Autor: Stefan Niggemeier

MTV-Kritiker leben gefährlich

Das Unternehmen MTV sieht keine Notwendigkeit, die Kritiker seiner Sendungen davor zu schützen, von seinen Geschäftspartnern eventuell mundtot gemacht zu werden. Auf eine Anfrage, ob MTV das radikale Vorgehen der Firma Callactive gegen ein kritisches Forum billige, erklärte eine Sprecherin, sie könne „Handlungen unserer Dienstleister, die über die zwischen uns vereinbarte Produktion eines Format hinausgehen, nicht kommentieren“.

Die Firma Callactive hat (wie berichtet) vorletzte Woche die Domain call-in-tv.de unter merkwürdigen Umständen übernommen und nutzt sie nun, um anstelle des kritischen Forums für ihre im Auftrag von MTV produzierte Anrufsendung „Money Express“ zu werben, die nachts auf Viva, Comedy Central und dem Kindersender Nick läuft. Frank Metzing, der Anwalt des Forumbetreibers Marc Doehler, hält es für sehr wahrscheinlich, dass Callactive als nächstes versuchen wird, Doehler auch die Ersatzadresse call-in-tv.net und überhaupt den Namens „Call-in-TV“ streitig zu machen. Bereits am 19. Februar 2008 hat die Firma Callactive den Namen „Call-in-TV“, den das Forum seit über zwei Jahren nutzt, als eigene Marke registrieren lassen. Das Logo (rechts oben), das sich die Firma hat schützen lassen, wirkt nicht so, als hätte jemand viel Zeit, Geld oder Mühe investiert. Es verwendet auch ähnliche Farben wie das „Call-in-TV“-Logo der Kritiker (rechts unten).

Metzing schätzt die Chancen von Callactive, aufgrund der neu eingetragenen Marke erfolgreich gegen das Forum vorzugehen, allerdings als gering ein. Der Begriff „Call-in-TV“ bezeichne eine ganze Gattung von Fernsehprogrammen — und sei als Wortmarke daher zu allgemein. Deshalb habe die Firma markenrechtlichen Schutz beim Patent- und Markenamt überhaupt nur über den „Umweg“ erreicht, eine Wort-/Bildmarke registrieren zu lassen. Die Nutzung des Begriffes „Call-in-TV“ im Internet könne man nach der bisherigen Rechtsprechung jedenfalls auf diese Weise nicht verbieten lassen. Metzing geht aber davon aus, dass Callactive es dennoch versuchen werde.

Im Februar hatte die Produktionsfirma in einer Pressemitteilung erklärt, die Unterstellung, „Callactive wolle das Forum durch übertriebene Zahlungsforderungen zerstören“, sei unrichtig. Das Vorgehen der vergangenen Wochen lässt allerdings wenig andere Interpretationen zu, als die, dass Callactive das Forum zerstören will — wenn nicht durch übertriebene Zahlungsforderungen, dann womöglich anders.

Mayerbacher sagte gegenüber der Internetseite „TV Matrix“, sein Unternehmen habe die Domain call-in-tv.de „nicht gepfändet, sondern im Rahmen einer Vereinbarung mit dem Domaininhaber […] eine Übertragung auf uns erreichen können“. Das ist nur die halbe Wahrheit. Denn Callactive hatte zuvor sehr wohl einen gerichtlichen Pfändungsbeschluss gegen Doehler erwirkt: Der Wert der Domain wurde in dem Pfändungsantrag auf 2000 Euro geschätzt. Doehler kam der drohenden Einziehung jedoch zuvor, indem er die Domain auf einen anderen Inhaber übertragen ließ. Richtig ist, dass Callactive die Adresse von diesem dann nicht pfändete; das Unternehmen soll es aber nach Darstellung Doehlers geschafft zu haben, den neuen Besitzer durch massiven Druck zur Übertragung der Adresse zu bewegen. Der zwischenzeitliche Domaininhaber selbst sagt, er dürfe sich zu den Vorgängen nicht äußern.

Das ist der Stand der Dinge. Und bei MTV Networks wollte man nicht einmal meine Frage „Gehört es zu den Geschäftspraktiken des Unternehmens MTV, Kritiker seiner Sendungen mundtot zu machen oder machen zu lassen?“ mit „Nein“ beantworten.

Eine ausführliche Darstellung der Vorgänge der vergangenen Wochen aus Doehlers Sicht auf gulli.com

[Disclosure: Callactive führt auch gegen mich mehrere Rechtsstreite.]

