Autor: Stefan Niggemeier

Broder? Oder!

Am 19. Februar soll das Video-Online-Portal „Watchberlin“ auf Sendung gehen. Dahinter steckt Walid Nakschbandi, Geschäftsführer der Fernsehproduktionsfirma AVE und bei Holtzbrinck offenbar zuständig für neue Internet-Projekte, die mehr mit Content als Community zu tun haben. Außer Berlin hat er sich schon die Titel und Domains für ähnliche Namen mit Hamburg, München und einer Reihe anderer deutscher Städte gesichert. Für „Watchberlin“ werden seit einigen Wochen in Anzeigen VJs und Praktikanten gesucht.

Erste „Watchberlin“-Videoblogs kann man sich jetzt schon auf Myspace ansehen. „crashtest“ heißt die Rubrik von „Dummy“-Chefredakteur Oliver Gehrs, der hier nett noch einmal über die Erstausgabe von „Vanity Fair“ lästert. Buddy Murat und Maher besuchen einen Sprayer-Laden in Schöneberg, und als „Berliner Original“ stellt sich Günter „Keule“ Schmidtke vom Clärchens Ballhaus vor.

Und weil das Internet bekanntlich ein Medium ist, in dem zunehmend auf dem Niveau von Kannibalen-Selbsthilfegruppen diskutiert wird, kommt auch „Watchberlin“ nicht ohne Henryk Modest Broder aus. „Broder, oder!“ heißt sein Videoblog, in dem er sich als „Kitschsammler“ ausgibt und geschmacklose Marien-Figuren und Schneekugeln mit Papst oder Jesus zeigt. Warum? Um zu fordern, dass wir so lange nicht mit unseren „moslemischen Brüdern und Schwestern“ diskutieren, bis das „auf gleicher Augenhöhe“ geschehen kann — bis also der Islam eigenen Kitsch produziert. Denn:

„Kitsch ist Menschlichkeit.“

Ah ja.

Ich habe länger nach einem freundlichen Adjektiv gesucht, um diese Argumentation zu beschreiben. Mir ist nur „originell“ eingefallen.

Am Ende seines Videoblogs holt Broder noch ein Plastiksparschwein hervor und sagt, dass es sein könne, dass es „dieses kleine hübsche Schwein bald nicht mehr geben wird“.

„Es gibt schon Sparkassen, die es nicht mehr ausstellen. Aus Angst, die Gefühle der Moslems zu verletzen.“

Ach. Gibt es? Wo?

Die Sparschwein-Geschichte hat Broder schon einmal bei „Spiegel Online“ verbreitet. Sie taucht auch bei diversen antiislamischen Hassbloggern auf, in deren Nähe Broder sich gerne aufhält.

Vielleicht meint Broder eine Geschichte aus Großbritannien, die vor eineinhalb Jahren für Aufsehen sorgte — und längst dementiert ist. Vielleicht meint er aber auch eine große deutsche Bank, die statt Sparschweinen Sparelefanten in Umlauf bringt. Seit mindestens 20 Jahren.

Kurzkritik

Ich hatte mir die neue „Vanity Fair“ für die lange Rückreise aus Marl gekauft, war aber schon in Hamm froh, dass hinten Sudokus drin sind.

PS: Mein Lieblingssatz steht im „Editorial“ von Chefredakteur von Ulf Poschardt und lautet: „Erfolg kennt wenig Klischees.“ Keine Ahnung, was das bedeutet: Ob der Erfolg nicht mehr Klischees kennenlernen wollte; warum sich dieser Erfolg nicht konsequenterweise dafür entschied, gar keine Klischees kennenlernen zu wollen, und ob Misserfolg mehr Klischees kennt als Erfolg. Kennt Glück Klischees? Der Papst? Schokoladenpudding?

Nachtrag: ix verreisst meine „Vanity Fair“.

Die hohe Kunst der Moderation

Gerade berichteten die „Tagesthemen“ in ihrem Nachrichtenblock darüber, dass Anne Will die Nachfolgerin von Sabine Christiansen wird, inklusive Film und O-Tönen von Intendanten, die ihre besondere Befähigung rühmten. Und jeder Zuschauer wusste, dass die Gerühmte währenddessen daneben saß und die Sendung moderierte.

Fiese Situation. Soll sie hinterher weitermoderieren, als wäre nichts gewesen? Geht eigentlich nicht. Irgendeinen selbstironischen Witz machen? Wirkt mit großer Wahrscheinlichkeit eitel oder unpassend. Eine ernste Erklärung abgeben? Geht gar nicht.

Ich sitz in solchen Situationen immer mit alberner Angst vor dem Fernseher, den Finger auf der Fernbedienung, falls etwas ganz Peinliches passiert (leider kann ich dann immer erst recht nicht umschalten).

Anne Will aber sagte hinterher einfach so etwas wie: „Ich bleib übrigens noch ein paar Monate“, lächelte, leitete über zum Wetter, und es war wunderbar elegant: unaufgeregt, unpeinlich, unprätentiös.

