Autor: Stefan Niggemeier

Bildergalerien-Bingo

Heute spielen wir Bildergalerienbingo mit der „Süddeutschen Zeitung“. Die hat ein Interview mit Sandra Maischberger geführt, und auf ihren Internetseiten präsentiert sie es in der schönsten journalistischen Form, die sie kennt: als zehnteilige Bildergalerie.

Das kann man an sich schon, nun ja: unfreundlich finden. Aber die Leute von sueddeutsche.de haben sich noch etwas besonderes ausgedacht: Es stehen nicht Frage und Antwort zusammen, sondern jede Seite endet mit einer Frage. Die Antwort folgt, wie bei einem Cliffhanger, erst nach dem Klick.

Bestückt ist die Bildergalerie, logisch: mit Bildern von Sandra Maischberger. Und als kleine Übung in Qualitätsonlinejournalismus versuchen Sie jetzt mal, die Fotos denjenigen Themenblöcken im Interview zuzuordnen, die sie bebildern:
 

Abbildung: Maischberger mit… Interview-Thema
(A) Anke Engelke, Michel Friedman, Peter Scholl-Latour, Dt. Fernsehpreis (1) Nicht-Experten in Talkshows, Christiansen und Plasberg
(B) Georg Kofler (2) Helmut Schmidt
(C) Goldenem Panther, Bayerischer Fernsehpreis (3) Gästeakquise bei 4 ARD-Talkshows
(D) Stefan Aust (4) Maybrit Illner
(E) Dirk Bach, Moderation Dt. Fernsehpreis (5) Talk als Genre, Formatierung durch Plasberg

So, Konzentration: Welcher Buchstabe gehört zu welcher Zahl?

………

Na, wenn es leicht wäre, könnte es ja jeder.

………

Nicht spicken!

………

Hm? Sie sagen, da muss was schiefgelaufen sein? Da passt gar kein Foto zu keinem Thema? Aber von wegen!

Die Lösung lautet:

A5, B3, C4, D2, E1.

Und bestimmt ist das für die Verantwortlichen von sueddeutsche.de irgendwie zwingend.

Im Ernst: Was wir da sehen, sind nicht mehr die unsicher umherirrenden Versuche einer großen seriösen Tageszeitung, ihren Platz im Internet zu finden, das sie mehr als jede andere Zeitung, die ich kenne, fast ausschließlich als einen verkommenen, unwirtlichen und gefährlichen Ort beschreibt. Dieses Angebot scheint nur noch ein Ziel zu haben: Möglichst viele Leute anzulocken, die dumm genug sind, auf alles zu klicken, was sich anklicken lässt, und mit allem zufrieden zu sein, was sie dahinter finden, und sei es nichts.

Unter jedem einzelnen Interviewfragment mit Sandra Maischberger steht bei sueddeutsche.de dies:

Und das Ressort Kultur macht aktuell, von oben nach unten, mit folgenden Geschichten auf:

Darunter folgt dann tatsächlich, unfassbarerweise, ein aktueller Artikel über das Filmfestival von Venedig. Es muss sich um ein Versehen handeln.

Schöne Blogs (1): sakana

Ich bin das, was Malte „Bauschist“ nennt. Mein Gehirn produziert keine Widerstandsstoffe gegen Angriffe von Niedlichkeit. Ich habe das hier als Bildschirmhintergrund auf meinem Computer, falle auf die simpelsten Zeitschriftenkonzepte herein und bin wehrlos im Angesicht solcher Flauschzotteligkeit.

Ganz sicher lief mein erster Kontakt mit dem sakana-Blog über diesen Reflex und über ein Foto wie dieses:

Aber man würde sakana und den Tieren unrecht tun, wenn man sagte, dass er in seinem Blog niedliche Schafe zeigt. Seine Schafe sind nicht niedlich. Sie haben Charakter. Persönlichkeit. Auf seinen Fotos wirken sie mal stürmisch, mal anschmiegsam, neugierig und ausgelassen, genügsam oder fordernd, fast immer: treu. Er vermenschlicht sie nicht, es sind Tiere. Aber es sind Tiere, keine Woll- und Fleischproduktionsmaschinen. Lebendige Wesen, die Kontakt aufnehmen zu dem anderen, fremden, vertrauten Wesen, das sie auf ihrem Elbdeich besucht, ihnen alte Disteln aus dem Fell pult, interessant riecht und an dem man sich gut schubbern kann.

