Wolfgang Blau: Auch das schärfste Urheberrecht würde den Verlagen nicht helfen

„Das Leistungsschutzrecht war eine Machtprobe für den Springer-Verlag, und Springer hat gewonnen.“ So hat es Wolfgang Blau, der Chefredakteur von „Zeit Online“, in einer Keynote formuliert, die er am 31. August bei einer Urheberrechts-Fachtagung von Bündnis 90/Die Grünen hielt. Er erläuterte, warum das geplante Gesetz nicht nur nicht hilfreich, sondern schädlich ist. Er forderte von Politikern den Mut, offen auszusprechen, dass infolge der Digitalisierung „ganze Branchen und ganze Berufszweige verschwinden werden“. Und er plädierte dafür, sich mit den heute kaum noch nachvollziehbaren Argumenten zu beschäftigen, mit denen frühere umwälzende Technologien wie der Buchdruck und die Eisenbahn bekämpft wurden.

Ich möchte dazu beitragen, dass diese bemerkenswerte Rede möglichst große Verbreitung findet, und dokumentiere sie hier mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung von Wolfgang Blau:

Urheberrecht, Internet, Eisenbahn und Buchdruck

Worüber ich mit Ihnen heute reden will, ist etwas, das mir nun schon seit mehreren Jahren auffällt: Wie hitzig und geradezu verbittert der Streit um das Urheberrecht ausgetragen wird und wie oft es dabei gar nicht ums Urheberrecht geht, sondern um viel Grundlegenderes, um ein grundsätzliches Unbehagen gegenüber dem Netz und sogar um die Frage nach persönlicher Identität. Fragen wie: „Wer bin ich als Schriftsteller, wenn jeder sich als Autor bezeichnen und jeder publizieren kann?“ oder „wer sind wir eigentlich noch als Verleger und als Journalisten, wenn zum Beispiel soziale Netzwerke fast beiläufig — wie etwa in den ersten Fukushima-Nächten oder während der Frühphase der arabischen Revolutionen im letzten Jahr — genuin journalistische Funktionen übernehmen?“

Auch in den meisten meiner Diskussionen mit Befürwortern des Leistungsschutzrechtes geht es erstaunlich selten um das Urheberrecht und die angebliche Schutzlücke darin. Stattdessen höre ich regelmäßig Aussagen wie: „Ja, kann durchaus sein, dass uns ein Leistungsschutzrecht finanziell überhaupt nichts bringen wird oder sogar einen Imageschaden bei netzaffineren Lesern verursacht, aber man muss doch jetzt mal ein Zeichen setzen!“

Ein Zeichen wofür?

„Dafür“, so die stereotype Antwort, „dafür, dass wir uns nicht mehr länger von Google herumschubsen lassen und dass wir — als sonst konkurrierende Medienunternehmen — durchaus auch geschlossen und einig agieren können, wenn es darauf ankommt.“

Das Leistungsschutzrecht war eine Machtprobe für den Springer-Verlag, und Springer hat gewonnen.

Der Schaden ist vielfältig. Zum Beispiel wird nun kaum noch eine Debatte über die wirklich drängenden Fragen zum Urheberrecht möglich sein, bevor nicht die vielen offenen Fragen zu diesem neuen, diffusen Leistungsschutzrecht beantwortet sind.

Und verstehen Sie mich nicht falsch: Als jemand, der viele Jahre lang vom Silicon Valley aus und nun seit über vier Jahren als Chefredakteur von ZEIT ONLINE das Gebaren amerikanischer Unternehmen wie Google, Apple, Facebook und Amazon beobachtet hat, kann ich den Impuls der Verlage und vieler Redakteure, einmal ihre geschlossene Macht zu demonstrieren, gut verstehen.

Der Impuls war nur fehlgeleitet, die Kampagne hat kostbare Energien gebunden, das Leistungsschutzrecht lässt die Bundesregierung nun entweder als seltsam netzfremd oder als zynisch erscheinen und es stehen nun weitere monatelange Machtproben zwischen Google und den Verlagen bevor.

Die Verlage haben lediglich bewiesen, dass sie immer noch Macht ausüben können, auch über eine Bundesregierung. Geld werden sie von Google kaum bekommen. Google kann auch damit drohen, den Verlagen keinen Traffic mehr zuzuführen, was für einige, aber nicht alle Häuser fatale Folgen hätte. ZEIT ONLINE erzielt nur etwa 15 Prozent seiner Reichweite über Suchmaschinen.

Gegen das Anliegen der Verlage und vieler Redakteure, die Zeitungskrise nicht einfach nur passiv zu erleiden, sondern sich einem der großen Gewinner des Netzzeitalters einmal geeint entgegenzustellen, dagegen ist erst einmal nichts einzuwenden. Es ist ein sehr menschlicher Impuls und man sollte nie vergessen, dass in den Zeitungsverlagen viele Menschen arbeiten, denen daran liegt, mit ihrer Arbeit nicht nur ein Einkommen zu haben, sondern einen gesellschaftlich wertvollen Beitrag zu leisten, den sie nun bedroht sehen. Es hätte aber sehr geholfen, diese Motive und durchaus auch die eigene Verunsicherung durch den digitalen Wandel offenzulegen und zu thematisieren, statt die Debatte ums Leistungsschutzrecht auch noch damit zu überfrachten, dass die Zukunft der Demokratie von der Zukunft der Zeitungsverlage abhänge. Sie tut es nicht.

Und wo wir schon von fehlender Offenlegung sprechen, lassen Sie mich noch zwei, drei andere Aspekte der Urheberrechts-Debatte skizzieren, die von mehr Transparenz profitieren würden:

Erstens: Keine der im Bundestag vertretenen Parteien wird es wagen, noch vor der Bundestagswahl im nächsten Jahr das Urheberrecht oder gar die Netzpolitik zu einem zentralen Thema zu machen. Alle Parteien spüren die taktische Notwendigkeit, sich zumindest an ihrer Peripherie mit dem Thema zu beschäftigen, dies nicht nur, aber auch um den Piraten nicht das Feld zu überlassen.

In diesem Spannungsfeld zwischen sich nicht damit beschäftigen wollen und sich aber ein bisschen damit — und dann öffentlich — beschäftigen müssen wird die Urheberrechtsdebatte noch mindestens ein weiteres Jahr, also bis nach der nächsten Bundestagswahl halbgar vor sich hin köcheln.

Zweitens: Fast jeder Teilnehmer der Urheberrechts-Debatte ist Partei oder hat nicht deklarierte Eigeninteressen.

Vor allem wir Journalisten haben uns bisher nicht mit Ruhm bekleckert, wenn es darum ging, persönliche Interessen in unserer redaktionellen Arbeit offen zu legen. Statt ehrlich zu sagen: „Wir haben Angst um unsere Jobs, wir haben Angst um unsere gesellschaftliche Relevanz und unsere berufliche Zukunft“, haben viele von uns die Urheberrechts-Debatte zu einer Debatte über die Zukunft der Demokratie und gar der Kultur des Abendlandes hochstilisiert.

Begleiterscheinung dieser fehlenden Offenlegung ist auch, dass Zeitungsredaktionen das Internet nun viele Jahre lang tendenziell als ein eher bedrohliches Phänomen dargestellt haben, das Kriminalität befördert und den Niedergang kultureller Werte und des gesellschaftlichen Zusammenhaltes beschleunigt. Es sind dabei ganze Mythologien entstanden, wie etwa die, dass ein besonnener, nachhaltiger intellektueller Diskurs eher auf Papier als im Netz stattfinden könne. Prototypisch für die unverantwortliche Überhöhung der Urheberrechts-Debatte war auch ein Zeitungskommentar am Tag nach der Kabinettsentscheidung zum Leistungsschutzrecht, in dem zu lesen stand, dies sei ein guter Tag für die Freiheit gewesen, das Gesetz setze ein Zeichen gegen die Gratiskultur im Netz, um gleichzeitig aber zuzugeben, dass man noch gar nicht wissen könne, was diese Regelung einbringen werde.

Nur ein Symbol-Gesetz also?

