Autor: Stefan Niggemeier

Dirk Bach

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Es sind gar nicht nur der Bauch und die baumelnden Ärmchen und die lustige, figurbedingte Art zu laufen. Es sind vor allem die großen Augen mit diesen langen Wimpern und markanten Augenlidern, die so aussehen wie die aufgeklebten Augen bei den sympathischen Puppen aus der „Sesamstraße“. Es ist eine freundliche, laute, bunte Muppetfigur, die uns aus dem Fernsehen entgegenlacht, wenn Dirk Bach darin auftritt.

Und das tut er seit langer Zeit schon mit erstaunlicher Konstanz. Als vor alberner Freude quietschender Spielleiter in der Improvisationsshow „Frei Schnauze XXL“, die wirkt, als sei einer der größten Posten in ihrem Produktionsetat Eierlikör. Als ebenso vergnügte wie vergnügliche Glückspraline für Sonja Zietlow in der Dschungelshow. Als Schauspieler in mutmaßlich traurigen Fernsehfilmen mit Titeln wie „Popp dich schlank“ oder „Crazy Race“. Oder auch in der „Sesamstraße“ — als (menschlicher) Zauberer Pepe.

Dirk Bach polarisiert. Nach einer repräsentativen Umfrage im Bekanntenkreis ist er für 71 Prozent der Deutschen Inbegriff der Nervensäge im Fernsehen. Aber er ist in dem Einerlei von gesichtslosen Moderatoren, die unser Fernsehen bevölkern, ein Wunder. Und er ist nicht nur schrill, sondern hat sogar Prinzipien. Von morgen an spielt er eine neue Rolle: den Gameshow-Master. Eine Woche lang täglich und dann immer am Dienstag moderiert er um 22.15 Uhr auf Vox „Power of 10“, eine Sendung, in der die Kandidaten das Ergebnis von Meinungsumfragen erraten müssen: Wie viel Prozent der Deutschen halten Versicherungsbetrug für ausgleichende Gerechtigkeit, finden Frauen klüger als Männer oder sagen — ganz philosophisch –, es sei besser, geliebt zu haben und enttäuscht worden zu sein, als nie geliebt zu haben.

Das ist nicht spektakulär, aber (trotz schlimm gecasteter Kandidaten) manchmal ganz unterhaltsam. Und das Schöne ist, wenn man für so eine Show jemanden engagiert, der sonst so übertourig läuft wie Dirk Bach: Er muss sich nicht produzieren, sondern kann sich zurücknehmen und muss nur aufpassen, dass er an der Grenze zwischen unterengagiert und gelangweilt nicht plötzlich auf der falschen Seite steht. Trotz aller Muppethaftigkeit steht Dirk Bach nicht da als der legendäre Showmaster Robert aus der „Sesamstraße“. Es genügt schon, wenn der Kandidat erzählt, dass er, seit er vier ist, Leichtathletik betreibt, einzuwerfen: „Ich auch.“ Und als die Kandidaten über die Frage grübeln, wie viele Deutsche schon einmal eine Leiche berührt haben, sagt Dirk Bach: „Ich hab‘ zumindest Ute Ohoven schon einmal die Hand gegeben, ich weiß nicht, ob das zählt.“

stern.de zeigt Dias aus Polympia

Es müssen nicht immer Videos sein. Man kann sich auch mit animierten Standbildern lächerlich machen, wenn die Spezie nur gestählert genug ist — wie uns die Kollegen von stern.de heute beweisen.




(Den Hochglanz, den die ambitionierte Animation der stummen Diashow verleiht, kann ich mit den Screenshots natürlich nicht einmal im Ansatz reproduzieren, also unbedingt im Original anschauen.)

Nachtrag, 20.05 Uhr. stern.de hat die Diaschau, die auf der Startseite von stern.de als „Top-Video“ angepriesen wurde, entfernt. Es handelte sich, wie Ralf Klassen, Digital-TV-Chef von stern.de in den Kommentaren erklärt, nicht um eine Eigenproduktion von stern.de, sondern ein Produkt aus dem Hause dpa — und man wolle es bei dem Experiment belassen.

In anderer Form kann man die Präsentation noch bei der „Allgäuer Zeitung“ bewundern: Hier werden die Texte nicht stumm eingeblendet, sondern in all ihrer Eleganz von einer Sprecherin vorgelesen.

