Zielgroupies

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Der werberelevante Zuschauer altert: aus „14-49“ könnte „20-59“ werden.

Jetzt will es natürlich keiner gewesen sein. Die werbungtreibende Industrie erklärt, sie hätte sich noch nie auf die Altersgruppe der 14- bis 49-Jährigen fixiert. Die Agenturen, die die Fernsehspots buchen, erklären, sie würden sich ohnehin je nach Auftraggeber ganz spezielle Zielgruppen ansehen. Und große private Fernsehsender wie RTL erklären, sie machten ohnehin Programm auch für die Zuschauer jenseits der fünfzig – würden sie sonst bei einer Sendung wie „Let’s Dance“ auch Kandidatinnen wie Heide Simonis oder Katja Ebstein einladen? Also.

Dabei war und ist „14-49“ das Maß aller Dinge; der Gott, dem das Programm als Opfergabe dargebracht wurde. Ungezählte Fernsehmenschen beginnen ihren Arbeitstag damit, morgens auf dem Blackberry oder mit zitternder Fernbedienung im Videotext nachzuschlagen, welche Marktanteile in dieser Altersgruppe ihre Sendungen am Tag zuvor erzielten. Mediendienste erstellen täglich Hitlisten, die auf diesen Werten basieren, küren danach Quotensieger und Flops. Die Sender schicken Pressemitteilungen in die Welt, in denen sie kunstvoll aus den Werten und Veränderungen hinter dem Komma Erfolgsmeldungen stricken. Bei RTL 2 richtete sich früher sogar der Preis des Essens in der Kantine nach dem Marktanteil von „Big Brother“ am Vortag.

Rational erklären ließ sich diese Fixierung noch nie. Es war eine Konvention – so wie die Verabredung, das Gewicht von Gegenständen in Kilogramm zu messen, der Masse von einem Liter Wasser, oder die Länge in Meter, einem willkürlich bestimmten Bruchteil des Erdumfangs. Die Einheit „14-49“, die in Deutschland vor allem von RTL-Gründungschef Helmut Thoma propagiert wurde, diente vor allem einem Ziel: den im Gesamtpublikum noch schwachen Sender im Vergleich zu ARD und ZDF gut dastehen zu lassen. Womöglich ließ sich damals, Ende der achtziger Jahre, auch noch erklären, warum Über-Fünfzigjährige so anders sein sollen als die darunter: Es war grob die Grenze zur Nachkriegsgeneration.

Heute hat die Altersgruppe der Fünfzig- bis Sechzigjährigen viel Geld, ist flexibel und aufgeschlossen für Werbung. Und der einzige Grund, sie nicht in die zentrale Vergleichsgröße des Fernsehens einzubeziehen, ist der, dass man das bislang auch nicht gemacht hat.

Die Beharrungskräfte des Systems sind enorm, und über die Sinnlosigkeit der Größe „14-49“ ist schon oft folgenlos diskutiert worden. Doch diesmal könnte es anders sein. Diesmal ist nämlich RTL eine treibende Kraft. Der Sender und seine Vermarktungstochter IP schlagen eine Verschiebung der „werberelevanten Zielgruppe“ vor: 20 bis 59 soll die neue Einheit sein.

Bei der ARD-Werbung freut man sich. „Es ist durchaus gerechtfertigt, dass diejenigen, die diesen Unsinn in die Welt geschafft haben, ihn auch wieder beseitigen“, sagt ihr Geschäftsführer Dieter Müller auf RTL gemünzt. Die neuen Altersgrenzen seien aus Sicht der Werbeindustrie auch einigermaßen logisch zu erklären: Teenager haben zumeist nur Taschengeld zur Verfügung, und ab sechzig steigt schnell der Anteil derjenigen, die auch nur über ein reduziertes Einkommen verfügen.

Die Verschiebung der Einheit, auf welcher „der komplette vergleichende Wettbewerb basiert“, wie Müller sagt, wäre nur eine überfällige Anpassung an die demographische Realität. Sie ist deshalb auch im Interesse des Mediums: Die Zahl der 14- bis 49-Jährigen nimmt von Jahr zu Jahr ab. Die schönen Prozentzahlen entsprechen immer weniger tatsächlichen Fernsehzuschauern, die man den Werbekunden in Rechnung stellen kann.