Aber auch als Online-Redakteur bin ich der Debatte ums Urheberrecht und vor allem das Leistungsschutzrecht befangen. Um dies an einem Beispiel zu illustrieren: ZEIT ONLINE hat das Ziel, nicht um jeden Preis Deutschlands reichweitenstärkste Nachrichtensite, in jedem Fall aber Deutschlands anspruchsvollste Nachrichtensite zu sein und genau damit profitabel zu werden, also den Beweis anzutreten, dass man im Netz auch mit anspruchsvollen Inhalten und hochwertiger User-Interaktion und nicht nur mit klickoptimiertem Boulevard Geld verdienen kann. ZEIT ONLINEs Umsätze wachsen rasant, wir sind uns inzwischen sehr sicher, dass wir das Ziel der Profitabilität erreichen werden und eine gute Zukunft vor uns haben. Noch sind wir aber nicht profitabel.

In der Debatte um das Leistungsschutzrecht wurde nun aber von Seiten vieler Verleger und auch vieler Redakteure betont, man brauche das neue Gesetz vor allem deshalb, weil man mit Journalismus im Netz ja kein Geld verdienen könne. Gegenargumente, etwa Hinweise auf hochprofitable Nachrichten-Sites wie „Spiegel Online“ oder den österreichischen „Standard“ werden dabei bestenfalls als Ausnahmen von einer Regel gelten gelassen. Oft werde ich noch in Diskussionen darüber verwickelt, ob die Bilanzen dieser Unternehmen denn realistisch seien, was Unfug ist.

Sie sehen, selbst wenn ich als Bürger das Leistungsschutzrecht für sinnvoll gehalten hätte, wäre zumindest die Versuchung groß gewesen, es schon allein deshalb zu abzulehnen, weil im Lauf der Debatte darüber alte Argumentationsstränge von der angeblichen Aussichtslosigkeit des Online-Journalimus propagiert wurden, die meiner eigenen strategischen Agenda schaden könnten, etwa wenn ich das nächste Mal um zusätzliche Stellen für meine Redaktion kämpfe.

Dies nur als sehr persönliches Beispiel dafür, wie schnell sich in der Urheberrechts-Debatte persönliche und politische Agenda gegenseitig beeinflussen.

Mir wird gelegentlich auch vorgeworfen, dass ja über 40 Prozent der Leser von ZEIT ONLINE jünger seien als 29 Jahre und wir schon allein deshalb das Leistungsschutzrecht — etwa in den Texten Kai Biermanns — skeptisch behandeln würden. Dieser Vorwurf lässt mich aber ungerührt. Im Lauf eines Jahres stoßen wir jede nur denkbare Klientel mindestens einmal wissentlich oder unwissentlich vor den Kopf, so dass sich das nivellieren würde. Darüber hinaus ist mit Texten über das Urheberrecht oder gar das Leistungsschutzrecht nicht viel Reichweite zu machen, auch nicht bei sehr jungen Lesern. Das Thema ist immer noch viel zu speziell.

Nun habe ich über meine Befangenheit gesprochen, worin dürfte Ihre Befangenheit als Politikerinnen und Politiker bestehen?

Vielleicht tue ich Ihnen Unrecht, aber man wird zumindest den Eindruck nicht los, dass die arrivierten Politiker, diejenigen, die bereits über gute persönliche, oft ja freundschaftliche Netzwerke in die traditionellen Medien verfügen, am wenigsten geneigt sind, beim Thema Urheberrecht progressive Positionen zu vertreten. Es scheinen in allen großen Parteien besonders die Jungen und zusätzlich noch die von den traditionellen Medien weniger Beachteten zu sein, die sich beim Urheberrecht gegen die Interessen der Verlegerverbände stellen, also all die, die ohnehin wenig Journalistengunst zu verlieren haben oder die bereits gelernt haben, dass sie auch im Netz und ohne traditionelle Medien große Öffentlichkeit erreichen können.

Ein weiterer (dritter) Punkt scheint mir in einer transparenteren Debatte über das Urheberrecht am wichtigsten. Der Mut der Politik, das scheinbar immer noch Unaussprechliche endlich deutlicher auszusprechen: Dass infolge der Digitalisierung, dann der Vernetzung im Internet und nun auch noch der rapide voranschreitenden mobilen Vernetzung via Smartphone ganze Branchen und ganze Berufszweige verschwinden werden.

Auch das schärfste und rigideste Urheberrecht würde nicht verhindern können, dass die Verlagslandschaft in den nächsten Jahren weiter aus den Angeln gehoben wird. Wer glaubt, die letzten zehn Jahre seien transfomativ und herausfordernd gewesen, sollte sich darauf einstellen, dass mit der jetzt einsetzenden Nutzungsverlagerung ins mobile Netz noch viel dramatischere Entwicklungen, Umsatz- und Auflageneinbußen bevorstehen als in den letzten Jahren. Das Urheberrecht wird das nicht aufhalten können. Und: Würde Google nicht existieren, ginge es den Verlagen keinen Deut besser.


(Burgundischer Schreiber, Quelle)

Meine Damen und Herren, die Auswirkungen des Internet werden ja oft mit der Einführung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert verglichen. Man kann diesen Vergleich überstrapazieren. Geschichte wiederholt sich nicht. Man kann aber daraus lernen und ich glaube schon, dass uns der Blick auf frühere disruptive Erfindungen wie Buchdruck, Eisenbahn und Elektrizität helfen können, unseren heutigen, noch sehr zaudernden Umgang mit dem Internet besser einordnen, besser verstehen zu können.

Buchdruck, Eisenbahn und Elektrizität haben gemeinsam, dass ihre Einführung nicht nur das gesamte Wirtschaftsleben ihrer jeweiligen Zeit — quer durch alle Branchen — zur Neuorganisationen gezwungen hat, sondern dass sie auch eine Verschiebung kultureller Normen und Werte erzwungen haben. Am interessantesten sind dabei die alten, untergegangenen Sichtweisen und Denkarten, die wir uns heute im Rückblick am wenigsten vorstellen können. Der Versuch aber, sich in diese alten Sichtweisen noch einmal hineinzuversetzen, kann uns im eigenen Tagesgeschäft helfen, unsere eigenen Denkschranken und Scheuklappen — etwa im Umgang mit dem Urheberrecht — zumindest zu erahnen.

Beispiel Buchdruck: Für uns ist es heute leicht zu verstehen, weshalb die Einführung des Buchdruckes Voraussetzung für die wissenschaftlichen, künstlerischen, philosophischen Revolutionen der Renaissance war. In den Zeiten Gutenbergs aber galten gedruckte Bücher vor allem in der klerikal geprägten Bildungselite zunächst einmal als minderwertiger Schund und das aus plausiblen Gründen. Sie galten als Bedrohung und Gefahr für die Zukunft der Bildung und des Wissens. Handgeschriebene Bücher galten vielerorts als seriöser. Der dramatische Preisverfall, den gedruckte Bücher gegenüber handgeschriebenen Büchern darstellten, wurde eher als Bedrohung des damaligen wissenschaftlichen Betriebes angesehen, nicht als enorme Bereicherung.

Und tatsächlich haben sich ja viele damalige Ängste vor einer Überflutung der Menschen durch billige Traktate und gesellschaftszersetzende Schriften bewahrheitet: Der politische und theologische Diskurs, der zuerst in die Reformation und später in die Katastrophe des 30-jährigen Krieges mündete, wäre ohne den Buchdruck nicht in dieser Geschwindigkeit und geographischen Ausbreitung möglich gewesen. Die Ängste der damaligen Wissenselite waren also durchaus berechtigt, auch was die damalige — gefühlte — Überflutung durch gedruckte Schundliteratur, Pornographie und Pamphlete betrifft.

Trotzdem würden wir heute den Buchdruck so wenig missen wollen wie die Renaissance, die Reformation oder die Aufklärung, die durch den Buchdruck mit ermöglicht wurden. Die Historikerin Elisabeth Eisenstein beschreibt in ihrem Buch „The printing revolution in early modern Europe“ sehr anekdotenreich, wie der im späten 15. Jahrhundert bedrohte Berufsstand der Schreiber seine Existenz mit immer abstruseren Argumenten zu begründen und abzusichern versuchte und damit einige Zeit Gehör fand.

