Autor: Stefan Niggemeier

Wie saul ist Kai Diekmann?

Bei der „taz“ gibt es ein Pro und Contra zur Zusammenarbeit einiger großer Umweltverbände mit „Bild“, und Marlehn Thieme, Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung, argumentiert dafür:

Darf man sich als kritische Organisation mit einem Massenblatt einlassen, das bislang nicht gerade als Umweltschützer aufgetreten war? Manche Kritiker erinnerten an die Anti-Ökosteuer-Stimmungsmache der Zeitung: „Ökosteuer? – Ich hup euch was“. Kann der Feind wirklich zum Freund werden?

Ich meine ja. Es ist gut, wenn Saulus zum Paulus wird, gerade wenn es bequemer wäre, im eigenen Saft zu schmoren. Auch dem „Meinungsgegner“ muss man einen Gesinnungswandel zugestehen. Der Grundsatz „in dubio pro reo“, im Zweifel für den Angeklagten muss auch für die gelten, an deren Motivation manche zweifeln — und verborgene Hintergedanken wittern. Das gilt auch für Medien wie die Bild-Zeitung. (…)

Aber wenn die Bild-Zeitung ihre Leser dazu auffordert, das Klima zu schützen, dazu beizutragen, dass Energie gespart wird, dass nachhaltiger mit Ressourcen umgegangen wird, dass darüber nachgedacht wird, ob der nächste Urlaub wirklich mit dem Flieger gemacht werden muss – was ist dagegen einzuwenden?

Man könnte über diese Fragen ja kontrovers diskutieren, wenn denn die Voraussetzung stimmen würde: Die Annahme, dass „Bild“ sich verändert hat. Ich wüsste nur gerne, wie Frau Thieme oder die Umweltverbände darauf kommen, dass „Bild“ vom Saulus zum Paulus geworden sei. Das ist ein lustiger logischer Kurzschluss: Wenn „Bild“ mit Greenpeace zusammenarbeiten will, muss sich „Bild“ so verändert haben, dass Greenpeace mit „Bild“ zusammenarbeiten will. Außer der Kooperation selbst und ihrem unbestreitbaren PR-Effekt für „Bild“ sehe ich kein Indiz für eine veränderte grundsätzliche Haltung von „Bild“ in dieser Frage.

Um die Paulushaftigkeit der Zeitung richtig einzuschätzen, lohnt es sich, das Buch ihres Chefredakteurs zu lesen — das Kapitel „Unser täglicher Weltuntergang“, in dem Kai Diekmann vor allem mit den Grünen abrechnet, aber auch mit dem angeblichen „Selbst-Betrug“ der Deutschen insgesamt:

Ein Katastrophenszenario jagt das nächste – die Religion des Ökologismus braucht neue Heilige. Waldsterben, Killerstürme, Feinstaub, CO2 – fast ist es ein Wunder, dass es uns noch gibt. In Wirklichkeit geht es meist um anderes. Man will dem Auto ans Leder, oder genauer: dem Autofahrer ans Portemonnaie. (…)

Vor allem bleibt in der Hysterie um den „Klimawandel“ der Einfluss Deutschlands auf die weltweite CO2-Produktion so gut wie außer Betracht. (…) Schon heute ist China gemeinsam mit den USA für mehr als ein Drittel der 30 Milliarden Tonnen Kohlendioxid verantwortlich, die jährlich in die Luft geblasen werden. (…)

Die Klima-Schlacht wird also nicht in Deutschland geschlagen oder in Europa. Sondern vor allem in Asien und Lateinamerika, also in der Zweiten und Dritten Welt. Und auch in den USA. Selbst bei optimistischen Berechnungen machen daher alle deutschen Anstrengungen zur Senkung der CO2-Emmissionen [sic!] allenfalls einen Rundungsfehler im Steigungswinkel aus. Auch hier sollten wir daher von der trügerischen Autosuggestion Abschied nehmen, dass an unserem Gewese die Welt genese: Selbst wenn ganz Deutschland nachts im Dunkeln auf die Toilette ginge, hätte das nicht den Hauch eines Einflusses auf den Klimawandel. (…)

Klimaschutz funktioniert nur als globale Lösung, wenn alle an einem Strang ziehen. Doch wir Deutschen stehen auf einsamem Posten, wenn es um die Reduzierung der CO2-Emissionen geht (…). Nicht zufällig ist Deutschland das einzige Land auf Erden, das seinen Ausstoß von Treibhausgas in den zurückliegenden Jahren reduzieren konnte (…).

