Autor: Stefan Niggemeier

Wie nun auch Welt.de erfahren hat…

Die „Online-Offensive“ der „Welt“ rollt weiter. Ohne die Zauberworte „nach WELT.de-Informationen“ geht demnächst gerade noch der Wetterbericht raus, wenn überhaupt.

Die heutige Exklusivmeldung betrifft das Debakel um StudiVZ und geht so:

„Und nach WELT.de-Informationen ist Ehssan Dariani inzwischen von der externen Kommunikation entbunden.“

Toll. Fünf Tage haben diese Informationen nur gebraucht, um von Falk-Lüke-Informationen zu Welt.de-Informationen zu werden. Bei Falk konnte man nämlich schon am vergangenen Sonntag lesen:

„…der Jungunternehmer Dariani ist von seinen Geschäftspartnern kaltgestellt worden, ‚von der Außenkommunikation entbunden‘ heißt es in Firmenkreisen.“

Und jetzt alle zusammen: „ON-LINE-FIRST! ON-LINE-FIRST!“

Wie „V.i.S.d.P.“ Journalismus definiert

Anfang des Jahres gab es eine sehr fruchtlose Diskussion um die Forderung des „Netzwerks Recherche“, Journalisten sollten keine PR machen. Vor allem das Medienmagazin „V.i.S.d.P.“ warf dem Netzwerk vor, ein elitäres, realitätsfernes, überkommenes Berufsbild vom Journalisten zu haben.

Was „V.i.S.d.P.“ dagegen unter Journalismus versteht, kann man ganz gut daran erkennen, wen die Zeitschrift (inzwischen zum PDF-Magazin geschrumpft) für ihren „Journalisten“-Preis „Der Goldene Prometheus“ vorgeschlagen hat. Zum Beispiel:

„TV-Journalist des Jahres“: u.a. Sönke Wortmann (für „Deutschland. Ein Sommermärchen“) und Barbara Eligmann (für die Moderation der Sendung „Zuhause sind die Teufel los“, in der sie „humorvoll und einfühlsam mit Kindern Gaga-Wohnideen umsetzte“.)

„Online-Journalist des Jahres“: u.a. Angela Merkel (für ihren Video-Podcast).

„Journalist des Jahres / Newcomer“: u.a. Natascha Kampusch.

And mostly what I need from you

BBC-Chef Michael Grade verlässt den Sender, um Chef der kommerziellen Konkurrenz ITV zu werden. Die Exklusiv-Meldung des „Daily Telegraph“ ist eine Sensation und ein Schlag für die BBC. Oder in den Worten des „Telegraph“:

Grade’s defection will stun colleagues and cause mayhem inside the BBC …

Ich wette: Jedes deutsche Medienunternehmen, das ähnlich mit so ungünstigen Neuigkeiten in die Schlagzeilen geriete, würde die Meldung in seiner eigenen Berichterstattung verstecken, herunterspielen, schönfärben.

Und die BBC?

Macht mit der Meldung aktuell die UK-Ausgabe ihrer Nachrichtenseite auf. Schreibt gleich im zweiten Absatz des längeren Artikels:

The move will be a blow to the BBC, …

Und zitiert dann den Ressortleiter Wirtschaft des Senders mit den Worten:

„The timing of Michael Grade’s departure to ITV could hardly be worse for the BBC. … As one member of the BBC board of governors put it to me, it’s a mess.“

Noch einmal: Das sagt ein leitender BBC-Mann. In einem großen BBC-Artikel. Auf der BBC-Seite. Über die BBC.

Dafür liebe ich diese Anstalt.

Nachtrag. Und einen Tag später gibt’s auch noch einen kleinen Blick hinter die Kulissen. Wie cool ist das.

Ein Tag wie jeder andere

Der 26. November 2006 war ein besonderer Tag für Hans-Jürgen Jakobs. Er musste gleich drei Artikel für die heutige Medienseite der SZ schreiben, die er verantwortet.

