Autor: Stefan Niggemeier

Factually Incorrect

Beate Klein, eine der Hauptautorinnen beim erfolgreichen Hass- und Hetzblog „Politically Incorrect“ (PI), schreibt:

Als relativ häufig aufgerufene Internetseite gegen den Mainstream ist PI immer wieder Zielscheibe linker Journalisten, die in Schmähartikeln ihre oft vor Un- und Halbwahrheiten strotzenden Diffamierungen verbreiten. Da die eigentlichen Beiträge für diese Medien zwar ärgerlich, in der Regel aber nicht angreifbar sind, zieht man einzelne Kommentare heran, um die Bösartigkeit und radikale Gesinnung PIs „beweisen“ zu können.

Ja, das ist echt blöd, dass die eigentlichen Beiträge von PI so selten angreifbar sind.

Gut, jetzt mal abgesehen von Beate Kleins Eintrag über das angebliche Blog von Murat Kurnaz, den sie den „zotteligsten Unschuldigen aller Zeiten“ nennt. Das Blog war nicht von Murat Kurnaz, was Frau Kleins Eintrag, sagen wir: angreifbar machte. Sie hat ihn sicherheitshalber nicht korrigiert, sondern ohne Erklärung gelöscht.

Ach so, und mal abgesehen von dem Eintrag von Jens von Wichtingen, der in Südafrika Sprachkurse veranstaltet und bei PI für Übersetzungen zuständig ist, über die angebliche Wandlung der BBC zur „Stimme Mekkas“.

Er berichtet:

Bei der BBC hat man sich entschlossen, den ganzen Schritt zu machen. In Zukunft wird man jedesmal bei Nennung des moslemischen Propheten Mohammed den bei Moslems gebräuchlichen Zusatz (Friede sei mit ihm) verwenden. Begründet wird das mit religiöser Toleranz – weil man dies ja auch bei anderen Religionen machen würde, wenn sie denn einen solchen Brauch hätten.

Die BBC-Seite, die seine Quelle für diesen Hammer ist, der bei den PI-Kommentatoren Fassungslosigkeit auslöst, ist allerdings vom 9.3.2006. Was laut PI „in Zukunft“ passiert, scheint also mindestens seit eineinhalb Jahren Praxis zu sein.

Und schon mit einfachsten Englischkenntnissen könnte man der Quelle entnehmen, dass die BBC dem Namen Mohammeds keineswegs „jedesmal“ die Worte „Friede sei mit ihm“ (peace be upon him / pbuh) hinzufügen wird. Die Regelung betrifft nur die Islamrubrik der Religionsseiten auf bbc.co.uk. Eine einfache Suche zeigt, dass die BBC den Zusatz auf den Nachrichtenseiten nicht verwendet.

(PI-Kommentator Phygos ist dennoch so erschüttert, dass er erklärt, dass England damit für ihn „endgültig als Urlaubsland flach fällt“, während PI-Leser Bokito vor Überreaktionen warnt: Schließlich könne man auch „jeden Samstag in Düsseldorf auf der Königsallee Heerscharen von Schleierschlampen beim Shoppen in den Nobel-Boutiqen anschauen. (…) Vor den Anhängern eines Kinderf**ers auf dem Boden zu kriechen ist die schlimmste Demütigung, die sich ein denkender Mensch vorstellen kann.“)

Ach so, und „angreifbar“ sind natürlich auch die PI-Einträge, in denen immer noch die Mär verbreitet wird, britische Banken hätten die Sparschweine abgeschafft, um die Gefühle muslimischer Kunden nicht zu verletzen — eine längst widerlegte Falschmeldung, die auch Henryk Broder und Udo Ulfkotte verbreiten, was dann wiederum PI aufgreift usw usf.

Ja, die PI-Autoren, für die „Gutmensch“ ein anderes Wort für „Nazi“ ist und die Andersdenkende als „dummdeutsche Multikultischwuchteln“ bezeichnen, sind gerne nicht nur politisch, sondern auch faktisch inkorrekt.

Als die „Berliner Morgenpost“ es wagt, einen Deutschen, der einen Rabbi angegriffen hat, einfach als „Deutschen“ zu bezeichnen, obwohl seine Eltern aus Afghanistan stammen, veröffentlicht ein PI-Gastautor bedeutungsschwanger die E-Mail-Adresse für Leserbriefe der Zeitung. Und die Kommentatoren überbieten sich in empörten Leserbriefen an die Zeitung, und keiner merkt, dass unter dem Artikel die Worte „AP“ stehen, weil es sich um eine Agenturmeldung handelt.

Der PI-Beitrag fordert, den mutmaßlichen Täter nicht als Deutschen, sondern als „afghanischen Moslem“ zu bezeichnen. Und die Kommentatoren erkennen die Gesinnung dahinter und sprechen offen aus, was die PI-Autoren nur andeuten. Ein „Junker“ schreibt:

Er ist kein TATSÄCHLICHER Deutscher, sondern ein “Passdeutscher”. Wenn ein Dackel ein Schild mit der Aufschrift “Schäferhund” um den Hals trägt, bleibt er ein Dackel, bis zu seinem seligen Ende!

Der Täter ist Afghane mit deutschem Pass, hat seiner Religion entsprechend einen Juden fast getötet und wartet nun darauf, das Selbe mit einem Christen machen zu können.

