Autor: Stefan Niggemeier

Die NPD in der „Torgauer Zeitung“ (2)

In der „Frankfurter Rundschau“ äußert sich die „Torgauer Zeitung“ zu der Frage, warum das Blatt (wie berichtet) eine Pressemitteilung der NPD unkommentiert, in voller, erstaunlicher Länge und inklusive des NSDAP-Kampfbegriffs „Systempartei“ abdruckte:

Chefredakteur Thomas Stöber räumt ein, dass eine redaktionelle Auseinandersetzung besser gewesen wäre: „Der Kollege hat das nicht ordentlich bearbeitet, weil ihm da der Einblick fehlt“, sagte er der FR. Der für die Rechtsextremen zuständige Redakteur war in Urlaub.

Stöber klagt zudem, dass ihm gute Leute und Geld fehlten.

Gegenüber dem „Störungsmelder“ der „Zeit“ schloss Stöber aus, die Pressemitteilung von der Internetseite seiner Zeitung zu entfernen: Schließlich würden auch die Pressemitteilungen anderer Parteien mitunter kommentarlos veröffentlicht.

Das ist die beste Begründung von allen. Im Klartext lautet sie: Wir arbeiten doch sonst auch nicht journalistisch, warum sollten wir es bei Neonazis tun?!

Die „Torgauer Zeitung“ ist eine Lokalausgabe der „Leipziger Volkszeitung“, die je zur Hälfte der Axel-Springer-AG und der Verlagsgesellschaft Madsack gehört. Madsack wiederum gehört zu gut einem Fünftel der SPD. Da sind ja alle staatstragenden Garanten für guten Journalismus zusammen.

Das NPD-Blog kommentiert die Sache ausführlicher.

Klarstellung, 27. August: Die „Torgauer Zeitung“ ist eine Regionalausgabe der „Leipziger Volkszeitung“, gehört ihr aber nur zu 24,9 Prozent.

Komma- und Sinnkrise bei Wlet Online

„Gute Redaktionen lesen Texte in drei, vier oder fünf unterschiedlichen Stufen gegen, bevor diese veröffentlicht werden. Was am Ende in der Zeitung oder online erscheint, ist Teamarbeit.“

(Christoph Keese, ehemaliger Chefredakteur von „Welt“ „Welt am Sonntag“ und „Welt Online“, im Juli 2007)

· · ·

Aus einem „Welt Online“-Artikel vom vergangenen Freitag:

(…) Patricia Williams behauptete, dass sie kürzlich „entlassen worden sei“ nachdem Rihanna sie des Diebstahls bezichtigt hatte als sie entdeckte dass ihr Vermögen plötzlich verschwunden war. Williams sagte: „Es ist nicht meine Schuld dass sie nur noch 20.000 Dollar auf ihren Namen zur Verfügung hat, ich habe für viele bekannte Schauspieler, Musiker und Aktiengesellschaften gearbeitet, die über eine vielfache Millionensumme verfügten. (…)“

Rihannas letztes Album „Good Girl Gone Bad“ verkaufte sich weltweit ungefähr fünf Millionen mal und die karibische Sängerin machte dieses Jahr eine ausgedehnte Tour durch die USA und Europa. (…)

Williams wird auf der Website blackarazzi.com zitiert: „Def Jam hat Rihanna nicht richtig gefördert, also benutzt Marc [ihr Manager] das Geld, damit sie durch Touren und über Dritte verdient, um ihre Alben und ihre Musikvideos zu promoten. Ich will Marc nicht respektlos begegnen, er ist ein fantastischer Manager und glaubt wirklich an Rihanna. Aber er nimmt ihr Geld um ihre zukünftigen Projekte zu finanzieren.“

Die Verkaufszahlen von Rihannas Alben seien nach Angaben von Williams nicht so hoch wie die ihrer Singles. Leider habe der Manager Rihanna das nicht seiner Klientin nicht mitgeteilt. „Deshalb“, so Willisams, „bekomme ich alles ab.“

(Und sind für manche Themen medienübergreifend die Redaktions-Legastheniker zuständig?)

