Autor: Stefan Niggemeier

ARD beharrt auf Schleichwerbe-Recycling

Im Ersten läuft gerade die 400. Folge der Krankenhaussoap „In aller Freundschaft“. In verschiedenen ostdeutschen Zeitungen sind deshalb heute Jubelartikel erschienen. Die „Sächsische Zeitung“ hat in ihren eine kleine Journalismusattrappe in Form folgender Sätze eingebaut:

Gelegentlich musste die Serie auch Kritik einstecken. Vorwürfe wegen unerlaubter Schleichwerbung in mehreren Folgen wurden laut.

Ist das nicht niedlich? Vorwürfe „wurden laut“. Dass sie bestätigt sind, die Vorwürfe; dass ganze Handlungsstränge in dieser im Auftrag des MDR produzierten Krankenhausserie von der Pharmaindustrie bezahlt wurden, und dass die ARD darauf beharrt, diese von der Pharmaindustrie geschriebenen Handlungsstränge leicht retuschiert weiterhin auszustrahlen, das steht da nicht.

Ich muss mich ein bisschen nachaufregen. Darüber, wie die ARD auf die Frage reagiert hat, warum sie immer noch Schleichwerbefolgen ausstrahlt wie die, die für das (inzwischen vom Markt genommene) Medikament Vioxx wirbt. Der MDR hat, wie berichtet, nur die Namen von Medikament und Wirkstoff nachträglich geändert, aber die Handlung unverändert gelassen. Alle paar Wochen läuft die Folge in irgendeinem Dritten Programm, und alle paar Wochen fleht wieder der Patient die Ärzte an, ihm das Wundermedikament zu geben, und die ganze Zeit wird die Pharmabranche als Synonym für Barmherzigkeit, Erlösung und Selbstlosigkeit gepriesen.

NDR-Sendersprecher Martin Gartzke sagte auf Nachfrage von epd Medien: Dadurch, dass per Nachvertonung der Wirkstoffgruppenname „COX-2-Blocker“ durch den fiktiven Namen „RAG-2-Blocker“ ersetzt worden sei, lasse sich kein Bezug zu dem Medikament herstellen. Das ist falsch. Der ganze Handlungsstrang ist maßgeschneidert auf Vioxx und seine Anwendungsgebiete.

Die ARD, der NDR und der MDR müssen mir das natürlich nicht glauben. Sie könnten es aber zum Beispiel dem Deutschen Rat für Public Relations (DRPR) glauben, der sich mit dem Thema befasst hat. In einem offenen Brief forderte er den ARD-Vorsitzenden Fritz Raff am 20. Juni zu weitergehenden Schnitten auf, und schrieb: „Der interessierte Zuschauer kann den konkreten Produktbezug im Anschluss an die thematische Rezeption unschwer selbst herstellen. Dies ist in vielen Fällen sogar eine wirkungsvollere Methode als eine leichter zu durchschauende genaue Produktnennung.“

Die „Magdeburger Volksstimme“ zitierte Matthias Rosenthal, den stellvertretenden DRPR-Chef und Vorsitzenden der Beschwerdekammer für TV-Schleichwerbung mit den Worten: „Der Sender hat sich bemüht, etwas zu verändern. Aber die betreffenden Passagen zu übertünchen, reicht natürlich nicht aus.“

MDR-Sprecherin Birthe Gogarten aber sagte laut „Volksstimme“: Es „lässt sich kein Bezug zu irgendeinem Medikament herstellen.“ Sie hat Unrecht.

Anstelle von Raff antwortete dem DRPR der MDR-Fernsehdirektor Wolfgang Vietze. Laut epd-Medien vom 21. Juni erklärte er, die schon erfolgte Bearbeitung sei intensiv gewesen: „Das ging von der Retusche bis hin zu Neusynchronisierung — ein arbeitsintensiver, teurer und aufwendiger Vorgang.“ Das halte ich an sich schon für einen Skandal: Dass die ARD Rundfunkgebühren dafür ausgibt, in einem „teuren“ Verfahren eine Billigserie oberflächlich von den Schleichwerbespuren zu beseitigen, anstatt den Müll einfach wegzuwerfen. Aber die Argumentation ist vor allem entlarvend: Das war teuer, was wir gemacht haben, also muss es auch gut gewesen sein und jetzt gefälligst reichen.

