Wie die Eurovision Schwulenfeinden nicht entgegentritt

Ich hatte eigentlich nicht erwartet, dass sich meine Verachtung für die Europäische Rundfunkunion (EBU) nach ihrem Kotau vor der aserbaidschanischen Regierung noch steigern lassen könnte. Tatsächlich ist das gerade passiert.

Heute haben Hacker die Grand-Prix-Nachrichten-Seite esctoday.com zerstört. Sie hinterließen unter anderem eine Grafik mit folgendem Text:

“Was bringen Schwule nach Aserbaidschan? Was wird in aserbaidschanischen Familien nach der Gay Parade passieren? Es gibt keinen Platz für unmoralische Schwule in Aserbaidschan. Verlasst unser Land. Kein Platz in Aserbaidschan für Schwule, die aussehen wie Tiere.”

Das Eurovisions-Blog von „Prinz“ hat daraufhin die EBU als Veranstalterin des Eurovision Song Contest um eine offizielle Stellungnahme gebeten. Die Kollegen erhielten folgende Antwort:

„Es ist natürlich sehr bedauerlich für diese Websites und die engagierten Leute, die sie betreiben, dass sie die Angriffe von Hackern erleiden. Diese sehen den Grund für ihre Taten in unkorrekten Informationen. Wir sind hier, um den Eurovision Song Contest zu organisieren, und nicht eine Gay Parade. Wie immer existiert ein solides Sicherheitskonzept für den Eurovision Song Contest, und wir haben bereits im vergangenen Jahr entsprechende Garantien von den relevanten Behörden erhalten, unterschrieben vom Premierminister Aserbaidschans. Wir haben Vertrauen in ihre Arbeit und freuen uns auf einen erfolgreichen Eurovision Song Contest 2012 in Baku.“

Mal abgesehen von der holprigen Übersetzung:

Das Problem besteht nach Ansicht der EBU nicht darin, dass Leute etwas gegen Schwule haben und tun, sondern dass sie den Eurovision Song Contest mit einer schwulen Veranstaltung verwechseln?

Die EBU verurteilt nicht die Homophobie, sondern bedauert das (nur bedingte) Missverständnis, den Grand-Prix für schwul zu halten?

Die EBU ruft nicht: „Lasst uns gemeinsam gegen Schwulenfeinde und für Toleranz und Akzeptanz kämpfen“, sondern: „Wir sind gar nicht schwul“?

Und dann ist es ihr nicht einmal peinlich, dem noch das übliche PR-Gewäsch hinzuzufügen, dass ja nichts passieren kann, weil es ihr die Regierung Aserbaidschans ja versprochen hat?

Der Tag kann nicht mehr fern sein, an dem die EBU sich bei ihrem fortschreitenden Bemühen, sich zu nichts zu verhalten, auch von sich selbst distanziert. Dann wird sie erklären, nichts mit sich zu tun zu haben, aber darauf zu vertrauen, dass irgendwelche Regierungen zu ihren Garantien stehen, dass alles gut sein wird. Mit etwas Glück löst sie sich zeitgleich auf.

Die EBU ist eine Vereinigung von Rundfunkanstalten mit öffentlichem Auftrag. Deutsche Mitglieder sind ARD und ZDF.

29 Replies to “Wie die Eurovision Schwulenfeinden nicht entgegentritt”

  1. ohne das jetzt kleinreden zu wollen, aber irgendwie war das doch klar, wenn man schon um grundlegende Demokratie- und Menschenrechtsfragen einen grossen Bogen macht. Da hat bestimmt einer der Verantwortlichen die Hände überm Kopf zusammengeschlagen und darum gebeten, dass man das Fass nicht auch noch aufmacht.

    Man möchte halt mit dem ESC hübsche, bunte Brücken bauen, aber auf keinen Fall darüber nachdenken, ob man denn wirklich da hin will, wo diese Brücken hinführen.

  2. Die Stellungnahme der EBU wird ja noch armseliger dadurch, dass Sietse Bakker, der Supervisor des ESC, Gründer von esctoday.com war…

  3. Der Hinweis auf das „solide Sicherheitskonzept“ ist besonders merkwürdig. Als ob dieses eine Art Firewall gegen Schwule sein soll. Dabei hat das solide Sicherheitskonzept soeben versagt, als sich die Homepage hacken ließ.

