Autor: Stefan Niggemeier

Klickdoping mit 16 Buchstaben

Ja, das wirkt sehr unspektakulär, das „gute alte Kreuzworträtsel“, das „Welt Online“ seinen Lesern täglich neu präsentiert. Der Clou ist unsichtbar: Das Spiel ist so programmiert, dass jeder einzelne Buchstabe, den ein Leser hier einträgt, als ein Seitenaufruf zählt. Eine einzelne Kniegeige verbessert die Bilanz von „Welt Online“ um fünf PageImpressions; wer das Rätsel komplett löst, produziert über 100 PageImpressions mindestens.

Das ist eine stattliche Zahl verglichen mit den Klicks, die sich durch einzelne Artikel oder sogar Bildergalerien produzieren lassen — vom minimalen Aufwand ganz zu schweigen. Und deshalb ist der Trick auch keine exklusive Erfindung von „Welt Online“. Der Online-Auftritt der „Süddeutschen Zeitung“ hat sein Sudoku genauso produziert: Jede einzelne Zahl, die in das Gitter eingetragen wird, wird als kompletter Seitenaufruf der IVW übermittelt, deren Werte die Standardwährung im Online-Werbegeschäft sind.

Dasselbe gilt für dieses Sudoku der „Zeit“:

Das Puzzle „Klick it like Beckham“, das sueddeutsche.de in immer neuen Varianten auflegt, ist sogar so programmiert, dass jeder Spielzug gleich zwei Klicks produziert:

Mit allen Mitteln versuchen die Online-Medien die Zahl ihrer PageImpressions künstlich in die Höhe zu treiben, denn diese Zahl wird gerne fälschlicherweise für eine Messgröße für Erfolg und gar Qualität gehalten. Die Vermarkter werben mit ihr, Medienjournalisten erstellen Rankings und küren Sieger und Verlierer.

Das künstliche Aufblähen dieser Zahlen durch entsprechend programmierte Rätsel und Spiele widerspricht dabei nach Ansicht der IVW nicht einmal ihren Regeln. Danach gilt als PageImpression zwar nur, wenn durch die Aktion eines Nutzers (also einen Klick oder eine Eingabe) „eine wesentliche Veränderung des Seiteninhaltes“ bewirkt wird. Aber wenn da in einem Kreuzworträtsel nicht mehr „CELL“, sondern „CELLO“ steht, sieht die IVW darin schon eine „wesentliche Veränderung des Seiteninhaltes“.

Und man kann sich nicht einmal darauf verlassen, dass die auf diese Weise massenhaft produzierten PageImpressions in der IVW-Statistik unter „Spiele“ ausgewiesen werden. Die Medien dürfen sie auch als „redaktionellen Content“ deklarieren, in der Rubrik „Entertainment & Lifestyle“, als handele es sich um journalistische Inhalte. Das Sudoku von „Zeit Online“ zum Beispiel lässt auf diese Weise das redaktionelle Angebot attraktiver erscheinen als es ist.

Hans-Jürgen Jakobs, Chefredakteur von sueddeutsche.de, mag darin kein Problem sehen: „Wie Sie wissen, bieten viele Zeitungen und Zeitschriften auf Papier Rätsel- und Sudoku-Ecken an, weil sie zurecht davon ausgehen, hier auf Publikumsinteresse zu stoßen. Sollen wir solche Formen ignorieren? Geht es nicht immer daran, eine Mischung anzubieten — aus Information, Investigation, Bildung und auch Unterhaltung?“

Per E-Mail teilte er mit mit: „Seien Sie versichert, dass wir uns — so wie die FAZ — ganz nach den Vorgaben der IVW richten.“ Nun ja: Die IVW hat angekündigt, eine frühere Version von „Kick it like Beckham“ kritisch zu überprüfen. Es handelte sich um eine Art Puzzle, das selbst dann eine PageImpression zählte, wenn das Puzzlestück, das der Leser einzusetzen versuchte, nicht passte und zurück an seinen alten Platz schnappte. Das entspricht womöglich nicht einmal nach Ansicht der IVW einer „wesentlichen Änderung“.

Auf meine Frage, ob er sich vorstellen kann, auf solches Klickdoping zu verzichten, wenn sich andere Verlage auch dazu verpflichten — analog seiner Forderung nach gemeinsamen Beschränkungen der Suchmaschinen-Manipulation — antworte Jakobs klar mit Nein: „Spiele habe ich nicht gemeint.“

In der Pressestelle der Axel-Springer-AG stellt man sich dumm, was die Problematik dieser Art von Klickdoping angeht, und erklärt, mein Anliegen „verwundere“ die Kollegen von „Welt Online“. Verlagssprecher Dirk Meyer-Bosse fügt hinzu: „Wir bewegen uns mit all unseren Angeboten auf WELT ONLINE, also auch mit Online-Spielen, voll und ganz im Rahmen der Richtlinien der IVW, mit der wir auch im engen Austausch stehen“.