Das ist vermutlich auch ein Grund, warum RTL sich plötzlich für eine Veränderung starkmacht, von der der Sender selbst oberflächlich gesehen gar nicht profitiert. Gemessen in der neuen Bezugsgröße wäre der Sender zwar immer noch mit großem Vorsprung Marktführer, würde aber Anteile verlieren (siehe Tabelle). Noch erheblich mehr schrumpft aber Pro Sieben – eine Folge davon, dass der Sender zwar erfolgreich junge Zuschauer anspricht, aber auch nur die. Plötzlich erschiene ein breiter aufgestellter Sender wie Vox, der nach bisheriger Rechnung in einer anderen, kleineren Liga spielt, in Reichweite. Der Effekt wäre vor allem ein psychologischer: Pro Sieben würde sich mit Sicherheit auch in Zukunft auf die Ansprache junger Zielgruppen konzentrieren. Aber in der öffentlichen Wahrnehmung und den täglichen Quotenauswertungen würde die Bedeutung des Senders auf ein realistischeres Maß als Beinahe-Spartenkanal schrumpfen.

Die Sendergruppe Pro-SiebenSat.1 tut sich deshalb schwer mit dem Vorschlag, die angeblich „werberelevante Zielgruppe“ nach oben zu verschieben. Dabei würde Sat.1 als älterer Sender davon sogar im Gegensatz zu RTL profitieren. Senderchef Andreas Bartl hatte kürzlich erst öffentlich beklagt, dass die 50- bis 59-Jährigen, die Sat.1 erreicht, den Werbekunden „fast geschenkt“ werden, und gab als Ziel aus, diese Reichweiten „besser zu kapitalisieren“.

Trotzdem erklärt ein Sprecher des Vermarkters Seven One Media, das Thema sei erledigt – ohne einen der beiden großen Privatsenderblöcke ließe sich so eine Änderung nicht durchsetzen, und man sei halt dagegen. Bei einer Sprecherin von Pro-Sieben-Sat.1 klingt es etwas weniger harsch: Eine Neudefinition sei im Moment kein Thema. Aber das könne in zehn Jahren anders sein. Oder in fünf. Oder nächstes Jahr.

Es scheint also nur jetzt gerade irgendwie ein schlechter Zeitpunkt zu sein; vielleicht liegt’s am Wetter.

Die großen Gewinner einer Umstellung wären scheinbar ARD und ZDF. Aber die Berechnung nach „20-59“ legt auch offen, wie überaltert das Publikum der Öffentlich-Rechtlichen wirklich ist. Auch in einer solchen Währung, die den breiten Kern der arbeitenden Bevölkerung abbildet, landen ARD und ZDF abgeschlagen hinter RTL, Sat.1 und Pro Sieben auf den Plätzen. Denn die Masse der öffentlich-rechtlichen Zuschauer ist nicht Mitte fünfzig, sondern weit über sechzig. Anders als bisher ließen sich diese Werte nicht einfach abtun als Ausdruck einer bizarren Verengung auf eine künstlich geschaffene junge Zielgruppe. Es würde deutlich, wie wenig es den öffentlich-rechtlichen Sendern, die von allen bezahlt werden, gelingt, ein Programm zu machen, das auch alle anspricht.

Der Mythos „14-49“ ist nicht zuletzt für diejenigen ein psychologisches Problem, die diese Altersgruppe verlassen und darunter leiden, dass der Schock, fünfzig zu sein, noch dadurch verstärkt wird, dass sie glauben, nun würde nicht einmal mehr Fernsehen für sie gemacht! Doch auch wenn ihr Zuschauerverhalten plötzlich in den täglichen Standardauswertungen enthalten wäre, würde sich das Programm nicht radikal ändern. So groß unterscheiden sich die Mittfünfziger und ihr Fernsehkonsum nämlich gar nicht von den Mittvierzigern – genau diese Ähnlichkeit im Verhalten spricht ja paradoxerweise dafür, sie mit in die Zielgruppe aufzunehmen. Das Interesse an amerikanischen Serien wie „CSI“ oder „Monk“ auf RTL zum Beispiel reißt relativ abrupt erst ab 60 oder 65 Jahren ab; und eine Show wie „Wer wird Millionär“ kommt in allen Altersgruppen an.

