Autor: Stefan Niggemeier

Marlzeit (4)

So. Feierabend.

Jetzt geht das Feilschen los. Wir haben alle Sendungen gesehen (die Jurys für Information/Kultur und Unterhaltung sind schon ganz fertig), morgen Vormittag wird noch einmal ausführlich diskutiert und dann abstimmt, wer einen Adolf-Grimme-Preis 2008 in der Kategorie Fiktion gewinnt. Fünf können wir vergeben, aber ernsthafte Kandidaten gibt es ungefähr doppelt so viele.

Das ist nicht die Regel. Die Grimme-Verantwortlichen müssen ja jedes Jahr für die Presse Sätze sagen wie: „Es war ein besonders hochwertiges Fernsehjahr“, was sich nicht immer wirklich belegen lässt. Aber das vergangene Jahr scheint, was Fernsehfilme angeht, wirklich ein gutes gewesen zu sein. Ich kann mich an Jahre erinnern, in denen wir augenrollend, stirnrunzelnd und händeübermkopfzusammenschlagend vor vielen der nominierten Beiträge saßen und uns uns nach der Hälfte der Zeit ernsthaft fragten, ob wir überhaupt genug Preiswürdiges sehen würden. Dieses Jahr ist anders. Ich glaube, den meisten Juroren geht es wie mir, und sie haben mindestens sieben, acht Filme gesehen, denen sie dringend gerne einen Preis geben würden.

Es gibt ein oder zwei Favoriten, bei denen es sehr wahrscheinlich ist, dass sie durchkommen. Aber dahinter eine große, breite Gruppe von schönen Filmen mit vielen Fans. Und da geht das Geschacher los. Juroren stehen in kleinen Grüppchen zusammen und diskutieren, welche „Pakete“ man schnüren könnte, aus Sendungen, die als Preisträger ein gutes Gesamtbild ergäben. Beim Bier oder Rotwein wird diskutiert, was für Kriterien uns beeinflussen sollten: Soll ein Film, der viele begeistert hat, einen Preis bekommen, obwohl er schon viele andere Preise bekommen hat? Oder schon vor Jahren im Kino lief? Wäre es doof, wenn am Ende ein einzelner Sender vier unserer fünf Preise bekäme? Sollten wir es vermeiden, dass mehr als ein Film ausgezeichnet wird, in dem es um die DDR geht? Müsste unbedingt eine Serie ausgezeichnet werden?

Im Grunde sind viele Argumente, die an so einem Abend im Restaurant des Parkhotels Marl ausgetauscht werden, leicht durchschaubare Taktik: Wer einen Favoriten hat, der kein Krimi ist, findet natürlich schnell Argumente gegen ein übermäßiges Auszeichnen von Krimis. Und wer, um es ein bisschen konkreter zu machen, „Eine Stadt wird erpresst“ von Dominik Graf nicht besonders mag, weist natürlich darauf hin, dass Dominik Graf schon soundso viele Grimme-Preise gewonnen hat und ob man nicht mal jemand anderes… Gelegentlich gibt es offenbar sogar Verabredungsversuche im Sinne von: Stimmst du für meinen Favoriten, stimm ich für deinen.

Aber die ganze Taktiererei hat Grenzen, und das liegt unter anderem an einem ausgeklügelten, komplizierten Abstimmverfahren. (Interessiert Sie das wirklich? Also gut.)

Zunächst wird ein Stimmungsbild erstellt, indem jeder Jurore jedem Nominierten zwischen 0 und 10 Punkten gibt. Das hilft, um zu sehen, welche Kandidaten deutlich unterdurchschnittlich abschneiden; die werden dann aus der Diskussion genommen. Als nächstes erstellt jeder Juror in einer weiteren geheimen Wahl aus den verbliebenen Kandidaten eine eigene Rangliste vom besten zum schlechtesten Film. Auch daraus wird ein Durchschnitt gebildet. Diese Liste wird dann von vorne nach hinten durchgegangen und abgestimmt, ob die Sendung einen Grimme-Preis bekommen soll. (Und zwischendurch natürlich immer wieder diskutiert und gekämpft.) Sobald alle Preise vergeben sind, endet das Spiel. Klingt unnötig komplex, hat sich aber bewährt, weil es einerseits berücksichtigt, wenn einzelne Juroren ein Programm besonders herausragend finden, andererseits aber auch immer eine absolute Mehrheit der Juroren voraussetzt.