Nächste Woche entdeckt er die Europaflagge

Könnte vielleicht jemand Matthias Heine die Drogen wegnehmen? Oder wiedergeben? In seiner Kolumne in der „Berliner Morgenpost“ schrieb er gestern:

Neulich habe ich bei Ebay meinen gelben Stern bekommen. (…) Ein gelber Stern! Ich gehöre nicht zu denen, die bei so was gleich „Antisemitismus“ schreien und die Nummer der Erregungshotline wählen. Aber ein bisschen doof ist das schon.

Andererseits: Was erwarte ich eigentlich von Leuten, die bei Ebay arbeiten? Das ist ja nicht die Sorte Traumberuf, die man anstrebt, wenn man einigermaßen erfolgreich ein Gymnasium besucht und ein Studium abgeschlossen hat. Sondern ein Job für diejenigen, die bei allen anderen Eignungstests rausgeflogen sind, weil sie dachten, es hätte neben der DDR noch eine BDR gegeben, die von einem „demografisch“ gewählten Bundeskaiser Adolf Honecker regiert wurde. Und in der natürlich alles besser war. In welcher? „Das müsste ich erst mal googeln.“ (…)

(Link unter „gelber Stern“ von mir)

[mit Dank an Tom!]

Nachtrag, 28. August. Ebay-Chef Stefan Gross-Selbeck hat die Glosse „mit Bestürzung und Fassungslosigkeit“ aufgenommen.

Pille macht Journalisten impotent

Hätte Fürst Potemkin* nicht Katharina II., sondern Journalisten von heute beeindrucken wollen, hätte er sich nicht soviel Mühe geben müssen. Er hätte auf die ganzen Pappkulissen und Dorfattrappen verzichten können. Eine Illustration, ein kleiner Prospekt, hätte es getan, wenn auf ihm zu sehen gewesen wäre, was die Journalisten sehen wollten. Dann hätte er sogar mit ihnen durch die unverstellte Ödnis fahren können. Sie hätten sie gar nicht wahrgenommen und von den prachvollen Landschaften geschwärmt.

Die Ödnis, das ist in diesem Fall eine Studie, die Wissenschaftler der Universitäten Liverpool und Newcastle vergangene Woche in der britischen Fachzeitschrift „Proceedings of the Royal Society B“ veröffentlicht haben. Sie untersuchten, wie die Pille die Vorlieben von Frauen bei der Partnerwahl beeinflusst. (Nach einer berühmten Studie des Biologen Claus Wedekind aus dem Jahr 1995 finden Frauen den Körpergeruch von Männern attraktiver, die ihnen genetisch weniger ähnlich sind — was gut ist, um die Chancen für gesunden Nachwuchs zu erhöhen. Die Pille kehrt diesen Effekt laut Wedekind aber um.)

Die britischen Wissenschaftler hatten Pech: Es gelang ihnen nicht einmal, die Ergebnisse von Wedekind zu reproduzieren. Weder bevorzugten ihre rund 100 Testfrauen, wenn sie keine Pille nahmen, statistisch signifikant den Geruch der ihnen genetisch fremden Männer. Noch bevorzugten sie, wenn sie die Pille nahmen, den Geruch der ihnen genetisch ähnlichen Männer.

Erst nach diversen Statistik-Tricks gelang es den Forschern, überhaupt einen Effekt nachzuweisen: Wenn man alles mögliche herausrechnet, findet man mit Mühe eine Gruppe von Frauen, die mit der Pille den genetisch ähnlichen Mann tatsächlich etwas besser riechen kann als den genetisch fremden.

Die Veröffentlichung mit den mageren Ergebnissen kann seit vergangenem Dienstag jeder, den es interessiert, kostenlos online nachlesen [pdf]. Gleichzeitig hat die Fachzeitschrift aber eine Pressemitteilung herausgegeben, in der sie die Ergebnisse spannender macht, als sie sind. Sie wimmelt zwar von „könnte“ und „würde“, aber die Überschrift ist von betörender Eindeutigkeit:

Pille beeinflusst Partnerwahl.

Einer solch betörenden Botschaft hat die moderne Medienwelt nichts entgegenzusetzen, schon gar keine Recherche. Und so machten die vermeintlich revolutionären Erkenntnisse Medienkarriere.

Englischsprachige Medien berichteten unter Überschriften wie „Pill use ‚affects partner choice'“ (BBC), „The Pill may put you off smell of your man and ruin your relationship“ („The Times“), „Birth control affects sexiness of a man’s scent“ (Reuters), „Contraceptive pill ‚can lead women to choose wrong partner'“ („Guardian“) und „Taking the pill ‚can make women pick Mr. Wrong'“ (AFP). Keiner der Genannten hatte eine zweite Meinung eingeholt, um die Ergebnisse der Studie einzuschätzen.