Der auch vom amerikanischen Medientheoretiker Clay Shirky oft zitierte Abt von Sponheim schrieb 1492 sogar ein Buch über den erhabenen und auch im Zeitalter des Buchdrucks immer noch edleren Beruf der Schreiber. Sein Buch mit dem Titel: „De Laude Scriptorum“ / „Zum Lob der Schreiber“ ließ er dann aber doch lieber kostengünstig drucken als es handschriftlich zu vervielfältigen.

Weder der Abt von Sponheim, noch Johannes Gutenberg konnten voraussehen, welche revolutionären Veränderungen der Buchdruck bewirken würde. Und selbst einer der ersten großen Nutznießer des Buchdruckes, Martin Luther, soll etwa im Jahr 1530 gesagt haben, die große Zahl an Büchern sei „ein großes Übel“. Das „allgemeine Schreibfieber“ kenne kein Halten mehr, jeder wolle nun ein Autor sein, manche aus „schierer Eitelkeit“, so Luther, andere um Ruhm zu ernten, wieder andere „nur des Geldes wegen“.

Gutenberg, Sponheim und Luther einte eine Sichtweise auf den Buchdruck, die von der Zeit der Schreiber geprägt war. Sie waren schlicht Kinder ihrer jeweiligen Zeit. Gutenberg teilt außerdem das Schicksal vieler großer Erfinder, die selbst nie erahnten, was sie da eigentlich erfunden hatten und welche Wirkung es entfalten würde.

Zweites Beispiel für die geradezu behindernde Hartnäckigkeit einmal erlernter Sichtweisen auf eine Technologie und für eine Werteverschiebung durch eine neue Technologie ist die Eisenbahn. Es ist heute noch gut nachvollziehbar, dass viele Menschen damals Angst vor Unfällen hatten. Schon früh wurden — im Rückblick ja sehr berechtigte — Ängste geäußert, dass Eisenbahn-Reisende schwere Unfälle erleiden könnten und dass Eisenbahnen zur schnelleren Verbreitung von Krankheiten, zu neuen Formen von Kriminalität oder auch zu neuartigen, noch schlimmeren Formen der Kriegsführung beitragen könnten. All diese Ängste haben sich ja bewahrheitet.

Die damals größten und damals populärsten Bedenken gegenüber der Eisenbahn waren jedoch ganz anderer Art und sind für uns heute am wenigsten nachvollziehbar: Die damals populärsten Bedenken galten der als dramatisch empfundenen, neuen Reisegeschwindigkeit, die die menschliche Wahrnehmungsfähigkeit übersteige. Das Bayerische Obermediziner-Kollegium schrieb 1838, die schnelle Bewegung müsse bei den Reisenden unfehlbar eine Gehirnkrankheit erzeugen, weshalb man die — erst drei Jahre zuvor eröffnete Strecke von Nürnberg nach Fürth — rasch mit einem Bretterzaun einfassen müsse, um die visuellen Reize für Fahrgäste zu minimieren.

Ähnlich äußerte sich Victor Hugo. Er klagte darüber, dass man aus Zügen — im Unterschied zu Kutschen — die Landschaft nicht mehr wirklich sehen könne. Zitat Hugo: „Alles wird Streifen. Die Getreidefelder werden zu langen gelben Strähnen“ und „die Bäume vermischen sich auf eine verrückte Weise mit dem Horizont“.

Ein sehr empfehlenswertes Buch dazu heißt: „Die Geschichte der Eisenbahnreise“ von Wolfgang Schivelbusch.

Es ist leicht für uns, diese Äußerungen aus früheren Jahrhunderten zu belächeln. Johannes Gutenberg, der Abt von Sponheim und Luther waren aber intelligente und für ihre Zeit jeweils gebildete Menschen, wie auch Victor Hugo oder die bayerischen Mediziner, die den Blick aus einem nur etwa 35 Stundenkilometer schnellen Zug von Nürnberg nach Fürth für hirnschädigend hielten.

Wenn das damals aber intelligente Menschen waren, denen mehre Jahre offenbar nicht genügten, um sich an eine neue disruptive Technologie zu gewöhnen, könnte es dann auch sein, dass unsere heutigen Debatten über angebliche Informationsüberflutung, Netzverdummung, Online-Isolation, Kostenloskultur, „Digitale Demenz“ oder gar digitalen Kulturverlust nur vergleichbare Übergangsphänomene sind?

Übergangsphänomene, die spätere Generationen im Rückblick auch — hoffentlich — gnädig betrachten mögen, während sie sich dann mit ganz anderen und viel erheblicheren positiven wie negativen Auswirkungen des Internet beschäftigen werden?

In jedem Fall sollten wir bei der Diskussion über eine Reform des Urheberrechts für das Netzzeitalter einkalkulieren, dass unser aller Blick — auch wenn Sie sich sogar für einen „digital native“ halten mögen — von einer ausklingenden Ära geprägt ist und dass deshalb — und nur deshalb und nicht etwa aus Gerechtigkeitsgründen — dass deshalb die großen Profiteure dieser ausklingenden Ära nicht Ihre primären Gesprächs- und Denkpartner sein sollten, wenn Sie sich auf die Suche nach einem Urheberrecht für die Zukunft machen.

Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen viel Erfolg.

68 Replies to “Wolfgang Blau: Auch das schärfste Urheberrecht würde den Verlagen nicht helfen”

  1. Hm, ist ja schön und gut, aber ich glaube das meiste davon wissen und akzeptieren die Verleger und Journalien mehr oder weniger. Daher fände ich es richtiger mehr die Machtstrategien und die so genannte Ordnung des Diskurses zu analysieren. Es geht ja nicht darum das Internet und den digiatlen Wandel zu verteufeln, sondern wer welche Interessen hat, wer die Produktionsmittel hat und behalten will. Da ist Google momentan schlauer als manche Verleger, aber da muss man eben auch Google kritisieren. Es ist gefährlich einen so universellen Knotenpunkt in der digitalen Landschaft sein zu wollen. Mehr Mannigfaltigkeiten zulassen und einüben, dass ist die Aufgabe der Zukunft.

  2. Den Hinweis auf Eigeninteressen in der Urheberrechtsdebatte, die auch den Interessierten selbst nicht in dem Maß bewusst sind, wie sie wirksam sind, finde ich sehr verdienstvoll. Und auch, dass er die Ängste und Warnungen der Menschen früherer Epochen nicht einfach dazu benutzt, heutige Fortschrittsskeptiker lächerlich zu machen, wie das zu Unrecht leider oft geschieht. Zu Unrecht, weil diese Ängste in vielen Fällen eben nicht lächerlich, sondern völlig verständlich und berechtigt waren, wie Blau ja auch sagt.

    In diesem Punkt finde ich die Argumentation aber auch inkonsequent. Erst sagt er, mitunter waren Sorgen berechtigt und haben Befürchtungen sich bewahrheitet, dann aber geht es in heutigen Debatten nur um „angebliche“ Probleme. Wo ist da die Einsicht geblieben, dass Sorgen angesichts „disruptiver“ (!) Technologien auch berechtigt sein können?

    Und was heißt in diesem Zusammenhang „Übergangsphänomene“? Natürlich werden kritische (und auch mal panische) Stimmen vor allem dann laut, wenn der Umbruch gerade stattfindet oder bevorsteht, und nicht, wenn er in der Vergangenheit liegt. Was ist denn damit gewonnen, zu sagen, dass diese Stimmen schon wieder verstummen werden? Bestimmt haben bei der Einführung des Automobils Leute vor Unfällen gewarnt. Heute wird das Auto als Technologie nicht mehr in Frage gestellt, während man sich daran gewöhnt hat, dass es Tausende Verkehrstote pro Jahr gibt. Und klar, genauso werden wir uns daran gewöhnen, dass z.B. einige Leute wegen Internetsucht (und ob das jetzt irgend eine klinische Definition von „Sucht“ erfüllt, ist mir relativ wurscht) ihr Leben vor die Wand fahren. Die Aufregung darüber wird sich als „Übergangsphänomen“ herausstellen. Ich finde diese Lesart irgendwie … unbefriedigend.