Wenn Sie jetzt das Gefühl haben: Ui, das scheint ja eine furchtbar staatstragende Angelegenheit zu sein, dann haben Sie nicht unrecht. Eine Woche lang tun alle Beteiligten so, als sei nicht nur das Fernsehen die wichtigste Sache der Welt, sondern als hänge die Welt auch davon ab, wer diesen Preis bekommt. Das nimmt manchmal beunruhigende Ausmaße an: In einem Jahr soll es sogar zu Tränen und Abreisedrohungen über die Frage gekommen sein, welche Sendung nicht nur einen normalen Grimme-Preis, sondern einen „mit Gold“ bekommt. (Inzwischen ist diese Unterscheidung abgeschafft, vermutlich nicht einmal wegen der Tränen damals.)

Dieser Aufwand und dieses Gefühl, etwas wirklich Bedeutendes zu entscheiden, mag manchmal von außen merkwürdig und sogar arrogant wirken. Aber mir gefällt diese Ernsthaftigkeit, insbesondere weil sie dem Medium Fernsehen inzwischen so selten entgegengebracht wird, sowohl von Machern als auch Kritikern. Und der Grimme-Preis scheint einer zu sein, der immer noch dafür geschätzt wird. Am Dienstagabend, beim „Bergfest“, zu dem traditionell alle Nominierten eingeladen werden, war das wieder zu spüren, welcher Respekt dieser Auszeichnung immer noch entgegengebracht wird, welche Bedeutung sie hat, für die Kreativen und in den Sendern. Das liegt, glaube ich, unter anderem daran, dass sie diesen etwas absurden Aufwand betreibt. Und daran, dass sie, anders als der „Deutsche Fernsehpreis“, zu Recht nicht im Verdacht steht, sich von Kriterien leiten zu lassen wie dem Proporz der ausgezeichneten Sender oder den Wünschen des Programms, das die Verleihung überträgt.

Übrigens: Ein feiner nominierter Fernsehfilm ist bis Mittwoch in Berlin im Kino zu sehen: „Der letzte macht das Licht aus“, eine Komödie um arbeitslose deutsche Bauarbeiter, die sich darauf vorbereiten, nach Norwegen zu gehen, wo es Arbeit für sie gibt. Es ist ein zauberhafter, unterhaltsamer, wunderbar beobachteter kleiner Film des Regisseurs und Autors Clemens Schönborn, ein bisschen in der Tradition britischer Arbeiterkomödien, den das ZDF nach Mitternacht versteckt hat, obwohl er im besten Sinne massentauglich ist. Er läuft im Moviemento und im Central am Hackeschen Markt, und ob er einen Grimme-Preis bekommen wird, kann ich nicht sagen. Aber dass sich ein Besuch im Kino lohnt.

Marlzeit (2)

So. Feierabend.

Fast vierzehneinhalb Stunden haben wir heute mit der Jury getagt, Fernsehen geguckt und diskutiert, und die Frage ist natürlich berechtigt, ob der sechste oder siebte Film, den man am Tag sieht, die gleiche Chance hat wie die anderen, einen Grimme-Preis zu gewinnen.

Ehrlich gesagt: Man weiß es nicht, weshalb die Reihenfolge vorher ausgelost wird. Aber es ist ganz bestimmt nicht so, dass ein Film, der nach dem Abendessen kommt, schon verloren hätte. Gerade Komödien zum Beispiel kommen dann besonders gut an, wenn alle von der geballten Ladung Sozialdramen erschöpft sind; aber auch einem herausragenden Drama kann es gelingen, dass plötzlich alle aufhören, mit dem Papier zu rascheln und den Stühlen zu rücken, und nur noch gebannt auf die Fernseher schauen.