Was Meyer-Bosse nicht sagt: Dieser „enge Austausch“ kann auch darin bestehen, dass die IVW die Zählung beanstandet. Neulich stellte sich heraus, dass „Welt Online“ die Klicks, die das Kreuzworträtsel generierte, als Zugriffe auf „Nachrichten“ auswies. Sicher waren die Kollegen von „Welt Online“ verwundert, als das herauskam.

Der Sprecher deutet aber zumindest begrenzte Aussagekraft der IVW-Zahlen an, indem er sagt, für „Welt Online“ sei „die wichtigste Zählgröße die AGOF“, eine repräsentative Studie, die aus verschiedenen Erfassungsmethoden die Reichweite der Online-Medien berechnet. (Das hindert Springer natürlich nicht, mit den durch groteske Klickstrecken und eben Kreuzworträtsel aufgepumpten PageImpressions regelmäßig zu prahlen.)

Im vertraulichen Gespräch räumen Verantwortliche von Online-Medien durchaus ein, dass das IVW-Verfahren Unsinn ist und die Zahlen nur noch wenig Aussagekraft haben. Auch bei der IVW sieht man die Notwendigkeit zur Reform. „Alle sind sich darüber im Klaren, dass wir daran gehen müssen“, sagt Online-Bereichsleiter Jörg Bungartz, der von einer „sich verschärfenden Problematik“ spricht. Als Beispiel nennt er auch Videos, die so programmiert sind, dass es schon als PageImpression gewertet wird, wenn der Zuschauer zwischendurch bloß die Pausetaste drückt. Immer wieder stelle sich die Frage: „Ist es das, was wir zählen wollen?“ Die IVW wolle aber nicht voreilig die Definitionen ändern, um einzelne Lücken zu schließen, sondern arbeite an einer zukunftssicheren Reform. Die ist für nächstes Jahr geplant.

Die Zeit, bis es soweit ist, können Sie ja nutzen, um bei faz.net ihr Gehirn zu trainieren, zum Beispiel mit dem Silbenrätsel. Und ärgern Sie nicht, wenn Sie Fehler machen. Jeder einzelne Klick, sogar ein falscher, zählt als PageImpression und poliert die Online-Bilanz von faz.net auf. Das ist doch auch was.

Falschparker auf Hermans Autobahn (3)

Die erste Frage, die sich stellt, wenn man den Beschluss des Kölner Oberlandesgerichtes liest, ist die, ob die deutsche Sprache dagegen klagen könnte. Oder wenigstens die Verben, wegen Diskriminierung:

Die gemäß §§ 99 Abs. 2, 567 ff ZPO statthafte und auch den sonstigen Voraussetzungen nach zulässige sofortige Beschwerde der Verfügungsbeklagten gegen die in dem nach Anerkenntnis zu dem geltend gemachten Unterlassungspetitum durch das angefochtene Schlussurteil getroffene gesonderte Kostenentscheidung ist in der Sache erfolgreich.

Ist das nicht sensationell, was die Richter alles zwischen den Artikel „die“ und das dazugehörige Substantiv „Kostenentscheidung“ gepackt haben? Und das ist nur der erste Satz. Der nächste lautet:

Allerdings gilt das nicht, soweit die sofortige Beschwerde sich im Hauptantrag dagegen wendet, dass das Landgericht die Kostenverteilung anhand der sich aus dem bisherigen Sach- und Streitstand ergebenden Erfolgsaussichten des Rechtsschutzbegehrens der Verfügungsklägerin vorgenommen hat, anstatt — wie die Verfügungsbeklagte das vertritt und mit der sofortigen Beschwerde in erster Linie zu erreichen sucht — den sich aus § 98 ZPO im Falle des Vergleichsschlusses formulierten gesetzlichen Verteilungsmaßstab der Kostenaufhebung als maßgeblich zu erachten.

So geht das viele Absätze weiter, und als sei der Beschluss durch diesen Sprachbeton nicht schon undurchdringlich genug, handelt es sich bei dem Verfahren auch noch um die Beschwerde gegen ein Urteil wegen einer einstweiligen Verfügung, weshalb die Verfügungsbeklagte gleichzeitig die Beschwerdeführerin ist und die Verfügungsklägerin die Beschwerdegegnerin. Logisch.