Richtig Schwung bekam die Geschichte, als sie ins Deutsche übersetzt wurde und die ganzen „can“ und „may“ plötzlich verschwanden. Die Nachrichtenagentur AFP entschied sich, einfach jede notwendige Relativierung zu ignorieren und brachte die Meldung am Mittwoch unter dem grotesken Titel:

Pille lässt Frauen den falschen Partner wählen.

Aber die vermeintlich seriöse Agentur dpa war am Tag zuvor schon mit schlechtem Beispiel vorangegangen, als sie die Überschrift wählte:

Pille schlecht für Partnerwahl.

Diese Verkürzung hatte zwar den kleinen Nachteil, falsch zu sein, der aber von dem unschätzbaren Vorteil wettgemacht wurde, die Meldung auch jenseits der seriösen Medien und Wissenschaftsseiten richtig attaktiv zu machen. So meldete die „Bild“-Zeitung in ihrer Nachrichtenspalte auf Seite 1:

Anderer Partner durch Pille

(…) Frauen, die die Pille verwenden, wählen eher Männer, die ihrem eigenen Genpool sehr ähnlich sind. Andere Frauen entscheiden sich für möglichst abweichendes Erbgut. (…)

Das war immerhin nicht halb so abwegig wie der Quatsch, den der „Berliner Kurier“ am selben Tag produzierte, der unter der Überschrift „Millionen Frauen fahren auf den falschen Mann ab“ fantasierte:

(…) Jemanden gut riechen können, das fällt mit Pille Frauen schwerer. (…)

Aber die Boulevardpresse hatte — dank dpa — kein Monopol auf den Unsinn. „Welt“ und „Berlier Morgenpost“ zum Beispiel berichteten, ganz wie die Agentur:

[Laut der Studie] fühlt sich eine Frau anhand des Geruchs normalerweise von Männern angezogen, die genetisch verschieden von ihr sind. Und das ist gut für die Nachkommen. Doch durch die Pille suche sich eine Frau eher genetisch ähnliche Partner aus, berichteten die Forscher.

Für den Vorspann hat die „Welt“ noch frei improvisiert und behauptet in ihrer Ahnungslosigkeit:

Eine britische Studie kommt zu überraschenden Ergebnissen: Die Pille ist schlecht für die Partnerwahl und kann sogar das Ende einer Beziehung einläuten.

Abgesehen davon, dass die These über diese Wirkung der Pille nicht überraschend ist, sondern, wie gesagt, von Wedekind vor über zehn Jahren aufgestellt wurde: Nicht die Pille würde das Ende einer Beziehung einläuten. Sondern allenfalls ihre Absetzung.

Nicht einmal die „Wissens“-Seite der „Süddeutschen Zeitung“ machte sich die Mühe, die lächerlichen acht Seiten der Veröffentlichung selbst zu lesen. Aber „SZ“-Autor Mark Hammer hat den ganzen Schwachsinn, der überall zirkulierte, unbesehen geglaubt und in seinem Artikel „Durch die rosa Brille“ weiterverbreitet — und in seiner Fehlerhaftigkeit noch ausgeschmückt:

Frauen, die die Pille nicht nahmen, fanden eher Männer attraktiv, die sich genetisch stärker von ihnen unterschieden. Die übrigen bevorzugten ähnlichere Männer.

Nein, taten sie nicht. Hätten sie theoretisch sollen. Aber taten sie nicht.

Es steht, kostenlos für jeden im Netz nachlesbar, in der Studie selbst:

Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass es — wenistens in unserer Stichprobe — weder eine signifikante allgemeine Tendenz unter Frauen mit normalem Zyklus gab, Männer mit abweichenden Genen zu bevorzugen, noch eine signifikante Bevorzugung von Männern mit ähnlichen Genen bei Verwenderinnen der Pille.

Die Geschichte von der Pille, die Frauen die falschen Männer wählen lässt, geht um die Welt. Weil die Geschichte für die wenigen Medien, die den Stoff der Nachrichten- und PR-Agenturen überhaupt noch manchmal überprüfen, viel zu gut ist, um es tatsächlich zu tun.

Nur Nina Bublitz hat auf stern.de die andere Geschichte erzählt: die von dem „Unsinn mit der Pille und dem Schweiß“.

*) Ja, ich weiß, dass die Geschichte von den Potemkischen Dörfern vermutlich auch nur eine Legende ist.

[via Björn Erichsen]

Laubsägearbeiten?

