Autor: Stefan Niggemeier

Die Mär vom Ostblock beim Grand-Prix (4)

Auch wenn es diesmal schwer ist, das schlechte Abschneiden von Ländern wie Deutschland oder Großbritannien beim Eurovision Song Contest auf den bösen Osten zu schieben: Die Mär vom Ostblock, von benachbarten und befreundeten Ländern, die sich unabhängig von der Qualität der Beiträge gegenseitig die Punkte zuschanzen, ist nicht tot zu kriegen.

Ich habe deshalb, wie im vergangenen Jahr, einmal errechnet, wie der Wettbewerb ausgegangen wäre, wenn man die osteuropäischen und westasiatischen Punkte aus der Wertung nimmt. Das Ergebnis ist verblüffend. Tatsächlich hätte es Russland dann nicht geschafft, sondern wäre nur auf Platz 5 gelandet. Aber stattdessen gewonnen hätte …

… Armenien!

(Und Deutschland läge — ohne Punkte aus Bulgarien — ganz allein auf dem letzten Platz.)
 

Fiktiver Platz Land Punkte* Tatsächl. Platz
1 Armenien 103 4
2 Griechenland 103 3
3 Norwegen 94 5
4 Ukraine 92 2
5 Russland 88 1
6 Türkei 68 7
7 Island 62 14
8 Portugal 62 13
9 Serbien 60 6
10 Bosnien-Herzeg. 57 10
11 Lettland 54 11
12 Spanien 53 16
13 Dänemark 44 15
14 Israel 42 9
15 Schweden 38 18
16 Aserbaidschan 35 8
17 Rumänien 33 20
18 Frankreich 25 18
19 Georgien 23 11
20 Albanien 22 16
21 Finnland 22 22
22 Polen 14 24
23 Großbritannien 14 25
24 Kroatien 8 21
25 Deutschland 2 23
*) Die Punkte beruhen auf den Wertungen von Andorra, Belgien, Zypern, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Island, Irland, Israel, Malta, Niederlande, Norwegen, Portugal, Spanien, Schweden, Schweiz, Türkei, Großbritannien und San Marino.

Die These vom Ostblock beim Grand-Prix beruht auf einem doppelten Wahrnehmungsfehler.

Erstens verändern die tatsächlichen Sympathie- und Nachbarschaftspunkte kaum das Gesamtergebnis. Kroatien zum Beispiel hat gestern von seinen Nachbarn Slowenien und Bosnien-Herzegowina die meisten Punkte bekommen. Da es aber von ungefähr nirgends sonst Punkte gab, war das folgenlos.

Und zweitens gibt es eine psychologische Täuschung: Wenn es vermeintliche Freundschaftspunkte gibt, fällt es uns auf, aber nicht, wenn es sie nicht gibt. Norwegen bekam extrem viele Punkte von den Kollegen aus Schweden, Dänemark und Island. Ein klarer Beweis für skandinavischen Zusammenhalt? Eher nicht — Schweden zum Beispiel bekam aus Dänemark, Island und Norwegen deutlich weniger Punkte. Bei aller nachbarschaftlichen Sympathie bleibt es offenbar ein Votum für den jeweiligen Auftritt.

Wie sehr ein flüchtiger Blick auf die Punkte täuschen kann, zeigen die baltischen Länder. In diesem Jahr trugen sie erheblich zum russischen Sieg bei: alle drei gaben 12 Punkte. Klar, sagt Peter Urban dann, in allen drei Ländern leben sehr viele Russen. Das stimmt, ist aber nicht entscheidend. In den vergangenen Jahren waren Estland, Lettland und Litauen nämlich meistens extrem knauserig mit Punkten für den großen verhasssten Nachbarn. Nur 2006 gab es schon einmal ähnlich viele Punkte von den Balten für die Russen: Es war das Jahr, in dem ebenfalls Dima Bilan für Russland antrat. Die genaue Analyse lässt kaum einen Zweifel: Nicht die Nachbarschaft oder irgendein Gemauschel ist der Grund für die vielen Punkte in diesem Jahr, sondern die Tatsache, dass Bilan auch in den Nachbarländern Russlands ein Star ist. Aber natürlich ist es einfacher, vom westlichen Verliererplatz aus ahnungslos „Schiebung!“ zu rufen.