Ein Artikel handelt von Ulrich Wickert. Jakobs beginnt ihn mit den Worten:

„Der 31. August 2006 war ein besonderer Tag für Ulrich Wickert (…)“

Ein zweiter Artikel handelt von Nina Ruge. Jakobs beginnt ihn so:

„Der 3. Februar 1997 war ein besonderer Tag für Nina Ruge (…)“

Hm.

Als Jakobs letztes Jahr einen Artikel über den Börsengang von Premiere verfasste, begann er ihn mit den Worten:

„Mittwoch war ein besonderer Tag für ARD und ZDF (…)“

Als Arabella Kiesbauer 2004 mit ihrer Talkshow aufhörte, schrieb Jakobs einen Artikel, den er mit den Worten begann:

„Der 6. Juni 1994 war ein besonderer Tag für den Sender Pro Sieben.“

Und als Leo Kirch vor zwei vier Jahren Springer-Chef Döpfner zusetzen wollte, begann Jakobs seinen Text mit den Worten:

„Der 27. Juli 1989 war ein besonderer Tag für den Axel Springer Verlag.“

Was ich noch fragen wollte

Zwei Kollegen von der „Süddeutschen“ schrieben gestern über Pläne in der ARD, „Harald Schmidt“ nur noch einmal die Woche auszustrahlen, dafür aber eine Stunde lang. Die Quoten hätten sich — vermutlich wegen der unübersichtlichen Lage, wann die Sendung überhaupt läuft — kontinuierlich verschlechtert.

Und dann steht da dieser Satz:

„Obwohl Harald Schmidt nicht in Quoten, sondern in brancheninterner Aufmerksamkeit zu messen ist, demokratisieren schlechte Zahlen, zumal in der vielstimmigen Bürokratie ARD, offenbar jedes Format.“

Und meine Frage lautet:

Hä?

Dr. Frank Hubers Relevanz

(Ich weiß, dass ich’s bereuen werde, dieses Fass wieder aufzumachen, aber ich kann’s nicht lassen.)

Doktor Frank Huber bietet jetzt Blog-Betreibern die Möglichkeit, auf seinem Blog zu werben. Um sie „bei der Umsetzung effizienter Vermarktungsstrategien zu unterstützen“. Und hey, mit der gewaltigen Marktmacht des „1First Media Blogs“ im Rücken, da kann so ein Blog schon richtig abgehen.

Wieviele Leser hat Hubers Seite nochmal genau? Herr Huber macht leider nur Angaben zu den täglichen „Seitenabrufen“. Innerhalb eines Monats entwickelten die sich laut Huber von „ca. 1000“ und „über 2500 … Tendenz steigend“ auf „derzeit ca. 2000“.

Das klingt vage. Zum Glück lässt sich das „1First Media Blog“ von Blogscout zählen, da kann man das ja genau nachsehen. Der Übersicht halber tragen wir einfach nur den entscheidenden Bereich von 1000 bis 2500 Impressions auf und tragen mit einer fetten roten Linie ein, wie sich die Sache entwickelt:

Oh.

Laut Blogscout hat sich Herrn Hubers Blog im vergangenen Monat gar nicht zwischen 1000 und 2500 Zugriffen bewegt, sondern etwa zwischen 60 und 420. An den meisten Tagen hatte sein Blog laut Blogscout nicht einmal ein Zehntel soviele Impressions, wie Huber unter Bezug auf „Awastats“ als „Zugriff“ meldet.

Aber, hey, Quantität ist nicht alles, und Hubers Blog ist ja, laut Huber, aktuell immerhin auf „Platz 31 der deutschen Business Blog Charts“. Außer, dass das gar nicht stimmt. Hubers Blog ist nur auf Platz 82. Huber gibt einfach die Platzierung in einer einzelnen Branche als Gesamtplatzierung aus.

Wie dem auch sei, bestimmt hat so ein Banner auf Hubers Blog positive Effekte. Huber schreibt: „Durch die erfolgende Verlinkung kann potenziell der Google-PR des beworbenen Blogs gesteigert werden.“ Der „Google-PR“ ist der „PageRank“, das Google-Maß für die Relevanz einer Seite. Zeigen relevante Seiten auf eine bestimmte Seite, nimmt Google an, dass auch diese Seite relevant ist. Durch solche Verlinkungen von Seiten mit hohem PageRank kann eine Seite also ihren eigenen PageRank steigern und wird in den Google-Ergebnissen weiter oben angezeigt werden.