Sehr verwirrend, diese Startseite von „Zeit Online“. Stehen Angela Merkel und Dimitri Medwedjew in Sotschi vor einem Fenster, durch das die „Zeit Online“-Werbung durchschimmert? Oder stehen sie in Wahrheit vor der chinesischen Mauer, und jemand hat nur die „Zeit Online“-Homepage mit ausgesägtem Foto-Fenster davorgehalten?

Michael Johnson trifft Johannes B. Kerner

Gestern abend im ZDF:

Johannes B. Kerner: Zwei Mitglieder [der amerikanischen 4×400-Meter-Staffel von Sydney] sind des Dopings überführt worden. Einer hat gesagt, er hat’s getan. Sie haben gesagt, Sie haben nicht gedopt. Können Sie verstehen, dass es kritische Stimmen gibt, die sagen: Mensch, ausgerechnet der schnellste aus der Staffel von damals, der soll nichts genommen haben?

Michael Johnson: That’s a stupid question and I’m not gonna answer it.

Mal abgesehen davon, dass es schade ist, dass Senta Berger und Margarethe Schreinemakers nicht dabei sein konnten — gibt es wirklich niemanden im ZDF, dem sich die Fußnägel aufrollen, wenn er diese Gespräche sieht?

Es ist gut und richtig, dass Michael Johnson sich diese Fragen anhören muss. Es ist nur ein billiges Ablenkungsmanöver, wenn Michael Johnson am Ende daraus eine Verirrung der Deutschen oder des deutschen Fernsehens machen will.

Aber müsste Kerner nicht irgendwann erkennen (oder müsste ihn nicht irgendwann jemand vom ZDF beiseite nehmen und sagen), dass seine Form, Gespräche zu führen, untauglich ist, wenn ihm jemand anderes gegenübersitzt als Verona Pooth?

Er hat sie in seiner Sat.1-Vormittagstalkshow entwickelt, seine spezielle Form der Uneigentlichkeit, des Nicht-Fragens, und in seiner ZDF-Talkshow perfektioniert. Es ist seine Möglichkeit, tief im Schmutz zu wühlen, ohne selbst dreckig zu werden. Er, Kerner, hat ja immer nur gefragt und manchmal nicht einmal das. Nur zitiert, was andere meinen könnten. Angesprochen, was andere angesprochen haben, ohne es selbst angesprochen zu haben. Besonders eindrucksvoll demonstrierte er diese Methode, als vor Jahren die Schlagersängerin Michelle zu Gast war, der damals eine Affaire mit Oliver Kahn nachgesagt wurde. Das Gespräch begann so:

Kerner: Hallo Michelle, herzlich willkommen. Ja, übrigens Oliver Kahn war eigentlich angesagt für diese Sendung. Der FC Bayern hat ihm nach den glorreichen Spielen zuletzt verboten, die Stadt zu verlassen, und deshalb konnten wir das schöne Treffen mit Ihnen… Hätten Sie ihn gerne mal kennengelernt?

Michelle: Das ist schade, weil man sagt ja, ich hätte ein Verhältnis mit ihm, und ich hätte ihm zumindest vorher gerne einmal die Hand geschüttelt.

Kerner: Ach, Sie haben ihn noch nie getroffen?

Michelle: Nein, ich kenne ihn leider nicht.

Kerner: Ich kannte das Gerücht. Ich hätte nicht die Frechheit besessen, Sie darauf anzusprechen. Aber er ist ja glücklich verheiratet, wird Vater, zum zweiten Mal, das müßten Sie eigentlich wissen?

Nun versucht er, mit dieser Methode kritischen, nachhakenden, mutigen Journalismus zu simulieren: Michael Johnson, „Können Sie verstehen, dass es kritische Stimmen gibt, die sagen“? Er traut sich nicht selbst aus der Deckung, weshalb es auch so unwürdig ist, ihm dann beim Zurückschliddern zuzusehen. Bei seinem Kampf, seine Frage gleichzeitig als zulässig zu verteidigen, aber auch klarzumachen, dass es gar nicht seine Frage war. Bei seinem Rückzug auf ein schlichtes Rollenspiel, in dem Johnson und er nur tun, was sie tun müssen.

Und bei seiner nachhaltigen Irritation, dass er das Publikum plötzlich gegen sich hat. Wäre er kritischer Journalist und würde nicht nur gelegentlich in diese Rolle zu schlüpfen versuchen, wüsste er, dass es von den Fans natürlich keinen Applaus gibt für die Spielverderber, die ihre schönen Spiele kaputtmachen und an ihren Idolen sägen wollen. Kerner aber ist Showmaster.

Das ganze Gespräch in der ZDF-Mediathek