Wer Internet-Fundstücke groß rausbringt

Es war, sagt stern.de-Chefredakteur Frank Thomsen, „für stern.de der größte Scoop der letzten Zeit“: das „Motherfucker“-Bundeswehr-Video. Dabei war die Recherche eher unspektakulär. Der Film war seit Monaten auf myvideo zu sehen, und dann gab irgendwer stern.de einen Tipp.

Auch Thomsen scheint an dem Scoop eine andere Leistung von stern.de interessanter zu finden, als die Recherche — die Verbreitung. Gegenüber medienhandbuch.de sagt er:

Etwas online stellen, heißt noch lange nicht, dass es gefunden wird. Dieses Video stand seit Januar bei myvideo. Jeder hat es sehen können. Dadurch, dass man alles sehen kann, sieht man nichts. Das Internet ist wie ein riesiger Brei, in dem man nichts mehr findet. Journalistische Marken wie der Stern dagegen werden viel stärker wahrgenommen.

Das ist sicher nicht ganz falsch. Und über stern.de ist das Thema ja zweifellos zu einer großen Mediengeschichte geworden. Aber für das Aufspüren und Bekanntmachen von interessanten Klümpchen im Internet-Brei gibt es längst Marken, die mindestens so gut funktionieren.

Thomsen sagt stolz, die stern.de-Artikel zum Thema hätten „bisher ca. 200.000 Zugriffe“ gehabt. Zum Vergleich: Als die schlichte, politisch etwas weniger brisante Galerie von bizarren Kloschüsseln aus dem Job- und Karriereblog von Marcus Tandler auf der Startseite von digg.com auftauchte, zählte er nach eigenen Angaben über 120.000 Besucher in 14 Stunden. Auch heute, fünf Wochen später, ist sein Blog noch weit vorne in den einschlägigen Charts.

Ich will stern.de den Erfolg gar nicht madig machen, aber ich glaube, die großen Medienmarken sollten sich nicht darauf verlassen, dass wir sie auch in Zukunft als Wegweiser, Trüffelschwein, Suchscheinwerfer, Verstärker oder Lupe brauchen. Wir brauchen sie, um die Sachen herauszufinden, zu bewerten und ins öffentliche Bewusstsein zu bringen, die nicht einfach im Internet herumliegen und nur auf ihre Entdeckung warten.

18 Replies to “Wer Internet-Fundstücke groß rausbringt”

  1. Voll d’accord. An der Stelle im Interview habe ich auch kurz gezuckt. In Wahrheit war es wohl eher ein Zufallsfund, den der „stern“ dann aber ziemlich professionell und mit der Macht einer großen Medienmarke promotet hat.

  2. Vielleicht sollte jemand dem Stern den heißen Tip geben, daß der Ösi-Diktator auch eine Video-Variante seines Tagebuches auf myvideo hinterlegt haben könnte. Wenn die wer findet, dann nur so eine journalistische Marke wie der Stern eine ist.

  3. Mit der Entdeckung des Videos ist dem Stern der „Heiße-Luft-Award 2007“ wohl so gut wie sicher. Und den wird man wohl auch feiern…

  4. Also ich persönlich finde das Verhalten des Sterns einfach ziemlich wiederlich. So richtig schäbig auf unterstem Bild-Niveau.

    Was im Video zu sehen ist, ist meiner Meinung nach eindeutig nicht OK und ein Grund für eine Ermahnung, Versetzung und Bestrafung, aber nicht für einen Rausschmiss.

    Jedenfalls ist das Video m. E. nicht so rassistisch und ausländerfeindlich. Der Ausbilder bedient sich Klischees, die man aus US-Filmen kennt über die harten Verhältnisse in Teilen der USA. Ich glaube nicht, dass das so dirket ausländerfeindlich gemeint war. Und „Afroamerikaner“ ist in den USA die 100-Prozent politisch korrekte Bezeichnung für einen US-Bürger mit schwarzer Hautfarbe.
    Der Soldat soll nicht auf die schießen, weil das Afroamerikaner sind, der soll sich diese bewaffneten Klischee-Typen vorstellen, die in der Bronx weiße ahnungslose Touristen für immer verschwinden lassen, wenn die nach dem Weg fragen :) Das ist natürlich eindeutig nicht in Ordnung, aber …

    Richtig mies und ausländerfeindlich wäre es, wenn der z. B. Türken als Ziele geannt hätte und nen paar Sprüche abgelassen hätte.