Kanal Telemedial: Das ist strafrechtlich!

Heute machen wir mal etwas Besonderes: Wir gründen eine kriminelle Vereinigung.

Keine Sorge, das ist nicht mit größerem Aufwand verbunden, lässt sich problemlos von zuhause und sogar in der Kaffeepause am Arbeitsplatz erledigen, man braucht nicht einmal wasserfeste Kleidung. Wenn ich Thomas Hornauer, den Betreiber des Fernsehsenders „Kanal Telemedial“, richtig verstehe, müssen wir nur gemeinsam dazu aufrufen, seinem Sender das Licht auszumachen — und schon kommen wir in den Genuss des vollen staatlichen Mafia-Betreuungsprogramms.

Herr Hornauer hat sich freundlicherweise zur Verfügung gestellt, uns das genauer zu erklären.

(Ach so, es lassen sich übrigens ganz tolle Partyspiele mit den Ansprachen von Thomas Hornauer veranstalten. Zum Beispiel kann man in den regelmäßig auftretenden langen Pausen kurz vor Satzende gemeinsam raten, welches Verb er wählen wird. Aber Achtung: Manchmal nutzt er die Pause auch dazu, nachträglich unhörbar die Kommata im bisher Gesagten zu verrücken.)

Aber jetzt. Herr Hornauer, bitte:

Zu den angenehmen Eigenschaften Hornauers gehört es, dass man seine wörtliche Rede gut mitschreiben kann — allerdings natürlich um den Preis, dass das Mitgeschriebene keinen Sinn ergibt. Jedenfalls habe ich für alle, die beim Betrachten des Videos unter schmerzhaften Nackenhaaraufstell- oder Fußnagelaufrollungen leiden, die, äh, zentralen Aussagen des Ausschnitts zu protokollieren versucht:

Keine verzerrende Meinungmache und keine politischen Verlinkungen auf irgendwelchen Behördeen oder Hinweise auf verzerrte Sachen! Wenn ihr das alleine tut, ist das schon kriminell. (…) Kanal Telemedial ist ein immaterieller Teleshop und kein öffentlich-meinungsmachender Rundfunksender wie die anderen. Sondern wir sind ein Teleshop, und ich bin der Verkäufer. (…)
Und jeder, der mich zu unrecht in Frage stellt, verunglimpft mein Produkt zu unrecht. Und das ist strafrechtlich. Wenn das mehrere Menschen miteinander tun, dann ist das eine kriminelle Vereinigung. Und da können Euch dann auch schon die Telefone und alles abgehört werden. Für kriminelle Vereinigungen wie Terroristen oder wie kriminelle Vereinigungen wie die Mafia gibt es in Deutschland Sondergesetze. (…)

Auch der Aufruf, Kanal Telemedial das Licht auszumachen (…), sind unlauter und kriminell und ich empfehle Euch dringend, das zu lassen. Wenn ihr über Kanal Telemedial tatsächlich sachlich und in Echtzeit darüber… oder ganz genau dokumentiert, das ist in Ordnung. Aber dann müssen wir darüber reden. (…) Ihr dürft nicht mit meiner Marke und mit meinem Namen und mit meinem Fernsehsender uns die Kraft abnehmen, indem ihr Euch über Suchmaschinen bei Google positioniert und so weiter, ist auch wieder eine Schwächung unseres Senders. (…) Tut nicht ordentliche Unternehmungen in dieser Art und Weise… verunglimpfen. (…) Selbstverständlich hat jeder, der sich mit Kanal Telemedial identifiziert, jeden Abend Kanal Medial studiert, 15 Euro und die Grundgebühren auszurichten, und die müsst Ihr jetzt bezahlen. (…) Also, wer uns zu einer Studie verwendet, kostet das mindestens, wenn es in dieser Art ist, 500 Euro Grundgebühr. Und die Nutzung des Namen Telemedial erlaube ich auch nicht. Ja? So. Das muss von uns genehmigt werden, dann vergeben wir die Lizenz.

Mit der Amtsanmaßung, von der er im Video auch spricht, meint er übrigens vermutlich „The Aufsichtsbehördle“, eine ihm gewidmete Internetseite. Und mit den Grundgebühren meint er wohl das Geld, das man seiner Meinung nach über eine kostenpflichtige Nummer bezahlen muss, wenn man Kanal Medial guckt — zum Energie- oder Impulsausgleich, ist ja klar.