Wenig später spricht ein „Beowulf“ von einem „Kanakenmob“, und ein „Entfernungsmesser“ gerät ins Onanieren:

Meine Freundin kam von der Arbeit nach Hause. Ich hatte Besuch von zwei Freunden. Wir saßen im Hof, hinter uns mein alter Bundeswehrunimog. Meine Freundin erzählte uns, sie sei von drei Kanaken in einem roten BMW-Cabrio angemacht worden: Hy Alde, willst figgen?

Als Deutscher Hauptfeldwebel und PzZgFhr habe ich nach kurzer Lagebeurteilung meinen Entschluß gefasst und in die Worte “Aufsitzen, Männer” artikuliert. Wir also den Mog gestartet und auf den Innenstadtring gefahren. Das ist das bevorzugte Cruisin-Gebiet der Kamelf…er! Vor der übernächsten Ampel überholt uns ein rotes BMW-Cabrio. Bestzung: 3 Kanaken. Die halten vo der roten Ampel, wir nicht!

Schön mit gut Schmackes denen den Kofferraum verkleinert. Die guggten wie Säue am Samstag. Meine Männer und ich abgesessen, denen kalr gemacht, wer wir si´nd und was wir machen wenn sie die Fresse aufreisen. Die waren sehr kooperativ. Meine Versicherung hat den Schaden am BMW gelöhnt. Den Schaden am 1,5-Tonner habe ich mit was Farbe und nem Pinsel beseitigt!

„Beowulf“ antwortet ihm: „gefällt mir“, und ein „Bavarian“ kommentiert: „Gut gemacht!“

Ich weiß nicht, ob Beate Klein, Stefan Herre, Jens von Wichtingen und die anderen PI-Macher auch davon träumen, „Kanaken“ in den BMW zu fahren. Bestimmt finden sie schon den Gedanken „diffamierend“. Was können sie schon dafür, dass sich in ihrem Wohnzimmer ein rassistischer Mob trifft, dem sie mehrmals täglich frisches Popcorn und was zu lesen geben?

Redaktionell unabhängig

„Eins von diesen Dingen gehört nicht zu den anderen“, sangen wir mit der „Sesamstraße“, und auf der Startseite von stern.de gibt es das Spiel auch:

Zwischen die diversen redaktionellen Angebote der „Stern“-Familie hat sich ein Hinweis auf die neue RTL-Show „6! Setzen“ geschmuggelt. Ohne jeden Umweg führt er direkt auf die Seite zur Sendung auf RTL.de. „Wir“ haben ein Trainingslager eingerichtet? stern.de? Nö: RTL. Ach, da ist ja auch das Logo. Wie praktisch.

Das ist jetzt einerseits nicht so überraschend, denn erstens gehört der „Stern“ ebenso wie RTL zum weiten Universum von Bertelsmann, und zweitens produziert die Firma I&U von Günther Jauch nicht nur die Sendung „Stern TV“, sondern auch „6! Setzen“ — bleibt alles irgendwie in der Familie.

Aber andererseits ist das doch nicht ganz das, was man sich unter der Trennung von Redaktion und Werbung bei Möchtegernqualitätsseiten so vorstellt.

Dabei hat es an Werbung für Jauchs neue Show auf stern.de ohnehin schon nicht gemangelt: In „Stern TV“ hat Jauch gestern fleißig dafür getrommelt, und auf den Seiten von „Stern TV“ auf stern.de lässt sich das in schöner Ausführlichkeit nachlesen — ebenfalls mit dem prominent platzierten Hinweis, dass man sich doch direkt an der Quelle informieren soll: Im „Trainingscamp“ auf rtl.de.

Aus der stern.de-Redaktion ist zu hören, die Anweisung zur ungekennzeichneten Werbung auf der Startseite sei von „ganz oben“ gekommen, wo auch immer das sein mag.

Auf meine Frage, ob stern.de solche Aktionen für alle RTL-Sendungen mache oder nur die von I&U produzierten, antwortete stern.de-Chef Frank Thomsen, es handele sich um eine einmalige Aktion, eine „redaktionelle Kooperation“: Man habe von RTL eine Reihe von Fragen bekommen, aus denen stern.de einen Wissenstest gemacht habe, der bei den Lesern sehr gut angekommen sei. Im Gegenzug habe RTL darum gebeten, einen solchen Hinweis-Kasten zu bekommen, der ins Trainingscamp führt. „Wenn’s Pro Sieben oder das ZDF gewesen wäre“, sagt Thomsen, „hätten wir auch nicht anders entschieden.“

Ich frage mich nur, warum das ZDF dann zum Beispiel für seine Mediathek groß auf den teuren Werbeplätzen von stern.de wirbt, wenn doch redaktionelle Plätze so einfach zu haben sind.

(Genau genommen produziert Jauchs Firma „Stern-TV“ übrigens nicht für RTL, sondern für die Firma dctp, und zwar, wie es in der Zulassung durch die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) heißt, „von RTL rechtlich und redaktionell unabhängig“. Auf diese Weise erfüllt RTL seine Pflicht, Sendezeiten an „unabhängige Dritte“ abzugeben, was die Meinungsvielfalt sichern soll. Ja, genau.)

Und über die Überschrift reden wir noch!