  3. Ein ausgesprochen informativer und klug abwägender Vortrag, den man nur weiterempfehlen kann. In einem Punkte sollte man Blaus Text ergänzen: Unter „Sponheim“ wird man nur über Umwege den Verteidiger der Manuskriptschreiber „De laude scriptorum manualium“ (sic!) wiederfinden. Leichter geht es unter „Johannes Trithemius“, der in seiner Karriere eben auch Abt von Sponheim gewesen ist. Was den heutigen Betrachter an Trithemius irritieren dürfte: 1. Er war ein klösterlicher Reformator und Befürworter strikter Regeln des mönchischen Tagesablaufs. Dafür haben ihm erboste Fratres einen Teil seiner sehr umfänglichen Bibliothek in Brand gesteckt. Tja, Holzmedium eben. 2. Er war hochgradig abergläubisch und hing der Weißen wie (angeblich auch) der Schwarzen Magie an. 3. Man muß sich Trithemius als skrupellosen Geschichtsfälscher vorstellen: Wenn er keine Quellen zur Verfügung hatte, dann fälschte er sich seine Unterlagen und erfand (von ihm angeblich entdeckte) ältere Geschichtswerke. Im übrigen hat er hierfür auch ebenso effizient die neuen Druckmedien zur Verbreitung seiner Ansichten eingesetzt.

  4. Vielleicht ist es nicht so gefährlich (für wen?), wenn dieser „Knotenpunkt“ sich in seiner Universalität auch versteht. Da ist Google weniger zu kritisieren, die Fallhöhe der Holzmedien übersteigt natürlich jene der jungen Digitalen in diesem gesellschaftlichen Irrtum. Und der Grund ist so frappierend blöd, das macht Wolfgang Blau schon deutlich. Buchdruck, Eisenbahn, Elektrizität. Unabhängigkeit, Flexibilität, Mobilität – alles zusammen auch durch die Erfindung des Handys (schaden diese Strahlen wirklich nicht?), Internets, der Demokratie vor 2000 und paar Jahren, und sicherlich waren die Religionen mal wirklich gut zu gebrauchen, um Zugang zu allem Möglichen zu erhalten.

    Das Problem heißt Fortschritt, muss man sagen. Es fehlt an gesellschaftlicher Sensibilität für das Neue. Nach jedem Hype sollte eine Phase der Implementierung neuer Kulturtechniken kultiviert werden. Die Geisteswissenschaftler haben die Zeit nach dem 2. Weltkrieg verschlafen, will man fast sagen. Probleme wie Rassismus sind kulturell lösbar, weil sie sich kulturell verbreiten etc….

  5. Danke für die Bereitstellung dieses informativen und erhellenden Vortrags. Die Lektüre sollte allen Bundestagsabgeordneten zur Pflicht gemacht werden, bevor sie über das Leistungsschutzrecht abstimmen.

  6. Ich finde es falsch und schlichtweg, in der gesamten Transformationsdebatte stets und ständig auf Google als Ersatzfeind herumzustechen. Googles Interessen sind klar und offensichtlich und man kann Google als Partner sehen oder an Google vorbeioperieren – das bleibt jedem Medienunternehmen (und auch jedem Nutzer) selbst überlassen. Mit Populismus allein wird man Google (wenn es denn so gefährlich ist, wie gern dargestellt wird) nicht beikommen. Man muss eben schlau sein, neue Wege gehen und darin gut sein bevor Google sie geht und u.U. noch besser ist.

    Leider hat Blau recht, wenn er sagt: Das Urheberrecht wird dank dem LSR wohl lange vertagt werden. Und das ist das eigentlich Dramatische. Wer bei Verlag vs. Google am längeren Hebel sitzt, dürfte klar sein. Ich finde die Debatte Autoren vs. Verlage sehr viel wichtiger (obwohl oder gerade weil ich „nur“ Konsument bin, also weder Autor noch Verleger o.ä.)…

  7. […] Wolfgang Blau: Auch das schärfste Urheberrecht würde den Verlagen nicht helfen Vor allem wir Journalisten haben uns bisher nicht mit Ruhm bekleckert, wenn es darum ging, persönliche Interessen in unserer redaktionellen Arbeit offen zu legen. Statt ehrlich zu sagen: »Wir haben Angst um unsere Jobs, wir haben Angst um unsere gesellschaftliche Relevanz und unsere berufliche Zukunft«, haben viele von uns die Urheberrechts-Debatte zu einer Debatte über die Zukunft der Demokratie und gar der Kultur des Abendlandes hochstilisiert. […]

  8. Schade, dass diese Rede erst nach dem Gesetzesbeschluss gehalten wurde. Sie gehört definitiv in die Print-Ausgabe der Zeit!

  9. Grad dieses schöne Zitat aus einer Sci-Fi-Kurzgeschichte aus dem Jahre 1939 gefunden:

    „Bei bestimmten Gruppen in diesem Land hat sich die Vorstellung entwickelt, wenn ein Mann oder eine Firma für eine Reihe von Jahren Gewinn aus einem Geschäftsbetrieb gezogen habe, hätten die Regierung und die Gerichte die Pflicht, einen solchen Gewinn für die Zukunft zu garantieren, auch wenn sich die Umstände und das öffentliche Interesse ändern. Diese merkwürdige Doktrin wird weder vom geschriebenen noch vom überlieferten Recht gestützt. Weder Einzelpersonen noch Gesellschaften steht das Recht zu, vor Gericht zu gehen und zu verlangen, dass die Uhr der Geschichte zu ihrem privaten Nutzen angehalten oder zurückgestellt werde.“
    (Robert A. Heinlein, Life-Line, 1939)

    Auch der Kontext der im Jahr 1951 spielenden Geschichte hat viele Parallelen zum Thema Leistungsschutzgesetz:
    Ein Wissenschaftler entwickelt eine Methode, mit Hilfe elektronischer Messungen den genauen Todeszeitpunkt einer Person zu bestimmen. Von der wissenschaftlichen Elite wird er als Scharlatan und Betrüger verspottet und aus dem elitären Zirkel hinausgeworfen. Im Rahmen einer privaten Vorführung vor einer Gruppe Journalisten (!), sagt er den Todeszeitpunkt eines der Journalisten richtig voraus. Über die Presse wird die Funktionstüchtigkeit des Gerätes der Bevölkerung bekannt gemacht und von dieser in der Folge genutzt. Versicherungen und Banken versuchen daraufhin die Vorhersagen verbieten zu lassen, da sie immer weniger Geld verdienen – die Vorhersagen haben natürlich einen starken Einfluss auf die zukünftigen Investionen eines jeden, der seinen Todeszeitpunkt kennt. Vor Gericht macht der Richter dann die oben erwähnte Bemerkung und die Finanzindustrie erkennt, dass sie juristisch nicht gegen den Wissenschaftler vorgehen können. Es wird schließlich eine Person beauftragt, die das Gerät zerstört und den Wissenschaftler umbringt – die Geschäftsgrundlage ist somit gesichert.

  10. Diese Rede ist so herausragend, so anders als viele andere „Kampfreden“, dass sie mich glatt motiviert, DIE ZEIT zu abonnieren. :-)

    Schön wäre, es gäbe da ein preiswertes (!) „Förder-Abo“, wo man einfach nur zahlt (damit es DIE ZEIT in all ihren Erscheinungsformen weiterhin gibt) – und nicht Berge von Papier annehmen oder sich mit „Apps“ beschäftigen muss.

  11. @ClaudiaBerlin Sie könnten enttäuscht sein. Der Blau schreibt für das Digital-Department der Zeit, das weitaus weniger stark mit den Printkollegen verwoben ist wie bei anderen Zeitungen. Und in der guten alten Print-Zeit tummeln sich viele Internetskeptiker und Kulturpessimisten, die regelmäßig vor dem Ende der Welt aufgrund des Interwebs warnen (Frau Gaschke, Herr Wefing, ich grüße sie!).

  12. Danke für den Hinweis auf diesen Vortrag!

    Ein kommendes, beinahe unlösbares Problem in der weiteren Urheber-Diskussion, wird nach meiner Einschätzung zumindest, noch einmal der schwierige Nachweis des Urheberrechts für den „eigentlichen“ Urheber eines „Werkes“ sein.