Schöner Trennen mit „TV Movie“

Jetzt gibt es aus dem Hause „TV Movie“ eine neue Zeitschrift. Sie heißt „TV Movie Digital“. Und sie hat „TWIN VIEW“.

„TWIN VIEW“ ist ein Konzept mit revolutionärer Doppelwirkung. Sein eingebauter Supernebel sorgt dafür, dass man nicht sofort erkennt, dass es sich bei „TV Movie Digital“ nur um dasselbe Zeitschriftenkonzept handelt, mit dem „TV Digital“ schon seit Jahren und höchst erfolgreich auf dem Markt ist. Und der integrierte Deppenmagnet ermöglicht es, gezielt die Leser anzusprechen, die auf jeden Marketingunsinn hereinfallen und eine entsprechend attraktive Zielgruppe für die Werbewirtschaft darstellen.

Das schreibt „TV Movie“ aber natürlich selbst nicht so deutlich. „TV Movie“ schreibt, dass man mit „TWIN VIEW“ ganz schnell seine persönlichen Fernseh-Highlights finde — „übersichtlich getrennt nach Digital- und Free-TV.“

Ganz Schlaue werden nun natürlich anfangen, am Kiosk nach einer Schwesterzeitschrift zu suchen, die den Rest des Fernsehprogramms enthält, vermutlich ähnlich übersichtlich getrennt nach Analog- und Pay-TV.

Aber das Konzept ist fraglos revolutionär — und wird sicher, wenn „TV Movie Digital“ erst einmal ein Erfolg ist, auf viele andere Lebensbereiche übergreifen. Restaurants mit dem „TWIN VIEW“-Markenzeichen werden ihre Speisen sortiert nach vegetarischen Gerichten (blau hinterlegt) und Suppen (rot hinterlegt) präsentieren. Und Schuhgeschäfte werden mit dem „TWIN VIEW“-Logo im Schaufenster dafür werben, dass bei ihnen die Schuhe übersichtlich getrennt nach Damenschuhen (Erdgeschoss) und braunen Schuhen (1. Stock) sortiert sind.

[via DWDL]

Die NPD in der „Torgauer Zeitung“

Der Axel-Springer-Verlag hat bekanntlich vor der letzten Bundestagswahl beschlossen, dass keine seiner Zeitungen oder Zeitschriften Anzeigen der „Linken“ abdruckt. Es gebe Zweifel an der „Verfassungskonformität“, begründete der Verlag seinen Boykott, der „ein sachlicher Vorgang und nicht politisch motiviert“ sei.

Und damit zu einem ganz anderen Thema.

Am vergangenen Mittwoch gab der NPD-Landesverband Sachsen eine Pressemitteilung heraus, in dem der Kreisverband Nordsachsen die „Selbstbedienung“ der von der NPD so genannten „Systemparteien“ kritisierte. Und wie gingen die Journalisten der „Torgauer Zeitung“, einer Lokalausgabe der „Leipziger Volkszeitung“, die von der Axel-Springer-AG gemeinsam mit dem Madsack-Verlag herausgegeben wird, mit dieser Pressemitteilung um?

Sie veröffentlichten sie ungekürzt und im Wortlaut.

[via NPD-Blog, Stralau-Blog]

Klarstellung, 27. August: Die „Torgauer Zeitung“ ist eine Regionalausgabe der „Leipziger Volkszeitung“, gehört ihr aber nur zu 24,9 Prozent.

Olympia und die Fragen der Journalisten

Channel 4 News, 14. August 2008:

· · ·

Thomas Kistner, „Süddeutsche Zeitung“, 19. August 2008:

Die Luft war täglich dicker geworden im Hauptpressezentrum der Spiele, jetzt verhängten Internationales Olympisches Komitee (IOC) und das Veranstalterbüro Bocog einen Presseboykott light. Nachdem die Sprecher beider Organe am Samstag und auch am Sonntag die täglich terminierten Konferenzen mit der Weltpresse gestrichen hatten, beendete Bocog-Sprecher Sun Weide die wie üblich stark kontroverse Gesprächsrunde am Montag mit dem Hinweis: „Die nächste Konferenz ist Mittwoch, die übernächste am Freitag.“ Fragen nach dem Grund der restriktiven Informationspolitik brachten IOC-Sprecherin Giselle Davies in Rage: „Es gibt doch Handys und E-Mail, oder?“ (…)