Selbst wenn Deutschland sämtliche Produktion stilllegen, den Individualverkehr abschaffen und auf jegliches Heizen von Häusern und Wohnungen verzichten würde, hätte dies kaum einen positiven Einfluss. Dennoch tritt Bundesumweltminister Gabriel auf, als könnten seine Vorschläge die Welt retten.

Das soll keineswegs heißen, dass man nicht tun sollte, was möglich ist – aber möglich allein reicht nicht. Es muss auch sinnvoll sein, vor allem verhältnismäßig. (…)

Wie vieles andere in der deutschen Politik hat auch der Ausstieg aus der Atomenergie eine eindeutig irrationale Seite. Man steigt aus, weil der Begriff „Atom“ den Deutschen Angst macht – er erinnert an Atombombe, Atomschlag, Atomkrieg. Dabei wissen alle: Angesichts der Zahl der Reaktoren in unmittelbarer Nachbarschaft sinkt das Risiko nicht um einen [sic!] Jota. (…)

Ich wüsste gerne, wie Diekmann darauf kommt, dass Deutschland „das einzige Land auf Erden“ sei, das den Ausstoß von Treibhausgas reduziert hat. Diese Daten der UNO widersprechen seiner Behauptung jedenfalls (bei aller Ernüchterung) sehr deutlich. Und ich wüsste auch gerne, was Mathematiker zu Diekmanns Wahrscheinlichkeitsrechnung sagen, dass sich das Gesamtrisiko nicht vermindert, wenn man ein (egal wie kleines) Teilrisiko eliminiert. Das wär auch ein schönes Experiment: Man setzt den „Bild“-Chefredakteur in die Mitte von zwanzig kleinen Sprengkörpern, die alle mit einer gewissen, kleinen, aber unbekannten Wahrscheinlichkeit explodieren und ihn verletzen können. Er hat die Möglichkeit, zwei dieser Sprengkörper ganz auszuschalten. Verzichtet er darauf, weil er sagt, das macht doch eh „keinen Jota“ Unterschied?

Vor allem aber wüsste ich gerne, wie die organisierten Umweltschützer darauf kommen, dass die „Bild“-Zeitung bereit sei, von ihren Lesern Opfer und einen Beitrag zum schonenden Umgang mit Ressourcen zu verlangen, wenn ihr Chef davon überzeugt ist, dass ihr Tun und Lassen global gesehen eh egal ist.

Sammeln statt Lesen

Beim Tellerleeressen kann man zwei Schulen unterscheiden: Die einen stürzen sich sofort begeistert auf die leckersten Sachen und sitzen am Ende vor einem traurigen Gemüseberg. Die anderen achten sorgfältig darauf, sich das Beste für den Schluss aufzuheben, als würde der letzte Bissen über die dauerhafte Erinnerung an die Mahlzeit entscheiden, aber mit dem schönen Nebeneffekt, sich die ganze Zeit beim Essen darauf freuen zu können, dass das Beste noch kommt. (Okay, vermutlich gibt es daneben noch die mit Abstand anhängerreichste Schule derjenigen, die nie darauf kämen, darüber nachzudenken, in welcher Reihenfolge sie ihren Teller leeressen, jedenfalls nicht mehr, seit sie nicht mehr sieben sind.)

Ich gehöre, Sie ahnen es, zur zweiten Schule. Wenn Sie mich mal im „Schneeweiß“ mit einer Gans sehen, können Sie sicher sein, dass kein blöder Knödel als letztes vom Teller verschwinden wird.

Das ist, zugegeben, sehr egal. Ich habe mir nur in den letzten Jahren ein ähnliches Vorgehen beim Abarbeiten von Papierbergen angewöhnt. Und das ist nicht ganz so folgenlos.

