Mehr über dsds-news.de steht beim „Massenpublikum“.
Mehr über dsds-news.de steht beim „Massenpublikum“.
Ich sehne mich nach Helmut Thoma. Das ist kein gutes Zeichen.
Ich sehne mich danach, dass irgendein deutscher Senderverantwortlicher etwas sagt, wofür man ihn lieben oder hassen kann. Der sich aus dem Fenster lehnt. Angreifbar macht. Okay, der letzte, der das getan hat, Marc Conrad, war nach 100 Tagen seine Stelle los.
Aber kann man diese Jobs wirklich ohne jede Leidenschaft machen? Ohne jede Vision? Ohne jeden Glauben an einzelne Programme? Ohne jeden Ehrgeiz, das Publikum für solche Sendungen zu begeistern? Ohne jeden Mut, eine Meinung zu haben, und sie auch zu äußern?
RTL-Geschäftsführerin Anke Schäferkordt hat in dieser Woche der „Süddeutschen Zeitung“ ein Interview gegeben, und sie sagt darin: nichts. Okay, sie kündigt ein, zwei Fernsehfilm-Projekte an, aber der Inhalt dieses mehrere Hundert Zeilen langen Gesprächs lässt sich verlustfrei in einer Kurzmeldung zusammenfassen. Es liest sich, als hätte Frau Schäferkordt sich nicht getraut, irgendetwas zu sagen, und hinterher wäre ihr Pressesprecher nochmal drüber gegangen und hätte auch das, was sie schon nicht gesagt hat, auch noch rausgestrichen. Aber vielleicht hatte Frau Schäferkordt auch einfach nichts zu sagen.
Auf die Frage, wie es kommt, dass der Vorsprung von RTL vor der Konkurrenz im Januar größer war als sonst, sagt sie: „Wir sind gewachsen, die Kollegen in München und Berlin haben verloren.“
Auf den Hinweis, dass die im „CSI“-Stil gedrehte RTL-Serie „Post Mortem“ rasant Zuschauer verliert, und die Frage, ob die Deutschen amerikanische Serien wie „CSI“ zu schlecht kopierten, antwortet sie: „Post Mortem basiert nicht auf CSI, sondern auf einem TV-Movie, das Ende der neunziger Jahre erfolgreich bei RTL lief und auch Post Mortem hieß.“
Auf den Hinweis, dass die Comedys am Freitagabend bei RTL nicht mehr so gut laufen wie früher, sagt sie: „Stimmt, in diesem Genre wird es einiges Neues geben“ und zählt zwei Serien auf.
Auf die Frage, ob RTL die Formel-1-Rechte behalten will, sagt sie: „Sport ist wichtig für uns, aber es gibt eine Schmerzgrenze beim Preis.“
Auf die Frage, ob RTL die Sonntagsspiele der Fußball-EM 2008 kaufen will, sagt sie: „Es ist möglich, dass wir über einige Spiele sprechen werden.“
Auf die Frage nach dem Verhältnis zu Günther Jauch nach dessen ARD-Flirt sagt sie: „Wir arbeiten weiter eng und gut mit Günther Jauch zusammen.“
Und auf die Frage, ob RTL den Krawall, den der Sender mit Dieter Bohlen und „Bild“ für „Deutschland sucht den Superstar“ veranstaltet, überhaupt nocht braucht, sagt sie erst: „Ich finde es gut, dass über unser Programm gesprochen wird.“ Und dann: „Das sind immer wieder nur Zitate aus den ersten drei Sendungen, über einige kann man sicher streiten.“
Nein, Frau Schäferkordt, kann man nicht. Mit Ihnen nicht. Genau das ist es ja. Sie sagen, „darüber kann man streiten“, um dann nicht darüber zu streiten.
Es ist undenkbar, dass Frau Schäferkordt wirklich sagen würde, welche Sprüche Bohlens sie wunderbar findet, welche an der Grenze und welche drüber. Es ist undenkbar, dass sie sich ernsthaft auf die Frage einließe, ob der Umgang mit den Kandidaten in der Sendung Auswirkungen auf den Umgang der Kinder auf den Schulhöfen miteinander haben könnte oder nicht. Es ist undenkbar, von ihr eine klare Aussage zu bekommen, wie sie das Profil von RTL sieht, wieviel Provokation sich der Sender leisten soll und wieviel gediegenen Mainstream und wie man beides unter einen Hut bekommen kann.
