Ulrich Deppendorf

Man weiß ja nicht, wie das so abläuft, in ARD-Hierarchien. Ob Ulrich Deppendorf, als er vor fünf Wochen wieder Chef der Hauptstadtstudios wurde, gleich am ersten Tag in der Konferenz gesagt hat: Leute, dass eins schon mal klar ist, die Einschätzungen aus Heiligendamm, die mache ich. Oder ob es umgekehrt so war, dass ihm die Leute vorher gesagt haben: Ulli, du hast nur dann eine Chance, wieder Chef des Hauptstadtstudios zu werden, wenn du hier und heute unterschreibst, dass auch jede verdammte Einschätzung von irgendeinem Gipfeltreffen machst.

„Einschätzen“ ist ein merkwürdiges, aber irgendwie treffendes Wort für dieses Ritual, nach einem Nachrichtenbeitrag in einem Live-Gespräch noch einmal nachzufragen, was das denn bedeutet. Meistens nicht, was das für uns oder die Welt bedeutet, sondern für die handelnden Personen. Es geht darum, Haltungsnoten zu verteilen – aber in einer Sportart, bei der man die Atlethen selbst nur über verzerrte Spiegel sieht, oder in der die Wettkämpfe noch gar nicht stattgefunden haben. „Bewegung“ ist dabei das Zauberwort. Teilweise stündlich musste sich Deppendorf von Claus-Erich Boetzkes aus dem Nachrichtenstudio fragen lassen, ob es Anzeichen dafür gibt, dass sich Bush auf die Europäer „zubewegt“, ob es überhaupt „Bewegung“ gibt, wie groß der „Schritt“ ist, den Bush auf Merkel „zugeht“. Und Deppendorf sprach routiniert von „möglichen Annäherungen“ (Dienstag), „nicht so riesig zubewegen“ (Mittwoch), „kann man noch nicht sagen“ (Donnerstag), „sind aufeinander zugegangen“ (Freitag).

Wenn die Metaphern in diesem Genre nicht aus dem Krieg oder Sport stammen („Die Europäer sind geschlossen aufgetreten“), dann kommen sie vom Wetter („Ob das Thema den Gipfel überschattet, weiß man noch nicht“). Und vielleicht war es kein Zufall, dass Deppendorf einmal in einem kurzen Moment der Unkonzentriertheit seine Antwort auf die immergleichen Fragen aus dem Studio mit den Worten „Ja, gut, äh“ begann. Jetzt weiß ich nur noch nicht, ob ich als nächstes von Deppendorf die Einschätzung eines Länderspiels sehen will oder von Beckenbauer die eines Gipfeltreffens.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

9 Replies to “Ulrich Deppendorf”

  1. Du cheffe,

    a)“Die Physik definiert Bewegung als einen Prozess, in dem Materie oder generell Körper im betrachteten Bezugssystem abhängig von der Zeit ihren Ort verändern.“

    Glück auf

    Ach so, Beim jetzigen Stand der Dinge scheint eine kontinuirliche Entfernung im atlantischem Bündniss als wahrscheinlicher:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Plattentektonik

  2. Ist nicht genau das die Kunst des Qualitätsjournalisten aus Nichts eine spannende Meldung zu machen?

    Wir kennen das doch vom Hochwasser, wenn die Pegelstände wie eingefroren auf hohen, aber bedeutungslosen Ständen stehen bleiben, obwohl sie steigen müssten. Die Bilder verzweifelter Moderatoren vor Pegelständen und die Ankündigung das sich in der nächsten Stunde dann aber etwas ereignen wird, was sich nie ereignet.

    Über Ulrich den Depp aus Deppendorf ist doch ansonsten schon alles sagbare gesagt. Aber keine Nachrichten verkünden kann er eigentlich ganz gut und das sagen was in unserer Zeit gesagt werden müsste, darf eh kein Journalist in Deutschland mehr.

  3. Was dabei ensteht, ist politischer Journalismus auf „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“ Niveau.

    Nicht politische Konzepte (bzw. deren Abwesenheit) und ihre Auswirkungen in der realen Welt sind mehr Thema, sondern wie sie „ankommen“ oder verkauft werden können.

  4. Hallo Stefan,

    bei mir ist der Deppendorf-Artikel nur über das direkte Anklicken in der rechten Spalte „jüngste Beiträge“ verfügbar. In der Blog-Hauptseite kommt dagegen nach Apples Safari sofort die Huffington Post. Und die geringe Anzahl von Kommentaren spricht dafür, dass es anderen hier auch so geht.

    Ist das Absicht?

    Viele Grüße,
    Gunther Schenk

  5. Was soll denn dieses ständig blöde Rumgehacke auf dem pseudoironischen Wort „Qualitätsjournalismus“… (bezogen auf die vielen Kommentare in diesem Blog, nicht seine Artikel).

  6. Das ist das Gegenstück zur „Seuche Internet“ – nach dem Motto: „Wir können auch niveaulos.“

  7. Das ist eher das „Hey – ich finde die gleichen Dinge doof wie ihr und möchte gemocht werden“-Verhalten. Auf dem gleichen Prinzip funktioniert ja auch der hiesige Antiamerikanismus – ein flotter, unkreativer Spruch gegen Bush und dir fliegen die Symphatien zu.

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