Manche Fotos sehen aus, als hätte ein Künstler das Bild sorgfältig komponiert. Andere leben von der Unmittelbarkeit und Lebendigkeit der Lomographie.

Glück ist ein Abend am Deich mit Wollfett an den Händen, ein Schaf, das einen wiedererkennt, ein junges Tier, das sich an einen geschmiegt hat, nicht schnurrend, aber zufrieden geräuschvoll kauend.

In das Glück — das pure, beiderseitige Glück — über die Verbindung zwischen Mensch und Tier mischt sich eine Traurigkeit. Weil die Ausflüge zu den Tieren und in die Natur eine Flucht vor den Zumutungen der Menschen und der Zivilisation zu sein scheinen. Und weil das Idyll immer bedroht ist. Es ist nicht gut, sich mit Wesen anzufreunden, die gehalten werden, um gegessen zu werden.

Vielleicht ist es diese Zerbrechlichkeit, die die Begegnungen so kostbar macht. Einmal bittet der Bauer den Fotografen, sich von seinen Tieren fernzuhalten, „sie würden zu vertrauensselig“. Ein andermal bittet er ihn in den Stall, um ihm die in der Nacht geborenen Lämmchen zu zeigen:

das freudige gurren in der schafherde, als ich den stall betrat. die glasigen, stolzen augen, die mir entgegenblickten. das neue leben auf wackelnden beinen.

Ich bin nicht nur „Bauschist“, sondern auch sentimental, und bei manchen der Geschichten, die sakana aufschreibt oder auch nur zwischen den Zeilen durchschimmern lässt, könnte ich heulen. Das Blog, in dem es außer Schafen noch Schrecken gibt und aus einem Grund, den ich nicht kenne, eigentlich „Fischlog“ heißt, schafft etwas, wozu Blogs wunderbar geeignet sind: Es gibt mir die Illusion, jemandem nahe zu sein, den ich nicht kenne und von dem ich (scheinbar) fast nichts weiß. Es lässt mich Anteil nehmen an seinem Leben und davon berührt werden.

Ich würde da gerne mal sitzen, einen Nachmittag, schweigend, an dem Deich, mit ihm und den Schafen. Aber vielleicht geht das auch nur allein.

(Fotos mit freundlicher Genehmigung von sakana.)

Nervt’s?

Schwerer Selbstreferenz-Überschuss im Moment in diesem Blog, aber was soll’s.

Stefan Winter hat auf jetzt.de einen Text darüber geschrieben, wie ihn BILDblog nervt. Und wie ich ihn nerve. Er beginnt so:

Es passiert selten, dass Stefan Niggemeier das in Frage stellt, was er den ganzen Tag so tut. Der Mann, der für Bildblog und sein Privatblog bereits zwei Grimme-Online-Awards bekommen hat, inszeniert sich lieber so, als habe er allein den doofen Deutschen den Segen des Internets gebracht. Heute jedoch scheint Internet-Gott Niggemeier eine menschliche Regung in sich gespürt zu haben.

Okay, das ist nicht der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Es passiert oft, dass ich das in Frage stelle, was ich den ganzen Tag so tue. Eigentlich ununterbrochen. Manchmal frage ich mich sogar, ob ich mir nicht zuviele Fragen stelle, aber das fügt den Zweifeln nur noch Metazweifel hinzu. Und Kopfschmerzen.

Jetzt sitze ich hier und frage mich zusätzlich noch, womit ich bei Leuten den Eindruck erweckt haben könnte, ich hielte mich für einen „Internet-Gott“ (und ich hatte gedacht, das absurde Etikett „Blog-Papst“, das mir mal jemand anbappen wollte, ließe sich nicht mehr toppen). Na bravo. Andererseits: Als Journalist, vor allem als Fernsehkritiker, urteile ich dauernd über Leute, die ich nicht kenne, und packe sie in Schubladen, in denen sie vermutlich gelegentlich ähnlich entgeistert sitzen wie ich jetzt in dieser.