Der Bocog-Vize findet, es sei Zeit für die Gegenattacke. Er muss hier ein Problem lösen, das er dem IOC solange dargelegt hat, bis die es begriffen haben: Es geht nicht um die Ausländer, es geht um die eigene Presse, die von den Fremden infiziert werden könnte. Das ausländische Publikum hat man fern- und das Gros der Stadien halbwegs leerhalten können – die tägliche gemeinsame Medienkonferenz von Bocog und IOC aber ist das letzte gefährliche Fenster zur Außenwelt. Was hier abläuft vor all den Kameras und Mikros, ist offiziell und könnte nach innen berichtet werden, sofern sich einer traut. Das Fenster muss geschlossen werden, die Fragen der Weltpresse sind wie ein Virus geworden, das täglich in den Staatskörper einzudringen versucht. (…)

· · ·

Thomas Kistner, „Süddeutsche Zeitung“, 21. August 2008:

(…) Irgendwann (…) die Chance für eine Frage: „Warum sind die Transkripte der Konferenzen hier nie korrekt verfasst, wer entscheidet über die Veränderung der Inhalte?“

Bocog-Vize Wang Wei pariert die Peinlichkeit vorbildlich: „Das entscheidet die Internet-Redaktion, wir akzeptieren es.“

Der Nächste, bitte.

Der Nächste will zwecks Nachfrage das Mikrofon nicht wieder rausrücken, das ihm der Volunteer gereicht hat. Seine Frage gilt den 77 Protestaktionen, die bei Pekings Behörden für die freizügig angekündigten Protestzonen in der Stadt beantragt worden sind. 77 davon wurden abgeschmettert, zwei mit der Begründung, dass Kinder dabei gewesen wären, die sind vor Missbrauch zu schützen. Da blitzt sie auf, die neue Offenheit. Chinas Kinder werden ja sonst gern von klein auf zu harter Arbeit rangezogen, manche sogar in olympischen Drillcamps, dies ist bei den Spielen hier gut an den Gold-Küken um Turnerin Ke Hexin zu erkennen.

„Geben Sie das Mikro zurück!“, bellt Presseoffizier Sun Weide vom Podium, „Volunteers! Sie haben zu arbeiten!“

· · ·

Und ARD und ZDF senden Propagandafilme des IOC. Nicht irgendwo, nachts, versteckt im Digitalprogramm. Sondern zum Beispiel vor der „Tagesschau“. Anscheinend sind sie zur Ausstrahlung vertraglich verpflichtet. Aber sie senden sie nicht mit einem Vor- und Abspann, in dem es heißen könnte: „ARD und ZDF sind zur Ausstrahlung dieser Olympia-Werbespots verpflichtet. Verantwortlich für den Inhalt ist allein das IOC.“ Sie geben nicht einmal den Absender der Werbefilme an.

Auf Nachfrage von „Welt Online“ sagt Rudolf Küffner, Sprecher des Bayerischen Rundfunks, über die PR-Spots:

„Es handelt sich nicht um PR-Spots, sondern um redaktionell abgenommene Sendungen.“

Weiter berichtet „Welt Online“:

Eine Sprecher der bei der ARD verantwortlichen Sendeanstalt NDR sagte WELT ONLINE zu der Frage, wie oft die Spots schon verbreitet worden seien: „Wir haben die Trailer passend zum Programmfluss eingesetzt und werden dies auch weiterhin an geeigneter Stelle tun.“ Das ZDF antwortete auf eine schriftliche Anfrage gar nicht.

Auch Fragen des Branchendienstes epd-Medien zur Olympia-Berichterstattung wollte das ZDF in dieser Woche übrigens nicht beantworten. Man muss anscheinend aufpassen, wenn man vom ZDF Antworten haben will, dass man nicht die falschen Fragen stellt. Oder dass nicht der Falsche die Fragen stellt.

