in Cannes. Damit schließt der neue ZDF-Intendant Thomas Bellut eine Lücke in der Führungsspitze. Er hatte vor kurzem den bisherigen ZDF Neo-Chef Norbert Himmler zum ZDF-Programmdirektor berufen.

Der Meldungskern wurde mit dem üblichen Phrasenstyropor ausgepolstert (ausgewiesene Programmexpertin … ZDF-Eigengewächs … exzellent verdrahtet … bestens vertraut).

Zwei Stunden später gab das ZDF eine Pressemitteilung heraus:

Dr. Simone Emmelius leitet ZDFneo (…)

Mainz (ots) – Dr. Simone Emmelius (53) leitet künftig den Digitalkanal ZDFneo und folgt damit Dr. Norbert Himmler, der am 1. April 2012 sein Amt als Programmdirektor des ZDF angetreten hat. Emmelius leitet seit 2009 die Redaktion ZDFneo und war in dieser Funktion bereits maßgeblich an Aufbau, Ausrichtung und Programmgestaltung von ZDFneo beteiligt.

Blöd gelaufen.

Der „Handelsblatt“-Chefredakteur Gabor Steingart will dringend, dass seine Redakteure exklusive Nachrichten produzieren. Er hat vor eineinhalb Jahren eine Art Prämiensystem eingeführt, das dem Mitarbeiter, dessen Meldungen im Jahr am häufigsten von Nachrichtenagenturen zitiert werden, 3000 Euro Bonus verspricht.

Die Möglichkeit, dass Fehler produziert werden, ist dabei offenbar nicht vorgesehen.

Nachdem sich die Susanne-Müller-Personalie als Ente entpuppt hat, wurde der Original-Artikel ohne Erklärung gelöscht. Die korrekte Meldung, sicherheitshalber übernommen von der Nachrichtenagentur dpa, enthält keinen Hinweis auf die widersprüchliche frühere Meldung. Das „Handelsblatt“ setzt offenbar auf Leser, die die falsche Meldung übersehen oder schon wieder vergessen haben oder denen egal ist, ob sie stimmt oder nicht.

Die stolze falsche Exklusivmeldung steht jetzt noch vergessen im Online-Auftritt des Schwesterblattes „Wirtschaftswoche“ herum, das Meldungen des „Handelsblattes“ vermutlich als Teil einer Qualitätsoffensive aufträgt.

Nach einer aktuellen Meinungsumfrage haben nur 58 Prozent der Deutschen Vertrauen in das „Handelsblatt“. Mein Vertrauen in solche Umfragen ist gering, aber diesen Wert könnte ich womöglich erklären.