Nachtrag: Nilz Bokelberg hat das Grauen vor drei Monaten auch schon einmal zu dokumentieren versucht.

Henryk M. Broders Recherchophobie (271)

Weil sich der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Sebastian Edathy (SPD), dafür ausgesprochen hat, die islamfeindliche Internetseite „Politically Incorrect“ vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen, hat der Publizist und „Spiegel“-Autor Henryk M. Broder ihm einen Brief geschrieben. Er fragte ihn,

(…) ob sie den verfassungsschutz auch darum gebeten haben, websites wie z.b. „muslimmarkt.de“ (http://www.muslim-markt.de/) zu beobachten, weil dort antisemitische propaganda betrieben wird.

Es entwickelte sich ein von beiden Seiten eher unentspannt wirkender E-Mail-Wechsel, den Broder auf der Internetseite „Die Achse des Guten“ veröffentlicht hat. Edathy teilte Broder schließlich mit,

(…) dass meines Wissens die Internetseite http://www.muslim-markt.de vom Verfassungsschutz ausgewertet wird.

Er fügte als Post Scriptum, wie als Beleg, ausgerechnet einen Auszug aus dem Wikipedia-Eintrag zu „Muslim-Markt“ hinzu, was Broder zu einer ironischen Replik veranlasste:

ich bin zutiefst beruhigt, dass der vorsitzende des innenausschusses des bundestages sich über die aktivitäten des verfassungsschutzes aus wikipedia informiert.

Jahaha, was für ein Depp, der Edathy.

Ich bin mir nur nicht sicher, ob in dem E-Mail-Wechsel, den Broder stolz präsentiert, wirklich der Politiker vorgeführt wird — oder nicht die Recherchophobie Broders.

Broder lässt offen, ob „Muslim-Markt“ nun vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Womöglich hat er’s nicht rausgefunden, und wer will schon einem Innenausschuss-Vorsitzenden glauben, der die Wikipedia zitiert. Allerdings behauptet der Wikipedia-Eintrag nicht nur, dass muslim-markt.de vom Verfassungsschutz beobachtet wird, sondern gibt auch eine gute Quelle an, auf die man sogar glatt ohne Wikipedia hätte kommen können: den Verfassungsschutzbericht.

Die aktuelle Ausgabe für das Jahr 2007 ist seit einigen Wochen öffentlich und als pdf kostenlos für jedermann einzusehen. Hätte Broder kurz nachgesehen, hätte er auf Seite 207 zwei Absätze über „Muslim-Markt“ gefunden.

Aber was hätte er dann Edathy fragen sollen und worüber sich ärgern?

Geht wieder

Danke der Nachfrage: Es hatte keine juristischen Gründe, dass diese Seite seit gestern Abend nicht erreichbar war. Es waren technische Gründe.

Ob das mit irgendeinem böswilligen Angriff, einem zufälligen Besucheransturm oder einem Schluckauf bei Host Europe zu tun hat, weiß ich allerdings nicht.

Kurz verlinkt (19)

Wie kann man eigentlich erkennen, ob eine Äußerung gegen Persönlichkeitsrechte verstößt? An sich geschützte Meinungsäußerungen können etwa leicht in unzulässige Tatsachenbehauptungen umgedeutet werden. Nach gegenwärtiger Rechtsprechung ist das doch selbst für Experten faktisch unmöglich, die Meinung der Rechtsprechung vorher zu sagen.

Buske: Nicht bei uns. Wir verbieten praktisch immer.

Telepolis hat kein Interview mit dem Vorsitzenden Richter der Hamburger Pressekammer, Andreas Buske, geführt. Leider ist ungefähr alles, was er nicht sagt, keine Satire.

[Disclosure: Unter dem Vorsitz von Buske hat das Hamburger Landgericht in Sachen Callactive gegen mich entschieden.]

Journalismus zu Grabe getragen

Am 20. Mai ist der Düsseldorfer Oberbürgermeister Joachim Erwin gestorben. Erwin war ein höchst umstrittener Politiker. Aber das ahnt man nicht, wenn man sieht, wie die „Rheinische Post“ publizistisch mit seinem Tod umgeht. Die Sonderseite, die sie in ihrem Online-Auftritt angelegt hat, lässt einen erahnen, wie das Zentralkomitee der SED die Möglichkeiten des Internets genutzt hätte (unter der Voraussetzung natürlich, sie hätte für jeden Mausklick Devisen bekommen).

Der folgende Überblick ist sicher unvollständig.

