Autor: Stefan Niggemeier

RTL.de verirrt sich im Palindrom

Bekannt ist das Unendlich-viele-Affen-Theorem, wonach unendlich viele Affen, die unendlich lange zufällig auf Tastaturen herumtippen, irgendwann auch sinnvolle Texte produzieren.

Weniger bekannt ist, dass diese unendlich vielen Affen inzwischen für RTL arbeiten. Wann immer einer von ihnen eine Buchstaben- und Wörterfolge produziert, die man mit einem journalistischen Text verwechseln könnte, wird sie als Artikel auf RTL.de veröffentlicht.

Aktuell steht dort ein Text, den man beim flüchtigen Hinsehen für einen Artikel über die republikanische Vize-Präsidentschaftskandidatin Sarah Palin halten könnte. Angekündigt wird er auf der Wahl-Sonderseite von RTLaktuell.de wie folgt:

Der erste Satz ist mein Lieblingssatz. Aber falsch ist der zweite auch.

Der Artikel selbst beginnt dann so:

Ja, das sind immer die langweiligen Teile der großen Generaldebatten bei den Vereinten Nationen, wenn neben den Staatsche aus aller Welt auch die ganzen Vize-Staatsch-Kandidaten im Wahlkampf und die ehemaligen Staatsch-Kandidaten-Kandidaten der Opposition da reden wollen…

Und wenn das schon kein Grund gewesen wäre, an der Plausibilität der Meldung zu zweifeln, wäre es spätestens die Formulierung gewesen, dass die „Organisatoren“ der UN-Vollversammlung eine überparteiliche „Demonstration“ wollten.

Nein, Sarah Palin wollte weder vor der UN-Vollversammlung reden, noch wurde sie von ihr ausgeladen. Sie wollte am Montag an einer Demonstration gegen den iranischen Präsidenten Machmud Ahmadinedschad teilnehmen, der am folgenden Tag vor der Vollversammlung sprach. Clinton hatte ihre Teilnahme zurückgezogen, als sie erfuhr, dass Palin auch teilnehmen wollte. Daraufhin luden die Veranstalter Palin wieder aus.

(RTL.de ist mit 47 Millionen Visits monatlich eines der meistbesuchten redaktionellen Internetangebote in Deutschland. Bitte glauben Sie nicht, dass ich die Seiten von RTL.de gezielt nach solchen Sachen absuche. Jeder zufällige Besuch dort führt einen an diese Abgründe.)

ISBN 978-3-8025-1784-6

Falls ich irgendwann einmal ein zweites Listenbuch schreiben sollte, könnte ich darin die Liste aufnehmen: „Zwei Listen aus meinem ersten Listenbuch, die ich schon in meinem Blog veröffentlicht habe.“ Nämlich diese:

6 Sendungen, bei denen sich der Bayerische Rundfunk aus dem ARD-Programm ausblendete

1. Die Sendung der Lysistrata (1960): Der BR hatte gleich zwei Gründe, das Fernsehspiel von Fritz Kortner nach dem klassischen Original nicht zu zeigen: vordergründig eine Szene mit einer relativ nackten Romy Schneider, hintergründig die pazifistische Botschaft. Der BR klagte: „Die Verfechter einer Atomrüstung werden auf eine Weise karikiert, die einfach unfair ist.“

2. Das Bohrloch – oder: Bayern ist nicht Texas (1968): In der Satire auf einen Ölrausch in „Unterdeixelham“ sah der BR eine „Verächtlichmachung bayerischer Lebensart“ und zeigte stattdessen Lottchens Geburtstag.

3. Zoom (1971): Das Jugendmagazin des Südwestfunks behandelte das Thema „Anarchie“ und warnte vor Autoritätshörigkeit und dem Vietnam-Krieg – der BR fand das Magazin selbst „halb-anarchistisch“, erreichte erst eine Verschiebung der Folge – und blendete sich aus, als sie schließlich gezeigt wurde.

4. Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt (1973): Anstelle von Rosa von Praunheims filmischer Aufforderung an die Schwulen, für ihre Rechte zu kämpfen, zeigte der BR sicherheitshalber lieber das finnische Rennfahrer-Drama „Benzin im Blut“.

