Autor: Stefan Niggemeier

Machen Sie sich bitte mal nackt

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Die Fortsetzung der „Bild“-Zeitung mit anderen Mitteln: ARD und ZDF erobern den Boulevard.

Am Dienstag morgen ist in Hamburg eine ehemalige Angestellte in ein Reisebüro gelaufen und hat die Chefin mit einem Küchenmesser getötet. Schlimm. Nicht schlimm genug fürs ZDF. Dessen Nachmittagsmagazin „Hallo Deutschland“ machte mit dieser Meldung auf, und Moderator Marco Schreyl formulierte: „Ein blutiger Rachefeldzug mitten in Hamburg! Noch sind’s nur vage Spekulationen, die kursieren. Der Fall allein aber hat eine ganze Stadt in Aufregung versetzt.“ Die Mörderin wurde am Tatort überwältigt und vor laufender ZDF-Kamera abgeführt, aber eine ganze Stadt ist in Aufregung. Die Stadt heißt Mainz und ist der Sitz der ZDF-Boulevardredaktion.

Am nächsten Tag ist bei „Hallo Deutschland“ gleich ein komplettes Land in Aufruhr: „Dieser Prozeß bewegt die ganze Nation“, sagt Schreyl. „Zwei Kinder müssen sterben, weil zwei erwachsene Männer ihre sexuellen perfiden Phantasien ausleben wollen. Zwei Männer stehen für diesen gemeinsamen Mord seit heute vor Gericht, und halb Deutschland wünscht sich die beiden vor Wut und Zorn lieber tot als lebendig.“ Und das ZDF läßt halb Deutschland reden, und halb Deutschland sagt, was halb Deutschland immer sagt: daß Gefängnis nicht schlimm genug ist für solchen „Dreck“, der kein Mensch mehr sei.

Woher kennen wir diese Sprache? Richtig: Aus der „Bild“-Zeitung. Das paßt ja. In der „Bild“- Zeitung stehen auch die intimen Details aus dem Leben von Prominenten, die abends bei „Kerner“ noch einmal besprochen werden, und umgekehrt. Manchmal gibt es eine gewisse Zeitverschiebung, wie bei Boris Beckers Autobiographie, die diese Woche bei „Bild“ durchgenommen wurde und erst nächste Woche bei „Kerner“. Bis es soweit ist, wird das, was Becker macht, übrigens auch im ZDF und bei „Hallo Deutschland“ als „öffentlicher Seelenstrip“ bezeichnet. Wenn er sich später im eigenen Programm auszieht, wird man dafür sicher einen anderen Namen finden.

Thomas Bellut, Programmdirektor des ZDF, bezeichnet Johannes B. Kerner im Gespräch als „Boulevardjournalisten“. Das ist sicher nicht böse gemeint, auch wenn es Kerner nicht gefallen wird. Aber vielleicht könnte man das einmal festhalten: Das Gesicht, das das Programm und das Image des ZDF mehr prägt als jedes andere, ist das eines Boulevardjournalisten. Das ist ja nichts Unehrenhaftes, würde Kerner jetzt erwidern, aber interessant ist es doch. Und obwohl Hartmann von der Tann, stellvertretender Programmdirektor des Ersten, bei Reinhold Beckmann das Wort „Boulevard“ sorgfältig vermeidet und von einer „People-Show“ spricht, gilt für die ARD ähnliches.

ARD und ZDF sind auf dem Boulevard zu Hause, in einem Maße, wie es vor ein paar Jahren nicht vorstellbar gewesen wäre. Manche Straßenzüge haben sie allein gepachtet. In den Talk-Redaktionen wird geklagt, wie unfaßbar hart und unfair der Kampf um Talkgäste geworden sei, was die Moderatoren alles bieten müssen – und dabei findet dieser Kampf exklusiv zwischen ARD und ZDF statt. Kein Privatsender, der die Sitten verroht oder die Preise versaut: Die „People-Show“ am Abend, in der Prominente und weniger Prominente wie in einer Peep-Show möglichst viel von sich preisgeben sollen, läuft so nur im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

Grund dafür ist natürlich nicht, daß es den Privaten zu intim, geschmacklos, schmuddelig wäre, Menschen beim „öffentlichen Seelenstrip“ zuzusehen. Sie haben sich aus diesem Geschäft zurückgezogen, weil sich damit nur wenige junge Menschen anlocken lassen. Die Öffentlich-Rechtlichen dagegen nehmen jeden und sind so um 23 Uhr zur Fortsetzung von „Bild“ mit anderen Mitteln geworden.

Ist das schlimm? Das ist Unterhaltung, sagen ARD und ZDF. „Der Erfolg von Unterhaltung mißt sich allein an der Zahl derer, die sich dafür interessieren“, sagt von der Tann. „Das ZDF ist ein Informationssender mit starker Unterhaltung, und an diesem Auftrag wirke ich mit“, sagt Kerner. Thomas Bellut fragt: „Hat der Zuschauer, der sich bei uns den ganzen Tag seriös informiert hat, nicht auch mal das Recht, sich mit Bobbeles Besenkammer zu beschäftigen?“

„Auch mal“ ist gut: Boris Becker sitzt innerhalb von acht Tagen insgesamt sechs Mal in drei verschiedenen ZDF-Sendungen, um seine Memoiren zu verkaufen. Es ist eine Werbefläche, wie sie bislang allenfalls RTL für Bohlen und seine (immerhin in der eigenen Sendung gekürten) Superstars freigeräumt hat, aber in dieser Penetranz noch nie ein öffentlich-rechtlicher Sender. Bellut bestreitet, daß es einen Masterplan gegeben habe: Der Auftritt Beckers bei „Unsere Besten“ falle zufällig in die gleiche Zeit; zu „Wetten daß“ kämen Leute wie er ohnehin nur, wenn sie für ein Produkt werben dürften, und das einwöchige „Kerner“-Special sei Kerners Idee gewesen. Bislang stehe fest, daß Becker in je einer Folge auf Familie, Sportler und Show-Freunde treffen werde. Wenn Kerner ihm kein journalistisch überzeugendes Gast-Konzept für die vierte Becker-Show vorlege, werde es keine geben.

Na, es wird schon eine geben.

„Wir haben uns gefragt: Wie kann man dem Phänomen Becker gerecht werden“, sagt Kerner. „Ich mache mir die Marketing-Überlegungen der Verlage nicht zu eigen.“ Vielleicht, philosophiert man beim ZDF, werde Becker sogar weniger Bücher verkaufen, weil nach dem Overkill viele Zuschauer das Gefühl hätten, es sei schon alles gesagt.

Das wäre tatsächlich eine langfristig hoffnungsvolle Strategie: Wir quatschen so lange und so viel, bis es keiner mehr hören mag. Dieser Zeitpunkt ist allerdings noch fern, der feste Platz für den Boulevard im Programm steht nicht zur Debatte. „Ich stehe voll und ganz hinter dieser Programmstruktur“, sagt Programmchef Bellut. „Sonst kann sich das ZDF nicht unter den Top 4 der Fernsehsender halten.“ Das ist das Dilemma: In der Gebührendebatte hätten die Öffentlich-Rechtlichen es kurzfristig leichter, wenn sie auf den Boulevard und seine Auswüchse verzichten würden. Wenn dadurch aber die Quoten sinken, würde langfristig die Gebührenfinanzierung wegen mangelnder Zuschauerresonanz in Frage gestellt.

