Autor: Stefan Niggemeier

Das Leistungsschutzrecht: Selten war es so tot wie heute

„Wir versprechen uns keine großen Einnahmen von diesem Leistungsschutzrecht. Das ist jetzt auch gar nicht unser Ziel. Uns geht es dabei darum: Das ist unser geistiges Eigentum und unser Anspruch. Und wir wollen einfach gerne vorher gefragt werden. Und wichtig ist auch, dass große Martkteilnehmer wie Guggel nicht einseitig den Preis auf null festsetzen. Das wäre so, als wenn ich selber in den Supermarkt gehen würde und würde mir da was rausholen. Da ist ja auch keine Schranke vor dem Supermarkt. Da kann ich ja auch reingehen einfach. Da ist auch nicht alles ausgezeichnet, das vergisst die Verkäuferin ab und zu mal. Und trotzdem würde ich nie auf die Idee kommen, mir die Spreewaldgurken umsonst rauszunehmen. Sondern ich würde dann hingehen und fragen: ‚Was kosten die, bitte?‘, und dann würde ich das bezahlen.“

Dietrich von Klaeden, Leiter Regierungsbeziehungen der Axel Springer AG, 12. April 2011.

Es geht den Verlagen also, wenn man Dietrich von Klaeden glauben darf, wozu natürlich kein Anlass besteht, bei ihrem Leistungsschutzrecht gar nicht wirklich ums Geld. Es geht ihnen ums Prinzip und darum, ihren hinkenden Vergleichen die Holzbeine zu versilbern. Bloß deshalb kämpfen sie seit Jahren mit größter Verbissenheit um ein neues Gesetz.

Wenn das stimmte, wäre noch viel weniger einsichtig, warum der Deutsche Bundestag ein Gesetz verabschieden sollte, das dafür selbstverständliche, natürliche und legitime Formen, Informationen und Inhalte im Netz zu teilen, beschränkt. Das Rechtsunsicherheit schafft und eine Flut von Abmahnungen provozieren könnte. Das Sprache monopolisiert.

Eigentlich müssten die deutschen Zeitungs- und Zeitungsverlage besoffen sein vor Glück. „Wie Weihnachten“ müsste das für „manche von ihnen“ sein, schrieb Heribert Prantl in der „Süddeutschen Zeitung“, dass das Bundesjustizministerium in dieser Woche endlich einen Entwurf für ihr Leistungsschutzrecht vorgelegt hat.

Ich wette, die meisten von ihnen haben stattdessen fiese Kopfschmerzen, und nicht von einem Kater. Ich mag mich irren, aber mir kommt es so vor, als sei die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Leistungsschutzrecht kommt, paradoxerweise selten so gering gewesen wie heute, da ein Textvorschlag vorliegt. Das ist das Schlimmste, das diesem Gesetz passieren konnte, dass seine Folgen endlich konkret greifbar werden. Nun ist die Unmöglichkeit und Untauglichkeit eines solchen Gesetzes unübersehbar. Und der Widerstand dagegen entsprechend breit und entschlossen.

Es gibt, ähnlich wie in der Debatte um ACTA, hysterische Übertreibungen bei den Gegnern. Ein Leistungsschutzrecht, wie es die Bundesregierung jetzt diskutiert, verbietet es nicht, Auszüge aus Online-Medien zu verwenden. Das Zitatrecht, das es erlaubt, solche Ausschnitte als Teil eines eigenen Beitrages zu verwenden, bleibt unangetastet.

Deshalb behauptet Axel-Springer-Außenminister Christoph Keese, normale Blogger müssten das Leistungsschutzrecht nicht fürchten. Er unterschlägt, dass ein großer Teil der Arten, wie im Internet auf interessante Inhalte verwiesen wird, gar nicht durch das Zitatrecht geschützt ist. Tweets zum Beispiel, die nur die Überschrift eines Beitrags und den Link dorthin enthalten. Links auf Facebook, die automatisch Überschrift und Beginn des verlinkten Textes bekommen. Und Listen, wie sie zum Beispiel Felix Schwenzel gerne veröffentlicht, die mit je einem Link und einem kurzen Textausschnitt, nicht immer aber einem zusätzlichen Kommentar, auf lesenswerte Artikel verweisen.

Diese Nutzungen sind nicht durch das Zitatrecht gedeckt, weil die eigene Auseinandersetzung mit dem Zitierten fehlt. Sie sind aber nach geltendem Gesetz erlaubt, solange die Textmenge unterhalb der urheberrechtlichen Schöpfungshöhe liegt.

Der Jurist Till Kreutzer nennt auf iRights.info Beispiele für solche Nutzungen. Zum Beispiel ein Tweet wie dieser, der die Überschrift eines verlinkten Beitrages nennt:

@zeitonline: „Schwarz-Gelb einigt sich auf Leistungsschutzrecht“ http://bit.ly/KtSSrf #lsr

Oder ein Blogeintrag wie dieser:

Habe gerade gesehen, dass Konrad Lischka auf Spiegel Online über das Leistungsschutzrecht (http://bit.ly/OHvhB8) berichtet. Er folgert: „Die Regierungskoalition hat es in den drei Jahren Debatte nicht geschafft, die Unklarheiten bei dem Vorhaben auch nur zu benennen. In dem Protokoll des Koalitionsausschusses vom Sonntag fehlt jeder Hinweis auf neue Ideen, wie ein Leistungsschutzrecht aussehen könnte, das die Zitatfreiheit im Netz sichert und innovative Netzangebote fördert.“

Wenn derjenige, der hier twittert oder bloggt, das in irgendeiner Weise gewerblich tut — und die Grenzen dafür sind in dem Entwurf extrem weit gesteckt — käme er in Zukunft mit dem neuen Leistungsschutzrecht der Verleger in Konflikt. Er müsste eine Lizenz erwerben oder könnte abgemahnt werden.