Heute war zum Beispiel ein Tag, an dem mich persönlich gerade die letzten beiden Filme besonders begeistert haben. Einer davon hieß „Eine andere Liga“, und war eigentlich nicht dafür prädestiniert, mich vom Stuhl zu reißen: Weder Fußballfilme noch Brustkrebsdramen sind meine Lieblingsgenres, aber diese Tragikomödie von Buket Alakus, die beides ist und so viel mehr, ist so grandios geschrieben, gespielt und inszeniert, mit einer solchen Leichtigkeit und Tiefe, dass sie mich gleichermaßen bewegt und amüsiert hat wie kaum ein Fernsehfilm in der letzten Zeit.

In den Kommentaren brachte jemand den Gedanken auf, ähnlich wie in „Supersize Me“ aus der Jurysitzung einen Selbstversuch zu machen, wie es einen verändert, wenn man so viele Stunden lang Fernsehen guckt. Der Vergleich mit dem Mc-Donald’s-Fress-Experiment ist leider in anderer Hinsicht außerordentlich passend. Ich schätze, dass kaum ein Jurymitglied aus Marl mit weniger als zwei Kilo Zusatzgewicht zurückkehrt. Morgens stehen schon Joghurts und Obst für uns bereit, gegen 11 Uhr kommen leckere belegte Brötchen, nachmittags Berge von Kuchen, abends gibt es ein komplettes Abendessen mit Nachtisch, dann Alkohol in verschiedenen Formen und diverse Snacks. Gut, theoretisch kann man natürlich auch 12, 13, 14 Stunden lang vor dem Fernseher sitzen und Wasser trinken, Weintrauben essen und am Filzstift kauen, aber mir ist das noch nie gelungen. (Wobei es bei mir eine komplizierte Relation gibt, wonach der Kalorienkonsum sich umgekehrt proportional zur Qualität des zu sichtenden Programms verhält und proportional zur Häufigkeit, mit der ich eine Sendung schon gesehen habe.)

Dass ich heute über die Trostlosigkeit von Marl schreiben würde, wie gestern angekündigt, war natürlich nur ein Witz. Das mache ich erst morgen.

Dieter Bohlen

Ist ja richtig: Die Menschen machen das freiwillig. Sie wissen, worauf sie sich einlassen. Manche kommen Jahr für Jahr wieder. Keiner zwingt sie, sich bei „Deutschland such den Superstar“ zu Deppen zu machen. Aber manchmal wünscht man sich halt doch, RTL nähme seine Verantwortung ernst und besorge ihnen, anstatt sie auf den Schirm zu lassen, lieber professionelle Hilfe. Dem Dieter Bohlen vor allem.

Denn es ist ja nicht so, dass die Vierjährige, die einem die Zunge rausstreckt, die traurige Figur ist. Oder der Zehnjährige, der einem stolz die missratene eigene Sandburg vorführt. Die traurige Figur, das ist schon der Erwachsene, der dem Mädchen zeigt, dass er seine Zunge viel weiter und viel länger rausstrecken kann, bis sie heult, und dem Jungen die Sandburg zertrampelt, nicht ohne den Schaulustigen Fotos von eigenen, viel tolleren Sandburgen zu zeigen. (Sicherheitshalber hat der Erwachsene eine Frau und einen Mann an seiner Seite, die ihm notfalls helfen können, den Zehnjährigen niederzuringen oder ein sich entwickelndes Rededuell mit der Vierjährigen zu gewinnen.)

So ist Dieter Bohlen: Schafft es nach dreißig Jahren im Geschäft mühelos, Menschen, die noch nie vor einem Mikrofon gestanden haben, wie Amateure aussehen zu lassen.

