Videomonopol

Videos sind ja angeblich das nächste große Ding für Nachrichtenseiten im Internet. Und tatsächlich berichten fast alle großen deutschen Seiten von der Flucht des Angeklagten im sogenannten Stephanie-Prozess auch mit bewegten Bildern.

Mit exakt denselben bewegten Bildern. Die alle exakt gleich geschnitten und betextet sind. Weil alle denselben fertigen Video-Nachrichten-Beitrag von der Nachrichtenagentur Reuters übernommen haben.

Spiegel Online:

Focus Online:

Stern.de:

Bild Online:

sueddeutsche.de:

Ich weiß nicht, ob ich das zutiefst beunruhigend finden soll. Oder als Schritt zur Transparenz begrüße. Denn auch viele Artikel auf den verschiedenen Seiten beruhen ja regelmäßig auf derselben Agenturmeldung — nur fällt es bei Texten, die unterschiedlich präsentiert, gekürzt, betitelt werden, nicht so auf.

22 Replies to “Videomonopol”

  1. googlealerts hat schon vor geraumer Zeit dem Otto Normalnewsleser vor Augen geführt wie wenig von den tatsächlichen Publikationen kommt und wie oft einfach übernommene Agenturtexte ohne minimalstem Distinktionsversuch publiziert werden. So unauffällig ist das bei Texten nicht. Und es fällt mehr und mehr Leuten auf.
    Stellt sich dann die Frage, warum überhaupt noch Nachrichten bringen, die intern offensichtlich als so unwichtig angesehen werden, dass dafür keine zusätzliche Manpower eingesetzt wird. Vollständigkeit, klar. Zerstört aber gerade (unter Anderem) Ruf und generell die Sicht auf den Nutzen einer breiten Massenmedienwelt bei den Nutzern/Kunden..
    Stichwort Daseinsberechtigung

  2. Damit begeben sich Spiegel Online & Co. schon ein wenig auf das Niveau kleinerer Lokalzeitungen, bei denen – hat man den Eindruck – die Agenturmeldung direkt aus dem Ticker ins Layoutprogramm eingespeist wird.

  3. Im speziellen Fall war vielleicht erst einmal auch nur ein team vor ort. wobei, wenn man sich die viedeoquellen so anschaut (generell die vergangenen Monate, nicht nur heute) – reuters als videofeeder scheint bisher recht exklusiv eine marktnische zu bedienen, die zwar rasant wächst, wo sich allerdings noch nicht allzu viele andere anbieter tummeln. das wird sich aber ändfern. hoffentlich.

  4. Beinahe hätte ich geschrieben „Wann fällt er den endlich vom Dach“.

    Mittlerweile sollten doch midestens 20 Teams da sein und diesem verurteilten Verbrecher und geständigen Angeklagten genug Kulisse sein, etwas zu tun. Ist es unmoralisch wenn ich mich frage, ob man ihn nicht einfach auf dem Dach verdursten lassen kann? Dann hätten wir davon wenigsten bewegte Bildar aus vielen Pesrpektieven.

    Und die Justiz/Polizei/Stafvollzug in Sachsen machen sich schon wieder zum Deppen.

  5. Ich wäre überrascht, wenn diese Monokultur auch in 1,2 Jahren noch so existiert. Reuters war einfach schneller als die Konkurrenz – und genau jetzt will jeder Video haben, optimalerweise als Rundum-Sorglos-Paket. Deswegen läuft Reuters momentan – mangels Alternativen – an vielen Stellen. Ja, etwas eintönig :-) Aber wohl nicht von Dauer.

  6. […] Die Sache mit den Schädeln liegt zwar jetzt schon ein paar Tage zurück, und die deutsche Welt schaut inzwischen gebannt, wenn auch gleichgeschaltet, auf auf JVA-Dächern herumstehende mutmaßliche Sexualstraftäter, aber es soll doch nicht verschwiegen werden, daß Bild-Kolumnist F. J. Wagner sehr verklausuliert, aber deshalb nicht weniger deutlich am 26. Oktober seiner Ansicht Ausdruck verlieh, deutsche Soldaten seien Tiere. […]

  7. Was gab es dort überhaupt zu sehen? Einen Mann auf einem Dach. Verzweifelt? Voll Selbsthass? In jedem Fall ein individuelles Schicksal. Ein Täterschicksal. Wer muss das sehen? Wer will das sehen? Statt des Photographen reist heute der Videoreporter an. Morgen reisen 20 von ihnen an. Dann haben wir den Film aus 20 – immergleichen -Perspektiven. Wozu? Ich habe mir schon den einen immergleichen nicht angeschaut. Video on demand heisst auch, mir überhaupt kein Video anschauen zu müssen.

  8. Online-TV: DuMont zündet dritte Stufe…

    Der kölsche Verlag DuMont Schauberg macht in Sachen Online-TV kräftig Druck: Erst gab’s in Stufe 1 bewegten Einheitsbrei aus der Zoomin-Dose beim Kölner Stadtanzeiger, dann entwickelte Thomas Kemmerer mit seiner Online-Truppe in einer zweiten …

  9. In der Tat glaube ich auch, daß Reuters da nicht mehr lange alleine stehen wird. A propros stehen: Man könnte als (Video)Journalist ja auch mal nachdenken, ob bei einem auf einem Dach stehenden Menschen das Bewegtbild überhaupt die beste Wahl war?! Videocontent kann wirklich zukünftig sehr interessant sein, wir von einfallsreich.tv fragen uns täglich, was ist der Mehrwert eines Bewegtbildes?

  10. Etwas verwundert bin ich, dass das Persönlichkeitsrecht offensichtlich regional unterschiedlich gehandhabt wird. Denn während nahezu alle Zeitungen den Mann mit Mario M. bezeichnen, kürzt die Sächsische Zeitung in ihrer Berichterstattung (zumindest online) den Nachnamen des mutmaßlichen Täters nicht ab.

  11. Ich weiß nicht , was ich beunruhigender finden soll…

    … dass ein identisches Video einer Nachrichtenagentur von vielen Online-Medien multipliziert wird (wenn der Bedarf an Content größer wird als die Zahl ordentlich produzierter Nachrichten multipliziert sich die Wiederholung)

    …dass anstatt einer Nachrichtenagentur künftig „Leserreporter“ oder Nichtjournalisten für Vielfalt sorgen

    …dass ein journalistischer Text mit all seinen Möglichkeiten ersetzt wird durch Video, durch alle bekannten Nachteile des TV-Formats (linear, begrenzt kommentierbar bzw. interaktiv, banalisierendes Infotainment, auf schnelle Effekte bedacht, geringe Erinnerungstiefe usw.). Was nicht bedeutet, dass ich Video pauschal verteufle, aber allein die Gesetze von Video/TV-Produktion unter Zeitdruck im Vergleich zum Schreiben (unter Zeitsdruck) führt beim Video zwangsläufig zu einer Verflachung, weil es extrem verlockend ist, ein Video fix am vorhandenen Bildmaterial entlang zu produzieren anstatt erst den Gednaken zu formulieren und erst dann für die Bilder zu sorgen. Beim Text ist es umgekehrt: Die Bilder enstehen im Kopf, wenn die Idee bereits steht.

    Ach ja, wir uncoolen Bedenkenträger… ;-)

  12. Die Verbreitung der Reuters-Videos wird in der Tat immer schlimmer. Dem Normal-Nutzer wird dies in der Regel aber überhaupt nicht auffallen. Die Schnittmenge der Nutzer, die täglich Spiegel, stern, Focus, Bild und Süddeutsche ansteuert, wird relativ gering sein. Deswegen finde ich es nicht verwerflich, wenn Online-Anbieter auf diesen Einheitsbrei setzen. Natürlich werden einige Anbieter künftig auch eigene Videonews produzieren (was zu begrüßen ist), für das Grundrauschen ist Reuters oder Zoom.in für viele aber völlig ausreichend. Auch die Übernahme von Agenturmeldungen finde ich nicht verwerflich. Selbst in der „Tagesschau“ werden häufig nur leicht umgeschriebene Agenturmeldungen verlesen.

  13. […] Stefan Niggemeier ist neulich aufgefallen, dass eine Reihe von Nachrichtenseiten im Internet dasselbe, bei einer Nachrichtenagentur eingekaufte Video eingesetzt haben, um über einen auf ein Dach geflüchteten Gefängnisinsassen zu berichten. Womit alle diese von Zeitungen herausgegebenen Angebote eine identische Videonachricht präsentierten. Jetzt hat Roman Michel auf onlinejournalismus.de analysiert, wie Zeitungen heute überhaupt auf ihren Internetplattformen Videos einsetzen. Die meisten tun es nicht, das ist wenig überraschend, wenn man sich die Qualität vieler Zeitungshomepages anschaut. Die leben noch in den 90er Jahren. Aber einige, und nicht nur große, experimentieren engagiert mit dem Medium Video und haben erkannt, dass das Bewegtbild heute neben Text, Bild und Grafik auf eine Webseite gehört. […]

  14. […] n-tv-Geschäftsführer Johannes Züll dazu, dass Reuters sich mit seinen Videonachrichten gerade im Internet breit macht, und von den TV-Sendern zusätzliche Gebühren für eine Online-Auswertung der überlassenen Bilder verlangt: “Die Sender der RTL-Gruppe sind einer der größten Kunden der deutschen Reuters-TV-Dienste. Wenn Reuters jetzt glaubt, auf unserem Rücken noch einmal zusätzlich Geld verdienen zu müssen, gibt es zwei Möglichkeiten: Unsere Sender bekommen auch die Internetrechte zur Verfügung gestellt oder Reuters wird künftig nicht mehr das Geld für die TV-Bilder bekommen können, das bisher von uns gezahlt wird.” […]

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