Wenigstens lässt sich beim (monatlich 37,5 Millionen Mal besuchten) Online-Auftritt von RTL die Frage „Merken die noch was?“ klar beantworten.
(Note to self: Bei rtl.de nicht hinter die Werbung gucken.)
Wenigstens lässt sich beim (monatlich 37,5 Millionen Mal besuchten) Online-Auftritt von RTL die Frage „Merken die noch was?“ klar beantworten.
(Note to self: Bei rtl.de nicht hinter die Werbung gucken.)
(Entdeckt von Leo.)
So sieht aktuell die Startseite von rtl.de aus:
Und das Beste: Die nicht wegklickbare Werbung für Betty (rechts) liegt so geschickt über der T-Home-Werbung (das Gewusel in der Mitte), dass sie deren „Schließen“-Button verdeckt.
Vermutlich wird rtl.de schon bald darauf verzichten, den Lesern noch die Illusion zu geben, zwischen und hinter der Werbung lägen redaktionelle Inhalte.
Paris Hilton hat einem neuen journalistischen Genre zum Durchbruch verholfen — dem Bericht, der sich von sich selbst distanziert.
· · ·
Man kann es verstehen, dass die Leute vom RTL-Mittagsmagazin „Punkt 12“ genervt sind von Paris Hilton. Am Freitag drängte sie sich schon wieder in die Sendung. Ausführlich musste sich das Magazin den neuesten Entwicklungen widmen – und schon wieder Sendezeit für wichtigere Themen opfern. Dem Beweis zum Beispiel, dass auch eingefleischte Rockträgerinnen in diesem Sommer gerne mal Hosen tragen, der mit drei Probandinnen bestimmt überzeugender gewesen wäre als mit zweien. Ohne Paris Hilton hätte „Punkt 12“ sicher auch noch gründlicher auf Britney Spears eingehen können, die irgendeinen Streit mit ihrer Mutter hat und ausgerechnet die Paparazzi fragen musste, wo sie sich gerade aufhält, damit sie ihr einen Zettel geben konnte, von dem manche vermuten, es sei eine richterliche Anordnung, was man aber auf den unscharfen Aufnahmen nicht gut erkennen konnte, und „Punkt 12“ hatte – wegen Paris Hilton! – nur Zeit, sie drei- oder viermal zu zeigen.
Kein Wunder also, dass Beiträge über Paris Hilton bei „Punkt 12“ schon mal ein bisschen bösartig ausfallen – fast widerwillig sogar, sich des lästigen Themas überhaupt annehmen zu müssen.
Und es sind ja nicht nur die Magazinleute von RTL. Paris Hilton hat einem neuen journalistischen Genre zum Durchbruch verholfen: Dem Bericht, der sich von sich selbst distanziert. Ungefähr kein Medium auf der Welt hat darauf verzichtet, über ihren Auftritt bei Larry King zu berichten. Fast alle verbanden ihre Berichte mit der Empörung, dass nun alle Welt über diesen Auftritt berichtet. Die Berichterstattung ist ein Hochfest der Bigotterie.
„Paris Hilton und kein Ende“, stöhnte Spiegel Online gleich am Anfang eines Artikels über das Interview, suggerierte mehrmals die eigene Müdigkeit mit dem Thema, um dann in erstaunlicher Länge jedes Detail des angeblich so unergiebigen Gesprächs zu referieren. Zum Schluss behauptete Korrespondent Marc Pitzke noch, dass „inzwischen ja selbst die US-Klatschpresse langsam die Nase voll hat von der Saga“, was erstens lustig ist, da das für Spiegel Online offensichtlich ja noch nicht gilt – und zweitens falsch. Pitzke ist auf den PR-Gag der Zeitschrift „Us Weekly“ hereingefallen, die damit warb, die aktuelle Ausgabe sei „100 Prozent Hilton-frei“. In Wahrheit hatte das vor allem damit zu tun, dass die Konkurrenz „People“ Hilton exklusiv hatte. Während die gedruckte „Us Weekly“ mit ihrem Hilton-Boykott warb, lockte ihre Homepage mit nicht weniger als fünf Artikeln zum Thema.