    „Wer in grauer Vorzeit am Lagerfeuer die besten Geschichten erzählte war, wie anzunehmen ist, meist beliebt und geachtet. Egal, ob er mündlich überlieferte Legenden, Märchen oder selbst Erlebtes erzählte. Wer eine Geschichte an seinem Feuer als Erster erzählte, war derjenige, der sie in die Welt der Zuhörer brachte und somit war er auch der eigentliche Urheber.“

    Weitere Gedanken dazu:
    http://www.freitag.de/autoren/meyko/urheber-am-lagerfeuer

  13. Links anne Ruhr (16.09.2012)…

    Dortmund/Hamm: NRW: Führer der verbotenen Kameradschaften Dortmund/Hamm gründen Landesverband “Die Rechte” (Ruhrbarone) – Castrop-Rauxel: 13 080 Bürger für Fridtjof-Nansen-Realschule beim Bürgerbegehren zum Er…

  14. Es ist ein sehr menschlicher Impuls und man sollte nie vergessen, dass in den Zeitungsverlagen viele Menschen arbeiten, denen daran liegt, mit ihrer Arbeit nicht nur ein Einkommen zu haben, sondern einen gesellschaftlich wertvollen Beitrag zu leisten, den sie nun bedroht sehen.

    Bedroht wodurch? Durch kostenlosen Traffic, den Google denen vorbeischickt?

    @3, Sebastian

    Wo ist da die Einsicht geblieben, dass Sorgen angesichts »disruptiver« (!) Technologien auch berechtigt sein können?

    Die wird von der Einsicht überlagert, dass diese a) eh nicht aufzuhalten sind, und b) die positiven die negativen Effekte überwiegen (ich bspw. fahre trotz Ressourcenproblematik lieber Auto als Kutsche).

  15. @3 Sebastian:

    „Erst sagt er, mitunter waren Sorgen berechtigt und haben Befürchtungen sich bewahrheitet, dann aber geht es in heutigen Debatten nur um »angebliche« Probleme. Wo ist da die Einsicht geblieben, dass Sorgen angesichts »disruptiver« (!) Technologien auch berechtigt sein können?“

    Hier:

    „Ein weiterer (dritter) Punkt scheint mir in einer transparenteren Debatte über das Urheberrecht am wichtigsten. Der Mut der Politik, das scheinbar immer noch Unaussprechliche endlich deutlicher auszusprechen: Dass infolge der Digitalisierung, dann der Vernetzung im Internet und nun auch noch der rapide voranschreitenden mobilen Vernetzung via Smartphone ganze Branchen und ganze Berufszweige verschwinden werden.

    […] Wer glaubt, die letzten zehn Jahre seien transfomativ und herausfordernd gewesen, sollte sich darauf einstellen, dass mit der jetzt einsetzenden Nutzungsverlagerung ins mobile Netz noch viel dramatischere Entwicklungen, Umsatz– und Auflageneinbußen bevorstehen als in den letzten Jahren.“

  16. Gibt es denn für diese Berufe keine Möglichkeiten sich das Internet zunutze zu machen? Ganz nach dem Motto lerne von deinen Feinden, um zu siegen.

  17. @20. Natürlich gibt es die zuhauf, aber es braucht auch Willen zur Entwicklung.

    Meine These: Die fähigen Onliner in den Verlagen tun das auch (sie sehen es als Chance und nicht als feindliche Bedrohung) – aber eben nur begrenzt auf ihren Einflussbereich.

    Man darf nicht vergessen, dass der Einfluss der „Onliner“ in den großen klassischen Medienunternehmen vergleichsweise gering ist. Die Digital-Medienmanager (oder -unternehmer) von morgen wachsen ja gerade erst heran, sind heute maximal in den 30ern und in der Unterzahl mit geringem internen Gewicht. Die Mehrzahl der innovativen und grenzüberschreitenden Macher sitzt vermutlich auch nicht (mehr) in den großen Verlagen.

  18. Der ewige Kampf zwischen Bewahrern und Erneuerern findet eben auch im Ringen um die Nutzung des Internets statt. Eine differenzierte Betrachtung dessen, um was es eigentlich geht, wird von den einzelnen Seiten zur Wahrung der eigenen Interessen vermieden. Das zeigt die Rede des Herrn Blau deutlich auf. Und auch wie nötig es ist, dass es Menschen gibt, die sich nicht einfach auf die eine oder andere Seite schlagen, sondern sich eine kritische, aber dennoch offene und zukunftsorientierte Haltung gönnen.

    Und gönnen ist hier auch genau der richtige Begriff , denn einfacher hat man es dadurch nicht, so zwischen den Stühlen.

    In diesem Sinne: Danke Herr Niggemeier für die Veröffentlichung dieser Rede und auch für den Artikel zu Frau Wulffs Offensive, denn auch hier offenbaren sich bei genauerem Hinsehen kritische Aspekte, die durchaus gesellschaftsrelevant sind, aber durch pauschale Betrachtungsweisen einfach unter den Tisch fallen – gleichgültig, ob Frau Wulff nun gerade ein PR-Strategie abarbeitet oder nicht.

  19. Großartiger Beitrag zur Debatte. Vor allem den einen Punkt, den ich bisher noch nie gehört habe, und über den ich selbst auch nie nachgedacht habe, wenn Vergleiche mit bisherigen Skeptiker-Debatten (Buchdruck, Eisenbahn, Straßenbeleuchtung, …) gezogen wurden: Die Skeptiker haben recht gehabt! Die Skeptiker haben viele, wenn nicht gar alle negativen Effekte vorhergesagt — Tumulte, Pamphlete, Pornographie, Kriminalität, Epidemien, Unfälle, Kriege. Und dennoch — haben, rückblickend, die positiven Aspekte auf eine Weise überwogen, wie es selbst die Erfinder und Vordenker nicht zu träumen gewagt hätten.

    Und das macht mir in den aktuellen Debatten Mut. Dass Ängste nicht unbegründet, Skeptiker keine Spinner sein müssen, im Detail recht haben können, um im Großen, Ganzen doch auf der falschen Seite zu stehen.

  20. Das Leistungsschutzrecht ist sicher eine Totgeburt, wie die ähnlich geartete Auseinandersetzung der belgischen Copiepresse mit Google gezeigt hat. Am Ende haben die in der Copiepresse organisierten Zeitungsverleger vor der Macht des Faktischen kapituliert, obwohl sie juristisch auf ganzer Linie gewonnen hatten – ein Pyrrhussieg, wie sich herausstellte.

    Ich denke, dass das grundsätzliche Problem des Urheberrechts (und des verwandten Copyrights) die Kopplung von Leistungserbringung und Kopie ist. Diese Kopplung ist ironischerweise ein Kind des Buchdruck-Zeitalters. Davor war jede Kopie eines Werkes ein immenser Aufwand, das Abschreiben eines Buches genauso wie das Kopieren eines Gemäldes, das Nachspielen eines Musikstückes oder das Nachhauen einer Statue. Zunächst der Buchdruck, in seiner Folge der Kupferstich, später Fotografie, mechanisches Klavier, Film und Tonfilm erlaubten zum ersten Mal Kopien, die a) vom Kopisten nicht die gleichen Fähigkeiten wie vom Autoren verlangten und b) für eine echte Vervielfältigung geeignet waren. Zum ersten Mal konnte der Herstellungspreis für eine Kopie deutlich unter die Kosten für das Original gedrückt werden, aber nur unter einer Voraussetzung: Es mussten möglichst viele Kopien hergestellt und verkauft werden. Denn sowohl die Maschinen, die man für die Kopie brauchte als auch das Schaffen der Urkopie (des Buchsatzes, der Druckplatte, des Filmmaterials..) waren teuer, und nur, weil man deren Kosten anschließend auf viele Kopien aufteilen konnte, war der Aufwand gerechtfertigt. Es dauerte übrigens 250 Jahre, bis sich zu der Überzeugung, dass das Schaffen der Urkopie eine geldwerte Leistung sei, die zu schützen wäre, auch die Überzeugung gesellte, dass der Autor des Originals ebenfalls eine geldwerte Leistung erbrachte. Deswegen beschloss das Statute of Anne von 1710, den Autoren an jeder Kopie zu beteiligen. Für die Zeit des Buchdruckes war das eine einleuchtende Idee, der gesamte Gewinn wurde schließlich durch den Verkauf von Kopien erzielt.