Übrigens hätte sich das Gesamtergebnis in diesem Jahr auch dann nicht wesentlich verändert, wenn nur die Länder, die es ins Finale geschafft hatten, dort stimmberechtigt gewesen wären — eine Variante, die auch immer mal wieder ins Gespräch gebracht wird.

Natürlich kann man jetzt wieder alle möglichen Änderungen der Spielregeln diskutieren, wie es Peter Urban schon in der Sendung andeutete. Einen legitimen Anlass dafür gibt es aber nicht. Vielleicht diskutieren wir dann lieber gleich die einzig ehrliche Regel, dass Deutschland unabhängig von der Qualität des Beitrages aus jedem Land mindestens sechs Punkte bekommen muss. Falls auch das nicht reicht, das Zuschauervotum in Deutschland anzuerkennen, lässt sich die Zahl in den Folgejahren ja bis auf zwölf erhöhen.

Lesetipp: Irving Wolther bei „Spiegel Online“ zum selben Thema

Super-Symbolfotos (41)

Was immer noch passieren mag am Rande des NPD-Parteitages in Bamberg — ich würde, anders als der Online-Auftritt der „Rheinischen Post“, ausschließen, dass italienische Carabinieri zum Einsatz kommen.

(Und, nein, das ist nicht die Staatssekretärin.)

[entdeckt von Jan-Philipp]

Nachtrag, 17:20 Uhr. RP-Online scheint die komplette Bildergalerie entfernt zu haben.

Grand-Prix-Finale: Das verdiente Debakel

Was für eine wunderbare Ironie: Dass nach all dem Gewese um das Freundschaftspunktgeschacher osteuropäischer Länder der deutsche Beitrag nicht nur einfach keine Punkte von irgendwo bekommt, sondern auch noch dadurch gedemütigt wird, dass er zwölf Freundschaftspunkte aus Bulgarien bekommt, dem Heimatland von No-Angels-Sängerin Lucy. (Anderen Erklärungsversuchen für dieses Votum wie ein totaler Tonausfall im bulgarischen Fernsehens während des deutschen Auftritts fehlt schon deshalb die Plausibilität, weil es sich, wenn, um einen Ton- und Bild-Ausfall hätte handeln müssen. Auch der deutsche Kommentator Peter Urban war von einer spontanen patriotischen Blind- und Taubheit geschlagen, als er bis zuletzt von einem gelungenen und guten Auftritt der No Angels sprach.)


Es sah, um es kurz zu machen, furchtbar aus und hörte sich furchtbar an. Und nun ist der Einwand zwar berechtigt, dass es gestern genügend andere Kandidaten gab, die auch furchtbar aussahen und sich furchtbar anhörten, aber keiner war dabei so uninspiriert. Die No Angels schafften das Kunststück, mit ihren Kleidern gleizeitig nuttig und tantenhaft auszusehen. Vor allem aber war ihr Auftritt eine tödliche Kombination daraus, die Sache ernst zu nehmen, aber gleichzeitig völlig unambitioniert und leidenschaftslos zu wirken. Die Franzosen und Spanier können wenigstens sagen, sie hätten Spaß gehabt.



Jede Wette, dass als nächstes wieder die Diskussion kommt, ob „wir“ an dieser Veranstaltung überhaupt noch teilnehmen sollen. Und jede Wette, dass die Frage dann lauten wird, warum „wir“ von den anderen so schlecht behandelt werden, und nicht, warum „wir“ so schlecht darin sind, unter den bekannten Rahmenbedingungen Kandidaten zu finden, die wenigstens satisfaktionsfähig sind. (Oder wenigstens in Würde anzuerkennen, dass andere Länder bei diesem Wettbewerb besser sind, auch weil sie mehr zu gewinnen haben und ihn deshalb mit größerer Anstrengung und größerem Materialeinsatz bestreiten.)