Ähnlich überzeugend war es, als Moderator Sean Hannity seine Fox-News-Talkshow zur „Paris-freien Zone“ erklärte – mitsamt passendem Verbotsschild. Schöne Idee, hätte nicht Fox News den Namen Paris Hilton im Juni über 4000 Mal erwähnt und es mit gewaltigem Vorsprung zum Hilton-lastigsten Nachrichtenkanal in den Vereinigten Staaten gebracht.
Bei der Konkurrenz von MSNBC beklagte sich eine Frühstücksfernseh-Moderatorin unterdessen, dass es ein Skandal sei, die Nachrichten mit der Paris-Hilton-Geschichte aufzumachen, versuchte in einem dramatischen Akt des Protests das Manuskript zum Thema zu verbrennen und schredderte es dann. Und während sie noch mit ihren Kollegen zu streiten schien, liefen die Aufnahmen von Hiltons Entlassung aus dem Gefängnis.
Die Medien machen sich abwechselnd und sogar gleichzeitig zum führenden Paris-Hilton-Sender und zum letzten Ort des Widerstandes, und sie fühlen sich dabei auch noch moralisch überlegen.
Aus den lieblos zusammengeklöppelten Filmchen, die die Onlinemedien neuerdings auf ihre Seiten stellen, sickert plötzlich Ironie und Überheblichkeit. Bei Spiegel-TV sind die Bilder, wie Hilton das Gefängnis verlässt und an einer unfassbaren Zahl von Kameras vorbei geht, mit den Worten unterlegt: „Die 23jährige wirkt etwas müde, aber es reicht noch für eine Extra-Einlage vor den Fotografen. Das Starlet hat während seiner Haftzeit offensichtlich nichts verlernt.“ Was ist das für ein Unfug! „Selbst kurz vor ihrem Haftantritt feierte das selbst-ernannte It-Girl noch einmal eine Party.“ Frau Hilton hat sich selbst zum It-Girl ernannt? Und wie lang hätte die Ausgangssperre vor dem Haftantritt sein müssen, um vor den strengen Ausgaben der klickgeilen Spiegel-TV-Leute bestehen zu können? „Fest steht“, schließt der Beitrag, „Hiltons Knast-Story lässt sich exzellent vermarkten.“ Aber ja. Und keiner weiß das besser als das Internetangebot des „Spiegel“, das im vergangenen Monat 28 Artikel zum Thema Paris Hilton veröffentlicht hat.
Für die bemitleidenswerten Boulevardhandwerker im Fernsehen, die sonst ihre Tage damit fristen, „Bild“-Geschichten zu verfilmen und willige Vollstrecker von PR- und Werbestrategen zu sein, scheint das Thema Paris Hilton eine seltene Gelegenheit zu sein, sich einmal als richtige Journalisten zu fühlen. Einmal, ein einziges Mal Distanz beweisen und nicht nur das neue Video, die angebliche Liebe, das teure Produkt von irgendwem bejubeln. Voller Empörung prangert „Punkt 12“ an, dass Hilton bei Larry King gelogen habe, als sie sagte, sie nehme keine Drogen. „Paris beim Kiffen — gleich nach den ‚V.I.P-News'“, sagt Moderatorin Katja Burkard. „Gut geheuchelt, Paris“, heißt es dann im Beitrag selbst. Und, als gehe es hier um die Zukunft der Welt: „Paris, die Lügnerin“.
Selbst die Imitation von Journalimus, die Katja Burkard und ihr Team versuchen, misslingt ihnen. „Zugegeben“, heißt es im RTL-Beitrag , „diese Privatvideos sind zwei Jahre alt, aber erst heute im Internet aufgetaucht.“ Keineswegs. Die Videos sind lange schon öffentlich — selbst auf der Seite, von der RTL sie hat. (Bei „taff“ auf ProSieben wird später eine als „Lady“ angekündigte Frau namens Kader Loth den Auftritt Paris Hiltons kritisch kommentieren — jede Wette: Die ProSieben-Leute haben nicht einmal die Ironie erkannt.)