  4. Die treffendere Übersetzung der Stellungnahme lautet wohl eher:

    „[…] unkorrekten Informationen. Wir haben uns durch Satellitenbilder überzeugen lassen, dass es gar keine Tiere gibt, die wie unmoralische Schwule auf einer GayParade aussehen […] aber selbst gegen derartige Auswüchse haben wir ein solides Sicherheitskonzept […] in Zusammenarbeit mit erfahrenen Stellen der aserbaidschanischen […] die wir unterstützen […]“

  5. schon erschrecken und traurig was so passiert.
    naja, hauptsache es gibt eine erfolgreiche feier in baku.

  6. DANKE für diesen Artikel. Schon die Reaktionen auf prinz.de, die das Schreiben zuerst veröffentlich haben, sind darauf kaum eingegangen. Vllt. weil man vermutet hat, das könnte ja nicht so gemeint sein. Aber genau das ist es offensichtlich. Ekelhaft.

  7. Die eigentliche Quintessenz erwähnst Du gar nicht.

    Was da steht ist: „Wir sind hier, um mit einer harmlosen Gesangsveranstaltung sehr viel Geld zu verdienen für alle Beteiligten. Deshalb können wir leider keine Stellung zu Irgendwas beziehen. Wegen des Geldes“.

    Das ist die einzige Warte, von der aus man das nachvollziehen kann. Die EBU ist doch keine gemeinnützige Vereinigung. Das ist eine Firma. Und die möchte sich gerne aus allem raus halten.

    Was ich nicht verstehe ist, warum Du das nicht schon längst boykottierst.

  8. Krank, einfach nur krank. Ich würde an Stefans Stelle jetzt die Koffer packen und ESC ESC sein lassen.

  9. @Stefan #12: Ja, das weiß ich doch.

    Ich befürchte aber, daß die Anwesenheit vor Ort, egal durch wen veranlaßt oder durch wen bezahlt, den ganzen die politischen Implikationen ignorierenden Popanz eher stützt als zum Bröckeln bringt.

    Irgendwann ist der Punkt erreicht, ab dem die Schoose unerträglich wird. Und deswegen würde ich heim fahren.

  10. Darf man eigentlich davon ausgehen, dass die ganzen von der EBU veröffentlichten gruseligen Stellungnahmen zu dem Aserbaidschan-Thema die Meinungen ALLER Rundfunkanstalten sind oder für wen spricht die EBU eigentlich?

  11. Gar nicht so abwegig, dass sich die EBU von sich selbst distanzieren könnte. Immerhin ist auch Tele-Radio Weißrussland (häufig als „eine der letzten Diktaturen Europas“ bezeichnet) eines der Mitglieder. Das ukrainische Radio und Fernsehen natürlich auch.

  12. Hier kann man ja gar nichts plussen oder liken, dann so: Danke für diesen klar formulierten Blog-Kommentar. Bleiben Sie bloß in Baku vor Ort, um zu recherchieren, analysieren und berichten. Ich persönlich lass mir den Spaß nicht verderben, denn der ESC bleibt schwul, egal wie feige und (bislang zumindest latent) homophob getüncht das Geseier der EBU auch ausfallen mag.

  13. Der ganze ESC besteht für mich seit drei Jahren eigentlich aus der meta-berichterstattung von euch beiden. Wie anders die Lage dieses Jahr ist, ist wirklich auffällig.

    Und ich fürchte, wie bei anderen Veranstaltungen dieser Sorte auch, es wird nichts großes passieren, auf das irgendwer wirklich reagieren *müsste* sondern auf dem Niveau von „eine Internetseite die keinen interessiert wird gehacked“ bleiben und am Ende wird daraus niemand Zuständiges irgendwelche Konsequenzen ziehen.

    Und dann gehen all wieder weg und wir vergessen wieder ob diese Leute jetzt Bakuaner oder wie auch immer heissen.

  14. @ #8:
    Wir vom PRINZ Blog haben die Veröffentlichung des Statements nicht durch weitere kommentierende Sätze ergänzt, weil wir fanden, dass die Sätze für sich sprechen und man die offenkundige Botschaft (die schwulen Fans interessieren uns nicht weiter) nicht herausarbeiten muss.

    Ich hatte die EBU um eine Stellungnahme gebeten (sie war ähnlich holprig wie die Übersetzung, Stefan) – und war ähnlich wütend auf die EBU.

  15. @16: Die Frage ist nicht ernst gemeint, oder? Mal gelesen, was die geschrieben haben??? @7: Mir auch. @ SN: DANKE, DANKE für diesen Blogeintrag. Leider gibt es viele zu wenige Medien / Journalisten, die mal deutlich auf solche Widerwärtigkeiten hinweisen.