Diese Seiten hier haben aktuell einen PageRank von 4, BILDblog von 6, Bild.de von 7.

Der PageRank von Hubers Blog ist 0.

Anneliese Rothenberger

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Ich wußte gar nicht, dass Anneliese Rothenberger noch lebt. Aber in dieser Woche saß sie bei Reinhold Beckmann, und quicklebendig ist gar kein Ausdruck. Beckmanns Redaktion hat anscheinend lange, lange gebraucht, sie zu überreden. Und als er sie nun fragte: „Warum haben sie sich so rar gemacht?“ antwortete sie: „Ganz einfach. Weil ich ja nicht mehr aktiv bin im Beruf.“

Was für ein Unsinn. Und was für eine wunderbare Haltung.

Gelohnt hat sich ihr Besuch schon für die Erkenntnis, daß es anscheinend ein Substantiv zu „flapsig“ gibt: „Unmöglicher Flaps“ sei das gewesen, erzählte die Rothenberger, die freche Art, mit der ihr späterer Mann sie zuerst angemacht habe. Und das Risiko, die Lulu zu spielen, beschrieb sie mit den Worten: „Das hätte auch schwer in den Eimer gehen können.“

Fein und vornehm wirkte sie noch immer, aber zugleich hatte sie eine vergnügte Lockerheit, die unvorstellbar schien, wenn man sich an ihre parfümierten, föngefestigten, festgetackerten Auftritte in ihrer Fernsehshow „Anneliese Rothenberger gibt sich die Ehre“ erinnerte. Weil mit Beckmann offenbar abgesprochen war, daß sie auch von ihrer Krankheit erzählen soll, wegen der sie sich aus der Öffentlichkeit zurückzog, kam es gleich am Anfang zu dem schönen Dialog: „Die Stimme ist noch da?“ – „Ja! Von einer Darmoperation verliert man ja nicht die Stimme.“ Entspannt, zurückhaltend aber unverhohlen stolz erzählte sie von ihrem Auftritt an der Metropolitan Opera: „Es war ein ganz großer Erfolg. Das darf ich sagen.“ Die „New York Times“ hätte ja ein Bild auf der Titelzeile gehabt und den Satz: „She was great“, und Frau Rothenberger strahlte, als sei das gestern gewesen. Einen Besuch bei Ruth und Willy Brandt faßte sie so zusammen: „Sie war entzückend. Er war muffelig. Wahrscheinlich hat er gewußt, daß ich seine Partei nicht wähle.“ Und Yoga? Yoga mache sie nicht mehr. „Yoga soll man morgens um sieben machen, und da schlaf ich noch, das ist gesünder.“

Nicht mal der schreckliche Beckmann, der ihren Satz „Die Kindheit wollen wir bitte vergessen, das war nicht schön“ als Aufforderung nahm, mehr über die Gefühle in ihrer Kindheit zu reden, konnte den wunderbaren Glanz dieser Frau überschatten. Sandra Maischberger und er scheinen ohnehin entdeckt zu haben, wie angenehm es ist, alte Menschen in die Talkshow einladen, Menschen, die etwas zu erzählen haben, die konkret werden anstatt vage zu bleiben und gelassen sind, aber nicht gleichgültig. Man kann das natürlich als Eingeständnis sehen, daß junge Leute ohnehin nicht zugucken. Und sie tun das tatsächlich nur in verschwindender Zahl. Aber das ist ihr Verlust.

Das Internet, exklusiv bei Welt.de

Am Freitag erst haben diverse Springer-Blätter „Deutschlands modernsten Newsroom“ gegründet und die Devise „Online first“ ausgegeben — heute schon feiert Welt.de einen kleinen Scoop im Zusammenhang mit dem Amokläufer von Emsdetten:

„WELT.de liegt ein Tagebuch aus den Jahren 2004/2005 vor.“

Sensationell. Und wie kamen die Kollegen daran?