Ich mag Leute im Fernsehen, die können, was sie tun. Hab ich schon gesagt, dass ich Anne Will toll finde?

Thomas Gottschalk

Ich fürchte, mit kalten Duschen ist es nicht mehr getan. Vielleicht müsste man doch Jungfrauen opfern. Dann würde man Herrn Gottschalk am Nachmittag vor einer großen Sendung ein Mädchen aufs Hotelzimmer schicken. Für den guten Zweck.

Am Donnerstag bei der Verleihung der „Goldenen Kamera“ hat Thomas Gottschalk ungefähr keine Frau auf die Bühne gelassen, ohne ihr seine ausdrückliche Paarungsbereitschaft versichert zu haben. Yvonne Catterfeld erzählte er, dass er gerne mit dem Satz prahle: „Die hatte ich auch schon auf der Couch.“ Eva Mendes, mit der er eine Laudatio hielt, erklärte er: „Wir machen das jetzt gemeinsam. Ich erzähl‘ ein bisschen, und du siehst wunderschön aus.“ Und über den Partner von Veronika Ferres sagte er: „Da isser wieder. Er lässt sie nie allein weg. Aber irgendwann krieg ich dich.“

Längst nimmt Gottschalk beide Teile des Wortes Lustgreis ernst und betont, dass er der Großvater all der Frauen sein könnte, die er öffentlich begehrt. Jede Popgruppe moderiert der 56-jährige mit dem Hinweis an, dass er mit dem Zeug der jungen Leute von heute wenig anfangen kann. Minh-Khai Phan-Thi stellte er mit den Worten vor: „Als sie geboren wurde, habe ich gerade die Hosen der Bay-City-Rollers als Radio-DJ verlost.“ Kim Fisher mit dem Satz: „Als ich geheiratet habe, kam sie gerade in die Schule.“ Längst wird Gottschalk nicht mehr nur von einem anderen Kontinent in unser Fernsehen eingeflogen, sondern aus einer anderen Epoche.

Er wirkt zunehmend wie ein älterer Bruder von Jopi Heesters. Die Menschen, mit denen er da zu tun hat, sind ihm sichtlich fremd, wenn er ihnen nicht schon einmal ein Haus in Malibu verkauft hat. Es hilft auch nicht, dass er seine Texte fast Wort für Wort irgendwo abliest, weshalb er immer an der Kamera vorbeiguckt. Schön war nur der Moment, als er über die Gruppe US5 improvisierte, „ihre großen Erfolge reichen für ein Medley“, und sich herausstellte, dass es konkret aus exakt zwei Stücken bestand.

Ach, und falls das mit den Jungfrauen nicht klappt, könnte man vielleicht Nina Ruge bitten, Gottschalk vor der Sendung regelmäßig irgendwohin zu treten. Als er mit der Kamera das Publikum filmte und sie endlich richtig im Fokus hatte, entfuhr es ihm: „Einmal im Leben hab ich sie scharf gekriegt!“

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Serienverschnitt auf Kabel 1

Sie haben es wirklich getan. Kabel 1 hat die feine britische Polizeiserie „Life On Mars“, die eigentlich ein seltenes Highlight im Programm wäre, verstümmelt.

Die Pilotfolge, die im BBC-Original 59 Minuten lang ist, war auf Kabel 1 netto (also ohne Werbung) nur 52 Minuten lang. Das sind fast zwölf Prozent Verschnitt.

Und Kabel 1 hat nicht nur unmotiviert hier und da mal eine Szene ein bisschen gekürzt. Kabel 1 hat auch eine zwei Minuten lange Schlüsselszene vollständig entfernt. In dieser Szene entwickeln die Polizisten nicht nur die (sich später als richtig herausstellende) Theorie über das Motiv des Serienmörders. Sie stoßen auch auf die entscheidende Frage, warum man seine Opfer nicht hat schreien hören, obwohl er sie nicht geknebelt hat — es ist die Frage, die sie am Ende auf die Spur des Täters führt. Man hätte ungefähr jede andere Szene besser schneiden können als diese.

Aber warum musste Kabel 1 das eine schöne Stück Fernsehen, das sie ausstrahlen dürfen und für das sie in den letzten Tagen heftig geworben haben, überhaupt kürzen? Um inklusive Werbung ins übliche Stundenschema zu passen, ist „Life On Mars“ eh zu lang, mit und ohne Kürzungen. Und was wäre so schlimm daran gewesen, wenn die Drittausstrahlung des Spielfilms „Get Carter“ heute nicht um 22.25 Uhr, sondern vielleicht um 22.40 Uhr begonnen hätte? Mal ganz abgesehen davon, dass Kabel 1 es (wie Deutschland üblich) nicht geschafft hat, die Werbeblöcke zwischen zwei Szenen zu platzieren und einfach die halbe Szene, die vor einer Werbepause anfing, hinterher noch einmal zeigte.