Warum gibt es Sendungen wie „Beckmann“ in der ARD, Herr von der Tann? „Weil es ganz offensichtlich ein großes Interesse der Zuschauer an dieser Form der Unterhaltung gibt.“ Und warum muß da Susanne Juhnke am Rande des Nervenzusammenbruchs private Dinge über ihr Leben mit Harald Juhnke erzählen? „Eine People-Talkshow wie ,Beckmann‘ kommt an solchen Themen nicht vorbei.“ Es ist alles von großer Logik, aber erschreckender Konsequenz: Für Grenzüberschreitungen und das Bohren nach dem Intimsten sind am späten Abend ARD und ZDF zuständig. Natürlich weisen die Verantwortlichen das in großer Selbstzweifellosigkeit weit von sich. Interessanterweise fällt jedem aber ein, daß der Umgang der Konkurrenz etwa mit dem Thema Juhnke abscheulich gewesen sei.

„Unterhaltung gehört zu unserem Auftrag wie Bildung und Information“, sagt von der Tann, „Boulevardmagazine und People-Shows gehören dazu.“ Offensichtlich aber liegt es jenseits der Vorstellungskraft von ARD und ZDF, daß ein öffentlich-rechtliches Boulevardmagazin sich von einem privaten dadurch unterscheiden könnte, daß es bestimmte Grenzen nicht überschreitet. Daß es aus einem Mord im Reisebüro keine Stadt in Angst machen muß. Daß es sich leisten könnte, Little Ali, den Jungen, der im Irak-Krieg beide Arme verlor, nicht in eine „People-Show“ einzuladen, Susanne Juhnke ihr Buch woanders verkaufen lassen könnte. Die Frage nach den Grenzen der Shows bleibt weitgehend unbeantwortet, ja: unverstanden. Hartmann von der Tann reicht die Verantwortung gleich mal weiter: „Natürlich gibt es Grenzbereiche, aber die muß die Redaktion selbst ausloten. Das ist eine Frage des Geschmacks, und da weiß Herr Beckmann schon selbst, was er tut.“ Und was wäre für die ARD nicht akzeptabel? „Alles, was die Würde der Menschen verletzte: gnadenloses Vorführen der Menschen, absolutes Abstellen auf Sex und Crime.“ (Man beachte die Adjektive. Einfaches Vorführen und relatives Abstellen auf Sex und Crime sind völlig okay. Beckmann wird es wissen.) Sein Kollege Kerner sagt: „Mich interessieren nicht Körperflüssigkeiten und Sexualpraktiken, bei mir hat es noch keine Vaterschaftstests gegeben. Den großen Unsinn machen nach wie vor die Privaten, zum Beispiel Talkshows, wo es um Vaterschaftstests geht. Das ist ein signifikanter Unterschied.“ Und: „Ich würde prinzipiell Leuten wie Schill kein Forum bieten.“

Öffentlich-rechtlich, das fällt allen dann noch ein, sei an diesen Sendungen, daß neben den Bohlens und Küblböcks da manchmal Politiker säßen, mit denen man manchmal auch über Politik rede, oder eine Runde aus Experten und Betroffenen, mit denen man über Kindesmißbrauch rede. „Wenn ich Kerner nicht als populäre Figur positionieren würde“, sagt Thomas Bellut, „würde ich die Zuschauer nicht für solche Themen bekommen.“ Immerhin räumt er ein, daß die „Bild“-Zeitung im Boulevard mehr als früher die Themen setze und überhaupt heute nur noch Mainstream die nötige Aufmerksamkeit erreiche und Kampagnen die nötige Lautstärke. „Wir müssen versuchen, auch mal dagegenzuhalten“, sagt er, „aber beim Unterhaltungsfernsehen muß man mitmachen, sonst liegt man daneben.“

Was, wenn bei ARD und ZDF jenseits von „heute“, „Tagesschau“ und einzelnen Nischen längst alles Unterhaltungsfernsehen geworden ist?

Kleines ABC des deutschen Fernsehens

Eine Handreichung für Investoren und solche, die es werden wollen.

Als Haim Saban, der neue amerikanische Besitzer von ProSiebenSat.1, am Mittwoch bei den Münchner Medientagen seinen ersten großen Auftritt in Deutschland hatte, hielt er stolz ein gelbes Büchlein in die Luft: „German for dummies“, ein Sprachkurs, den er zum Geburtstag bekommen hatte. Dann hielt er eine Rede, die „programmatisch“ hätte klingen sollen, aber eher zeigte, daß Saban noch mehr lernen muß als nur die deutsche Sprache. Wir schenken ihm daher exklusiv einen Auszug aus dem bislang unveröffentlichten Lehrbuch „German TV for dummies“. Können übrigens auch viele deutsche Teilnehmer der aktuellen Mediendebatten noch was draus lernen.

Beck, Kurt. a) Rheinland-pfälzischer Ministerpräsident und Vorsitzender des Verwaltungsrates des ZDF. b) Maßeinheit für das Erreichen des vorläufigen Tiefpunktes jeder Mediendebatte. Nicht zu verwechseln mit dem größten anzunehmenden Tiefpunkt jeder Mediendebatte (→ Söder, Markus).

Beckmann. Zentrales Auffanglager für Flüchtlinge, Kriegsversehrte, Alkoholikerfrauen, Depressive und ehemalige Tennisprofis, die von Reinhold B. so lange nach ihren intimsten und schlimmsten Traumata befragt werden, bis ihnen ihr ursprüngliches Leid vergleichsweise läppisch erscheint. Wichtig: Ist in der ARD nicht in der Abteilung „Information“, sondern „Unterhaltung“ angesiedelt, was allerdings offensichtlich niemand „Little Ali“ gesagt hat, dem zwölfjährigen Jungen, der bei einem Bombenangriff auf Bagdad beide Arme verlor und sich im Oktober 2003 nicht nur B., sondern auch Rosi Mittermaier und Norbert Blüm gegenübersah, die ihm ausdauernd ein „Wird schon wieder“ zutätschelten.

Boulevard. Euphemismus für die B-Welt von Bohlen, Busen, Ballermann. Früher exklusiv in „Bild“ und Privatfernsehen, heute vor allem in „Bild“ und ARD und ZDF (→ „Brisant“; → „Drehscheibe“; → „Hallo Deutschland“; → „Leute heute“; → „Beckmann“; → „Blond am Freitag“).

Dokumentation. Sendeform, die früher bei ARD und ZDF stattfand und heute bei Phoenix.

Duales System. a) Wiederverwertung gebrauchter Verpackungen durch Uwe Ochsenknecht. b) Nebeneinander von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk in Deutschland. Taucht im → Gebührenpoker gerne als Warnung vor der „Schieflage des Dualen Systems“ auf. Privatsender wecken so den Eindruck, das Duale System sei eine Art Waage, und beide Formen des Rundfunks müßten annähernd gleich stark sein: Wenn es den Privaten schlechter ginge, müßten auch die Öffentlich-Rechtlichen weniger Geld bekommen (umgekehrt gilt die Regel nicht). Tatsächlich geht das Bundesverfassungsgericht nicht von einem anzustrebenden Gleichgewicht, sondern einem zwangsläufigen Ungleichgewicht aus: Man kann nicht davon ausgehen, daß Privatsender für die Gesellschaft das leisten, was öffentlich-rechtliche leisten können. Deshalb muß es die Öffentlich-Rechtlichen geben, damit es Private geben kann. Dank der Privatsender-Lobby ist das allerdings heute ohne Relevanz.

Feldbusch, Verona. Gelernte Prominente. Ensemble-Mitglied bei → Kerner. Regel: Ist Verona in einer Sendung zu Gast, steigen die Quoten. Macht Verona eine eigene Sendung, sieht niemand zu.

Ferch, Heino. Deutscher Schauspieler, durch dessen Casting Sat.1 aus einem → TV Movie ein monatelang beworbenes Event macht (→ „Es geschah am hellichten Tag“; → „Der Tunnel“; → „Das Wunder von Lengede“).

Film Film. Spielfilm auf Sat.1, der weniger als dreimal wiederholt wurde. Der erfahrene Sat.1-Zuschauer kauft sich vorher einen guten Wein Wein und greift glücklich zu den teuren Chips Chips.