Eine Revolution bliebe aus, und doch würde die Macht des Faktischen in einer Branche, die ununterbrochen auf Zahlen starrt und ihre Entscheidungen davon abhängig macht, zu Veränderungen führen. Auf Dauer würden Programme stärker belohnt, die ein breites Publikum ansprechen; Sendungen mit jungem Altersdurchschnitt, wie „Deutschland sucht den Superstar“, würden die täglichen Erfolgsmeldungen etwas weniger dominieren. Dennoch sieht man auch bei der Ufa Film- & Fernsehproduktion, die unter anderem diverse Daily Soaps herstellt, einer Änderung gelassen entgegen – obwohl deren Marktanteile sänken. Man brauchte dann nur eine Ansage der Sender, ob die Serien auf die neue Zielgruppe optimiert werden sollen, sagt Ufa-Forschungschef Rainer Hassenewert – dann könne man auch entsprechend „breiter“ produzieren. Oder es ließen sich gezielt die als Trendsetter begehrten Jungen ansprechen.

Ein Gremium, das „20-59“ formal beschließen könnte, gibt es nicht – die großen Sender und ihre Vermarkter müssten sich bloß absprechen und auf die neue Standardwährung verständigen. Ein Sender von der Größe wie RTL könnte aber auch einfach damit anfangen. Die Argumente hätte er eh auf seiner Seite.

37 Replies to “Zielgroupies”

  1. Der hohe Altersschnitt der ARD/ZDF-Zuschauer wird auch gestützt durch einen DWDL-Artikelvor ein paar Tagen. ARD 60, ZDF 61 Jahre.
    PS: Hier fehlt noch die auf die sich im Text bezogene Tabelle.

  2. Nur der Vollständigkeit halber:
    Bereits seit 50 Jahren wird das Maß eines Meters nicht mehr am Erdumfang gemessen. Seit 1960 war ein Meter das „1.650.763,73-fache der Wellenlänge der von Atomen des Nuklids 86 Krypton“, seit 1983 ist ein Meter die Strecke die das Licht im Vakuum in 1 / 299.792.458 Sekunden zurücklegt.

    Hoffe, das ist damit geklärt. :)

  3. „…dass sie glauben, nun würde nicht einmal mehr Fernsehen für sie gemacht!“
    Mit 26 Jahren bin ich zwar in beiden Zielgruppen, dass Gefühl, das jemand Fernsehen für mich macht, hatte ich trotzdem noch nie. Das psychologische Trauma hält sich durchaus in Grenzen ;)

  4. „Gemessen in der neuen Bezugsgröße wäre der Sender zwar immer noch mit großem Vorsprung Marktführer, würde aber Anteile verlieren (siehe Tabelle).“
    Wo ist denn die Tabelle?

  5. Persönlich sehe ich in dieser Diskussion ja einen Verneblungsversuch eines anderen Problems: Immer mehr junge Menschen sehen kein Fernsehen mehr und treiben sich Abends lieber im Internet herum. Das Fernsehen läuft nur noch nebenher. Durch eine neue Altersgruppe wird dieses Phänomen überblendet – für die nächsten 5-6 Jahre. Es bleibt also genug Zeit, sich auf das drohende „Fernsehanstalten- und Produktionsfirmensterben“ vorzubereiten bzw. darauf zu hoffen, dass sich bis dahin ein zuverlässiger Markt im Internet etabliert hat. Das ist taktisch klug – für einen kurzen Zeitraum.

    Allerdings frage ich mich gerade: Wie werden denn dann zukünftige „Alarm für Cobra 11“ Folgen ohne die Zielgruppe der 14 jährigen Jungen demnächst aussehen?

  6. Nur schnell gegoogelt: „1957 versuchte Leonard Goldenson, damals Chef des amerikanischen Networks ABC“, seinen Sender gegenüber anderen Networks zu positionieren, blabla, nahm einfach den soziographischen Faktor, bei dem sein Sender am besten abschnitt, blabla, und geboren war die sagenhafte werberelevante Zielgruppe. Thoma hat das dann in Europa analog übernommen.

    Oder war´s doch ganz anders?

    Dass die TV-Vermarkter noch mit solchen Cluster-Kanonen auf Spatzen schießen, wird ihnen das Online-Marketing schon austreiben. Dann ist ihnen selber auch Wurscht, ob 14-49 oder 20-55, wenn sie merken, dass sie das Umfeld ihrer Onine-Versionierungen bis auf den X. zielgruppenspezifischen Parameter (um die 25 Jahre alt, Student, heterosexuell, fußballverrückt, mittellos) genau an ihre Vermarkter verscherbeln können. Und kein Werbetreibender wird in Zukunft noch mit der großen Gießkanne übers Fernsehen mal bewässern, was grade so zufällig einschaltet. Viel zu teuer, ungenau, ineffizient.

  7. Der Vergleich mit den Maßeinheiten hinkt aber gewaltig: Natürlich ist die Festlegung was (bsw.) eine Meter ist willkürlich, jedoch ist es quasi egal was man als Definition wählt, wenn man zwei Längen vergleicht, ergibt sich immer das selbe Ergebnis. Bei den Einschaltquoten ergeben sich hingegen bei verschiedenen Altersklassen verschiedene Ranglisten zwischen den Sendern.

  8. @S.N.: Wird nach „Einschaltzeit“ und „Sehdauer“ unterschieden?

    @twipsy:
    „..Der hohe Altersschnitt der ARD/ZDF-Zuschauer wird auch gestützt ..“
    durch Kompressionsstrümpfe, Rollatoren Krückstöcke und sonstige Ge(h)hilfen. (Ich bin alt genug, ich darf das sagen.)

  9. Wieso muss es überhaupt DIE werberelevante Zielgruppe geben? Es gibt doch auch nicht nur eine Zielgruppe für alle Zeitschriften.

  10. Genau. Davon handelt der Artikel. Und deshalb ist der Vergleich schief.

    Es ist eben NICHT „so wie die Verabredung, das Gewicht von Gegenständen in Kilogramm zu messen, der Masse von einem Liter Wasser, oder die Länge in Meter, einem willkürlich bestimmten Bruchteil des Erdumfangs“

    Sondern ganz anders!

  11. Immer wieder erstaunlich, dass man sich um irgendwelche Ideen von Reklamefuzzis solche hehren Gedanken macht, ja, ihnen sogar folgt.
    Natürlich berücksichtigen oder erwähnen diese Leute nicht, wer den beworbenen Mist bewusst NICHT kauft. Denn es gilt immer noch: Wofür geworben werden muss, kann nur Mist sein.

  12. „Es war einmal ein Schäfer, der einsam seine Schafe hütete. Plötzlich hielt ein nagelneuer Audi TT. Ein junger Mann steig aus: Brioni-Anzug, Cerutti-Schuhe, Ray-Ban-Brille. Er fragte, wenn ich rate wieviel Schafe sie haben, bekomme ich dann eines? Der Schäfer willigte ein.
    Der junge Mann machte per Notebook, Handy, Internet und GPS-Satellitennavigation allerlei Berechnungen, druckte einen 150-Seiten-Bericht aus und sagte: “Sie haben exakt 1586 Schafe.”
    “Das ist richtig, suchen sie sich ein Schaf aus.” Der junge Mann nahm eines und lud es ins Auto. Der Schäfer dann: “Wenn ich Ihren Beruf errate, geben Sie mir dann das Schaf zurück?” Der junge Mann: “Klar!” Der Schäfer: “Sie sind Unternehmensberater”. “Richtig, woher wissen sie das?
    “Erstens kommen sie hierher, obwohl sie niemand gerufen hat. Zweitens wollen sie eine Bezahlung dafür, dass sie mir sagen, was ich ohnehin schon weiß. Drittens haben sie keine Ahnung von dem, was ich hier mache. Und viertens, geben sie mir bitte wieder meinen Hund zurück.”

    PS. als ich vor 18 Jahren, wegen der Wielandshöheneröffnung einen Berater hinzuzog prophezeiter er mir die Pleite. Mittlerweile ist er mit seiner Beratungsfirma selbst pleite gegangen.“

    …das schrieb der gute, weise & hochverehrte Koch Vincent Klink am 10 März 2009

  13. @ Stefan Niggemeier

    Doch. Machen Sie nicht gerade den Bock zum Gärtner? Vergleichen Sie doch mal die Jugendstudien JIM 1998 mit JIM 2009 Jugendstudien JIM 1998 mit JIM 2009 .

    Beispiel:
    1998 sahen 95% aller Jugendlichen täglich fernsehen (auf der Seite 7, unten ), 2009 waren es nur noch 65% (auf der Seite 27). 30 % weniger ist nicht wenig! Der Medienkonsum und auch die Medienkompetenzen haben sich in den letzten 10 Jahren extrem verändert, gerade bei jungen Menschen. Interessant jedoch, dass das bei der „Quote“ nie gesagt wird…

  14. Ein Gremium, das “20-59″ formal beschließen könnte, gibt es nicht – die großen Sender und ihre Vermarkter müssten sich bloß absprechen und auf die neue Standardwährung verständigen. Ein Sender von der Größe wie RTL könnte aber auch einfach damit anfangen. Die Argumente hätte er eh auf seiner Seite.
    ***

    Warum nicht umgekehrt: Wenn alle, die darübher berichten die „neue“ Zielgruppe nehmen, wär ein Anfang ja auch gemacht. Los, DWDL + dieser andere Dienst!

  15. ich würde eine Zielgruppe „20-59“ auch bevorzugen, wobei ich mir auch eine Trennung zwichen „14-29“ (die Prosieben glücklich machen würde) und „30-59“ vorstellen ==> Junge Leute/Studenten und die die „mitten im Leben stehn“, das heißt festes Einkommen usw.

  16. @25: Natürlich wären kress, DWDL & Co. nicht daran gehindert, in ihren Tabellen Marktanteile „Zuschauer ab 3 Jahren“ oder meinetwegen auch 20-59 auszuweisen. Solange aber die Werbetarife weiterhin auf Basis 14-49 festgelegt werden, wäre das nur Geplänkel für die Galerie.

    Agenturen und Werbekunden sehen freilich auch, dass das Korsett 14-49 vorne und hinten kneift. Aber vehement für eine Änderung eintreten mag momentan kaum einer der „Big Spender“, weil man Sorge hat, die Sender könnten diese Umstellung für verdeckte Preiserhöhungen nutzen.

    Hinzu kommt noch ein Aspekt, den die meisten (auch in der Fachpresse) übersehen: Die Erinnerung an schmerzhafte Eingriffe des Kartellamts (und von Staatsanwaltschaften) in die Usancen des TV-Werbegeschäfts sind noch frisch. Eine allzuschnelle Einigung auf eine verbindliche neue Referenzzielgruppe könnte von den Kartellis als wettbewerbsverhindernde Absprache geahndet werden, vor allem, wenn einer der kleineren Mitbewerber (der dabei was zu verlieren hätte) dagagen Beschwerde führt.

    Realistischerweise kann es bei dieser Ausgangslage wohl nur so funktionieren, dass RTL vorprescht und Fakten schafft, ARD und ZDF ebenfalls umschwenken und zusammen mit RTL genug Gewicht auf die Waagschale bringen, um irgendwann auch die Münchener Konkurrenz zum Einlenken zu bewegen.

    Wie gesagt, der Werbewirtschaft wäre das im Prinzip völlig wumpe, solange sie nicht das Gefühl hat, mehr Geld für die gleiche Medialeistung abdrücken zu müssen.

  17. Wer sein Geschäft seriös betreibt, macht Werbung nicht auf der Basis allfälliger Absprachen, sondern auf der Basis eigener Zielvorstellungen und verfügbarer Ressourcen. Das ist bei Werbern so und bei Werbetreibenden.