    Die Investitionen, die für Kopien notwendig sind, waren so hoch, dass das Risiko, die Investitionen durch einen Urheberrechtsprozess zu verlieren, abschreckend genug war, um die Zahl der nicht genehmigten Kopien in erträglichem Rahmen zu halten. Gleichzeitig war durch die Notwendigkeit, jedes Mal viele Kopien zu fertigen und diese zu verkaufen, die Gefahr sehr hoch, dass man entdeckt wurde. Das machte das Copyright (und später das Urheberrecht) ab 1710 auch so wirksam.

    Aber genau diese beiden Aspekte gibt es nicht mehr. Die Kosten für das Anfertigen einer Urkopie sind nahe null, Scannen und Rippen kein Problem, die Kosten für die notwendige Maschinerie sind auf Weihnachtsgeschenkniveau. Inzwischen lohnt sich das Anfertigen einer einzigen Kopie für den Eigengebrauch, ein öffentlicher Vertrieb der Kopien ist nicht mehr nötig. Die meisten der berüchtigten Raubkopieseiten führen gar keine Kopien selbst durch, sie sind im Grunde lediglich Vermittler zwischen dem, der eine Urkopie besitzt und dem, der davon eine weitere Kopie erstellen will. Mit einem Schlag wird die Stärke des Urheberrechts, dort anzusetzen, wo der Gewinn erzielt wird, zu seiner Schwäche: Mit dem Erstellen von Kopien wird kein Gewinn mehr erzielt. Kopien sind für jedermann beliebig billig.

    Die Zeit, wo eine überschaubare Anzahl von Autoren, unterstützt von einer überschaubaren Anzahl von lizensierten Vervielfältigern und deren Rechtsvertreter einer überschaubaren Anzahl von Herstellern nicht genehmigter Kopien gegenüberstand, die wiederum ein Vermögen verlieren konnten, sollten sie erfolgreich verklagt werden, sind Geschichte. Die Versuche, einzelne Privatkopierer exemplarisch für alle anderen zu gigantischen Schadensersatzsummen zu verurteilen wie in den Fällen Tenenbaum und Thomas-Rasset, hinterlassen weniger abschreckende Wirkung als vielmehr ein Gefühl der völligen Maßlosigkeit und Ungerechtigkeit, weil zwei einzelne Personen stellvertretend für hundert Millionen anderer für den angeblich oder tatsächlich angerichteten Schaden aufkommen sollen. Schließlich war der Gewinn der beiden verschwindend gering.

  21. Ich bin auch gegen das Leistungsschutzrecht, habe mit dieser Rede aber das gleiche Verständnisproblem wie Sebastian (s.o.). Wenn ich Herrn Blau richtig verstehe, zeigt er durchaus eindrucksvoll auf, wie bei früheren Umwälzungen dieser Art viele Warnungen sich später als berechtigt erwiesen haben. Entsprechend musste man angesichts der „Überflutung der Menschen durch billige Traktate und gesellschaftszersetzende Schriften“ neue Regeln schaffen: Erst Zensur, später Pressekodex, Jugendschutz, Persönlichkeitsrecht, Urheberrecht etc. Und weil das bei der Einführung des Buchdrucks so war, brauchen wir es für das Internet heute nicht? Hä?

  22. Der letzte – sehr lange Satz – ist hervorragend. Wie kann man nur solch eine Formulierung finden, wie kann man so eine gute Rede schreiben?
    Sich in der Geschichte positioniert sehen, zu merken, welche Denkschablonen uns befangen machen, das ist in meinen Augen der Schlüssel, die ganze Diskussion auf ein wesentlich höheres Niveau zu bringen. So verschwinden dann Argumente aus Schutz und Angst, aus Kalkül und Geschäft, und es wird sachlicher.
    Krass guter Hinweis. Ich hoffe, sein Ratschlag hat auf der Tagung Früchte getragen und die Teilnehmer konnten sich aus der Wolle ihrer Zeit befreien.
    War jemand dort? Und kann’s mir sagen?

  23. @anderer Gregor(#25) Blunt(#29):
    Ich hab mir gleich neue Scheuklappen gekauft, damit ich weiter ganz beruhigt Zug fahren kann. Und gleich noch eine Jahreskarte mit reserviertem Gangplatz obendrauf. Auto fahren geht ja leider nicht mehr, da prasselt diese unglaublich hohe Geschwindigkeit ja ungebremst auf das Gehirn ein, weil man ja schauen muss wo man hinfährt. Ein Glück, dass ich die absolut begründete Angst vor der Hirnschädigung bei hohen Geschwindigkeiten noch rechtzeitig gelesen habe, bevor ich komplett verblödet bin.

    Entsprechend musste man angesichts der »Überflutung der Menschen durch billige Traktate und gesellschaftszersetzende Schriften« neue Regeln schaffen: Erst Zensur, später Pressekodex, Jugendschutz, Persönlichkeitsrecht, Urheberrecht etc. Und weil das bei der Einführung des Buchdrucks so war, brauchen wir es für das Internet heute nicht? Hä?

    Und weil die Ärzte damals so richtig gelegen haben, brauchen wir jetzt auch sicher ein LSR, oder wie soll man den Ruf nach „etc.“ verstehen (obwohl Sie nach eigener Ausage ja gegen ein LSR sind). Was sonst? Denn „Pressekodex, Jugendschutz, Persönlichkeitsrecht, Urheberrecht“ gibt’s ja auch für’s Internet. Nichts gegen neue Regelungen so sie denn notwendig sind, aber ich hätte lieber vernünftige Regeln, die für die Allgemeinheit Nutzen bringen, als Lobbyistengesetze für den Geldbeutel einer kleinen Gruppe.

  24. @alter Jakob #32:
    Um es nochmal weniger sarkastisch, dafür aber deutlicher zum Ausdruck zu bringen: Es waren bei neuen Erfindungen beileibe nicht alle Befürchtungen begründet und nicht alle begründeten Ängste sind wahr geworden. Die Ängste, die die Verleger artikulieren, sind aber keine, die das Internet an sich betreffen, sondern zielen lediglich auf deren eigene anstrengungslose Existenzerhaltung. Und eine darauf aufbauende neue Regelung will ich lieber nicht haben.

    Was die Argumentation generell betrifft, dass damals viele Befürchtungen wahr geworden sind: Welche Befürchutungen werden denn von den Verlegern artikuliert, die einerseits wahr werden könnten, sich aber andererseits nicht um deren eigene Interessen drehen (die also für die Allgemeinheit problematisch werden könnten)? Und sind das nicht Diskussionen, die schon seit Einführung des Internets geführt wird? Insofern kann ich mit diesem Argument in Bezug auf das LSR relativ wenig anfangen.

  25. Herr Blau hat vielleicht in seiner Rede keine völlig neuen, revolutionären Gedankengänge geäußert, aber ich finde sie dennoch informativ und beachtenswert, gerade weil sie so wunderbar sachlich und trotzdem anschaulich ist und vor Augen führt, in welcher Situation wir uns gerade befinden, was die Informationsbeschaffung und -verteilung angeht – ob als Konsument oder Produzent oder als irgendein Bindeglied dazwischen.