In der Berichterstattung über die Berichterstattung über Paris Hilton schwingt immer der Vorwurf mit, sie missbrauche die Medien. Längst ist das Gegenteil der Fall: Die Medien missbrauchen Paris Hilton. Und längst nicht mehr nur für gute Quoten und Klickzahlen, das wäre ja ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Durch die Häme, den Hass, die pseudo-journalistische Haltung, die die Medien gegenüber Paris Hilton einnehmen, lenken sie ab von ihrem eigenen Versagen. Davon, dass es sie bei keinem anderen Sternchen und Model, bei keiner anderen Möchtegernberühmtheit stört, dass sie nichts kann außer nett auszusehen und berühmt zu sein. Davon, dass ihnen die Prioritäten, ein auch nur vages Gefühl dafür, was relevant ist und was nicht, längst grundsätzlich verrutscht sind.
Und sie merken nicht einmal, wie lächerlich und verlogen sie sind, wenn sich an Paris Hilton abarbeiten.
(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Ich hatte sie schon eine Weile, die Excel-Dateien mit den höchst detaillierten Programmbeobachtungen, die die Firma Callactive von ihrem Konkurrenten 9Live angefertigt hat. (Callactive produziert im Auftrag von MTV zweifelhafte Call-TV-Sendungen.) Ich fand diese Akribie bemerkenswert, aber natürlich an sich nicht verwerflich. Geschrieben habe ich über diese Auswertungen erst, als ich las, dass die Anwälte von Callactive ihre Existenz angeblich bestreiten.
Inzwischen hat Frank Metzing, der Anwalt des Forums call-in-tv.de, einen Einblick in die Listen gegeben, die ihm vorliegen und die direkt von Callactive-Geschäftsführer Stephan Mayerbacher stammen sollen. Es handele sich um eine Tagesauswertung des 1. April 2007 und eine vollständige Auswertung Auswertung des Monats Mai 2006 — inklusive einer Zusammenfassung der gravierendsten Regelverstöße von 9Live und dem Hinweis auf entsprechendes „Beweis“-Material.
Einen Tag, bevor ich die Auszüge aus den mir vorliegenden Listen veröffentlichte, habe ich bei Herrn Mayerbacher nachgefragt, ob er die Aussage seiner Anwälte bestätige, dass solche Listen nicht existieren. Ich habe keine Antwort von ihm bekommen.
Stattdessen wurde der Eintrag von jemandem, der sich „Journalist“ nennt, erstaunliche 41-mal kommentiert. Vieles spricht dafür, dass es sich bei dem Absender um Stephan Mayerbacher selbst handelt. Der „Journalist“ bestreitet dies. Und derjenige, der die Kommentare abgegeben hat, war schlau genug, seine IP-Adresse (die automatisch festgehalten wird und anhand man der man erkennen kann, von welchem Rechner ein Kommentar abgegeben wurde) jedesmal zu anonymisieren.
Äh, halt: fast jedesmal. Einer der Kommentare von „Journalist“ hat die gleiche (nicht öffentliche) E-Mail-Adresse, aber eine andere IP: 62.245….
Es handelt sich… richtig: um eine IP-Adresse der Firma Callactive.
Aber vermutlich bereiten die Anwälte von Herrn Mayerbacher in diesen Minuten schon ein Schreiben vor, in dem sie bestreiten, dass die Firma Callactive überhaupt existiert.
Man stellt sich das so einfach vor, das Geschäft mit den Anrufsendungen. Einfach ein Rätsel aus dem Archiv holen, drei Stunden niemanden durchstellen, 700 Countdowns starten, doch noch jemanden durchstellen und ihm einen Bruchteil der Einnahmen plus Plasmafernseher geben.