5. Die Konsequenz (1977): Wolfgang Petersens um Toleranz werbender Film über die Liebe zwischen einem Mann und einem Jugendlichen hatte das Prädikat „wertvoll“ bekommen. Die ARD strahlte ihn trotzdem nur gekürzt aus – doch selbst diese Fassung wollte der BR nicht zeigen, angeblich aus Sorge um die Homosexuellen: Der Film könne bei Heterosexuellen „Vorurteile gegen eine Minderheit“ fördern, und bei „Homophilen“ werde „das Gefühl der Isoliertheit und Ausweglosigkeit noch vergrößert“.

6. Scheibenwischer (1986): Der BR blendete sich im laufenden Programm aus der Folge „Der verstrahlte Großvater“ aus, in der Dieter Hildebrandt nach der Tschernobyl-Katastrophe unter anderem dazu aufforderte, den Papst zu dekontaminieren. Neben dem Papst würden auch die Bundeswehr und die Bundesrepublik insgesamt beleidigt, hieß es. Ein Mitschnitt der Folge, den die Münchner „Abendzeitung“ unters ausgeschlossene Volk brachte, fand reißenden Absatz.

Und diese:

5 Quersummen bekannter Sendungstitel *
1. 6 (24)
2. 3 (21)
3. 8 (4400)
4. 2 (Die Zwei)
5. 12 (90210)

Aber was ich eigentlich sagen wollte: Ich habe zusammen mit Michael Reufsteck (mit dem ich schon „Das Fernsehlexikon“ verfasst habe) ein Buch mit tollem unnützen Fernsehwissen geschrieben, das jetzt auch bei einem Buchhändler Ihres Vertrauens vorrätig sein müsste. Es heißt „Zapp!“, kostet lächerliche 9,95 Euro und wenn Sie es über diesen Link bestellen, verdiene ich sogar doppelt daran.

*) Diese Liste ist gegen den ausdrücklichen Rat von Redaktion und Lektorat ins Buch gekommen.

Was heißt Stirnlappenbasilisk auf Suaheli?

Mathis Danelzik schreibt mir, dass er dieses Blog von Tansania aus lese. Mit der dortigen Medienrealität hätten meine Beobachtungen aus Deutschland allerdings nicht viel zu tun.

Hier sind die Medien völlig anders. Fernsehen sieht hier zum Beispiel so aus:

(Die Frage lautete übrigens: Wie oft steht da MALI, und die richtige Antwort überraschenderweise nicht „sieben“.)

Jede SMS, schreibt der freundliche Leser, koste 1000 tansanische Schillinge, das sei rund ein US-Dollar. 60 Prozent der Tansanier lebten von 2 Dollar oder weniger am Tag. Dieser Preis und die Tatsache, dass nicht so viele Tansanier einen Fernseher haben, machten tansanisches Call-TV vermutlich zum Oberschichtenfernsehen.

Doof wie RP-Online (4)

Malte Welding hat drüben im „Spreeblick“ einen lesenswerten Artikel über Gossip geschrieben. Oder genauer: über das beunruhigende Maß, in dem unsere Medien inzwischen daraus bestehen, halbwahre oder ganzfalsche Zitate irgendwelcher Prominenter zu verbreiten.

Ich habe ein weiteres Beispiel dafür, natürlich aus Deutschlands erfolgreichstem Internet-Angebot einer Regionalzeitung, RP-Online. Dort ist die Content-Produktion längst soweit perfektioniert, dass nur noch Spurenelemente von Wahrheit, Sinn und Relevanz nötig sind.

Die Tatsache, dass bei der Premiere von Woody Allens Film „Vicky Cristina Barcelona“ in Barcelona nur zwei von drei Hauptdarstellern anwesend waren, aber Scarlett Johansson fehlte, hat das Online-Portal der „Rheinischen Post“ zu einem mittelgroßen Artikel samt Cliffhanger aufgepustet, der erst in der zehnteiligen Bildergalerie aufgelöst wird.

Der anonyme Autor, der Johansson konsequent Johanssen nennt, beweist nun erst seine Ahnungslosigkeit, indem er hinter Javier Bardem „(‚Grey’s Anatomy‘)“ schreibt (vielleicht eine Verwechslung mit Jeffrey Dean Morgan). Dann erhöht er die Fallhöhe, indem er Johansson zu Allens „Muse“ erklärt — obwohl, wie er hinzufügt, „sich sowohl Allen und Johanssen stets gegen diesen Ausdruck gewehrt haben“:

Aber Muse hin oder her: Verwunderlich war es allemal, dass Allen ohne Scarlett Johanssen zur Premiere kam.

Aber RP-Online hat ja eine mögliche Erklärung:

„Leidenschaftliches Lippenbekenntnis“ hält der Autor für eine lustige Umschreibung für „Kuss“, und wer wissen will, inwiefern Johansson „die Sache“ „nicht ganz angenehm“ war, muss sich durch die Bildergalerie klicken und kriegt die ganze Vorgeschichte („Na nu“) noch einmal erzählt:







Dieser ganze Unsinn, die komplette Klickproduktion hängt an dem einen Wort „unsexieste“, durch das Johansson laut RP-Online ausgedrückt haben soll, wie eklig sie es fand, Penelope Cruz zu küssen.

Hat sie nur nicht. Sie hat (schätzungsweise auf die Frage sabbernder männlicher heterosexueller Reporter, wie geil es war, Penelope Cruz zu küssen, aber das ist nun wiederum meine Spekulation) anscheinend gesagt:

„There were 60 crewmen eating salami sandwiches. It’s really the least sexy thing you can imagine.“

Der Witz an dieser Art Geschichten, wie sie täglich längst in gewaltiger Zahl von vermeintlichen Qualitätsmedien produziert werden, ist, dass das überhaupt keinen Unterschied macht. Sie fallen nicht wie ein Soufflé in sich zusammen, wenn man in sie hineinpiekst, weil auch der Teig aus Luft ist. Sie leben nicht davon, dass sie auf Tatsachen beruhen. Sie leben davon, dass alles egal ist; dass sich die „Journalisten“ jeden Unsinn ausdenken können, aber nicht müssen, weil sie einfach den fertig produzierten Unsinn von anderen abschreiben und die „Quelle“ für einen dünnen Anschein von Faktizität sogar angeben können, und die Leser dürfen es glauben oder es lassen.

Das wissen sogar die diensthabenden Praktikanten von RP-Online, die ganz zum Schluss, nach all den Zeilen und Bildern, noch eine alternative Erklärung für das Fehlen von Scarlett Johansson anbieten:

Widerruf

In einer Kolumne in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 7. September 2008, die auch in diesem Blog veröffentlicht wurde, habe ich die Behauptung aufgestellt, dass Schafe „es nicht übertreiben mit der Intelligenz“ und sie vor allem „durch ihr Talent [glänzen], sich in jedem beliebigen Gelände in ausweglose Situationen zu bringen“.

Diese Aussagen widerrufe ich hiermit als unwahr.

In dem englischen Ort Marsden, West Yorkshire, haben laut einem Bericht der BBC Schafe gelernt, das Viehgitter, das sie von den schmackhaften Gärten der Dorfbewohner fernhalten soll, zu überqueren. „Sie legen sich auf die Seite, oder manchmal auf den Rücken, und kullern einfach über die Gitter, bis sie drüber sind“, beschreibt eine Ratsfrau und Augenzeugin den Trick. Die Schafe hätten auch jede Scheu verloren: „Wenn man versucht, sie zu bewegen, gucken sie dich an, als wollten sie sagen, dass das ihr Gelände ist und du ja wohl nicht ganz richtig im Kopf bist.“

Eine Vertreterin der britischen Schafvereinigung NSA erklärte: „Schafe sind ziemlich intelligente Wesen und haben mehr Grips, als die Leute ihnen zugestehen wollen.“ (Dennoch haben sich in der NSA — anders, als der Name suggeriert — nicht die Tiere, sondern ihre Halter zusammengeschlossen.)

[via Armin in den Kommentaren]

Wozu Klickstrecken? Wegen der Übersicht!

Nachdem Bild.de vor Wochen bereits die „besten, lustigsten, härtesten Chuck-Norris-Sprüche“ in einer 50-teiligen Klickstrecke und „noch mehr Chuck-Norris-Sprüche“ in einer 90-teiligen Klickstrecke veröffentlicht hat (diese Sprüche seien nämlich, weiß Bild.de, gerade „ein angesagter Trend im Internet“), hat das Online-Angebot vergangene Woche damit begonnen, in einer Serie „wirklich alle Sprüche“ über den „härtesten Mann der Welt“ zu veröffentlichen.

Aber, und jetzt kommt’s: als Aufzählung. Einfach untereinander. Auf einen Blick. Nicht verteilt auf Dutzende Seiten, durch die man sich klicken muss (und die jeweils der Werbeindustrie als ein Seitenaufruf verkauft werden).

In der Lesezeichen-Community Yigg.de schlägt ein User den Bild.de-Leuten vor:

Am besten macht ihr gleich ne Klickstrecke draus. Scheint ja wunderbar zu funktionieren.

Und der User Bild_de, der die Hinweise auf die Bild.de-Artikel auf Yigg auch veröffentlicht hat (und bei dem es sich mutmaßlich um einen Bild.de-Mitarbeiter handelt), antwortet:

Natürlich sind Kurztextgalerien (oder wie du sie nennst Klickstrecken) eine sehr gute Möglichkeit umfangreiche Inhalte kompakt darzustellen. Das Ziel ist jedoch nicht viele Klicks zu generieren, sondern Übersichtlichkeit. Im hier verlinkten Chuck Norris Teil 3 Artikel wäre eine Kurztextgalerie jedoch weniger sinnvoll, da der User fehlende Sprüche als Kommentar senden kann. Wenn alle Sprüche in einer Kurztextgalerie wären, könnte man zwar den Inhalt Übersichtlich in einem einzigen Artikel darstellen, dafür könnte der User schlechter überprüfen ob der Chuck-Norris-Spruch den der er gerade einsenden will nicht schon vorhanden ist.

Wenn ich es richtig verstehe, verhält es sich also so: Klickstrecken setzt man ein, um die Inhalte übersichtlicher zu präsentieren. Leider leidet unter dieser übersichtlichen Art der Präsentation die Übersichtlichkeit. Deshalb verlieren die Leser leicht die Übersicht. Und deshalb präsentiert Bild.de die Chuck-Norris-Sprüche manchmal nicht übersichtlich, sondern unübersichtlich (der Übersichtlichkeit wegen).

[via Hendric in den Kommentaren]

Die Kapitulation der Eurovision

Das Schlechte an der Demokratie ist, dass die Leute, wenn sie wählen können, was sie wollen, einfach wählen, was sie wollen. Dieses Jahr beim Eurovision Song Contest zum Beispiel haben ganz viele Leute aus dem Osten Europas einfach für den russischen Teilnehmer gestimmt, womöglich weil der in ihrer Heimat ein Star ist und ihnen sein Stil gefällt, obwohl sie doch wussten, dass die Länder im Westen das nicht gut finden. Und die Länder im Westen zahlen schließlich für die Veranstaltung, waren zuerst da und wissen ja wohl besser, wie man Demokratie macht.

Die Eurovision schafft die Demokratie deshalb jetzt wieder ab.

Sie hat tatsächlich die Wiedereinführung der Jurys beim Grand-Prix beschlossen. Die Zuschauer dürfen weiterhin abstimmen; ihr Votum wird soll aber voraussichtlich nur noch 50 bis 70 Prozent zählen.

Auf diesem Weg soll das angebliche Punkte-Zuschustern unter Nachbarländern eingeschränkt werden. Und Länder wie die Türkei sollen nicht mehr so stark davon profitieren können, dass in Ländern wie Deutschland viele Türken leben, die „ihren“ Beitrag unterstützen können.

Es ist eine Bankrotterklärung. Schon theoretisch: Kleine, anonyme Gruppen von Menschen sollen gegen die Unterstellung von Mauscheleien helfen? Aber auch praktisch: Ein lebendes Mahnmal gegen die Macht von Jurys ist Charlotte Perrelli, die 87-jährige Sängerin, die nach einer verunglückten Schönheitsoperation in diesem Jahr noch einmal für Schweden antreten durfte. Schon den schwedischen Vorentscheid gewann sie aufgrund des Votums der dortigen Jury — gegen die Mehrheitswahl des Publikums. Und auch ins Finale in Belgrad kam sie nur, weil die Jurys (die als Backup im Fall technischer Probleme mit der Telefonabstimmung bereitstehen) bereits in diesem Jahr wieder einen Fuß in der Tür hatten und einen Kandidaten bestimmen durften, der ihnen im Gegensatz zum europäischen Publikum gefallen hatte. Im Finale, ohne die Möglichkeit einer Unterstützung durch Juroren, fiel sie dann verdient durch.

Zur Erinnerung: Dies war Beitrag von Charlotte Perelli.

Schon im ersten Jahr des Grand-Prix sorgten die Jurys für einen Skandal, als sich herausstellte, dass Luxemburg aus Kostengründen auf eine eigene Jury verzichtet und zwei Schweizer hatte wählen lassen. (Die Schweiz gewann.)

Bestenfalls ändern die Jurys gar nichts am Ergebnis. Jan Feddersen berichtete im Grand-Prix-Blog des NDR, dass nach Angaben der Veranstalter 2007 die Wertungen der Jury weder am ersten noch am letzten Platz etwas geändert hätten. Roger Cicero allerdings wäre Sechster geworden, nicht Neunzehnter. Feddersen schrieb:

Unbedingt plädiere ich dafür, dass das Televotingsystem beibehalten wird. Dass die Experten auch nur eine Stimme unter Millionen anderen haben. Musik ist subjektiv, und Experten sollen nicht mehr zu sagen haben als das Publikum, das ja immerhin einen Song zu Popularität trägt oder ins Vergessen stürzt. Ciceros sechster Platz wäre ein kleiner Erfolg ohne Wert gewesen. Lieber ein 19. Rang – aber den mit bestem Gewissen errungen als ein 6. Platz, dem immer der Geschmack der Hintergrundmauschelei anhaften würde.

Der aktuelle deutsche Grand-Prix-Verantwortliche Ralf Quibeldey, Unterhaltungschef beim NDR-Fernsehen, nennt die Kapitulation einen „geeigneten Schritt, um das Abstimmungssystem gerechter zu machen. Denn die Jury wird nicht nach landsmannschaftlichen Aspekten urteilen, sondern das Augenmerk nur auf die Qualität der Musik richten — und kann sich die Titel im Unterschied zum Publikum auch mehrfach anhören.“ Aha: Die Jury wird also nicht nach landsmannschaftlichen Aspekten urteilen. Woher weiß er das? Und, vor allem: Wollen wir das? Ist nicht Teil des Reizes dieser Veranstaltung, dass ihr Verlauf Ausdruck des jeweiligen Geschmacks der verschiedenen teilnehmenden Völker ist — und sei er noch so erratisch?

Stefan Raab hat bei seinem Grand-Prix-Auftritt 2000 vor allem Punkte aus den Nachbarländern bekommen. Vermutlich, weil er dort bekannt war und die Menschen in diesen Ländern seinen Humor verstanden. Das sind „landsmannschaftliche Aspekte“. Und die Kombination vieler verschiedener „landsmannschaftlicher Aspekte“, die am Ende immer wieder zu überraschenden, selten vorhersagbaren Ergebnissen führt wie dem, dass plötzlich der halbe Kontinent für zwei Opas aus Dänemark, amerikanischen Funk aus Estland, Maskenrock aus Finnland, Plastik-Pop aus Griechenland oder Ethnotanzgetöse aus der Ukraine stimmt, ist es, die den Reiz des Eurovision Song Contest in den vergangenen Jahren ausgemacht hat.