Hätte Fürst Potemkin* nicht Katharina II., sondern Journalisten von heute beeindrucken wollen, hätte er sich nicht soviel Mühe geben müssen. Er hätte auf die ganzen Pappkulissen und Dorfattrappen verzichten können. Eine Illustration, ein kleiner Prospekt, hätte es getan, wenn auf ihm zu sehen gewesen wäre, was die Journalisten sehen wollten. Dann hätte er sogar mit ihnen durch die unverstellte Ödnis fahren können. Sie hätten sie gar nicht wahrgenommen und von den prachvollen Landschaften geschwärmt.
Die Ödnis, das ist in diesem Fall eine Studie, die Wissenschaftler der Universitäten Liverpool und Newcastle vergangene Woche in der britischen Fachzeitschrift „Proceedings of the Royal Society B“ veröffentlicht haben. Sie untersuchten, wie die Pille die Vorlieben von Frauen bei der Partnerwahl beeinflusst. (Nach einer berühmten Studie des Biologen Claus Wedekind aus dem Jahr 1995 finden Frauen den Körpergeruch von Männern attraktiver, die ihnen genetisch weniger ähnlich sind — was gut ist, um die Chancen für gesunden Nachwuchs zu erhöhen. Die Pille kehrt diesen Effekt laut Wedekind aber um.)
Die britischen Wissenschaftler hatten Pech: Es gelang ihnen nicht einmal, die Ergebnisse von Wedekind zu reproduzieren. Weder bevorzugten ihre rund 100 Testfrauen, wenn sie keine Pille nahmen, statistisch signifikant den Geruch der ihnen genetisch fremden Männer. Noch bevorzugten sie, wenn sie die Pille nahmen, den Geruch der ihnen genetisch ähnlichen Männer.
Erst nach diversen Statistik-Tricks gelang es den Forschern, überhaupt einen Effekt nachzuweisen: Wenn man alles mögliche herausrechnet, findet man mit Mühe eine Gruppe von Frauen, die mit der Pille den genetisch ähnlichen Mann tatsächlich etwas besser riechen kann als den genetisch fremden.
Die Veröffentlichung mit den mageren Ergebnissen kann seit vergangenem Dienstag jeder, den es interessiert, kostenlos online nachlesen [pdf]. Gleichzeitig hat die Fachzeitschrift aber eine Pressemitteilung herausgegeben, in der sie die Ergebnisse spannender macht, als sie sind. Sie wimmelt zwar von „könnte“ und „würde“, aber die Überschrift ist von betörender Eindeutigkeit:
Pille beeinflusst Partnerwahl.
Einer solch betörenden Botschaft hat die moderne Medienwelt nichts entgegenzusetzen, schon gar keine Recherche. Und so machten die vermeintlich revolutionären Erkenntnisse Medienkarriere.
Englischsprachige Medien berichteten unter Überschriften wie „Pill use ‚affects partner choice'“ (BBC), „The Pill may put you off smell of your man and ruin your relationship“ („The Times“), „Birth control affects sexiness of a man’s scent“ (Reuters), „Contraceptive pill ‚can lead women to choose wrong partner'“ („Guardian“) und „Taking the pill ‚can make women pick Mr. Wrong'“ (AFP). Keiner der Genannten hatte eine zweite Meinung eingeholt, um die Ergebnisse der Studie einzuschätzen.
Richtig Schwung bekam die Geschichte, als sie ins Deutsche übersetzt wurde und die ganzen „can“ und „may“ plötzlich verschwanden. Die Nachrichtenagentur AFP entschied sich, einfach jede notwendige Relativierung zu ignorieren und brachte die Meldung am Mittwoch unter dem grotesken Titel:
Pille lässt Frauen den falschen Partner wählen.
Aber die vermeintlich seriöse Agentur dpa war am Tag zuvor schon mit schlechtem Beispiel vorangegangen, als sie die Überschrift wählte:
Pille schlecht für Partnerwahl.