    Aber mein Hauptanliegen ist:

    Wo kommen wir eigentlich hin wenn jetzt und in Zukunft jeder verblödete Dödel jede nicht 100 Prozent politisch korrekte Äußerung mitfilmt und die sesationsgeilen Medien wie der Stern das dann dermaßen aufbauschen und nen internationalen Skandal draus basteln?

    Vermutlich haben die das selber noch den städtischen Behörden in der Bronx vorgespielt, um nen Kommentar für die nächste Meldung zu erhalten. Meine Güte … wo soll das alles hinführen?

    Soldaten sind auch nur (junge) Menschen, die auch mal auf blödsinnigen Quatsch kommen können. Gerade bei der Bundeswehr.

    Trotzdem müssen die sich jederzeit und überall so verhalten, dass das auch mitgefilmt und international veröffentlicht jeder moralischen und diplomatischen Begutachtung standhält. Herzlichen Glückwunsch Stern! Echt Toll! Und die Zukunft von diesem Sodaten haben die auch auf dem Gewissen.

  5. Nun ja – wenn’s so einfach wäre, dann müssten die großen Mediendachmarken ja nur noch ein paar Trüffelschweine einstellen, die mit ihrem Riecher das Netz für sie durchwühlen. Und schon wäre unendlich viel ‚Awareness‘ samt Werbung da. Fragt sich: Warum machen sie das nicht? …

  6. Klar, Thomsen überschätzt die eigene Rolle als Trüffelschwein.

    Dass Du zum Vergleich die Klo-Galerie heranziehst hinkt aber auch: Die Galerie funktioniert international, wurde sicherlich auch viel aus dem fremdsprachigen Ausland aufgerufen und kaum gespiegelt. Der Stern.de-Artikel besteht vor allem aus deutschen Text, wird also wesentlich weniger in USA und co. rumgereicht werden.

    Auch zu den ~200k Views bei MyVideo sollte man mindestens noch die ~100k Views bei YouTube hinzuzählen.

  7. Ich denke, Thomsen hat in Ansätzen schon recht. Noch sind es die großen Medienmarken, die große Geschichten zu solchen machen. Auf MyVideo, Youtube und MySpace gibt es wohl viele hundert Geschichten, die gefunden und erzählt werden wollen. Nur: Bis es soweit ist, dass sie selbst ihr Angebot nicht nur quantitativ sondern auch qualitativ filtern (wenn das überhaupt jemals passieren wird), braucht es großer Seiten oder Portale wie eben stern.de. Ich sehe darin keine Arroganz. Nur wird die Position dieser Marken im Internet immer schwächer werden, da es immer mehr Alternativen gibt, die nicht nur quantitativ sondern qualitativ wachsen.

  8. @Sukram71:

    „Der Soldat soll nicht auf die schießen, weil das Afroamerikaner sind, der soll sich diese bewaffneten Klischee-Typen vorstellen, die in der Bronx weiße ahnungslose Touristen für immer verschwinden lassen, wenn die nach dem Weg fragen :) Das ist natürlich eindeutig nicht in Ordnung, aber …“

    Aber was? Genau darin, daß sich die Leute diese „bewaffneten Klischee-Typen“ vorstellen sollen, die dann *zufälligerweise* natürlich Afroamerikaner sind, liegt das Problem, und genau deshalb ist es Rassismus.

    „Richtig mies und ausländerfeindlich wäre es, wenn der z. B. Türken als Ziele geannt hätte und nen paar Sprüche abgelassen hätte.“

    Mir ist vollkommen unklar, warum es OK sein soll, Afroamerikaner als Ziel vorzugeben, wenn das Vorgeben von Türken als Ziel „richtig mies und ausländerfeindlich“ ist.

  9. @Bunny:
    Ach, dass kann doch mehr oder weniger Zufall sein. Vielleicht hat der Ausbilder in letzter Zeit ein paar entsprechende US-Filme gesehen oder viel Rap-Musik gehört. Wenn ich an so bewaffnete Schwarze in den USA denke, dann eher mit Respekt und nicht abfällig … Es gibt doch da so viele Klischees.