So einfach ist das nicht. Die Firma Callactive jedenfalls, die für drei MTV-Sender täglich den „Money Express“ produziert, gibt sich da schon ein bisschen mehr Mühe. Sie beschäftigt nicht nur Anwälte, die sich um nervige Kritiker kümmern, sondern offenbar auch Menschen, die sich intensiv mit der Konkurrenz auseinandersetzen. Mutmaßlich, um von ihr zu lernen. Vielleicht auch, um Material gegen sie in der Hand zu haben. Man weiß es nicht.
Es sind eindrucksvolle Excel-Tabellen, die auf diese Weise entstehen. Oben angegeben sind darauf jeweils zwei „Watcher“ — vermutlich die beiden bemitleidenswerten Menschen, die das 9Live-Programm des jeweiligen Tages genau verfolgen mussten, um es minutiös zu dokumentieren. Interessant ist anscheinend ungefähr alles. Es gibt eine Tabelle, in der notiert ist, wann genau 9Live auf die Mitmachregeln oder den Ausschluss Minderjähriger hingewiesen hat:
Es gibt eine Aufstellung der Gewinnsummen, die 9Live pro Tag, pro Woche, pro Monat ausgespielt hat, Sachpreise inklusive:
Notiert wird, wer von wann bis wann moderiert, welche Fragen gestellt werden, wie die Antworten lauten, in welchem Modus gespielt wird, ob es Trostpreise gab. Da stehen die Namen derjenigen, die gewonnen haben, mitsamt ihres Gewinns — und die Namen derjenigen, die nicht gewonnen haben:
Jede Erhöhung der Gewinnsumme ist mit genauer Sendezeit protokolliert, und wenn „ein Pflegeset zusätzlich zum Fixpreis“ ausgelobt wird oder Moderator Max „tanz und turneinlagen einlegt“, wird auch das vermerkt. Anscheinend hat am 15. April um 11.40 Uhr ein „Hr. Foss (Arzthelfer)“ angerufen und von Jürgen 20 Euro Trostpreis bekommen, weil er das Spiel nicht verstanden hat. Am 20. April um 18.09 Uhr notierten die „Watcher“ aufgeregt: „Countdowns onhe Evetn!!!! unerlaubter Zeitdruck Trommelwirbel/Ticken/ Sirene“ (als sei das nicht Alltag bei ihrem eigenen Sender). Und am 24. April um 20.46 Uhr stöhnen sie über „ewige stressalarme“.
„Verstöße/Besonderheiten“ werden in einer eigenen Spalte erfasst, und schlimme Dinge scheinen noch einmal rot oder kursiv hervorgehoben zu werden:
Als Autorin ist in den Excel-Dateien Nadine Rumpf angegeben, die Leiterin der Callactive-Redaktion, die selbst von 9Live kommt und laut Callactive „als eine der erfahrensten Führungskräfte in der Produktion von interaktiven Formaten in Europa gilt“.
Vielleicht sind solch detaillierte Konkurrenzbeobachtungen üblich in dieser Branche, ich weiß es nicht. Verboten oder irgendwie schlimm sind sie sicher nicht. Aber die Excel-Dateien von Callactive mit den Auswertungen des Programms und / oder der Gewinnsummen sind etwas ganz besonderes. Es sind Zauber-Dateien. Man kann sie zwar ansehen, kopieren, bearbeiten, ausdrucken, weiterschicken. Aber es gibt sie gar nicht. Die Rechtsanwälte von Callactive teilten dem Rechtsanwalt des kritischen Call-TV-Forums call-in-tv.de jedenfalls nach dessen Darstellung auf Nachfrage mit:
„(…) eine Auswertung des Programms und / oder der Gewinnsummen bei 9live hat die Callactive GmbH nicht.“
Die Firma Callactive, die für MTV täglich eine Sendung mit dubiosen Anrufspielen produziert, ist vorläufig mit dem Versuch gescheitert, einem kritischen Internetforum zu untersagen, die erstaunlich vielen verwirrten Anrufer „verwirrte Anrufer“ zu nennen. Das Landgericht München wies am vergangenen Montag einen Antrag auf eine einstweilige Verfügung zurück.
