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Zeitungsverleger instrumentalisieren „Charlie Hebdo“-Anschlag für Kampf gegen Pegida

Diese Karikatur wird morgen als Teil einer Aktion des Zeitungsverlegerverbandes in vielen Zeitungen erscheinen:


Karikatur: Klaus Stuttmann; Quelle: BDZV

Ich halte sie für infam.

Der Vorwurf, der darin steckt, ist perfide und falsch. Er ist perfide, weil er Menschen, die friedlich demonstrieren, mit einem Verbrechen in Verbindung bringt, das sie nicht befürworten, nicht gutheißen und das nicht in ihrem Namen begangen worden ist. Und er ist falsch, weil die Zeitschrift „Charlie Hebdo“ aus Sicht der Pegida-Leute genau das Gegenteil dessen ist, was sie als „Lügenpresse“ beschimpfen.

Vielleicht sollte ich vorwegschicken: Ich habe keinerlei Sympathien für Pegida und die Ressentiments ihrer Anhänger. Ich halte, bei aller Kritik, die ich an Medien habe, die pauschale Verurteilung für falsch und den Begriff „Lügenpresse“ für inakzeptabel. (Und den Vorwurf von dieser Seite schon deshalb für grotesk, weil Blätter wie die „Bild“ den Pegida-Leuten in den vergangenen Jahren zuverlässig Treibstoff für ihre Paranoia geliefert haben.)

Aber.

Es ist idiotisch, so zu tun, als müssten sich die Pegida-Leute, die sich gerade über die Morde an den Karikaturisten von „Charlie Hebdo“ empören, dafür schrecklich verbiegen, weil sie doch eigentlich auch gegen die freie Presse seien, wie die islamistischen Attentäter. Denn aus Pegida-Sicht haben die „Charlie Hebdo“-Mitarbeiter dadurch, dass sie sich trauten, den Islam zu kritisieren — im grausamsten Sinne des Wortes: ohne Rücksicht auf Verluste — , genau das getan, was sie in den deutschen Medien vermissen und was einen erheblichen Teil des „Lügenpresse“-Vorwurfs ausmacht.

In dieser Sicht ist „Charlie Hebdo“ das Gegenteil von „Lügenpresse“; seine Mitarbeiter zahlten für ihren Mut, anders als die „Lügenpresse“ die Wahrheit zu sagen, mit dem Leben. Was nicht nur die Wut auf die Täter (und die Religion, auf die sie sich berufen) steigert, sondern auch auf die „Lügenpresse“.

Das ist nicht meine Sicht. Ich mache mir diese Argumentation auch nicht zu eigen. Aber sie hat eine innere Logik.

Äußerlich krankt die Logik natürlich daran, dass man „Charlie Hebdo“ dafür als ein islamkritisches Blatt wahrnehmen muss und nicht als ein Blatt, das sich an allen Religionen abarbeitete, an den Fanatikern, an den Mächtigen, an den Idioten — und nicht zuletzt an den Islamophoben und den Ausländerfeinden wie Marine Le Pen. „Charlie Hebdo“ ist ein Blatt, das den Pegida-Leuten nicht gefallen dürfte. Aber dadurch, dass es offenkundig einem islamistischen Attentat zum Opfer fiel, ist es leicht, sein Wesen fälschlicherweise auf die Verspottung des Islam zu reduzieren.

Es ist schon richtig: Man muss „Charlie Hebdo“ vor der nachträglichen Vereinnahmung durch Islamophobiker bewahren. Und man muss verhindern, dass die Morde der Terroristen in Paris von den Pegida-Leuten für ihre Agitation gegen Ausländer und Moslems instrumentalisiert werden.

Aber die Parallele, die die Karikatur zwischen den Worten der Pegida-Anhänger und den Taten des islamistischen Terroristen zieht, ist falsch. Und ihre Wirkung ist verheerend. Wiederum aus Sicht dieser Leute formuliert: Die deutsche „Lügenpresse“ ist nicht nur zu feige, die Wahrheit zu sagen. Sie erklärt sich nach den Attentaten sogar für solidarisch, wenn nicht identisch mit denen, die dafür nicht zu feige waren. Und erklärt stattdessen ihre Kritiker zu Komplizen der Täter.

Die Presse bestätigt aus Pegida-Sicht so, auf kaum zu übertreffende Weise, den Vorwurf von der „Lügenpresse“.