Im Kern scheint Stefan Winter mir und BILDblog zwei Dinge vorzuwerfen. Das eine ist, unmoralisch zu sein.

Wenn Stefan Niggemeier das Bildblog als seine Arbeit bezeichnet und davon leben will, heißt das: Er lebt (zumindest indirekt) von dem Dreck, den die Bildzeitung täglich verbreitet. Für jemanden mit seinem moralischen Standard, finde ich das zumindest fragwürdig.

Das finde ich eine erstaunliche These. Sie bedeutet, dass es legitim ist, davon zu leben, die Leute zu desinformieren. Aber nicht, davon zu leben, die Leute über diese Desinformation aufzuklären. Das ist eine ähnliche Argumentation wie die der „Bild“-Zeitung, die meint, BILDblog dürfte sich beim Presserat nicht über „Bild“ beschweren, weil wir die Institution dadurch für unsere kommerziellen Zwecke missbrauchten.

Trifft das Urteil der moralischen Fragwürdigkeit jeden, der zum Beispiel Journalist geworden ist, um Missstände aufzudecken? Müssen sich Journalisten wie Thomas Kistner oder Jens Weinreich, die sich darauf spezialisiert haben, Korruption und Doping im Sport aufzudecken, auch vorwerfen lassen, dass sie (zumindest indirekt) von dem Fehlverhalten anderer leben? Ist Hans Leyendecker letztlich auch nur ein Schmarotzer, der das Aufdecken von Skandalen als lukrative Marktlücke entdeckt hat und einpacken kann, sobald sich alle anständig verhalten? (Nicht ganz unberechtigt ist auch die Frage von Kommentatoren auf jetzt.de, wie unmoralisch eigentlich Müllmänner sind, die sich ja letztlich auch nur ihr kommerzielles Süppchen aus unserem Dreck kochen.)

Das zweite, das Stefan Winter an uns nervt, sind eigentlich nicht wir und unsere Arbeit, sondern deren Rezeption. Wir würden von Blogosphäre und klassischen Medien „in (ungewohnter) Eintracht hofiert“, schreibt er und beklagt sich über „Kamerateams“, die in unser Büro „einfielen“, um „(meist völlig unkritisch)“ über unsere Arbeit zu berichten.

Ich glaube, das täuscht. Abgesehen vom NDR-Medienmagazin „Zapp“, das mehrmals und freundlich über uns berichtete, wird es Winter schwerfallen, Spuren von eingefallenen Horden von Fernsehleuten in unserem Büro zu finden. Ja, wir sind so etwas wie ein „Vorzeigeblog“, auf das klassische Medien kommen, wenn sie über Blogs überhaupt berichten, was zum einen an ihrer Einfallslosigkeit liegt, zum anderen an unseren Leserzahlen. Aber wer „hofiert“ uns wirklich? Die „Süddeutsche Zeitung“ sicher nicht, die vergangene Woche Donnerstag erstmals einen eigenen kleinen Artikel über uns geschrieben hat. Hofiert wird von den Medien Tag für Tag die „Bild“-Zeitung, durch Aufmerksamkeit, ungeprüfte Übernahme ihrer Meldungen, Ausblenden von Kritik. Bei der Nachrichtenagentur dpa zum Beispiel sind kritische Berichte über „Bild“ — und damit jeder Bericht über uns — Tabu heikel. Eine PR-Geschichte für Katja Kesslers neues Buch ist erlaubt.