Vor einiger Zeit bin ich von zwei Schülern der Deutschen Journalistenschule in München (auf der ich auch war) für ihre Abschlusszeitschrift interviewt worden. Und weil ich das Ergebnis so gelungen finde und fürchte, dass kaum jemand das schöne Magazin zum Thema Fehler in die Finger bekommt, veröffentliche ich den Text einfach selbst — mit freundlicher Genehmigung der Autoren.

Bildblog-Gründer Stefan Niggemeier über Wahrheit im Boulevard, das „System Bild“ und seine Freude am Streiten

Interview: Till Haase, Adrian Renner
Foto: Ulf Hanke

Herr Niggemeier, auf Bildblog.de decken Sie seit zweieinhalb Jahren die Fehler der Bild-Zeitung auf, mit 40.000 Lesern täglich sind Sie Deutschlands meistgelesener Blog. Warum hat Ihnen die Bild-Zeitung noch nicht Ihr Bild-Abonnement gekündigt?

Das wäre wohl eine etwas kurzsichtige Strategie. Aber wir hatten die lustige Situation, dass wir bei Bild angefragt haben, ob wir ihr Archiv nicht als kommerzieller Kunde nutzen können. Es hat dann sehr lange gedauert bis wir eine Antwort erhalten haben. Das Ergebnis war: nein, auch gegen Geld nicht.

Der letzte Bildblog-Eintrag ist inzwischen drei Tage alt. Ist das gut oder schlecht für Bildblog?

Schlecht, um ehrlich zu sein. Weil ich glaube, dass Bild in den letzten drei Tagen Fehler gemacht hat, auch gravierende. Wir haben sie nur nicht entdeckt.

Wie entdecken Sie denn Fehler in Bild? Haben Sie eine Fehlersuchstrategie?

Gut die Hälfte der Fehler entdecken wir durch Hinweise unserer Leser. Und dann lohnt es sich immer, bestimmten Signalwörtern nachzugehen. Bei „Geheimplan“ zum Beispiel schauen wir, ob das nicht schon vor einem Monat veröffentlicht wurde, oder bei „sagte zu Bild„, ob das nicht in einer Nachrichtenagentur stand. Und natürlich immer, wenn Bild über Außerirdische schreibt.

Was ist das dann für ein Gefühl, wenn man einen Fehler gefunden hat? Freude?

Nee. Meistens ist das ein Entsetzen. Ich bin immer wieder fassungslos, wenn man anfängt, eine Geschichte nachzurecherchieren, und sieht, was Bild daraus gemacht habt. Amüsieren kann ich mich bei diesen blöden Fehlern, wenn man sich sagt: Mein Gott, die haben das wieder nicht kapiert. Da kommt eine gewisse Schadenfreude auf.

Einen Fehler muss man auch beweisen. Auf welche Quellen verlassen Sie sich denn?

Es hilft, Originaldokumente zu finden, wissenschaftliche Studien zum Beispiel. Es hilft, wenn Nachrichtenagenturen oder andere Zeitungen über ein Thema geschrieben haben, wobei wir da auch vorsichtig sind. Ganz heikel ist es, wenn Aussage gegen Aussage steht. Wir wollen aus Bildblog kein Gegendarstellungsportal machen, nach dem Motto: Bild schreibt etwas und wir geben jedem eine Stimme, der sagt, das habe ich so aber gar nicht gemeint.

Gehen Sie bis zum Beweis der Tat, bis sie augenfällig ist, von einer Unschuldsvermutung aus?

Im Idealfall ja. Aber es ist die Unschuldsvermutung gegenüber einem Serientäter. Wenn einer schon 100 alte Frauen ausgeraubt hat, muss man ihm die 101. neu beweisen. Aber es gibt gute Gründe, ihn für verdächtig zu halten.

Seit Januar dieses Jahres finanziert sich Bildblog neben Spenden und dem Verkauf von Bildblog-Produkten auch über Werbung auf der Seite. Ist der Druck, Fehler zu finden, seitdem gestiegen?

Wir ertappen uns manchmal bei dem Gedanken, denn natürlich haben wir mehr Leser auf der Seite, je mehr wir schreiben, versuchen dem aber nicht nachzugeben. Der eigentliche Druck ist ein anderer. Wir bekommen täglich Dutzende Hinweise von unseren Lesern, und wir versuchen allen nachzugehen und alle nachzurecherchieren. Dieser Druck ist viel stärker als der Werbedruck.

Bildblog ist für den Aufruf, Bild-Chefredakteur Kai Diekmann zu fotografieren und die Bilder an Bildblog zu schicken, stark kritisiert worden. War diese Aktion richtig?

Zunächst war die Aktion im Nachhinein eher enttäuschend, weil wir so wenig Bilder erhalten haben. Was ich bei der Kritik nicht verstanden habe, ist, dass uns vorgeworfen wurde, wir würden uns auf Bild-Niveau begeben. Ich finde es grundsätzlich nicht verwerflich, Leser aufzufordern, Bild spannende Fotos zu schicken. Verwerflich ist, dass bei der Veröffentlichung dieser Fotos das Persönlichkeitsrecht offensichtlich keine Rolle spielt.

Warum macht denn Bild so viele Fehler? Weil sie es will oder weil sie es nicht besser kann?