Diese Verkürzung hatte zwar den kleinen Nachteil, falsch zu sein, der aber von dem unschätzbaren Vorteil wettgemacht wurde, die Meldung auch jenseits der seriösen Medien und Wissenschaftsseiten richtig attaktiv zu machen. So meldete die „Bild“-Zeitung in ihrer Nachrichtenspalte auf Seite 1:
Anderer Partner durch Pille
(…) Frauen, die die Pille verwenden, wählen eher Männer, die ihrem eigenen Genpool sehr ähnlich sind. Andere Frauen entscheiden sich für möglichst abweichendes Erbgut. (…)
Das war immerhin nicht halb so abwegig wie der Quatsch, den der „Berliner Kurier“ am selben Tag produzierte, der unter der Überschrift „Millionen Frauen fahren auf den falschen Mann ab“ fantasierte:
(…) Jemanden gut riechen können, das fällt mit Pille Frauen schwerer. (…)
Aber die Boulevardpresse hatte — dank dpa — kein Monopol auf den Unsinn. „Welt“ und „Berlier Morgenpost“ zum Beispiel berichteten, ganz wie die Agentur:
[Laut der Studie] fühlt sich eine Frau anhand des Geruchs normalerweise von Männern angezogen, die genetisch verschieden von ihr sind. Und das ist gut für die Nachkommen. Doch durch die Pille suche sich eine Frau eher genetisch ähnliche Partner aus, berichteten die Forscher.
Für den Vorspann hat die „Welt“ noch frei improvisiert und behauptet in ihrer Ahnungslosigkeit:
Eine britische Studie kommt zu überraschenden Ergebnissen: Die Pille ist schlecht für die Partnerwahl und kann sogar das Ende einer Beziehung einläuten.
Abgesehen davon, dass die These über diese Wirkung der Pille nicht überraschend ist, sondern, wie gesagt, von Wedekind vor über zehn Jahren aufgestellt wurde: Nicht die Pille würde das Ende einer Beziehung einläuten. Sondern allenfalls ihre Absetzung.
Nicht einmal die „Wissens“-Seite der „Süddeutschen Zeitung“ machte sich die Mühe, die lächerlichen acht Seiten der Veröffentlichung selbst zu lesen. Aber „SZ“-Autor Mark Hammer hat den ganzen Schwachsinn, der überall zirkulierte, unbesehen geglaubt und in seinem Artikel „Durch die rosa Brille“ weiterverbreitet — und in seiner Fehlerhaftigkeit noch ausgeschmückt:
Frauen, die die Pille nicht nahmen, fanden eher Männer attraktiv, die sich genetisch stärker von ihnen unterschieden. Die übrigen bevorzugten ähnlichere Männer.
Nein, taten sie nicht. Hätten sie theoretisch sollen. Aber taten sie nicht.
Es steht, kostenlos für jeden im Netz nachlesbar, in der Studie selbst:
Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass es — wenistens in unserer Stichprobe — weder eine signifikante allgemeine Tendenz unter Frauen mit normalem Zyklus gab, Männer mit abweichenden Genen zu bevorzugen, noch eine signifikante Bevorzugung von Männern mit ähnlichen Genen bei Verwenderinnen der Pille.
Die Geschichte von der Pille, die Frauen die falschen Männer wählen lässt, geht um die Welt. Weil die Geschichte für die wenigen Medien, die den Stoff der Nachrichten- und PR-Agenturen überhaupt noch manchmal überprüfen, viel zu gut ist, um es tatsächlich zu tun.
Nur Nina Bublitz hat auf stern.de die andere Geschichte erzählt: die von dem „Unsinn mit der Pille und dem Schweiß“.
*) Ja, ich weiß, dass die Geschichte von den Potemkischen Dörfern vermutlich auch nur eine Legende ist.
[via Björn Erichsen]