Aber es stimmt schon: Wir haben viele Fans und Freunde. Ich tue mich ein bisschen schwer damit, das negativ zu sehen, weil es ein so sensationelles, ungekanntes Gefühl ist: das Wohlwollen, die Unterstützung, die Bereitschaft mitzuhelfen. Und wenn Stefan Winter behauptet, „alle“ würden uns „unreflektiert“ gut finden, möchte ich ihm doppelt widersprechen. Erstens hoffe ich, dass es Leute gibt, die uns reflektiert gut finden. Und zweitens stimmt es einfach nicht. Ein einziges Blog hat Winter gefunden, das am BILDblog-Werbespot Kritik übt (und Winter gibt ihm in seiner Verzweiflung recht, obwohl es den Film vor allem deshalb ablehnt, weil die Produktionsfirma Brainpool „eigentlich alle schlechten Formate auf privaten Sendern“ zu verantworten habe).

Herr Winter, schau’n Sie mal: hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier oder hier.

Ein letzter Gedanke noch. Stefan Winter schreibt: „Bildblog arbeitet nicht ehrenamtlich oder für den guten Zweck, sondern aus einem kommerziellen Interesse.“ Ich streite mich gerne über die Macken und Fehlentwicklungen, das Gefährliche, Blöde und Falsche an BILDblog (und stelle mich und meine Arbeit dabei auch gern in Frage). Aber ich lasse mir ungern den Glauben nehmen, dass „für den guten Zweck“ und „aus einem kommerziellen Interesse“ sich nicht ausschließen müssen. Wär doch furchtbar, wenn man seinen Lebensunterhalt nur mit Dingen verdienen könnte, die eigentlich Scheiße sind.

Und ich sage das nicht als Internet-Gott.

Was geschah wirklich mit Klemen Lavric?

[Warnung: Dieser Eintrag ist vollständig frei von Relevanz.]

Ich bin gerne BILDblogger. Es macht mir Spaß, den Leser-Hinweisen nachzugehen, nach Wegen zu suchen, einer Sache auf den Grund zu gehen, mich in eine fremde Materie einzuarbeiten.

Aber gelegentlich verheddere ich mich in irgendeiner kleinen Recherche und stehe am Ende ratlos vor der Frage: Was mache ich hier eigentlich?

Das hier ist so ein Fall. Gestern machte uns ein Leser auf ein Zitat aufmerksam. Der Duisburger Stürmer Klemen Lavric soll laut „Bild“ gesagt haben: „Als das Angebot von Real Madrid auf dem Tisch lag, hat [Vereinspräsident] Hellmich mich gebeten zu bleiben, um den Aufstieg zu schaffen.“ Der Leser wies darauf hin, dass sich das mit dem Angebot aus Madrid für den Stürmer aus Duisburg schon vor Monaten als Ente entpuppt hätte und schickte einen entsprechenden Link mit, hinter dem es unmissverständlich hieß:

„Das Satire-Magazin ‚Titanic‘ hat sich den Spass erlaubt, und einen eigenen Spielervermittler zu den Zebras geschickt. Der Präsident des MSV Duisburg, Walter Hellmich, war sehr geehrt von dem Angebot, auch wenn er sich in der Öffentlichtkeit sehr zierte, Lavric die Freigabe zu erteilen. Doch dieses Problem hat er jetzt nicht mehr…das Titanic-Magazin hat nämlich bekannt gegeben, dass die ganze Geschichte auf Ihren Mist gewachsen ist.“

Eine Google-Suche nach „Titanic“ und „Lavric“ ergab Dutzende Treffer ähnlichen Inhalts. Selbst in Lavrics Wikipedia-Eintrag fand sich die Episode, sogar mit genauem Datum des „Titanic“-Geständnisses.

Schien also eine klare Sache zu sein, man müsste also nur noch rausfinden, ob Lavric das erfolgreich verdrängt hat oder, höhö, die „Bild“ verspätet nochmal auf die „Titanic“ reingefallen ist.

Ein bisschen komisch war allerdings, dass sich im Netz keine Spuren fanden von einem „Titanic“-Artikel, der den ganzen Fall noch einmal aufbereitet hätte. Auf meine Bitte an die „Titanic“, mir das Stück mal zuzuschicken, bekam ich ein lapidares „nee, warn wir nicht!“ zur Antwort. Der Kollege blieb dabei, als ich das nicht glauben wollte, und fügte nur hinzu: „Es sei denn, Martin Sonneborn, der ja in der Beziehung stets verdächtigt wird, hat das aus Jux einfach zugegeben.“ Auch Martin Sonneborn beteuerte aber auf Nachfrage, weder mit dem vermeintlichen Scherz noch mit seiner vermeintlichen Bestätigung etwas zu tun zu haben.