Sobald das Zitatrecht nicht greift, sind schon winzigste Bestandteile der Artikel durch das Leistungsschutzrecht geschützt. Womöglich reicht es schon, einen Link zu setzen, wenn in diesem Link der Wortlaut der Überschrift enthalten ist, wie es inzwischen meistens üblich ist, etwa so:

http://irights.info/?q=content/referentenentwurf-zum-leistungsschutzrecht-eine-erste-ausfuhrliche-analyse

Es mag schon sein, dass die Verlage diese Art der Nutzung gar nicht einschränken wollten. Es mag sein, dass das nur die Kollateralschäden des Versuchs sind, von den beneidenswerten Einnahmen der Suchmaschinenbetreiber zu profitieren. Auch die dürfen bislang ihren Nutzern Links und kurze Ausrisse („Snippets“) aus den gefundenen Seiten und Nachrichtenartikeln anzeigen, obwohl das nicht durch das Zitatrecht gedeckt ist. In Zukunft sollen sie dafür zahlen. Doch beim Versuch, Google zu treffen, werden auch alle anderen getroffen, die auf Inhalte im Internet mit kurzen Ausschnitten verweisen.

Am Ende wird es am meisten die Verlage selbst treffen. Das zeigt sich nicht nur an den (Über-)Reaktionen im Netz, wenn Blogger erklären, nicht mehr auf Verlagsinhalte verlinken zu wollen. Die Erkenntnis teilt sogar das „Handelsblatt“:

„Die Verleger stellen sich selbst ein Bein“, kommentiert dort Stephan Dörner. Er kommt zu dem Schluss:

Das Leistungsschutzrecht wird damit nicht für Eindeutigkeit, sondern für jede Menge Streit sorgen. Froh können darüber eigentlich nur die sein, die vom Streit anderer gut leben: die Anwälte.

Wenn selbst die Redaktion des „Handelsblatts“, die beim Urheberrecht sonst eher mit der Toleranz und dem Pragmatismus eines Taliban argumentiert, zum Gegner des Leistungsschutzrechtes in der diskutierten Form wird, würde ich mir als Verlagslobbyist ernste Sorgen machen. (Andererseit twittert der ehemalige „Handelsblatt“-Redakteur Thomas Knüwer, dass Obertaliban und Chefredakteur Gabor Steingart nicht im Haus gewesen sei.)

Auch andere gehen auf Distanz. „Spiegel Online“ beendet einen Artikel über das Leistungsschutzrecht mit der Versicherung:

Sie können auch in Zukunft mit Überschrift und Textanriss auf SPIEGEL ONLINE verlinken.

Frank Schirrmacher, einer der Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, schließt sich dem auf Twitter auf Nachfrage ausdrücklich an. Außerdem verlinkt er mit den Worten „Constanze Kurz hat alles vorausgesehen“ auf einen „FAZ“-Artikel, in dem die Informatikerin und Publizistin sich — bestenfalls halb satirisch — ausmalt, wie düster die Zukunft für Verlage werden könnte, „wenn Suchmaschinenbetreiber journalistische Leistungen künftig angemessen vergüten müssen“. (Darin wird mein eingangs zitierter Springer-Freund Dietrich von Klaeden übrigens 2014 Kulturstaatsminister.)

Unter ihrem Text steht der Satz: „In der Auseinandersetzung um das Leistungsschutzrecht für Presseverlage, in der diese Zeitung Partei ist, vertritt [Constanze Kurz] als Kolumnistin eine andere Meinung als die der Verlage, auch unseres Verlags.“

Von der Einheit „der Verlage“, die diese Distanzierung suggeriert, scheint nicht mehr viel übrig zu sein. Vor drei Jahren hatten in einer beunruhigenden Allianz „führende Verlage“ von Bauer bis Spiegel und „Zeit“ eine „Hamburger Erklärung“ unterzeichnet, in der sie eine Verschärfung des Urheberrechts und indirekt ein Leistungsschutzrecht forderten. In der Erkärung, die innerhalb weniger Wochen danach angeblich allein eine dreistellige Zahl deutschsprachiger Verlage unterzeichnete, heißt es unter anderem: „Ungenehmigte Nutzung fremden geistigen Eigentums muss verboten bleiben.“

Der jetzt bekannt gewordene Entwurf des Leistungsschutzrechtes zeigt, dass mit „ungenehmigter Nutzung“ schon das bloße Twittern einer Zeitungsüberschrift gemeint sein kann und mit „muss verboten bleiben“ „muss verboten werden“.

Nun könnte man annehmen, dass die Verleger aus dem Debakel um ACTA gelernt haben und sich um eine offene Debatte bemühen, in der sie den tatsächlich Betroffenen und den unnötig Verunsicherten erklären, warum die geplanten Beschränkungen ihrer Meinung nach notwendig und unproblematisch sind. Man könnte sogar annehmen, dass die Verlage als Kommunikationsunternehmen dazu besonders gut in der Lage wären.

Man läge doppelt falsch.