Und mehr oder weniger gilt das für die anderen Senderchefs genauso.
Bei keinem einzigen der Programme, die Schäferkordt aufzählt, spürt man so etwas wie Herzblut. Oder auch nur ein besonderes Interesse an diesem einen Film oder dieser einen Serie. Eine Ausnahme gibt es. Über „Deutschland sucht den Superstar“ sagt Sie zu dem Interviewer: „Das ist wahrscheinlich die glamouröseste Show, die Sie in Deutschland 2007 haben.“ Das kann sie nicht ernst gemeint haben.
Ich fürchte, da ist nicht nur die Angst, irgendetwas zu sagen. Sondern auch die Angst, irgendetwas zu tun. RTL ist bei der für Privatsender entscheidenden Zuschauerschaft mit riesigem Abstand Marktführer. Wer, wenn nicht RTL, kann neue Dinge ausprobieren, Ideen verwirklichen, Trends setzen, Visionen entwickeln, Vorreiter sein, etwas riskieren, auch mal Ausdauer zeigen, wenn es nicht so gut läuft, die anderen vor sich hertreiben? Stattdessen verhält sich RTL selbst wie ein Getriebener, immer gehetzt von den Renditeerwartungen der Besitzer einerseits und dem unberechenbaren Verhalten der Zuschauer andererseits.
Was für ein Drama: Die Fernsehmacher wissen nicht mehr, was die Zuschauer sehen wollen — und was sie senden wollen, haben sie längst vergessen.
Liebe Freunde von „Zapp“,
wir freuen uns, dass ihr so oft über uns berichtet und uns so gründlich lest. Und natürlich geht das völlig in Ordnung, wenn ihr auch mal ohne Quellenangabe einfach aus zwei BILDblog–Einträgen einen zweieinhalbminütigen „Zapp“-Beitrag macht — dafür schreiben wir das ja auf: Damit möglichst viele davon erfahren.
Aber wenn Euch das nächste Mal für einen Beitrag wieder einmal kein eigenes Ende einfällt, sondern ihr auch noch unsere Idee einer passenden Illustration übernehmt, dann wäre es doch schön, wenn ihr einen Hinweis darauf geben würdet, von wem sie stammt.
BILDblog:
„Zapp“:
Aus dem Manuskript der Rede, die Kulturstaatsminister Bernd Neumann heute anlässlich der „Berlinale Keynotes“ über die „drängenden Zukunftsfragen der Film- und Medienindustrie“ hielt, in der Fassung, die die Pressestelle seines Ministeriums verschickte:
Ich mag das „Tagesschau“-Blog. Ich glaube, das Prinzip ist genau richtig: den Lesern Einblicke in Entscheidungsprozesse geben, sich mit Kritik auseinandersetzen, ein paar Anekdoten erzählen, ein bisschen Dampf ablassen. Manchmal ist etwas viel Eigen-PR dabei, und von der schonungslosen Transparenz einer BBC ist man noch ein gutes Stück entfernt, doch die Richtung stimmt.
Aber Voraussetzung dafür, dass das funktioniert, ist bei aller zulässigen Positivdarstellung der eigenen Arbeit eine gewisse Grundehrlichkeit, die so ein Blog von den kalkuliert geschönten Pressemitteilungen unterscheidet. Und die vermisse ich, wenn Thomas Hinrichs, der Vize-Chef von ARD-aktuell, über das Gemäkel von Medienjournalisten über die Quote der „Tagesthemen“ heute ironisch schreibt:
Wir haben im letzten Jahr soviele Zuschauer gehabt wie seit sechs Jahren nicht mehr. Jedes Jahr ein paar mehr. Wir wissen auch nicht, wie das passieren konnte, und ich möchte mich auch entschuldigen bei denen, die sich umsonst Sorgen gemacht haben.
Das ist unredlich. Wie es „passieren konnte“, dass die Zuschauerzahlen im letzten Jahr stiegen, weiß Hinrichs genau: Die „Tagesthemen“ begannen 2006 eine Viertelstunde früher als 2005. Eine entscheidende Viertelstunde, weil um diese Zeit viele Menschen ins Bett gehen. Sendungen, die später laufen, müssen ihr Publikum aus einer deutlich kleineren Gesamtzahl von Fernsehzuschauern schöpfen.