Jedenfalls hat Eva Herman gegen die Nachrichtenagentur dpa verloren. Es geht immer noch darum, dass dpa die frühere Fernsehmoderatorin am Abend der berüchtigten „Johannes B. Kerner“-Sendung im vergangenen Oktober sinnentstellend wiedergegeben hatte (Vorgeschichte Teil 1, Teil 2). Eva Herman mahnte die Agentur zwei Monate später ab und beantragte im Januar schließlich eine einstweilige Verfügung. Beide Seiten verglichen sich, umstritten blieb aber, wer die Kosten für das Verfahren tragen soll.

Das Kölner Oberlandesgericht gab jetzt einer Beschwerde von dpa statt und widersprach dem Urteil der Vorinstanz. Eva Herman muss die Kosten ganz allein tragen. Ihr Antrag auf eine einstweilige Verfügung hätte keine Chance gehabt. Es habe — mehrere Monate nach der Veröffentlichung der Meldung — keine dafür erforderliche Eilbedürftigkeit gegeben. Daran ändere auch nichts, dass Eva Herman eidesstattlich versicherte, erst am 10. Dezember von der dpa-Meldung vom 10. Oktober erfahren zu haben. Das Gericht zweifelte auch daran, dass eine Wiederholungsgefahr bestand.

Ein Bericht der evangelikalen Nachrichtenagentur Idea über einen Anfangserfolg Hermans endete im Februar mit den Sätzen:

Nach dem Sieg der Fernsehmoderatorin gegen die größte deutsche Nachrichtenagentur könnten bald weitere Medien zur Rechenschaft gezogen werden. Herman: „Es wurde Zeit, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Das war erst der Anfang. Nun geht es weiter.“

Über ihre Niederlage haben Herman und ihre publizistischen Verbündeten bislang nicht berichtet. Offenbar würde das ihrer Wahrheitsfindung nicht dienen.

Nachruf aufs Abzockfernsehen verfrüht

Die Sache ist nicht so aufregend wie sie scheint, oder genauer: wie sie die „Süddeutsche“ scheinen lassen will. Die Zeitung hatte am Wochenende in einem Artikel den Eindruck erweckt, dass das Geschäft mit teuren Gewinnspielen im Fernsehen, wie es 9Live, das DSF und andere betreiben, schon sehr bald von den Landesmedienanstalten „drastisch“ eingeschränkt werde.

Aber die meisten Auflagen, die Klaus Ott in seinem Artikel beschreibt, gelten für die Call-TV-Anbieter heute schon. Und ihre konkrete Umwandlung in eine Satzung, die die Grundlage bildet, um Verstöße auch mit Bußgeldern ahnden zu können, ist noch nicht halb so weit, wie er suggeriert.

„Die Landesmedienanstalten, die das Privatfernsehen beaufsichtigen, haben eine zwölfseitige Satzung für Gewinnspiele ausgearbeitet, die strenge Vorschriften enthält“, schreibt die SZ. Die nordrhein-westfälische Landesmedienanstalt LfM erklärt dagegen, weder gebe es bislang eine Satzung, noch einen Entwurf. Und den Vorentwurf, auf den sich die SZ beziehe, würden noch nicht einmal alle Landesmedienanstalten kennen.

Die SZ schreibt, in Zukunft dürfe ein Anruf bei einer Call-TV-Sendung nicht mehr als 50 Cent kosten; Anreize zum wiederholten Mitspielen und das Aufbauen nicht vorhandenen Zeitdrucks seien unzulässig. Offenbar ist der SZ nicht bewusst, dass all das längst gilt [pdf] und nur nicht mit Bußgeldern gehandet werden kann, weil ein entsprechender Passus im Rundfunkstaatsvertrag fehlt. Das holt der zehnte Rundfunkänderungsstaatsvertrag [pdf] nach, der am 1. September 2008 in Kraft tritt.

In der neuen Fassung des Staatsvertrags, der bereits im vergangenen Jahr von den Ländern ratifiziert wurde, gibt es einen § 8 a, in dem es heißt:

Gewinnspielsendungen und Gewinnspiele sind zulässig. Sie unterliegen dem Gebot der Transparenz und des Teilnehmerschutzes. Sie dürfen nicht irreführen und den Interessen der Teilnehmer nicht schaden. Insbesondere ist im Programm über die Kosten der Teilnahme, die Teilnahmeberechtigung, die Spielgestaltung sowie über die Auflösung der gestellten Aufgabe zu informieren. Die Belange des Jugendschutzes sind zu wahren. Für die Teilnahme darf nur ein Entgelt bis zu 0,50 Euro verlangt werden (…).