Die Verbände von Zeitungs- und Zeitschriftenverlegern, BDZV und VDZ, gaben nur eine dürre gemeinsame Erklärung heraus, die sich liest, als seien ihre Sprecher mit Waffengewalt dazu gezwungen worden, sie zu formulieren, und hätten den Zugang zum Presseverteiler nur im Tausch gegen mehrere Konjunktive herausgerückt.

Die Erklärung lautet:

BDZV und VDZ begrüßen die Vorlage des Bundesjustizministeriums zum Leistungsschutzrecht für Presseverlage. Der Entwurf bringe den im digitalen Zeitalter notwendigen Schutz der gemeinsamen Leistung von Verlegern und Journalisten voran, auch wenn er nicht alle Erwartungen der Verleger erfülle. 

Außerdem verwehren wir uns natürlich gegen den Vorwurf, dass das LSR die Kommunikations- und Meinungsvielfalt einschränken würde.

Die Verlegerverbände betonten, dass durch das Leistungsschutzrecht keinerlei Einschränkung für die Kommunikations- und Meinungsfreiheit entstehe.

Mehr muss dazu offenbar nicht gesagt werden — obwohl sich eine eindrucksvolle Zahl von Juristen, Experten und Kommentatoren gegenteilig äußert. Womöglich glauben die Verleger auch, dass ihre Zugänge zu den Regierungsparteien gut genug sind, um darauf vertrauen zu können, dass der Entwurf Gesetz wird, und meinen deshalb, darauf verzichten zu können, die Öffentlichkeit zu überzeugen.

Ich hielte das für eine mutige Annahme, nicht zuletzt weil sie unter engagierten Internetbewohnern die Wahrnehmung der Verlage als zu bekämpfende Gegner verstärkt.

Zwei aktuelle Tweets von Dietrich von Klaeden bieten einen kleinen, aber womöglich aufschlussreichen Einblick, wie diese Springer-Leute, die den Kampf für das Leistungsschutzrecht anführen, ticken:

So twittert niemand, der entspannt und an einer offenen Auseinandersetzung interessiert ist.

Christoph Keese ist anscheinend der einzige, der sich ins Kommunikationsgetümmel stürzt und sich sogar aus seinem Blog (in dem er angeblich ausschließlich privat und in seiner Freizeit bloggt) in fremde Kommentarspalten traut.

Aber auch ihn bringt der jetzt bekannt gewordene Entwurf in Argumentationsschwierigkeiten. Am Freitag noch hatte er sich im Wesentlichen zufrieden gezeigt, viele Details gelobt und behauptet, der Gesetzestext würde „faire rechtliche Ausgangsbedingungen“ schaffen und für Blogger ausschließlich Vorteile haben.

Inzwischen ist er mit versprochenen Erläuterungen weit im Verzug und kündigt an, nicht alle Antworten „abschließend und verbindlich“ geben zu können. Denn: „Ich bin weder der Gesetzgeber noch der Richter. Dies gilt auch für die Axel Springer AG.“

Auf Twitter hat er eingeräumt, dass zum Beispiel schon eine bloße „Mehr zum Thema“-Liste mit verlinkten Überschriften unter einem Artikel für jeden nicht völligen Freizeitblogger gebührenpflichtig würde. „Rechteinhaber werden das aber wohl extrem billig anbieten“, fügte er hinzu.

Als sei das Problem die Höhe des Preises. Und nicht eine Konstruktion, in der man diejenigen, deren Beiträge man mit einer Überschrift und einem Link bewirbt, vorher um Erlaubnis fragen und eine Lizenz erwerben muss.

Wie die Verleger glauben können, dass es ihnen nützen wird und nicht schaden, Hinweise auf ihre Artikel zu erschweren, ist eines der zentralen Rätsel dieser ganzen Angelegenheit und Ausweis des Irrsinns, in den sich die Branche in ihrem Überlebenskampf geflüchtet hat.

Geht sterben (10)

Ich komme gerade von einer Diskussionsveranstaltung, auf der mehrere Chefredakteure öffentlich gerätselt haben, woran es liegt, dass immer weniger Menschen für Journalismus zahlen wollen. Und damit zu einem ganz anderen Thema.

Gestern Vormittag ist der Entwurf des Bundesjustizministeriums für ein Leistungsschutzrecht für Verlage bekannt geworden. Auf sueddeutsche.de berichtete Heribert Prantl am späten Nachmittag:

Beim lange erwarteten Gesetzentwurf der Bundesjustizministeriums handelt es sich um einen sogenannten Referentenentwurf, er wurde soeben an die anderen Ministerien zur Stellungnahme verschickt, mit einer sehr kurzen Frist „im Interesse einer beschleunigten Bearbeitung bis 18. Juni“. Der Entwurf liegt der Süddeutschen Zeitung vor.

Nun.

Der Entwurf stand am Vormittag, spätestens 10:26 Uhr, im Netz. Seitdem liegt er dem ganzen fucking Internet vor.

„Spiegel Online“, „Zeit Online“ und diverse räudige Blogs legen den Entwurf ihren Lesern per Link vor. Die „Süddeutsche Zeitung“ teilt ihren Lesern mit, dass ihr der Entwurf vorliegt.

Vermutlich ist der SZ-Leser mit dieser Information glücklich und stolz auf sein Blatt. Und falls wider Erwarten unter den Lesern von sueddeutsche.de der Ruf laut würde, auch das Original lesen zu können, könnte der Online-Chefredakteur vielleicht notfalls den Text ausdrucken, einscannen, vom Bildschirm abfotografieren und twittern, ähnlich wie neulich, „ausnahmsweise umsonst“.