Noch einmal: Bei Kabel 1 schneidet man wichtige Szenen aus den Serien heraus und zeigt andere doppelt. Keiner kann mir erzählen, dass das deutsche Privatfernsehen von Leuten gemacht wird, die das Fernsehen lieben.

[Nachtrag: Bei Nobbi ist das Elend ausführlich dokumentiert.]

Nachtrag, 5. Februar: Das Peerblog berichtet, dass tatsächlich nicht Kabel 1, sondern die BBC selbst für die Kürzungen verantwortlich ist. Unfassbar.

2000 Tage Zuschauerbetrug

„Bei 9Live sind die Spiele transparent, fair und verständlich.“
(Running-Gag des Senders.)

9Live feiert heute eine Art Geburtstag. Und ich möchte gratulieren mit einem weiteren E-Mail-Wechsel mit der Pressestelle des Senders:

Liebe Frau …,

diesmal versuche ich es mit einer einzigen Frage:

Sie schreiben, 9Live sei „bei der Formulierung und Ausgestaltung der Gewinnspiel-Regeln der Landesmedienanstalten maßgeblich beteiligt“
gewesen. In diesen Regeln heißt es: „Der Aufbau von nicht vorhandenem Zeitdruck ist unzulässig.“ Wann immer ich 9Live einschalte, erweckt der Moderator gerade den Eindruck, das Spiel sei sofort zu Ende, die Sendezeit sei abgelaufen, man müsse sofort anrufen etc. In fast allen Fällen stimmen diese Aussagen nicht. Meine Frage lautet deshalb: Inwiefern hält sich 9Live an die von 9Live maßgeblich mitformulierte und ausgestaltete Regel, dass der Aufbau von nicht vorhandenem Zeitdruck unzulässig sei?

Darauf 9Live:

Lieber Herr Niggemeier,

hier meine Antwort auf Ihre Frage:

Wir können nicht ohne zufriedene Zuschauer seit über fünf Jahren erfolgreiches und unterhaltsames Call-TV betreiben. Dazu gehört auch Raum für redaktionelle Gestaltung von Live-Shows im Rahmen der Regeln für TV-Gewinnspiele.

Nun wieder ich:

Liebe Frau …,

dann lassen Sie es mich einfacher formulieren: Baut 9Live nicht vorhanden Zeitdruck auf?

Und 9Live:

Lieber Herr Niggemeiner,

nein, wir veranstalten täglich 14 Stunden Live-Programm, in das wir die verschiedensten Unterhaltungs-Elemente einbauen.

Gut, dann haben wir das geklärt.

Fit für Axel Springer

Die Axel-Springer-Akademie „will Journalisten fit für das digitale Medienzeitalter machen“, sagt sie. Und deshalb lässt sie ihre Journalistenschüler auch bloggen.

Also, nein, natürlich nicht richtig, gottogottogott, wer weiß, was die dann schreiben! Nein, das Blog der Axel-Springer-Akademie heißt „jepblog“ — „jep“ wie „Jan-Eric Peters“, dem Direktor der Akademie. Und Peters schreibt auf, was seine Journalistenschüler aufgeschrieben haben. Er formuliert dann etwa: „Journalistenschülerin Margita Feldrapp schreibt über…“ und dann kann man einen oder zwei Absätze lang lesen, was Journalistenschülerin Margita Feldrapp womöglich in ihr Blog schrübe, wenn sie eines hätte. Aber muss sie ja nicht, sie darf ja in das von Jan-Eric Peters.

Bemerkenswert ist, was den Journalistenschülern bei Axel Springer offenbar beigebracht wird: Sie scheinen zu lernen, Fragen über Gut und Böse „mal dahinzustellen“ (mutmaßlich dahin, wo sie einem bei der Arbeit nicht dauernd im Weg stehen). Die Verantwortung für das, was sie so publizieren, geben sie entweder dem Leser, dem sie ja das liefern müssen, was er verlangt. Oder den Politikern, in deren Intrigen sie sich willfährig einspannen lassen müssen: Die „Veröffentlichung der Seehofer-‚Affäre'“ (zum strategisch für Seehofer ungünstigsten Zeitpunkt, wohlgemerkt) sei jedenfalls „eine logische Konsequenz der Spielregeln, derer sich Politiker bedienen“. Sagt „Bild am Sonntag“-Chef Claus Strunz, sagt Journalistenschülerin Anna von Bayer, sagt Jan-Eric Peters.

Das ist die digitale Zukunft Gegenwart laut Springer: Schuld sind immer die anderen, und warum selbst aufschreiben, wenn es der Chef machen kann?

(Dass man Peters als Journalistenausbilder schon dafür würgen möchte, dass er über die „Tagesthemen“-Moderatorin und mögliche Christiansen-Nachfolgerin schreibt: „Will Anne?“, ist natürlich noch ein anderes Thema.)

Nachtrag: Thomas Knüwer fürchtet sogar, das jepblog könnte bei den Journalistenschülern Neurosen auslösen.