Deshalb ist das Gemäkel an den Zuschauerzahlen der „Tagesthemen“ trotz des Zuwachses gerechtfertigt. Der Marktanteil der Sendung ist nämlich deutlich gesunken: Statt 11,5 Prozent schauten nur noch 10,6 Prozent all jener, die zu der jeweiligen Zeit den Fernseher laufen hatten, die „Tagesthemen“.
Und das ist eine Entwicklung, die auch Herrn Hinrichs „verknautscht“ gucken lassen dürfte.
Ich versuch das mal zurückhaltend zu formulieren: In den vergangenen Wochen hat die „Readers Edition“ viel negative Aufmerksamkeit bekommen. Und die freundlichste Umschreibung für das, was da gerade passiert, ist wohl: Die „Readers Edition“ befindet sich in einem schwierigen und schlecht organisierten Umbruch.
Da hat man als Unternehmen prinzipiell mehrere Möglichkeiten, mit der Situation umzugehen. Entweder man arbeitet jetzt mal still vor sich hin, und versucht durch Taten allmählich wieder Vertrauen zurückzugewinnen. Oder man macht es wie die „Readers Edition“ und reißt stattdessen die Klappe richtig weit auf. Veröffentlicht zum Beispiel etwas, das sich „Readers Edition Vision“ nennt und worin mantraartig ein einziger Anspruch wiederholt wird (Hervorhebungen von mir):
„Die Readers Edition (RE) wird in Phase II (und folgenden) zur führenden Plattform für Ideen, Ressourcen, Publishing und die beteiligten Menschen, Unternehmen und Organisationen (Community) rund um das Thema Citizen Journalismus (CJ) und Social Media.
RE bietet die führende Citizen-News-Plattform (…).
Die Readers Edition übernimmt – partizipativ und im Dialog mit allen Beteiligten – die Ideen und Marktführerschaft in den Bereich Citizen Journalismus und Social Media.
Die (erweiterte) Readers Edition ist/wird die führende Community-Plattform für Citizen Journalismus in Deutschland. (…)
Die „Readers Edition“ ist die ‚Best Breed of Citizen Journalismus’ Online-Publikation im deutschsprachigem Raum und darüber hinaus.
Super-Konzept. Wir wissen zwar noch nicht, was wir tun wollen und wie und mit wem, aber wir haben schon mal beschlossen, Erster zu werden, in was auch immer.
Es ist sicher richtig und notwendig, über Bürgerjournalismus und seine Chancen und Möglichkeiten in Deutschland zu diskutieren. Aber das kann ich doch nicht ernsthaft anhand der „Readers Edition“ tun — es sei denn, man bräuchte unbedingt ein Negativbeispiel.
Aktueller Aufmacher ist ein Artikel, der drei Monate nach, ich wette: jedem einzelnen anderen Medium in Deutschland erklärt, dass Polonium gefährlich ist.