Noch toller als die SZ treibt es das „Handelsblatt“, das in seiner Onlineausgabe für sich nicht nur mit den Worten zu werben glaubt:

„Mit der Einführung eines Leistungsschutzrechtes soll dem neu entstandenen Schutzbedürfnis der Presseverlage Rechnung getragen werden“, heißt im Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums, der dem Handelsblatt (Freitagausgabe) vorliegt.

Sondern dem es nicht einmal zu doof war, vor die Meldung von 19:44 Uhr den Hinweis „EXKLUSIV“ zu bappen.

(„Exklusiv“ vermutlich in dem Sinne, dass es der einzige Referentenentwurf zum Leistungsschutzrecht ist, der dem „Handelsblatt“ vorliegt.)

Nachtrag: sueddeutsche.de hat dem Artikel gestern folgenden Satz und Link hinzugefügt:

Hinweis und Update: Der Referentenentwurf kann auf der Website der „Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht“ (Igel) nicht nur von der Süddeutschen Zeitung eingesehen werden.

Aserbaidschan: Kritischer Journalist als „Hooligan“ verhaftet


Mehman Huseynov. Foto: Emin Huseynov

Die Nachricht aus Aserbaidschan ist schlecht, aber keine Überraschung: Der 23-jährige Journalist und Fotograf Mehman Huseynov ist gestern abend verhaftet worden. Nach Angaben des Instituts für die Freiheit und Sicherheit von Reportern (IRFS), für das er gearbeitet hat, wird ihm Hooliganismus vorgeworfen. Anlass (oder Vorwand) sei eine Auseinandersetzung mit Polizisten am Rande einer Demonstration vor dem Büro des Bürgermeisters am 21. Mai, in der Woche des Eurovision Song Contest. Die Polizisten hatte die Proteste mit Gewalt aufgelöst und war auch gegen Berichterstatter vorgegangen.

Laut IRFS war Huseynov bereits im März von den Behörden verhört worden. Die Beamten hätten ihm geraten, weniger aktiv zu sein. Auch die beiden Blogger Emin Milli und Adnan Hajizade, die es gewagt hatten, sich mit einem satirischen Video über Korruption in der Verwaltung lustig zu machen, waren vor drei Jahren wegen Hooliganismus verurteilt worden.

Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ teilte mit, sie halte die Vorwürfe gegen ihn für politisch motiviert und vermute, er solle für seine kritischen Berichte vor dem Grand-Prix bestraft werden. Mehman ist der jüngere Bruder von Emin Huseynov, einem der beiden Haupt-Organisatoren der Kampagne „Sing for Democracy“. Auch Mehman selbst war ein sehr sichtbarer Teil der Bürgerrechtsbewegung. Am Abend, an dem in notgedrungen kleinem Rahmen das Konzert von „Sing for Democracy“ stattfand, hüpfte er mit seiner Kamera quirlig und glücklich durch den Saal.

In den Wochen vor dem Grand-Prix ist er unter anderem von stern.de und dem NDR-Medienmagazin „Zapp“ vorgestellt worden.

Nachtrag, 21:50 Uhr. Mehman scheint wieder auf freiem Fuß zu sein.

Der homosexuelle Mann… und die Grenze der Toleranz bei der „taz“

Die Toleranz der „taz“ ist groß. Sie ist so groß, dass sie es sogar zulässt, dass ihr Redakteur Jan Feddersen auf taz.de ausdauernd Leute verächtlich macht, weil sie sich in einem Land wie Aserbaidschan für Menschenrechte einsetzen.

Doch auch die Toleranz der „taz“ kennt Grenzen. Und so wird morgen die traditionsreiche Kolumne „Der homosexuelle Mann…“ von Elmar Kraushaar nicht erscheinen. Kraushaar schreibt sie seit 1995 monatlich auf der „Wahrheit“-Seite. In der nächsten Ausgabe wollte er sich der Lage der Schwulen in Aserbaidschan widmen und dem eigenwilligen Blick des „taz“-Redakteurs Jan Feddersen darauf.

Doch am Mittag, kurz vor Redaktionsschluss, habe die Chefredaktion den Text von der Seite genommen, sagt Kraushaar — angeblich ohne Begründung außer dem Hinweis, Feddersen habe der Text nicht gefallen.

Auf Nachfrage erklärt mir Chefredakteurin Ines Pohl, es gebe seit langem eine Übereinkunft in der „taz“:

Man greift Kollegen nicht persönlich in der eigenen Zeitung an, auch nicht über Zitate Dritter. Das geht nur in Form offener Schreibschlacht, Pro & Contra. Dieses Pro & Contra hatten wir zu der Sache aber schon während des Grand Prix, Niggemeier und Feddersen. Ein zweites Pro & Contra wollte keiner der Beteiligten.

Das ist die Grenze der Toleranz bei der „taz“. Das — und nicht das Redaktionsstatut, in dem es über das „Selbstverständnis“ der Zeitung heißt: „Sie tritt ein für die Verteidigung und Entwicklung der Menschenrechte (…).“

Folgender Text erscheint deshalb morgen nicht in der „taz“:

Der homosexuelle Mann …

… in Aserbaidschan ist dem Westeuropäer ein Fremder. Möglicherweise ist – wie es in queerer Terminologie heißt – sein Konzept sowohl von Homosexualität als auch von Homosexuellenunterdrückung ein ganz anderes. Der gerade zu Ende gegangene Eurovision Song Contest sollte Aufschluß darüber geben. Denn kaum war im vergangenen Jahr in Düsseldorf das Duo aus Baku zum Sieger gekürt, fragten die ESC-Fans schon nach: Kann man als Schwuler überhaupt nach Baku reisen oder wird man gleich festgenommen beim ersten spitzen Schrei?