  16. Ähm, auch wenn es schön wäre, wenn die EBU klar und deutlich protestiert – nur gegen wen denn genau? Es ist doch völlig unklar, wer da gehackt hat. Das könnten – wie der Anschein erweckt wird – aserbaidschanische Schwulenhasser sein, aber auch jeder anderere könnte es sein, z.B. Iraner, Armenier, etc. die neben Homophobie auch ein wenig Stimmung gegen den ESC-Gastgeber zu verbreiten wollen. Niemand weiß es. Auch die Sicherheitsmaßnahmen in Baku helfen nicht dagegen bzw. es spricht nicht gegen deren Wirksamkeit, denn die Server der gehackten Seiten werden wohl kaum in AZ stehen.

  17. @Nina, die EBU muss nicht protestieren, sondern sich in ihrer Wortwahl weniger homophob äußern, wenn eine schwulenfeindliche Hacker-Attacke stattfindet. Sich feige vom schwulen Credo des ESC zu distanzieren, das ist schlicht infam udn eine Ohrfeige für alle LGBT-Personen, die am ESC als Künstler, Mitarbeiter oder Zuschauer beteiligt sind.

  18. @ Robert Niedermeier: Dem zweiten satz würde ich völlig zustimmen. Ich habe aber auch nicht von einem konkreten Protest gesprochen, der ja gegen Unbekannte schwer möglich ist, sondern davon, dass es widerwärtig ist, wie sich die EBU hier verhält. Und davon, dass über dieses widerwärtige Verhalten leider nur einzelne berichten. Ob man das nun Protest nennen will oder sonst wie, jedenfalls wäre m.E. die EBU verpflichtet gewesen, zu den menschenverachtenden Äußerungen der Hacker Stellung zu beziehen und sie zu verurteilen. Das wird den Hackern egal sein oder sie vielleicht sogar noch bestärken. Es wäre aber ein wichtiges und notwendiges Zeichen an Künstler, Publikum und sonstige Öffentlichkeit.

  19. @Stefan Niggermeier:

    Nach Lektüre Deiner letzten Blogeinträge frage ich mich so langsam, warum Du bei dem Zirkus überhaupt (noch) mitmachst? Subversion von innen? Ich finde euch zwar blöd, mache aber trotzdem mit?

  20. Was gesagt werden muss – zum ESC 2012
    (Nicht in Versform, aber in drei Kapiteln)

    I. Die bezüglich des Eurovision Song Contests vorherrschende romantische Vorstellung, dass „ein Lied eine Brücke“ sein kann, hat sich angesichts der Ereignisse in den vergangenen Tagen in Baku als ein „sehr instabiles Bauwerk“ erwiesen. Zur Erinnerung: Hacker haben eine der größten Fanplattformen gehackt. Anstatt der Startseite von esctoday.com waren schwulenfeindliche Aussagen zu lesen, die in ihrer Wut in der Aufforderung mündeten, dass Homosexuelle Aserbaidschan verlassen sollen. Eine von Fans von der European Broadcasting Union eingeforderte Stellungnahme strotzte dann vor Allgemeinplätzen und wurde am eigentlichen Thema vorbei formuliert. »Es ist natürlich sehr bedauerlich für diese Websites und die engagierten Leute, die sie betreiben, dass sie die Angriffe von Hackern erleiden. Diese sehen den Grund für ihre Taten in unkorrekten Informationen. Wir sind hier, um den Eurovision Song Contest zu organisieren, und nicht eine Gay Parade“, heißt es in der Stellungnahme (Zitiert nach Stefan Niggemeier). Lediglich die Straftat des Hackens wird also bedauert. Nicht aber die Tatsache, dass die Urheber in menschenverachtender Weise sich über Homosexuelle äußerten. Ebenfalls wie ein Beipackzettel für eine Medizin liest sich eine zweite fällig gewordene Stellungnahme der EBU, nachdem ein DJ im Euroclub Probleme bekam, weil er ein armenisches Lied spielte. Um es klar zu sagen: Sowohl das Hacken als auch die von Clubbetreiber geforderte Zensur sind auf das Schärfste zu verurteilen. Empört zeigten sich die Fans des ESC bezüglich der Reaktionen der EBU. Dass sich die Fans aber über die halbseidenen Aussagen die Augen reiben mussten, liegt in ihrer irrtümlichen Annahme, dass die Fancommunity für die EBU eine ernstzunehmende Größe sei. Der Eurovision Song Contest war und ist eine Unterhaltungsmaschinerie – er wird nicht umsonst er als das größte musikalische Event der Welt bezeichnet. Es geht um Musik, ja, aber es geht noch mehr um Geld und Quote. Da fallen die Fans nicht ins Gewicht, die ein nützliches Beiwerk sind, indem sie Fahnen schwingen und gute Laune verbreiten sowie brav Eintritt zahlen. Der ESC ist für den Fan alles, der Fan ist für den ESC nur ein Baustein in der Sicherstellung der Produktion. Es gucken mehr Menschen den ESC als nur jene – beim Fußball würde man von „Ultras“ sprechen – die seit Jahrzehnten das Event verfolgen. Daher ist das Statement aus Sicht der EBU folgerichtig. Hier dürfen sich die Fans nichts vormachen.