Die gleichen Autoren haben gestern einen Artikel über eine neue Impfstudie gegen HIV veröffentlicht, in dem zwar unter Wörtern wie „HIV“ oder „Placebo“ Links zu den entsprechenden Wikipedia-Einträgen liegen, aber der entscheidende Link fehlt: Der zur ddp-Meldung vom vergangenen Freitag, aus der der Artikel fast vollständig zusammengeklöppelt wurde:
Der von der Firma Merck produzierte Impfstoff habe bereits in kleineren Studien in den USA, Kanada, Südamerika, Australien und der Karibik gezeigt, dass er gut verträglich sei und bei mehr als der Hälfte der Teilnehmer eine gegen HIV gerichtete Immunantwort auslösen könne. |
Nach Angaben der Firma Merck, die den neuen Impstoff MRKAd5 HIV-1 entwickelt hat, haben kleinere Studien in den USA, Kanada, Südamerika, Australien und der Karibik bereits gute Ergebnisse gezeigt. Der Impfstoff sei in diesen Studien gut verträglich gewesen und habe bei mehr als der Hälfte der Teilnehmer eine gegen HIV gerichtete Immunantwort ausgelöst. |
Der Impfstoff besteht aus einem abgeschwächten Erkältungsvirus, in dem drei Schlüsselgene des HI-Virus verpackt sind. Dieses Design sorgt dafür, dass zwar das Immunsystem auf den Erreger aufmerksam wird, der Geimpfte jedoch weder an einer Erkältung erkranken noch sich mit HIV infizieren kann. |
Die Test-Impfung besteht aus einem abgeschwächten Erkältungsvirus, in dem drei HIV-Gene verpackt sind. Durch dieses Design soll das Immunsystem auf den Erreger aufmerksam gemacht werden ohne dass die Probanden an einer Erkältung erkranken oder sich mit HIV infizieren können. |
Sollte [diese Phase] viel versprechend verlaufen, soll sich eine weit größere Studie der Phase III anschließen, die dann auch zur Zulassung der Impfung führen kann. |
Wenn die ersten Phasen der Studie vielversprechend verlaufen, soll eine weit größere Studie folgen, die dann auch zur Zulassung der Impfung führen könnte. |
Agenturmeldungen leicht umformuliert als eigenen Text ausgeben? Das Prinzip hat die „Netzeitung“ jahrelang perfektioniert — da nannte es sich aber wenigstens nicht „Bürgerjournalismus“.
Bestbewerteter Artikel der Worte ist ein Bericht über Flashmobs, von denen die Autorin bislang nach eigener Auskunft nie gehört hatte, und unter dem als erster Kommentar die vermutlich nicht ironisch gemeinte Frage steht: „Ein wichtiger Bericht. Ist es richtig, dass in den großen Medien darüber gar nicht berichtet wurde?“ Richtig ist, lieber Leser, dass über Flashmobs in den großen Medien schon lange nicht mehr berichtet wurde. Und ich will nicht ausschließen, dass es auch im Jahr 2003, als Flashmobs so richtig angesagt waren, vielleicht ein großes Medium gab, das darüber nicht berichtet hat. Ich habe Artikel nur in „SZ“, „Berliner Zeitung“, „Berliner Morgenpost“, „Berliner Zeitung“, „Tagesspiegel“, „Stern“, „Focus“, „Spiegel“, „Welt“, „Sächsische Zeitung“, „Zeit“ und „FAZ“ gefunden.
Gut gefällt mir auch die neue Rubrik „ShortNews“, „ein Service der Redaktion Readers Edition“, in der jemand gestern z.B. eine kleine Polizeimeldung mit schlimmsten Berlin-Klischees und schiefen Sprachbildern aufmotzte:
Türken- und Araber-Gangs, Nazi-Schläger, allgemeine Verrohung: Zwei Teenager-Gören haben im Stadtteil Wedding nun das Kapitel „brutaler Zickenkrieg“ eröffnet.
(Man beachte den kreativen Umgang mit dem Doppelpunkt.)
Oder der Sportteil: „Bild“ spekuliert über Bernd Schuster, die „FAZ“ spricht mit dem Mann — und der brave Bürgerjournalist fasst beides ohne eigenen Gedanken in zwei Absätzen zusammen. Schön auch der Service, sich von der „Readers Edition“ am späten Sonntagabend noch einmal ungelenk alle Ergebnisse des Bundesliga-Spieltages referieren zu lassen. Das ist ja auch ein Bereich, der von den Massen- und Profi-Medien sträflich vernachlässigt wird: Ergebnisberichterstattung von der Bundesliga.
Ja, ich weiß, das ist alles noch unfertig und work in progress und überhaupt. Aber wo sind in der „Readers Edition“ die spannenden Ansätze, aus denen etwas werden kann? Woher nehmen die die Chuzpe, sich als natural born marktführer zu sehen? Und wollen wir wirklich den Begriff des Bürgerjournalismus dadurch diskreditieren, dass wir ihn in Deutschland als Synonym für dieses Projekt nehmen?
„Der Presserat in Deutschland erteilt Rügen bei journalistischen Fehlleistungen. Ich hab‘ mir das mal angeguckt, die Statistik des vergangenen Jahres, das ist gut verteilt, also, da ist ‚Bild‘ durchaus nicht führend, was die Rügen angeht.“
Nein, diese Sätze sind nicht von Kai Diekmann oder einem anderen „Bild“-Mitarbeiter. Diese Sätze sind von der NDR-Journalistin Kerstin von Stürmer. Sie formulierte sie in ihrem Gespräch mit Diekmann für die Sendung „Treffpunkt“ der Hamburger Landeswelle NDR 90,3 am vergangenen Freitag.