Erwins Leben dokumentieren drei Bildergalerien: „Sein Leben in Bildern“ (35 Bilder), „Erwin mit großem Herz für Fortuna“ (10 Bilder), „Erwin: Chronologie seiner Krankheit“ (6 Bilder) und ein Nachruf im Video. Weil Erwin in vielen Gremien und Vereinen saß, widmet „RP-Online“ dem Thema nicht nur einen Artikel, sondern auch eine 47-teilige Klickstrecke mit je einem von Erwins Ämtern („ohne Anspruch auf Vollständigkeit“). 274 Teile hat die Übersicht über die „Wünsche für Düsseldorf“, die die Leser äußern konnten.

24 Bilder dokumentieren, wie die Düsseldorfer um Erwin trauern. In rund einem Dutzend kurzen Filmen, die teilweise aus anderen Gründen erschütternd sind, als die „Rheinische Post“ glaubt, erzählen einzelne Düsseldorfer zum Beispiel, dass sie sich jetzt gleich ins Kondolenzbuch eintragen werden.

Von der Beerdigung hat der Videoreporter der „RP“ kleine, karg kommentierte Filme gedreht: über das Versammeln der ersten Trauergäste, das Versammeln weiterer Trauergäste, das Versammeln noch weiterer Trauergäste, eine leichte Verzögerung, das Heraustragen des Sarges aus der Kapelle, den Abschied der Karnevalsgesellschaften, das Verlassen der Kapelle durch die Trauergäste, den Marsch zum Grab, den Auszug aus der Kirche, den Weg durch den Friedhof, das Grablied, die Blumenkränze.

Ein Videobericht von Center.TV schildert, dass bei der Beerdigung „gedrückte Stimmung“ herrschte, die Schützen aber in „voller Uniform“ gekommen seien, ein anderer fasst in einer Viertelstunde die Trauerfeier zusammen, an der unter anderem „Vertreter aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Brauchtum, Sport und Medien“ teilgenommen hätten.

Eine Reporterin schildert den Ablauf von Trauerfeier und Beerdigung in einem minutengenauen Live-Ticker („9.48 Uhr vor der Lambertuskirche: Die Atmosphäre vor der Kirche ist gedämpft. Einige wenige Menschen unterhalten sich leise flüsternd. Alle anderen hören dem Gottesdienst, der über die Lautsprecher nach außen dringt, aufmerksam und bewegt zu.“).

Erwins Tochter Angela hielt eine bewegende Rede, die „RP-Online“ zu einer achtteiligen Bildergalerie, einem Artikel und einer Wortlaut-Dokumenation veranlasst hat. Ihre Zitate und die anderer Redner finden sich außerdem in einer 18-teiligen Bildergalerie und einer 27-teiligen Klickstrecke sowie in einem Bericht „Der Tag begann in Sankt Lambertus“ und einem anderen Bericht „Totenmesse für Joachim Erwin: Passanten bleiben spontan stehen“. Ein langer Artikel schildert zudem den „würdigen Abschied“.

Eine 28-teilige Bildergalerie zeigt die Trauer an der Lambertikirche, eine 7-teilige Bildergalerie die Trauer auf dem Stiftsplatz, eine 24-teilige Bildergalerie die Ankunft der Trauergäste an der Tonhalle.

Die Erschütterung der Bürger („Damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet, ich habe Herrn Erwin für einen Titanen gehalten …“) drückt sich in diversen Klickgalerien aus: „Auch die Vereine nehmen Abschied“ (25 Teile), „Leser trauern weit über Düsseldorf hinaus“ (43 Teile), „Wie der Abschied von einem guten Freund“ (24 Teile), „Leser berichten von ihren Erlebnissen mit Joachim Erwin“ (12 Teile), „Leserreaktionen: „Sein Tod ist ein großer Verlust“ (45 Teile), „Weitere Leserreaktionen: ‚Der beste Bürgermeister'“ (34 Teile), „Düsseldorf verliert sein Herz“ (51 Teile), sowie in einem Video. Die Reaktion der Leser auf die Trauerfeier schildert eine weitere, 7-teilige Klickstrecke.

Am Tag danach besucht die „Rheinische Post“ noch einmal das Grab, schildert die Atmosphäre auf dem Friedhof („Es ist so still, dass ein Eichhörnchen ganz in der Nähe des Ehrengrabes über das Gras hüpft“) und gibt den Lesern in einer 26-teiligen Bildergalerie die Möglichkeit, den Kranz des Verwaltungsvorstandes der Stadt Düsseldorf mit dem des Oberbürgermeisers der chinesischen Partnerstadt Chongqing, des Abiturjahrgangs 1968 des Humboldt-Gymnasiums und der FDP zu vergleichen.