Eine Satzung soll diese allgemeinen Vorgaben um konkrete Richtlinien und Vorgaben ergänzen, was genau als Ordnungswidrigkeit gilt. Doch wie der Text lauten werde, steht noch längst nicht fest — mit Sicherheit anders als der jetzige Vorentwurf, sagt Peter Widlok, Sprecher der LfM, der „substanziellere“ Änderungen gegenüber den heute geltenden Gewinnspielregeln erwartet.

Unklar ist auch, ob diese Satzung überhaupt rechtzeitig zum Inkrafttreten des neuen Rundfunkstaatsvertrages fertig wird; das ist sogar eher unwahrscheinlich. Zu dem aufwändigen Abstimmungsverfahren gehört nämlich nicht nur, dass die Gremien jeder einzelnen der 14 Landesmedienanstalten der Satzung zustimmen müssen; auch die öffentlich-rechtlichen und privaten Sender müssen vorher angehört werden. Bislang gibt es nach den Worten Widloks noch nicht einmal einen Termin für diese Anhörungen.

Es ist noch ein weiter Weg, bis die Anrufsender in Deutschland tatsächlich dazu gezwungen werden, ihre Spiele fair und transparent zu veranstalten. Wenn überhaupt.

Bitte hier klicken!

Sollen wir die schönsten Zahlen zwischen 1 und 10 000 bringen? Oder hundert Bauchnabel? Wie der Online-Journalismus seine Autorität verspielt.

· · ·

Das erste Opfer des modernen deutschen Online-Journalismus ist die Tabelle. Sicher, das schien mal eine praktische Erfindung der Menschheit zu sein: die Möglichkeit, Informationen in Zeilen und Spalten anzuordnen, so dass man sie auf einen Blick erfassen und gut vergleichen konnte. Aber für die Online-Optimierer von heute ist schon die Formulierung „auf einen Blick“ ein klarer Hinweis, dass da etwas verschenkt wird. Klicks.

Und so sitzen in den Redaktionsräumen der großen Online-Medien jeden Tag Menschen und machen aus Tabellen Bildergalerien, notfalls auch ganz ohne Bilder. Bei „Welt Online“ sind sie besonders fleißig. In einem Artikel über angebliche „Koks-Hochburgen“ haben sie eine Übersicht gebaut, wie sich die Rückstände der Droge in den Flüssen verschiedener Städte in den vergangenen Jahren entwickelt haben. Obwohl, „Übersicht“ trifft es nicht: Auf jeder Seite steht nur eine Stadt. Die nächste Stadt erscheint nicht darunter, sondern auf der nächsten Seite. Wer versucht, hier die verschiedenen Werte miteinander zu vergleichen, wird nicht glücklich werden — aber die Vermarkter von „Welt Online“ glücklich machen: Mindestens 27 Klicks produziert er, wenn er dumm, gelangweilt oder interessiert genug ist, sich durch die ganzen Zahlen zu klicken.

Und es braucht nicht einmal eine richtige Tabelle für diese Art der Inflation. Eine bloße Liste tut es auch. Aktuell etwa die „Liste der 100 gefährlichsten Internetseiten“. „Welt Online“ hat jede Adresse, ohne jegliche weitere Information, auf eine eigene Seite geschrieben. Hundert Seiten, hundert Klicks. Man kann die „Liste“ deshalb auch nicht ausdrucken, um sie sich, was nützlich wäre, neben den Computer zu legen — es wäre ein hundertseitiges Buch mit viel Raum für Notizen.

Die Informationen sind, wie in Hunderten, wenn nicht Tausenden ähnlichen Fällen auf ähnlichen Seiten, nicht als Service aufgemacht, sondern im Gegenteil: so, dass es möglichst beschwerlich ist, an sie heranzukommen. Entsprechend laut ist das Murren in den Kommentaren unter dem Artikel. Reihenweise beschweren sich Leser, dass die (ohnehin zweifelhaften und von einer „Fachzeitschrift“ namens „Computer-Bild“ abgeschriebenen) Angaben nicht als Tabelle präsentiert wurden. Einer gratuliert zur „schwachsinnigsten Galerie des Jahres“ und regt an, als Nächstes in dieser Form „die 500 schönsten Zahlen bis 10.000“ zu präsentieren.