  26. […] Wolfgang Blau: Auch das schärfste Urheberrecht würde den Verlagen nicht helfen « Ste…»In jedem Fall sollten wir bei der Diskussion über eine Reform des Urheberrechts für das Netzzeitalter einkalkulieren, dass unser aller Blick — auch wenn Sie sich sogar für einen »digital native« halten mögen — von einer ausklingenden Ära geprägt ist und dass deshalb — und nur deshalb und nicht etwa aus Gerechtigkeitsgründen — dass deshalb die großen Profiteure dieser ausklingenden Ära nicht Ihre primären Gesprächs– und Denkpartner sein sollten, wenn Sie sich auf die Suche nach einem Urheberrecht für die Zukunft machen.« […]

  27. […] Alte Netzwerker lieben geschlossene Silos, die ihnen die volle Kontrolle über ihre Machtkonglomerate geben. Ein Gedanke, der wohl auch beim Leistungsschutzrecht zur wichtigsten Antriebsfeder zählt. Die Sehnsucht der Verleger nach den guten alten Zeiten der überschaubaren Medienwelt ist wohl der gemeinsame Nenner einer fast einheitlichen Agitation zur Rettung von liebgewonnenen Pfründen. Das hat Zeit-Online-Chefredakteur Wolfgang Blau in seiner fulminanten Rede bei einer Urheberrechts-Fachtagung von Bündnis 90/Die Grünen zum Ausdruck gebracht (nachzulesen bei Stefan Niggemeier). […]

  28. Davon abgesehen, dass mir spontan kein Journalist einfällt, von dem ich glauben würde, dass er „mit [seiner] Arbeit nicht nur ein Einkommen haben, sondern einen gesellschaftlich wertvollen Beitrag leisten“ will (außer in mir zu pastoraler Form Heribert Prantl), finde ich diese kleine Abhandlung doch sehr interessant.

    ich dachte, „Geschichte“ sei gar nicht mehr aktuell im öffentlichen Diskurs und den sogn. Medien (außer in so Pleasentville-Manier). Das ist doch inzwischen eher abfällig wie „was mit Medien“ oder irgend ein beliebiger, Ingenieurgrad-loser Geists/Sozialwissenschaftsstudiengang.

    Insofern schön, dass hier mal jemand „vorlegt“. Auch die letztliche Emfpehlung, sich weniger an denen zu orientieren, deren Schiff unleugbar sinken wird und die mit diesem Schiff aber ganz einfach mituntergehen wollen (gute Kapitäne in diesem Sinne!), sondern viel mehr an denen, die es „aufs Land“ geschafft haben, finde ich doch erstaunlich, so als Empfehlung; für einen Journalisten.

    Wobei ich dann doch hinzufügen muss: bisher habe ich das Verhältnis Politiker-Journalist eher andersrum verstanden, nämlich das Journalisten von der Gunst der Politiker abhängig sind („Freundschaftsnetzwerke“ machen es möglich). Anders kann ich mir die „Hofberichterstattung“ (auch auf ZEIT Online) nicht erklären. Im Sinne der Aufklärung kann es ja die Faulheit nicht sein – geschrieben wird ja am Stück – und also muss es am Mut, d.h. an der Feigheit liegen. Worauf ja auch im Text angespielt wird, wenn gesagt wird, es wurde zu lange verschwiegen, worum es den Journalisten und Autoren geht (der Job), stattdessen wurde der neuerliche Untergang des Abendlandes unter Zuhilfenahme eines universellen Schmarotzertums-Vorwurfs herauf zu beschwören versucht.
    (Mit teilweise ganz geschmacklosen Anleihen bei ehemals wirklich brisanten Kämpfen, aka „mein Kopf gehört mir“. Das war..naja, ich sag es nicht deutlicher!)

    Aber im Verhältnis zu dem, was man sonst so von Journalisten vernehmen kann: Hut ab!

    Wenn sowas allgemein im Denken der Schreiberzunft geteilt würde, wäre das wohl sehr angenehm und vielleicht könnte das wirklich was beitragen, auch zur QUALITÄT des Web.
    Allein dafür fehlt mir doch der Glaube, denn schon diesen Veränderungswillen sehe ich doch nur mal am Rand irgendwo stiefmütterlich dahinvegetieren (Idalismus und Vision passt einfach so gar nicht in die heutige, totalindividualisierte, durchkonkurrierte, IchAGsierte „Hochmoderne“)! Und mein Geschichssinn sagt mir auch: die Erfindung des Rades lässt sich so wenig rückgängig machen wie die Tatsache, dass es immer weiter rollt, stetig nachgebaut und verbessert wird.
    Weil auch doch irgendwie die Gunst der Leser langfristig eher verspielt wurde.

    Da macht mans wie Nietzsche: wo man nicht mehr lieben kann, da geht man vorrüber. Wenn der Verschmähte dann zu später Stunde irgendwie einsichtig wird: nun, was interessierts mich noch? Ich bin schon ganz woanders. Hier wäre nur zu sagen: ein Verhängnis der Geschichte, denn vor dreißig Jahren hätte die Debatte desselben Problems (Urheberrecht) kaum zu so etwas führen können (gab keine Alternativen).

    Das Ende vom Lied? Hochmut kam vor dem Fall. Viel Spaß beim Landen

  29. […] Wolfgang Blau: Auch das schärfste Urheberrecht würde den Verlagen nicht helfen: Wolfgang Blau ist Chefredakteur von Zeit Online, die sich nicht in die Riege der LSR-Befürworter einreihen – und ganz nebenbei fantastischen Journalismus online machen. Stefan Niggemeier hat diese Rede aufgeschrieben, die er bei einem Kongress der Grünen gehalten hat. […]

  30. […] Wolfgang Blau, Chefredakteur von ZEIT online, hat ebenfalls eine bemerkenswerte Rede gehalten. Im Kern geht es um das viel diskutierte und heftig umstrittene Leistungsschutzrecht für Verlage, gleichzeitig machte sich Blau aber auch viele kluge Gedanken über die künftige Medienwelt. Die vollständige Rede mit Video ist bei Stefan Niggemeier dokumentiert. […]

  31. Es gibt auch hier wieder ein Missverständnis. Die Front verläuft nicht zwischen Internet und Print, sondern Profi und Amateuren.
    Wobei mit Profi all jene gemeint sind, die von ihrer Arbeit leben können und müssen, sei sie journalistisch oder künstlerisch. Und jenen, die es nicht können oder müssen. Egal, ob nun im Internet, Print, in der Musikbranche oder beim Film. Mit Profis sind also auch all jene gemeint, die durch Online-Newsseiten, Blogs usw. sich finanzieren können.
    Und solange es noch kein etabliertes System gibt, wie nicht nur ein paar wenige Marktführer existieren können, sondern eine breite Masse an Profi-Angeboten entstehen und bestehen kann, solange wird es diesen Konflikt geben.
    Deswegen führt auch Blaus Vergleich mit dem Buchdruck oder etwa der Eisenbahn in die Irre. Für beide gab es ein Geschäftsmodell, (wobei viele Flugblätter/Zeitungen auch von reichen Mäzenen herausgegeben wurden, was auch kein Vorbild ist). Für Online-Journalismus gibt es diese Geschäftsmodelle nur begrenzt, die Anzeigenerlöse sind deutlich geringer als in Print, Spendenkonzepte oder Stiftungskonstruktionen nur exotische, wenig erfolgreiche Erscheinungen. Das kann sich ändern. Aber solange werden Profis um ihren bezahlten Job fürchten, sich jeden Tag Vollzeit mit Recherche, Analyse, Kommentierung und Produktion beschäftigen zu können. (Und bitte nicht jetzt kommentieren, dass sie das teilweise schlecht machen, jaja, das stimmt zum Teil, aber das ist eine andere Debatte)

  32. […] Wolfgang Blau: Auch das schärfste Urheberrecht würde den Verlagen nicht helfen »Das Leistungsschutzrecht war eine Machtprobe für den Springer-Verlag, und Springer hat gewonnen.« So hat es Wolfgang Blau, der Chefredakteur von »Zeit Online«, in einer Keynote formuliert, die er am 31. August bei einer Urheberrechts-Fachtagung von Bündnis 90/Die Grünen hielt. Er erläuterte, warum das geplante Gesetz nicht nur nicht hilfreich, sondern schädlich ist. Er forderte von Politikern den Mut, offen auszusprechen, dass infolge der Digitalisierung »ganze Branchen und ganze Berufszweige verschwinden werden«. Und er plädierte dafür, sich mit den heute kaum noch nachvollziehbaren Argumenten zu beschäftigen, mit denen frühere umwälzende Technologien wie der Buchdruck und die Eisenbahn bekämpft wurden. […]

  33. Ende der 1920er hat man festgestellt, welches Machtmittel die Printmedien darstellen und sie entsprechend für die Manipulation der Massen genutzt.
    Mit dem Internet geht diese Macht verloren, da ein freier Informationsfluss Manipulationen sehr erschwert, oder gar unmöglich macht.
    Es geht nur um Macht, nicht um Urheberrechte!