Ich weiß, dass der Vergleich hinkt, aber ich werde den Gedanken nicht los, dass manche Leute bei den öffentlich-rechtlichen Sendern den Umgang des IOC mit kritischen Journalisten ganz inspirierend fanden.

Die toten Roma-Mädchen von Neapel (2)

Vor gut drei Wochen habe ich über die beiden toten Roma-Mädchen am Strand bei Neapel geschrieben — und über das Foto von ihren Leichen inmitten des Badebetriebs, das als Symbol für den Rassismus und die Abgestumpfheit der Italiener um die Welt ging.

Tom Welschen, ein niederländischer Autor, der seit über neun Jahren in Italien lebt und das Land wegen seiner Fremdenfeindlichkeit verlassen will, hat mich auf ein Video aufmerksam gemacht, das gedreht wurde, als auch die Fotos entstanden.

Welschen hat auch Fotos von dem Vorfall montiert.

Das Video gibt noch einmal eine andere Perspektive auf das Geschehen am Strand an diesem Tag — und scheint auch eine andere Geschichte zu erzählen als das überall verbreitete Foto. Es ändert nichts an meiner Ratlosigkeit, was den ganzen Vorfall angeht, aber ich fand, dass es noch zu der Geschichte gehört.

Mit Sat.1 bei den Sozialschmarotzern (2)

Aus den Kommentaren hier:

Ich arbeite bei der “Hartz-IV-Behörde” des Kreises Offenbach in der Leistungsgewährung – und empfinde diese unsägliche Sendung als … bäh! (sorry, ich sitze 2 Minuten vor den Tasten und mir fällt einfach kein besseres Wort ein).

Nicht nur, dass die Sendung vor sachlichen Fehlern strotzt, Frau Fürst praktisch in jeder Minute ihre Kompetenzen überschreitet und dabei so unglaublich affektiert, prollig und unsympathisch rüberkommt. Dazu kommt noch völlig aus dem Zusammenhang gerissene Details präsentiert werden. Ich kenne die Akte der “türkischen Superschmarotzer” nicht. Und genau deshalb erlaube ich mir auch kein Urteil. Der Zuschauer kennt die Akte auch nicht. Aber SEIN Urteil steht fest.

Und ganz am Rande: Wie ich von Kollegen weiß, häufen sich seit gestern 2 Arten von Anrufen, nämlich a) Denunziationen und b) Anfragen von Hilfeempängern, ob sie nicht auch mal neue Möbel beantragen könnten…

Ich kann gar nicht soviel essen, wie ich kotzen möchte…

· · ·

Als Mitarbeiter im Leistungsbereich SGB II schicke ich hin und wieder ebenfalls den Außendienst heraus. Feststellung von Bedarfen, Check möglicher Ortsabwesenheit, Überprüfung auf Bedarfsgemeinschaft oder Wohngemeinschaft usw.

Die Sendung ist für mich lediglich ein großer Witz. Ja, es gibt Betrüger. Für mich steht ebenfalls fest, dass der Anteil der Betrüger über dem Wert von 0,6% liegt. Höher ist allerdings der Anteil der Personen, die de facto nicht vermittelbar sind (aufgrund psychischer Probleme, Suchtproblematiken, fehlender Motivation). Hier bleibt die Politik eine Antwort schuldig und die Gesellschaft zahlt und ist glücklich damit.

Aber egal, zu Sendung (zum Glück habe ich nicht alles gesehen):
1. Rauchen im Dienstfahrzeug – ganz dumm….
2. Vater fährt im X5 des Sohnes.. Alles auf Kamera – Betrug nachgewiesen. Wer’s glaubt… Wäre etwas ganz neues, dass sich ein Leistungsempfänger kein Auto von Verwandten leihen darf.
3. Vater hält sich in der Wäscherei des Sohnes auf. Schwarzarbeit nachgewiesen. Wer’s glaubt… (Die Sozialfahnder sollten das vielleicht den Profis von der FKS des Zolls überlassen)

Mein Eindruck (gefärbt durch die subjektive Darstellung sowie meine Erfahrung in ähnlich gelagerten Fällen von familiär organisiertem Leistungsmißbrauch) spricht auf jeden Fall für einen Beschiss durch die Hilfeempfänger. Fakt ist allerdings, dass Behörden gerichtsfest ermitteln müssen. Angesichts der dargestellten Indizien ist ein rechtmäßiger Nachweis des Leistungsbetruges meines Erachtens nicht möglich.

Die Sendung ist für mich eine Doku-Soap, mehr nicht. Tendiert irgendwo zwischen Richterin Salesch und Unsere erste Wohnung. Wahrheitsgehalt irgendwo bei 20%…

Positiv: Leistungsmißbrauch wird thematisiert. Und wenn die Denunzianten mir nun die Tür einrennen – super. Wer betrügt, soll die Quittung dafür bekommen. Vielleicht kommen manche dann wirklich auf den Trichter, dass ein Job die bessere Alternative darstellt.

Negativ: Wo war Sat1, als Zumwinkel die Steuerfahnung ins Haus lassen musste – vor der Tür und nicht im Haus. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen, wenn es um Betrug am Steuerzahler geht.

(Wichtiger Hinweis: Ich habe die Echtheit der Absender nicht überprüft.)

Und lächle einfach mild

BILDblog-Leser Andreas M. schreibt, dass Die Ärzte bei ihrem Auftritt in Übersee am Chiemsee ihren Hit „Lasse reden“ ein bisschen umgedichtet hätten:

Hast du etwas getan, was sonst keiner tut?
Hast du hohe Schuhe oder gar einen Hut
Oder hast du etwa ein zu kurzes Kleid getragen
Ohne vorher ANTENNE BAYERN um Erlaubnis zu fragen?

Na sowas.

Mit Sat.1 bei den Sozialschmarotzern

Man muss nur einen Satz kennen, um alles über die neue Sat.1-Dokureihe „Gnadenlos gerecht“ zu wissen. Der Satz steht in der Pressemitteilung des Senders und lautet:

Helena und Helge sehen sich aber nicht als fiese „Sozialbullen“, sondern als die Stimme der Ehrlichen: Schließlich ist nicht jeder Hartz IV-Empfänger auch ein Betrüger.

Das ist eine ebenso subtile wie wirkungsvolle Variation des alten Prinzips, dass es in jeder Gruppe einzelne Schwarze Schafe gibt. Bei Hartz-IV-Empfängern gilt offenbar das Umgekehrte: Es gibt auch einzelne Weiße Schafe.

Und Sat.1 feiert diese Aussage, die man wahlweise für eine Banalität oder eine Ungeheuerlichkeit halten kann (man teste sie in Variationen wie „Schließlich ist nicht jeder Schwule auch ein Pädophiler“ oder „Schließlich ist nicht jeder Ausländer auch ein Krimineller“) noch als Ausdruck von Fairness und Gerechtigkeit.

Es fällt mir schwer, nicht hinzuzufügen: Soweit sind wir schon gekommen. Mit unserem Umgang mit den Bedürftigen in unserer Gesellschaft. Und mit dem Fernsehen.

Dabei gehen die Sat.1-Leute (die Produktionsfirma Solis-TV wird von Stefan Wichmann geleitet, der vorher bei „Akte“, dem Sat.1-Frühstücksfernsehen und dem Sat.1-Mittagsmagazin war) durchaus geschickt vor. Anders als das ZDF, das mit „ZDF-Reporter“ schon vor Jahren ein verachtenswertes Format etabliert hat, das den deutschen Alltag fast ausschließlich aus der Perspektive von Kontrolleuren, Polizisten, Aufpassern und Schnüfflern zeigt, präsentieren sie die Sozialfahnderin und den Sicherheitschef des Landkreises Offenbach nicht nur als strenge Wächter, sondern auch als Wohltäter.

