Man muss nur einen Satz kennen, um alles über die neue Sat.1-Dokureihe „Gnadenlos gerecht“ zu wissen. Der Satz steht in der Pressemitteilung des Senders und lautet:
Helena und Helge sehen sich aber nicht als fiese „Sozialbullen“, sondern als die Stimme der Ehrlichen: Schließlich ist nicht jeder Hartz IV-Empfänger auch ein Betrüger.
Das ist eine ebenso subtile wie wirkungsvolle Variation des alten Prinzips, dass es in jeder Gruppe einzelne Schwarze Schafe gibt. Bei Hartz-IV-Empfängern gilt offenbar das Umgekehrte: Es gibt auch einzelne Weiße Schafe.
Und Sat.1 feiert diese Aussage, die man wahlweise für eine Banalität oder eine Ungeheuerlichkeit halten kann (man teste sie in Variationen wie „Schließlich ist nicht jeder Schwule auch ein Pädophiler“ oder „Schließlich ist nicht jeder Ausländer auch ein Krimineller“) noch als Ausdruck von Fairness und Gerechtigkeit.
Es fällt mir schwer, nicht hinzuzufügen: Soweit sind wir schon gekommen. Mit unserem Umgang mit den Bedürftigen in unserer Gesellschaft. Und mit dem Fernsehen.
Dabei gehen die Sat.1-Leute (die Produktionsfirma Solis-TV wird von Stefan Wichmann geleitet, der vorher bei „Akte“, dem Sat.1-Frühstücksfernsehen und dem Sat.1-Mittagsmagazin war) durchaus geschickt vor. Anders als das ZDF, das mit „ZDF-Reporter“ schon vor Jahren ein verachtenswertes Format etabliert hat, das den deutschen Alltag fast ausschließlich aus der Perspektive von Kontrolleuren, Polizisten, Aufpassern und Schnüfflern zeigt, präsentieren sie die Sozialfahnderin und den Sicherheitschef des Landkreises Offenbach nicht nur als strenge Wächter, sondern auch als Wohltäter.
Als ersten Fall der ersten Folge zeigt „Gnadenlos gerecht“ – sicher nicht zufällig – wie die beiden bei einer Überprüfung feststellen, dass die junge Frau, die mit ihren Kindern ihren gewalttätigen Mann verlassen hat, nicht zuviel Geld vom Staat bekommt, sondern zuwenig. „Machen Sie sich keine Sorgen“, sagt Helena Fürst am Ende, als sie alles notiert hat, gönnerhaft zu der Frau. „Freitag haben Sie Geld und gehen einkaufen.“ Die Sprecherin sagt aus dem Off: „Neben Möbeln bekommt die Frau jetzt ihre ganze Renovierung bezahlt. Insgesamt mehr als 2000 Euro vom Staat.“ Und Helge Hofmeister sagt zu seiner Kollegin im Weggehen: „Da siehste mal, wie wichtig der Außendienst ist.“
Ist das nicht schön geregelt in unserem Land? Der Staat schickt Leute vorbei, damit die wirklich Bedürftigen, die in ihrer Scham und Bescheidenheit nicht alle Almosen beantragen, die sie beantragen könnten, belohnt werden. Als die Beamten mit dem Kamerateam aufkreuzten und die Frau brav den Kontrolleuren, dem Fernsehteam und der Welt ihre kargste Behausung zeigte, kommentierte das die Off-Sprecherin mit den Worten: „Die junge Frau bittet die Sozialfahnder widerspruchslos herein. Offenbar hat sie nichts zu verbergen.“
Das ist ganz anders bei einer anderen Familie, die später kontrolliert wird. Der Sicherheitschef hatte sich vorher extra Spezialhandschuhe angezogen, weil die Betroffenen auch gerne gewalttätig würden. Sie lassen die Sozialfahnder nicht hinein. Aber ihren Verdacht, dass die Leute gar nicht wirklich bedürftig, bestätigt schon der flüchtige Blick durch die Tür: „Haste die Wohnung gesehen“, fragt Helena Fürst hinterher ihren Kollegen. „Die sah nicht asozial aus.“
Es ist alles so erbärmlich. 350 Euro plus Miete bekommt ein 50-jähriger Arbeitsloser, dessen Wohnung die Fahnder als nächstes überprüfen. Er steht im Verdacht, sich mit einer Frau nicht nur die Wohnung, sondern auch das Bett zu teilen, was aus der WG eine „eheähnliche Gemeinschaft“ machen würde. „Wir vermuten, dass die beiden ein Paar sind“, erklärt Helena Fürst und zählt dann auf, nach was für Indizien sie suchen wird, um ihm auf die Schliche zu kommen.
„Mit dem unangemeldeten Besuch hat der Hartz-IV-Empfänger offenbar nicht gerechnet“, triumphiert die Off-Sprecherin. Und Helena Fürst fragt: „Sagen Sie mal, wie schlafen Sie denn hier?“ Auf dem Sofa? Seit fünf Jahren? Sie glaubt ihm nicht. Und rechnet hinterher in die Kamera vor, wieviel Geld er zurückzahlen müssen könnte. 17, 18.000 Euro. Schlimmstenfalls. Bestenfalls.
Wieder ein Schmarotzer zur Strecke gebracht.
Das nächste Paar ist jung, arbeitslos, hat ein Kind und Probleme, sich zu artikulieren, ist aber schwer bemüht zu zeigen, dass sie bereit sind alles zu tun, um nicht mehr auf das Geld vom Staat angewiesen zu sein. Zwei Hängeschränke für die Küche brauchen sie – nein, da fehlen doch drei, sagt die Kontrolleurin, und fügt auch noch einen Bonus-Unterschrank auf ihrem Formular hinzu. Nur den gewünschten neuen Wohnzimmerschrank, den gibt es nicht, sagt sie hinterher in die Kamera, der alte sei noch gut. Es ist ein bisschen wie früher bei „Dalli-Dalli“, wenn Mady Riehl sagte: „Einen Sessel müssen wir abziehen, der war doppelt.“ Nur dass in dieser Sendung keiner auf die Idee kommt, die Summen, um die es geht, am Ende in Schilling umzurechnen. Oder in Menschenwürde.
Ganz zum Schluss, als sie einer – womöglich wirklich kriminell den Staat betrügenden – türkischen Familie auf die Schliche gekommen sind, fahren Helena und Helge in den Feierabend. David Bowie singt dazu: „We Can Be Heroes“.