Viele von denen, die jetzt da waren, haben ihre Beobachtungen mitgeteilt, das Ergebnis ist ein „sowohl“ als „auch“. Festgenommen wurde wohl keiner der schwulen Gäste, aber wirklich gerne gesehen war man auch nicht. Falls man überhaupt von „gesehen“ sprechen kann. Denn das scheint die oberste Maxime der heimischen Schwulen zu sein: Aufpassen, dass man nicht gesehen wird. Ein schwules Leben ist möglich — als Doppelleben, im Versteck und in der Nacht.

Einzig Jan Feddersen, in Personalunion Baku-Blogger für taz und NDR, hat es anders wahrgenommen. Die Unterdrückung der Homosexuellen? „Westliche Gerüchte“, schreibt Feddersen, „Gräuelpropaganda von Menschenrechtisten“, stattdessen sei Baku ein einziger „schwuler Catwalk“ mit Männern in „hautengen T-Shirts“ und „Jeans mit eingebauten Gemächtebeulen“. Und die halten Händchen in aller Öffentlichkeit und sind „Buddies“ ein Leben lang.

Feddersens höhnischer Ton immer dann, wenn es um Pressefreiheit und Menschenrechte in Aserbaidschan ging, erstaunte die übrigen Pressevertreter, seine verklärten Worte über das schwule Leben dort erzürnte die Beobachter schwuler Medien. „Das Mindeste, das du jetzt tun könntest, aus Solidarität zu denjenigen, die ein anderes Verhältnis zu den Realitäten haben“, schreibt queer.de-Redakteur Christian Scheuß in einem offenen Brief an Jan Feddersen, „halt in Sachen Menschenrechte doch einfach die Klappe.“ Frank & Ulli schlagen auf ihrer Web-Seite „2mecs“ vor, Feddersens Wortschöpfung „Menschenrechtist“ zum Unwort des Jahres zu küren. Für die beiden Autoren macht es keinen Sinn einen neuen Begriff einzuführen, es gebe doch die „Menschenrechts-Aktivisten“: „Es sei denn“, unterstellen sie Feddersen, „man wolle ihrer Arbeit eine negative Konnotation anhängen, sie diffamieren, sie verächtlich machen.“

Auch Patsy l’Amour laLove lässt in ihrem Patsy-Blog kein gutes Haar an Feddersen und stellt — mit Blick auf seine idyllischen Mutmaßungen über muslimisch konnotierte Männerfreundschaften — fest: „Wenn Männersex in Badehäusern en vogue ist, dann träume ich nicht davon, wie befreit diese Gesellschaft sein muß, sondern denke darüber nach, warum schwuler Sex nur in der Begrenztheit dieser Räume stattfinden darf.“ Die Polittunte setzt ihre Forderung gegen jeglichen falschen Zungenschlag: „Solidarität mit unseren Schwestern anstatt selbstgefälliger Romantisierung!“ Denn „die Schwulenunterdrückung in Aserbaidschan ist kein Gerücht sondern Alltagsrealität!“

Elmar Kraushaar

Der Kuzy

Es ist an der Zeit, eine neue journalistische Textgattung neben etablierten Formen wie Reportage, Nachricht oder Glosse zu benennen: den Kuzy. Die Definition würde ungefähr so lauten: Ein Kuzy ist ein sich von sich selbst distanzierender Text.

Benannt wäre er nach „Spiegel Online“-Redakteur Stefan Kuzmany, und ein besonders anschauliches Beispiel für einen Kuzy wäre seine Meldung über die Wahlen der Miss Deutschland 2012 vom Pfingstmontag:

Und noch ne Miss: Die 20-jährige Susan Henry aus Kassel ist zur Miss Deutschland 2012 gewählt worden – nicht zu verwechseln mit der Miss Germany, das ist Isabel Gülck. Die Geschichte der Schönheitswettbewerbe ist kompliziert, aber wen interessiert das eigentlich?

Berlin/Halle – Wer kann schon genau wissen, wer die schönste Frau des ganzen Landes ist? Für den Verfasser dieser Zeilen ist es selbstverständlich die eigene Gattin, aber alle anderen haben da ihre ganz eigene Meinung. Mit Recht!

Auf halber Strecke unterbricht er den Versuch, die verschiedenen Titel angeblich schönster Frauen auseinanderzudröseln, verweist stattdessen auf Wikipedia-Artikel zum Thema und fügt hinzu:

(und verzeihen Sie, dass wir an dieser Stelle nicht tiefer in die Recherche einsteigen mögen, dafür ist das Wetter draußen einfach zu schön).

Der Artikel endet mit den Worten:

Sollten Sie diesen Text tatsächlich bis zu dieser Stelle gelesen haben, kann das eigentlich nur daran liegen, dass Sie den Link zu den Fotos von Susan Henry noch nicht finden konnten. Kleiner Tipp: Sie müssen einfach nur auf das große Foto oben klicken. Gern geschehen.

In der 23-teiligen Bilderstrecke finden sich dann Unterschriften wie die folgenden:

Insgesamt 18 Teilnehmerinnen buhlten um den „Miss Deutschland“-Titel. Hier posieren sie vor einer Piraten-Kulisse, fragen Sie aber bitte nicht, warum. Scheint wohl gerade im Trend zu liegen.

Diese Bildergalerie wird Ihnen präsentiert vom SPIEGEL ONLINE-Feiertagsdienst. Hier sehen Sie: „Miss MGO Hessen“, die Siegerin und frisch gekrönte „Miss Deutschland“. Wie war gleich ihr Name? Ach ja: Susan Henry.

Sie haben Sie wahrscheinlich bereits vermisst, aber hier ist sie doch: Daisy Matzke, die „Miss MGO Sachsen“.

Und zuletzt noch ein besonderes Schmankerl: Adrijana Vidakovic, die „Miss MGO Niedersachsen“. Herzlichen Glückwunsch, Sie haben sich tatsächlich durch alle 23 Bilder geklickt. Jetzt können Sie gleich nochmal von vorne anfangen!

Kurz vor Weihnachten vergangenen Jahres erschien auf „Spiegel Online“ ein Kuzy, der die Nachrichtitis von „Spiegel Online“ und das Genre des Livetickers veralberte: Ein Liveticker „Normalität 2011“:

Atom, Arabien, Ehec, Euro, Bin Laden, Guttenberg und kein Ende: Der Ausnahmezustand ist 2011 zum Alltag geworden – und der Alltag zur Ausnahme. SPIEGEL ONLINE hat sie trotzdem gefunden: die einzige normale Minute des Jahres. Verfolgen Sie die beruhigenden Ereignisse im Liveticker.

[08:23:04] Der Rentner Olaf B. aus Wuppertal, ein ehemaliger hochrangiger Angestellter der städtischen Stromwerke, hat eine folgenlose Idee: Er will sich einen schwarzen Tee zubereiten und das Wasser dafür in einem elektrischen Wasserkocher erwärmen. Kurz nachdem er den Wasserkocher eingeschaltet hat, beginnt das Wasser zu brodeln.

[08:23:10] Ein durchschnittlich gekleideter Mann mittleren Alters betritt unauffällig eine Filiale der Volksbank in Celle. Er zieht seinen Personalausweis und eröffnet ohne Vorwarnung ein Konto.

[08:23:41] Niemand rechnet an diesem strahlenden Morgen auf der Baleareninsel Mallorca damit, dass in wenigen Minuten eine sechzehn Meter hohe Monsterwelle die friedlichen Strände und tausende Menschen unter sich begraben könnte. Zu Recht.

[08:23:59] Tausende Leser eines Livetickers auf SPIEGEL ONLINE warten auf eine Schlusspointe. Doch das Leben geht auch ohne weiter.

Für das neu verpackte Reiseressort von „Spiegel Online“ steuert er eine viertelwitzige und sicherheitshalber schon als „ironisch“ anmoderierte Arbeitsverweigerung bei. Er empfiehlt, mal das Brandenburger Tor zu besuchen:

Nur wenigen bekannt, obschon mitten in Berlin gelegen, ist der Pariser Platz. Leicht zu entdecken ist er zwar nicht, doch wer sich ein wenig mit den Geheimnissen des Berliner Nahverkehrs beschäftigt, wird den Weg finden: Am besten steigen Sie an der Haltestelle „Brandenburger Tor“ aus, erreichbar allerdings leider nur mit der U55, der S1, S2 und S25, oder aber dem Bus der Linie TXL 100.

(Jaja, es gibt keine Linie TXL 100.)

Während des Berichterstattungs-Tsunamis zur Frage, wer Gottschalks Nachfolger bei „Wetten dass“ wird, schreibt er auf „Spiegel Online“ den 70.000 Text zu diesem Thema. Darin bringt er folgenden Absatz unter:

Die Republik starrt gebannt auf die sogenannte Wettcouch, als würde sich ihr Schicksal nicht im Kanzleramt, nicht bei den Verhandlungen um die Euro-Rettung entscheiden, sondern genau hier, bei Gummibärchen und einem Glas Sekt. Online-Medien berichten live, an prominentester Stelle und mit einer Vielzahl von Texten (sollte Sie an dieser Stelle die Logik zwicken: das geht vorbei) – aber warum nur?

Stefan Kuzmany ist der Hofnarr von „Spiegel Online“, mit der ganzen Zwiespältigkeit, die diese Rolle mit sich bringt. Einerseits ist es rundweg zu begrüßen, dass sich „Spiegel Online“ einen solchen Hofnarr leistet, der zum Vergnügen einiger fortgeschrittener Leser mit dem Medium spielt. Andererseits ist ein solches Narrentum womöglich nicht subversiv, sondern eher systemstabilisierend.

Vermutlich werden in Zukunft größere Teile insbesondere des Online-Journalismus sowohl für die Autoren als auch das Publikum nur durch solche Texte erträglich, die sich von sich selbst distanzieren. Journalistisch ist der Kuzy eine Kunstform. Psychologisch könnte man in ihm natürlich auch einen Hilfeschrei sehen.

[Offenlegung: Stefan Kuzmany hat mal eine Weile in meinem Büro gesessen. Und ich schreibe gelegentlich für „Spiegel Online“.]

Neil Gaiman: „Make glorious and fantastic mistakes“

Wie kommt es, dass ausgerechnet die große Abschlussrede an der Universität die beinah einzige amerikanische Tradition ist, die es noch nicht nach Deutschland geschafft hat? Würde uns das Personal dafür fehlen? Die Kultur des Redenhaltens? Die Kunst, die heikle Mischung aus Pathos und Komik, aus Allgemeinplätzen und Subjektivität hinzubekommen?

Jedenfalls hat der Schriftsteller Neil Gaiman dem großen Genre der commencement speech einen weiteren Höhepunkt hinzugefügt. Er sprach am 17. Mai an der University of the Arts in Philadelphia, und ich hatte am Ende der zwanzig Minuten wieder einmal einen Kloß im Hals.

And I decided that I’d do my best in the future not to write books just for the money. If you didn’t get the money then you didn’t have anything. And if I did work I was proud of, and I didn’t get the money, at least I’d have the work.

But people keep working, in a freelance world — and more and more of today’s world is freelance — because the work is good and because they’re easy to get along with and because they deliver the work on time.

And you don’t even need all three. Two out of three is fine.

People will tolerate how unpleasant you are if your work is good and you deliver it on time.

People will forgive the lateness of your work if it’s good and they like you.

And you don’t have to be as good as everyone else if you’re on time and it’s always a pleasure to hear from you.

So be wise, because the world needs more wisdom. And if you cannot be wise, pretend to be someone who is wise and then just behave like they would.

And now go, and make interesting mistakes, make amazing mistakes, make glorious and fantastic mistakes.

Break rules. Leave the world more interesting for your being here.

Make good art.

Ein Vorspann für Baku

Wenige Minuten noch bis zum Finale, und ich wollte unbedingt vorher noch ein Loblied anstimmen auf Johannes Kretzschmar, besser bekannt als „Beetlebum“, der uns fürs Bakublog diesen wunderschönen Vorspann geschenkt hat. Ich hab den sicher jetzt schon dreihundertmal gesehen, und kann es immer noch nicht fassen, wie toll er geworden ist.


 
Ich habe keinen Schimmer, wer heute Abend gewinnen wird. Ich glaube nicht an den von vielen erwarteten überragenden Sieg von Schweden. Ich habe auf Italien gewettet und bleibe jetzt dabei — weniger aus Überzeugung als aus Ratlosigkeit.

Ich wollte eigentlich noch eine komplette Prognose abgeben, aber die wäre eh fast nur halbblind getippt. Also als Rudiment: Ich glaube nicht, dass es Roman Lob unter die Top-10 schaffen wird. Ich sehe Russland, Serbien, Norwegen, Spanien und Schweden vorne und eigentlich auch Albanien. Ich tippe, dass Mazedonien letzter wird. Und ich drücke Moldawien und ganz besonders Estland die Daumen.

Alles weitere steht natürlich im Bakublog — wo wir gleich mit dem Livebloggen anfangen.

Die Eurovision ist unglücklich, tut aber nichts dagegen

Die Europäische Rundfunkunion EBU, die sich als Vorkämpfer für Meinungs- und Medienfreiheit ausgibt, findet es „sehr bedauerlich“, dass die Behörden in Aserbaidschan auch während des Eurovision Song Contest keine friedlichen Proteste zugelassen und mehrere Demonstrationen gewaltsam aufgelöst haben. Das sei „eindeutig nicht vereinbar mit dem Recht auf Demonstrationsfreiheit“, sagte mir Annika Nyberg Frankenhaeuser, die neue Medien-Direktorin der EBU, auf Nachfrage.

Beschwert hat sich die EBU bei der Regierung darüber nicht.

„Wir sind nicht glücklich über das, was hier passiert ist“, sagte Nyberg Frankenhaeuser in Bezug auf die Zerschlagung mehrerer friedlicher Demonstrationen. Die EBU habe das Thema aber gegenüber dem Regime noch nicht angesprochen. Sie konnte auch nicht sagen, wann, in welcher Form und bei welcher Gelegenheit das stattfinden könnte. Es sei aber wichtig, über diese Fragen nachzudenken.

Von sich aus hat sich die EBU zu dem Thema nicht erklärt.

Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty hatten die EBU aufgefordert, klar Stellung zu beziehen. Nach Ansicht von Amnesty hat die EBU der Regierung in Aserbaidschan einen Freifahrtschein gegeben, hart gegen Kritiker vorzugehen.

Euronews hatte am Mittwoch berichtet, die EBU hätte die aserbaidschanische Regierung um eine Erklärung für Berichte gebeten, dass Journalisten verhaftet wurden. Die entsprechende Meldung wurde auch im offiziellen EBU-Blog verlinkt. Sie bezieht sich jedoch nicht auf die Entwicklungen der vergangenen Tage. Angesprochen hat die EBU das Thema zuletzt bei einem Workshop mit Regierungsvertretern und Menschenrechtlern in Genf, der von den teilnehmenden Bürgerrechtsgruppen als Debakel wahrgenommen wurde.

So wenig die aserbaidschanische Regierung sich genötigt sah, sich wegen der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit während des ESC toleranter zu geben, so wenig sah sich die EBU genötigt, Druck auf das Regime auszuüben. Die Organisation will sich auch in Zukunft um das Land und seinen Mitgliedssender Ictimai kümmern, unter anderem mit einem Workshop später im Jahr. Aber dann ist ihre Position natürlich ungleich schwächer als in diesen Tagen, in denen das Regime in Baku ein Interesse daran hat, eine öffentliche Kontroverse mit dem Veranstalter des ESC zu vermeiden.