Die Sendungen „Money Express“, die nachts auf Viva, Comedy Central und Nick laufen, zeichnen sich dadurch aus, dass auffallend häufig Anrufer durchgestellt werden, die bei hohen Gewinnsummen sehr abwegige Antworten geben, nichts sagen oder gleich wieder auflegen. Der Verdacht, dass es sich dabei um „Fake-“ oder „Schein-Anrufer“ handelt, liegt nahe, ist aber unbewiesen. Marc Doehler, der Betreiber des Forums call-in-tv.de, hat deshalb eine Unterlassungserklärung abgegeben, in der er sich verpflichtet, solche Behauptungen nicht mehr aufzustellen. Er richtete im Forum eine Sperre ein, die die Begriffe „Fake-Anrufer“ oder „Schein-Anrufer“ automatisch durch „verwirrte Anrufer“ ersetzt.
Callactive beklagt nun, dass auf call-in-tv.de der Begriff „verwirrte Anrufer“ als Synonym für „Fake-Anrufer“ verwendet werde und somit der verbotene Vorwurf weiter erhoben werde: Die „unwahre Behauptung“, es gäbe in Callactive-Sendungen Fake-Anrufe, werde weiterhin aufgestellt, „jedoch auf eine viel hintersinnigere, ‚codierte‘ Art und Weise“.
Die Anwälte argumentierten:
Dass [Callactive] jederzeit damit rechnen muss, dass die „wahre Bedeutung“ dieses Begriffs weitere Kreise zieht, zeigt sich schon an der Reaktion auf ihr Abmahnschreiben, das in einschlägigen Foren hämisch diskutiert wird. Die Behauptung, in ihren Sendungen würden Fake-Anrufe platziert, ist aber für [Callactive] existenzbedrohend.
Das Gericht widersprach:
Unter der Formulierung „verwirrte Anrufer“ sind nach objektivem Verständnis solche Anrufer zu verstehen, die sofort auflegen oder plötzlich keinen Ton herausbingen. Dies kommt gerichtsbekannt im Rahmen der Sendungen der Antragstellerin auch vor. (…) Es handelt sich lediglich um eine objektive Beschreibung der Tatsache, dass zahllose Anrufer sich als Blindgänger entpuppen. (…)
Dass ein „eingeschworener Kreis von Forumsbesuchern“ die Formulierung „verwirrter Anrufer“ in dem Sinne „Schein-“ bzw. „Fake“-Anrufer verstehe, mache keinen Unterschied, so das Gericht. Die würden die Änderung auch durchschauen, wenn call-in-tv.de den Begriff „FAke-Anrufer“ beispielsweise durch „Ehrenmänner“ ersetzen würde.
[call-in-tv.de] muss es möglich sein, ein kritisches weblog aufrechtzuerhalten. Dies wäre ihm jedoch verwehrt, wenn man ihm jede Formulierung untersagen würde, aus der Nutzer, die seine Seite schon vorher kannten, möglicherweise den Schluss ziehen könnten, er wolle damit sagen, bei den Sendungen der Klägerin gebe es unter Umständen „Fake“-Anrufer.
Nachtrag, 1. August. In zweiter Instanz hat das Oberlandesgericht München den Beschluss kassiert.
Bis gestern dachte ich, der Satz „Wir haben dieses Gespräch vor der Sendung aufgezeichnet“ sei nur eine Floskel. Eine merkwürdiges Ritual, mit dem öffentlich-rechtliche Nachrichtensendungen ungefragt ihre Transparenz beweisen.
Ist aber nicht so. Ist ein wichtiger Satz. Und bedeutet in Wahrheit ungefähr: „Gehen Sie nicht so streng mit dem Interviewpartner ins Gericht, den sie gerade gesehen haben, denn im Zweifelsfall weiß der gar nicht so genau, in welchem Kontext wir seine Aussagen gebracht haben.“
Fernsehen ist merkwürdig. Ungefähr alles am Fernsehen ist merkwürdig.