Vietze erklärte weiter, die Wiederholungen seien hinsichtlich Themen- und Product-Placement „bearbeitet und bereinigt“ worden. Nach der Bearbeitung seien alle Folgen noch einmal geprüft und von der Revision freigegeben worden. „Es gab keinerlei Beanstandung mehr, so dass nichts gegen eine Wiederholungsausstrahlung einzuwenden war.“ Außer natürlich, möchte man ihm antworten, wenn die Themen-Placements nicht beseitigt wurden. Sie wurden nicht beseitigt.

Die ARD beharrt auf ihrem Recht, teuer und schlecht überarbeitete, acht Jahre alte Folgen einer Serie auszustrahlen, deren Drehbücher die Pharmaindustrie bezahlt oder geschrieben hat und wundert sich, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland Legitimationsprobleme hat.

In der vergangen Woche lief „In aller Freundschaft“ insgesamt 36-mal in den verschiedenen ARD-Programmen.

[Nichts in diesem Eintrag ist neu. Aber es war mir ein Bedürfnis, die Entwicklungen der vergangenen Wochen in dieser Sache nachzutragen.]

Redaktionsalltag bei RP-Online

Beim Online-Dienst der „Rheinischen Post“ schreibt man einen Artikel nicht nur (mitsamt Rechtschreibfehler und abwegiger Interpretationen) von der Konkurrenz ab. Die Redaktion wüsste auf Nachfrage auch nicht, was dagegen spricht.

Mehr beim Lukas.

Lasse zahln

Sehr geehrte Damen und Herren,

auch ein gelungener Internetauftritt ist Ihre Visitenkarte.

Das klingt schwer nach der Sprache, die die Autoren von Spam-Mails für deutsch halten. Aber der Brief, der so beginnt und BILDblog vor drei Wochen erreicht hat, kommt nicht aus Nigeria oder Russland, sondern aus Berlin, von der hiesigen Bezirksdirektion der GEMA. Und er geht weiter:

Aus diesem Grunde haben Sie sich sicherlich dafür entschieden, Ihre Internetseite mit Trailern, die geschütztes Musikrepertoire enthalten (z.B. „Lasse redn“ K+T: Farin Urlaub), auszustatten.

Ja, sicherlich. Die niedliche und womöglich sogar nett gemeinte Formulierung ist wohl eine Art GEMA-Euphemismus für „Sie haben unsere Musik geklaut“. In den nächsten Absätzen wird das Schreiben dann aber angenehm konkret:

Bitte beachten Sie aber, dass diese Nutzung von Musik ein urheberrechtlich relevanter Vorgang ist, für den Sie die notwendigen Nutzungsrechte erwerben und eine Vergütung entrichten müssen. Die GEMA als Verwertungsgesellschaft der Urheberrechte der Musikurheber räumt Ihnen die Rechte ein und erhebt im Namen der Musikurheber die Vergütung.

Die einfachste und kostengünstigste Art die Rechte zu erlangen, ist der Abschluss eines Lizenzvertrages.

Bitte senden Sie uns beiligenden Fragebogen innerhalb der nächsten 14 Tage ausgefüllt zurück, damit wir Ihnen ein entsprechendes Angebot unterbreiten können.

Im beiligenden Fragebogen kann man dann tatsächlich auch gleich die verwendeten Titel eintragen („Potpourris bitte mit ‚P‘, Werkfragmente bitte mit ‚F‘ kennzeichnen“).

Womöglich hat die GEMA übersehen, dass es weniger dekorative als journalistische Gründe waren, die uns auf die Idee brachten, in diesen Eintrag über die Antenne-Bayern-Version des Songs „Lasse redn“ von den Ärzten folgenden 30-sekündigen Ausschnitt der Antenne-Bayern-Version des Songs „Lasse redn“ von den Ärzten einzubauen:

[Ausschnitt entfernt]

Wir teilen dies also der GEMA mit und fragen, ob ein solcher Gebrauch von Ausschnitten urheberrechtlich geschützter Werke nicht durch das Zitatrecht gedeckt und daher frei sei.