Anders als die ARD behauptet, hat sich die EBU von der Regierung nicht die Zusage geben lassen, „während des ESC Menschenrechte wie die Pressefreiheit, Redefreiheit, Versammlungsfreiheit oder Reisefreiheit zu garantieren“. Sie hat diese Zusage nur für die Teilnehmer des ESC bekommen. Deshalb ist die EBU nach den Worten von Frau Nyberg Frankenhaeuser auch trotz der Repressionen in Baku vor und während des ESC der Meinung, dass die Regierung ihre Garantie eingehalten hätte.

Anfang des Monats hatte ich für „Spiegel Online“ mit Ingrid Deltenre, der Generaldirektorin der EBU, gesprochen:

SPIEGEL ONLINE: Die EBU hat sich von der aserbaidschanischen Regierung Garantien geben lassen, dass sie im Rahmen des Grand Prix die Menschenrechtskonvention achten wird und die Freiheit und Sicherheit aller Beteiligten und Berichterstatter gewährleistet. Ist das nicht zynisch: Wir schaffen einen künstlichen Mini-Rechtsstaat in einem Land, wo das Recht sonst nicht respektiert wird?

Deltenre: Die Kritik könnte ich verstehen, wenn es so wäre. Aserbaidschan hat als Mitgliedsland des Europarats die europäische Menschenrechtskonvention unterschrieben, die gilt für das ganze Land.

Die Kritik könnte sie verstehen, wenn es so wäre.

Die Aserbaidschan-Connection von dapd

Erinnern Sie sich an die merkwürdig regimefreundliche Berichterstattung der deutschen Nachrichtenagentur dapd über Aserbaidschan? Als ich darüber vor einigen Wochen gebloggt habe, kannte ich das hier noch nicht:

Martin Vorderwülbecke, Vorstand und Miteigentümer von dapd, war im vergangenen Dezember in Baku. Er hat sich dort mit Vertretern der staatlichen Nachrichtenagentur AzerTAc getroffen. Und die berichtet darüber wie folgt (Übersetzung von mir):

Die deutsche Nachrichtenagentur dapd betrachtet eine Kooperation mit der staatlichen aserbaidschanischen Nachrichtenagentur AzerTAc als sehr wichtig. (…)

Die Diskussion konzentrierte sich auf die Frage, wie eine Zusammenarbeit zwischen AzerTAc und dapd etabliert und ein Erfahrungsaustausch durchgeführt werden kann. (…)

Martin Vorderwülbecke sagte, die Etablierung einer Zusammenarbeit zwischen AzerTAc und dapd würde dazu beitragen, die Beziehungen zwischen Deutschland und Aserbaidschan anzukurbeln. Er fügte hinzu, dass es dapd wichtig sei, Nachrichten über Aserbaidschan nach Deutschland zu liefern.

Vorderwülbecke wies darauf hin, dass dapd ein neues Büro in Aserbaidschan eröffnen werde. Er sagte, ein Erfahrungsaustausch zwischen dapd und AzerTAc sei für die beiden Agenturen nützlich.

Tsis.

Das ist aber alles sehr kuschelig da. Der Eigentümer von dapd reist nach Aserbaidschan und möchte die deutsch-aserbaidschanischen Beziehungen verbessern? Ein Beiratsmitglied von dapd hat beste Kontakte zur PR-Agentur, die das Image von Aserbaidschan aufpolieren hilft? Und der dapd-Mann vor Ort taucht das Regime gelegentlich in ein mildes freundliches Licht?

Kann natürlich sein, dass das alles Zufall ist.

Ich habe bei dapd nachgefragt, wie ich mir die Kooperation mit AzerTAc vorstellen muss, ob die Agentur ihre Aufgabe darin sieht, für gute Beziehungen zwischen Staaten allgemein oder diesen beiden konkret zu sorgen, und wie dpad von einem Erfahrungstausch mit AzerTAc profitieren könnte. Ich bekam die folgende Antwort:

Es gibt keine Kooperation mit AzerTAc. Insofern erübrigen sich Ihre Fragen.

Ging dann aber noch weiter:

Richtig ist, dass dapd bilaterale Vertragsbeziehungen mit Nachrichtenagenturen in 25 Ländern unterhält, u.a. China, Japan, Tschechien und Schweden. Außerdem führt dapd laufend Sondierungsgespräche, um für die Kunden eine eigene Berichterstattung (z. B. aus Aserbaidschan, Turkmenistan, Usbekistan oder Iran) sicherzustellen. dapd berichtet seit einigen Wochen mit zwei eigenen Korrespondenten unabhängig aus Aserbaidschan und wird von dort auch weiterhin berichten. dapd setzt zudem auf das Netzwerk von unabhängigen AP-Journalisten.

Das klärt natürlich in keiner Weise, warum kein Geringerer als der Vorstandsvorsitzende von dapd nach Baku fährt und Kontakte pflegt, die seine Gesprächspartner als weitreichende Kooperationsangebote darstellen.

(Der dapd-Sprecher wies dann noch dezent darauf hin, dass die dapd-Konkurrenz dpa mit AzerTAc kooperiere: Beide sind im Agenturennetzwerk EANA. Dabei handelt es sich allerdings nach Angaben von dpa bloß um einen Dachververband, wie es ihn für viele Branchen auf europäischer Ebene gibt: „Es gab und es gibt keinerlei Kooperation zwischen der dpa und AzerTAc“, so ein Sprecher. „Die dpa bezieht keine Informationen von AzerTAc und wertet deren Agenturdienste nicht aus. Umgekehrt liefern wir auch keine Inhalte und Dienste an AzerTAc.“)