Aber wie kommt die Behauptung in die Welt? Die meisten Foren geben als Quelle einen Artikel von sport1.de an, den es nicht mehr gibt. In der Wikipedia ist der Verweis auf die „Titanic“ am 20. Februar eingefügt worden, einen Tag, nach dem sie angeblich gestanden hat. Als Beleg ist dort ein Eintrag bei transfermarkt.de angegeben, der nennt wiederum eine(n) „Manu Shareghi“ als Quelle. Wer das ist, weiß ich nicht — der Name taucht fast ausschließlich in Fußballforen als Quelle für irgendwelche Gerüchte auf. Und einen anderen Ursprung der Meldung vom „Titanic“-Bekenntnis habe ich nicht gefunden.

Wer denkt sich sowas aus? Oder verarscht mich die „Titanic“? Wenn nicht, wer steckte wirklich hinter dem Angebot an Lavric? Doch Real Madrid? Aber die haben dementiert. Gab es gar kein Angebot? Aber wovon redete Lavric dann gegenüber „Bild“? Und wen interessiert das? MSV-Duisburg-Fans? „Titanic“-Leser? BILDblog-Abonnenten? Sie?

Bis gestern wusste ich nicht einmal, dass es einen Spieler namens Klemen Lavric gibt. Und heute wühle ich mich durch Versionsunterschiede seines Wikipedia-Eintrages, um herauszufinden, wie die (vermutlich falsche) Erklärung für ein (womöglich nie vorhandenes) Angebot von Real Madrid in die Welt kam. Das ist sehr merkwürdig. Aber so wenig mich dieser Spieler interessiert, so faszinierend finde ich es, wie sehr dieses Gerücht mit der „Titanic“ im Netz zur Wahrheit geworden ist. Noch dazu, weil es mit dem Unterton verbreitet wird: „Glaubt nicht jedes absurde Gerücht.“

Trotzdem. Manchmal frage ich mich: Was mache ich hier eigentlich?

Programmänderung

Es hat sich da offenbar bei der Diskussion „Von der Edelfeder zum Contentlieferanten? — Printmedien im Wandel“ am 11. September eine kleine Veränderung ergeben:

Vorher:

Jetzt:

Es heißt, der Kommunikationschefin der Axel Springer AG, Edda Fels, sei es trotz besten Bemühens auch leider nicht gelungen, im Haus einen Ersatz für Christoph Keese zu finden.

Wenn er eh nicht kommt, gibt mir das einen Vorwand, auf der Geschichte rumzureiten, die der Branchendienst „Kontakter“ vor gut drei Wochen nebenbei erwähnt hat. Er berichtete, dass ein Portrait Keeses, das Thomas Delekat 2002 für die „Welt“ über den damaligen Chef der „Financial Times Deutschland“ geschrieben hatte, irgendwann aus dem internen Springer-Archiv entfernt worden sei.

Ich habe leider keinen Zugriff auf das interne Springer-Archiv, aber im Online-Archiv der „Welt“ lässt sich der Artikel auch nicht finden. Und wer immer ihn gelöscht hat — er hat ganze Arbeit geleistet: Im Ganzseitenarchiv der „Welt“ fehlt am 8. Juli 2002 die Seite 30 — das war die Medienseite, auf das Porträt stand, gleich über dem Fernsehprogramm, das auch gelöscht wurde, aber wohl niemand vermisst.

Dabei scheint dem sorgfältig entfernten Artikel objektiv Brisanz zu fehlen. Er ist keine Hinrichtung. Er beschreibt Keeses Erfolge, aber auch — mit amüsierter Distanz — sein Machtgehabe und seine Eitelkeit. Delekat erwähnt Keeses demonstrative Begeisterung für Hamlet und für Vito Corleone, den Paten aus „Der Pate“, dem er eine Seite in der „FTD“ gewidmet habe, um den Lesern die elf mafiosen Prinzipien des Machterwerbs und des Machterhalts zu erklärten (Punkt 10: „Macht schwindet schleichend. Wehre dich gegen kleine Niederlagen, denn sie haben große Auswirkungen.“)

Delekat schrieb:

(…) Keese ist 38, ein Jungmanager in unverwüstlich aufgeräumter Stimmung, einer von der Sorte mit überschüssigem Elan. Jeden Tag beschließt er mit der Enttäuschung, den Terminkalender schon um 24 Uhr beenden zu müssen. (…)

Nur die Wirtschaft, das findet er, kann seiner Schaulust auf das Dramatische im Leben genügen: Kampf, Einsamkeit, Gewinn und Verlust. Im letzten halben Jahr, sagt Keese, habe er fast alle Vorstandschefs der Dax- Liste besucht. Die seien zwar Journalisten gewohnt. Aber bei ihm muss es außerordentlich gewesen sein: „Die sind begeistert, wenn sie jemanden haben, mit dem sie auf Augenhöhe reden können.“

Es stimmt, sagt Keese, es duzt sich jeder in der Redaktion. Ein ehrliches „Du“, behauptet der Chefredakteur, und tatsächlich gibt es dafür eine Erklärung: Er habe sich sämtliche 150 Mitarbeiter im persönlichen Examen vorgeknöpft, „mit Röntgenblick“ durchschaut, seinen Instinkt zugeschaltet, seinem persönlichen Geschmack freien Lauf gelassen und dann über eine Einstellung entschieden. Es ist sein Team, auf Keese eingestimmt, abgestimmt. Wenn die Redaktion ein Sandkasten wäre: Keese hätte das Monopol auf die Förmchen. (…)

Ich habe nicht nachgefragt bei Christoph Keese oder Springer, was hinter der Löschung dieses Artikels stand (und von wem sie veranlasst wurde und wann). Ich hätte vermutlich auch keine Antwort bekommen. Mein letzter Kontakt mit Herrn Keese war Anfang des Jahres im Zusammenhang mit dieser Geschichte, und nach einer (zugegeben: sehr verärgerten und unfreundlichen) Mail von mir, antwortete er, er habe genug von meinen „impertinenten Unterstellungen“ und „selbstgerechten Vorwürfen“ und wünsche keine weitere Kommunikation.

Wäre interessant geworden, am 11. September. Wird’s aber bestimmt trotzdem. (Anmeldung hier.)

Super-Symbolfotos (24)

Aus der „B.Z.“ vom 16.08.:

Sicher, der diensthabende Redakteur hätte kurz stutzig werden können, dass sich bei dieser Landmine Höhen und Tiefen regulieren lassen und es eine Anschlussmöglichkeit für den „Mix“ mit, äh, anderen Landminen gibt. Andererseits ist das Ding ja wohl klar und deutlich als „Landmine“ beschriftet. Was soll es sonst schon sein? Etwa ein Gitarreneffektgerät?

Möchten Sie jemanden anrufen?

Am Samstagmorgen gab es für Journalisten zwei Möglichkeiten, sich über die neuen Spielregeln von „Wer wird Millionär?“ zu informieren. Sie konnten entweder eine (fehlerhafte) Meldung der „Bild“-Zeitung übernehmen. Oder die Angaben von der offiziellen Homepage der Sendung abschreiben. (Die dritte Möglichkeit, ein kurzer Anruf bei der auch am Samstag besetzten RTL-Pressestelle, lassen wir aus Gründen des Realismus einfach mal weg.)

Und nun kann man es schon einigermaßen bekloppt finden, dass sich die Nachrichtenagenturen AP und ddp für die „Bild“-Variante entschieden haben. Und dass AP auch am Sonntagvormittag noch einmal als „Wochenendzusammenfassung“ die von „Bild“ übernommene falsche Beschreibung des neuen „Risiko“-Jokers verbreitete, obwohl sich zu diesem Zeitpunkt sogar bild.de schon korrigiert hatte. Und dass AP es nicht übers Herz brachte, in der Korrektur dieser Meldung am Sonntagnachmittag das Wort „Korrektur“ unterzubringen, sondern sie als „zweite Zusammenfassung“ verbrämte.

Aber es kommt noch besser. Raten Sie mal, wer sich ebenfalls nicht auf die richtigen Angaben von RTL, sondern auf die fehlerhaften von „Bild“ und AP verließ:

(Inzwischen ist der entsprechende Artikel bei rtlaktuell.de verschwunden.)

Tim Mälzer

Ich mag Tim Mälzer. Ich mag, wie er ein großer Junge geblieben zu sein scheint, für den die Medienöffentlichkeit und eine große Bühne eigentlich kein natürlicher Lebensraum ist. Ich mag seine schnoddrige Art, die nicht routiniert und kalkuliert wirkt wie bei Oliver Geißen. Ich mag, wie er sich immer noch in den Routinefloskeln des Fernsehens verheddert, wenn er zum Beispiel nicht weiß, ob er sich herzlich für den Beifall oder für den herzlichen Beifall bedanken soll und dann im Zweifel beides tut. Und aus unerfindlichen Gründen mag ich auch, dass er zwar irgendwie ein großer Koch ist, ihm aber nie mehr als sechs der sieben Standard-Kräuter einer Frankfurter Grünen Soße gleichzeitig einfallen und ihm die genaue Silbenfolge des Wortes „Pimpinelle“ nicht eingängig ist.

Man müsste Tim Mälzer nur irgendwo hinstellen und kochen und quasseln lassen, und es wäre ein Vergnügen zuzusehen. Aber das macht er ja nun auch schon seit ein paar Jahren erfolgreich, und deshalb hat er seit dieser Woche eine große Abendshow auf Vox, die sich nicht mehr auf seine natürlichen Talente verlässt, sondern wirkt, als hätten ihre Entwickler dauernd gezweifelt, ob das schon reicht, und immer neue Elemente in die Show gepropft. Deshalb kocht Mälzer nicht nur, sondern lässt auch zwei Teams gegeneinander antreten, und die kochen auch nicht nur eine Sache, sondern müssen gleichzeitig für eine andere Sache noch Kartoffeln schälen und Gemüse schnippeln und reden und Quizfragen beantworten, die aber nicht Mälzer stellt, sondern ein anderer Moderator, der aber auch nicht der Experte ist, das ist ein Wissenschaftler, der aber auch nicht der einzige bleibt, es kommt später noch ein Professor, und dass Mälzer dessen Namen vergessen hat, ist auch kein Wunder; man hätte es ihm in dem Durcheinander sogar verziehen, den ganzen Professor vergessen zu haben. „Born to cook“ ist eine Sendung, in der zu keinem Zeitpunkt weniger als vier Sachen gleichzeitig passieren, und die Putzfrauen sind nicht zu beneiden, die hinterher nicht nur die Lebensmittelreste, sondern auch die ganzen abgerissenen Satzfetzen, verkochten Gedankengänge und verlorenen Gesprächsfäden aus der Halle kehren müssen.

Man sieht der Show an, dass sie von Johannes B. Kerner produziert wird, in dessen erfolgreicher freitägliche Kochsendung im ZDF fünf Köche parallel fünf Gerichte kochen, mit all dem Gewusel, Durcheinander und Missverstehen, das daraus folgen muss. Sie folgt dem gleichen Prinzip der Reizüberflutung, der systematischen Überforderung durch Multitasking und dem Credo „mehr ist mehr“. Mit etwas Pech wird das ein Trend.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

„Manager Magazin“ im Schönwaschgang

Na, da lass ich mich doch nicht zweimal bitten.

Da ist zum Beispiel die schöne Geschichte, wie plötzlich ein kümmerlich karger Wikipedia-Eintrag über das „Manager Magazin“ erblühte — fruchtbar gemacht durch einen warmen PR-Schauer:

(…) manager-magazin.de hat (…) seine Reichweite auf hohem Niveau stabilisiert. (…)

Kernelementen des Magazins sind exklusive Informationen und fundierte Unternehmensberichterstattung. Das manager magazin analysiert und dokumentiert unternehmerische Erfolge und Misserfolge; liefert exklusiv Namen und Nachrichten aus den Top-Etagen; verrät anhand konkreter Fallstudien, wie Unternehmen Probleme erfolgreich lösen; beschreibt, wie Manager Führungsaufgaben angehen, wie sie Weichen für die Zukunft stellen, Mitarbeiter motivieren, und porträtiert die Macher der Wirtschaft. (…)

Sein investigative Ansatz erzeugt Nachrichten, die manager magazin zu einem der meistzitierten Wirtschaftsmagazine Deutschlands machen. (…)

(…) konnte die Auflage in einem für die Wirtschaftspresse sehr schwierigen Jahr mit einem Rekordergebnis abgeschlossen werden. Der hohe hohe Abonnentenanteil von 46,8 Prozent bietet dem Anzeigenkunden große Planungssicherheit.

Und so weiter und so fort. Der anonyme Nutzer, der den Eintrag mit vielen Absätzen dieser Art veredelt hatte und die nächsten Stunden noch mit diversen Detailverbesserungen verbrachte, tat dies aus dem Computernetz des Spiegel-Verlages. Der bringt, Überraschung, auch das „Manager Magazin“ heraus. (Die Änderungen waren kurz darauf schon wieder Geschichte. Mit der lapidaren Erklärung „werbekram rausgeworfen“ machte sie jemand komplett rückgängig.)

Aber der Wiki-Scanner entblößt den Spiegel-Verlag nicht nur in diesem Fall als Selbstdarsteller, wie „Spiegel Online“ formulieren wurde. Anonym, aber von einem „Spiegel“-Computer aus, wurde im Juni auch der Wikipedia-Eintrag über den deutschen Milliardär Karl-Heinz Kipp verändert. Ursprünglich stand dort:

Er nimmt Rang 132 auf der Forbes Liste der reichsten Menschen (2007) mit geschätzten 5,7 Milliarden US-Dollar ein (…)

Ein „Spiegel“- oder „Manager Magazin“-Mensch machte daraus:

Er nimmt Rang 37 auf der Manager Magazin Liste der reichsten Deutschen (2006) mit geschätzten 2,9 Milliarden Euro ein.

Dass keine objektiv sachlichen Gründe für die Änderung sprachen, lässt sich schon aus der Tatsache erahnen, dass die „Forbes“-Liste vom März 2007 stammt, die des „Manager Magazins“ aber schon ein knappes halbes Jahr älter ist.

Zwischenzeitlich war diese Schönung auch prominent auf der Wikipedia-Seite aufgelistet, die bemerkenswerte Beispiele für Änderungen in Einträgen sammelt und auf die auch der „Spiegel Online“-Artikel verlinkt. Inzwischen hat sie jemand dort gelöscht. Warum auch immer.

[via René per Mail]

Geschafft

Jetzt ist unser BILDblog-Werbefilm schon ein paar Mal im Fernsehen gelaufen und über 25.000 mal im Internet angesehen worden, und eigentlich wollte ich dazu natürlich noch was Nettes bloggen und ein bisschen erzählen, wie das alles war, und nicht nur an den Kollegen rumnörgeln. Über sieben Monate sind vergangen von der Idee bis zur ersten Ausstrahlung heute — entsprechend groß war der Tag heute für mich und für uns.

Doch jetzt bin ich zu k.o. zum Schreiben. Ich kann nur sagen: Ich bin wahnsinnig dankbar und ein bisschen stolz.

(Und damit das hier kein völlig sinnloser Eintrag bleibt, nutze ich die Gelegenheit, auf den Sprecher in dem Spot hinzuweisen. Es ist Michael Lott, der sonst die Stimme von Premiere ist und auch deren bombastische Werbefilme spricht. Ich bin sein Fan, seit er in der wunderbaren und entsetzlich gefloppten Sat.1-Serie „LiebesLeben“ (Regie übrigens: Tobi Baumann) so herzzerreißend traurig und komisch den hoffnungslosen Verlierer Edwin gespielt hat.)