In dieser Woche stand ihm ein Möchtegernsänger gegenüber, der sich weigerte, das Nein der Jury zu akzeptieren, und als er begann, Bohlen zu erzählen, dass er wenigstens besser aussähe und nicht so viel Falten hatte, gab er eine sehr traurige Figur ab. Nicht halb so traurig aber wie die, als Bohlen antwortete. Jeder Mensch mit einem Funken Selbstachtung hätte diesen Kindergartenangriff lächelnd an sich abtropfen lassen. Bohlen aber, der sein Ego in der Vorwoche dadurch aufpumpte, dass er einen Kandidaten als „Vollschwuchtel“ abtat, hielt einen langen Vortrag darüber, dass er, jawohl, Falten habe, aber eben weil er seit dreißig Jahren hart arbeite, und dass es schon sein möge, dass die Frauen auf ihn stünden, weil er so erfolgreich sei und so viel Geld habe, aber das sei ja nun mal sein Geld, das habe er ja niemandem weggenommen, und als fertig war mit seinem Wutausbruch, sah man ihm an, dass er sich gut fühlte, weil er meinte, dass er das Duell gewonnen hätte, vielleicht auch nur, weil er wusste, dass ihn morgen, wenn der Friseur und Möchtegernsänger zurück in seinem traurigen Alltag ist, wieder Dutzende junger Mädchen erwarten würden, nichtmal halb so alt wie er, und dass er diejenigen, die ihn nicht sexuell erregten, wenigstens wieder öffentlich demütigen könnte und ein Großteil von denen ihn dafür noch bewundern würde.

Was für eine traurige Wurst.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Marlzeit (1)

So. Feierabend.

Seit Samstag tagen in Marl die Jurys für den 44. Adolf-Grimme-Fernsehpreis, und eigentlich hatte ich vor, täglich über die Arbeit in der Jury „Fiktion“ zu bloggen, in der ich in diesem Jahr bin (natürlich ohne konkrete Ergebnisse zu verraten). Ich weiß nur kaum, wann ich das schaffen soll. Heute waren wir um 22.50 Uhr fertig, morgen geht’s um 9 Uhr wieder los, und so ähnlich geht das bis Donnerstagmittag, also erwarten Sie bitte nicht zu viel Reflektionstiefe.

Eine der Besonderheiten bei Grimmes ist, dass man sich alle nominierten Sendungen gemeinsam ansieht, und zwar ganz. (Nur bei Serien und Mehrteilern gibt es Sonderregelungen.) Insgesamt 25 Sendungen sind in der Kategorie „Fiktion“ in diesem Jahr nominiert, das allein macht rund 40 Stunden reine Fernsehzeit, dazu kommen noch Diskussionen und Abstimmungen. (Bevor jemand fragt: Geld gibt es dafür ungefähr nicht.)

Zwei der 25 Nominierungen in der Kategorie „Fiktion“ haben wir uns selbst eingebrockt, das liegt an einer weiteren Besonderheit Grimmes: Über die Nominierungen entscheiden zwar eigentlich spezielle Kommissionen, die mehrmals im Jahr tagen. Wir als Jury haben aber die Möglichkeit, bis zu drei Produktionen nachzunominieren. Das ist nicht so abwegig, wie es wirkt, schließlich sollen wir ja entscheiden, was die Sendungen des abgelaufenen Fernsehjahres waren, „welche die spezifischen Möglichkeiten des Mediums Fernsehen auf hervorragende Weise nutzen und nach Form und Inhalt Vorbild für die Fernsehpraxis sein können“, und deshalb die Möglichkeit haben, Sendungen, die unserer Ansicht nach unbedingt dazu gehören, ins Rennen zu schicken, auch wenn die Nominierungskommissionen sie übersehen hatten oder schlicht anderer Meinung waren.

Deshalb begann der erste Tag (nach Begrüßungen und diversen Formalien) damit, über die Nachnominierungen zu entscheiden. Fünf Kandidaten gab es, von denen jeweils mindestens zehn Minuten angesehen werden mussten, dann gab es Probleme mit dem Ton, Probleme mit dem Beta-Abspielgerät, Plädoyers Pro und Contra, Diskussionen und mehrere Abstimmungen, und danach machte sich bei mir schon eine gewisse, viel zu frühe Müdigkeit breit.

Verraten darf ich hoffentlich, dass es zwei Kandidaten bei uns als Nachrücker geschafft haben; welche das waren, wird das Grimme-Institut vermutlich in den nächsten Tagen der Weltöffentlichkeit mitteilen.

Drei Filme gab es dann heute noch zu „sichten“, wie das hier heißt, und im Vergleich zur Jury „Information“, die mehrere Tage die geballte Ladung Dokumentationen und Reportagen über Kriege, Krankheiten und Katastrophen sehen darf, mischt sich bei uns immerhin das Genre des sozial relevanten Krimis (ein Genre, in dem Deutschland Weltspitze ist, und ich meine das nicht ironisch) mit der ein oder andere Komödie und Beziehungsgeschichte. Heute saßen wir mit 13 Juroren im abgedunkelten Raum vor vier Fernsehern, um uns „Duell in der Nacht“ mir Iris Berben, „Rose“ mit Corinna Harfouch und die (noch geheime) erste Nachnominierung anzusehen. Morgen stehen nicht weniger als sieben 90-Minüter auf dem Programm, davon zwei nach dem Abendessen.

Ich darf hier natürlich noch nicht vorwegnehmen, wie die Diskussionen gelaufen sind, aber ich fand „Rose“ ganz außerordentlich zauberhaft. Das ist auch das Schöne für mich, in dieser Jury zu sein: Mein Fernsehalltag, sowohl privat als auch als Kritiker, besteht eher aus dem, was man so Trash nennt oder Alltagsfernsehen. Viele Serien, Shows, Unterhaltung. In Marl sehe ich einmal im Jahr die geballte Ladung gutes Fernsehen, große Filme, wunderbare Schauspieler, Geschichten mit Qualität. (Und danach ist auch erstmal für ein Jahr wieder gut — nein, Quatsch.)

Ein bisschen gefehlt hat mir in diesem Jahr die Begrüßung durch die Marler Bürgermeisterin, die irgendwie verhindert war. Das Grimme-Institut ist total wichtig für diesen Ort, und ein bisschen tragisch ist, dass die klassische Grimme-Preis-Reportage und der typische Bericht aus der Jury-Sitzung selten darauf verzichtet, ausführlich zu beschreiben, was für eine trostlose Stadt das ist. Einmal hat ein Stadtoberhaupt bei der Begrüßung die Journalisten sogar gebeten, ob man auf diesen Teil nicht mal verzichten könnte, schon wegen der mangelnden Originalität. Tja.

Lesen Sie morgen im zweiten Teil: So trostlos ist Marl.

Niels Ruf

Wenn ich mich sehr beeile, schaffe ich es vielleicht, diese Kolumne fertig zu schreiben, bevor RTL die Serie abgesetzt hat. Ich kann aber nicht garantieren, dass das noch gilt, wenn Sie diesen Text lesen. Ehrlich gesagt, ist es sogar eher unwahrscheinlich, angesichts der mäßigen Quote am Freitag. Vermutlich basteln sie in den Geheimlaboren von RTL längst an einer Möglichkeit, Sendungen rückwirkend abzusetzen, damit sie sich nachträglich dafür entscheiden können, sie nie ausgestrahlt zu haben.

Es wäre schade um „Herzog“, die neue Comedyserie mit Niels Ruf. Es wäre sogar schade um Niels Ruf. Der hatte es am Anfang des Jahrhunderts mit diversen Grenzüberschreitungen geschafft, sich ein, zwei Jahre lang als „TV-Rüpel der Nation“ zu profilieren. Als er einmal wirklich zu weit ging und rausflog, beklagte er sich, dass die Menschen nicht zwischen öffentlicher Kunstfigur und dem privaten Niels Ruf unterscheiden könnten – ein Missverständnis, an dem er jahrelang gearbeitet hatte. „Herzog“ ist unter anderem deshalb so vergnüglich, weil Ruf darin wieder das Ekel von früher sein darf, aber in einem klaren fiktionalen Rahmen: als fieser Scheidungsanwalt. Er spielt sie gut, die Rolle des talentierten arroganten Arschlochs, das letztlich an der Selbstbesoffenheit scheitert, die Rolle seines Lebens also. Und dass alles im Rahmen eines Drehbuchs stattfindet, das sorgsam austariert, wie oft wir mit diesem Herzog lachen und wie oft über ihn, das macht die Sache entspannter und harmloser, erlaubt es aber, gezielter an die Grenzen zu gehen. Der Witz besteht nicht nur aus den üblichen Doppeldeutigkeiten (Sie, verspätet: „‚Tschuldigung, ich hatte viel Verkehr.“ Er: „Hauptsache, Sie sind gekommen.“), sondern etwa auch aus dem Umgang mit einer Brustkrebs-Untersuchung, was ebenso gewagt wie befreiend ist. Wie sehr solcher Humor schillern kann, zeigt ein Running Gag in der ersten Folge darüber, ob „Neger“ komisch riechen, den man für einen rassistischen Witz halten könnte, sich aber als Witz über Rassismus herausstellt. Und am Ende bekommt Herzog eh regelmäßig die Quittung für seine Art.