Der Sieg Russlands gestern war auch ein Sieg der Materialschlacht. Man kann ihn sehr unsympathisch finden, diesen absoluten, teuren, kalkulierten Willen zum Sieg. Aber eigentlich kann man das den Russen nicht vorwerfen, dass sie seit Jahren versuchen, so viel in ihre Beiträge reinzupacken, sie so zu produzieren und in Szene zu setzen, dass ganz Europa gar nicht drum herum kommt, sie zu wählen.

Musikalische Relevanz hat das Finale des Eurovision Song Contest hierzulange schon seit Jahrzehnten nicht. Und wenn das Event schon musikalisch irrelevant ist, dann darf es gerne als Unterhaltungsspektakel funktionieren, als Windmaschinen- und Bühnentechnik-Showcase und Talentwettbewerb in der Disziplin rhythmisches Synchron-Singen-Tanzen-und-Umziehen.

Es war jedenfalls ein knallbunter und höchst unterhaltsamer Abend gestern — der nebenbei ungefähr alle Mythen der letzten Jahre entkräftete. Wer aus vierzig Ländern null Punkte bekommt, braucht zum Glück gar nicht erst darüber nachdenken, ob sein schlechtes Abschneiden mit irgendeiner Art von „Ostblock“ zu tun hat. Die Zersplitterung des Balkans mit der theoretischen Möglichkeit, die Veranstaltung auf Jahre abwechselnd in einem anderen Land Ex-Jugoslawiens stattfinden zu lassen, machte sich nicht in der Abstimmung bemerkbar. Und auch die unter anderem von BBC-Opa Terry Wogan (der den nichtssagenden britischen Beitrag selbst mit zu verantworten hat) vertretene These, als westeuropäisches Land könne man bei dem Grand-Prix nicht mehr vorne landen, wurde Lügen gestraft, vor allem durch das erstaunlich gute Abschneiden von Norwegen mit einer gänzlich unorientalischen und unbalkanesken Popnummer.

Und weil ich mich (dank der ein oder anderen Flasche Gutedel) an keine der 715 grandiosen Pointen erinnern kann, die mir gestern während der Sendung eingefallen sind, gibt es stattdessen ein Best-Of aus dem Coffee&TV-Liveblog von Lukas und seinen Kommentatoren:

GROSSBRITANNIEN
Sollte wie Hot Chocolate klingen, kickte aber wie heiße Milch mit Honig.

DEUTSCHLAND
Bei der Intonation von vier Sängerinnen zählt nun mal nicht das arithmetische Mittel.

Ohgott die No Angels sehen aus wie Folienkartoffeln in Dekoschleier gehüllt.

SCHWEDEN
Charlotte Perrelli für Schweden. Singt in ein diamantenbesetztes Dildo. (Heißt es der Dildo?) Und die Sängerin trägt die Lordi-Masken auf.

BOSNIEN-HERZEGOWINA
„Seltsam spannend und mutig“ ist auch ein interessanter Ausdruck für Scheiße.

Ich vermute fast, dass so ein Selbstfindungskurs, wie Bosnien-Herzegoniva es gerade zeigt, hierzulande von der Kasse bezuschusst wird.

ISRAEL
okay das war also bauer sucht song…

KROATIEN
der opa schimpft sicher über die laute musik und das früher noch ordentlich gesungen wurde und die hüftgelenke kosteten beim bäcker nur 30 groschen…

ISLAND
Dabei haben die dort so nette Ponys.

LETTLAND
Dschinghis Khan trifft Chipz!. Wo ist das Bermuda-Dreieck, wenn man es braucht?

GEORGIEN
ich will den georgiern ja nix böses unterstellen, aber das haben sie ihr doch auch nur angezogen weil sie konnten, oder?

RUSSLAND
Und was macht der Sänger da? Stellt er das Telefonbuch von Vladivostok als Ausdruckstanz dar?