Die Kritik verhallt ohne Antwort. Entweder weil die Online-Leute längst verinnerlicht haben, dass sie nicht für die Leser arbeiten. Oder weil sie schon diskutieren, ob die „2192“ oder „2193“ schöner ist und man nicht besser gleich die 10 000 schönsten Zahlen bis 10 000 präsentieren sollte.

„Welt Online“ ist damit nicht allein. Aber „Welt Online“ hat Monate rasanten Wachstums hinter sich und gilt im Augenblick mit seinen Besucher- und Klickzahlen als einer der erfolgreichsten Ableger klassischer Medien. Offiziell wird das mit der „Online First“-Strategie erklärt, wonach auch Zeitungsinhalte sofort, noch vor der Belichtung, im Internet veröffentlicht werden. Doch abgesehen davon, dass die „Welt“ diese Strategie keineswegs so konsequent betreibt, wie sie behauptet, ist die Erklärung abwegig. „Welt Online“ besticht nicht durch Qualität, sondern pure Masse.

Zu den Spezialitäten gehört eine 333-teilige Bildergalerie mit wahllos aus Frauenzeitschriften und anderen dubiosen Quellen zusammengetragenen „Fakten über Sex“ sowie die vielfältige, nein: vielfache Möglichkeit, Prominente anhand ihrer Körperteile zu erkennen: „Welt Online“ zeigt erst nur das Ohr, dann den ganzen Promi, und wer sich durch Dutzende Fotos geklickt hat, kann das ganze Spiel in weiteren Bilderquizgalerien mit dem Po, den Augen, dem Busen, den Lippen, den Tätowierungen wiederholen.

Ein zentrales Argument, das immer wieder gegen eine starke Online-Präsenz von ARD und ZDF angeführt wird, besagt, dass es im Internet einen hervorragend funktionierenden publizistischen Wettbewerb gebe, der ganz ohne Öffentlich-Rechtliche genügend Qualität hervorbringe. Richtig ist, dass sich auf den Seiten deutscher Online-Medien viele kluge Kommentare, sorgfältige Recherchen, aufwendige Reportagen finden. Aber der größte Teil von ihnen stammt aus deren gedruckten Ausgaben. Natürlich ist nichts dagegen zu sagen, diese Inhalte auch online zu publizieren, im Gegenteil. Nur werden diese teuren Elemente des Journalismus nicht von den immer noch mageren Online-Erlösen bezahlt, sondern den Anzeigen und Vertriebseinnahmen der traditionellen Medien.

Weite Teile dessen, was uns wie Vielfalt und Qualität im deutschen Online-Journalismus vorkommt, sind eigentlich nur eine Zweitverwertung — und de facto durch die Zeitungen quersubventioniert. Was für online produziert und tatsächlich von den Online-Erlösen bezahlt wird, ist dagegen oft von ernüchternder bis erschütternder Qualität: unredigierte Texte von Nachrichtenagenturen; eine willenlose Aus- und Verwertung all dessen, was die internationalen Boulevardmedien täglich so an Halb-, Falsch- und Nichtmeldungen produzieren; eilig zusammengestrickte Artikel von Menschen, die sich nicht unbedingt auskennen. Zu den beliebten billigen Genres gehört auch die Fernsehkritik — bei „Welt Online“ zum Beispiel werden tagtäglich irgendwelche Sendungen vom Vortag nacherzählt, gelegentlich auf einem sprachlichen Niveau, das viele Schülerzeitungen beschämen würde.

Jenseits von „Spiegel Online“, das immerhin bewiesen hat, dass es möglich ist, ein ordentliches Boulevardmagazin mit großem Erfolg im Internet zu etablieren, gibt es in Deutschland praktisch noch kein funktionierendes Geschäftsmodell für Qualitätsjournalismus im Internet. Und der vermeintliche publizistische Wettbewerb, der hier stattfindet, ist in weiten Teilen nur ein verzweifeltes Wettrennen darum, mit irgendwelchen Mitteln die meisten Menschen auf die Seite zu bekommen und dort wiederum mit irgendwelchen Mitteln die meisten Klicks produzieren zu lassen, die dann als „Page Impressions“ der Werbewirtschaft verkauft werden — und den Fachmedien, die auf dieser Grundlage vermeintlich erfolgreiche und vermeintlich weniger erfolgreiche Online-Angebote unterscheiden.