    Und gerade bei der Bundeswehr *schreit* doch alles geradezu danach matialisitsch (so rambo-mäßig) veralbert zu werden. Das Thema ist so ernst, dass man sich mit herben Späßen vielleicht manchmal ablenken muss und will. Und gleichzeitig ist dieses ganze Soldatentum mit Rang und Abzeichen so lächerlich und klischeehaft.

    Aber gut, der hat sich natürlich eindeutig nicht richtig verhalten … aber das Ganze ist ja auch nicht ganz sooo einfach … weil (und da gehts nach meinen „aber …“ weiter):

    … soll sich der Soldat lieber „Feinde“ vorstellen, die nach der ersten Salve mit dem MG42 furchtbar entstellt und verblutend auf dem Schlachtfeld liegen? Wovon der eine mit den Händen seine Gedärme zusammenhält und nach seiner Mama schreit?

    Auf der einen Seite muss/soll man den Soldaten so nen Kämpfermentalität einimpfen, auf der andern Seite, soll das dann aber wieder auch alles 100-Prozent politisch korrekt ablaufen. Und Ernst soll man dabei dann auch noch bleiben.

  10. @Sukram71
    Genau meine Meinung. Das Verhalten des Ausbilders war Sch***e und sollte interne Konsequenzen haben, aber war es wirklich ausreichend für einen internationalen Skandal? Und wie fliessend sind die Grenzen zwischen Vorurteil/Klischee und Rassismus? Ein echter Rassist hört sich IMHO anders an.

  11. Was ich noch vergessen hatte:
    Bislang habe ich aus eigener Erfahrung das Finden von Perlen/Besonderheiten im Netz und anschliessende Bekanntmachen immer für einen sehr angenehmen Nebeneffekt von Blogs gehalten. Auf grosse Medienunternehmen wäre ich ganz sicher nicht gekommen, auch wenn die natürlich eine ganz andere Reichweite haben.

  12. Wahrscheinlich kriegt man die ganze Wahrheit, wie tatsächlich dieses Skandalvideos seinen Weg zum Stern gefunden hat, nie zu Gesicht.
    Was es aber nachdrücklich beweist, ist wieviel Macht ein solches Medium ausüben kann. Ich dachte ja zuerst an ein „Fake-Video“, aber wenn sich ein Vorgesetzter mit Dienstgrad Fahnenjunker so verhält, dann muss er die Konsequenzen seines Handelns wohl oder übel tragen.
    @Sukram71: ich dachte mir, daß in der BW das MG3 zum Einsatz kommt?

  13. @Stefan mit f:
    Soweit ich das damals (vor über 15 Jahren) bei der Grundausbildung mitbekommen habe, ist das MG3 bei der Bundeswehr im wesentlichen das MG42 aus dem 2. Weltkrieg, das man so verändert hat, dass es etwas langsamer schießt, u. a. damit man das Rohr nicht so oft wechseln muss/heiss wird. Das Ding ist echt ne Höllenmaschine.

    Aber ich bleibe dabei:
    Auf der einen Seite soll/muss man den Soldaten (so 25-jährigen Jungs) beibringen mit dem MG auf echte Menschen zu schießen.

    Gleichzeitig soll das dann auch noch 100-Prozent politisch korrekt und ersthaft erfolgen. Und Spässe darf man dabei auch nicht machen, sondern sich der Menschenwürde der Gegner bewust sein.
    Die haben aber alle den Film „Der Soldat James Ryan“ gesehen, in dem in der Anfangsszene genau mit dieser Waffe geschossen wird. Das alles ist doch fast unerträglich.

    Also ich würde mich vielleicht schon in herbe Spässe retten, damit mir das schlechte Gewissen und die Bilder aus „Der Soldat James Rayen“ aus dem Kopf gehen.

    Und so ein paar … vom Stern gehen dann hin und machen da für ne Schlagzeile dann so nen Skandal draus. Dabei war der Ausbilder schon bestraft worden. Ich finde das vom Stern das mit Abstand Allerletzte.