PAUSENACT
Puh! Die No Angels waren doch nicht der schlechteste Show Act des Abends. Thank God for Überbrückungsmusik.

Polylux

Auf Erstaunen stieß bei vielen die Entscheidung des RBB, in seinem Sparzwang ausgerechnet „Polylux“ einzustellen: Das sei doch für den RBB eine imageprägende Sendung. Dabei ist das nun wirklich der beste Grund für einen Sender, „Polylux“ einzustellen.

Am besten funktionierte „Polylux“ zuletzt als Maßeinheit für verspätet entdeckte Zeitgeistthemen. Sie entspricht dem ungefähr doppelten Abstand zwischen einem tatsächlichem Trend und seinem Auftauchen im Fernsehen, funktioniert aber auch als Gradmesser, um das Ende eines Trends zu bestimmen: „Ist XY eigentlich noch angesagt oder hat ‚Polylux‘ schon was drüber gemacht?“

Diese Woche unternahm das Magazin den Versuch, den Hype um „Sex and the City“ zu erklären. Nun ist es eigentlich nicht so schwer, einen Gesellschaftstrend von Film-PR zu unterscheiden, aber die „Polylux“-Leute fahndeten unbeirrt nach Experten, die ihnen das plötzliche Interesse an diesen Frauen erklärten. Sie fragten die Schauspielerinnen am roten Teppich, Menschen auf der Straße und Irina von Bentheim, die deutsche Stimme von Carrie Bradshaw, die in diesem Zusammenhang erst 387.100 Mal gefragt wurde. „Vor ‚Sex and the City‘ haben Frauen nicht so offen ihren Dildo oder Vibrator auf den Tisch gelegt“, sagte die brav, und selbst wenn das stimmen sollte: „Vor ‚Sex and the City'“ bedeutet in Deutschland vor 2001. „Polylux“ hatte sogar noch eine Gegnerin aufgetrieben, die Botschaft der Serie „gefährlich“ fand. Sehen Sie nächste Woche in „Polylux“: Wie der Erfolg der „Golden Girls“ gerade das Bild älterer Frauen verändert.

„Polylux“ hat es in elf Jahren nicht geschafft, sich neu zu erfinden, was für ein solches Magazin schon einiges aussagt. Gut, es gab halt jede Woche irgendeine neue Sache, die junge Menschen machten: dichten, tanzen, Drogen nehmen, keine Drogen nehmen, und alles ließ sich abfilmen, bunt zusammenschneiden und mit Texten versehen, die man bald auswenig mitsprechen konnte. Man muss den aufgeregten Gesichtsausdruck von Moderatorin Tita von Hardenberg gesehen haben, wenn sie den „Fightclub“ ansagt — ein langes und sehr vorhersagbares „Pro und Contra“, das es der Sendung ermöglicht, keine Stellung beziehen zu müssen — um zu wissen, dass irgendwann in diesen zwölf Jahren etwas schrecklich schief gelaufen sein muss.

Der „Sex and the City“-Beitrag endete mit den Worten: „Die Emanzipation haben sie also nicht gerade erfunden. Aber vielleicht wollten die ‚Sex and the City‘-Mädels das auch gar nicht. Also, Mädels, schnallt euch die High-Heels unter, und ab ins Kino.“ Vielleicht war das schon eine Bewerbung für „Brisant“ und das Sat.1-Frühstücksfernsehen.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Metigel und Grillgut für Europa

Wer immer noch nicht genug hat, kann sich bei WDR 5 anhören, was Jan Feddersen und ich heute morgen in der Sendung „Funkhaus Wallraffplatz“ zum Thema Eurovision Song Contest gesagt haben [mp3]. Und für zoomer.de habe ich womöglich meine völlige Untauglichkeit als Grand-Prix-Prognostiker bewiesen (möchte aber vorsorglich darauf hinweisen, dass ich vor zwei Jahren den Sieg von Lordi vorhergesagt habe).

(Die nette Technikfrau im ARD-Hauptstadtstudio hat mich übrigens heute morgen ernsthaft gefragt, ob ich mich denn dann am Nachmittag nochmal hinlegen würde, was hoffentlich kein Kommentar zu meiner empfundenen Wachheit war. Als Kind jedenfalls war das tatsächlich Bedingung dafür, dass ich zweimal im Jahr (Silvester und Grand-Prix) bis Mitternacht aufbleiben durfte: dass ich mich am Mittag zuvor hinlege. Meine damaligen Versuche, mit wissenschaftlichen Argumenten das Konzept des Vorschlafens an sich kritisch zu hinterfragen, blieben fruchtlos.)

Ein Liveblog gibt’s hier heute abend nicht, aber nebenan bei Lukas und „Coffee & TV“. (Und wer’s muffeliger mag, wird vom Popkulturjunkie zuverlässig mit guter schlechter Laune versorgt.)

Wer möchte, kann sich natürlich auch hier in den Kommentaren mit, äh, Gleichgesinnten unterhalten — die Spalten sind, wie gewohnt, nach unten offen. SvenR hat seinen legendären Metigel schon kaltgestellt (nein, da fehlt kein „t“), Alberto Green wollte Grillgut besorgen, Micha sucht noch nach dem Käseigel, und die Herren Olly und Ommelbommel haben sich spontan bereit erklärt, hinterher aufzuräumen.

Ich wünsche einen schönen Grand-Prix-Abend und habe zur Einstimmung vier meiner All Time Favourites rausgesucht. Viel Vergnügen!

Grand-Prix-Wette 2008: Zwischenstand

Sensationelle 159 Mitspieler haben bis heute früh schon ihren Tipp für die Kleine Grand-Prix-Wette 2008 abgegeben, und nach deren kombiniertem Wissen müsste es heute abend so ausgehen:

1. Ukraine
2. Russland
3. Serbien
4. Kroatien
5. Türkei

Um die letzten Plätze prügeln sich nach diesem Zwischenstand Spanien, Großbritannien und Frankreich, und Deutschland landet auf Platz 14.

Aber bis heute Abend, ca. 23 Uhr, sind die Telefonleitungen noch geöffnet kann ja hier noch getippt werden. Einsendeschluss ist der Beginn der Punktevergabe während der Sendung. Zu gewinnen gibt es ein (auf Wunsch handsigniertes) Standardwerk und eine einmalige Trophäe mit integrierter Kaffeeaufbewahrungsfunktion (Abb. ähnlich).

Feindliche Übernahme von call-in-tv.de

Es scheint auf den ersten Blick der ultimative Triumph für die Firma Callactive: Ihr gehört nun die Domain call-in-tv.de.

Unter dieser Adresse hatten kritische Zuschauer seit mehreren Jahren akribisch die zahlreichen Unregelmäßigkeiten und Auffälligkeiten in den teuren Telefon-„Gewinn“-Spielen protokolliert, die das Unternehmen unter anderem für mehrere MTV-Sender produziert („Money Express“). Die Beschwerde eines Mitglieds des Forums hatte sogar dazu geführt, dass die sonst in dieser Sache gerne untätige nordrhein-westfälische Landesmedienanstalt in der vergangenen Woche eine Callactive-Sendung formal beanstandete.

Callactive hatte bereits vorher damit gedroht, die Domain pfänden zu lassen. Die Firma hat aus verschiedenen Prozessen über Äußerungen im Forum noch offene Forderungen gegen Marc Doehler, den Betreiber des Forums.

Die genauen Umstände, unter denen die Domain nun ausgerechnet in den Besitz von Callactive gelangte, sind noch unklar. Doehler hatte sie vor kurzem an einen anderen Domaininhaber übertragen, auf dessen Server das Forum zuletzt auch lief. Doehler sagt, der jetzige Domaininhaber habe ihm heute mitgeteilt, dass er die Domain nun auf Callactive übertragen musste. Wer die Adresse aufruft, erhält zur Zeit nur eine Fehlermeldung.

Doehler sagt, er und sein Team wollten sich auch durch diesen erneuten Rückschlag nicht davon abbringen lassen, die umstrittenen und immer wieder durch Unregelmäßigkeiten auffallenden Anrufsendungen zu beobachten.

Das Forum ist ab sofort unter der Adresse call-in-tv.net erreichbar.

[Disclosure: Die Firma Callactive führt auch gegen mich mehrere Rechtsstreite.]

Die kleine Grand-Prix-Wette 2008

Unzählige Anfragen (exakt: 1) haben mich erreicht, ob ich auch in diesem Jahr wieder das tolle Wettspiel zum Song Contest anbiete. Aber klar.

Die Spielregeln gehen diesmal so: Tippen Sie die ersten fünf Plätze und die letzten drei Plätze im Finale, und schätzen Sie außerdem, auf welchem Platz Deutschland landen wird. (Alle Teilnehmer im kommentierten Überblick finden Sie hier.)

Die Punktevergabe ist in guter Grand-Prix-Tradition unnötig kompliziert. Es gibt:

  • einen Punkt für die richtig getippte deutsche Platzierung
  • einen Punkt für jeden Top-5 getippten Titel, der unter die ersten 5 kommt
  • einen Punkt für jeden Flop-3 getippten Titel, der unter die letzten 3 kommt
  • zusätzlich einen Punkt für jeden exakt richtigen Tipp
  • sowie einen weiteren Bonus-Punkt für den richtig getippten Sieger

Einsendeschluss ist am Samstagabend zum Beginn der Punktevergabe.

Zu gewinnen gibt es auch diesmal vor allem das gute Gefühl, gewonnen zu haben. Außerdem könnte ich noch ein handsigniertes Exemplar des sehr empfehlenswerten Standardwerkes „Das Fernsehlexikon“ anbieten (und vielleicht treibe ich ja bis morgen noch einen zusätzlichen, etwas originelleren Preis auf, kann da aber nichts versprechen).

Viel Spaß beim Mitmachen!

(Die mit einem Stern markierten Felder müssen ausgefüllt werden.)

Grand-Prix: Dschinghis Khan lebt!

Oh, Nein!

Es ist …

… Kader Loth?!

Die Schweden haben es tatsächlich geschafft, jemanden zum Eurovision Song Contest zu schicken, der so nahbar, nett und natürlich aussieht wie Michael Jackson. Und wenn ich Pech habe, träume ich heute Nacht von diesem, äh, Gesicht.

Wenn ich Glück habe, ist es allerdings ein tonloser Traum und ich werde dazu nicht das Lied von Sängerin Charlotte Perrelli hören, das fast so plastikhaft ist wie sie selbst. Es ist angeblich einer der Favoriten — und hat sich vor ein paar Stunden immerhin schon mal fürs Finale qualifiziert.

Aber jenseits des Fachinteresses von Chirurgen und Plastinatoren haben ihr an diesem Abend andere die Show die Show gestohlen, im Guten wie im Schlechten. Da war der litauische Teilnehmer, der im Finale schmerzlich vermisst werden wird, weil an ihm einfach alles so ausnahmslos furchtbar und misslungen war: die Frisur, die Musik, die Lederhose, die Töne, die Atemluft, die Gürtelschnalle, alles. Sogar das Saalpublikum war so sehr damit beschäftigt, fassungslos den Mund offen zu haben, dass es sich nach Ende des Liedes nicht zu klatschen imstande sah. Erst als Sänger Jeronimas Milius dezent von der Bühne darauf hinwies, dass er fertig sei, löste sich die allgemeine Schockstarre ein wenig.

Die einzigen, die es an Unfassbarkeit mit Litauen aufnehmen konnten, war die tschechischen Frauengruppe, die, wie befürchtet, seit dem Vorentscheid weder ihre Hosen finden, noch eine Einigung über eine gemeinsame Tonart erzielen konnten.