Und die GEMA sieht das in ihrem nächsten Schreiben sogar ein. Also, fast:

Unsere Juristen halten — in gebotener Kürze zusammengefasst — die Zugänglichmachung des Werks auf bildblog.de für durch den § 50 UrhG. privilegiert und daher lizenzfrei durchführbar.

Dies gelte jedoch nicht zeitlich unbegrenzt, sondern nur, solange die Aktualität des Tagesereignisses gegeben ist. Bei Hörfunk, Fernsehen und Tageszeitungen ende diese in der Regel eine Woche nach dem Ereignis. Ähnliches darf wohl für digitale Zeitungsportale und Webblogs [sic] angenommen werden.

Sobald die Aktualität nach Ablauf der oben genannten Zeitspanne entfällt, müsste der Beitrag daher entweder gelöscht oder die Rechte für die Werknutzung bei der GEMA lizensiert werden.

Auf Nachfrage macht uns die GEMA sogar ein konkretes Angebot: Für 7 Euro im Monat könnten wir den Antenne-Bayern-Remix von „Lasse redn“ weiterhin in gebotener Kürze, aber legal dokumentieren.

Wir haben trotzdem der Einfachheit halber den Ausschnitt gelöscht und geben die 7 Euro lieber für billiges Viagra aus.

Callactive ./. Niggemeier III

Es gibt Neuigkeiten von zwei Prozessen, die die Firma Callactive gegen mich angestrengt hat. In beiden Fällen geht es um die Frage, in welchen Fällen ein Betreiber eines Blogs für Kommentare haftet, die von anderen auf seiner Seite abgegeben wurden. In beiden Fällen hatte ich möglicherweise rechtswidrige Kommentare innerhalb weniger Stunden unaufgefordert gelöscht. Die Firma Callactive hatte mich dennoch jeweils hinterher abgemahnt: Ich hätte von vornherein verhindern müssen, dass die Kommentare überhaupt abgegeben wurden.

Das Hamburger Verfahren

In dem ersten Verfahren, über das viel berichtet wurde, hatte das Hamburger Landgericht gegen mich entschieden. Ich habe daraufhin Berufung eingelegt. (Mehr über die Hintergründe hier; Auszüge aus der Urteilsbegründung hier.)

Die Verhandlung vor der nächsten Instanz, dem Hamburger Oberlandesgericht, sollte in dieser Woche stattfinden. Doch dazu kommt es nicht. Die Firma Callactive hat ihren (in der ersten Instanz erfolgreichen) Antrag gegen mich zurückgenommen. Sie hatte mir das angeboten unter der Voraussetzung, dass beide Seiten ihre Anwaltskosten selbst tragen und die Gerichtskosten geteilt werden. Was das Unternehmen zu dieser Kehrtwende veranlasst hat, weiß ich nicht.

Ich habe diesen Vorschlag von Callactive angenommen. Dieser Ausgang des Verfahrens ist zwar insofern etwas unbefriedigend, weil die grundsätzliche Frage der Kommentarhaftung, die in Deutschland von verschiedenen Gerichten sehr unterschiedlich beantwortet wird, nicht von einer höheren Instanz geklärt wurde. (Und die grundsätzliche Haltung des Hamburger Landgerichtes hat sich natürlich nicht dadurch verändert, dass der konkrete Fall juristisch nicht mehr existiert.) Dieser Ausgang stellt auch keinen juristischen Sieg meinerseits dar. Andererseits war der Ausgang der Berufungsverhandlung ungewiss. Und dadurch, dass Callactive quasi die Abmahnung zurückgezogen hat, ist die Sache, die mich im schlimmsten Fall noch viel Zeit und Geld hätte kosten können, aus der Welt. Die gegen mich erlassene einstweilige Verfügung gilt nicht mehr.

Das Münchner Verfahren

Zuvor hatte Callactive einen Prozess gegen mich vor dem Amtsgericht München verloren. Der Richter urteilte Anfang Juni, dass das Unternehmen keinen Unterlassungsanspruch gegen mich wegen des Kommentars eines Unbekannten in meinem Blog hatte, weil ich meinen „Prüfungspflichten“ nachgekommen sei.

Am Montag, 3. Dezember 2007, hatte ein „Andreas“ um 17:44 Uhr unter diesem Eintrag einen Kommentar abgegeben, in dem er der Firma Callactive und ihrem damaligen Geschäftsführer Stephan Mayerbacher in mehrfacher Hinsicht Betrug vorwarf. Ich war an diesem Nachmittag und Abend nicht im Büro, kontrollierte aber gegen 19 Uhr die neu eingegangenen Kommentare auf meinem Handy. Ich habe dann den Kommentar löschen lassen – das war exakt um 19:06 Uhr. Dennoch ließen mich Herr Mayerbacher und die Firma Callactive am folgenden Tag abmahnen. Ich habe daraufhin eine Unterlassungserklärung abgegeben – allerdings „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“. Konkret bedeutete das, dass ich mich weigerte, die mit der Abmahnung verbundenen Anwaltskosten zu bezahlen.

Callactive klagte daraufhin vor dem Amtsgericht auf die Zahlung der 949,14 Euro (plus Zinsen). Juristisch ist das Verfahren dadurch ein ganz anderes als das in Hamburg: Es geht um Schadensersatz, nicht um eine einstweilige Verfügung. Verhandelt wurde deshalb auch nicht vor einer Pressekammer, sondern einem Amtsrichter. In der Sache geht es aber um die gleiche Frage: Hafte ich für den Kommentar? Hätte ich durch eine Vorabprüfung verhindern müssen, dass er überhaupt auf der Seite erscheint?

Das Münchner Amtsgericht antwortete anders als das Hamburger Landgericht mit einem klaren Nein. Ich sei zwar dazu verpflichtet, die Kommentare zu prüfen — insbesondere, weil mein Artikel „bewusst provokant, gefühlsbetont und polemisierend formuliert“ sei und es in ähnlichen Fällen bereits zu unzulässigen Kommentaren gekommen sei. Im ausdrücklichen Widerspruch zum Hamburger Urteil erklärt das Münchner Amtsgericht aber, diese Pflicht gehe nicht soweit, dass ich alle Kommentare vorab hätte filtern müssen. Wäre eine solche Vorabprüfung in Blogs und Foren notwendig, „würde der vom Verfassungsgeber gewünschte, wohl zum Großteil nicht rechtsverletzende Meinungsaustausch ‚abgewürgt'“. In der Regel genüge es, „die Prüfungspflicht auf eine regelmäßige, effektive Kontrolle der eingestellten Kommentare zu beschränken“, um einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung in den Kommentaren eines Blogs und dem Persönlichkeitsrecht dort erwähnter Personen zu erreichen.

Callactive und Mayerbacher können gegen das Urteil Berufung einlegen.

Nachtrag, 1. August. Callactive und Mayerbacher haben keine Berufung gegen das Münchner Urteil eingelegt, es ist damit rechtskräftig.

Auszüge aus der bemerkenswerten, ausführlichen Urteilsbegründung habe ich hier veröffentlicht.

Brigitte Nielsen

Parodontose. Brigitte Nielsen hat Parodontose. Fiese Parodontose und Zahnverfärbungen, wie eine RTL-Sprecherin sagt, die hinzufügt, dass das ja auch kein Wunder sei, wenn man ihren Lebenswandel kenne.

Wenn sie das gewusst hätten, die CDU-Frauen, die gegen die Ausstrahlung der vierteiligen Reihe „Aus alt mach neu“ demonstriert haben, in der Ärzte und Spezialisten versuchen, mit aufwändigen Um- und Rückbauten den Zustand der, äh, Schauspielerin vom Ende der achtziger Jahre zu rekonstruieren, dann hätten sie stattdessen Fördermittel der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung organisiert. Das, liebe Kinder, passiert, wenn ihr so ein Lotterleben führt wie diese Promis, die ihr für Vorbilder haltet: schlechte Zähne! Und das ist der wahre Grund, warum die Männer im Fernsehen der Nielsen immer so angestrengt auf ihre Brüste schauen: um nicht ihre Zahnfleischentzündung sehen zu müssen.

Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte im Vorfeld hyperventiliert, dass Nielsens Grundrenovierungs-Soap „eine neue Dimension des Reality-Fernsehens“ darstelle. Vermutlich haben die Kollegen sehr lange nicht mehr ferngesehen und zum Beispiel verpasst, wie RTL vor vier Jahren eine Brustvergrößerung live übertrug (kommentiert von Markus Lanz, der heute beim ZDF ist). Nein, auf Bekenntnisse zu Schönheits-OPs, Sex- und Drogen-Exzessen kann sich heute kein Prominenter mehr ausruhen. Zahnfleischbluten ist das letzte Tabu. Was wir brauchen, sind mehr prominente Menschen wie Brigitte Nielsen, die sich gemeinsam hinstellen und auf einem „Stern“-Cover (jeder mit einem angebissenen grünen Apfel in der Hand) mutig zugeben: Ja, wir haben Parodontose.

Niedlich auch, dass die CDU-Frauen zu glauben scheinen, dass die Reduzierung von Brigitte Nielsen auf ein „sanierungsbedürftiges Bauwerk“ Schönheitsoperationen für junge Mädchen attraktiv erscheinen lassen könnten. Das klingt nicht ganz so, wenn die RTL-Sprecherin beschreibt, dass die Eingriffe bei der vom Arzt als „vorzeitig gealterten“ beschriebenen 44-Jährigen teilweise nicht nur kosmetischer Natur, sondern auch medizinisch notwendig seien: Nach 18 Jahren hätten zum Beispiel bei den Brustimplantaten der Nielsen „nicht schöne Verwachsungen stattgefunden“.

OP-Aufnahmen will RTL nicht zeigen. Für Kinder oder zarte Gemüter ist die Reihe dennoch nichts: Der Sender schließt nicht aus, Großaufnahmen der Gesichter von Nielsens zweitem Ehemann Silvester Stallone und womöglich sogar seiner Mutter zu zeigen.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Elsass- und Mosel-Content









Link: sevenload.com

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Markus Barth, der netterweise während meines Urlaubes dieses Blog warm gehalten hat, ist nun selbst im Urlaub (genauer gesagt: in der Flitterwoche!). Sein Newsblog wird sicher bald in der ein oder anderen Form an anderer Stelle wieder auftauchen.

Urlaubsvertretung: Das Newsblog

Markus Barth ist ein Mann voller Widersprüche. Er kommt aus Franken, kann aber kein R rollen; er ist Comedy-Autor, hat aber auch schon RTL-Sitcoms geschrieben.

Für die nächsten drei Wochen habe ich ihm mein Blog für ein kleines Experiment geliehen, das er „Newsblog“ nennt — und ich mache in der Zeit Urlaub.

Viel Vergnügen!

[Die Kommentare sind dann, um seine (und meine) Nerven zu schonen, geschlossen. Markus lässt sich aber über info @ witzemitbarth.de loben, korrigieren und beschimpfen.]

Schleichinspiration bei Spiegel Online

Na sowas! Anscheinend wiederholt die ARD gerade wieder einmal alte Folgen der Krankenhausserie „In aller Freundschaft“, die komplette Handlungsstränge enthalten, die auf von der Pharma-Industrie bezahlten Drehbüchern beruhen. Die konkreten Namen wurden nach dem Bekanntwerden des ARD-Schleichwerbeskandals zwar entfernt, aber die gekauften Plots blieben enthalten.

GlaubenSe nicht? Doch! Berichtet „Spiegel Online“ seit einer guten Stunde.

Wie das führende deutsche Internetangebot plötzlich auf dieses Thema gekommen ist, steht da nicht. Auf irgendeine Quellenangabe hat die Autorin verzichtet.

Gut, die kann man ja vielleicht bei der nächsten Geschichte über die fehlende Relevanz von Blogs nachreichen.

Europameister im Live-Tickern

Die EU-Medienkommissarin Viviane Reding ist ein Fan des deutschen Internets. Sie sagt (in der „FAZ“) nicht nur:

Für mich ist das deutschsprachige Internet beispielhaft für Vielfalt und Qualität.

Sie behauptet auch:

Deutschland ist bei seinen Internet-Angeboten europaweit federführend.

Ich bin nicht ganz sicher, womit sie das belegt und was sie mit „federführend“ meint. Aber das ist ja schon toll: In Österreich läuft ein Fußballspiel, und obwohl schätzungsweise die Hälfte der Nation die deutsche Niederlage gegen Kroatien im Fernsehen verfolgt, gibt es ungezählte Live-Ticker im deutschsprachigen Internet.

Man könnte das glatt mit Vielfalt verwechseln. Man müsste dafür aber zum Beispiel übersehen, dass es in diesem Fall nicht einmal einen Unterschied zwischen dem Internetangebot der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der „Bild“-Zeitung gibt. Während es bei den Zeitungen doch wenig Überschneidungen in der Ansprache des Publikums gibt, haben sie online kein Problem damit, ihre Leser exakt wortgleich über den Fortgang des Spiels zu informieren. Denn der „FAZ.net-Ticker“ ist ebenso wie der „Bild.de-Ticker“ eigentlich ein dpa-Ticker.

„Vielfalt“ ist da nur ein anderes Wort für eine unterschiedliche Verpackung desselben Inhaltes:

„Bild“

„FAZ“

„Express“

„Frankfurter Rundschau“

„Kölner Stadtanzeiger“

„Hamburger Morgenpost“

N24

„Sächsische Zeitung“

„WAZ“

 

Aber es gibt Alternativen zum Live-Ticker von dpa. Zum Beispiel den Live-Ticker von liga-liveticker.de. Wortgleich zu finden bei:

ZDF

„Stern“

„Abendzeitung“

 

Einige Internet-Angebote, darunter die von „Spiegel“ (Live-Ticker von kicker.de), „Süddeutscher Zeitung“ und „Rheinischer Post“, scheinen tatsächlich selbst zu tickern. Und dass die anderen es nicht tun, sich das Geld sparen und nur ihr Logo auf ein dpa-Angebot bappen, ist kein Skandal.

Man sollte es nur wissen und nicht mit Angebotsvielfalt verwechseln.

Wie die ARD Schleichwerbung recycelt

29-mal pro Woche zeigt die ARD zur Zeit ihre Krankenhausserie „In aller Freundschaft“. Das liegt daran, dass die Sendung gerade EM-Pause macht, sonst sind es natürlich ein paar Ausstrahlungen mehr. Der RBB wiederholt gerade täglich mittelalte, NDR und SWR ganz alte und das HR-Fernsehen relativ neue Folgen.

Es gibt gute Gründe, „In aller Freundschaft“ nicht zu wiederholen. Die Handlungsstränge, Dialoge und schauspielerischen Fähigkeiten sind der offensichtlichste. Die Rolle der Serie in einem der ganz großen Schleichwerbeskandale der letzten Jahre wäre ein weiterer.

Im Juni 2005 enthüllte der Branchendienst „epd Medien“, dass die ARD-Produktionsfirma Saxonia in mindestens neun Fällen bezahlte Pharmawerbung in der im Auftrag des MDR hergestellten Serie unterbringen ließ. Die Industrie gab konkrete Anregungen über gewünschte Geschichten, die Drehbuchautoren machten daraus Dialoge. Bis zu 30.000 Euro pro Folge zahlten die Firmen dafür, dass zu bestimmten Krankheitsbilder passende Medikamente — oder wenigstens ihre Wirkstoffe genannt wurden.

Vor zwei Wochen rügte der Deutsche Rat für Public Relations sieben namhafte Pharmahersteller für diese Praxis. Damit schien die Sache als erledigt.

Nur wiederholt die ARD munter alte Folgen von „In aller Freundschaft“, auch Folgen, in deren Inhaltsangabe auf der offiziellen, vom MDR verantworteten Homepage Sätze wie diese stehen:

„In der Sachsenklinik gibt es eine weitere Neuigkeit: Die Forschungsergebnisse für COX-2-Blocker, die bei Arthrose helfen sollen, sind so vielversprechend, dass das Medikament bald zugelassen werden kann.“
[Folge 82]

„Die Forschungsarbeiten an dem COX-2-Blocker stehen unmittelbar vor dem Abschluss, das Mittel kurz vor der Zulassung. Die Testpatienten vertragen das Mittel hervorragend.“
[Folge 85]

Kein Wunder also, dass das renommierte kritische Pharma-Blog „Stationäre Aufnahme“ vergangene Woche Alarm schlug und titelte: „NDR strahlt Pharma-Schleichwerbung weiter aus“.