  14. Nun, etwas Monate später als alle anderen zu finden und das als die eigentliche Leistung zu verkaufen, das ist schon verdammt hohe Kunst. Wirklich. Das traut sich auch nicht jeder zu!

    Was im übrigen den Inhalt des Videos angeht, ja, ich finde das komplett daneben. Aber ich bin auch Pazifistin. Wäre ich das nicht, könnte ich ja mal auf die Idee kommen, naives Denken bezüglich der Militärausbildung ad acta zu stellen, denn natürlich installieren die Feindbilder bei den Rekruten. Und natürlich laufen da Dinge ab, die wir so auf unseren Sofas nicht vorstellen wollen. Da werden Leute zum Töten ausgebildet, nicht zum Eis verkaufen … und ich glaube kein bisschen an Menschenwürde auf der einen Seite und das Business Militär auf der anderen. Es gibt Dinge, die gehen einfach nicht zusammen – auch wenn wir uns das vom ethischen Standpunkt her wünschen würden. Ich glaube nicht an Political Correctness beim Militär, nicht eine einzige kleine Sekunde lang.

  15. Wenn dann gibt es nur eine oberflächliche Political Correctness… egal wo… sei es im Vatikan, auf dem Land, in einer Großstadt, zu Hause im Wohnzimmer, unter der eigenen Dusche… egal wo eben.

  16. Stefan, du übersiehst etwas:
    Die Klo-Galerie wurde zwar von fast genauso vielen Leuten angesehen wie der originale Stern-Artikel, aber von dem „Inhalt“ der Seite hat außer denen, die direkt auf der Seite waren niemand etwas mitbekommen. Keine Zeitung und kein Fernsehsender hat sie nämlich gezeigt. Der Inhalt des Stern-Artikels hingegen, wurde in allen wichtigen Zeitungen und auch in einigen Nachrichtensendungen auch solchen Leuten übermittelt, die nicht stern.de lesen. Von daher hat ein Artikel auf stern.de (sofern er denn etwas politisch brisantes zu berichten weiß) doch ein viel größere Reichweite, als eine Nennung auf der digg.com-Startseite. Denn es ist noch immer so und wird wohl auch noch eine Zeit so bleiben, dass eine Meldung, wenn sie in den großen Medien- und Agenturzirkus kommen will, irgendwo bei einem „etablierten“ Medium stehen muss. Wir können stern.de und co. also durchaus als „Trüffelschweine“ gebrauchen.

  17. @Robert: Aber das stimmt doch nicht. Die Klo-Galerie war deshalb nicht in der „Tagesschau“, weil es keine News ist. Frank Thomsen scheint zu glauben, dass nur etablierte Medien solche Fundsachen ins allgemeine Bewusstsein bringen können. Ich meine: Wenn z.B. irgendein Blogger das Bundeswehr-Video entdeckt hätte, hätte digg.com es genauso groß machen und in alle anderen Medien bringen können wie stern.de.

  18. @Stefan: Es mag sein, dass das Video, wäre es von einem Blogger entdeckt worden (oder sagen wir von einem Blogger, der auch genügend Leute hat, die ihn lesen und in ihren eigenen Blogs auf ihn verweisen), in die Internetöffentlichkeit hätte treten können. Aber es gibt immer noch ein sehr beträchtlichen Teil der Öffentlichkeit, der seine Nachrichten offline konsumiert. Ich bezweifle, dass die großen Redaktionen und Agenturen Deutschlands regelmäßig bei digg.com und co. vorbeischauen. (Was ja irgendwie auch in gewissem Maße verständlich ist, die Klo-Galerie ist ja nicht das einzige eher „unbrisante“ Thema, was es so auf die Startseite von digg.com schafft.) Wenn hingegen eine Redaktion wie die von stern.de eine Meldung erhält, die sie für interessant hält, schickt sie sie wahrscheinlich direkt an alle Agenturen und die Meldung gelangt dadurch sehr sehr schnell zu allen Medien. Ich will keinesfalls ausschließen, dass sich (vielleicht sogar schon bald) in Deutschland ein Blog entwickeln könnte, dass so groß ist, dass es in der Lage sein wird, Themen zu setzen. Die Betreiber eines solchen Blogs wären aber ohne Zweifel nicht nur Blogger – sondern auch(!) Journalisten.

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