Autor: Stefan Niggemeier

Auf der Suche nach dem verlorenen Online

Es wäre falsch, sich den Posten des Chefredakteurs von „Zeit Online“ als Traumjob vorzustellen, insbesondere wenn man damit den Anspruch verbände, dort mit Qualitätsjournalismus auf sich aufmerksam zu machen.

Das liegt zum einen an der „Zeit“. Anders als bei stärker zentralistisch und hierarchisch organisierten Unternehmen wie der Axel Springer AG lässt sich ein digitaler Aufbruch bei der „Zeit“ nicht so einfach von oben verordnen. Der Kulturwandel müsste von unten kommen. Aber die in vielen Zeitungen bei den Print-Redakteuren herrschende Skepsis gegenüber dem Internet im Allgemeinen und dem eigenen Online-Ableger im Besonderen scheint bei der „Zeit“ besonders ausgeprägt zu sein.

Doch es gibt ohnehin niemanden, der den digitalen Aufbruch von oben verordnen wollen würde: An der Spitze der „Zeit“ steht ein erklärter Internet-Skeptiker. Chefredakteur Giovanni di Lorenzo beschreibt in Interviews das neue Medium fast ausschließlich als Gefahr und nicht als Chance. Er warnt immer wieder davor, die Inhalte der gedruckten Zeitung online kostenlos zugänglich zu machen, und äußerte zuletzt im „Focus“ sogar Zweifel, „ob Online ein primär journalistisches Medium ist“.

Was der „Zeit“ und ihrem Chef an Internet-Euphorie fehlt, scheint ihr Eigentümer, die Verlagsgruppe Holtzbrinck, im Überfluss zu haben. Sie hat zig Millionen Euro ausgegeben, um das umstrittene Studentennetzwerk StudiVZ zu kaufen und beteiligt sich an einem Internet-Unternehmen nach dem nächsten. Doch das Interesse scheint sich vor allem auf das zu fokussieren, was mit dem Zauberwort „Web 2.0“ umschrieben wird: irgendwelche Formen von Communitys und User Generated Content. Aber teure publizistische Inhalte, nicht einmalige, sondern kontinuierlich hohe Investitionen, ohne Aussicht auf große Rendite und vor allem: ganz ohne Hype? Da ist man bei den Verlagsstrategen dann doch eher bei di Lorenzo: Wer weiß, ob sowas im Internet überhaupt funktioniert. Ob sich Qualität auszahlt.

Das sind vermutlich nicht die idealen Voraussetzungen, um ein erfolgreiches publizistisches Konzept für die „Zeit“ im Internet zu entwickeln und umzusetzen. Tatsache ist: Gero von Randow ist es nicht gelungen.

Dass er als „Zeit Online“-Chefredakteur geht, kann man als Rauswurf wegen Erfolglosigkeit interpretieren, als Niederlage im Kampf um Macht und die richtige Strategie, oder als entnervten Wurf der Flinte ins Korn durch Randow. Aber dass er mit seinem Konzept gescheitert ist, steht außer Frage.

Manche im Haus stellen den Konflikt auch als Richtungsstreit dar: Soll „Zeit Online“ möglichst breit als Nachrichtenportal aufgestellt werden und das klassische Themenspektrum der gedruckten „Zeit“ erweitern, wofür offenbar Randow stand? Oder muss es ganz spezifisch auf die Kernkompetenz der Wochenzeitung zugeschnitten sein, sich um Politik, Bildung, Kultur und Wissenschaft kümmern. Und wie könnte so eine Spezialisierung aussehen, womöglich gegen den Widerstand der Experten in der Print-Redaktion, die das ausgeruhte Analysieren im Wochenrhythmus gewöhnt sind?

Wirklich glücklich mit dem aktuellen Auftritt, der Kommentare und Analysen mit beliebigen Agenturmeldungen mischt, die vom „Tagesspiegel“ durchgereicht werden, scheint im Haus kaum jemand zu sein — die Frage ist nur, ob das einem falschen Konzept Randows geschuldet ist oder daran liegt, dass ihm die Unterstützung aus Redaktion und Verlag fehlten. Die Anziehungskraft auf Leser ist, trotz gestiegener Investitionen in das Angebot, begrenzt: Seit Monaten stagnieren die Zugriffszahlen, und das lässt sich nicht allein dadurch erklären, dass „Zeit Online“ weniger als andere durch Bildergalerien und ähnliche Gimmicks Klicks um jeden Preis (vor allem den des guten Rufs) zu generieren. Die Leserzahlen gehen sogar langsam zurück.