Dabei ist die Sache nicht so schlimm, wie sie scheint. Sie ist anders schlimm.

Der NDR teilte mir auf Anfrage mit:

Der NDR sendet überarbeitete Fassungen der Folgen, in denen alle Namensnennungen des Medikaments Vioxx per voice over durch ein fiktives Präparat ersetzt wurden. Die Originalfolgen sind gesperrt.

Nach der heute (zum elften Mal) wiederholten Folge 85 zu urteilen, stimmt das — macht es aber nicht weniger unfassbar, dass die ARD diese Folgen überhaupt noch ausstrahlt.

In der Folge geht es um einen Arthrose-Patienten, der wegen seiner Medikamente unter heftigen Magenschmerzen leidet und darum bettelt, eine neuartige Alternative ausprobieren zu dürfen. Um die Handlung und ihren Werbecharakter im Jahr der Erstausstrahlung 2000 würdigen zu können, muss man wissen, was das Revolutionäre an der Wirkungsweise des (inzwischen wegen dramatischer Nebenwirkungen vom Markt genommenen) Schmerz- und Entzündungshemmers Vioxx war. Herkömmliche Mittel wie Aspirin blockieren nicht nur das Enzym Cox-2, das schmerzvermittelnde Botenstoffe bildet, sondern auch das ganz ähnliche Cox-1, das aber die Magenschleimhaut schützt. Arthrose-Patienten, die dauerhaft Schmerzmittel nehmen mussten, litten daher häufig unter Magenschmerzen. Vioxx dagegen verschonte „das gute“ Enzym Cox-1 und griff nur „das böse“ Cox-2 an.

Und jetzt schauen Sie sich bitte an, wie um diese frohe Werbebotschaft ein ganzer Handlungsstrang in der ARD-Serie „In aller Freundschaft“ gestrickt wurde, Happy-End und allgemeine nette Botschaften über die Pharma-Industrie, die sich um unser aller Wohlergehen sorgt, inklusive.

Link: sevenload.com

Erstaunlich daran ist — abgesehen davon, wie penetrant und plump die Botschaft in der Serie untergebracht wurde und wie willen- oder skrupellos die Fernsehleute gewesen sein müssen — dass Vioxx und die Pharmafirma MSD Sharp & Dohme (Merck & Co., Inc.) bislang noch gar nicht öffentlich im Zusammenhang mit dem ARD-Schleichwerbeskandal genannt wurden (auch nicht in der Rüge des PR-Rates).

Der aktuelle Skandal ist für mich aber ein anderer: Die ARD hat sich also, nachdem die Schleichwerbegeschäfte ihrer Tochtergesellschaften aufgeflogen waren, dafür entschieden, die alten Folgen durchzugucken und mühsam einzelne Sätze mit Markennamen nachzuvertonen? Sie hat sich nicht daran gestört, dass die Dramaturgie ganzer Handlungsstränge nicht durch die inneren Gesetze einer Seifenoper bestimmt sind, sondern allein durch die (überholten) Werbebotschaften Dritter? Sie hat sich nach der notwendigen Ansicht der Folgen nicht dafür entschieden, diesen Schrott einfach nie wieder auszustrahlen, sondern füllt mit ihm die Lücken zwischen „Sturm der Liebe“ und „Meerschweinchen, Nacktnasenwombat & Co.“?

Nachtrag, 12. Juni, 16:30 Uhr. Um Missverständnisse zu vermeiden: In der überarbeiteten Fassung, die der NDR zeigte, ist natürlich nicht nur der Markenname „Vioxx“ ersetzt worden, sondern auch der Begriff „COX-2-Blocker“. Aus dem Enzym „COX-2“ wurde, wie im Video zu sehen, „RAG-2“.

Der NDR hat in seinen Internetseiten vor wenigen Tagen die Hinweise auf „COX-2“ aus den Sendungsbeschreibungen entfernt. Auf der vom MDR verantworteten offiziellen Seite zur Sendung sind jetzt die Inhaltsangaben ganz verschwunden.

[via BooCompany, Stationäre Aufnahme]