Überhaupt war es ein Abend der schiefen Töne und der aberwitzigen Hintergrundakrobatik — und im Fall der Schweiz einer unglücklichen Kombination aus beidem. Aber man musste bei der eigentlich sehr anhörbaren Italopophymne schon Ohren und Augen zumachen, um auf einen Einzug ins Finale zu hoffen. Und zumindest der Choreograph, der die Idee hatte, die Backgroundsänger mit silberbemalten Händen Dehnungsübungen machen zu lassen, hätte dafür lebenslanges Arbeitsverbot verdient.

Keine Frage: Die Entwicklung der letzten Jahre vom Liederwettstreit zum Entertainmentwettbewerb hat sich fortgesetzt. Es geht, von wenigen Ausnahmen abgesehen, darum, die größtmögliche Show zu machen, ein Drei-Minuten-Mini-Musical mit einem Gesamtpaket aus Akrobatik, Effekten und Gimmicks. Sie brachten Taschenlampen mit, Flaschen, Einpackpapier, Tücher, Wechselgarderobe, Messer, gelegentlich sogar Instrumente. Nichts ist zu albern, alles geht. Sie turnten, tanzten und posierten, was die Gelenke hergaben.


Aber es scheint nicht zu reichen, irgendeinen größtmöglichen Mumpitz zu veranstalten, wie die Bulgaren feststellen mussten, die sogar ihr DJ-Pult in Brand steckten — und trotzdem ausschieden.

Durchgesetzt haben sich überlebensgroße Inszenierungen wie die der Ukrainerin, die ihrer eher durchschnittlichen Kylie-Nummer eine sensationell schwüle Verpackung gab: Sie schubberte sich an einer Spiegelwand und holte offenbar paarungswillige Tänzer aus vier mannshohen Kisten, die sie später noch bestieg (die Kisten, nicht die Männer). Es war, wie so vieles, bizarr, hatte aber eine Energie, der man sich schwer entziehen konnte.

Auch das georgische Kalkül, mit einer blinden Sängerin ein plumpes Antikriegslied nach dem Motto „viel hilft viel“ zu inszenieren, ging auf.

Und sogar das portugiesische Über-Pathos kam an (wobei sich herausstellte, dass die Sängerin tatsächlich das Seitenverhältnis hat, das ich bislang auf eine falsche Komprimierung ihres Videos geschoben hatte).

Mein Favorit des Abends aber waren mit großem Abstand die kroatischen Straßenmusiker mit dem rappenden Opa, dem ältesten Grand-Prix-Teilnehmer aller Zeiten, einer ungewöhnlichen Nummer mit einem originellen aktionsreichen Auftritt auf der Bühne, der immer dann, wenn er fast peinlich werden konnte, doch zauberhaft blieb.

Geschafft haben es außerdem die Rocker aus der Türkei, die junge Schnulzensängerin aus Albanien und der 90er-Jahre-Eurotrash aus Island. Und als schwacher Trost für alle, die Dustin, dem irischen Truthahn, hinterhertrauern, qualifizierten sich unglaublicherweise die lettischen Piraten mit ihrer Cover-Version eines alten Klaus-und-Klaus-Hits fürs Finale. Sie hatten sich, wie viele andere, offenbar alte Bänder mit Aufnahmen von Dschinghis Khan zur Inspiration kommen lassen. Und die Oberpiratensängerin war (und das ist der andere Alptraum, der mich in Zukunft begleiten wird) mit einem so unfassbaren Riesenbusen bewaffnet, dass es nicht ganz abwegig schien, in ihrem Bikini zwei Atolle zu vermuten. (Entschuldigung.)

Wir aber verabschieden uns mit der Antwort von Ehrengast Lys Assia auf die Frage, wie es ihr vor Ort denn gefalle — Ja, das sei wunderbar hier in Serbien und Bulgarien, oder wie die Stadt noch heißt — und geben zurück in die angeschlossenen Funkhäuser.

Finale: Samstag, 21 Uhr, Das Erste
Alle Sendungen auch live und on demand auf eurovision.tv

Der große Grand-Prix-Führer 2008