Beides. Bild macht absichtlich Fehler, Dinge werden falsch dargestellt, weil es dann eine „bessere“ Geschichte wird. Und Fehler entstehen, weil Bild schlampig arbeitet. Wenn man beides zusammenfasst, könnte man sagen, dass vielleicht die Wahrheit bei Bild nicht das Entscheidende ist.

Sondern die Verwertbarkeit?

Ja. Ich glaube, jeder Bild-Mitarbeiter arbeitet unter einem immensen Druck, die bestmögliche Geschichte abzuliefern, und das ist nicht immer die, die am Ende noch zutrifft. Dahinter muss im Einzelfall nicht einmal immer eine böse Absicht stecken. Anders ist es bei Themen, wo Bild eine Agenda hat, bei der Rente zum Beispiel. Für Bild lohnt es sich einfach, jeden Tag aufzuschreiben, dass die Renten nicht sicher sind, selbst wenn sie dafür Argumente erfinden oder Tatsachen verdrehen muss.

Kann es denn eine Bild-Zeitung ohne Fehler überhaupt geben?

Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Wallraff hat vor 30 Jahren in seinen Büchern Mechanismen beschrieben, bei denen ich das Gefühl habe, die gelten heute immer noch. Dieses Stille-Post-Spiel zum Beispiel, dass am Ende jemand die Überschriften über den Text macht, der die Ursprungsfassung gar nicht kennt.

Wenn sich über so lange Zeit nichts ändert, ist es dann das System Bild, dass die Fehler hervorruft?

Es ist das Prinzip, auf jeden Mitarbeiter den Druck aufzubauen, die Geschichte zu liefern, die zur größten Schlagzeile taugt. Das führt im besten Fall dazu, dass Bild Sachen herausfindet, die andere nicht herausfinden. Aber oft genug führt es dazu, dass Leute aufschreiben, was sie oder ihre Vorgesetzten für die gute Geschichte halten. Ich weiß nicht, ob Bild ohne dieses Prinzip funktionieren kann, ob man Bild revolutionieren oder reformieren kann.

Sehen Sie sich denn selbst als Chronisten oder als Entertainer?

In diesem Gegensatz zu 100% Chronist, wobei: Chronist klingt mir fast zu unbeteiligt. Was wir machen, hat auch etwas Kämpferisches. Aber mir ist klar, dass uns Leute lesen, weil wir etwas Lustiges über Bild schreiben.

Passt Idealist besser als Chronist?

Ja. Darf ich das nachträglich nehmen?

Angenommen, Sie wären Chef einer großen Tageszeitung. Würden Sie einen Redakteur einstellen, der bei Bild gearbeitet hat?

Das kommt auf den Einzelfall an. Halb im Scherz könnte ich sagen, man muss diesen Menschen ja auch eine Perspektive geben. Ihnen Wege aufzeigen, aus dem Unrechtssystem Bild herauszukommen.

Und Ihre Perspektive? Wenn man böse wäre, könnte man sagen, Sie haben schon fast Ihr ganzes Leben lang genörgelt, was wollen Sie denn als Rentner noch machen?

Vielleicht werde ich dann zum positiven Menschen, weil ich mich so ausgenörgelt habe, und schreibe Rosamunde-Pilcher-Romane. Ich halte das für sehr unwahrscheinlich.

Aus: „Klartext — Das Magazin der Deutschen Journalistenschule“. Nummer 11. Lehrredaktion 45K.

Halbe Portion

Vielleicht ist ein Grund für meine anhaltende Faszination mit dem real existierenden Online-Journalismus, dass man täglich denkt: „Blöder geht’s nicht“, und damit immer unrecht hat.

Das Online-Angebot der „Süddeutschen Zeitung“, das bekanntlich seit Monaten von einer Qualitätsoffensive erschüttert wird, berichtete am Montag über einen für heute angekündigten Pasta-Streik in Italien. Und illustrierte den Artikel nicht mit dem Foto eines betroffen aussehenden Nudelgerichts, sondern mit dem halben Screenshot eines Artikels der Online-Ausgabe des britischen „Daily Telegraph“, der bereits vor fast zwei Wochen darüber berichtet hat und die Quelle für den sueddeutsche.de-Artikel ist.

Und wenn Sie beim Bewundern der Absurdität des Ganzen bitte auch Bildunterschrift, Bildzuschnitt und Quellenangabe würdigen würden, vielen Dank.

(Entdeckt hat’s der Lukas.)

Super-Symbolfotos (25-28)

Vermutlich ist es ungefähr so schwierig, mit dem Redaktionssystem eines Online-Mediums einen Artikel ohne Foto zu veröffentlichen, wie einen versehentlich doppelt gebuchten Joghurt an der Supermarktkasse zu stornieren (Durchsage: „Herr Meyer, Artikel-ohne-Foto an Arbeitsplatz 17, Herr Meyer bitte!“ — und dann sucht der Herr Meyer aus seiner Schreibtisch-Schublade den Zettel mit dem geheimen Spezialcode, schiebt sich seufzend durch die Werkbänke, überprüft stirnrunzelnd den Notfall, lässt den Menschen am Computer ein Formblatt unterschrieben und hebt mit dem Code vorübergehend die Artikel-ohne-Foto-Sperre auf).

Gerade beim Thema Wirtschaft und Finanzen ist die Pflicht zur Illustration eine Plage. Die Kollegen von n-tv.de haben aus der Text-Bild-Schere schon eine Kunstform gemacht, und sie sind nicht allein.

Und deshalb spielen wir heute heiteres Symbolfotoraten mit manager-magazin.de.

Fangen wir mit einer leichten Übung an. Welche Entwicklung an den Aktienmärkten illustriert dieses Foto:

Ja, bei n-tv.de würde die Überschrift des zugehörigen Artikels lauten „Aktienhändler geraten ins Rudern“, aber so plump sind sie bei manager-magazin.de nicht. Hier heißt der Artikel „Kreditkrise: Nur eine Atempause“, und der Bildtext geht so:

Luftholen: Die Börsen atmen derzeit tief durch – um dann frisch durchzustarten, meint Fondsmanager Schupp

(Herr Schupp selbst ist übrigens nicht auf dem Foto.)

Jetzt wird es ein bisschen schwieriger. Wir lautet hier der Bildtext?

Richtig:

Unter Druck: Der starke Euro und der hohe Ölpreis lasten auf den Kursen

Wechseln wir ins Ausland und widmen uns diesen freundlichen asiatischen Menschen und ihren Hühnern:

…die vermutlich, als der Reuters-Fotograf sie besuchte, sich nie erträumt hätten, dass unter ihrem Gruppenfoto einmal folgender Satz stehen würde:

Gedränge an der Börse: Chinas Regierung will dagegen ansteuern

(Ohnehin ist der Bildtext dem Foto schon auf halbem Weg entgegen gekommen, denn eigentlich geht es im zugehörigen Artikel darum, dass chinesische Lehrer ihre Schüler vor den Gefahren warnen sollen, an der Börse zu spekulieren.)

Und nun die Zusatzfrage. Denn trotz der gewissen Bebilderungsrenitenz des Themas gibt es natürlich auch bei manager-magazin.de Bildergalerien. Eine aktuelle heißt: „Krisenherde: Das kann die Börsen auf Talfahrt schicken“, und wenn Sie anhand des ersten Fotos jetzt bitte raten wollen, welche Katastrophe für die Börsen hier symbolisisiert wird?

Kalt, ganz kalt.

Die Auflösung:

Doppelte Bedrohung: Das zweifache Defizit der US-Wirtschaft ist eine Bedrohung der Konjunktur – allerdings nur eine latente

 

PS: Eine Art Bonus-Symbolfoto hat der Abfallkalender entdeckt.
(Mit Dank an Nilz und Konstantin!)

Das Feigenblatt der Hysterie

Ein Arzt hat mir mal erklärt, wie man Psychose und Neurose auseinanderhält. Der Psychotiker glaubt, dass zwei mal zwei fünf ist. Der Neurotiker weiß, dass zwei mal zwei nicht fünf ist, erträgt es aber nicht.

So gesehen ist die heutige „WatchBerlin“-Kolumne von Michel Friedman schwer neurotisch. Sie beginnt mit diesen Worten:

„Mörder. Feige, brutale, gemeine Mörder, das sind sie, die Terroristen, die in Deutschland Bombenanschläge geplant haben und jetzt entdeckt wurden.“

Ich bin sicher, dass Michel Friedman aus seinem Jurastudium genau weiß, was ein Mörder ist. Aber als grobe Annäherung für den Alltag könnten wir uns vielleicht schon auf die Faustregel einigen: kein Toter — kein Mörder.

Ich kann den Impuls schon nachvollziehen, die maximale Abscheu für die Männer auszudrücken, denen vorgeworfen wird, dass sie viele Menschen umbringen wollten, „unschuldige Menschen“, wie man so sagt. Ich kann auch die Hilflosigkeit nachvollziehen, mit der er versucht, diese Leute, wenn er sie sonst schon nicht greifen kann, wenigstens unter möglichst vielen schlimmen Attributen zu begraben: feige, brutal, gemein.

Wobei „feige“ schon ein komisches Wort in diesen Zusammenhängen. Wünschen wir uns mehr „mutige“ Attentäter? Mehr Draufgänger unter den Terroristen? Mehr Leute, die uns zwar vernichten wollen, aber irgendwie nicht so unfair dabei sind, es nicht auf einen Kampf Mann gegen Mann ankommen zu lassen? Wer von einem „feigen Mord“ oder von „feigen Terroristen“ spricht, versucht etwas zu steigern, was nicht mehr zu steigern ist. Das Wort hat keinen Inhalt, aber eine Funktion: Es ist ein Appell an den Zuhörer, sich gefälligst zu empören. Vermutlich unter der Annahme, dass der Zuhörer längst zu abgestumpft ist, sich über „Mörder“ und „Terroristen“ allein genug zu empören.

Nicht weniger als fünfmal in zweieinhalb Minuten nennt Friedman die Terroristen „feige“, und mit jedem Mal mehr sieht man ihn hinter dem Wort hilflos mit den Armen rudern. „Terroristen sind in Wahrheit feige“, sagt er einmal. Und später: „Sie sind anonym, aber sie sind feige Mörder.“ Was ist das denn für ein Gegensatz?

Es ist ein sehr hilfloser, ein hysterischer Beitrag, den Friedman zur Debatte über die nötigen Reaktionen auf die Bedrohung durch den islamistischen Terror leistet. Das wäre an sich nicht schlimm. Schlimm ist, dass die Hysterie sich als Besonnenheit ausgibt. Friedman sagt:

„Auch wenn’s mir wehtut: Ich denke nach. Ich gebe zu: Ich bin nachdenklich geworden.“

Das ist nicht nur unglücklich formuliert, sondern auch sehr unwahrscheinlich. In einer Debatte, in der es vor allem immer wieder darum geht, das richtige Maß zu finden und die schwierige Entscheidung zu treffen, mit welchen drastischen Reaktionen wir das Überleben unserer Freiheit sichern und mit welchen wir sie töten, würde ein nachdenklicher Mensch darauf achten, dass nicht die letzten klaren Begriffe noch ihren Sinn verlieren.

Wer daran gehindert wurde, einen Mord zu begehen, ist kein Mörder. Und Hysterie nicht Nachdenklichkeit.

Der kleine blaue Elefant

Für den kleinen blauen Elefanten spricht ja auch, dass er nie Gast bei Reinhold Beckmann war. Fast dreißig Jahre Fernsehkarriere und keine Auftritte in Kochshows, keine Homestories, keine Skandale, kein Fremdgerüssel. Nur freundlich-professionelles Trampeln, Schnaufen, Trompeten, sonntags in der „Sendung mit der Maus“. Dabei wüsste man jetzt, wo er seine eigene Show bekommt, natürlich schon gerne mehr über die Hintergründe: War es ihm dann doch irgendwann zuviel, dieses ewige Augengeklimpere? Hat er es nicht mehr ertragen, wie die Maus sich immer ihren Schwanz abstöpseln konnte, um jedes Problem zu lösen? Hat sie sich geweigert, den Namen auf „Die Sendung mit der Maus und dem Elefanten“ zu erweitern, und der Elefant damit gedroht, das lukrative Angebot anzunehmen, bei den Privaten eine Castingshow zu moderieren, nicht ohne vorher exklusiv in der „Bunten“ über die erschütternden Arbeitsbedingungen im WDR-Kinderprogramm auszupacken? Oder war schon das Engagement der gelben Ente der Anfang vom Ende?

Jetzt jedenfalls tritt der kleine blaue Elefant aus der zweiten Reihe und trompetet ab morgen durch seine eigene Sendung, täglich zweimal im Ki.Ka. Sie richtet sich an Zwei- bis Fünfjährige, hat junge schlanke flippige Menschen statt Armin und Christoph und sogar 16:9. Aber sie ist dem Prinzip der Lach- und Sachgeschichten treu geblieben und schafft es auf wunderbare Weise, sichtlich auf ein Vorschulpublikum zu zielen und trotzdem auch für Erwachsene unterhaltsam, charmant und witzig zu sein.

Und auch wenn Friedrich Streich, der Maus und Elefant erfunden hat, einiges an den neuen Animationen nicht behagt: Auch das rosa Kaninchen, der neue Begleiter des blauen Elefanten, mit dem Streich nichts zu tun hat, ist kein Fremdkörper, sondern ein sympathischer Springinsfeld, der beim Denken nett die Ohren verknotet.

Es ist ein gelungener, sehr behutsam modernisierter Ableger, die Kinder singen „Die Welt ist elefantastisch“, und wenn dem kleinen Blauen der plötzliche Ruhm nicht zu Kopf steigt, ist es ihm zu gönnen, endlich aus dem Schatten der Maus zu treten.

Aber nicht dass Manuel Andrack und Gundula Gause jetzt auf dumme Gedanken kommen!

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Murat Kurnaz bloggt nicht

Testfrage: Wer ist dieser Mann?

Nein, es ist nicht Murat Kurnaz. Er sieht ihm, genau genommen, nicht einmal ähnlich. Da scheint jemand eine andere Gesichtspartie in ein bekanntes Foto von Murat Kurnaz kopiert zu haben.

Nächste Testfrage: Von wem ist dieses Blog?

Nein, es ist nicht von Murat Kurnaz.

Aber wäre es nicht toll, wenn es von ihm wäre? Wir könnten alle bloggen: „Murat Kurnaz bloggt!“, und uns an dem, was wir da lesen, abarbeiten.

Es ist kein Zufall, dass „Politically Incorrect“ mit seinem neorassistischen Umfeld zu den ersten gehörte, die auf das Blog hinwiesen und behaupteten, es stamme von Kurnaz:

Der zotteligste Unschuldige aller Zeiten – Murat Kurnaz – hat jetzt einen eigenen Internetauftritt. Dort findet man Aussagen wie diese: „Steinmeier… ein Bürokrat des Todes, der deutschen Lagerverwaltungstradition folgend“.

Zu diesem Zeitpunkt fanden sich in dem Fake-Blog auch noch Formulierungen wie diese:

„Nach einigen Tagen bei meiner Familie nun wieder alleine in der Stadt. Egal wohin ich gehe: man kennt mich bereits. Egal – jeden Abend Kokain, mit einem Amerikaner aus L.A. der mir wie ein CIA-Mann vorkommt. Paranoid? An jedem Abend 1000 Euro, die den Besitzer wechselten und das Kokain war offenbar gerade noch okay… Was soll’s jetzt ist es vorbei.“

Gemeinsam mit den Lesern schafften es die „Politically Incorrect“-Macher sogar später in den Kommentaren, selbst die Vermutung, die Texte seien nicht echt, noch gegen Kurnaz auszulegen: Das Deutsch sei viel zu gut, als dass er, der Türke, der Hauptschüler, es geschrieben haben könnte.