Dafür kommt neue, verlagsinterne Konkurrenz hinzu: Spätestens im nächsten Jahr will Holtzbrinck ein junges Nachrichtenportal mit dem Arbeitstitel „Humboldt“ starten, dessen Redaktion gerade mit der von tagesspiegel.de verschmolzen wurde.

Es wird nicht leicht werden für einen neuen Chefredakteur von „Zeit Online“, und es wird vermutlich schwer werden, überhaupt einen neuen Chefredakteur zu finden. Denn die Verfechter des gedruckten Wortes haben scheinbar gute Argumente auf ihrer Seite: Die Auflage der Zeitung steigt und steigt, und hinter diesen Zahlen stecken (zumindest überwiegend) Menschen, die sogar bereit sind, Geld für die Inhalte auszugeben. Wie sehr man bei der „Zeit“ noch in Kategorien Print gegen Online denkt, sieht man auch daran, wie sehr die Besonderheit betont wird, dass Randow in Zukunft sowohl für die gedruckte Zeitung als auch für zeit.de über Sicherheitspolitik schreiben wird. Was man für die natürlichste Sache der Welt halten könnte, wird offiziell als bemerkenswerter „neuer Weg“ verkauft.

In der Redaktion von „Zeit Online“ sieht man die Entmachtung des beliebten Gero von Randow mit Bedauern – aber auch als Chance, demnächst in neuen, professionalisierteren Strukturen arbeiten zu können.

Dass die Veränderungen nicht der Anfang vom Ende von „Zeit Online“ sind, dafür gibt es immerhin auch ein deutliches Signal: Von kommender Woche an wird Joschka Fischer jeden Montag für den Internet-Auftritt eine politische Kolumne schreiben. Eine Arbeit auch für das gedruckte Blatt schließt man bei der „Zeit“ nicht aus, aber der ehemalige Außenminister soll sich ausdrücklich gewünscht haben, im Internet zu publizieren.

Joschka Fischer ist von der Straße

Der ehemalige Bundesaußenminister wird von kommenden Montag an eine wöchentliche politische Kolumne für Zeit Online schreiben.

[Aus unserer beliebten Reihe: Überschriften, die schon 1985 funktioniert hätten.]

Zeit Online sucht neuen Chef

Heute mal was anderes. Ich spiel‘ Branchendienst.

Gero von Randow ist nur noch kommissarischer Chefredakteur von Zeit Online — bis ein Nachfolger gefunden ist. Von Frühjahr 2008 an soll er als Reporter für Politik und Wissenschaft für die gedruckte Wochenzeitung und ihren Internet-Ableger schreiben. Randows Schwerpunkt wird der Bereich Sicherheitspolitik sein.

Auf diesen Abschied vom Chefsessel hätten sich der Verlag und Randow „in Abstimmung“ mit der „Zeit“-Chefredaktion „verständigt“, heißt es. Geschäftsführung und Chefredaktion suchten nun gemeinsam einen Nachfolger.

„Wir sind noch in einem Stadium, in dem wir nicht wissen, welche Richtung die ideale ist“, hatte „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo im Februar 2006, ein halbes Jahr nach dem Amtsantritt Randows im „kress-Report“ gesagt. Trotz eines Relaunches wirkt der Auftritt auch heute nicht, als ob sich daran viel geändert hätte. Auch das Publikumsinteresse an Zeit.de ist ernüchternd: Seit einigen Monaten ist sowohl die Zahl der Page Impressions als auch die der Besuche rückläufig.

Vermutlich werden Bewerber für den Job der „Zeit“ aber auch nicht die Bude einrennen — jedenfalls nicht die, die gelesen haben, was di Lorenzo vor vier Wochen im „Focus“ gesagt hat:

Ich habe gewisse Zweifel, ob Online ein primär journalistisches Medium ist. Es gibt eine Reihe von Anzeichen dafür, dass die Wachstumsraten von journalistischen Online-Angeboten recht überschaubar geworden sind. Vielleicht wird das Internet von den Menschen so genutzt, wie ich es nutze: als Kommunikationshilfe und kostenlose Serviceeinrichtung, zu der auch aktuelle Nachrichten gehören. Eine Strategie, die allein auf die Reproduktion von Printinhalten setzte, führt dazu, dass immer mehr Substanz aus den Printredaktionen gezuzelt wird. Und die Leser kommen auf den Trichter, dass unsere kostbaren und kostspieligen journalistischen Inhalte kostenlos zu haben sind.

Aha, sagen Sie nun, na und? Geht Randow, weil er keine Lust mehr aufs Organisieren und den Kampf gegen die Print-Bollwerker im Haus hat? Oder isser geflogen, wegen Erfolglosigkeit? Oder war es ganz anders? Muss uns das überhaupt interessieren? Schaffen wir mit so einem Nischenthema womöglich nichtmal eine dreistellige Kommentarzahl oder braucht es nur einen, der die passende Koranstelle herbeizitiert? Und was hat Joschka Fischer mit dem Ganzen zu tun?

Ich muss Sie enttäuschen: Ich kann’s Ihnen nicht sagen.

Die „sektenähnlichen Verhältnisse“ von PI

Jens von Wichtingen, einer der Autoren von „Politically Incorrect“ (PI), hat seine Mitarbeit für das erfolgreiche antiislamische Hass- und Hetzblog offenbar beendet und nennt sie nun einen „Fehler“.

In einem Gastbeitrag im Blog des Journalisten Ramon Schack schreibt er unter anderem:

Man vergleicht PI jetzt mit einer Sekte. Soweit würde ich nicht gehen, wesentliche Merkmale einer Sekte fehlen. Jeder hat die Möglichkeit, PI ohne grosse Probleme den Rücken zu kehren. Allerdings hat PI zumindest sektenähnlichen Charakter. Man lebt in einer eigenen Welt. Gut und Böse, Schwarz und Weiss. Man nimmt Nachrichten vollkommen anders auf, man fühlt sich im Besitz der Wahrheit. Und alle die PI kritisieren haben unrecht. Gutgemeinte Ratschläge werden ignoriert, die anderen sowieso. Man steigert sich gegenseitig in einen – man kann schon fast sagen – Wahn, der hoffentlich niemals zu Auswirkungen im realen Leben kommen wird. (…)

Ich war wie benebelt, wie im Rausch. Ich habe mich ausschliesslich auf den einschlägigen Webseiten über die Horrormeldungen zum islamischen Jihad informiert. Ein extrem einseitiges Weltbild war die Folge. Und – jetzt bitte ich um Verständnis – aus dieser Sicht heraus, musste ich schreiben. Ich war davon überzeugt, aufrütteln zu müssen. Kann man dies nachvollziehen? Und genau dies ist es, was die anderen Autoren von PI antreibt. Dies sind keine schlechten Menschen. Aber sie fühlen sich berufen, zu schreiben, aufzurütteln. Aus ihrer Sicht.

Und hier haben wir wieder die sektenähnlichen Verhältnisse. Jegliche Ratschläge, Warnungen und Kritik werden in den Wind geschlagen. Man ist im Besitz der Wahrheit und man ist süchtig, diese zu verbreiten. (…)

Mittlerweise tummle sich bei „PI“ „ein Mob, der mit Demokratie nichts am Hut hat“, schreibt von Wichtingen.

Wichtingen hat mir auf Anfrage bestätigt, dass der Gastbeitrag authentisch und von ihm sei. Von der Autorenseite auf „Politically Incorrect“ ist sein Name verschwunden. Die Dutzenden von ihm geschriebenen Beiträge — darunter ironischerweise auch dieser über die Warnung einer Schweizer Sektenbauftragten vor „PI“ — sind nicht mehr mit seinem Namen, sondern nur noch dem Kürzel „PI“ gekennzeichnet. Ihren Lesern haben die Macher von „PI“ das plötzliche Verschwinden eines ihrer aktivsten Autoren noch nicht erklärt.

Sodomobil revisited

Ein Gericht hat die sogenannte Westboro Baptist Church von Fred Phelps dazu verurteilt, dem Vater eines im Irak getöteten amerikanischen Soldaten insgesamt elf Millionen Dollar zu zahlen. Die Mitglieder der Organisation, die sich als Baptisten bezeichnen, demonstrieren mit Sprüchen wie „God Hates Fags“ nicht nur bei Beerdigungen von Schwulen und feiern öffentlich den Tod von Opfern wie Matthew Shepard. Sie nehmen auch Beerdigungen von Soldaten ins Visier, weil sie zu glauben behaupten, der Krieg sei eine Strafe Gottes für die Homosexualität in den USA.

Das Urteil, das mit etwas Glück den finanziellen Ruin der Truppe bedeutet, ist ein schöner Anlass, den Ausschnitt zu zeigen, wie Michael Moore in seiner Fernsehsendung „The Awful Truth“ 1999 gegen Fred Phelps und seine Anhänger vorging — mit dem Sodomobil:

Außerdem angucken:
BBC-Doku: Louis Theroux lebt mit der Phelps-Familie.
[via nobbi]

Factually Incorrect (3)

Was mich fasziniert an dem islamfeindlichen Blog „Politically Incorrect“ und ähnlichen Seiten: Wie jede Falschmeldung ihre Glaubwürdigkeit noch erhöht.

Diese Paradoxie beruht auf dem Ur-Mythos der Seite, der sich schon im Namen ausdrückt: der Annahme, dass die etablierten Massenmedien uns ausgerechnet die vitalen Informationen vorenthalten und die Wahrheit im Zweifelsfall nur auf „PI“ steht.

Hat man diesen Gedanken einmal verinnerlicht, ergeben sich interessante Effekte. Schön zeigen lässt sich das am Beispiel dieser Meldung von „PI“. „PI“ berichtet darüber, dass Google vor kurzem den PageRank (also die von Google vergebene Maßzahl für die Relevanz einer Seite) von vielen Internetangeboten nach unten korrigiert hat – offenbar weil sie gegen Geld Links auf andere Seiten gesetzt haben. Diese Praxis, durch die die verlinkten Seiten von der Relevanz der verlinkenden Seite profitieren sollen, lehnt Google ab. Zu den vielen betroffenen Internetangeboten, die vermutlich wegen des Verkaufs von Links seit kurzem einen schlechteren PageRank haben, gehören die von „Forbes“, der „Washington Post“, der „Zeit“ – sowie das BILDblog.

Über diese Fakten wird, mal so mal so kommentiert, an vielen Stellen berichtet.

Aber bei „PI“ gibt es darüber hinaus scheinbar exklusive Informationen: Zum Beispiel, dass der Linkhandel von „besonders vielen politisch Linkskorrekten“ betrieben werde, weil sie „von der Wichtigkeit ihrer Botschaft überzeugt sind“. Und dass Google „einen großangelegten Betrug“ „aufgedeckt“ habe. Und dass ich behaupte, der PageRank von BILDblog sei unverändert. Und dass die Besucherzahlen von BILDblog durch die Google-Aktion schon so weit zurückgegangen seien, dass BILDblog nicht einmal mehr in der Top-100 von Blogcounter auftaucht.

Nichts davon stimmt. (Die gekauften Links führen in aller Regel nicht zu politischen Freunden, sondern zu rein kommerziellen Angeboten; es geht in keiner Weise um Betrug; das Zitat von mir ist 15 Monate alt und hat nichts mit den aktuellen Entwicklungen zu tun; BILDblog lässt sich seit fast einem Jahr schon nicht mehr durch Blogcounter zählen und hat nach wie vor mehr Besucher und PageImpressions als sämtliche dort aufgeführten Blogs).

Mit anderen Worten: Alles, was ausschließlich auf „PI“ zu dem Thema steht, ist deshalb exklusiv, weil es falsch ist. Aber so nimmt das der „PI“-Leser nicht wahr. Gerade die Tatsache, dass die spannendsten Informationen (Betrug! BILDblog kaum noch Leser!) nirgends sonst stehen als bei „PI“ und in deren Dunstkreis, lässt ihn nicht am Wahrheitsgehalt der Informationen und der Seriosität der Quelle zweifeln, im Gegenteil: Es bestätigt ihn darin, dass alle anderen Medien unter eine Decke stecken und diese Informationen unterdrücken.

Jede Meldung, die deshalb ausschließlich auf „PI“ steht, weil sie nicht stimmt, erhöht die Glaubwürdigkeit von „PI“ — mehr noch: Sie bestärkt den Glauben der „PI“-Leser an die Unverzichtbarkeit dieser Quelle. Sie schreibt, was andere sich nicht zu schreiben trauen. Interessanterweise schadet es „PI“ auch nicht, wenn eine Meldung ebenfalls in den Massenmedien zu finden ist. Das beweist dann nur, dass die Wahrheit sich selbst von den etablierten Medien nicht mehr immer verheimlichen lässt — und bestätigt scheinbar die Richtigkeit auch all der Meldungen, die nirgends sonst stehen.

Das ist ein ebenso faszinierender wie beunruhigender Effekt, der nicht nur „PI“ betrifft: Sobald ein Medium sich erfolgreich als Stimme etabliert hat, die die wichtigen Dinge ausspricht, die alle anderen verheimlichen, ist es fast egal, was es berichtet: Seine Leser werden es glauben, und ähnlich wie bei den Anhängern von Verschwörungstheorien gibt es fast keine Möglichkeit, mit Argumenten und Tatsachen daran etwas zu ändern. Es ist ein Kreislauf, der sich selbst verstärkt. Und so sehr ich es begrüße, dass Dank des Internets die etablierten Medien ihr Informationsmonopol verloren haben — dies ist ein Effekt, der nicht für besser, sondern für schlechter informierte Menschen sorgt. Ich glaube, in den ultra-polarisierten großen politischen Blogs in den Vereinigten Staaten kann man die schädliche Wirkung schon ganz gut beobachten.

PS: Während die Werbelinks zum Beispiel auf BILDblog offen für jeden Besucher zu erkennen und klar als bezahlte Anzeigen deklariert sind, verlinken manche Internetseiten versteckt auf andere Angebote und versuchen, deren Google-PageRank so heimlich in die Höhe zu treiben. Ein solcher versteckter Werbe-Link befindet sich zum Beispiel im Code von Blogcounter.de, weshalb viele Blogs dieses Angebot nicht mehr genutzt haben

… Im Gegensatz ausgerechnet zu „Politically Incorrect“, in dessen Quelltext sich eine Zeile findet, die für die Leser unsichtbar, für Google und seine PageRank-Berechnungen aber lesbar dafür sorgt, dass „PI“ ebenso konstant wie heimlich für die von dem umstrittenen Geschäftsmann Thomas Promny betriebene Seite lustich.de wirbt. (Der Link wird am unteren Ende der „PI“-Seite sichtbar, wenn man Javascript ausschaltet.)

Fremde Journalistenwelten

Der britische „Independent“ veröffentlicht auf seiner Titelseite „10 myths about the EU treaty“ und nimmt sie im Inneren einen nach dem anderen auseinander. Was die Zeitung verschweigt: Der Text ist eine fast wörtliche Wiedergabe eines Regierungspapiers zum Thema.

Verurteilt wird diese Praxis knapp zwei Wochen später — im „Independent“. Dessen Medienkolumnist Stephen Glover zitiert dort den Chefredakteur des „Independent“ mit dessen Verteidigung, man habe die Fakten des Papiers geprüft, und widerspricht ihm fundamental:

A newspaper is perfectly within its rights in agreeing with the Government of the day, but if it directly borrows its arguments it should say so. Even then it would be preferable, by way of establishing one’s independent credentials, to amplify and refine those arguments oneself.

Alles im „Independent“ selbst, wohlgemerkt. Warum ist ein solcher offener Pluralismus in eigener Sache, eine solche Debattenkultur in Deutschland undenkbar?

(Und dann waren da noch die Redakteure des „Sydney Morning Herald“, die sich zu Protestkundgebungen versammelten, weil ihre Zeitung zum Jungfernflug des Airbus A380 munter werbliche und redaktionelle Inhalte mischte.)

[beides via Greenslade]

Tod durch Schenkel- und Schulterklopfen

Christian Jakubetz, Journalist, Berater und Dozent unter anderem an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München, hat sich anlässlich unserer Lesung ebenfalls mit der Frage beschäftigt, wie es das BILDblog verändert, wenn wir plötzlich „auf der Showbühne“ stehen — nur kommt er zu dramatisch pessimistischeren Antworten als ich.

Jakubetz vergleicht unsere Entwicklung mit der von Bastian Sick, dem supererfolgreichen Sprachkritiker von „Spiegel Online“:

Aus dem Zwiebelfisch ist eine mittelständische Firma geworden und statt netter Sprachkritik macht Sick heute Linguistik-Entertainment. Apostrophen für die Masse, die sich schenkelklopfend amüsiert und nach zwei Stunden wieder raus an die frische Luft darf mit dem Gefühl: Wir stehen auf der richtigen Seite. Der guten Seite.

Der Vergleich ist interessant und Jakubetz‘ Analyse lesenswert, aber ungefähr in der Mitte ist er so in Fahrt, dass es ihn aus der Kurve schleudert:

Bildblog ist eine perfekt geölte Unterhaltungsmaschine geworden, die den Leuten gibt, was sie wollen: Entertainment.

Eine handelsübliche Unterhaltungsmaschine tat’s nicht, sie musste auch noch perfekt geölt sein? Das sind so Formulierungen, bei denen ich stutze, und in diesem Fall auch deshalb, weil ich weiß, wie wenig bei uns geölt ist, egal von welcher Art Schmiermittel wir reden.

Jakubetz meint jedenfalls, dass das Entertainment die Aufklärung konterkariert. Dass der Abend Anlass zu solchen Fragen gibt, finde ich auch. Aber schließen sich Aufklärung und Unterhaltung aus? Je mehr mir als Journalist ein Thema am Herzen liegt, je wichtiger ich es finde, dass viele Leute einen Artikel lesen, desto mehr Mühe gebe ich mir, ihn unterhaltsam aufzuschreiben, gerade damit er möglichst viele Leute erreicht. Oder, in einer ganz anderen Liga argumentiert: Die „Daily Show“ von Jon Stewart ist sicher sowohl die witzigste als auch die aufklärerischste Nachrichtensendung in den USA.

Um nicht missverstanden zu werden: BILDblog will informieren, und das, wenn es geht, auf unterhaltsame Weise. Nicht unterhalten, und das, wenn es geht, mit ein bisschen Informationen. Ja, bei so einer Lesung verschieben sich die Gewichte vielleicht etwas. Aber, Himmel, da machen wir nach dreieinhalb Jahren zum ersten Mal so etwas wie eine Party und laufen Gefahr, mit Disney World verwechselt zu werden?

Was mich wirklich erschüttert an Jakubetz‘ Text, ist dieser Satz:

Und so, wie wegen Sick kein einziger grammatikalischer Dumpfbeutel weniger unterwegs ist, hat nicht ein einziges Exemplar der verloren gegangenen Bild-Auflage mit Bildblog zu tun.

Sagt Jakubetz das auch seinen Journalistenschülern? Etwa: Glaubt nicht, dass ihr mit euren Artikeln irgendetwas ändern werdet? Es wird kein einziges Gramm CO2 weniger ausgestoßen, nur weil Artikel über die globale Erwärmung erscheinen? Es wird niemand zum Wechselwähler, nur weil ihr über die Abgründe einer Partei berichtet habt? Was immer ihr schreibt, wird nie jemanden klüger machen, die Augen öffnen, zum Nachdenken anregen, sondern immer nur die erreichen, die es vorher schon wussten?

Am Ende meint Jakubetz, wir würden wie „Bild“ und unsere Leser seien schon wie „Bild“-Leser (irgendwie auch wegen der zunehmenden Vermarktung und Entertainmentisierung), und findet hier in den Kommentaren „serviles Gutmenschentum“. Ich glaube, er verkennt gerade das Besondere an der Beziehung zwischen BILDblog und den BILDblog-Lesern. Wir haben erst angefangen, BILDblog-T-Shirts anzubieten, als Leute uns gefragt haben, warum es die eigentlich nicht gibt. Ein Konto haben wir eingerichtet, nachdem Leser uns gefragt haben, ob sie uns eventuell Geld spenden können. Servil sind sie nicht, sie geben uns ordentlich Kontra, wenn wir etwas machen, das ihnen nicht gefällt. Aber viele sind treu und sowas wie Fans, sie versorgen uns mit sachdienlichen Hinweisen und weisen uns auf unsere Fehler hin, und wenn es einen Fragebogen auszufüllen gibt, tun sie das in unfassbarer Zahl.

Mag sein, dass sie auch das Gefühl genießen (oder von mir aus auch nur die Illusion), gemeinsam auf der „richtigen Seite“ zu stehen. Aber sie tun das in einer Welt, die nicht von BILDblog-Lesern, sondern von „Bild“-Lesern dominiert wird. Und sie sind mir allemal lieber als die vielen, denen die Frage, ob sie auf der „richtigen Seite“ stehen, einfach vollständig egal ist.