    II. Beim ESC treffen nicht nur musikalische Welten auf einander, sondern indem Fans aus allen teilnehmenden Nationen in das Gastgeberland reisen – und auch aus Ländern, die nicht teilnehmen –, kommt es zu einem „meeting of civilizations. Mehr noch: Auch die unterschiedlichen Subkulturen der einzelnen Länder sind für ein, zwei, drei Wochen in den Gastgeberländern zu finden. Seien es Journalisten, die auch mal kritisch die Politik hinterfragen, seien es Schwule, die für das Event ein besonderes Faible haben, oder Vertreter der Musikindustrie, die auf der Suche nach neuen Vermarktungsobjekten Ausschau halten. Dabei gilt: Ein bisschen schwanger gibt es nicht. Sprich: Wer das Event in sein Land holt, bekommt das ganze Paket. Dessen müssen sich die Länder bewusst sein. Und sie müssen sich die Frage stellen, wie tolerant, wie weltoffen ist das Land, jenseits aller Sicherheitsbekundungen. Denn eine Regierung kann noch so viele Sicherheitsbekundungen unterzeichnen, die Rechnung kann sie nicht ohne die Bevölkerung machen. Damit ist folgende Aussage der EBU nicht das Papier wert, auf der sie stand: Wie immer existiert ein solides Sicherheitskonzept für den Eurovision Song Contest, und wir haben bereits im vergangenen Jahr entsprechende Garantien von den relevanten Behörden erhalten, unterschrieben vom Premierminister Aserbaidschans. Wir haben Vertrauen in ihre Arbeit und freuen uns auf einen erfolgreichen Eurovision Song Contest 2012 in Baku.« Und ohne ein Volk in Sippenhaft nehmen zu wollen, müssen die Denker des ESC eines Landes sich doch die Frage stellen, ob sie schon reif sind für das bunte Treiben? Oder die Fußball-Europameisterschaft? Oder die Formel-1?; oder die Olympiade? Dabei will ausdrücklich jene Bewegungen als positiv benannt wissen, die solche Events nutzen, um Unrecht anzuprangern und sich gegen antidemokratische Tendenzen aussprechen.

    III. Als die Entscheidung im Mai 2011 gefallen war und feststand, dass Aserbaidschan der Austragungsort für den ESC 2012 sein wird, waren aus meinem ESC-Bekanntenkreis viele dabei, die gesagt haben, dass sie nicht nach Aserbaidschan fliegen werden. Nun sind weit mehr doch nach Baku gereist, als Zuhause geblieben sind, weil sie auch in diesem Jahr das Event live nicht missen wollten und – das unterstelle ich mal – auch dieses doch wenig bekannte Land einmal kennen lernen wollten. Dass nun der Aufschrei über die EBU groß ist, mag nachvollziehbar sein, aber letztlich sollten die Statements der Broadcasting Union zu diesen Ereignissen nicht überbewertet werden. Die Fans wollen sich am ESC berauschen. Das werden sie können; denn die Produktionssicherheit geht über alles. Wichtiger ist, was jenseits der Show passiert. Beim Treffen der Zivilisationen kommt es nicht nur zu Reibungspunkten; Menschen lernen sich kennen, schließen Freundschaften und finden auch Lebenspartner, gleich welchen Geschlechts. Der ESC ist dabei nur der Nährboden. Aus diesen Freundschaften und Beziehungen wächst eine Brücke, die stark genug ist, dass ihr aller Schwulenhass, alle rechts- oder linksextreme Gruppierungen oder ein religiöser Fanatismus nichts anhaben kann; es ist die Brücke in die Zukunft. Über sie würde ich jederzeit gehen und hoffe, noch so manchen Baustein dazu beitragen zu können. Die EBU als Organisationseinheit des ESC, das sei an dieser Stelle angemerkt, hat nur die Grundstein gelegt und darf sich für das Zusammenwachsen nicht auf die Brust schlagen. Schon gar nicht nach den jüngsten Statements.

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