[via Nobbi und Lukas]

Amerikanischer Bundesstaat mit M

Bisschen peinlich natürlich, dass ausgerechnet die amerikanische Nachrichtenagentur AP in einer Meldung heute früh zwei Sätze lang die Bundesstaaten Montana und Michigan durcheinander gebracht hat:

(…) Vertreter Clintons reagierten gereizt auf den Kompromiss, weil er Obama auch Stimmen in Montana zuspricht, wo er gar nicht auf den Stimmzetteln gestanden hatte. Clinton hatte gefordert, in Montana müssten 73 Delegierten auf sie verpflichtet werden, 55 sollten frei entscheiden können. (…)

Aber weil aus dem Rest der Meldung klar hervorging, dass es bei dem Kompromiss um die Stimmen aus Michigan ging und in Montana erst am Dienstag gewählt wird, haben die führenden deutschsprachigen Online-Redaktionen den kleinen Fehler sicher beim Redigieren der Meldung korrigiert und bei der Gelegenheit das „n“ in „Delegierten“ gestrichen.

Oder?

RP-Online:

FAZ.net:

NZZ-Online:

Ina Müller

Und plötzlich, wie ist aus dem Nichts, ist sie ein Fernsehstar.

Das stimmt natürlich gar nicht. Erstens steht Ina Müller seit fast fünfzehn Jahren auf der Bühne, spielt Kabarett und singt. Und zweitens ist sie noch kein Fernsehstar, jedenfalls nicht in dem Sinne, dass sie vor einem Millionenpublikum die Showtreppe herunterkommt. Aber mit einem Mal ist sie überall. Sitzt bei Kerner und in „Zimmer frei“, moderiert im NDR-Fernsehen Sendungen wie „Inas Norden“ und „Land und Liebe“ und seit letztem Jahr sogar eine eigene Late-Night-Show. In einer engen Kneipe am Hamburger Hafen empfängt sie Gäste und singt und trinkt mit ihnen und schafft es regelmäßig, die Atmosphäre eines wunderbar ausgelassenen Abends zu schaffen, bei dem man am nächsten Tag das Gefühl hat, dass der Alkohol nicht unwesentlich zum Gelingen beitrug, aber nicht nur im negativen Sinne. Denn neben all der ungebremsten Albernheit gibt es darin besondere Momente, vor allem wenn die Gäste gemeinsam musizieren und man allen Beteiligten anmerkt, dass das der Grund ist, warum sie Künstler geworden sind: dieses Glück, mit anderen Menschen zusammen zu spielen. Und plötzlich passiert es, und man fragt sich, warum darauf nicht vorher schon jemand gekommen ist: Diese tolle Frau in eine winzige Kneipe auf St. Pauli zu stellen, mit Annett Louisan zu singen und sich von einem Wildecker Herzbuben live auf der Trompete begleiten zu lassen, während ein Shanty-Chor vor dem Fenster auf seinen Einsatz wartet. Es sind Kombinationen, die es nur gibt, weil das Fernsehen da ist, bei denen aber keiner wirkt, als macht er das fürs Fernsehen.

Man kann den Zauber von Ina Müller schlecht beschreiben, ohne das abgegriffene A-Wort zu benutzen: Authentizität. Sie hat eine jahrelang auf der Bühne geschulte Natürlichkeit, und auch wenn man weiß, dass ihre Antworten, die sie bei Kerner auf die elende Frage gibt, ob sie, als Frau über 40, denn keiner Kinder will, aus ihrem Bühnenprogramm stammen, ändert das nichts daran, dass man ihr jedes Wort glaubt. Unverstellt und unkalkuliert wirkt sie, und unverkrampft besonders. Und bei aller lauten Energie und sichtbaren Lust, als Entertainerin auf der Bühne und vor der Kamera zu stehen, scheint sie merkwürdig entspannt und ohne jeden Druck, sich zu produzieren.

In der Sendung am Freitag hat sie mit Ingo Pohlmann „Wenn jetzt Sommer wär“ gesungen, nur begleitet von der Gitarre und einem Cellisten, die meiste Zeit war sie nicht einmal im Bild, und es war kleines Fernsehen, so groß, wie es das Große ungefähr nie hinbekommt.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung