Autor: Stefan Niggemeier

Ein aserbaidschanischer Held

Am 18. Februar 2004 kauft sich der aserbaidschanische Soldat Ramil Safarov eine Axt. Er ist mit Militärangehörigen aus anderen Ländern in Budapest, um an einem Nato-Fortbildungsprogramm teilzunehmen. In der übernächsten Nacht nimmt er die Axt, geht ins Zimmer eines schlafenden Teilnehmers aus dem verfeindeten Nachbarland Armenien und erschlägt ihn im Schlaf. Die Obduktion wird ergeben, dass er ihn sechzehn Mal im Gesicht trifft und den Kopf fast vom Rumpf trennt.

Danach macht sich Safarov auf den Weg, einen weiteren armenischen Soldaten im Gebäude zu töten. Bevor er in dessen Zimmer eindringen kann, wird er von der Polizei verhaftet.

Ein ungarisches Gericht verurteilte Safarov 2006 zu lebenslänglicher Haft. Frühestens 2036 sollte er begnadigt werden können. Der Richter begründete das Urteil mit der Brutalität der Tat und dem Fehlen jeder Reue.

Am vergangenen Freitag wurde Safarov von Ungarn nach Aserbaidschan ausgeliefert. Nach Angaben der ungarischen Regierung hatte ihr das aserbaidschanische Regime zugesichert, dass Safarov den Rest seiner Strafe würde verbüßen müssen.

Unmittelbar nach seiner Ankunft in Baku begnadigte Präsident Ilham Aliyev den Mörder. Er wurde von jubelnden Menschen empfangen und als Volksheld gefeiert. Das Regime in Baku hatte Safarovs Taten nie verurteilt und Medien und Organisationen im eigenen Land ermuntert, ihn als prominente Persönlichkeit zu behandeln.

Safarov besuchte nach seiner Rückkehr ins Land die Märtyrer-Allee und legte Blumen am Grab von Heydar Aliyev nieder. Der aserbaidschanische Verteidigungsminister stellte ihm kostenlos eine Wohnung zur Verfügung, zahlte ihm den in den vergangenen acht Jahren entgangenen Lohn nach und beförderte ihn in den Rang eines Majors.

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Es kommt mir im Nachhinein so naiv vor, dass wir im Mai beim Eurovision Song Contest annahmen, dass in einer Disco, die Teil des offiziellen Programms war, Musik aus Armenien gespielt werden könnte. Mir erscheint aber auch der Gedanke absurd, dass eine armenische Delegation in diesem politischen Klima in diesem Land an dem Grand-Prix hätte teilnehmen können.

Es stimmt: Das aserbaidschanische Regime hatte dem Veranstalter, der European Broadcasting Union (EBU) versprochen, dass sie für die Sicherheit der Delegationen bürge. Aber vermutlich wusste es damals schon, dass man dieser Organisation folgenlos alles versprechen konnte.

Ende Mai ist ein norwegischer Reporter, der sich am Rande des ESC über die politische Situation im Lande lustig gemacht hatte, bei der Ausreise am Flughafen eine Stunde lang festgehalten, bedroht und misshandelt worden. Auch das widersprach den Garantien, die Aserbaidschan der EBU gegeben hatte. Die angeblich laufende „Untersuchung“ des Vorfalls durch die EBU ist bis heute, über ein Vierteljahr danach, zu keinem Ergebnis gekommen.

Roche & Böhmermann und die Backsteintalktapete

[SPOILER-Warnung für alle, die die Sendung „Roche & Böhmermann“ vom vergangenen Wochenende noch nicht gesehen haben, das aber noch tun und sich überraschen lassen wollen.]

Ich geb’s zu: Ich war schon auf der Palme. Hab im Kopf knüwerhaft vernichtende Sätze formuliert über die Deppen von ZDF.kultur, die ihre kleine feine Talkshow „Roche & Böhmermann“ grundlos verhunzen.

Schon der Trailer für die neue Staffel ließ das Schlimmste befürchten. Und dann trat tatsächlich vor der Sendung nicht William Cohn als Retro-Ansager-Parodie auf, sondern eine übereuphorisierte Frau, die zwar auch erkennbar ironisch gemeint war, was aber die Sache ja noch nicht gut macht.

Ich hab’s dem Sender jedenfalls zugetraut, den fantastischen edlen Vorspann, der allein schon Grund genug wäre, jede Sendung einzuschalten (jedenfalls kurz), durch so eine dreiviertelironische moderne Variante zu ersetzen. Und dass über dem Namen der Sendung nun peinlicherweise „zdf.kultur’s“ stand, machte die Sache, seien wir ehrlich, nur wahrscheinlicher.

In das leere schwarze Studio hatte jemand eine Standard-Backsteintalktapete gestellt, und geraucht und getrunken werden sollte auch nicht mehr.

Ich hab’s geglaubt, dass das das „neue Studiobühnenbild und verbesserte Konzept“ der Sendung ist. Aber dann, nach langen Minuten, nörgelten Charlotte Roche und Jan Böhmermann, dass die alte Umgebung doch irgendwie besser zu ihnen gepasst hätte, und auf Kommando kamen Bauarbeiter herein und nahmen den ganzen braunen Tand mit und stellten den Whiskey wieder auf den Tisch (hier ab 7:20).

Reingefallen.

Nun kann man diesen ausgedehnten Scherz natürlich albern, sinnlos und egal finden. Mir hat er gefallen, schon weil er so aufwendig und liebevoll umgesetzt war. Und welche andere Sendung im deutschen Fernsehen hätte Mut und Muße, ihre Zuschauer so in die Irre zu führen, und sei es nur für knapp acht Minuten?

(Außerdem komm ich dann auch kurz in der Show vor, wenn endlich alles wieder alt und gut ist.)

Wenn’s brennt, einfach löschen

Thomas Knüwer war ihnen wieder mal auf die Schliche gekommen, den Dummen und Lügnern und dummen Lügnern in den Zeitungsverlagen. Er hatte den Beweis gefunden, dass sich das geplante Leistungsschutzrecht für Presseverleger — entgegen aller Beteuerungen — auch gegen Blogs richtet.

Er zitierte aus der „Süddeutschen Zeitung“:

„Blogger, Verbände, Vereine, Anwaltskanzleien und sonstige ehrenamtliche, private oder gewerbliche Nutzer sollen auch künftig nichts zahlen müssen, wenn sie auf ihren Homepages und in Blogs journalistische texte benutzen, sie länglich zitieren oder auf sie verweisen.“

Und aus tagesschau.de:

„In ersten Entwürfen aus dem Justizministerium war auch davon die Rede, dass etwa Blogger, die journalistische Texte zitieren oder auf sie verlinken, künftig Lizenzgebühren zahlen müssen. Dies ist in dem neuen Entwurf nicht mehr vorgesehen, nachdem es daran massive Kritik gegeben hatte.“

Und dann knüwerte er:

Entweder haben die betreuenden Schreiber nicht recherchiert und einfach wie dumme Lämmer geglaubt, das alles gut werde – oder sie haben gelogen.

Sein Beweis war die Aussage der Bundesregierung bei der Bundespressekonferenz am Mittwoch, dass als Presseverleger im Sinne des Gesetzentwurfes auch professionelle Blogger gelten. Er folgerte daraus:

Wir können davon ausgehen, dass die Platzierung von Adsense-Anzeigen und die damit verbundene Generierung von Nebeneinkünften reicht, um vom Leistungsschutzrecht getroffen zu werden. Dies entlarvt auch Christoph Keese, den Chef-Agitator von Axel Springer, als Lügner.

Doch dies hat ja eine weitere Dimension: Jedes Unternehmen mit eigener Homepage muss nun fürchten eine Flut von Abmahnungen zu erhalten. Denn es reicht ja, simpelste Textbausteine im Netz zu veröffentlichen und sich zum Verlag zu erklären, um Geld einzutreiben. Egal ob Siemens, BMW, Thyssen Krupp oder Beiersdorff, egal ob Würth oder der Schreiner um die Ecke: Sie alle müssen mit erheblichen juristischen Kosten und Gebühren rechnen. Das Leistungsschutzrecht ist somit eine Gefahr für jedes einzelne Unternehmen in Deutschland.

Klitzekleines Missverständnis.

Wenn professionelle Blogger im Sinne des Gesetzes als „Presseverleger“ gelten, bedeutet nicht, dass sie — wie Suchmaschinen — für die Nutzung kleinster Textschnipsel zahlen müssen. Sondern dass sie — wie die Internet-Ausgaben der Zeitungen — Geld für die Nutzung kleinster Textschnipsel geltend machen können.

An diesem Missverständnis ist die Bundesregierung nicht unschuldig. Der ehemalige „Handelsblatt“-Redakteur Knüwer aber hörte einfach, was er hören wollte, ließ seinen Wutschaum ungefiltert ins Blog tropfen und und warf den anderen, ohne recherchiert zu haben, vor, nicht recherchiert zu haben.

Und wie ging er damit um, nachdem er auf diesen Fehler aufmerksam gemacht wurde? Er ließ den Eintrag in seinem Blog einfach verschwinden und löschte auch seinen entsprechenden Tweet, ohne jede Erklärung, als hätte es seinen Vorwurf der fehlenden Recherche, Dummheit, Gutgläubigkeit oder Lügerei nie gegeben.

Thomas Knüwer betreibt eine Agentur zur „Beratung für das digitale Zeitalter“.

Die Scheinargumente für ein Leistungsschutzrecht

Das Leistungsschutzrecht beweist, dass die Regierung den Springer-Verlag mehr fürchtet als das Netz. Das sollte man ändern.

(Sascha Lobo)

Es sind im Kern nicht mehr als zwei Argumente, mit denen die Verlage ihr Leistungsschutzrecht herbeireden: ein rationales Scheinargument und ein emotionales Hilfsargument.

Das rationale Scheinargument lautet: „Es kann nicht sein, dass profitorientierte Anbieter gratis auf Inhalte zugreifen.“ In dieser knappen Form hat es zum Beispiel Kulturstaatsminister Bernd Neumann mit minimalen Variationen immer wieder formuliert.

Es sei unzulässig, geht das Argument, auf den Leistungen anderer ein eigenes Geschäftsmodell aufzubauen. Und wenn es nicht unzulässig ist wie die Praxis der Suchmaschinen, kurze Ausschnitte von Fundstellen anzuzeigen, dann müsse es sich um eine Gesetzeslücke handeln, die zu schließen sei.

Was wirkt wie ein juristisches Argument, ist in Wahrheit bloß ein moralisches: Es sei ungerecht, sich bei der Arbeit eines anderen zu bedienen, um selbst daraus Profit zu schlagen. Und das umso mehr, wenn dieser Profit sogar höher ausfällt als der desjenigen, der die ursprüngliche Leistung erbracht hat.

Denn das ist das eigentliche Problem. Keine Verfassungsgrundsätze, keine Rechtsprinzipien, nicht der Schutz des sogenannten „geistigen Eigentums“, sondern die schlichte Tatsache, dass zur Zeit im Internet das Betreiben einer Suchmaschine lukrativer ist als das Erstellen journalistischer Inhalte. (mehr …)

Medienlexikon: Manfred Spitzer

Der Spiegel

Spitzer, Manfred, deutscher Hirnforscher und der Thilo Sarrazin unter den Psychiatern; spricht in der Pose des einsamen Mahners aus, was die meisten immer schon sagen und meinen: Computer sind Teufelszeug.

Das Gute an Manfred Spitzer ist, dass man sich mit ihm nicht auf das einigen kann, auf das sich alle anderen sonst immer einigen können. Wie viele Diskussionen über Risiken neuer Medien enden mit einem wohlfeilen gemeinsamen Appell, mehr für die Medienkompetenz zu tun, damit junge Menschen lernen, verantwortungsbewusst mit Internet, Handy, Spielkonsole umzugehen? Spitzer aber sagt: „Medienkompetenz ist ein Unbegriff“. Wer nach Medienkompetenztrainings für Kinder rufe, könne im Kindergarten oder der Grundschule auch gleich den verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol trainieren.

Die einzige Möglichkeit, die Gefahren der neuen Medien zu minimieren, besteht nach Spitzer darin, uns und unsere Kinder so vollständig wie irgend möglich davon fernzuhalten. Das hat im Vergleich zum alltäglichen und allgegenwärtigen Kulturpessimismus immerhin eine fast erfrischende Radikalität, die sich auch von der damit verbundenen Realitätsferne nicht beirren lässt. Spitzer beginnt sein neues Buch „Digitale Demenz“ mit dem Zitat einer Leserzuschrift: „Herr Spitzer, Sie kämpfen gegen Windmühlen – nein, gegen ganze Windfarmen. Machen Sie bitte weiter!“ Es ist nicht ganz klar, ob ihm die Ironie des Vergleichs mit Don Quijote bewusst ist.

Ohnehin lässt sich der größte Gewinn aus der Auseinandersetzung mit Spitzer und seinen Thesen schlagen, wenn man ihn als als anschauliche Warnung vor einer wahnhaften Fixierung nimmt. Er ist so überzeugt vom Ziel seiner Argumention, dass ihm jeder Weg recht ist, es zu erreichen, egal wie oft er dazu aus der Realität abbiegen muss.

Er vergleicht den Medienkonsum mit dem Autofahren: Das sei ja auch erst ab 18 erlaubt. Und zwar deshalb, suggeriert Spitzer, weil nur Erwachsene in der Lage sind zu erkennen, dass es schädlich ist, nicht zu Fuß zu gehen, und deshalb, wenn sie verantwortungsbewusst sind, zwischendurch joggen gehen.

Er antizipiert den Einwand von Kritikern, es gebe die von ihm diagnostizierte „Digitale Demenz“ gar nicht, und pariert ihn dadurch, dass schon eine Google-Suche das Gegenteil beweise: Dort gebe es tausende Treffer für den Suchbegriff. Man kann nur hoffen, dass Spitzer nie nach „Rosa Elefanten“ googelt.

Der „Tagesspiegel“ hat die „perfekte Lösung“ gefunden, online Geld zu verdienen

Ich bin neulich über Google im Online-Angebot des Berliner „Tagesspiegel“ gelandet. Es empfing mich mit diesem Artikelfragment:

Der ganze Text wird erst angezeigt, nachdem man die gelb markierten Wörter eingetippt hat.

Immerhin antizipiert tagesspiegel.de, dass diese Praxis Fragen auslöst. „Geht’s noch?“, wäre eine der wenigen naheliegenden, die ohne Verwünschungen auskommen. Zur Not ist aber natürlich auch der „Tagesspiegel“-Vorschlag „Warum diese Art der Werbung?“ hilfreich.

Also: Warum diese Art der Werbung? Der „Tagesspiegel“ schreibt:

Verlage stehen im Internet vor besonderen Herausforderungen. Die Leser zahlen gerne für eine gedruckte Zeitung, im Internet ist die Bereitschaft für Nachrichten zu zahlen aber meist nicht vorhanden, obwohl die Kosten für die Verlage in vergleichbaren Größenordnungen liegen. Einige Nachrichtenanbieter fühlen sich bereits gezwungen, auch für ihr Internetangebot Gebühren zu verlangen, um sich finanzieren zu können.

Nun, dem ließe sich jetzt einiges erwidern, aber lassen wir das mal so stehen. Weiter im Text.

Wir wollen Ihnen weiterhin die Qualität bieten, die Sie vom Tagesspiegel kennen.
Für ein kostenloses Angebot sind wir deshalb stark auf die Werbevermarktung angewiesen.

Derzeit testen wir eine neue für den Werbetreibenden attraktive Werbeform. Damit sehen wir eine weitere Möglichkeit, dass wir mit diesen Einnahmen unsere Kosten refinanzieren und langfristig das Gesamtwerbeaufkommen auf unseren Seiten reduzieren.

Ah, das „Gesamtwerbeaufkommen“, gut dass die Kollegen das selbst erwähnen. Es ist nämlich so, dass ich beim Besuch auf tagesspiegel.de in Wahrheit gar nicht von dem Artikelfragment begrüßt wurde, sondern von der Lufthansa:

Je nachdem, welche Werbung gerade eingeblendet wird, macht der Artikel beim Aufruf der Seite den hier rechts grün markierten Teil aus. Alles andere ist Zeug, Gerümpel, Werbegetöse.

Da fühlt man sich als Besucher doch gleich willkommen und denkt sich: Mensch, wie die hier wohl ihren schönen Qualitätsjournalismus finanzieren?

Die tatsächlichen Einnahmen, die der „Tagesspiegel“ mit dieser „für den Werbetreibenden attraktiven Werbeform“ generieren, sind im konkreten Fall aber vermutlich überschaubar, weil der „Werbetreibende“ im Prinzip der „Tagesspiegel“ selbst ist. Qiez.de ist ein Angebot, das im Wesentlichen daraus besteht, Artikel aus dem „Tagesspiegel“ so wiederzuverwerten, dass man beim flüchtigen Blick beinahe denken könnte, es handele sich um eines dieser „hyperlokalen Angebote“, um die neuerdings Wind gemacht wird.

Es trifft ungefähr so zuverlässig meinen Kiez wie jemand, der mit Dart-Pfeilen auf eine Landkarte von Asien wirft, und wirkt dabei fast so belebt wie die Fußgängerzone von Oer-Erkenschwick morgens um halb vier. Aber wenn erstmal genügend Menschen auf tagesspiegel.de Q – I – E – Z – punkt – D – E eingetippt haben, wird sich das bestimmt ändern.

„Brandwall“ nennt der Vermarkter diese Art der Unterbrecherwerbung. Die Firma „Brand Interactive“ ist ganz stolz darauf, sie angeblich erfunden zu haben und nennt sie — ohne erkennbare Ironie — eine Möglichkeit für Verleger, „ihre Inhalte endlich auch im Internet ohne Hürden für den Leser angemessen zu monetarisieren“.

50 Cent bis 1,50 Euro soll der Werbekunde für jeden Leser zahlen, der den geforderten Text eingibt.

Etwas besseres kann sich Peter Neumann, der Gesamtleiter Online der „Tagesspiegel“-Gruppe, gar nicht vorstellen:

„Die brandwall ist die perfekte Lösung zur Monetarisierung unserer Premium-Inhalte im Internet. Danach haben wir seit langem gesucht.“

Dann gratuliere ich herzlich, und biete kostenlos einen Vorschlag, wie man diese perfekte Werbeform noch attraktiver machen könnte: Indem man den einzutippenden Namen in einem lustigen Ratespiel erst entziffern muss, wie bei den beliebten Captchas.

Gern geschehen.

Ein Kartell nutzt seine Macht: Wie die Verlage für das Leistungsschutzrecht kämpfen

Es ist kein Spaß, sich mit dem Kartell aller großen Häuser anzulegen. Wer will Springer, Burda, „Süddeutsche“, „FAZ“, DuMont und die „WAZ“-Gruppe gegen sich haben? Natürlich sagen Mathias Döpfner, Frank Schirrmacher oder Hubert Burda ihren Redakteuren nicht, was sie schreiben sollen. Das wissen die schon von allein.

(Jakob Augstein)

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Morgen Demnächst will das Bundeskabinett über ein Presse-Leistungsschutzrecht entscheiden. Wenn man den Verlagen glaubt — wozu kein Anlass besteht — geht es um nichts weniger als um Leben und Tod der freien Presse in Deutschland.

Seit gut dreieinhalb Jahren kämpfen die Verlage öffentlich für ein solches Recht, mit dem die geschäftliche Nutzung ihrer frei zugänglichen Inhalte im Internet lizenzpflichtig gemacht werden soll. Ursprünglich sollte schon das Lesen von Online-Medien auf geschäftlichen Computern Geld kosten; inzwischen ist nur noch eine Lex Google übrig geblieben, die Suchmaschinen dafür zahlen lassen will, dass sie kurze Anrisse aus Verlagstexten zeigen, um Nutzer zu deren Seiten zu leiten.

Es sieht im Moment nicht so aus, als ob die Geschichte, wie die Verlage die Bundesregierung dazu brachten, ihre Rechte und potentiell ihre Einnahmen durch ein neues Gesetz deutlich auszuweiten, am Ende aus Verlagssicht eine Erfolgsgeschichte sein wird. Sie ist trotzdem ein Lehrstück: Dafür, wie die führenden deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenverlage ein politisches Klima herstellten, in dem ein solches Gesetz notwendig erschien, und wie sie ihre publizistische Macht dazu benutzten, ihre politische Lobbyarbeit zu unterstützen. (mehr …)

Medienlexikon: Sissifizierung

Der Spiegel

Sissifizierung, Quotenoptimierung von Dokumentationen durch Hofberichterstattung und flächendeckenden Streichereinsatz.

Es gehört zu den vornehmsten Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, über Menschen zu berichten, deren Leiden allzu oft vergessen wird. Menschen wie Georg Friedrich Prinz von Preußen. Ein junger Mann, der tapfer sein Schicksal trägt, Ururenkel von Kaiser Wilhelm II. zu sein.

Seine Kindheit endete „jäh“: Mit „gerade mal 18“ Jahren wurde er Chef des Hauses Preußen. „Auf seinen jungen Schultern lasten jetzt Jahrhunderte wechselvoller Geschichte. Und zum ersten Mal in seinem Leben muss er ohne den Rat des Großvaters zurechtkommen.“ Dramatisch, mit Anteilnahme und Bewunderung, schildert das ZDF am kommenden Dienstag um 20.15 Uhr, wie Georg Friedrich das Leben als Adeliger in Deutschland meistert. Lässt ihn erzählen, dass man als „Prinz von Preußen“ nicht einfach zu spät kommen kann, weil es sonst heißt, er nehme sich was heraus. Zeigt, wie er den tollsten Edelstein für Millionen Euro versteigern muss. Staunt, wie „bescheiden“ der Herr Prinz sich gibt: „Für ihn ist der Titel nur ein Name“, sagt der Sprecher. Fürs ZDF nicht?

Georgs Frau Sophie, geborene Prinzessin von Isenburg, schildert, wie „bodenständig“ ihre Kindheit im Schloss Birstein war, mit bloß zwei Damen, die kochten, wuschen und putzten. Eigentlich hätte sie ganz privat heiraten wollen. Aber „schließlich gibt das Paar dem öffentlichen Drängen doch noch nach“ — und schenkte der Welt Aufnahmen von adeligen Herrschaften in Potsdam, die sich nun vom ZDF mit Geigen unterlegen und als Dokumentation verkaufen lassen.

Es ist eh ein einziges musikalisches Gejuchze und Trompeten. Der zweiteilige Film läuft in der Reihe „ZDFzeit“, die der Chefredakteur Peter Frey zum Start als „filmisch opulent, intensiv, kritisch und analytisch“ angekündigt hat. Hier solle es „um die großen Fragen unserer Zeit gehen: Wie leben wir? Was verändert unsere Gesellschaft? Was ist uns wirklich wichtig?“

Was dem ZDF also wirklich wichtig ist in diesen Wochen: das Schicksal von Charlène und Kate, die Queen, die Höhen und Tiefen des schwedischen Königshauses. Und weil es so viel hofberichtzuerstatten gibt, räumte der Sender auch Samstage dafür frei. Unter dem Namen „ZDF Royal“ wurde dort nun ebenfalls gejuchzt und trompetet: „Blaues Blut und schwarze Schafe“, „Doppelglück in Dänemark“, „Die kleinen Königinnen kommen“.

Plötzlich erscheinen die lustigen Abenteuer des Schimpansen Charly, der sonst diesen Sendeplatz regierte, im Vergleich wie brisante zeitgeschichtliche Sozialdramen.

Ganz unten: Zu Besuch bei der RTL-Erfolgsshow „Das Supertalent“

Es ist heiß, der Abend zieht sich, aber es gibt einen Grund durchzuhalten: Zur Halbzeit soll es kostenlos Wasser für alle geben.

Es spricht eher nicht für eine Veranstaltung, wenn der Höhepunkt, mit dem der Anheizer das Publikum in den Umbaupausen bei Laune zu halten versucht, die Ankündigung ist, dass es nur noch fünf, vier, drei, zwei Auftritte sind, bis es endlich etwas zu trinken gibt. Ich frage mich, ob es den Etat der Produktion wirklich gesprengt hätte, den Durst der Zuschauer früher und mehrmals zu stillen. Ob es etwas anderes als das Wasser geben könnte, auf das es sich zu freuen lohnte, ein spektakulärer Akt auf der Bühne etwa, frage ich mich irgendwann nicht mehr.

Es ist Freitagabend, die zweite Aufzeichnung der RTL-Show „Das Supertalent“ im Berliner Tempodrom. Eineinhalb Stunden hat es gedauert, bis wir auf unseren Plätzen saßen. Dann beginnt das Warm-Up. Der dafür engagierte Mann lässt die Zuschauer auf Kommando für die Kameras applaudieren und vor Begeisterung beim Jubeln aufspringen. Keine Sorge, sagt er, RTL werde das später natürlich nur an die Stellen in die Sendung schneiden, wo es tatsächlich eine solche Reaktion gab. Gelächter im Publikum. (mehr …)