Wenn andere Leute sich an einem Sonntagmittag schön zum Zeitunglesen hinsetzen, greifen sie sich die Teile, die sie am meisten interessieren, und lesen die Texte, die ihnen am spannendsten erscheinen. (So stelle ich mir das zumindest vor.) Ich dagegen fange an, erst mal die Teile durchzuarbeiten, bei denen ich davon ausgehe, dass so viel für mich nicht dabei ist. Das hat den Vorteil, dass ich nach 60 Sekunden schon, sagen wir, „Geld & Mehr“ zusammenfalten und als erledigt auf den Altpapierstapel legen kann, wodurch sich die vorwurfsvollen Blicke der ungelesenen Papierberge von letzter, vorletzer, vorvorletzter und der Woche davor besser ertragen lassen. Nach einer halben Stunde habe ich dann ungefähr keinen Artikel gelesen, aber das gute Gefühl, den ganzen für mich uninteressanten Kram schon aussortiert zu haben. Die besonders lesenswert erscheinenden Artikel, auf die ich bei dieser Art des Abarbeitens stoße, hebe ich auf. Die lese ich später dann mal schön in Ruhe. Mit Muße. In der Theorie.

Das ist ziemlich doof. Dieses Sortierverhalten führt nämlich dazu, dass ich die schönen Texte bestenfalls mit Tagen oder Wochen Verspätung lese, nämlich dann, wenn keine „Geld & Mehr“-Teile mehr wegzuarbeiten sind. Und schlimmstenfalls gar nicht, weil sie sich mit fortschreitender Zeit immer weniger nach Muss-ich-lesen und immer mehr nach Wird-so-interessant-schon-nicht-sein anfühlen.

Vielleicht das Dümmste daran ist, dass aus dem Papierberg regelmäßig soviel schlechtes Gewissen sickert, dass auch das Lesen der schönen Texte weniger mit Muße und mehr mit Pflichterfüllung zu tun hat. Es ist eher ein Wegarbeiten als ein Genießen und an die Stelle des guten Gefühls, einen schönen, klugen Text gelesen zu haben, tritt das gute Gefühl, bestimmte Papiermengen von Tisch ins Altpapier verschoben zu haben.

Ich weiß nicht, ob das beruflich bedingt ist oder nur eine besonders fehlgeleitete Form der Prokrastination ist. Die einfachste Gegenmaßnahme wäre sicherlich, konsequent alles Papier ungelesen wegzuwerfen, das älter ist als zehn Tage. Dann käme ich gar nicht erst in diese Aussortier-Stimmung — aber ungelesenes Wegwerfen von bedrucktem Papier bringe ich schon gar nicht übers Herz.

So ist das. Schon länger. Und es wird schlimmer: Seit kurzem bemerke ich, dass ich mit der unüberschaubaren Masse an Blog-Einträgen, die täglich in meinen Feedreader strömt, ganz ähnlich umgehe. Seit ich gemerkt habe, dass der Google-Reader, mit dem ich arbeite, diese praktische Sternchen-Funktion hat, mit der man Einträge markieren und später gezielt wieder aufrufen kann. Die Wirkung ist verheerend: Sobald sich ein paar hundert ungelesene Einträge angesammelt haben, lese ich die interessant erscheinenden nicht mehr sofort, sondern klicke nur auf die Schnelle durch: Uninteressant, uninteressant, aufheben, uninteressant, uninteressant, uninteressant, uninteressant, aufheben. Das führt dazu, dass ich den Informationsschwall scheinbar viel besser unter Kontrolle habe. Aber wieder um den Preis, die schönen Sachen zu sammeln, statt sie zu lesen.

Und je länger ich darüber nachdenke, umso weniger weiß ich, was die Essensgeschichte vom Anfang damit zu tun haben soll.