Auch kein Zufall, dass ein Mitglied der „Achse des Guten“ von Broder & Co., die auch so gerne politisch unkorrekt wäre, das Blog aufgriff und nutze, sich über Kurnaz lustig zu machen. David Harnasch hält sich nur eine Klammer lang mit der Möglichkeit einer Fälschung auf („so er [Kurnaz] seinen Blog wirklich selbst schreibt und das hier keine Persiflage ist“), um sie im übrigen zu ignorieren:

Welcome to the Blogosphere, Murat!

Wenn ich kurz nach dem 11.9. 2001 zur Kur nach Pakistan gereist wäre (ohne meiner Familie davon zu erzählen), man mich dann nach Afghanistan und Guantanamo verschleppt und dort gefoltert hätte, dann wäre ich auch paranoid. (…)

Zwei Tipps:
1. Weniger koksen, das macht nämlich paranoid.
2. Weniger im Blog drüber schreiben, dass man kokst und das Zeug auch noch käuflich erwirbt, denn zumindest zweiteres ist strafbar und führt, wenn man sich derart sackblöde anstellt, recht zuverlässig tatsächlich zur Strafverfolgung.

Auch die Blog-üblichen Belanglosigkeiten fehlen nicht: „Heute Abend überbacke ich im Ofen Chilli-Nachos mit Käse und rauche einen Joint mit schwarzem Afghanen. Dann nehme ich mir ein Buch und lese. Ich bekam in letzter Zeit viele Bücher geschenkt. Zum Glück, denn Fernsehen macht mich irgendwie verrückt, weil es dort überhaupt nichts zu sehen gibt.“

Apropos „sackblöde“: Das sind die Leute, die sich damit brüsten, „unkonventionell“ zu „denken“? Jede Wette: Wenn auf dem kleinen Foto im Blog Murat Kurnaz mit roter Karnevalsnase abgebildet gewesen wäre, Harnasch und seine Achsenfreunde hätten es immer noch nicht gemerkt und auch das gegen den echten Kurnaz ausgelegt.

Man kann es natürlich auch ganz unideologisch sinnlos machen, wie das Blog medienrauschen (und ähnlich viele andere Blogger):

Kurnaz bloggt

Seit einem Jahr nun ist Murat Kurnaz, „der deutsche Guantánamo-Häftling“ — wie der Stern einmal schrieb –, wieder in seiner Heimat Deutschland.
Nach diversen Medienschauläufen, Aussagen und einem Buch kommt Kurnaz scheinbar so langsam zur Ruhe — oder einem gewissen Alltag. Und in dem spielt ein Weblog auch eine Rolle.
Echt oder Fake?

Was für eine Nullnachricht. Eine Mail an Bernhard Docke, den Rechtsanwalt von Murat Kurnaz, hätte genügt, um zu erfahren, dass er nichts mit diesem Blog zu tun hat und nun dagegen vorzugehen versucht.

Update, 7. September. Als Urheber hat sich ein Moritz […] zu erkennen gegeben, der die Fälschung im Blog nun mit einigem Geschwurbel als „gelebte Literatur“ verbrämt.

„Politically Incorrect“ bleibt bei seiner Darstellung — vermutlich sind die Verantwortlichen voll und ganz damit ausgelastet zu hassen.

Und Gutachsist David Harnasch, der sich als „Journalist für TV, Print und Radio“ bezeichnet, erklärt nun, ihm habe „schlicht die Zeit“ für eine Recherche gefehlt. Na sowas: Die Zeit, Murat Kurnaz öffentlich zu diffamieren und verhöhnen, die hat er irgendwie gefunden.

(Kommentare geschlossen.)

Wollt ihr den totalen Widerspruch?

Auf den Seiten der FAZ findet gerade eine heftige Debatte statt über die sogenannten „Klima-Skeptiker“, die die vorherrschende Meinung zum Klimawandel und seine Ursachen anzweifeln. Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf hat ihnen und den Medien „Desinformation“ vorgeworfen, und jetzt antworten die von ihm angegriffenen Christian Bartsch, Günter Ederer, Matthias Horx, Wolf Lotter, Dirk Maxeiner, Josef Reichholf und Wolfram Weimer. In einem gemeinsamen Beitrag.

Wolf Lotter schreibt für die Zeitschrift „Brand Eins“, die ich schätze, auch wenn ich ihre Meinung nicht immer teile. Ich hätte mir gewünscht, dass ein „Brand Eins“-Autor sich nicht einfach so vereinnahmen ließe. Und vor allem, dass er seinen Namen schon aus sprachlichen Gründen nicht unter einen solchen Text setzte.

Ich bin kein Klimaexperte. Aber ich glaube, dass die Sprache eines Textes viel verrät. Und dass es kein gutes Zeichen ist, wenn ein Text überquillt vor Absolutheiten und Beschwörungs- und Beteuerungsformeln. Der erste Absatz der Erwiderung von Bartsch-Ederer-Horx-Lotter-Maxeiner-Reichholf-Weimer beginnt so:

Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf ist ein sehr erfolgreicher Mann. Sein Sieg auf allen Kanälen der öffentlichen Meinungsbildung ist total. In allen Talkshows trat er schon auf, in Radio, Funk und Fernsehen ist er omnipräsent.

(Hervorhebungen von mir.)

Ich bin kein Klimaexperte. Aber ich misstraue jedem, der so formuliert.

Wie grobschlächtig muss man mit Sprache hantieren, um zu behaupten, der Sieg Rahmstorfs „auf allen Kanälen der öffentlichen Meinungsbildung“ sei „total“? Das kann er schon deshalb nicht sein, weil dieser Satz Teil eines langen Textes ist, der in einer der wichtigsten deutschen Zeitungen veröffentlicht wird. Und weil mehrere Absender für Medien arbeiten, in denen sie die Thesen publizieren konnten, an denen sich Rahmstorf stört.

Die Autoren nehmen es offenbar nicht so genau, und versuchen das durch das Aufdrehen des Lautstärkereglers zu überdecken.

Jedes Wort hat sicherheitshalber, als traue man den eigenen Argumenten nicht, eine Verstärkung bekommen; es wimmelt vor Pleonasmen. Es geht nicht nur um eine „Mission“, sondern um eine „heilige Mission“; die „Verschwörung“ ist eine „finstere Verschwörung“; Andersdenkende werden nicht nur verfolgt, sondern „fanatisch“ verfolgt, und die Autoren sind keine Publizisten, keine Bürger, nicht einmal „normale Bürger“, sondern „ganz normale Bürger“.

Und sie verzichten nicht darauf, in die große Nazi-Kiste zu greifen, und werfen Rahmstorf vor, den „Endsieg“ in der Klimadebatte zu wollen.

Ich bin kein Klimaexperte. Aber ein paar Behauptungen im ersten Absatz kann ich überprüfen, und sie sind falsch. Warum soll ich den Behauptungen glauben, die ich nicht nicht überprüfen kann, noch dazu, wenn sie so übersteuert klingen?

Niedrige Lebens- und Denkerwartungen

Die Studie der beiden britischen Wissenschaftler Mark Bellis und John Ashton ist genau der Stoff, nach dem unsere Boulevardmedien (vulgo: unsere Medien) süchtig sind. Sie haben herausgefunden, dass Rockstars ein erheblich erhöhtes Risiko haben, jung zu sterben.

Es gibt dazu mehrere Agenturmeldungen. Eine seriöse ist von AFP und liest sich so:

Studie: Rockstars leben in ersten fünf Jahren des Ruhms gefährlich / Wilde 70er waren für Popmusiker besonders riskant

Rockstars sterben früher als Otto Normalverbraucher. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der John-Moores-Universität in Liverpool, die die Lebenserwartung von globalen Größen der Rockmusik mit der der gewöhnlichen Bevölkerung vergleicht. Der Lebensweg von mehr als tausend Musikern, die aus einer Liste der 1000 meistverkauften Platten aus dem Jahr 2000 ausgewählt wurden, wurde von den Wissenschaftlern ausgewertet. (…)

Insgesamt 100 Weltstars starben in der Zeit von 1956 bis 2005. Über eine Zeitspanne von 25 Jahren war ihre Sterblichkeit 70 Prozent höher als die der Durchschnittsmenschen. Als besonders gefährlich erwiesen sich die ersten fünf Jahre des Ruhmes, während derer die Wahrscheinlichkeit 240 Prozent höher ist, das Zeitliche zu segnen, als bei Normalsterblichen.(…)

Die Version von AP ist, vorsichtig gesagt, nicht ganz so seriös:

Popstars sterben früher

(…) Eine britische Studie zeigt, dass nordamerikanische prominente Musiker durchschnittlich nur 42 Jahre alt werden. Europäische Stars sterben demnach noch deutlich früher, nämlich schon mit 35 Jahren. (…)

Von wegen. Das ist nicht das Alter, das Rockstars durchschnittlich erreichen. Sondern das Alter, das diejenigen 100 der insgesamt 1000 untersuchten Rockstars durchschnittlich erreicht haben, die bereits gestorben sind. Dadurch, dass all die, die früh gestorben sind, in die Berechnung eingegangen sind, aber noch lebende Opas wie Paul McCartney, Mick Jagger und Elton John nicht, wird die Rechnung natürlich verzerrt.

Und eigentlich könnte man als Journalist auch ahnen, dass die Aussage nicht stimmen kann, europäische Rockstars würden im Schnitt nur 35 Jahre alt. Aber natürlich nur, wenn das Gehirn nicht völlig damit beschäftigt ist, sich die dazu passende geile Überschrift oder die Klickzahlen, die sich mit ihre generieren lassen, auszumalen.

Entsprechend findet die Falschmeldung von AP guten Absatz. Sie steht heute zum Beispiel in der gedruckten „Berliner Zeitung“, bei „Welt Online“, auf FTD.de (mit Bildergalerie „Die erfolgreichsten toten Musiker“). Auf der Titelseite von „Bild“ ist die AP-Meldung zu dieser erstaunlichen Überschrift geronnen:

Rockstars sterben mit 35

Aber den Vogel schießt Spiegel Online beim Versuch ab, das vermeintliche Ergebnis zu personalisieren:

Nordamerikanische prominente Musiker, die die Studie berücksichtigte, wurden durchschnittlich 42 Jahre alt, europäische Stars starben im Schnitt sogar noch früher, nämlich schon mit 35 Jahren. Babyshambles-Sänger Pete Doherty, 28, hätte er [sic] demnach noch sieben Jahre zu leben.