Für den Sender RTL, der jenseits des Reality-Genres in den vergangenen Jahren zum Inbegriff der Mut- und Harmlosigkeit geworden ist, ist es fast sensationell, dass er sich die Provokationen und den Witz in „Herzog“ getraut hat und der Serie nicht alle Ecken abgeschmirgelt hat. Es wäre schön, wenn das belohnt würde. Vermutlich muss man schon schreiben: belohnt worden wäre.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Zitterpartie für Hessens Riesenkräne

Kurz nach acht. In Hessen ist ungefähr alles offen: Ob es doch noch für eine CDU/FDP-Koalition reicht, ob die Linke in den Landtag kommt, ob es ein Patt wird. Beim Rumpelsender n-tv musste man sich allerdings aus der aktuellen Berichterstattung ausblenden, um eine dringende Reportage über „Riesenkräne“ zu senden.

Aber gerade an solchen Abenden kann man ja auch mal in den Teletext schauen, und da überrascht n-tv mit dieser, nun ja: Exklusivmeldung:

Nachtrag und Korrektur, 21.50 Uhr:
Ich muss mich für meine voreilige Behauptung entschuldigen, n-tv habe für die Riesenkran-Reportage die Wahlberichterstattung unterbrochen. Tatsächlich hat n-tv natürlich für die Wahl kurz seine Riesenkran-Berichterstattung unterbrochen. Die n-tv-Reportage „Riesenkräne“ lief zuletzt in der vergangenen Nacht um 0:15 Uhr, gestern um 15:10 Uhr, vorgestern um 22:10 Uhr und am:
24.11.2007
23.11.2007
19.08.2007
18.08.2007 (zweimal)
16.08.2007
01.06.2007 (zweimal)
14.04.2007
13.04.2007
12.04.2007
11.04.2007 (zweimal)
02.12.2006
30.11.2006
24.09.2006
23.09.2006
22.09.2006
22.07.2006
21.07.2006
20.07.2006 (zweimal)
20.05.2006
19.05.2006
18.05.2006
25.03.2006
24.03.2006 (zweimal)
23.03.2006
04.02.2006
03.02.2006
02.02.2006 (zweimal)
03.08.2005
02.08.2005 (dreimal)
01.08.2005.
(Ohne Anspruch auf Vollständigkeit.)

Sonntagssprechstunde bei sueddeutsche.de

Ist das nicht toll? Die Ergebnisse der Landtagswahlen können Sie heute abend nicht nur überall, sondern auch auf sueddeutsche.de kommentieren!

Das Online-Angebot der „Süddeutschen Zeitung“ greift die Idee des verkaufsoffenen Sonntags auf und taut ausnahmsweise die Kommentarfunktion auf, die sonst an Samstagen, Sonn- und Feiertagen „eingefroren“ ist, um die „Qualität der Nutzerdiskussionen“ stärker zu „moderieren“. Sprechzeit auf sueddeutsche.de für Idiotae ist sonst seit einigen Wochen ausschließlich werktags zwischen 8 und 19 Uhr.

Im SZ-Protestforum szenso.de sieht man in der Aktion auch eine Reaktion auf das eigene Angebot, dort rund um die Uhr über die Wahlen zu diskutieren.

Neulich im Radio

[audio:http://www.stefan-niggemeier.de/br5.mp3]

Nachtrag, 8. Februar: Der Clip ist, wie mir B5 aktuell sagt, nicht so über den Sender gegangen, sondern war Teil einer internen Interviewübung, den ein Mitarbeiter unzulässigerweise veröffentlicht hat.