Guter Journalismus ist leider nicht unbedingt die beste Möglichkeit, dieses Wettrennen kurzfristig für sich zu entscheiden. Das Verhältnis von Aufwand zu Klicks ist wesentlich besser, wenn man auf Bildergalerien, Spiele oder Rätsel setzt. Die bis mindestens nächstes Jahr noch geltenden Regeln der Auflagenkontrolle IVW, die online eine entscheidende Währung darstellt, lässt es zum Beispiel zu, ein Kreuzworträtsel online so zu programmieren, dass jeder eingegebene Buchstabe als ein Seitenabruf gewertet wird. Und die so generierten Klicks müssen nicht einmal unbedingt separat in der Rubrik „Spiele“ ausgewertet werden, sondern können unter bestimmten Bedingungen als redaktionelle Inhalte im Bereich „Entertainment“ gewertet werden.

Noch gravierender als das Ausweichen der Online-Medien auf nicht journalistische Inhalte ist aber, wie der Quotendruck in Verbindung mit mageren Einnahmen die journalistischen Inhalte selbst verändert. Er führt zu Formen, die man als das Gegenteil von Journalismus sehen kann. Eine klassische Aufgabe des Journalisten scheint dabei fast völlig zu verschwinden: die der Auswahl der Nachrichten. Die wäre angesichts der Informationsflut im Internet eigentlich von ganz besonderer Bedeutung. Aber jede zweifelhafte, unwichtige, abseitige Meldung, die ein Online-Medium nicht bringt, bedeutet zunächst einmal: weniger Klicks. Deshalb steht ungefähr bei allen alles. Das Filtern irrelevanter Informationen als journalistische Dienstleistung verschwindet weitgehend.

Besonders dramatisch ist das im Umgang mit Fotos zu beobachten. Während die Redaktionen früher ein besonders geeignetes Bild auswählten, um eine Nachricht zu bebildern, ist die Regel im Internet, zu jeder Meldung einfach all das auszukippen, was die Agenturen irgendwann im weiteren Sinne zu dem Thema geliefert haben. Im kopflosen Versuch, den Lesern alles zu bieten, bietet man ihnen nichts — jedenfalls nicht mehr, als eine Bildersuche bei Google auch ergeben würde. Der Wert eines Fotos ist in den Online-Medien dramatisch gesunken. Weil sich gezeigt hat, dass Artikel mit Fotos häufiger angeklickt werden als Artikel ohne Fotos, gilt oft die Regel, dass jeder Artikel ein Foto haben muss. Und wenn es kein geeignetes gibt, nimmt die Redaktion ein ungeeignetes, irgendein Symbolfoto oder ein Bild, das das Redaktionssystem automatisch auswirft. Was das dem Leser dann tatsächlich bringt, ist nicht einmal zweitrangig.

Ein besonders anschauliches Beispiel, wie die Art des Wettbewerbs im Internet den Journalismus verändert, war die Online-Berichterstattung der „Rheinischen Post“ nach dem Tod des Düsseldorfer Bürgermeisters Joachim Erwin im Mai. Es ist nicht so, dass es den Verantwortlichen an Ehrgeiz gefehlt hätte. Aber es war kein Ehrgeiz, den klügsten Nachruf oder die bewegendste Reportage von seiner Beerdigung zu bringen. Es war der Ehrgeiz, so viel billigen Content aus seinem Tod zu pressen wie möglich. Das hatte nicht nur zur Folge, dass Zitate aus der Trauerfeier in einzelne Sätze zerlegt und teils mehrfach auf Klickgalerien verteilt wurden und dass gefühlt jeder Einwohner der Stadt bei „RP Online“ kondolierte. Es führte auch dazu, dass beinahe jedes Blatt Laub, das über den Friedhof wehte, mit einem eigenen Kurzfilm gewürdigt wurde — gedreht in der Qualität von Tante Erikas Urlaubsfilmen, damals, als sie gerade die neue Videokamera geschenkt bekommen hatte, eine schlechte noch dazu. Die Berichterstattung von „RP Online“ setzte Maßstäbe, was den Verzicht auf Professionalität und journalistische Qualität angeht — aber auch die Masse. Die Zahl der Page Impressions stieg im Mai um über 26 Prozent, und Geschäftsführer Oliver Eckert phantasierte: „Das überdurchschnittliche Wachstum ist Folge unserer Investitionen in die redaktionelle Qualität.“

Zu den Praktiken von „RP Online“ gehört übrigens auch, Agenturmeldungen als Eigenberichte umzudeklarieren — oder aus einer einzigen Agenturmeldung eine „Bilderstrecke“ zu machen, in dem jeder Satz eine neue Seite bekommt und auf der ersten ein Foto steht. Wie lange solche Techniken tatsächlich erfolgversprechend sind, ist schwer zu sagen. Bislang, berichten Online-Verantwortliche, sei von einer Bildergalerienmüdigkeit nichts zu spüren. Und die Frage ist, ob junge Leute, die mit dieser Art von Nicht-Journalismus aufwachsen, je etwas anderes von einem Medium erwarten werden.

Aber der Nutzer selbst steht bei den Strategien der Online-Medien teilweise gar nicht mehr im Mittelpunkt. „Welt Online“ gilt auch deshalb als so erfolgreich, weil die Artikel darauf optimiert wurden, von Google bevorzugt ausgegeben zu werden. Als Hans-Jürgen Jakobs, der Chefredakteur von sueddeutsche.de, darauf vor kurzem hinwies und „eine Konvention über statthafte und unstatthafte Maßnahmen“ dieser Art forderte, legten viele das nur als Gejammer von jemandem aus, der diesen Teil des Geschäftes einfach selbst nicht gut genug beherrscht. Richtig ist aber, dass eine Debatte notwendig ist, wie es den Journalismus verändert, wenn zum Beispiel Überschriften nicht mehr für den Leser, sondern die Suchmaschine optimiert werden.

Es ist eine Zeit des Umbruchs, und wie gefährlich diese Phase ist, kann man an den Horrormeldungen aus den Vereinigten Staaten ablesen: Allein vorletzte Woche wurden dort in der Zeitungsbranche tausend Stellen abgebaut, viele Zeitungen kämpfen ums Überleben. Das zentrale Problem ist, dass die Zuwächse der Verlage im Internet nicht ausreichen, die Verluste im Stammgeschäft auszugleichen. Eine ähnliche Entwicklung droht auch in Deutschland. Und ohne die hochwertigen Inhalte, die durch die gedruckten Zeitungen finanziert werden, könnte die deutsche Online-Medien-Welt schnell sehr trostlos und karg aussehen. Vermutlich sind die Klickmaschinen und Journalismusattrappen, die dort entstehen, auch Verzweiflungstaten, um möglichst schnell eine Größe zu erreichen, die das Überleben in einer ungewissen Zukunft sichert. Vielleicht hat dann die Online-Seite, die am schnellsten und wahllosesten die Agenturmeldungen veröffentlicht und sie mit den großbusigsten Bildergalerien anreichert, gute Überlebenschancen. Und vielleicht erkennen einige Verlage sogar dauerhaft, dass man mit anderen Dingen als Journalismus besser Geld verdient.

Eine Demokratie braucht aber Journalismus. Und bei allen Wirren und Dramen des gegenwärtigen Umbruchs werden langfristig auch diejenigen Medien beste Voraussetzungen für die Zukunft haben, die spürbar davon getrieben sind, ihre Leser über das, was wichtig ist, gut zu informieren. Und die deshalb für ihre Leser nicht beliebig sind, sondern unentbehrlich — egal ob auf Papier oder online.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Marietta Slomka

Wenn es etwas gibt, das ich in den vergangenen Monaten aus dem deutschen Fernsehen über das Leben in China gelernt habe, dann dies: Wer dort als ausländischer Reporter irgendetwas zu filmen versucht, wird sofort von Scharen scheinfreundlicher uniformierter Menschen umringt und darf – während im Hintergrund unfreundliche scheinzivile Menschen alle Filmanlässe aus dem Bild räumen – die nächsten Stunden damit verbringen, Akkreditierungen, Dokumente und Filmgenehmigungen durchzugehen.

Das ist natürlich keine irrelevante Erkenntnis. Sie sagt etwas aus darüber, wie unfrei dieses Land ist und wie groß die Paranoia der Mächtigen. Und darüber, wie ungeschickt die Sicherheitskräfte mit dem Dilemma umgehen, dass sie vor Olympia gleichzeitig besonders gründlich ungewünschte Bilder verhindern und besonders nett zu den Journalisten sein sollen.

Aber es ist dann eben doch nicht dasselbe: Ob man über die Probleme in China berichtet. Oder über die Probleme, über die Probleme in China zu berichten. Ermüdend vorhersagbar und selbstreferentiell sind diese Berichte, so oberflächlich spektakulär es auch scheinen mag, dass Marietta Slomka, unsere Marietta Slomka plötzlich in China von Stasi-Leuten belästigt wird.

Frau Slomka hat nämlich für eine Mini-Reportage-Reihe das „heute journal“ verlassen und sich mal in China umgesehen. Sie kannte Land und Leute nicht, ist entsprechend verblüfft und lässt uns an ihrem Staunen teilhaben. Den ZDF-Korrespondenten vor Ort fehlt wohl diese erfrischende Naivität – Erfahrung muss man sich im modernen Nachrichtengeschäft anscheinend vor allem als Ballast vorstellen.