Da sitzt man dann um zwanzig nach acht in einem sehr kühlen Studio zwischen Reichstag und Bahnhof Friedrichstraße, weil das „Nachtmagazin“, das vier Stunden später beginnt, ein „Schaltgespräch“ mit einem führen will. Das Studio ist, glaube ich, ganz schön groß, aber davon sieht man nichts, weil alles dunkel ist. Bis auf eine kleine, sehr helle Ecke, in der der unscheinbarste Stuhl steht, den man sich vorstellen kann, und davor eine Kamera und zwei Monitore. Ich bekomme so einen Knopf ins Ohr und ein Mikrofon ans Revers, die Maskenbildnerin tupft mich noch einmal ab, dann geht sie raus, und ich bin allein.
Ich habe bei diesen Fernsehleuten ohnehin immer das Gefühl, ganz auf mich allein gestellt zu sein. Ich bin sicher, wenn ich nicht selbst merke, dass sich der Hemdkragen fies verkantet hat oder mir etwas aus der Nase hängt, wird mich niemand darauf hinweisen, und am nächsten Tag bin ich das Gespött der Leute. Es gibt einem auch keiner so Tipps wie: „Wenn Sie den Kopf ein bisschen so drehen, können Sie locker ein Drittel ihres Doppelkinns verbergen“ oder: „Nein, bei Ihrer Statur müssen Sie sich auf keinen Fall / auf jeden Fall nach vorne beugen“. Nix.
Man sitzt da, und die einzige Anweisung, die man bekommt — über den Knopf im Ohr — lautet: „Immer schön nach vorne in die Kamera gucken.“ Das ist einerseits ein bisschen schwierig, denn diese Kamera ist ein großes schwarzes Loch, in dem nichts zu sehen ist außer ein paar weißen Markierungen. Viel mehr zu sehen wäre auf dem Monitor links von der Kamera, wo ich mich selbst sehe. Und vor allem auf dem Monitor rechts von der Kamera, in dem das fertige Fernsehbild erscheint mit dem Moderator, mit dem ich ja rede (und mit der Reichstagskuppel bei Nacht, dabei war es noch hell). Andererseits sehe ich, sobald ich rechts auf den Monitor sehe, wie ich auf dem Fernsehbild merkwürdig aus dem Bild sehe. Ja, das ist so verwirrend, wie es sich anhört.
Ich bin fast sicher, dass ich das theoretisch sogar gelernt habe, das semiprofessionelle In-die-Kamera-Gucken, damals, an der Journalistenschule in München, bei Sabine Sauer. Die sollte uns in kürzester Zeit zumindest eine Ahnung vom Moderieren und dem Umgang mit der Kamera beibringen, und wenn ich mich recht erinnere, war das schon damals nicht meine Stärke.
Und es hilft nicht, dass ich den Beitrag nicht kenne, der in der Sendung dann unmittelbar vor dem Gespräch mit mir laufen wird und von dem jeder Zuschauer annehmen muss, dass sich meine Sätze irgendwie auf ihn beziehen. Es gab zwar ein kurzes Vorgespräch mit dem Moderator. Und ich weiß, dass die erste Frage ungefähr lauten wird: „Herr Niggemeier, wird im Internet gerade alles schlimmer?“ (Okay, wäre auch ein Grund, das Gespräch an sich abzusagen.) Aber es ist natürlich ein Unterschied, ob die Zuschauer unmittelbar vor meiner relativierenden Antwort einen Beitrag über eine neue Welle von Kinderpornos im Netz oder nur über lautstarke Auseinandersetzungen in Weblogs gesehen haben. Die Autorin des Beitrags hatte mich eigentlich vor der Sendung noch anrufen und grob über den Inhalt informieren wollen. (Naja, hat sie auch, wie ich am nächsten Tag erfuhr, als ich den Anrufbeantworter im Büro abgehört habe. Da war ich wohl schon zuhause, Hemd bügeln und gucken, ob das zur Not noch mit dem grauen Jackett geht.)