Kurz verlinkt (11)

(Sorry, schon bisschen mit Bart)

Ich bin mir nicht sicher, ob Springers Berliner Boulevardzeitung „B.Z.“ die dümmste Zeitung der Welt ist, halte das aber als Arbeitshypothese für ausreichend plausibel. Wie ihre Schwester „Bild“ macht die „B.Z.“ seit Monaten Stimmung für die Erhaltung des Flughafens Tempelhof. Als vorläufigen Höhepunkt hat sie Ende Oktober „100 gute Gründe für Tempelhof“ zusammengetragen. Die schönsten Stil- und Denkblüten hat Ghost Dog gepflegt auseinander genommen:

„Berlin braucht Tempelhof, weil die Bürgerinitiative zum Tempelhof-Erhalt und die CDU innerhalb weniger Monate ein Volksbegehren initiiert haben.

Die Logik ist bestechend. Weil eine Bürgerinitiative und die CDU für den Erhalt ist, braucht Berlin den Flughafen. Weil ohne den Flughafen könnte die Bürgerinitiative und die CDU ja nicht mehr für den Erhalt sein.

· · ·

„Messefernsehen für die Youtube-Generation“, nennt die sogenannte Fachzeitschrift „werben & verkaufen“ das, was sie bei den Münchner Medientagen produziert hat. Der Peer hat einige besonders schöne Stellen aufgeschrieben. Ich hätt‘ gerne was hinzugefügt, musste aber immer nach wenigen Minuten abbrechen, weil mein Bauch zu weh tat vor Lachen.

(Dafür hat mich das halbe, schwarzweiße Gesicht von w&v-Chefredakteur Stefan Krüger bis in den Schlaf verfolgt. Wann war dieser Effekt nochmal in Mode? War da die YouTube-Generation schon geboren?)

Der Fluch der Gleichgültig (3)

Für Artikel, die irgendwelche journalistischen oder sprachlichen Mindeststandards erfüllen, scheint das Wochenende nicht ideal zu sein. Nach stern.de blamiert sich diesmal Spiegel Online mit einem Stück über die Kontroverse um die Oxford Union. Der berühmte Debattierclub der Universität hat den verurteilten Holocaust-Leugner David Irving und den Chef der rechtsextremen BNP, Nick Griffin, zu einer Debatte über die Grenzen der freien Meinungsäußerung eingeladen, die morgen stattfinden soll.

Spiegel Online schreibt:

Verteidigungsminister Browne und der ehemalige Staatsminister Denis McShane haben ihre Teilnahme bei der Oxford Union schon abgesagt.

Richtig ist: Sie haben wegen der Einladung Irvings und Griffins ihre Teilnahme an anderen Veranstaltungen der Oxford Union abgesagt. Zu der mit Irving und Griffin waren sie nicht eingeladen.

Spiegel Online schreibt:

Mehr als 1000 Unterschriften versammelt eine an Premier Gordon Brown gerichtete Petition, die das Verbot der Veranstaltung verlagt [!].

Die Petition rief Brown nur dazu auf, die Veranstaltung zu verurteilen.

Spiegel Online schreibt:

Für Like Tryl, den Präsidenten der Oxford Union, geht der Protest an der Sache vorbei. Die Veranstaltung solle dazu dienen, Irving und Griffin zu attackieren. „Sie am Auftritt zu hindern wird sie nur zu Märtyrern der freien Rede machen“, erklärte er dem „Guardian“.

Der Mann heißt Luke Tryl und hat das nicht dem „Guardian“ gesagt (vermutlich meint „Spiegel Online“ ohnehin den „Observer“), sondern in einer Erklärung an die Mitglieder, die er auf der Internetseite der Union veröffentlichte.

Spiegel Online schreibt:

Die Studentengewerkschaft hat eine Kundgebung im Rahthaus [!] von Oxford geplant, zu der auch Holocaust-Überlebende erscheinen sollen.

Die Kundgebung hat am vergangenen Dienstag stattgefunden.

Vielleicht wäre es ein Option, wenn die deutschen Nachrichtenportale im Internet einfach am Wochenende zumachten. Ich meine, die meisten gedruckten Zeitungen erscheinen ja sonntags auch nicht, warum sollen sich ihre Online-Ableger unnötig verausgaben?

[Mit Dank an Valentin Langen!]

Nachtrag: Spiegel Online hat teilweise nachgebessert und einen „Hinweis der Redaktion“ hinzugefügt. Als Quelle für Luke Tryls „Märtyrer“-Aussage wird nun nicht mehr der „Guardian“ genannt, sondern der „Observer“. Tatsächlich stammt sie — wie gesagt und im „Observer“ angegeben — aus seiner Botschaft an die Mitglieder, die auf der Homepage der Oxford Union steht. Vielleicht ist das aber auch egal.

2. Nachtrag: Nun stimmt’s im „Hinweis der Redaktion“, aber immer noch nicht im Artikel. Hilfe.

Diekmanns Dank

Ich lese gerade Kai Diekmanns Großen Selbstbetrug, und weil ich die Spannung nicht mehr aushielt, habe ich schon mal nachgesehen, wie’s ausgeht. (Kl. Scherz.)

Jedenfalls ist die Danksagung auf der letzten Seite bemerkenswert. Anscheinend hat die halbe „Bild“-Redaktion beim Schreiben des Buches mitgeholfen. Alle Gelbmarkierten sind (teils ehemalige) „Bild“-Autoren:

Zwischen den Namen der Kollegen stehen die von Utz Claassen und Joachim Hunold. Das ist auch nur halb überraschend.

Den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von EnBW Claassen kürte „Bild“ in zwei Jahren gleich dreimal zum „Gewinner“ des Tages: Dafür, dass er als erster Ausländer mit dem „Kreuz des Ordens des Heiligen Nikolaus“ geehrt wurde (23.07.2005), dafür, dass sein Unternehmen Trikot-Sponsor der Erst- und Zweitligaspitzenreiter Stuttgart und Karlsruhe war (14.11.2006) und dafür, dass sein Unternehmen Trikot-Sponsor von Meister Stuttgart und Aufsteiger Karlsruhe war (21.05.2007). Dreimal traf sich Oliver Santen mit Utz Claassen zu einem seiner berüchtigten großen Interviews (03.04.2006, 10.01.2007, 29.09.2007), ohne auch nur einmal die vielfältigen Vorwürfe gegen den Manager zu erwähnen. „Bild“ druckte Claassens Buch „Mut zur Wahrheit“ als fünfteilige Serie vorab und schenkte ihm eine Folge der Reihe „So gibt’s neue Jobs“, in der „die wichtigsten Chefs“ in „Bild“ „erklärten“, „wie es mit Deutschland wieder aufwärtsgeht“.

Der Air-Berlin-Chef Joachim Hunold bekam nur ein Gespräch mit Oliver Santen (6.3.2007) und einen Gastbeitrag in der Serie „Eurokraten entmachten unsere Politik!“, wurde dafür aber achtmal „Gewinner“ des Tages (7.10.2003, „BILD meint: Guten Flug!“; 30.01.2004, „BILD meint: Keine Luftnummer!“; 9.9.2004, „BILD meint: Willkommen im Club der Dichter!“; 29.6.2005, „BILD meint: Überflieger!“; 12.10.2005, „BILD meint: Überflieger!“; 5.11.2005, „BILD meint: Überflieger!“, 9.3.2006, „BILD meint: Überflieger!“; 27.2.2007, „BILD meint: Himmelsstürmer!“).

Ein bisschen gestaunt habe ich, dass Roger Köppel, der frühere „Welt“-Chefredakteur und heute Besitzer und Chefredaktor der Schweizer „Weltwoche“, als Korrektor und Hinweisgeber in der Danksagung auftaucht. Oder sagen wir so: Welcher Leser von Köppels „Weltwoche“-Interview mit Diekmann hätte das geahnt? Es beginnt es so:

Kai Diekmann, wir haben drei Jahre im gleichen Konzern zusammengearbeitet, trotzdem sind Sie mir persönlich undurchsichtig geblieben. Wer sind Sie eigentlich?

(Das ist natürlich nichts im Vergleich zu Köppels sagenhaft irreführender Frage nach der Berichterstattung über Thomas Borer.)

Bleibt nur die Frage: Wer ist Dr. Otto C. Hartmann?

Super-Symbolfotos (32)

Fast erscheint mir hier schon die fröhliche Ironie meines Rubrikentitels unangemessen, aber sehen Sie selbst, was dem Online-Auftritt der österreichischen Zeitung „Die Presse“ eingefallen ist:

[entdeckt von Sönke Klüss]

Zehn Minuten Recherche

Ich verstehe es nach wie vor nicht. Geschenkt: Die Leute, die bei Online-Medien arbeiten, sind schlecht ausgebildet, verdienen wenig, haben keine Zeit. Aber wenn bei Angeboten wie „Spiegel Online“ oder sueddeutsche.de, wo Agenturmeldungen nicht automatisch durchgeschleift werden, ein Mitarbeiter eine Meldung auf den Tisch bekommt wie diese von AFP über eine Meinungsumfrage unter demokratischen Wählern in Iowa: Hat der dann nicht einmal die zehn Minuten, die es dauern würde, bei einem der beiden Auftraggeber dieser Umfrage vorbeizusurfen oder bei Google nach amerikanischen Medien zu suchen, die darauf Bezug nehmen? Er könnte auf diese Weise leicht noch ein, zwei interessante Details finden, die nicht in der deutschen Agenturmeldung stehen und die die eigene Meldung dann von der Massenware der Konkurrenz absetzen würden. Er könnte Hilfe bekommen bei der Interpretation der Nachricht. Er könnte die Originaldaten entdecken (ABC News, „Washington Post“). Und er könnte sogar merken, dass die Meldung von AFP (wie so viele Agenturmeldungen) fehlerhaft ist.

Denn anders als AFP behauptet, ist Barack Obama laut der Umfrage von Washington Post und ABC in Iowa nicht an der „bisherigen Favoritin“ Hillary Clinton „vorbeigezogen“. Obama lag bereits bei der letzten Umfrage im Juli vor Clinton und hat den knappen Vorsprung nur ein wenig ausgebaut.

Das wäre ganz leicht herauszufinden gewesen, man hätte trotzdem eine Meldung gehabt, sogar eine korrekte, und ich behaupte: Mehr als zehn Minuten Recherchezeit wären dafür nicht nötig gewesen.

Und trotzdem steht bei sueddeutsche.de ein Artikel: „Obama zieht in Iowa an Clinton vorbei“.

Und Spiegel Online titelt noch abwegiger: „USA: Obama zieht an Clinton vorbei“ und fantasiert von einem „überraschenden Ergebnis einer Umfrage zur US-Präsidentschaftswahl“.

Woran liegt das? Mangelt es an Zeit? An Kenntnissen? Oder nur am Willen? Ist der Gedanke, sich beim Verwandeln einer Agenturmeldung in einen eigenen Artikel nicht ausschließlich und vollständig auf diese eine Agenturmeldung zu verlassen, völlig abwegig? Warum nutzen ausgerechnet Onlinejournalisten nicht die fantastischen Möglichkeiten der schnellen Onlinerecherche, um ihre Artikel besser zu machen?

PS: Na gut, es ist vielleicht nicht nur eine Frage des Onlinejournalismus. Mit schlafwandlerischer Sicherheit haben sich natürlich auch die Rechercheprofis von „Bild“ die Falschmeldung herausgesucht, um Clinton in der Zeitung von heute zur „Verliererin“ des Tages zu erklären, nicht ohne den AFP-Fehler richtig breit zu treten:

„Bislang lag Hillary Clinton (60) in allen Umfragen für die US-Präsidentschafts-Kandidatur der Demokraten klar vorn. Jetzt zog ihr Rivale Barack Obama (46) an ihr vorbei.“

Nachtrag, 22. November. ts weist in den Kommentaren zu Recht darauf hin, dass Clinton in den Umfragen anderer Institute in den vergangenen Wochen tatsächlich vor Obama lag. So gesehen ist die AFP-Formulierung richtig, Obama sei an Clinton „vorbeigezogen“. Genauer gesagt: wieder vorbeigezogen, denn auch „Newsweek“ sah ihn vor eineinhalb Monaten schon mit vier Prozentpunkten vor Clinton.

Greenpeace geht ein Licht aus

Greenpeace e.V.
Förderer-Service
Große Elbstraße 39
22767 Hamburg

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Greenpeace-Leute,

ich habe Verständnis dafür, dass Ihr, um Aufmerksamkeit auf wichtige Themen zu lenken, auch auf plakative Aktionen setzt, die fast ausschließlich Symbolwert haben. Und ich finde es zwar falsch, angesichts von elfeinhalb Millionen täglichen Lesern aber immerhin nachvollziehbar, dass Ihr Partner der „Bild“-Zeitung geworden seid, deren anti-aufklärerische Haltung und tägliche Desinformationen ganz gut dokumentiert sind. (Für „Bild“ ist, wie Ihr sicher wisst, „bürgerliche Freiheit“ ungefähr gleichbedeutend mit billigem Benzin, und der schlichte Ratschlag eines Politikers, das Auto gelegentlich stehen zu lassen, genug Treibstoff für eine tagelange Hass-Kampagne.)

Aber nun veranstaltet Ihr gemeinsam mit „Bild“, BUND, WWF, Google und ProSieben eine Aktion „Licht aus! Für unser Klima“ und ruft uns alle dazu auf, am 8. Dezember um 20 Uhr für fünf Minuten das Licht auszuschalten. Dadurch werde „ein Zeichen an den zeitgleich stattfindenden Weltklimagipfel auf Bali“ gesendet, „sich konsequent für bessere Klimaschutzmaßnahmen einzusetzen“. Oder, wie es „Bild“ formuliert: „Licht aus, damit allen ein Licht aufgeht!“

Hey, das wird eine Aktion, die die Menschheit aufrüttelt: Sechs Wochen, nachdem San Francisco für eine Stunde die Lichter ausgemacht hat, machen wir sie für fünf Minuten aus. Mann muss es schließlich nicht übertreiben, in Deutschland leben ja auch viel mehr Leute als in San Francisco, das zählt entsprechend mehr und ist trotzdem eine „eindringliche Mahnung“, wie Ihr schreibt.

In der Erklärung zum Start der Aktion heißt es:

Erste Zusagen für die Teilnahme an der Licht aus!-Aktion liegen bereits vor. So werden am 8. Dezember der Kölner Dom, das Schloss Neuschwanstein, das Heidelberger Schloss, die Alte Oper sowie die Zeil in Frankfurt ihre Außenbeleuchtung für fünf Minuten abschalten.

Nach fünf Minuten wird der ganze also Rotz wieder eingeschaltet? Unser Beitrag zum Energiesparen ist es, das dekadente Flutlicht für verdammte fünf Minuten auszuschalten, damit die sich in Bali überlegen, dass echt mal jemand was tun müsste, dass nicht das ganze unnütze CO2 rausgepustet wird? Es reicht nicht einmal für ein symbolisches Bekenntnis, sagen wir, den Kölner Dom dauerhaft nur noch mit halb so viel Watt anzustrahlen wie bisher? Die Leuchtreklamen in den Industriegebieten und an den Autobahnen um Mitternacht abzuschalten? In diesem Jahr einfach nur jeden zweiten Engel, Tannenbaum, Lichterkranz in die mit Gaspilzen kuschelig gemachten Winterlandschaften unserer Städte strahlen zu lassen?

Doch, wir werden uns sicher gut fühlen, nach den fünf Minuten im Dezember, dass wir es der Welt gezeigt haben, wie ernst uns der Klimaschutz ist, und das Schloss Neuschwanstein wird uns doppelt so schön wie vorher erscheinen, wenn es wieder im vollen nächtlichen Glanz erstrahlt, nach den fünf Minuten.

Ich fühle mich heute schon gut, denn ich kündige hiermit meine Förder-Mitgliedschaft bei Euch. Das sind zwar nur lächerliche 15,34 Euro im Jahr. Aber für mich ist es eine Reduktion um 100 Prozent. Und mit Aktionen mit bloßem Symbolwert kennt Ihr Euch ja aus.

Mit freundlichen Grüßen
etc.