  34. […] Die Struktur und Logik des Social Webs erschwert die Arbeit der liebwertesten Elite-Gichtlinge in Politik, Wirtschaft und Medien. Offene, freie und anarchische Systeme sind Gift für die Controlling-Freaks. Das mussten auch Steve Case und Gerald Levin schmerzlich erfahren. Case war Präsident und Vorstandschef von AOL. Levin leitete den Medienkonzern Time Warner. Sie lernten sich im Weißen Haus kennen bei der Vorführung der Komödie „em@il für Dich“ – einem Film von Warner Bros. mit Schleichwerbung für AOL. Beim Zusammentreffen waren sie von der Vision elektrisiert, mit einer Allianz ihrer scheinbar unversöhnlichen Unternehmen eine perfekte neue Welt erschaffen zu können. „AOL Time Warner kamen mit einer Riesengeschwindigkeit um die Ecke und rasten direkt in eine Mauer, die sie noch nicht einmal gesehen hatten. Bald wurde dieser Name zu einem Synonym für ‚Debakel‘“, so Tim Wu in seinem sehr lesenswerten Buch „Master Switch“, in deutscher Übersetzung in diesem Jahr im mitp-Verlag erschienen. Der Aktienkurs rauschte in den Keller und innerhalb kürzester Zeit wurde Case aus dem Unternehmen gedrängt. Levin ging in den Ruhestand und widmet sich heute als Leiter des Moonbeam-Sanatoriums in Südkalifornien der spirituellen Erbauung von gestressten Manager-Seelen. Beide waren von der Hybris des allumfassenden Informationsimperiums getrieben, die Levin später als eine Form von Geisteskrankheit verbunden mit dem suchtartigen Streben nach nie endendem Wachstum bezeichnete. „Konnte das mit AOL und Time Warner denn überhaupt funktionieren? Das Unternehmen hätte letztlich den Charakter des Internets verändern und das Netz in eines verwandeln müssen, in dem ‚fremde‘ Inhalte – also alle, außer denen von Time Warner – geblockt oder nachrangig behandelt werden können“, so Wu. Alternativ hätte das Fusionsmonster auch versuchen können, die Kontrolle über die Öffner des Netzes zu übernehmen, vor allem über die Suchmaschinen, die den Nutzern das gaben, was sie wollten. Um lebensfähig zu sein, hätte AOL Time Warner die Prinzipien der Netzneutralität umstoßen müssen. Alte Netzwerker lieben geschlossene Silos, die ihnen die volle Kontrolle über ihre Machtkonglomerate geben. Ein Gedanke, der wohl auch beim Leistungsschutzrecht zur wichtigsten Antriebsfeder zählt. Die Sehnsucht der Verleger nach den guten alten Zeiten der überschaubaren Medienwelt ist wohl der gemeinsame Nenner einer fast einheitlichen Agitation zur Rettung von lieb gewonnenen Pfründen. Das hat „Zeit-Online“-Chefredakteur Wolfgang Blau in seiner fulminanten Rede bei einer Urheberre…: […]

  35. […] spricht bei einer Urheberrechts-Fachtagung von Bündnis 90/Die Grünen. Ein Transkript gibt es beim Herrn Niggemeier Tags: Leistungsschutzrecht, Politik, Stefan Niggemeier, Urheberrecht, Wolfgang Blau Kommentar […]

  36. Ich glaube, dass Herr Blau nicht weit genug denkt. Die Online-„Erfolge“ von Spiegel und Co sind durch die hohen Gewinne im Printbereich vorfinanziert worden. Durch ihre Verankerung als ehemalige Leitmedien führen sie zu Traffic, den neue Webseiten nicht haben können. Das ist ein Wettbewerbsvorteil. Betrachtete man aber Seiten wie Spiegel.de oder zeit.de dann fällt auf, dass ihre Schreibakivitäten zunehmend im digitalen Schlamm versacken. Was will ich damit sagen?
    Früher gab es eine Zeitschrift pro Woche, wer viel Zeit hatte, der holte sich vielleicht zwei. Heute schreibt jede Online-Seite täglich, stündlich neu und die Seiten stehen noch im Wettbewerb zu anderen Seiten. Dadurch ist der Stellenwert viel geringer und der eine Klick, der weiter führt, viel schneller. Die Leute lesen ja nicht mehr und mehr sondern eher weniger. Sushi und digitale Appetizer werden gelebt.
    Historisch betrachtet sind spiegel.de und zeit.de etc. nur vorbeiziehende Versuche, etwas Neues aufzuhalten, das viel mehr verändern wird. Denn die Frage des Urheberrechts ist weniger eine Frage von Schriftstellern und Kreativen als eine klassische MAchtfrage. Denn Urheber, Patente, Marken, immaterielle Wirtschaftsgüter machen die Macht des 21. Jhrdts. neben der Natur mit aus (siehe Samsung und Apple). Hier höre ich einfach auf, da dies als Kommentar zu lang wird.

  37. Danke – danke für diese Veröffentlichung .
    Wir können gut erkennen, dass die Veränderung des Standpunktes uns zu neuen Sichtweisen verhelfen kann. Das Gute hieran ist eben, der betrachtete Gegenstand verändert sich nicht, sondern nur unserer Blick darauf. Gleichzeitig können wir mehr sehen und wir können alles auch mit einer veränderten Perspektive oder mit einem anderen Abstand betrachten.
    Diese „Technik“ ist nicht nur diesem Thema zuträglich.
    Der Autor/Redner hat uns dies hier in einer ausgezeicheneten Art vor Augen geführt.
    Danke auch dafür.

  38. Was ganz anderes: schöner, erhellender Beitrag heute im Print-Spiegel zur Google-Lobbyarbeit. Zeigt, dass auch ein LSR-Gegner die Interessenlage differenziert einschätzen kann.

  39. […] Wolfgang Blau: Auch das schärfste Urheberrecht würde den Verlagen nicht helfen (Wolfgang Blau, stefan-niggemeier.de) Wolfgang Blau hat schon bei der Enquete Kommission eine ganz hervorragende Rede gehalten, die ich jedem ans Herzen lege. Nun legt er auf einer Fachtagung der Grünen noch eine Kritik gegen das Leistungsschrutzrecht nach. Auch interessant: In der Folge gab es eine kleine “Auseinandersetzung” zwischen ihm und Springer-Mann Christoph Keese, die Lars Wienand über Storify festgehalten hat. […]

  40. […] Wolfgang Blau: Auch das schärfste Urheberrecht würde den Verlagen nicht helfen – Stefan Niggemei…: Der Mut der Politik, das scheinbar immer noch Unaussprechliche endlich deutlicher auszusprechen: Dass infolge der Digitalisierung, dann der Vernetzung im Internet und nun auch noch der rapide voranschreitenden mobilen Vernetzung via Smartphone ganze Branchen und ganze Berufszweige verschwinden werden. Auch das schärfste und rigideste Urheberrecht würde nicht verhindern können, dass die Verlagslandschaft in den nächsten Jahren weiter aus den Angeln gehoben wird. Wer glaubt, die letzten zehn Jahre seien transfomativ und herausfordernd gewesen, sollte sich darauf einstellen, dass mit der jetzt einsetzenden Nutzungsverlagerung ins mobile Netz noch viel dramatischere Entwicklungen, Umsatz- und Auflageneinbußen bevorstehen als in den letzten Jahren. […]

  41. Sollte das Urheberrecht so ausgehen wie es sich die Betonköpfe in dieser Branche vorstellen, dann werden spätere Generationen nicht so gnädig über uns denken.

  42. […] Wolfgang Blau: Auch das schärfste Urheberrecht würde den Verlagen nicht helfen « Stefan Niggemeie… – Ich möchte dazu beitragen, dass diese bemerkenswerte Rede möglichst große Verbreitung findet, und dokumentiere sie hier mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung von Wolfgang Blau: […]

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