Überraschung!

Um 13 Uhr lief über die Ticker die Nachricht, auf die alle gewartet hatten. Reuters meldete:

Steinmeier präsentiert Wahlkampfteam ohne Überraschungen

Die Überraschung war perfekt: Der SPD-Kanzlerkandidat hatte sich tatsächlich, wie erwartet, gegen Überraschungen entschieden. Seit Tagen hatten die Medien atemlos spekuliert, ob Steinmeiers Wahlkampfteam wohl Überraschungen enthalten könnte, denn das ist ja, wie alle wissen, das, wonach sich die Menschen in diesen Krisenzeiten wirklich sehnen. Begierig hatten sich die Journalisten auf überraschend vorab bekannt gewordene Details über geplante Überraschungen gestürzt und überrascht festgestellt, dass die Bekanntgabe geplanter Überraschungen Überraschungen ihren Überraschungscharakter nimmt.

Heute Mittag aber beendete Frank-Walter Steinmeier alle Spekulationen, und endlich konnten die Politprofis in den Medien sich der entscheidenden politischen Frage zuwenden, die mit der Vorstellung eines Wahlkampfteams verbunden ist, nämlich: ob es eine Überraschung war.

Zeichnen wir also den politischen Diskurs der vergangenen Tage noch einmal nach:

  • „Und was macht die Parteispitze? Sie stellt in dieser Woche ein Kandidatenteam vor. Darin finden sich die allseits bekannten Minister der Bundesregierung und – der Versuch einer Überraschung – ein paar bundesweit bislang weniger bekannte Sozialdemokratinnen.“
    — Süddeutsche Zeitung, 27. Juli
  • „Auftrieb erwarten die Wahlkampfberater um Steinmeier und SPD-Chef Franz Müntefering nun von der Präsentation eines Spitzenteams am Donnerstag. (…) Als sicher gilt, dass die bewährten SPD-Minister aus der großen Koalition allesamt mit dabei sein werden — auch die Gesundheitsministerin. Zugleich soll es aber neue Personen geben, Bekannte und auch Überraschungen.“
    — dpa, 28. Juli.
  • „Doch mit größeren Coups, die die Republik elektrisieren könnten, wird in Berlin nicht gerechnet. Als Überraschung gilt allenfalls das Engagement der bis dato weithin unbekannten 35-jährigen Manuela Schwesig, über das der „Spiegel“ vorab Kenntnis erlangte.“
    — Hamburger Abendblatt, 28. Juli.
  • „Die größte Überraschung dürfte Manuela Schwesig, Sozialministerin aus Mecklenburg-Vorpommern, sein.“
    — Rheinische Post, 28. Juli
  • „Es wäre eine riesengroße Überraschung, wenn SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag mit seinem Kompetenzteam auch eine prominente Persönlichkeiten aus der Welt jenseits der Politik als Wahlhelfer vorstellen würde.“
    — Tagesspiegel, 29. Juli.

  • „Frank-Walter Steinmeier zog gestern die logische Konsequenz: Die Gesundheitsministerin werde vorerst nicht zum Kompetenzteam der SPD gehören. Doch ob das als Befreiungsschlag reicht? Denn das Kompetenzteam, das der Außenminister heute offiziell vorstellen will, um neuen Schwung für den Wahlkampf zu entfachen, enthält wenig Überraschungen.“
    — Handelsblatt, 30. Juli.
  • „Größere Überraschungen erwartet dabei niemand mehr: Mit Ausnahme der 35-jährigen Manuela Schwesig setzen die SPD und ihr Kandidat offenbar auf bekannte Kräfte.“
    — Mannheimer Morgen, 30. Juli.
  • „Einzige positive Überraschung in der Mannschaft ist die Schweriner Sozialministerin Manuela Schwesig.“
    — Frankfurter Rundschau, 30. Juli.
  • „Bei der Besetzung seines Kompetenzteams für den Wahlkampf hält SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier einige Überraschungen bereit.“
    — B.Z., 30. Juli.
  • „Eine Überraschung hat Steinmeier im Bereich Kulturpolitik zur Hand: Auch Christina Rau, Witwe des ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau, soll im SPD-Team sein.“
    — Hamburger Abendblatt, 30. Juli.
  • „Steinmeiers Schattenkabinett: Bekannte Gesichter, wenig Überraschungen.“
    — Spiegel Online, 30. Juli.
  • „Es ist ein grundsolides Team geworden. Ohne Ecken und Kanten, ausgewogen, was die Geschlechter angeht, die Parteiflügel und die wichtigen Landesverbände. Aber eben auch ein Team, das nicht gerade regelmäßig in den Glamour-Gazetten auftauchen dürfte und keinerlei wirkliche Überraschung bietet.“
    — Spiegel Online, 30. Juli.
  • „Ansonsten bot die bunte Truppe, die sich am Seeufer gutgelaunt zum Foto-Termin präsentierte, wenig Überraschendes. Dass Deutschlands jüngste Ministerin, Mecklenburg-Vorpommerns Sozial-Ressortchefin Manuela Schwesig (35) zumindest optisch der Star sein würde, war bereits am vergangenen Freitag durchgesickert.“
    — Bild.de, 30. Juli.
  • „Eine Überraschung ist sicher auch Nominierung von Harald Christ.“
    — Zeit Online, 30. Juli.
  • „Namhafte Überraschungen blieben aus. Steinmeier präsentierte in seinem Team auch einen Multimillionär, den Jungunternehmer und Vermögensverwalter Harald Christ.“
    — Reuters, 30. Juli, 15:55 Uhr.
  • „Der selbstständige Finanzinvestor und ehemalige Banker Harald Christ ist die größte Überraschung im SPD-Kompetenzteam, das Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier auf der Potsdamer Halbinsel Hermannswerder am Donnerstag vorstellt.“
    — Stuttgarter Nachrichten, 30. Juli.

  • „Große Überraschungen blieben aus.“
    — dpa, 30. Juli, 16:02 Uhr.
  • „Der ganz große Überraschungscoup blieb bei der Präsentation des SPD-Wahlkampfteams aus.“
    — dpa, 30. Juli, 16:31 Uhr.
  • „Der Kanzlerkandidat überrascht mit seinem Team durch unbekannte Namen. Prominente Überraschungen gibt es nicht. Vor allem zwei Gesichter sind es, die niemand auf der Liste hatte und Neugier wecken: Unternehmer Harald Christ, der sich um Mittelstandspolitik kümmern soll, und Landwirt Udo Folgart, dessen Kompetenz die Agrarpolitik ist.“
    — n-tv.de, 30. Juli.

  • „Acht Wochen vor der Bundestagswahl hat SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier sein ‚Schattenkabinett‘ vorgestellt. Viele Frauen und ein Multimillionär sind dabei – aber keine Überraschungen.“
    — Deutsche Welle, 30. Juli.
  • „Doch größere Coups, die die Republik elektrisieren könnten, gab es nicht. Als Überraschung gilt nur das Engagement der weithin unbekannten Manuela Schwesig.“
    — Westfälische Rundschau, 30. Juli.
  • „Viele Namen dieses Wahlkampfteams kennt man. Andere muss man sich nicht merken. Große Überraschungen hat es nicht gegeben.“
    — Westfalen-Blatt, 31. Juli.
  • „Steinmeier bläst zum Angriff – mit einem Kompetenzteam, das alles andere als eine Überraschung ist – sieht man mal von dem Multimillionär aus dem Arbeitermilieu ab.“
    — Express, 31. Juli.

Was bleibt also als Fazit über dieses Schattenkabinett? Abgesehen von den Überraschungen war es nicht überraschend. Und natürlich:

Steinmeier beruft Karin Evers-Meyer. Bundestagsabgeordnete: Das hat mich völlig überrascht.

29 Replies to “Überraschung!”

  1. Die wirklich große Überraschung ist doch – publizistisch unerkannt -, dass Steinmeier selbst seinem Team angehören wird – obwohl mit ihm kein Blumentopf zu gewinnen ist. Aber das überrascht wohl nur Leute, die nicht in Kadern denken.

  2. Niemand war überrascht .. außer den Mitgliedern des Kompetenzteams (zumindest jene, die nicht schon auf eine Bundesministerlaufbahn in den letzten Jahren zurückblicken können). Immerhin.

    PS Auch wenn ich der SPD gewiss nicht nahe stehe, finde ich den derzeitigen Zustand der Partei doch echt traurig.

  3. Ich hatte ja fest mit Sarah Palin gerechnet. Das wäre mal eine Überraschung gewesen, und wir hätten endlich gewusst, warum sie wirklich zurückgetreten ist. Aber da war Steinmeier wohl nicht Maverick genug.

  4. Schön, dass mal jemand einen dieser unsäglichen, unhinterfragten Topoi politischer Berichterstattung auf’s Korn nimmt.

  5. Die Erwartungshaltung der Journalisten wäre wahrscheinlich nicht einmal erfüllt worden, wäre Steinmeier in einem alten Käfer vorgefahren, aus dem dann zu Zirkusmusik 19 als Clowns verkleidete Politiker, darunter Barak Obama, herausgepurzelt kämen.

    Was soll so etwas? Gilt Nachrichtengewichtung nicht auch, hm, innerhalb einer Nachricht?

  6. Also der erste Abschnitt hatte mich echt total verwirrt^^
    Aber um zum Thema zukommen, es überrascht mich nicht wirklich das Ergebnis. Wobei es ja so oder so egal ist denn ändern tut sich bei dennen ja eh nichts mehr, entweder wir handeln oder niemand.

  7. Völlig überraschend war WDR5 heute morgen. Die haben ausgerechnet Phillipp Mißfelder zum SPD-Kompetenzteam interviewt, der sich – wer hätte das vorhersehen können? – prompt in der leidigen Debatte um Ulla Schmidt suhlte.

    Erst beschwert er sich, dass das Thema „Gesundheit“ im „Mehr Schatten als Kabinett“ nicht vertreten sei, dann verkündet er besorgt, dass die Debatte eine unheimliche Dynamik entwickelt habe. Er selber könne aber nicht einschätzen, ob sich Schmidt juristisch korrekt verhalten habe. Ein Interview voller Überraschungen…

    http://notes.computernotizen.de/2009/07/31/misfelder-am-morgen/

  8. Das hätte ich mir ja auch nicht träumen lassen, dass mein lokales Käseblatt einmal hier auftaucht.

    Ich finde es übrigens sehr überraschend, dass Karin Evers-Meyer so überrascht davon ist im Kompetenzteam zu sein. Sie ist schließlich für den selben Job vorgesehen, den sie schon die letzten Jahre gemacht hat: Behindertenbeauftragte der Bundesregierung. Hat sie ihren Job also so schlecht gemacht, dass sie selber davon überrascht war als man ihr gesagt hat, dass sie ihn ruhig noch weiter machen soll?

  9. Manuelles Trackback:

    Bei einem Blick durch das politische Kleinbloggersdorf stechen heute die Verrisse des SPD-Kompetenzteams in Auge. Stefan Niggemeyer hat gestern schon den Nachrichtenticker der traditionellen Medien abgearbeitet. Dort beschränkt man sich im Wesentlichen auf „Keine Überraschung außer Millionär“. Oder – das wäre zu ergänzen – man lobhundelt Manuela Schwesig. Vermutlich, weil es männlichen Journalisten nicht ganz zu Unrecht sehr viel Freude bereitet, ihr Foto abzudrucken…

    http://www.kuechenkabinett.org/2009/07/keine-gnade-fur-die-spd.html

  10. Die überall mit großem medialen Tamtam durch sämtliche Dörfer getriebene Sau ist tot, sie wird auf jeden Fall bereits künstlich beatmet und zeigt keine Vitalfunktionen. Eine zukünftige Regierung mit SPD-Beteiligung hat etwa so gute Chancen wie ein Schneeball in der Hölle, der 27. September wird es zeigen. Schade, aber wir dürfen uns wohl schon heute auf ein Vierjahresdoppelpack Angie&Guido einstellen. Oder unsere individuellen Auswanderungspläne wieder aus der Schublade holen.

  11. Da sieht man einmal gehäuft und wunderbar exemplarisch, was an selbstreferentiellem, undurchdachtem Blödsinn verzapft wird, der dem Leser mit einiger Sicherheit am Dings vorbei geht. Im Prinzip geht das immer so:

    1. Eine Sau wird durchs Dorf getrieben, etwa indem man über potenzielle Überraschungen bei der Besetzung eines Schattenkabinetts spekuliert.

    2. Die Spekulation wird in Recherchen erhärtet: Alle möglichen Überraschungen werden somit vorab bekannt und ausführlich kommentiert, von Bloggern werden die Kommentare kommentiert, von weiteren Bloggern die Kommentarkommentare kommentiert usw.

    3. Am Tag der Bekanntgabe spaziert das bereits von allen Seiten beleuchtete Schweinchen wie erwartet freiwillig durchs Dorf. Journalisten (alle): „Keine Überraschungen“ – Leser: (im Zweifel ohne Kenntnis des Hypes unter 1. und 2.) versteht nix oder fast nix, außerdem schrecken ihn die lustlose Berichterstattung und die enttäuschte Erwartungshaltung des Berichterstatters ab, da er sie mangels Bezügen und wegen ihrer auf 1. und 2. bezogenen Betrachtungsperspektive kaum verstehen kann.

    Wir lernen: Auch auf die Erzähl-Dramaturgie kommt es an. Die Feststellung „keine Überraschungen“ passt tatsächlich allein aus der Perspektive der enthüllenden Medien, sonst ist sie eine Nicht-Nachricht.

    Vielen Dank für diesen geradezu schulbeispielmäßigen Beitrag.

  12. Hm, ich glaube es gibt so bestimmte Journalisten-Reflexe. Die bereichern einen Artikel einfach ungemein: Überraschung, Krise, Affäre,…
    Passend auch immer so schön…

    P.S.: The frist abstract made my day.

  13. Und noch eine Nicht-Überraschung: Mehr als eine Zeitung lesen lohnt sich nicht.

  14. @18: Stimmt nicht. Es gab auch zahlreiche genauer beobachtete Berichte, die nicht erzählt waren aus der Binnensicht frustrierter Journalisten, die sich schon selbst jedes Geheimnis verraten hatten.

    Ganz so überraschungslos ist die Welt dann doch nicht.

  15. Kompentenzteam ? Wen will die SPD da veräppeln ? Bei den Umfragewerten wird das kein Wahlkampf, das wird eine Lachnummer.

    http://www.forschungsgruppewahlen.de/Aktuelles/Politbarometer/

    Die einzige Überraschung, die mir dazu einfällt wäre, wenn die SPD an die Regierung kommt.

    Was die Journaille betrifft, ich hätte nichts dagegen, wenn die sich mal komplett aus dem Wahlkampf heraushalten würde. Wahlen sind nun wirklich mal ein Ereignis, wo sinnvolle Berichterstattung erst am Wahlabend, oder danach möglich ist. Alles andere ist doch Kaffeesatzleserei oder PR-Kacke der Wahlkampfstrategen.
    Was die Parteien wollen, können sie doch auch selbst kommunizieren, oder ? ^^

  16. Überraschenderweise wird in Stein gemeiert, was da für ein Kondolenzteam den blendenden Erfolgsaussichten entgegen wankt!
    Zum Gotterbarmen! Sieht aus, wie die Verwaltung des DRK-Kreisverbands Wanne-Ost. Obama, das sind immer die Anderen!

    Angie, hast Du es nötig, jetzt voll aufs Ganze zu gehen?

  17. Es liegt sicher nicht an einer prinzipiellen Sympathie für die SPD, dass ich die gegenwärtige Wahlkampfauftaktberichterstattung für relativ tendenziös halte. Aber das nur am Rande.

    @15 / Perlenschwein:

    Wahlprognosen haben eine relativ kurze Halbwertszeit und spiegeln nicht notwendigerweise wider, wie die Menschen in 8 Wochen in den Wahlkabinen abstimmen – viel eher, wie sie momentan abstimmen würden, müssten sie das öffentlich tun und sich dafür rechtfertigen.
    Man müsste das jetzt mit verschiedenen empirischen Ergebnissen der politischen
    Soziologie vertiefen.
    Was mich beunruhigt, ist, wie unkritisch & unreflektiert nahezu alle Medien die Ergebnisse der Sonntagsfragen der großen Meinungsforschungsinstitute veröffentlichen. Das fängt damit an, dass man über das Zustandekommen der Ergebnisse nahezu nix erfährt – übrigens auch nicht von den Instituten selbst. Einen aktuellen Methodenbericht von Allensbach, Emnid und co. zu bekommen, habe ich bisher noch nicht geschafft.

    Und zur Erinnerung:
    Vor vier Jahren um die gleiche Zeit haben wir uns noch gefragt, ob die CDU/CSU einen Koalitionspartner braucht, um die Kanzlermehrheit zu stellen…

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