Das ist ganz sympathisch, manchmal, wie Frau Slomka da herumtigert, sich in eine Schulbank setzt, mit Schülern und Künstlern plaudert, einen Fan trifft und mit ihm in ein komisches Restaurant geht und all das mit ihrer typischen Ironie kommentiert. Aber irgendwie steht sie zwischen uns und diesem Land. Und die Art, wie sie ihre Erlebnisse schildert, klingt oft, wie wenn man Kindern etwas erklärt, und in diesem Fall ist die Erzählerin auch noch die nur etwas ältere Schwester, die das, was sie uns erklärt, selbst gerade erst erfahren hat.

Das ist fluffiges Fernsehen, nett anzuschauen, gut gemeint und merkwürdig glatt. Und so telegen Frau Slomka ist und so hübsch sie sich in Szene setzen lässt, am Ende bleibt das schale Gefühl, nicht mehr mitgenommen zu haben als ihren letzten Satz: „In dieser langen Nacht hab ich eines gelernt: Peking kennt viele Farben.“

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Nuts!

Jesse Jackson hat in einem Fernsehstudio von Fox News vor der Sendung einem anderen Gast zugeflüstert, er wolle Barack Obama, weil er Schwarze so von oben herab behandele, am liebsten die Eier abschneiden.

Es ist nicht ganz abwegig, dass so ein Zitat von einem Politiker, dazu einem Parteifreund und Priester, für Furore sorgt. Aber so begierig sich die vermeintlichen Nachrichtenmedien auf die Geschichte stürzten, so schwer taten sie sich damit, ihren Lesern und Zuschauern zu vermitteln, was genau Jackson gesagt hat, ohne das sonst so harmlose und in diesem Fall so anstößige Wort „nuts“ zu gebrauchen:

[von „23/6“, via „Lost Remote“]

Die „Huffington Post“ hat auch die entsprechenden Verrenkungen der Print-Medien notiert.

Kurz verlinkt (20)

„Zeit Wissen“: Wie die „Gesellschaft für Rationelle Psychologie“ mit pseudowissenschaftlichen Studien Scheinnachrichten produziert, die die deutschen Medien begeistert verbreiten.

· · ·

„The Conspiracy Files: 9/11 – The Third Tower“: packende einstündige BBC-Dokumentation, die versucht, die vielen Merkwürdigkeiten rund um den Einsturz von Tower 7 des World Trade Center, zu erklären. (Mehr dazu, auch über die scheinbare eigene Verwicklung der BBC in den Fall, im Editors-Blog der BBC: „Controversy and Conspiracies II“, „Controversy & Conspiracies III“, Impossible Conspiracies“.)

9Live zieht Konsequenzen aus 31. Juni

9Live-Sprecherin Sylke Zeidler erklärt in den Kommentaren zu diesem Vorfall:

9Live entschuldigt sich in aller Form für diesen peinlichen und in keiner Weise akzeptablen Fehler. Der Anrufer hat selbstverständlich erneut eine Chance bekommen und wird aus Kulanzgründen darüber hinaus eine Entschädigung erhalten. Außerdem gibt es personelle Konsequenzen. Das falsche Datum beruht auf einen ärgerlichen Fehler in der Produktion des Kalenders. Bedauerlicherweise scheint nicht allen – auch in unserer Redaktion – bekannt zu sein, dass der 31. Juni nicht existiert.

Mit freundlichen Grüßen
Sylke Zeidler
9Live-Sprecherin

Das Geschäftsmodell von 9Live (3)

Am 1. Juni hätte eine Anruferin bei 9live den Jackpot gewinnen können. Einzige Voraussetzung: Ihr Geburtstag hätte mit dem Datum übereinstimmen müssen, das als nächstes auf einem großen, von 9live präparierten Abreißkalender erschien. Kleines Problem: Bei dem Datum handelte es sich um den 31. Juni.

Nachdem das Forum call-in-tv.net den Fall öffentlich gemacht hatte, bekam die Anruferin ein paar Tage später immerhin eine zweite Chance.

Heute früh kam das „Geburtstagsjackpot“-Spiel wieder zum Einsatz, im von 9live produzierten „Filmquiz“ auf Kabel 1. Und mit diesem Geburtstag hätte der Anrufer gewonnen:

Nachtrag, 10. Juli. Kabel 1 bzw. 9Live haben dem Kandidaten eine zweite Chance gegeben — nicht ohne die Tatsachen zu verdrehen.

[via call-in-tv.net]