Ja. Und dann spricht man drei oder vier Minuten nach geradeaus in diese weißen Markierungen auf der großen Kamera, versucht, nicht zu viel Gehirnzellen mit dem Gedanken zu blockieren, wie das wohl im Fernsehen aussieht, wie man gerade guckt und sitzt und den Kopf hält, und dann ist alles vorbei und noch schlimmer. Denn den Fernsehleuten, soviel ist ja mal klar, ist es völlig egal, ob ich mich da gerade um Kopf und Kragen geredet habe. Die sagen mir sicher nicht: „Äh, Herr Niggemeier, sind Sie sicher, dass Sie das so sagen wollten? Wir könnten das sonst zur Not auch nochmal…“ Und ich stehe auf der Straße und bin auf eine merkwürdige Weise gleichzeitig euphorisiert und verunsichert und weiß wieder, dass ich eigentlich sehr gerne einfach hinter meinem Computer sitze und jeden Satz dreimal umschreiben kann und mir nicht einmal überlegen muss, wie ich dabei aussehe.
Farid Müller hat eine »paradoxe gesellschaftliche Entwicklung« ausgemacht. »Die zunehmende Liberalität hat offenbar einen Rollback produziert. Die Toleranz geht insgesamt zurück.« Ein Trend, den auch Professor Wilhelm Heitmeyer in seiner Langzeitstudie Deutsche Zustände festgestellt hat.
Danach ist der Anteil der Deutschen, die Homosexualität für unmoralisch halten, im vorigen Jahr von 16,6 auf 21,8 Prozent gestiegen. Als Grund für zunehmende Feindseligkeit, auch gegen andere Minderheiten, nennt die Studie Orientierungslosigkeit und Angst vor dem Abstieg. Dabei gingen die Aggressionen gegen die vermeintlich Schwächeren nicht von den Rändern der Gesellschaft aus, sie kämen aus der Mitte – jene tragende Schicht, die bislang als Garant von Normalität und politischer Stabilität galt, sei im Begriff, sich zu radikalisieren.
· · ·
If a queer comes on to you in Indiana and you kill him, pipe up about it because you just might get a pass. And hey, if you happen to kill someone who isn’t queer, just call him queer anyway and you still might get a pass.
· · ·
Only a lean, mean, twelve-thousand hours stand between us and election day. In the meanwhile, your cable news professionals will help pass the time by reporting on all sorts of nonsense.
Die „Huffington Post“ über die Vor-Vor-Wahlkampfberichterstattung in den amerikanischen Medien mit der entscheidenden Frage: Wäre Michael Bloomberg überhaupt groß genug, um Präsident zu werden? — (Auch bei Newshounds mit FOX-News-Video.)
· · ·
Was jetzt schön wäre: Nächstes Mal nicht gleich die Nerven zu verlieren und Christian Pfeiffer zu fragen.
Alexander Svensson über die zweifelhaften Instant-Diagnosen des Medienlieblings Christian Pfeiffer.
· · ·
Ich würde mir wünschen, dass die Politik endlich aufhört, IT-Themen als kleine Randthemen zu belächeln und merkt, dass die Situation, die der aktuelle juristische Wildwuchs schafft, ein gewaltiges Hindernis für die Entwicklung der IT-Industrie darstellt.
Gernot Poetsch über das Problem der deutschen Politik mit dem Internet. Oder umgekehrt.
Ist der bekannte Blogger Don Alphonso ein „zynisches Dreckschwein, unfreundlich, inkompetent und faul“? Ganz bestimmt nicht. Don Alphonso ist doch nicht faul.
Nun ist es aber so, dass Don Alphonso (oder sein Alter Ego Rainer Meier) auch als Journalist arbeitet. Und dass Don Alphonso bei einem Vortrag vor Journalistikstudenten in Leipzig sagte: „Journalisten sind zynische Dreckschweine“. Müsste man dann nicht sagen dürfen, dass Don Alphonso ein zynisches Dreckschwein ist? Schon aus Gründen der Mengenlehre?
