Im Ersten läuft gerade die 400. Folge der Krankenhaussoap „In aller Freundschaft“. In verschiedenen ostdeutschen Zeitungen sind deshalb heute Jubelartikel erschienen. Die „Sächsische Zeitung“ hat in ihren eine kleine Journalismusattrappe in Form folgender Sätze eingebaut:
Gelegentlich musste die Serie auch Kritik einstecken. Vorwürfe wegen unerlaubter Schleichwerbung in mehreren Folgen wurden laut.
Ist das nicht niedlich? Vorwürfe „wurden laut“. Dass sie bestätigt sind, die Vorwürfe; dass ganze Handlungsstränge in dieser im Auftrag des MDR produzierten Krankenhausserie von der Pharmaindustrie bezahlt wurden, und dass die ARD darauf beharrt, diese von der Pharmaindustrie geschriebenen Handlungsstränge leicht retuschiert weiterhin auszustrahlen, das steht da nicht.
Ich muss mich ein bisschen nachaufregen. Darüber, wie die ARD auf die Frage reagiert hat, warum sie immer noch Schleichwerbefolgen ausstrahlt wie die, die für das (inzwischen vom Markt genommene) Medikament Vioxx wirbt. Der MDR hat, wie berichtet, nur die Namen von Medikament und Wirkstoff nachträglich geändert, aber die Handlung unverändert gelassen. Alle paar Wochen läuft die Folge in irgendeinem Dritten Programm, und alle paar Wochen fleht wieder der Patient die Ärzte an, ihm das Wundermedikament zu geben, und die ganze Zeit wird die Pharmabranche als Synonym für Barmherzigkeit, Erlösung und Selbstlosigkeit gepriesen.
NDR-Sendersprecher Martin Gartzke sagte auf Nachfrage von epd Medien: Dadurch, dass per Nachvertonung der Wirkstoffgruppenname „COX-2-Blocker“ durch den fiktiven Namen „RAG-2-Blocker“ ersetzt worden sei, lasse sich kein Bezug zu dem Medikament herstellen. Das ist falsch. Der ganze Handlungsstrang ist maßgeschneidert auf Vioxx und seine Anwendungsgebiete.
Die ARD, der NDR und der MDR müssen mir das natürlich nicht glauben. Sie könnten es aber zum Beispiel dem Deutschen Rat für Public Relations (DRPR) glauben, der sich mit dem Thema befasst hat. In einem offenen Brief forderte er den ARD-Vorsitzenden Fritz Raff am 20. Juni zu weitergehenden Schnitten auf, und schrieb: „Der interessierte Zuschauer kann den konkreten Produktbezug im Anschluss an die thematische Rezeption unschwer selbst herstellen. Dies ist in vielen Fällen sogar eine wirkungsvollere Methode als eine leichter zu durchschauende genaue Produktnennung.“
Die „Magdeburger Volksstimme“ zitierte Matthias Rosenthal, den stellvertretenden DRPR-Chef und Vorsitzenden der Beschwerdekammer für TV-Schleichwerbung mit den Worten: „Der Sender hat sich bemüht, etwas zu verändern. Aber die betreffenden Passagen zu übertünchen, reicht natürlich nicht aus.“
MDR-Sprecherin Birthe Gogarten aber sagte laut „Volksstimme“: Es „lässt sich kein Bezug zu irgendeinem Medikament herstellen.“ Sie hat Unrecht.
Anstelle von Raff antwortete dem DRPR der MDR-Fernsehdirektor Wolfgang Vietze. Laut epd-Medien vom 21. Juni erklärte er, die schon erfolgte Bearbeitung sei intensiv gewesen: „Das ging von der Retusche bis hin zu Neusynchronisierung — ein arbeitsintensiver, teurer und aufwendiger Vorgang.“ Das halte ich an sich schon für einen Skandal: Dass die ARD Rundfunkgebühren dafür ausgibt, in einem „teuren“ Verfahren eine Billigserie oberflächlich von den Schleichwerbespuren zu beseitigen, anstatt den Müll einfach wegzuwerfen. Aber die Argumentation ist vor allem entlarvend: Das war teuer, was wir gemacht haben, also muss es auch gut gewesen sein und jetzt gefälligst reichen.
Vietze erklärte weiter, die Wiederholungen seien hinsichtlich Themen- und Product-Placement „bearbeitet und bereinigt“ worden. Nach der Bearbeitung seien alle Folgen noch einmal geprüft und von der Revision freigegeben worden. „Es gab keinerlei Beanstandung mehr, so dass nichts gegen eine Wiederholungsausstrahlung einzuwenden war.“ Außer natürlich, möchte man ihm antworten, wenn die Themen-Placements nicht beseitigt wurden. Sie wurden nicht beseitigt.
Die ARD beharrt auf ihrem Recht, teuer und schlecht überarbeitete, acht Jahre alte Folgen einer Serie auszustrahlen, deren Drehbücher die Pharmaindustrie bezahlt oder geschrieben hat und wundert sich, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland Legitimationsprobleme hat.
In der vergangen Woche lief „In aller Freundschaft“ insgesamt 36-mal in den verschiedenen ARD-Programmen.
[Nichts in diesem Eintrag ist neu. Aber es war mir ein Bedürfnis, die Entwicklungen der vergangenen Wochen in dieser Sache nachzutragen.]