Als ersten Fall der ersten Folge zeigt „Gnadenlos gerecht“ – sicher nicht zufällig – wie die beiden bei einer Überprüfung feststellen, dass die junge Frau, die mit ihren Kindern ihren gewalttätigen Mann verlassen hat, nicht zuviel Geld vom Staat bekommt, sondern zuwenig. „Machen Sie sich keine Sorgen“, sagt Helena Fürst am Ende, als sie alles notiert hat, gönnerhaft zu der Frau. „Freitag haben Sie Geld und gehen einkaufen.“ Die Sprecherin sagt aus dem Off: „Neben Möbeln bekommt die Frau jetzt ihre ganze Renovierung bezahlt. Insgesamt mehr als 2000 Euro vom Staat.“ Und Helge Hofmeister sagt zu seiner Kollegin im Weggehen: „Da siehste mal, wie wichtig der Außendienst ist.“

Ist das nicht schön geregelt in unserem Land? Der Staat schickt Leute vorbei, damit die wirklich Bedürftigen, die in ihrer Scham und Bescheidenheit nicht alle Almosen beantragen, die sie beantragen könnten, belohnt werden. Als die Beamten mit dem Kamerateam aufkreuzten und die Frau brav den Kontrolleuren, dem Fernsehteam und der Welt ihre kargste Behausung zeigte, kommentierte das die Off-Sprecherin mit den Worten: „Die junge Frau bittet die Sozialfahnder widerspruchslos herein. Offenbar hat sie nichts zu verbergen.“

Das ist ganz anders bei einer anderen Familie, die später kontrolliert wird. Der Sicherheitschef hatte sich vorher extra Spezialhandschuhe angezogen, weil die Betroffenen auch gerne gewalttätig würden. Sie lassen die Sozialfahnder nicht hinein. Aber ihren Verdacht, dass die Leute gar nicht wirklich bedürftig, bestätigt schon der flüchtige Blick durch die Tür: „Haste die Wohnung gesehen“, fragt Helena Fürst hinterher ihren Kollegen. „Die sah nicht asozial aus.“

Es ist alles so erbärmlich. 350 Euro plus Miete bekommt ein 50-jähriger Arbeitsloser, dessen Wohnung die Fahnder als nächstes überprüfen. Er steht im Verdacht, sich mit einer Frau nicht nur die Wohnung, sondern auch das Bett zu teilen, was aus der WG eine „eheähnliche Gemeinschaft“ machen würde. „Wir vermuten, dass die beiden ein Paar sind“, erklärt Helena Fürst und zählt dann auf, nach was für Indizien sie suchen wird, um ihm auf die Schliche zu kommen.

„Mit dem unangemeldeten Besuch hat der Hartz-IV-Empfänger offenbar nicht gerechnet“, triumphiert die Off-Sprecherin. Und Helena Fürst fragt: „Sagen Sie mal, wie schlafen Sie denn hier?“ Auf dem Sofa? Seit fünf Jahren? Sie glaubt ihm nicht. Und rechnet hinterher in die Kamera vor, wieviel Geld er zurückzahlen müssen könnte. 17, 18.000 Euro. Schlimmstenfalls. Bestenfalls.

Wieder ein Schmarotzer zur Strecke gebracht.

Das nächste Paar ist jung, arbeitslos, hat ein Kind und Probleme, sich zu artikulieren, ist aber schwer bemüht zu zeigen, dass sie bereit sind alles zu tun, um nicht mehr auf das Geld vom Staat angewiesen zu sein. Zwei Hängeschränke für die Küche brauchen sie – nein, da fehlen doch drei, sagt die Kontrolleurin, und fügt auch noch einen Bonus-Unterschrank auf ihrem Formular hinzu. Nur den gewünschten neuen Wohnzimmerschrank, den gibt es nicht, sagt sie hinterher in die Kamera, der alte sei noch gut. Es ist ein bisschen wie früher bei „Dalli-Dalli“, wenn Mady Riehl sagte: „Einen Sessel müssen wir abziehen, der war doppelt.“ Nur dass in dieser Sendung keiner auf die Idee kommt, die Summen, um die es geht, am Ende in Schilling umzurechnen. Oder in Menschenwürde.

Ganz zum Schluss, als sie einer – womöglich wirklich kriminell den Staat betrügenden – türkischen Familie auf die Schliche gekommen sind, fahren Helena und Helge in den Feierabend. David Bowie singt dazu: „We Can Be Heroes“.