Auf gar keinen Fall, findet Don Alphonso, und drohte einer Journalistikstudentin jetzt mit dem Anwalt.
Formal geht es ihm darum, dass sie ihn mit den Worten zitierte: „Alle Journalisten sind zynische Dreckschweine“. Das aber habe sie sich „passend gelogen“. Tatsächlich habe er nur „allgemein von Journalisten gesprochen“. — Fragt sich, worin genau der Unterschied liegt. Insbesondere, da Don Alphonso die angeblichen Fehler im Bericht eines anderen Anwesenden minutiös auflistete, sich aber offenbar nicht daran stieß, dass der seinen Satz wie folgt wiedergab:
Der Wirtschaftsjournalist Meyer beschimpfte die deutschen Journalisten als „zynische Dreckschweine“.
Es ist schwer, einen materiellen Unterschied zwischen dieser Formulierung (an der Don Alphonso, wie gesagt, bisher keinen Anstoß nahm) und der Aussage „alle Journalisten sind zynische Dreckschweine“ zu sehen. Auch andere Augenzeugen haben seine Äußerung offenbar als umfassendes Urteil über die Journalisten insgesamt verstanden.
Und obwohl Don Alphonso natürlich ein Recht darauf hat, korrekt zitiert zu werden, ist seine Reaktion doch erstaunlich. Er kommentierte:
Du verbreitest damit ein gefälschtes Zitat und in der Folge eine falsche Tatsachenbehauptung und leitest davon eine Beleidigung ab. Das ist nicht nur ein Verstoss gegen den Pressecodex [sic!], sondern auch nicht in Einklang mit den in Deutschland gültigen Gesetzen.
Geschrieben hatte sie:
Don Alphonso ist wahrscheinlich ein Journalist. Das heißt aber auch, nach seinen eigenen Aussagen: Er ist ein zynisches Dreckschwein. Und er ist unfreundlich, inkompetent und faul. Danke, Rainer Meyer, dass Du so ehrlich zu uns warst.
Don Alphonso beließ es nicht bei bösen Kommentaren, sondern drohte mit juristischen Schritten. Auch nachdem die Autorin das Zitat korrigiert und die vermeintliche Beleidigung entfernt hatte, äußerte er noch vage Drohungen.
Irgendwann am Sonntagabend hat die Studentin entnervt aufgegeben. Ihr Beitrag in ihrem eigenen Blog und auf den Seiten der „Thüringer Blogzentrale“ besteht nur noch aus der Richtigstellung und den Kommentaren. Ich bedaure diese Kapitulation. Aber ich kann sie verstehen.
Vorher hatte Don Alphonso den Studenten, die sich in der Ablehnung seiner Person (oder angeblichen Kunstfigur, wer weiß es?) weitgehend einig waren, sich aber teilweise untereinander zofften, noch einen Tipp mitgegeben:
Es ist nämlich so mit den Konflikten beim Bloggen: Es gibt noch was anderes als Vollgas. Man muss lernen, wo die Grenze ist. Man darf von Journalisten allgemein sagen, dass sie k****** D****** sind, man darf von PR-oleten reden. Allgemein. Aber so direkt geht das gar nicht, Weder im Journalismus, noch in der Blogosphäre. Ausser man hat wirklich den Einfluss, sowas durchzuziehen. Das kann man vielleicht machen, wenn man eine paar hundert Leute grosse Horde im Hintergrund hat, die sich einen Ast lachen, wenn DA mal wieder einen Event aufmischt.
Man kann viel lernen aus dieser Geschichte über Don Alphonso, seine Selbstwahrnehmung und seine Umgangsformen, und es lohnt sich, die nun einsam dastehenden Kommentare zu lesen. Ich hoffe, die Seminarveranstalter dieses Landes lesen das mit und überlegen sich gut, ob sie für das bisschen Show, das er ihnen liefert, in Kauf nehmen wollen, dass ein Referent, den sie eingeladen haben, hinterher ihre Studenten einschüchtert, anpöbelt und damit droht, sie zu verklagen.