Und es kommt noch besser. Einer der Vorwürfe, die gegen die Medien erhoben werden, ist der der „Gleichschaltung“ — oder weniger problematisch formuliert: dass es in ihnen an Meinungsvielfalt mangele. Und die Zeitungen bringen nun, als Antwort darauf, gemeinsam in großer Zahl dieselbe infame Karikatur, für alle bereitgestellt vom Zeitungsverlegerverband BDZV? Und das ist klug?

Die Gemeinschaftsaktion besteht nicht nur aus der Zeichnung. Dazu gehört ein Text von Helmut Heinen, dem BDZV-Präsidenten. Er kommt daher wie einer von vielen Appellen, die man in diesen Tagen hören kann, die Meinungs- und Pressefreiheit zu verteidigen. Aber er nutzt die Tragödie von Paris in, wie ich finde, schamloser Weise, Eigen-PR für Zeitungen zu machen. Vermutlich ist es nur einem glücklichen Zufall zu verdanken, dass er die Morde nicht dafür nutzt, noch einmal an die Bedeutung des Leistungsschutzrechtes zu erinnern oder die Unverschämtheit zu betonen, dass der Mindestlohn auch für so etwas immanent Kostbares und Edles gelten soll wie das Austragen von Zeitungen.

Es ist ein Dokument der Selbstgerechtigkeit. Heinen klopft sich und den seinen auf die Schulter:

In herausragender Solidarität berichten freie Medien weltweit seit Tagen über dieses unmenschliche Verbrechen (…)

Herausragende Solidarität, was soll das sein? Inwiefern ist das eine journalistische Qualität? Und: Solidarität mit wem oder was? Vielleicht am Ende: mit sich selbst?

Die Medien und gerade auch die Zeitungen tragen durch Kommentare und Hintergrundberichte zur Reflexion über unsere zivilen Standards bei.

Gerade auch die Zeitungen!

Sie sind, mit allen Fehlern und Schwächen, mit ihren Stärken und Vorzügen, eine Errungenschaft unserer Demokratie, die wir stets aufs Neue verteidigen müssen. Das zeigt nicht nur der Anschlag auf „Charlie Hebdo“. Das zeigen auch Nazi-Schmierereien an den Wänden deutscher Verlagshäuser oder das dumpfe Verunglimpfen der „Lügenpresse“ durch die Pegida-Anhänger.

Ja, auch ich sehe in dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ einen Anschlag auf die Presse- und Meinungsfreiheit insgesamt. Aber ich hätte davor zurückgeschreckt, von dem blutigen Gemetzel in Paris unmittelbar einen Bogen zu schlagen zu „Schmierereien“ und „Verunglimpfungen“, so lästig sie auch sein mögen. Ich glaube auch, dass es richtig ist, den Rufen von der „Lügenpresse“ etwas entgegenzusetzen, aber sie sind, so unerträglich sie sein mögen und so eindeutig ihr politischer Hintergrund ist, nicht dasselbe wie ein Mordanschlag. Einen anderen Eindruck zu erwecken, ist töricht und kontraproduktiv.

Es klingt, als würde Heinen das in diesen Tagen inflationär benutzte Bekenntnis „Je Suis Charlie“ nicht als Zeichen der Solidarität zu verstehen, sondern als wehleidiges: Ja, uns wird auch Unrecht getan, durch diese bösen Rufe auf Demonstrationen und das alles.

Die Zeitungsverleger instrumentalisieren das Attentat von Paris für ihren Kampf gegen Pegida. Ich möchte mich davon distanzieren.

[Offenlegung: Ich schreibe regelmäßig für die FAZ.]

Nachtrag, 23:45 Uhr. Der „Zollern-Alb-Kurier“ hat seinen Artikel mit der Karikatur gelöscht.

Korrektur, 10. Januar. Die „Welt“ hat sich nicht an der Aktion beteiligt, sondern Heinens Kommentar nur in einem kurzen Auszug dokumentiert.

Übrigens hat der BDZV noch eine Alternativ-Karikatur angeboten. Einige Blätter, wie die „Rhein-Zeitung“, haben diese statt der oben gezeigten abgedruckt.

Nachtrag, 11. Januar. Sehr lesenswert zum Thema:

Nachtrag, 12. Januar. Der Deutsche Journalisten-Verband DJV distanziert sich von der BDZV-Kampagne.