    Die Quoten in der werberelevanten Zielgruppe sind doch nur der virtuelle Applaus für Medienmacher und Dienstleister, die sich nicht die Mühe machen, individuell zu planen und zu sein. Quoten, die natürlich eine Berechnungsgrundlage brauchen, sind für die überlebensnotwendig, die keinen direkten Applaus mehr bekommen und kennen. Da applaudiert am Morgen dann der Blackberry oder der Teletext.

    Wer wirklich ernsthaft seine Werbung und Formate plant, der kann mit jeder Formel leben. Gut leben.

    Was nicht bedeutet, dass man die Bemessungsgrundlage mal anpassen sollte. Aus vielerlei Gründen. Ganz besonders aber wegen der sich ändernden Altersstruktur und des sich dramatisch ändernden Medienkonsums. Die Anpassung würde alles verändern, für den Moment der Änderung. Danach werden die Strukturen aber wieder in alter Gewohnheit damit arbeiten und darauf reagieren.

    Mit den Worten von mark793 (31.) gesprochen, ist die Änderung der Absprache zur werbewirksamen Zielgruppe „wumpe“. Mehr oder weniger schnell für mehr oder weniger jeden.

  18. @anonymous coward: Das ist ist doch noch mal ne Ecke komplizierter als Sie sich das vorstellen. Dazu müsste man jetzzt weiter ausholen und die Unterschiede zwischen Marketingzielgruppe und Mediazielgruppe genauer herausarbeiten. Aber in einem Punkt ist es viel einfacher als Sie denken: Die Messtechnik müsste überhaupt nicht neu geeicht werden, aus den vorhandenen Rohdaten der GfK-Fernsehforschung (die wiederum Auftragnehmer der Fernsehsender ist) ließen sich schon heute mühelos Marktanteile und Zuschauerquoten bezogen auf ganz unterschiedliche und sehr viel feiner gesiebte Zielgruppen ablesen.

    Aber hier entscheidende Frage ist: Auf Basis welches Zuschauersegments werden die Werbepreise festgesetzt? Natürlich gibt es viele Kunden, die viel feiner oder anders planen als 14-49, aber das ist nun mal sozusagen die Grundlage für den Eintrittspreis, wenn Sie so wollen. Ein Museum, um mal ein abseitiges Beispiel zu bringen, spricht auch ein spezifisches Publikum an, aber der Eintrittspreis wird normalerweise doch nur gestaffelt in Erwachsene und Ermäßigte, wobei sich der Senioren- oder Behindertentarif durchaus unterscheiden kann von dem, was Kinder/Schüler zahlen. Aber komplizierter als so muss man das gar nicht machen, auch im TV nicht.

    Den vermeintlichen Nachteil geringerer Feinsteuerung macht das TV halt mit Masse wett, wie Sie richtig vermutet haben, und diese Massentauglichkeit ist vielen Werbekunden nach wie vor eine Menge wert. Um die gleiche Masse Leuten im Internet anzusprechern hätte man jedenfalls sehr viel mehr Arbeit. Und seien wir doch mal ehrlich: Gemessen daran, was das Internet den Werbekunden seit mehr als zehn Jahren alles verspricht, performt es nicht wirklich so toll wie man erwarten könnte. Logfiles hin, Targeting her, die meisten Internet-Werbekunden wissen immer noch nicht, wer da jetzt grad vorm Rechner sitzt – meine Frau oder ich.

  19. Ich bin 32 und wenn ich einen Fernseher besäße, würde ich – nach den Erfahrungen meiner nicht fernsehlosen Jugendzeit und gelegentlichen Ausflügen in den Internetmediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender – definitiv zum Publikum der ARD und seiner Einzelanstalten gehören. Was mache ich falsch?

  20. „noch nie auf die Altersgruppe der 14- bis 49-Jährigen fixiert“ – Interessant. Ich erinnere mich noch, wie ich in den Neunzigern dem RTL-Videotext entnehmen durfte, dass RTL die wertvolleren Zuschauer habe, weil RTL bei „14-49“ Marktführer sei.

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