Und ich kann durchaus nachvollziehen, dass man so ein Gespräch zwischen Schlagern und Oldies eher kuschelig als konfrontativ anlegt (auch wenn das dazu führte, dass Diekmann sich schon selbst bemüßigt fühlte, ein paar kritischen Positionen zu sich und seiner Zeitung zu formulieren, wenn es seine seine Interviewerin schon nicht tat). Aber hätte Frau von Stürmer dann nicht wenigstens konsequent bei ihren Fragen nach Tagesablauf, Familie und Lieblingssendungen im Fernsehen bleiben können?
Von den 42 Rügen, die der Presserat 2006 ausgesprochen hat, gingen 9 an die „Bild“-Zeitung. Sie liegt damit weit vor dem zweitplatzierten „Express“, der 3 Rügen kassierte.
„Durchaus nicht führend“, Frau von Stürmer?
Ich verlange wirklich nicht viel vom Fernsehen. Ich wünsche mir, dass da was passiert, nicht alles eingeschweißt und abgepackt ist und normiert, poliert, pasteurisiert vom Formatfließband kommt. Und ich wünsche mir, dass ich mich beruhigt vor dem Fernseher zurücklehnen kann, ohne Sorge, dass irgendetwas furchtbar Peinliches passieren könnte, bei dem mein Körper so damit beschäftigt ist, die Fußnägel aufzurollen, dass es mir unmöglich ist, rechtzeitig wegzuschalten.
Okay, vielleicht verlange ich doch zu viel vom Fernsehen. Umso beglückender ist es, wenn es dann doch jemand schafft, mein Bedürfnis nach Sicherheit und meine Sehnsucht nach Anarchie gleichzeitig zu bedienen. Keiner schafft das so gut wie Charlotte Roche.
Als sie in dieser Woche die Eröffnungsgala der Berlinale moderierte, kiekste sie vor Freude über das prominent besetzte Publikum. Sie machte sogar einen kleinen Hüpfer, als die Berlinale offiziell eröffnet war. Sie warf in die Begrüßung der Honoratioren Sätze wie: „Nice jacket!“. Sie bemerkte, dass Klaus Wowereit auf ihre Frage, was er den Besuchern denn in Berlin empfehle, nur „Shopping“ eingefallen war, und fragte forsch nach: „Sie, als Kultursenator, vielleicht ’ne kulturelle Idee noch?“ Und als er abging, rief sie ihm hinterher: „The mayor of Berlin, Ladies and Gentlemen. He even looks good from behind.“
Aber das Sensationelle an Charlotte Roche ist, dass sie es nicht nur schafft, das Korsett einer solchen Veranstaltung zu sprengen, sondern auch, es, wo nötig, zusammenzuhalten. Wenn Dieter Kosslick gerade ansetzt, sich um Kopf und Kragen zu reden und den internationalen Mitgliedern von Joy Denalanes Band zu sagen: „Liebe Ausländer, lasst uns mit den Deutschen nicht allein“, unterbricht sie ihn schnell und unauffällig. Jemanden, der so leblos ist wie der Kulturstaatsminister Bernd Neumann, sollte man überhaupt nur noch mit ihr auftreten lassen (wenn man ihn schon auftreten lassen muss): Lustvoll schubste sie ihn immer wieder mit kleinen Provokationen an den Abgrund, um ihn (und die Show und die Zuschauer) in letzter Sekunde von dort wieder wegzureißen und aufzufangen.
Die Art, wie sie dem Jury-Präsidenten Paul Schrader, der angeblich seinen Zettel verloren hatte, die deutschen Eröffnungsworte kurzerhand ins Ohr vorsagte, müsste man ins Lehrbuch für Moderatoren aufnehmen. Andererseits würde es auch dann vermutlich kein anderer so charmant und leichtfüßig, präzise und locker machen wie sie.
Warum nochmal lässt man Charlotte Roche nicht öfter im Fernsehen machen, was sie will?
(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung