Autor: Stefan Niggemeier

Ich weiß nicht, warum ich hier bin

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Was uns das Dschungelcamp über „B-Promis“, das Fernsehen und uns selbst lehrt.

Es gibt im Dschungel zwischen all dem Ekel und der Häme einige Momente der Wahrheit, und einen der erschütterndsten lieferte eine neunzehnjährige Sängerin namens Lisa Bund. Lisa Bund wurde einer größeren Öffentlichkeit im vergangenen Jahr als Teilnehmerin von „Deutschland sucht den Superstar“ bekannt. Sie galt als eine der Favoritinnen, wegen ihrer großen Stimme und ihres noch größeren Ehrgeizes: Vor der Show hatte sie zwanzig Kilo abgenommen. Sie galt aber auch als Zicke, die rücksichtslos um den Sieg kämpfte und ihn vielleicht auch deshalb verpasste und nur Dritte wurde. Danach hatte sie einen Gastauftritt in der Seifenoper „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, veröffentlichte eine Single und ein Album, die mäßig erfolgreich waren. Nun sitzt sie im Dschungelcamp und hadert mit sich und der Welt.

Anfang der Woche sah man sie vor allem weinen. Unter Tränen klagte sie über ihr Heimweh: „Ich weiß, egal was ich jetzt mache, wäre falsch. Ich kann nicht hierbleiben, ich kann aber irgendwie auch nicht rausgehen, weil ich Angst habe, wieder was falsch gemacht zu haben. Ich fühl mich nicht wohl hier. Gar nicht. Ich hab versuchen wollen, dass die Leute mich lieben wegen meiner Musik. Und das hat alles nicht so funktioniert, wie ich es wollte. Und jetzt muss ich hierherkommen, um den Leuten was zu beweisen. Ich hab ein Problem mit mir selber. Ich weiß gar nicht, warum ich hier bin.“

Über den Druck, unter dem sie stand, hatte sie schon bei der Umquartierung in die Scheinwildnis gesprochen, als sie sagte, die Teilnahme an diesem Spektakel sei für sie „ganz wichtig“ – „damit die Leute sehen, dass ich gar nicht die Zicke bin, als die ich bei ,DSDS‘ abgestempelt wurde“.

Ihr Kollege Ross Anthony strahlt eine ähnliche Unentspanntheit aus. Tagelang schien er ein zitterndes Wrack zu sein, gefangen in einer Mischung aus Panik und völliger Erschöpfung von all der Panik. Die Lebensuntüchtigkeit dieser Menschen, die man schon dadurch auf seelische Wracks reduzieren kann, dass man ihnen ihre Tagescreme wegnimmt, ist beunruhigend. Aber noch beunruhigender ist, dass sie mit all ihren Phobien glauben in den Dschungel gehen zu müssen. Dass für sie die bekannten Zumutungen der Show ganz offenkundig kein Spiel sind, keine Herausforderung, sondern pure Notwendigkeit: ein Opfer, das gebracht werden muss für die eigene Karriere und, viel elementarer, für das dauerhafte Bild der Öffentlichkeit von ihnen selbst.

Es ist sicher kein Zufall, dass Lisa Bund und Ross Anthony durch dieselbe Schule gegangen sind: die der Castingshows. Anthony wurde durch seine Teilnahme bei „Popstars“ Mitglied einer Gruppe namens Bro’Sis. Bei „Popstars“ ist es vor allem Jurymitglied Detlef Soost, der den jungen Talenten erstaunlich brutal eine Lehre fürs Leben einpaukt: Sie müssen alles tun, was von ihnen verlangt wird. Wer nein sagt, fliegt raus, wer sich nicht anpasst, hat keine Chance. Soost und Dieter Bohlen stehen persönlich für diese Pädagogik, aber sie sind auch nur Stellvertreter für ein System, das sich so immer neues Menschenmaterial nach seinen Bedürfnissen formt, Protagonisten, die alles mitmachen, weil sie glauben, keine Wahl zu haben.

„Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ wirkt eigentlich vergleichsweise ungefährlich gegenüber „Big Brother“ oder vielen Talkshows und Doku-Soaps, weil die Teilnehmer keine naiven Laien sind, sondern Profis, die wissen könnten, worauf sie sich einlassen, und Berater an ihrer Seite haben. Doch mit Blick auf Teile des Personals und ihr Verhalten im Dschungel muss man daran zweifeln, dass die Teilnahme für alle rein subjektiv wirklich so freiwillig ist.

Wir haben ein merkwürdiges Verhältnis zu diesen ehrgeizigen Menschen, die es im Showgeschäft entweder nie ganz nach oben geschafft haben oder längst wieder auf dem Weg nach unten sind. Sie bevölkern massenhaft unser Fernsehen, sitzen in Talkshows, kommentieren irgendwelche Videoschnipsel und werden behandelt, als seien sie wichtig. Gleichzeitig machen wir jeden, der es nicht zur Berühmtheit, sondern nur zur Bekanntheit bringt, verächtlich. Jeder erfolglose Journalist, jeder gescheiterte Zuschauer kann sich ihnen überlegen fühlen und das Alphabet nach hinten durchgehen, um sie als „B-Promi“, „C-Promi“ zu verunglimpfen.

Diese Häme, die auch einen wesentlichen Reiz der Dschungelshow ausmacht, ist berechtigt – als Ausgleich für die Allgegenwart dieser Möchtegernstars. Andererseits vergisst sie, dass die Medien genau diese Semiprominenten brauchen, um die Unmengen Programmflächen und Druckseiten zu füllen. Und sie verliert die Perspektive der Leute selbst aus den Augen.

Man darf den pädagogischen Wert einer Show wie „Ich bin ein Star“ nicht überschätzen, aber sie ist nicht nur eine Zirkusveranstaltung, sondern auch ein soziales Experiment – und bietet ehrliche Einblicke in das Leben dieser „B-Promis“, in die Zwänge, denen sie sich ausgeliefert sehen, und ihre Hoffnungen. Auch das ist ein Grund, warum man sich so wunderbar überlegen fühlen kann: Wir glauben zu wissen, dass ihr Glaube, durch das Baden in Mehlwürmern und das Essen von Känguru-Hoden die eigene Karriere zu befördern, sehr abwegig ist.

Julia Biedermann begann ihre Karriere im Alter von vier Jahren in der „Sesamstraße“; den Höhepunkt erreichte sie vor über zwanzig Jahren in „Ich heirate eine Familie“. Jetzt, mit vierzig, will sie es noch einmal wissen: Sie ist nicht nur im Dschungel, sondern hat sich auch für den „Playboy“ ausgezogen. Ihr Management dachte womöglich, das wirke beeindruckend und nicht verzweifelt. Doch nun zeigen RTL und „Bild die Fotos boshafter- und gerechterweise nebeneinander: auf der einen Seite eine makellos Geschminkte, auf der anderen Seite ein grimmiges, unscheinbares Etwas mit Ähnlichkeit zu Angela Merkel. Beide scheinen nichts miteinander gemein zu haben – außer dem Wunsch, groß rauszukommen. Es ist eine Kombination von großer Tragikomik.

Björn-Hergen Schimpf fragte im Camp, als Biedermann zugab, sich für den „Playboy“ ausgezogen haben: „Ja, aber vor vielen Jahren, oder?“

Ist die Dschungelshow nur was für Doofe?

Dinge, die so sind, wie man sich das immer gedacht hat, sind oft gar nicht so.

Die „Süddeutsche Zeitung“ zum Beispiel schrieb am vergangenen Freitag über „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“:

Je gebildeter ein Zuschauer, desto weniger interessiert ihn die Dschungelshow, brachte die Zuschauerforschung hinsichtlich der beiden ersten Staffeln heraus. Es wird niemanden überrascht haben. Eigene Misere befördert die Bereitschaft, Gefallen an Programmen wie diesem zu finden, bei denen es am Ende eben um Erniedrigung, Zirkus, Gladiatorenkämpfe und um Sadismus geht.

Reflexion und Rache eigenen Nicht-Genügens und selbst erfahrener Kränkungen: Ich bin ein Star – Holt mich hier raus! ist das Fernsehen der Gekränkten und Beleidigten.

Das ist ein bisschen kurzgeschlossen von „wenig Bildung“ auf „eigene Misere“, aber abgesehen davon: Stimmt das überhaupt? Ist die Dschungelshow eine Sendung für Doofe? Für Leute, die es nicht geschafft haben, einen so tollen Job zu haben wie die Autorin der „Süddeutschen Zeitung“?

Nicht ganz. In der merkwürdigen Debatte vor drei Jahren über das angebliche „Unterschichtenfernsehen“ schon sagte der damalige RTL-Geschäftsführer Gerhard Zeiler: „Die Dschungelshow haben mehr junge Akademiker eingeschaltet als die Tagesschau.“

Und auch bei der dritten Staffel, die am Freitag begann, geben die Zahlen wenig Anlass, von oben auf das Publikum herabzuschauen. Die „Süddeutsche“ hat zwar grundsätzlich Recht: Leute mit Abitur haben die ersten drei Shows weniger eingeschaltet als die nicht so gebildeten Menschen. Aber auch in dieser Gruppe betrug der Marktanteil 23,3 Prozent — mit anderen Worten: Fast jeder vierte Unter-50-Jährige mit Abitur, der zu dieser Zeit den Fernseher anhatte, schaute „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“. (Alle Angaben beziehen sich auf 14- bis 49-Jährige.) Auch nach dem beruflichen Status sortiert gibt es bei den Marktanteilen zwar ein Gefälle hin zur Elite, aber kein massenhaftes Abschalten. Ein Misserfolg ist die Dschungelshow nur bei den Über-50-Jährigen: Bei ihnen betrug der Marktanteil gerade einmal 9,6 Prozent.

Die Lust der Gutgebildeten und beruflich Etablierten auf den vermeintlichen Trash zeigt sich auch in absoluten Zahlen. Bei den jungen Leitenden Angestellten, Beamten und Selbstständigen waren die ersten beiden Folgen von „Ich bin ein Star…“ die meistgesehenen Sendungen des Wochenendes (14- bis 49-jährige, Freitag bis Sonntag). Zum Vergleich: „Anne Will“ sahen am Sonntag 50.000 Menschen aus dieser Alters- und Berufsgruppe; die dritte Folge von „Ich bin ein Star“, die etwas später begann, 120.000.

Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den 14- bis 49-Jährigen, die mindestens Abitur haben: In der Hitliste lagen an den drei Tagen „Tagesschau“, „Die Insel“, „Die Bourne Identität“, „Polizeiruf 110“ und „Wilsberg“ nach absoluten Zahlen vorne — aber dann folgten die Freitags- und Samstagsausgabe der Dschungelshow, weit vor Sendungen wie „heute journal“, „Weltspiegel“ oder „Politbarometer“.

Man kann es natürlich, wenn man will, für entsetzlich halten, dass selbst kluge und gut situierte Menschen solchen Schrott gucken. Man sollte nur nicht so tun, als wäre es anders.

Obstipation 2.0

Vor einigen Tagen erreichte mich eine Anfrage einer größeren Zeitschrift für, sagen wir: Computer, Internet und Multimedia. Ob ich nicht ein kurzes Statement für ein Pro & Contra schreiben könnte.

Die Frage lautete:

„Verstopfen Blogs das Web 2.0?“

Kai Diekmann

Und das Wetter war früher auch besser. Von der Verlogenheit der Politik zur Verkommenheit der Jugend: Der „Bild“-Chefredakteur beklagt den Verfall der Werte — ausgerechnet.

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Die Türken sollen sich nicht grämen, sagt Kai Diekmann. Er und seine „Bild“-Zeitung hätten nichts gegen Ausländer, nur dagegen, dass so viele von ihnen kriminell werden, schrieb er in dieser Woche sinngemäß in der türkischen Zeitung „Hürriyet“. Und was den brutalen Überfall in München angeht, der die heftige Debatte um Jugend- und Ausländerkriminalität ausgelöst hat: „Dass der ältere Täter Türke ist, der jüngere Grieche, ist bloßer Zufall. Genauso hätten es Polen, Russen, Jugoslawen oder Kurden sein können — die Debatte wäre die gleiche gewesen.“ Die „Debatte“, wie „Bild“ sie gerade führt, ist sogar dann die gleiche, wenn die Gewalt von Jugendgangs ausgeht, deren Anführer Deutsche ohne Migrationshintergrund sind — trotzdem werden die Fälle von „Bild“ unter dem Begriff „Ausländerkriminalität“ zusammengefasst.

Man könnte sagen, „Bild“ führt mit Halb- und Unwahrheiten eine besinnungslose Kampagne gegen Ausländer. Diekmann würde sagen, „Bild“ spricht „unangenehme Wahrheiten“ aus und tut den Ausländern einen Gefallen.

In Diekmanns Welt gelten andere Gesetze. Was zum Beispiel unseren Kindern fehlt, sind mehr Dieter Bohlens. Weniger Kuschler, Schwurbler und Verständnispädagogen. Mehr Leute, die bereit sind, einer pickligen 16-Jährigen, die glaubt, singen zu können, vor einem Millionenpublikum ins Gesicht zu sagen, dass sie scheiße aussieht, scheiße klingt und scheißedoof ist, wenn sie glaubt, sie hätte bei „Deutschland sucht den Superstar“ eine Chance. Wer solche „unangenehmen Wahrheiten“ nicht ausspricht, meint „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann, betrügt sich selbst. Wer sie offen und ehrlich sagt, wie Bohlen, wird dafür von der Jugend verehrt. Und was würde mit einem Nichtschwimmer passieren, fragt Diekmann, wenn wir ihn mit dem Worten ins Wasser schickten, er hätte das Zeug zum Olympiasieger? Na also.

Es ist schwer zu sagen, ob Diekmann in seinem Freund Bohlen allen Ernstes einen Menschen sieht, der andere vor dem Ertrinken rettet, wenn auch nur im übertragenen Sinne. Aber es gibt in seinem Buch „Der große Selbst-Betrug“ keinen Hinweis darauf, dass es sich nur um eine ironische Übertreibung handelt und er nicht tatsächlich in Bohlen einen guten Zeugen sieht für seine Forderung nach Leistungsbereitschaft und Elitenförderung, nach einer Rückbesinnung auf traditionelle Werte in der Erziehung. Bohlen sei „der Lieblingsfeind des Gutmenschen und des gutmütigen Bürgertums“, stellt Diekmann fest, und so jemand hat im Koordinatensystem des „Bild“-Chefs sehr viel richtig gemacht.

Wie zum Beweis verweist er darauf, dass sich sogar die Medienwächter mit der Sendung beschäftigen mussten. Während Diekmann zu Bohlens Sprüchen die Begriffe „Ehrlichkeit“ und „Wahrheit“ einfallen, sprachen die von „antisozialem Verhalten“ und von einer Vorführung, „wie Menschen herabgesetzt, verspottet und lächerlich gemacht werden.“ Was Diekmann vielleicht entgangen ist: Das Konzept der Show besteht darin, Nichtschwimmern zu erzählen, sie könnten Olympia gewinnen, und ein wesentlicher Reiz für den Zuschauer, ihnen begleitet von hämischen Sprüchen Dieter Bohlens beim Ertrinken zuzusehen.

Nun ist der Musikproduzent nicht das einzige Beispiel Diekmanns, um seine pädagogische Vision zu entwickeln. Von Bohlen kommt er innerhalb weniger Seiten über Sex in Opern, Kant, die Nicht-Mitgliedschaft von Joachim Fests Vater in der NSDAP, die Entscheidung des Antarktis-Forschers Robert Scott, lieber mit seinem ganzen Team zu sterben, als einen Mann zurückzulassen, und Fotos von deutschen Soldaten mit Totenschädeln in Afghanistan zu Kindern, die nicht mehr „Danke“ sagen, und Comics, die Jesus als kiffenden Exhibitionisten zeigen. Argumentativer Höhepunkt: Schon das Sprichwort sage ja, man müsse die Menschen zu ihrem Glück zwingen.

Kai Diekmann hat es geschafft, ein Buch zu schreiben, in das man auf jeder Seite den Satz „Und das Wetter war früher auch besser“ einfügen könnte, ohne dass es so etwas wie einen Gedankenfluss unterbräche. Er entschuldigt sich im Vorwort dafür, dass er es aus dem Bauch heraus geschrieben habe, ohne jedes Wort auf die Goldwaage gelegt zu haben, aber es ist keine Suada geworden, kein rant, der mit seiner Wut Lust macht und kreativen Überschuss produziert, sondern nur eine Litanei. Man kann sie auswendig mitsprechen, seine Klagen über die Verlogenheit der Politiker und die Verkommenheit der Jugend, seine Forderungen nach weniger Bürokratie und besserer Erziehung, und die Fälle, die er aufzählt, sind die, die jeder kennt, was daran liegen könnte, dass sie allesamt von den Titelseiten der „Bild“-Zeitung stammen.

Man muss natürlich ein paar Umdefinitionen vornehmen, wenn man als Chefredakteur eines moralisch so verkommenen Blattes wie der „Bild“-Zeitung, anderen ihre Verantwortung für einen angeblichen allgemeinen Werteverfall vorwerfen will. Aber das gelingt Diekmann beunruhigend mühelos, nicht nur wenn er die Pöbeleien eines Dieter Bohlen im Dienste der Quote zu Akten lobenswerter Wahrhaftigkeit erklärt. Der Chefredakteur freut sich, dass die Privataudienz der „Bild“-Chefredaktion beim Papst bei Zeitungen wie „SZ“, „Zeit“ oder „Frankfurter Rundschau“ auf soviel Empörung stieß, obwohl sie es doch seien, die „an allen Tagen den Relativismus der Werte verkünden, die Schwulenehe zum Sakrament erklären und Euthanasie wie Abtreibung zum Menschenrecht“. (Andererseits ist nach wie vor offen, ob die „Bild“-Leute dem Papst eine Zeitung mitgebracht haben, um ihm deren „Werte“ in der täglichen Praxis zu demonstrieren: die schönen Bibeln, die dicken Brüste, die geilen Omas in den Sexanzeigen, die fetten Lügen in den Schlagzeilen, kurz: der ganze tägliche Kampf für und gegen den Anstand.)

Nachdem Diekmann seitenweise die Linken dafür schilt, Dinge zu tun, die gut gemeint, aber nur gut fürs eigene Wohlbefinden sind, lobt er seine Zeitung für den Erfolg mit „Florida-Rolf“, als „Bild“ den Bundestag dazu brachte, in Windeseile ein Gesetz zu verabschieden, das zwar dazu führt, dass mehrere Hundert Sozialhilfeempfänger nicht mehr im Ausland leben dürfen, aber höhere Kosten für den Steuerzahler produziert als zuvor.

Besonders erhellend ist auch ein Abschnitt über Philipp Mißfelder, der im Sommerloch 2003 fragte, ob die Solidargemeinschaft jedem 85-Jährigen eine neue Hüfte bezahlen müsse. Diekmann bedauert, dass die notwendige Diskussion darüber sofort mit Empörung im Keim erstickt wurde – „leider auch von ‚Bild'“. „Leider auch“? Seine Zeitung hat tagelang einen „Krieg der Generationen“ beschworen, „Schämt Euch!“ getitelt und den damaligen Junge-Union-Chef, den sie konsequent als „Milchbubi“ und „Milchgesicht“ verunglimpfte, gleich zweimal zum „Verlierer des Tages“ erklärt.

Diekmann behauptet, wer ein Thema wie den immanenten „Selbst-Betrug“ des deutschen Gesundheitswesens berühre, wie es Mißfelder getan habe, sei „in Deutschland politisch erledigt“. Offenbar hat er nicht gemerkt, dass Mißfelder anschließend munter weiter Karriere gemacht hat – obwohl vor allem „Bild“ alles dagegen tat. Diekmanns doppelter Selbstbetrug ist atemberaubend: Er muss nicht nur seine eigene Verantwortung verleugnen, sondern auch die Realität.

Oft setzt sich Diekmann aber gar nicht moralisch auf hohe Rösser, unter denen sich seine Zeitung täglich maulwurfartig durchgräbt, sondern fordert die anderen auf, zu ihm hinunter in den Schlamm zu kommen. Sein Buch durchzieht als roter Faden das Leiden des weißen, heterosexuellen Mannes, dass er heutzutage ununterbrochen auf irgendwelche Leute Rücksicht nehmen soll, die weniger normal sind als er. Es ist der Schrei einer gequälten Kreatur, eine Forderung nach weniger Verständnis, Anteilnahme und Toleranz, weniger Reflexion und mehr Vertrauen auf das, was Diekmann „Gesunden Menschenverstand“ nennt und vermutlich das ist, was aus Menschen in größeren Zusammenballungen Mobs macht.

Dazu gehört ein Plädoyer, die eigenen Möglichkeiten nicht zu überschätzen. Es ist ein Gegenentwurf zu dem schlichten „Wann, wenn nicht jetzt? Wo, wenn nicht hier? Wer, wenn nicht wir?“ des ehemaligen Anarchosängers Rio Reiser, der später zu etwas wurde, das Diekmann voller Verachtung „Gutmensch“ nennen würde. Diekmann hält dem ein „Wieso ich, wenn nicht die anderen?“ entgegen. Über den ehemaligen Guantanamo-Gefangenen Murat Kurnaz schreibt er, dass für den in Deutschland geborenen Türken „nicht Deutschland, sondern allein die Türkei“ zuständig gewesen sei, und fügt noch hinzu: „‚allein‘ heißt ‚allein'“. Die Frage ist für ihn nicht, ob man helfen kann, sondern ob man zuständig ist, und zuständig scheint man auch dann nicht zu sein, wenn das eigene Tun ohnehin kaum einen Unterschied macht: Warum sollen sich die Deutschen ein Bein beim Klimaschutz ausreißen, wenn die Chinesen bald eh ein Vielfaches an Kohlendioxid produzieren werden? Er versteigt sich sogar in die Behauptung, dass „angesichts der Zahl der Reaktoren in unmittelbarer Nachbarschaft das Risiko nicht um einen [sic!] Jota sinkt“, wenn Deutschland aus der Atomkraft ausstiege. Das ist zwar mathematisch so falsch wie grammatisch, scheint aber eine Grundüberzeugung zu sein: Wenn alle anderen mit 130 durch die Fußgängerzone fahren, muss ich mich auch nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten – am Ende wird trotzdem ein Kind überfahren und ich bin völlig umsonst zwanzig Minuten länger unterwegs.

Man kann das beruhigend oder beunruhigend finden, aber die Verantwortlichen von „Bild“ scheinen bei ihrer täglichen Arbeit wenig Kompromisse mit sich selbst eingehen zu müssen. Wenn sie – nicht einmal zwei Wochen nachdem sie groß den Klima-Weltuntergang beschworen haben – titeln: „Klima-Schutz: Sollen wir Deutsche die Welt alleine retten?“, ist das kein Zugeständnis an den nötigen Populismus, sondern tiefe innere Überzeugung. Das macht den Reiz des Buches aus, an dem außer Diekmann fast die gesamte „Bild“-Führungsriege mitgewirkt hat: Es gibt einen konzisen Überblick über das Weltbild dieser Zeitung. Denn das ist beim flüchtigen Blick auf die Schlagzeilen heute nicht mehr so offenkundig wie vor zwanzig, dreißig Jahren: Auch „Bild“ ist oberflächlich weniger ideologisch geworden. Wenn in Köln Schwule und Lesben den „Christopher Street Day“ feiern, feiert auch die Kölner „Bild“ mit. Doch die darunter liegenden Überzeugungen, Ideologien und Urängste haben sich kaum geändert, das zeigt Diekmanns Buch.

Besinnungslos kämpft er gegen alles, was sich durch die Achtundsechziger oder „nach Achtundsechzig“ (konkreter wird er nicht) geändert hat, was dazu führt, dass er nebenbei sogar Anstoß daran nimmt, dass sich Berliner Schüler mit der Verfolgung der Homosexuellen im Nationalsozialismus beschäftigen sollen. Diekmann geht warm eingekuschelt in teils albernste Vorurteile und ausgelutschteste Phrasen durch die Welt, wirft den Achtundsechzigern noch Jahrzehnte später ihre ungepflegten Haare vor und macht sich die Welt wie sie ihm gefällt. Es sei ein „Aberglaube“, dass materielle Gleichheit glücklich mache, schreibt er, und während man darüber noch streiten könnte, weil es durchaus gegenteilige Forschungsergebnisse gibt, fügt er hinzu, dass Länder, die dem „Irrglauben“ an die Verteilungsgerechtigkeit des Staates gefolgt seien, „nicht in dem Ruf überschäumender Lebensfreude“ stünden, und nennt den „grauen Volksheimsozialismus der Schweden“ als Beispiel. Dabei sind gerade die Schweden ein Volk, das in fast allen Untersuchungen als eines der glücklichsten der Welt abschneidet, weit vor Deutschland.

Besonders rätselhaft an dem „Großen Selbst-Betrug“ ist, dass er in weiten Teilen Schlachten kämpft, die längst gewonnen sind. Diekmann bemängelt, dass Hans Eichel den Tag der deutschen Einheit abschaffen und Heiner Geißler das Wiedervereinigungsgebot aus dem Grundgesetz streichen wollte – durchgesetzt haben sich beide nicht, und doch genügt Diekmann schon ein gescheiterter Versuch als Beleg für die Verkommenheit unseres Landes, verschuldet durch die Achtundsechziger, ihre falschen Ideale, ihre Verblendung und ihren Selbsthass. Wortreich schildert Diekmann das angeblich so problematische Verhältnis der Deutschen zu sich selbst und ihrer Nation – um dann festzustellen, dass zur Fußball-WM so eine wunderbar friedliche und offenbar gesunde Welle des Patriotismus durch das Land schwappte. Entweder scheint das deutsche Nationalgefühl also nicht so pathologisch gewesen zu sein, wie Diekmann es beschreibt, oder diese vermeintliche Krankheit ist überwunden. Wo ist der Sieg der Achtundsechziger oder genauer: ihrer von Diekmann gezeichneten Karikatur, gegen den man noch ein Buch schreiben müsste (außer in Diekmanns Kopf)?

Diekmann wirft den Linken, den Gutmenschen, den Achtundsechzigern vor, Deutschland schlecht gemacht zu haben, im doppelten Sinne: Er macht sie erstens für all das verantwortlich, was in diesem Land seiner Meinung nach schiefläuft, vom Sozialbetrug über Jugend- und Ausländerkriminalität bis zur Abwendung von der Kirche, und zweitens dafür, dass dieses Land irgendwie nicht genug geliebt wird. Dabei wird es ihm schwer fallen, viele „Linke“ zu finden, die die Deutschen so sehr hassen, wie er es tut, wenn er in jedem Problem ein singulär nationales Phänomen sieht. Seine ganze Verzweiflung gerinnt im Vorwort zu der Frage: „Warum fehlt den Deutschen der Sinn für die Wirklichkeit, für Interessen, für die Selbstverständlichkeiten des Lebens?“ Kein Wunder, dass er darauf keine Antwort gefunden hat.

[Langfassung eines Artikels für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung]

Factually Incorrect (5)

Für Hagen Meyer, der an der Axel-Springer-Akademie ausgebildet wurde und gelegentlich für „Bild“ schreibt, ist „Politically Incorrect“ augenscheinlich eine seriöse Quelle für Nachrichten und ihre angemesse Interpretation.

Nach dem vermeintlichen Flüsterskandal bei „Hart aber fair“, nahm sich das islam- und tatsachenfeindliche Blog (das vorgestern nach eigenen Angaben über 28.000 Besucher hatte) einen der Beteiligten vor: den Grünen-Politiker Özcan Mutlu. „PI“ schrieb:

Für sein respektloses Verhalten gegenüber einem Polizisten wurde Mutlu, der Roland Koch bei Plasberg rassistisches Denken unterstellte und durch ständiges Unterbrechen der anderen Gäste störte, 2003 zu 2.000,- Euro Strafe verurteilt.

Wie zum Beweis kopierte „PI“ einen fast vollständigen Artikel aus der „Welt“ ins eigene Blog. Den letzten Absatz ließ der anonyme Islamhasser weg. Er lautete:

Damit ist diese Posse aber noch lange nicht beendet. Mutlu hat Berufung angekündigt. Jetzt geht es vermutlich vor das Landgericht.

Ich ahne, warum „PI“ diesen Teil nicht mitkopiert hat: Mutlu hat in der nächsten Instanz nämlich gewonnen und ist vom Vorwurf der „Herabwürdigung“ freigesprochen worden. Der Richter der Berufungsinstanz erklärte, dem Polizisten sei beim Treffen mit Mutlu offenbar die „erforderliche Nüchternheit“ abhanden gekommen. Ein Teil des Verhalten des Polizistens könne man „beim besten Willen nur als Schikane bezeichnen“. Die „Berliner Morgenpost“ berichtete, inoffiziell werde die Klage als „ausgemachter Blödsinn“ bezeichnet. Der „Tagesspiegel“ schrieb, der Richter habe die Anzeige als „geradezu lächerlich“ bezeichnet. Die Staatsanwaltschaft zog ihre Revision zurück, der Freispruch wurde rechtskräftig.

All das verschweigt „PI“ seinen Lesern.

Und die „PI“-Leser kommentieren:

#1 monsignore (11. Jan 2008 18:57)

Sofort abschieben!

#5 D Mark (11. Jan 2008 19:02)

Mutlu ist ein drecks Fascho-Nazi

#20 Grabowski (11. Jan 2008 19:11)

Wenn ich schon das schleimige Grinsen von diesem widerlichen, kleinen grünen Türken sehe….

#25 smg_getriebe (11. Jan 2008 19:15)

Dampfstrahler frei! Alles wegspühlen! Oder im Lois Trenker seinen Rucksack umschnallen….

#26 AN (11. Jan 2008 19:16)

HEIMREISE JETZT!

#36 Linkenscheuche (11. Jan 2008 19:19)

Hood, noose, drop

#146 DerAlfred (11. Jan 2008 20:34)

Man sollte diesen Mutlu schächten, so wie sie unsere Rinder ungestraft schächten dürfen!

Dutzende „PI“-Leser haben mir neulich vorgeworfen, das sei unglaublich, dass ich behaupte, in den Kommentaren von „PI“ tobe sich ein „unverholen rassistischer Mob“ aus.

[Mit Dank an BILDblog-Leser Stefan K.!]

Von den Regeln in die Traufe

Am Ende des Abends gab es sogar so etwas Ähnliches wie eine Nachricht: Der Pressekodex soll in Zukunft auch für die Online-Angebote von Zeitungen und Zeitschriften gelten. Bislang ist der Presserat ausdrücklich nur für gedruckte Medien zuständig — und für „digitale Beiträge“ ausschließlich dann, wenn sie „zeitungs- oder zeitschriftenidentisch“ sind. Schon vor über einem Jahr hatte Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner in einem bizarren öffentlichkeitswirksamen Appell bei einem Festakt zum 50. Geburstag des Gremiums das Ausklammern des Internet als „gespenstisch“ bezeichnet und die Ausweitung der Freiwilligen Selbstkontrolle gefordert.

Nun scheinen sich die Verlegerverbände und die Journalistengewerkschaften, die den Presserat tragen, endlich darauf verständigt zu haben, und als dessen Geschäftsführer Lutz Tillmanns bei der Diskussion des Deutschen Journalistenverbandes über „Regeln oder Anarchie? — Journalismus im www“ stolz diesen Durchbruch bekannt gab, bin ich geplatzt.

Denn der Deutsche Presserat ist kein Gremium, das für die Einhaltung journalistischer Mindeststandards sorgt. Der Deutsche Presserat ist ein Gremium, das dazu dient, den Eindruck zu erwecken, es gebe ein Gremium, das für die Einhaltung journalistischer Mindeststandards sorgt.

Würde man das Beste annehmen und unterstellen, dass der Presserat die Printmedien tatsächlich kontrollieren will, müsste man feststellen, dass er mit dieser Aufgabe hoffnungslos überfordert ist. Es ist ein Organ von erschütternder Anspruchs- und Wirkungslosigkeit, und wenn sich der Geschäftsführer nun hinstellt und bedeutungsschwanger bekannt gibt, dass man jetzt auch für Online zuständig wird, heißt das nur: Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass wir in Zukunft in einem noch größeren Bereich als bisher scheitern werden.

Keine Frage: Es ist absurd, dass der Pressekodex bislang für „Spiegel Online“ und sueddeutsche.de, faz.net und Bild.de nicht gilt. Und richtig ist auch, dass Regeln selbst dann sinnvoll sein können, wenn sie nicht eingehalten werden. Es ist zum Beispiel auch dann gut, dass es die Genfer Menschenrechtskonvention gibt, wenn die Vereinigten Staaten sich nicht an sie halten — immerhin bietet sie eine Richtschnur, mit der es möglich ist, die Abweichung von diesen Regeln überhaupt zu messen. In diesem Sinne benutzen wir den Pressekodex gelegentlich auch bei BILDblog: Als Maß, um zu zeigen, wie weit sich die „Bild“-Zeitung in ihrer Berichterstattung außerhalb dieser fixierten Standards bewegt, obwohl jeder weiß, dass diese Standards für „Bild“ ohnehin keinerlei praktische Relevanz haben.

So gesehen ist es also schön, wenn man also in Zukunft sagen kann, dass die Formen der Schleichwerbung, wie sie sich zum Beispiel auf sueddeutsche.de finden lassen, gegen einen Kodex verstoßen, der auch für sueddeutsche.de gilt. Davon geht aber die Schleichwerbung auf sueddeutsche.de noch nicht weg. Denn warum sollte sueddeutsche.de die Gültigkeit eines Kodex brauchen, um auf die Idee zu kommen, dass redaktionelle und werbliche Inhalte klar voneinander getrennt werden müssen?

Ich unterstelle: Es geht den Verlagen und Journalistenverbänden, die den Presserat tragen, nicht darum, dass die Online-Medien besser werden, sondern darum, behaupten zu können, besser zu sein. Mathias Döpfner sorgt zwar nicht dafür, dass die in seinem Verlag erscheinende „Bild“-Zeitung sich an ethische Mindeststandards hält, will aber, dass sie in Zukunft auch für Bild.de gelten. Das ist nur scheinbar paradox. Döpfner will sagen können: Bild.de ist ein Qualitätsmedium, weil für uns (anders als für web.de oder ein Nachrichtenportal von AOL oder wen auch immer) der Pressekodex gilt.

Weite Teile der Angriffe von Vertretern etablierter Medien auf Blogger folgen einer ähnlichen Prämisse: Sie seien besser, weil für sie Regeln gälten, während im Internet jeder (vermeintlich) tun könne, was er wolle. Die Behauptung der qualitativen Überlegenheit klassischer Medien beruht darauf, dass Regeln existieren — nicht dass sie eingehalten werden. Die Debatte ist entsprechend fruchtlos: „Für uns gelten Regeln!“ — „Aber ihr haltet Euch nicht dran!“ — „Aber ihr habt nicht mal welche!“ — „Na und?“

Die klassischen Medien haben in den vergangenen Jahren nicht nur das Monopol darauf verloren, die Bevölkerung zu informieren. Sie haben auch das Monopol darauf verloren, vor einem breiten Publikum Lügen zu verbreiten, Menschen zu verunglimpfen und Persönlichkeitsrechte zu verletzen. Manchmal kommt es mir so vor, als kämpften sie gerade verzweifelt darum, beide Monopole zu verteidigen. Voller Abscheu zeigen sie mit dem Finger auf den Dreck im Internet, fordern, das wegzumachen, und ignorieren dabei, dass es noch lange dauern wird, bis das deutschsprachige Internet die „Bild“-Zeitung als größter Verbreiter von Schmutz jeder Art eingeholt hat. Jahrelang gab eine Tochter des Heinrich-Bauer-Verlages das Lügenwichsblatt „Coupé“ heraus. Das hat offenbar die Journalisten- und Verlegerelite nicht groß gestört, sie fanden nicht einmal etwas dabei, sich von diesem Verlag mit einem Preis auszeichnen zu lassen. Und sie hatten ja recht: Wenn da etwas Schlimmes drinstünde, in Heinrich Bauers „Coupé“, dann würde sich ja der Presserat schon drum kümmern und in aller Härte womöglich sogar eine Pressemitteilung herausgeben.

Eine der grundlegendsten und selbstverständlichsten Forderungen des Pressekodex ist nach meiner Erfahrung im deutschen Journalismus weitgehend bedeutungslos: Die Pflicht, Fehler zu korrigieren. Das macht man in Deutschland nicht. Auch in seriösen Blättern sind die dominierenden Gedanken, wenn ein Fehler passiert ist: Wie können wir das verschleiern? Und: Wie können wir den Geschädigten beruhigen, ohne uns korrigieren zu müssen? Das klare Eingeständnis: War falsch, tut uns leid, ist immer noch die Ausnahme.

Ein feines Beispiel dafür hat mir Michael Konken, der Bundesvorsitzende des DJV, bei der Diskussion gestern geliefert. Konken äußert sich quasi ununterbrochen öffentlich zu irgendeinem Thema aus der weiten Welt der Medien. Qualifiziert ist er dazu durch sein Amt; Sachkenntnisse sind optional.

Im vergangenen Sommer gab der DJV eine Pressemitteilung über den Stellenabbau bei ProSiebenSat.1 heraus, in der es hieß:

DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken bezeichnete es als medienpolitischen Skandal, dass die Senderkette offensichtlich ihr komplettes Informationsangebot streichen und auf diese Weise rund 250 Arbeitsplätze im Bereich des Fernsehjournalismus vernichten wolle.

Der DJV beharrte damals auch auf Nachfrage darauf, dass das stimme.

Ich habe Konken gestern damit konfrontiert, dass seine von vielen Medien verbreitete Aussage, die gesamte Sendergruppe ProSiebenSat.1 wolle alle Informationssendungen einstellen, falsch war und ist. Und er antwortete zuerst:

Wir haben nicht gesagt „alle“. Die wollen das reduzieren, haben wir gesagt.

Und dann:

Das ist jetzt auch nicht der Punkt.

Und schließlich:

Aber es kam zum rechten Zeitpunkt, weil dann doch nicht alles eingestellt wurde. Vielleicht wäre es ja alles eingestellt worden…

Und das ist der Mann, der eine Qualitätsdebatte über Online-Journalismus führen und quasi amtlich „Müll von Qualität trennen“ lassen will?

Wir können gerne lange darüber diskutieren, welche Qualitätsstandards wünschenswert sind, aber es gibt nur einen Weg, sie durchzusetzen, und der gilt für kleine Blogger wie für große Medien: sich selbst dran halten.

[Die gestrige Diskussion kann man sich hier anschauen, einen Überblick über andere Beiträge zum Thema gibt onlinejournalismus.de.]