„WELT.de fand das Tagebuch im Internet.“

Im Internet, na sowas.

Die Recherche war, vermutlich, nicht so schrecklich aufwendig. Es reicht, in eine Suchmaschine „resistantx“ einzugeben, den bekannten Nickname des Amokläufers. Seine Livejournal-Seiten sind dann unter den ersten Treffern.

Und sie sind noch immer da. Mit anderen Worten: Nicht nur WELT.de liegt das Tagebuch aus den Jahren 2004/2005 vor. Der ganzen Welt liegt es vor. Aber glauben Sie, der Welt.de-Artikel, der ausführlich aus diesem Tagebuch zitiert, würde irgendwo einen Link auf die Quelle setzen? Damit der Leser sich ein eigenes Bild machen kann, ungefiltert von der Auswahl des Journalisten?

Aber nein. WELT.de tut so, als sei das ein handfestes Tagebuch, das nur dieser Redaktion vorliege. Und sowas Exklusives gibt man natürlich nicht aus der Hand.

Es ist wohl auch in „Deutschlands modernstem Newsroom“ noch ein weiter Weg, bis Journalisten begreifen, wie sehr das Internet ihre Arbeit verändern wird.

Der Heinlein

Peter Heinlein ist möglicherweise der traurigste Medienjournalist der Welt. Er ist schon ziemlich was rumgekommen, hat für „Die Welt“, den „Spiegel“, die „Welt am Sonntag“, „Max“, das „Handelsblatt“, die „Bunte“ gearbeitet. Aktuell schreibt er eine Medien-Kolumne namens „Der Heinlein“, die mittwochs in der Hamburger Ausgabe von „Bild“ erscheint.

Es ist, aufgrund der vielfältigen Beteiligungen des Verlages, schon nicht leicht, Medienjournalist bei anderen Springer-Blättern zu sein. Bei „Bild“ ist es die Hölle.

Es sei denn, man macht das gerne: aus geschäftlichen Interessen der Zeitung und persönlichen Interessen des Chefredakteurs Texte formen, die unbefangen betrachtet wie „Journalismus“ aussehen.

Die „Zeit“ zum Beispiel steht auf der Liste der meistgehassten Zeitungen von „Bild“ sicher unten den Top Two. Und so schrieb Der Heinlein am 11. Oktober:

Was ist denn bei der „Zeit“ los? Elf Wochen lang hat das Wochenblatt bei seiner Auflage nicht mehr die halbe Million erreicht. Die letzte abgerechnete Ausgabe 36 lag sogar nur bei 477 000 Exemplaren. Auch die Abo-Auflage sank unter die 300 000er-Marke.

Das klingt dramatisch. Und man müsste es eine dreiste Lüge nennen, wenn es nicht stimmen würde: Die Auflage der „Zeit“ hatte tatsächlich elf Wochen lang nicht mehr die halbe Million erreicht. Und die Abo-Auflage war tatsächlich unter die 300.000er-Marke gefallen.

Was Der Heinlein verschweigt: Das Erreichen der halben Million ist für die „Zeit“ nicht die Regel, sondern ein Grund zum Feiern. In den vergangenen zehn Jahren gelang es ihr nur 13-mal. Davon sechsmal in diesem Jahr. Was eigentlich dafür spricht, dass die Auflagenkrise eher nicht so groß ist. Von den ersten 36 „Zeit“-Ausgaben dieses Jahres haben sich nur fünf schlechter verkauft als im Vorjahr. Der Schnitt lag in diesem Zeitraum bei 483.537 Exemplaren, eine Steigerung von 13.093 gegenüber dem Vorjahr. Die Abo-Auflage sank, wie fast immer, im Sommer, lag aber bei jeder einzelnen Ausgabe um mehr als 10.000 Exemplare über der des Vorjahrs.

Ich lese Den Heinlein viel zu selten (deshalb auch die Verspätung in dieser Sache). Seine Kolumne müsste Pflichtlektüre für jeden angehenden Medienjournalisten sein. Als Beispiel dafür, wie ihr Beruf missbraucht werden kann.