Gebührenpoker. Alle vier Jahre veranstaltetes Spiel mit streng einzuhaltenden Rollen und Abläufen. Schematisch etwa wie folgt. Politiker: warnen ARD und ZDF, sie sollten sich bloß nicht einbilden, sie könnten eine Gebührenerhöhung bekommen. ARD und ZDF: hysterische Entrüstung, Untergangsszenarien, fordern deutliche Gebührenerhöhung. Politiker: trockenes Lachen. Private: völlige Empörung. KEF: schlägt vor, Gebühren halb so stark wie gewünscht zu erhöhen. Private: hysterische Entrüstung, Untergangsszenarien. Politiker: gemäßigtere Ablehnung, Verweis auf → Grundversorgung, Schieflage des → Dualen Systems, allgemeine → Krise. ARD und ZDF: hysterische Entrüstung, Drohung mit Bundesverfassungsgericht. Politiker: segnen KEF-Vorschlag ab, kündigen im Gegenzug Nachbesserungen bei → Rundfunkstaatsvertrag, → Dualem System, → Grundversorgung an. – Der Begriff „Poker“ ist insofern treffend, weil eigentlich immer alle bluffen.

Geissen, Oliver. Antwort auf die Senderfrage: Wen hätten wir gern als Moderator – Jauch kann nicht?

Grundversorgung. a) Reflexartige Mahnung von Privatsendern, Politikern und Medienforumsdiskussionsteilnehmern, wenn ARD oder ZDF so etwas wie „Verstehen Sie Spaß“ zeigen. Fester Bestandteil jedes → Gebührenpokers. Standardformulierung: „Das ist eine Luxusversorgung, keine Grundversorgung“ (Premiere-Chef → Kofler, Oktober 2003). Synonym für „Minimalversorgung“, also etwa „Tagesschau“ plus „Wort zum Sonntag“ plus dröge Dokumentationen, die den Öffentlich-Rechtlichen zugestanden wird. b) Begriff, den das Bundesverfassungsgericht 1986 erstmals gebrauchte, um den umfassenden Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen zu beschreiben. Meint die Versorgung der Bürger mit all dem, was sie klassischerweise vom Fernsehen erwarten dürfen: Bildung, Information, Unterhaltung; sehr spezielle Programme ebenso wie überaus Massentaugliches. Meint nicht, daß ARD und ZDF nur Salat, Obst und Vollkorn liefern dürfen, um ein Gegengewicht zur privaten Currywurst mit Pommes und Eis zu bilden. Also ziemlich genau das Gegenteil von a), im Alltagsgebrauch dank Privatsenderlobby aber inzwischen ohne Bedeutung.

Jauch, Günther. Antwort auf die Senderfrage: Wen hätten wir gerne als Moderator?

KEF. „Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten“. a) Unabhängige Behörde, durch die nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes 1994 sichergestellt wird, daß nicht die Politiker über die Festsetzung der Rundfunkgebühren Druck auf ARD und ZDF ausüben können. b) Unabhängige Behörde, deren Empfehlungen im Gebührenpoker für eine vorübergehende Versachlichung der Debatte sorgen, nach kürzester Zeit aber von allen Beteiligten und insbesondere den Politikern wieder ignoriert werden.

Kerner, Johannes B. Hochwertige ZDF-Talkshow mit interessanten Gästen.

Kluge, Alexander. Intellektueller, der es mit seinen Sendungen schafft, daß RTL- und Sat.1-Zuschauer auch mal abschalten und vielleicht wieder ein Buch lesen.

Landesmedienanstalt. Obskure Behörde, die einmal im Jahr darauf hinweist, daß ein Privatsender ein Programm gar nicht, nicht so oder nicht um diese Zeit hätte ausstrahlen dürfen, oder vollständig unbekannt bleibt. Die Landesmedienanstalt Saarland (LMS) etwa ist in fünf Abteilungen und eine Stabsabteilung samt angeschlossener Sachgebietsleiterin organisiert, hat einen Medienrat mit 32 Mitgliedern zuzüglich Stellvertretern (die Saarländische Natur- und Umweltschutzvereinigung ist zur Zeit nicht vertreten) und vier Fachausschüsse. Ihr Direktor meldete Mitte Oktober 2003 einen „wichtigen Schritt in Richtung auf verbesserte Rahmenbedingungen für den privaten Rundfunk im Saarland“. In einem „langwierigen und schwierigen Verfahren“ sei ein Kompromiß zwischen LMS, DeutschlandRadio und Saarländischem Rundfunk gefunden worden, was die Frequenzen in Saarbrücken, Sulzbach, St. Ingbert, Mettlach und Merzig angeht.

Lange, Frau. Bei ihr hat der kleine Michael immer seine Schokoladen-Riesen gekauft. Wie könnte sie ihn vergessen, er kam ja jede Woche.

Marktführer. Synonym für → RTL. Erstes Axiom des deutschen Fernsehens: RTL ist Marktführer. Aus Langeweile erfand RTL einst den „kumulierten Marktanteilsvorsprung“ und addierte fröhlich den Abstand zu Sat.1 und Pro Sieben, um mit noch größeren Zahlen werben zu können. Aktuell weist RTL darauf hin, daß sein Vorsprung zu Sat.1 und Pro Sieben jeweils größer ist als der von Pro Sieben plus Sat.1 zu RTL (→ Mathematik, höhere).

Menschenzoo. Vielzitierte abwertende Umschreibung von „Big Brother“ durch den SWR-Intendanten und damaligen ARD-Vorsitzenden Peter Voß: „Fernsehen aus dem Menschenzoo“. Wird ausschließlich für Privatfernsehsendungen verwendet.

Pay-TV. a) Inzwischen meist digitales Fernsehangebot, das gegen Extragebühren auf vielen Kanälen attraktive Programme anbietet, die man im kostenlosen Fernsehen niemals zu sehen bekäme, wie zum Beispiel „Alf“, „Bonanza“ oder die „Sissi“-Trilogie. Zeigt auch Sport, neuere Kinofilme und Erotik und demnächst bald bestimmt irgendwann möglicherweise endlich auch richtige Pornos. b) Abwertend gemeinter Ausdruck für ARD und ZDF im Gebührenpoker. c) Zunehmend alle Programme, da sie über den Umweg von → Telefongebühren den Zuschauer für das sogenannte „Free-TV“ zahlen lassen.

Qualität. Synonym für → Quote. RTL-2-Chef Josef Andorfer: „Qualität ist, was die Leute sehen wollen.“ (→ Deutscher Fernsehpreis).

Quote. → Gott.

Realität. a) Früher: vage Bezugsgröße für den Inhalt des Fernsehens (→ Versprechen, falsche). b) Heute: Paralleluniversum zur Fernsehwelt ohne direkte Verbindung. RTL-2-Chef Josef Andorfer: „Fernsehen ist ein Unterhaltungsmedium, das nicht für real genommen wird.“ (→ „RTL 2 News“; → Court-TV; → Doku-Soaps).

Reality-TV. Gegenteil von → Realität. Reality-TV zeigt entweder authentische Personen in an den Haaren herbeigezogenen Situationen (→ „Big Brother“) oder echte Situationen, die vom Laienspiel herbeigezogene Darsteller aufführen (→ „Die Jugendberaterin“). Der Begriff wurde im vergangenen Jahrhundert für Sendungen wie „Notruf“ erfunden, die insofern real waren, als sie zum Beispiel Kinder, die von Lastwagen überfahren wurden, ohne daß eine Kamera dabei war, noch einmal unter die Lastwagen legten und filmten.

Regionalprogramm. a) Außerordentlich erfolgreiche Sendungen in den Dritten Programmen, die die Zuschauer über Wichtiges und Buntes in ihrer Region informieren. b) Außerordentlich erfolglose Sendungen bei Sat.1 und RTL, die die Zuschauer überregional auf neue Erotik-Kalender, die Wahl des Mister Universums aus Wolfsburg und das Fernsehprogramm hinweisen. Zur Ausstrahlung sind die großen Privatsender aus Lizenzgründen verpflichtet, nicht aber dazu, den Themen auch nur scheinbar einen regionalen Bezug zu geben. Trotzdem machen die „Regional“-Magazine angeblich Millionenverluste. Tip für Investoren: Weisen Sie melodramatisch (→ Feldbusch, Verona) darauf hin, daß Sie für nichts garantieren können, wenn Sie die Regionalprogramme nicht zentral produzieren können, und erwähnen Sie ein paar Mal die Wörter „Arbeitsplätze“ und „Überregulierung“.

Rendite. Sinn privater Fernsehsender, zunehmend auch: privater Fernsehsendungen. Erste Amtshandlung neuer Eigentümer: Rendite fordern. Zweite Amtshandlung: Von jedem einzelnen Sendeplatz die Erfüllung der Renditevorgabe (gerne: 15 Prozent) fordern. (→ ProSiebenSat.1).

Sabine Christiansen. Talkshow mit Sabine Christiansen, Hans Eichel und Gästen zum Thema: „Deutschland am Abgrund – ist die Rente / Wirtschaft / Zukunft noch zu retten?“

Schäfer, Bärbel. Moderatorin, die von der ARD stammt, dann aber für ein mehrjähriges Praktikum zu den Privaten geschickt wurde. Was sie dort übers Fernsehmachen gelernt hat (→ Schmuddel; → Talk), stellt sie nun wieder den Öffentlich-Rechtlichen zur Verfügung (→ Schreinemakers, Margarethe; → Kerner, Johannes B.; → Beckmann, Reinhold; → Pilawa, Jörg).

Schleichwerbung. Große Samstagabendshow mit → Gottschalk, Thomas.

Seifenoper. Auch: Soap. Man unterscheidet zwischen täglicher (Daily Soap) und wöchentlicher (Weekly Soap) Ausstrahlung. Die Daily Soap ist eine Endlosserie mit verwirrenden Verwicklungen, Intrigen und Liebesgeflechten zwischen gutaussehenden Menschen (→ „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, → „Verbotene Liebe“). Die Weekly Soap ist eine Endlosserie mit verwirrenden Verwicklungen, Intrigen und Liebesgeflechten zwischen häßlichen Menschen (→ „Lindenstraße“, → „Hinter Gittern“). Merke: Soaps funktionieren nur bei RTL und in der ARD, dort aber auch in der Prime-Time.

Spaßgesellschaft. Sammelbegriff für beliebte Unterhaltungsformate und ihr Publikum. Der frühere ZDF-Intendant Stolte sagte über die Spaßgesellschaft: „Ich glaube, daß die Programmformate, wie sie im kommerziellen Fernsehen laufen, voyeuristische Bedürfnisse, die immer in der Gesellschaft latent vorhanden sind, bedienen und daß so etwas in den Programmen des ZDF, aber auch der ARD keinen Platz hätte.“ ( → Kerner, Johannes B.; → Beckmann, Reinhold; → Juhnke, Susanne; -→ Ali, Little; → Erfurt, Geiseldrama von).

Sportrechte. „Sportrechte kaufen“ ist ein unregelmäßiges Verb: Ich kaufe zu einem fairen Preis / Du treibst die Preise in die Höhe / Er hat den Markt völlig versaut.

Standortpolitik. Quelle für zahlreiche materielle und immaterielle Vorteile für Fernsehsender, die sich durch einen Umzug oder die Drohung damit noch vervielfältigen lassen. Außer finanzieller Unterstützung ist besonders die Vertretung der eigenen Interessen durch die jeweilige Landesregierung interessant. Beispiel: „Wir haben Sie gerettet“ – der bayerische Ministerpräsident Stoiber im Oktober 2003 öffentlich zu Neun-Live-Chefin Christiane zu Salm. Gemeint ist der bayerische Widerstand gegen eine Gesetzesänderung, die das zweifelhafte Geschäftsmodell von Neun Live endgültig unzulässig gemacht hätte.

Superstar. a) Früher: Bezeichnung für Berühmtheiten mit enormem Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad (→ „Wetten, daß?“). b) Heute: Gegenteil von a) (→ Küblböck, Daniel; → Alexander).

Versprechen, falsche. „Wir versprechen Ihnen, uns zu bemühen, das neue geheimnisvolle Fenster in Ihrer Wohnung, das Fenster in die Welt, Ihren Fernsehempfänger, mit dem zu erfüllen, was Sie interessiert, Sie erfreut und Ihr Leben schöner macht. Wir sollten es dazu benutzen, das große Wunder des Lebens im Reichtum seiner Formen und Inhalte anzuschauen und zu erkennen.“ Werner Pleister, Intendant des NWDR, in seiner Eröffnungsrede 1952.

Werbung. Noch Haupterlösquelle für Privatsender (vergleiche aber auch → Telefongebühren). Je länger eine Sendung ist, desto häufiger darf sie von Werbung unterbrochen werden. Deshalb werden Sendungen verlängert, indem nach der Werbung einige Augenblicke zurückgespult und die letzte Szene wiederholt wird oder Filme einfach langsamer abgespielt werden. Viele Sendungen berücksichtigen die Werbepause bereits bei der Produktion, blenden am Ende einer Szene sanft aus und dann sanft ein. An dieser Stelle senden deutsche Privatsender die Werbung nie, sondern ausschließlich, wenn es gerade gar nicht paßt.

Wiederholung. Wird im Programm nicht Wiederholung genannt, sondern euphorisch als „Wieder da!“ angepriesen. Handelt es sich erst um die Zweitausstrahlung einer Serie, heißen Wiederholungen „noch nie wiederholte Folgen!“. Als Erlösmodell von RTL 2 perfektioniert. Beispiel: „King of Queens“. RTL 2 zeigt jeden Werktag vier Folgen hintereinander, also 20 Folgen pro Woche (die alle morgens noch einmal wiederholt werden). Bei insgesamt 125 Folgen beginnt die Dauerschleife alle sechs Wochen von vorn, am 16. Oktober 2003 begann der achte Durchlauf des Jahres. (→ „Eine schrecklich nette Familie“.)

Wurm. Beliebte Metapher für niveauloses, aber erfolgreiches Fernsehprogramm, geprägt von RTL-Gründer Helmut Thoma: „Der Wurm muß dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.“ Erstaunlicherweise hat ihm nie jemand erwidert, daß der kluge Fisch den Wurm verschmäht, weil er die Metapher sonst nicht überlebt. (→ Ertrinken, im Seichten kann man nicht).

Zwanziguhrfünfzehn. Anfangszeit des Hauptabendprogramms im deutschen Fernsehen. Ja, auf allen Kanälen. Ja, das ist international einzigartig. Ja, eine runde Anfangszeit wäre viel praktischer. Nein, das können Sie nicht ändern.

Mitarbeit: Michael Reufsteck

Heulen Sie beim Fernsehen, Herr Zeiler?

Ein Grundsatzgespräch mit dem RTL-Geschäftsführer, dem mächtigsten Mann im deutschen Fernsehen.

Herr Zeiler, ich möchte mit Ihnen übers Fernsehen reden.

Ich hätt‘ mit Ihnen auch nicht über Politik geredet.

Passiert Ihnen das oft? Reden Sie nicht sonst nur über Zahlen, Synergien, Formate . . .?

Über Synergien rede ich fast nie, weil ich das Wort schon nicht aushalte. Zahlen habe ich im Kopf, da brauch‘ ich gar nicht viel zu reden. Nein, ich rede eigentlich die meiste Zeit übers Fernsehen.

Aber in Ihrer Position doch sicher auf einer sehr abstrakten Ebene.

Wenn Sie sich vorstellen, der Chef von RTL ist jemand, der von früh bis spät über Zahlen nachdenkt oder sie präsentiert bekommt, muß ich Sie enttäuschen. Ich bin ein Zahlenmensch; ich hab‘ ein gutes Zahlengedächtnis. Aber Zahlen sind ja nichts, was man senden kann – Gott sei Dank. Fernsehen ist ein Produkt. Fernsehen sind die Programme. Ohne die Verbindung zu den Programmen wäre es nicht so spannend, diesen Job zu haben.

Viele Leute sagen: Der Zeiler guckt alles. Mit so einem Tonfall: Das ist sonst nicht üblich.

Ich lese auch noch immer Drehbücher. Von jeder amerikanischen Serie auf dem Markt habe ich zumindest drei Folgen gesehen. Jede deutsche Serie habe ich gesehen, nicht alle Episoden natürlich. Wenn wir eine neue Serie machen, wie „Krista“, schaue ich alle acht Folgen an. Punkt. Das ist zusammen irrsinnig viel, aber es macht Spaß.

Die Videos sehen Sie abends zu Hause auf dem Heimtrainer.

In meinem kleinen Fitneßcenter, das ich im Keller hab‘. Da habe ich ein Laufband und einen Hometrainer, jetzt kaufe ich mir noch so einen Stepper – und dann schau‘ ich. Ich bin dort in schlechten Wochen drei Stunden, in guten fünf Stunden. Natürlich schaue ich viel im Durchlauf. Aber die wesentlichen Fiction-Formate, da muß man sich hineinfallenlassen. Das muß man schon ganz spüren. Das kann man nicht im Schnellvorlauf machen. Ich liebe ja auch Fernsehen. Ich mag einfach dieses Produkt. Ich bin keiner, der sagt: Ich bin zwar RTL-Geschäftsführer, aber bei mir läuft abends nur Arte. Ich bin durchaus Mainstream. Mein Musikgeschmack ist Mainstream, mein Filmgeschmack ist Mainstream – das heißt nicht, daß mir künstlerische Filme nicht gefallen. Aber ich bin Mainstream. Ja!

Gibt es Sendungen, die Sie als hart rechnenden Geschäfts-Fernsehmenschen richtig gepackt, zum Lachen oder Weinen gebracht haben?

Ja, gibt es immer wieder. Ich muß sagen – das klingt wie aufgesetzt, aber es stimmt: Es gibt wenige Fernsehproduktionen, die mich so bewegt haben wie „Deutschland sucht den Superstar“.

Waren Sie im Publikum, als Gracia rausgewählt wurde?

Das war die einzige Folge, bei der ich nicht im Studio war, sondern die ich mir im Ski-Urlaub angeschaut habe. Meine Frau hat schon geschlafen und war sauer auf mich, daß ich meine Tochter, die sieben ist, nicht habe schlafen lassen.

Was ist in Ihnen da vorgegangen?

So eine Sch. . .

Scheiße.

Ja, das habe ich mir gedacht. Und das ist mehr, als je ein CEO der RTL-Group einer Zeitung anvertraut hat. Gracia war meine Favoritin und die meiner Tochter. Ich mußte immer für sie anrufen.

Als Daniel Küblböck zusammenbrach, ist mir mulmig geworden.

Mir nicht. Wir haben uns lange vor der Show intensiv über Vor- und Nachteile von Live-Shows unterhalten. Ich habe immer gefragt: Haben wir das im Griff? Wir haben’s immer im Griff gehabt. Das war ein emotionaler Moment, wo es einmal an der Kippe stand. Und wo interessanterweise der viel geschmähte Carsten Spengemann letztlich die Kurve gekriegt hat, daß es nicht von der Kippe fällt.

Aber es gibt heute kaum noch Momente im Fernsehen, wo man merkt: Hier passiert was!

Es gibt wenig Konzepte, die massenwirksam packend sind. Ich bin einer, der, wenn die Nationalhymne gesungen wird, eine Gänsehaut am Rücken hat. Ich weiß schon, das kann man nicht nur mißverstehen, sondern auch ausnutzen. Ich habe lange Psychologie studiert, die Kombination von Massenmedien und Massenhysterie ist mir schon klar. Trotzdem: Es gibt wenige Programme, über die man nicht nur redet, die uns nicht nur intellektuell beschäftigen, sondern die auch bewegen. „Superstar“ war so etwas.

Bei einigen Folgen von „Six Feet Under“ oder „Ally McBeal“ kann ich heulen. Sie auch?

Das kann mir schon passieren. Aber eher im Kino. Fernsehserien, die mich in letzter Zeit emotional sehr gepackt haben, fallen mir jetzt im Moment nicht ein.

RTL ist extrem erfolgreich – aber was packt mich da? Das ist alles Routine, Alltag, Füllstoff.

Gewisse Sportevents sind packend, die muß man aber dramaturgisch so hinkriegen. Eine andere Geschichte, die mich sehr gepackt hat, war die „70er Show“ mit Hape Kerkeling. Die letzte Sendung . . .

Comedians sangen die Schlümpfe und waren ganz gerührt.

. . . war Spitzenklasse. Oder unsere Sitcoms. Wir haben ein paar wie „Bernds Hexe“, wo ich von der ersten Sekunde dasitze und schmunzle und zwei Mal lache – und wenn es fertig ist, hab‘ ich es vergessen. Es ist nicht wirklich relevant, es ist leicht, aber das soll es auch sein. „Mein Leben und ich“ ist etwas anderes. Das ist auch tiefgehend. Oder auch Atze Schröder zu positionieren. Da haben alle am Anfang gesagt: Das wird ein schrecklicher Absturz. Wir haben lange gezögert und noch eine zweite Staffel gemacht. Aber Atze findet immer mehr seine richtige Positionierung. RTL ist Positionierung. Das ganze Leben ist Positionierung.

Aber Fernsehen, das relevant ist, Gesprächsstoff – daß man im Büro fragt: Habt ihr das gestern gesehen? -, gibt es immer weniger.

Weil die Fragmentierung zunimmt, das ist doch logisch. Aber das gibt es doch noch. Wie oft hat man gesagt: „Die Samstagabendunterhaltung ist tot!“? Und plötzlich haben wir mit „80er Show“, „Superstars“, „70er Show“ einen Hit nach dem anderen. Das sind auch Dinge, über die die Leute reden. Oder über „Wer wird Millionär“.

Aber spielt Leidenschaft noch eine Rolle beim Fernsehmachen, Kreativität, die Lust: Diese Idee will ich unbedingt ins Fernsehen bringen, das will ich sagen? An die „Superstars“ noch x Best-Ofs dranzuhängen oder jetzt eine Kinder-Version zu machen, sind doch rein betriebswirtschaftliche Entscheidungen.

Sie verwechseln zwei Dinge. Das eine heißt im Geschäftsleben: Ich versuche, meine Marken zu diversifizieren. Das gibt es überall: „Bild“ macht „Computerbild“. Deswegen gehen aber, wenn sie es richtig machen, nicht die Emotionen verloren. Deshalb ist nicht weniger Leidenschaft dabei. Die Frage ist, ob du das gut machst oder nicht gut machst. Wir haben leidenschaftlich darüber diskutiert, ob wir „Pop Idol“ Deutschland machen und wie wir das machen. Wenn wir so etwas entscheiden, dann volle Pulle. Dann sind wir Perfektionisten. Wir gehen den Produktionsfirmen schwer auf die Nerven. Wenn ich höre, daß eine Produktionsfirma unsere Redakteure lobt in dem Sinne: die lassen uns frei arbeiten, sage ich: Da läuft was schief.

Die Firmen sagen umgekehrt, daß der Sender ihnen mangels Mut alles Spannende aus ihren Konzepten wieder rausstreicht.

Das stimmt für RTL nicht. Wir sind mutig. Aber das muß nicht immer das sein, was Produktionsfirmen unter Mut verstehen. Und ich mache die Fehler lieber selber, als daß ich sie andere machen lasse.

Ist es, wenn man so erfolgreich ist wie RTL, schwerer, mutig zu sein?

Ja.

Und Ihre Konkurrenz sagt, sie könne es sich nicht leisten, weil sie zu klein ist. Na super.

Nein, bei einem kleinen Sender kannst und mußt du viel mutiger sein als bei einem großen. Wir sind ja nicht das Flugzeug, das erst 100 Meter vom Boden aufgestiegen ist, wir sind in 10 000 Metern Höhe.

Also bloß nix riskieren.

Nein, ich sage nur: Wir haben viel zu verlieren. Andererseits wissen wir: Wenn wir nicht jedes halbe Jahr zwei, drei neue Programme bringen und den Innovationsmotor einmal stottern lassen, ist das der Anfang vom Ende. Wir müssen ins Risiko. Wenn das Mißerfolgsvermeidungsdenken beginnt, ist es aus. Dann müssen Sie mich von dem Job wegnehmen.

Was war im vergangenen Jahr innovativ, riskant, außer vielleicht dem „Superstar“?

Die „70er“, die „80er Show“ . . .

Ist es innovativ, nach der „80er“ eine „70er Show“ zu machen, bald die „90er“ und die „DDR-Show“?

Also, die „80er Show“ war ganz bestimmt innovativ. Im fiktionalen Bereich waren wir in der Vergangenheit mit „Hinter Gittern“ innovativ. Den Sitcom-Boom haben wir ausgelöst. Wir haben uns auch getraut, „Wie war ich, Doris“ gegen den Schröder zu machen – leider nur eine schlechte Produktion.

Setzt RTL die gesellschaftlichen Trends in Deutschland?

Medien setzen keine Trends. Medien können Trends verstärken und abschwächen. Sie können als Medium nicht die Meinung der Leute umdrehen.

Auch nicht mit Ihrer Größe?

Nein. Und das ist auch gut so.

Aber Sie setzen Medientrends.

Ja, klar. Wenn ein Modehaus etwas Neues macht und das trifft auf Akzeptanz beim Konsumenten, dann setzt der erste, der’s macht, einen Trend. Ja. Aber davor muß man sich nicht fürchten; es verändert ja die Welt nicht.

Es verändert die Fernsehwelt.

Mich plagt beim Einschlafen nicht der Gedanke, ich hätte mit meinen täglichen Entscheidungen die Welt verändert und wüßte nur nicht, in welche Richtung.

Und wenn im Herbst auf jedem Sender eine „Superstar“-Kopie läuft, haben Sie da nicht manchmal das Gefühl: Oh Gott, was hab‘ ich da ausgelöst?

Ehrlich gesagt, wir schauen nicht so sehr auf die anderen Kanäle. Wirklich nicht. Das ist das Schöne an der Mannschaft, die ich da habe: Die Leidenschaft für das Produkt – das sind lauter Verrückte, inklusive meiner Person. Und die Identifikation mit der Marke RTL. Das ist ein Teil des Erfolges.

Wenn es bergauf geht mit den Werbeerlösen, gibt es einen Traum, den Sie sich dann erfüllen wollen?

Wir haben auch gespart, deutlich gespart. Aber wir haben uns unsere Träume eigentlich immer erfüllt. Wir haben sogar „Held der Gladiatoren“ gemacht, die teuerste deutsche Fiction-Produktion bis dato, weil ich gesagt habe: Das probieren wir aus. Das ist ein historisches Drama, eine Art Soap. Es gibt ein Projekt im Jahr, bei dem wir sagen, da trauen wir uns was ganz Besonderes. Wir haben nicht alle Wünsche erfüllt, keine Frage. Aber daß große Träume unerfüllt geblieben sind? Nee. Die Champions League hätte ich sowieso nicht genommen.

„Laßt die Anzeigenseiten weg, und verdoppelt den Preis!“

Wie überleben die Qualitätszeitungen? Axel Zerdick, Professor für Medienökonomie an der FU Berlin, hat ein paar radikale Ideen

Herr Zerdick, Sie haben schon vergangenes Jahr den überregionalen Zeitungen gesagt, sie sollten nicht hoffen, daß bei besserer Konjunktur die Stellenanzeigen zurückkehren, denen sie bislang einen Großteil ihrer Einnahmen verdankten. Zwei Drittel würden nie zurückkommen.

Ja, aber die Prognose war wohl falsch.

Ach?

Die Zeitungen sollten sich darauf einstellen, daß es eher einhundert Prozent werden. Wir haben alle Rubriken durchgearbeitet – nur für Todesanzeigen sehen wir keine Konstruktion, wie sie im Internet veröffentlicht ihre Funktion erfüllen könnten. Die bleiben den Zeitungen. Die anderen Rubrikenanzeigen aber sind mittelfristig nicht zu halten, und das sollte sich auch niemand wünschen.

Wie meinen Sie das?

Datenbankgestützte Internet-Angebote sind nicht nur bei Immobilien- und Stellenanzeigen in jeder Hinsicht überlegen. Nehmen Sie ein besonders klares Beispiel: Handelsregister-Eintragungen sind für Geschäftspartner zwar nur selten wichtig, dann aber dringend. Jeder andere Weg als der Zugriff auf eine vollständige und zuverlässige Datenbank wäre nicht nur ineffektiv, sondern auch riskant.

Aber die Stellenanzeigen werden doch zumindest so lange noch gebraucht, wie nicht alle Menschen „online“ sind?

Das wäre für die Zeitungen ein Trost, aber mit zeitlicher Begrenzung. Wir kennen aber die Perspektive der Unternehmen; für die ist Rekrutierung und Personalentwicklung sehr viel wichtiger, als die Zeitungen zu glauben scheinen. Meine – zugegeben zugespitzte – These lautet: Unternehmen werden Stellenangebote bald nur noch aus Dummheit, Faulheit oder Mitleid in Zeitungen veröffentlichen.

Oh.

Ja. Niemand ist daran interessiert, möglichst viele Bewerbungen zu bekommen. Es geht darum, diejenigen Menschen zu gewinnen, die für die jeweilige Aufgabe besonders geeignet und vielversprechend sind. Bei Ausschreibungen wünschen Sie sich eine Handvoll guter Leute und möglichst wenige Bewerbungen allgemeiner Art von Menschen, die zwar gerne arbeiten wollen, aber keine besondere Aufgabe faszinierend finden.

Was hat das mit dem Internet zu tun?

Für große Firmen sind Bewerber, die sich aktiv zum Beispiel auf der Bayer-Homepage informieren und nach dort veröffentlichten Angeboten suchen, viel interessanter, als jemand, der zufällig über eine Anzeige gestolpert ist. Daß jemand sich auf eine Annonce meldet und so demonstriert, daß er nur eher vage interessiert ist und nicht die überlegenen Recherchemethoden nutzt, spricht gegen ihn.

Bislang sind Stellenanzeigen in den überregionalen Blättern doch gerade wegen der exklusiven Leserschaft interessant.

Die Exklusivität gilt für die Leserschaft insgesamt, und sie wirkt sich positiv aus für Anzeigen, die möglichst viele in dieser Zielgruppe erreichen sollen. Weitaus die meisten Leser brauchen aber gerade weder einen neuen Job noch ein neues Haus, noch ein neues Auto – die Rubrikenanzeigen sind ohnehin überwiegend „Streuverlust“. Jetzt gibt es bessere Wege, die richtigen Menschen mit den richtigen Aufgaben in Verbindung zu bringen. Je rascher die Zeitungen das begreifen, desto besser.

Was bleibt den Zeitungen dann vom Anzeigengeschäft, das doch klassischerweise zwei Drittel der Umsätze darstellt?

Ach, das ist erfreulicherweise schon längst nicht mehr so. Still und leise haben die Verlage in den letzten Jahren den Anteil der Vertriebserlöse erhöht – vernünftigerweise übrigens – und liegen jetzt eher bei 45 als bei 33 Prozent. Von den Anzeigenerlösen werden vor allem die Imageanzeigen bleiben. Eine stabile Stärke von Printmedien gegenüber anderen Medien wird auch in Zukunft die größere Genauigkeit in der Ansprache von Zielgruppen sein. Das werbefinanzierte Fernsehen hat da größere Probleme.

Gibt es also wenigstens im Bereich der Anzeigen von Markenartiklern Hoffnung?

Ja, das Potential ist nach meiner Meinung sehr groß, aber man darf gerade nicht versuchen, sie durch Sonderwerbeformen und Sonderveröffentlichungen zu erreichen – die sind ein typisches Zeichen von sterbenden Segmenten. Jede Aufweichung der Grenzen zwischen Redaktion und Werbung ist kontraproduktiv: Der Wert der Zeitungen auch für den Anzeigenkunden besteht ja gerade in ihrer Glaubwürdigkeit bei den Lesern.

Nun brechen den Verlagen durch das Internet nicht nur Werbeerlöse weg, auch inhaltlich haben sie neue Konkurrenz. Das klingt, als ob die Zeitungen in jeder Hinsicht einpacken können.

Einige schon, und nicht jedem Blatt wird man lange nachweinen müssen.

Und die anderen?

Zuerst: Die Krise ist nicht ganz so schrecklich, wie die meisten Journalisten glauben. Was ihre Verlage ihnen nie sagen, ist, daß es ihnen in Krisenzeiten im Vergleich zu anderen Branchen immer relativ gut geht. Wenn die Anzeigenumfänge sinken, vermindern sie auch die redaktionellen Umfänge – das ist für den Kunden ungefähr so, als würde VW sagen: Der Golf verkauft sich im Moment leider schlecht, deshalb können wir leider nur noch drei Sitze einbauen. Die Verlage sparen dadurch erhebliche Papier-, Satz- und Druckkosten. Und im Unterschied zu anderen Unternehmen veröffentlichen Zeitungen fast nichts darüber, wie es ihnen wirtschaftlich wirklich geht. Deshalb können sie die Krise besser nutzen, ihre eigenen Leute von der Notwendigkeit von Entlassungen, Kostensenkungen und härterer Arbeit zu überzeugen, und senken so die Kosten doppelt.

Und wie können sie der wachsenden Konkurrenz begegnen?

Sie werden überrascht sein: Gerade die traditionellen Medienunternehmen, insbesondere die Tageszeitungen, haben im Vergleich zu ihren neuen Konkurrenten bisher nicht wahrgenommene Stärken. Zeitungen haben Erfahrungen mit der Bildung und Bindung von communities, in denen sie die Teilaspekte unserer Rollen als Bürger, Verbraucher und Produzenten verbinden. Sie haben Erfahrungen im Umgang mit der Kombination ganz unterschiedlicher Erlösquellen, und sie können eigentlich durch wichtige Veränderungen ihrer Rahmenbedingungen nicht so leicht überrascht werden wie Industrieunternehmen – sie müssen für solche Analysen nicht bezahlen, sie werden dafür bezahlt: dies ist Teil ihres ureigenen Geschäfts.

Die Frage bleibt, wie die Qualitätspresse bei rapide wegbrechenden Anzeigenerlösen überleben kann. Woher sollen die Einnahmen kommen?

Lassen Sie mich die Sache zuspitzen: Interessierte und engagierte Menschen legen keinen Wert darauf, daß ihre Zeitungen eine Ko-Finanzierung aus Quellen erfahren, denen sie möglicherweise mißtrauen. Die finanzielle Abhängigkeit von Werbung war immer Ausdruck einer strukturellen Schwäche der Zeitungen.

Und was folgt daraus?

In einem – zu kurzen – Satz: Laßt die Anzeigen weg und verdoppelt den Preis! Und liefert mir dafür in eurem Internet-Angebot Überblick und Vertiefung, „variable Tiefenschärfe“ durch kluge Verweise, laßt eure guten Leute Blogs schreiben, wie der „San Jose Mercury“ das macht, gebt mir die Chance zur Vervielfältigung meines Wissens dann, wenn es mir darauf ankommt, wie „The Economist“ das macht! An dem dazu passenden Preismodell arbeiten wir gerade.

Also wird es auch die Qualitätspresse in ein paar Jahren noch geben?

Nur die. Die besten Chancen haben die Zeitungen, die einen Anspruch nicht nur behaupten, sondern auch erfüllen. Sie müssen allerdings den Kulturwechsel offensiv angehen und sich entscheiden: Wollen sie die Qualität so weit herunterschrauben, bis sie den niedrigen Einnahmen entspricht? Oder wollen sie die Qualität beibehalten und die Einnahmen durch einen höheren Preis anpassen? Da ist eine klare Entscheidung nötig, eine graduelle Strategie ist gefährlich. Weil man sonst möglicherweise die Stärken, die man hat, aus falscher Vorsicht beschädigt und dann bei einem späteren Strategiewechsel nicht mehr auf sie aufbauen kann. Wenn Sie bisher die besten Pferde gezüchtet haben, können Sie auf die Erfindung des Automobils auch nicht graduell reagieren und statt Hufe Räder unter Ihre Pferde schrauben und später vielleicht noch einen Auspuff anhängen.

Das nenne ich Weltverbessern

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Sandra Maischberger über ihre neue Sendung und das Ding mit Schröder.

Frau Maischberger, angenommen, Sie haben Sandra Maischberger zu Gast in Ihrer Sendung. Wie bereiten Sie sich vor?

Zunächst würde ich die Frage stellen: Ist das der richtige Gast?

Sie wird demnächst Nachfolgerin von Alfred Biolek.

Für manche Sendungen wäre es dann wohl unvermeidlich, obwohl ich immer noch fragen würde: Ist das Grund genug, jemanden zu interviewen?

Sie ist kürzlich groß in den Schlagzeilen gewesen.

Klatsch macht mich für meine Sendungen noch nicht relevant. Wenn doch, wäre ich sehr schnell fertig mit der Vorbereitung. Ich werde zwar 37, aber habe noch nicht das Alter, wo man ein langes, abwechslungsreiches Leben hinter sich hat.

Genug für eine halbe Stunde Talk.

Ich habe letztens über Hildegard Hamm-Brücher gelesen, der Unterschied zwischen ihr und anderen Politikern sei, daß sie eine Biographie und nicht nur eine Karriere habe. Das fand ich extrem klug. Darum unterhalte ich mich auch lieber mit älteren Menschen als mit jüngeren, die nur berühmt sind, weil sie gerade im Fernsehen sind.

Was müßten Sie sich als Talkgast fragen? Würden Sie Ihre angebliche Affäre mit Bundeskanzler Gerhard Schröder ansprechen?

Ich wußte sofort, worauf Sie hinauswollen… Das wäre eine Sache auf der Kippe. Es könnte sein, daß wir sagen: Ihr Feld ist politischer Journalismus, deshalb wäre es interessant, wie man damit umgeht, daß man eine relativ sachorientierte Arbeit macht und plötzlich mit einem relativ unsachlichen Eimer Schmutz konfrontiert wird. Ich würde nicht fragen: „Haben Sie?“, und ich bin das damals oft gefragt worden. Ich möchte, daß jemand, der Fragen stellt, vorher abwägt und versucht, mit eigenem Verstand und Augenmaß eine Frage in einen Kontext zu betten. Dann würde sich die Frage „Haben Sie?“ verbieten, weil sie irgendwas zwischen indiskret und dumm ist: Es geht niemanden etwas an, und man ist einer Lüge aufgesessen.

Was also würden Sie fragen?

Vielleicht wie ist es, unter diesen Voraussetzungen den Job weiterzumachen.

Das wäre vermutlich trotzdem keine Einstiegsfrage.

Es wäre eine Super-Einstiegsfrage, wenn ich jemanden gleich zum Anfang des Gespräches komplett zum Verstummen bringen wollte. Es gibt allerdings Gäste, die besser sind, wenn man sie ein bißchen provoziert, Daniel Cohn-Bendit zum Beispiel. Bei so einem könnte man damit auch anfangen. Aber in meinem Fall würde ich es weit hinten im zweiten Teil tun.

Ah. Andererseits werden Sie von der Presse ja so geliebt…

Toll, ne?

…da müßten Sie sich doch knallhart interviewen, nicht kuschelig.

Wenn die gängige Meinung über mich ist, daß ich wenig falsch mache, würde ich versuchen, Fehler zu finden. Und ich würde einen Wissenstest machen, Trivial Pursuit. Um herauszufinden, daß ich wirklich nicht mehr weiß, als das, was ich frage.

Wissen Sie genug, um aus dem Stegreif etwa über die Gesundheitsreform diskutieren zu können?

Ich könnte die öffentlich diskutierten Knackpunkte referieren. Bei „Live aus dem Schlachthof“ bin ich in die Sendung gegangen: Ich weiß nichts, deswegen frage ich andere, damit ich etwas erfahre. Das war eine gute Methode. Bei „Talk im Turm“ klappte die überhaupt nicht mehr, weil alle, außer mir, schon wußten, was die anderen antworten würden. Ich habe mich ein Jahr lang angestrengt, in jedem Thema auf das Wissen meiner Gäste zu kommen, was völlig unmöglich war. Ich habe gelernt, daß ich als Journalistin mitnichten die Antworten geben können muß. Ich weiß heute genau so viel, um die richtigen Fragen zu stellen.

Zur Rolle als Fragende gehört eine gewisse Unscheinbarkeit. Sie aber werden immer mehr zum Star.

Ist das so?

Ja.

Sie glauben, daß es das natürliche Ende der Sendung sein wird, wenn ich berühmt bin?

Nein, aber mit jedem Society-Auftritt oder „Bunte“-Titel verschwinden die Interviewten mehr hinter dem Glanz der Interviewerin.

Die Gefahr, sich in sich selbst zu verlieben, ist in dem Job extrem hoch. Eine gute Strategie dagegen ist, sich nicht mit sich selbst zu beschäftigen. In dem Moment, wo Sie mir tausend Fragen über mich stellen, tue ich das aber. Das ist nicht so gut, ernsthaft! Sich selber in der Zeitung zu sehen, das Lob über sich zu lesen, das verleitet einen dazu, sich selbst nicht nur zu wichtig zu nehmen, sondern auch toll zu finden.

Sabine Christiansen ist für den Zuschauer nie nur Moderatorin, sondern auch Udo-Walz-Kundin, Wowereit-Freundin, Ex-Ehefrau…

Ich war lange Zeit sehr vorsichtig und habe kaum über mein Privatleben gesprochen. Jetzt bin ich an einen Punkt gelangt, wo ich feststelle, daß das Interesse ohnehin da ist, und wenn ich nichts erzähle, kommen erfundene Geschichten wie die mit Schröder. Da stehe ich fassungslos vor. Es gab bei der Entstehung mehrere Kolleginnen, die immer genannt wurden als potentielle Geliebte, aber es blieb an mir hängen. Viele, die sich auskennen, sagten mir, daß es daran liegt, daß man so wenig über mich weiß und so viel hineingeheimnissen kann. Also hat man mir den Rat gegeben: Mach dich etwas öffentlicher! Ich probiere jetzt, wie weit ich damit komme.

Andererseits genießen Sie ja auch die Öffentlichkeit, waren in Ihrer Dokumentation über die „Tagesschau“ dauernd selbst im Bild.

Weil es eine Mischung aus Dokumentation und Interview und auch so gewünscht war. Man kann mir den Generalvorwurf machen, ich sei eitel. Das ist völlig in Ordnung. Ich kann Ihnen auch jetzt schon sagen, was mit der neuen Sendung in der ARD passieren wird. Die Leute werden schreiben: Jetzt ist sie nicht mehr so puristisch, jetzt hat sie sich boulevardisiert. Aber ich möchte eine Sendung machen, die dicht am Leben ist. Wo man das Gefühl hat, da könnte noch was passieren, was nicht so im Drehbuch stand.

Wie entwickelt man so was?

Das Tolle an so einer Sendung ist, daß Konzeptpapiere nicht taugen. Sie müssen’s probieren. Es ist wie ein neuer Schuh: Sie kaufen ihn, schlüpfen rein, er drückt, und Sie müssen laufen. Jetzt bin ich zweimal testweise drin gelaufen, und es hat sich unglaublich selbstverständlich angefühlt.

Wie hat die ARD Sie gekriegt? Mit Geld?

Ich bin mit Geld nicht zu locken, das ist fast schon unprofessionell von mir. Ich möchte gutes Geld verdienen, aber Geld ist nicht das Wichtigste, sonst hätte ich längst eine Quizshow.

Wie viele Quiz-Angebote gab es?

Eins. Immerhin. Nein, das erste, was mich gelockt hat, war Alfred Biolek, der zu mir sagte: Ich möchte gerne aufhören, und ich hätte gerne, daß Sie das machen. Das ist eine Erbschaft, die man nicht ablehnen kann. Das zweite, was mich gereizt hat, war, daß montags Beckmann einen Unterhaltungstalk macht und mittwochs Bauer und Friedman politische Talks. Es hat mich gereizt zu sehen, ob man es schafft, am Dienstag beides zu machen, „U“ und „E“.

Ich habe gar keine Aussage von Ihnen gefunden, ob Sie „maischberger“ auf n-tv weitermachen.

Ich habe, glaube ich, immer gesagt, das ist noch nicht entschieden.

Und?

Das ist noch nicht entschieden.

Mit „maischberger“ sind Sie bei Publikum und Kritik höchst beliebt, mit früheren Sendungen aber oft gnadenlos durchgefallen. Stehen Sie gerade an einer Gabelung, wo es auf neue Höhen gehen kann, aber auch ganz runter?

Das könnte passieren. Aber wenn Sie sich diesen Zickzacklauf meiner Karriere angucken — ich habe einfach keine Angst mehr davor.

Vielleicht ist das intime Interview wie in „0137“ und „maischberger“ das einzige, was Sie gut können.

Nein. „Live aus dem Schlachthof“ war alles andere als intim, und in „0137“ war ich nicht wirklich gut.

Sie fürchten nicht, daß Sie vielleicht einmal sagen, hätten Sie nur „maischberger“ weitergemacht, Sie wären ewig erfolgreich geblieben?

Wenn ich ewig erfolgreich bleiben wollte, hätte ich schon in den letzten Jahren andere Dinge gemacht. Ich weiß gar nicht, ob das so unbedingt erstrebenswert ist. Nein, das ist nicht mein Kriterium. Ich bin unvorsichtig neugierig, muß immer wieder Sachen probieren. Warum würde man sonst „Greenpeace-TV“ machen, eine Kombination aus Umweltschutzgruppe und kommerziellem Sender? Absurd! Ich hätte natürlich auch „Talk im Turm“ nicht machen dürfen. Es würde mich sehr schmerzen, wenn die neue Sendung nicht funktionierte, und ich würde eine mittelschwere Krise bekommen. Aber es würde mich nicht umbringen.

Kann es sein, daß die vielen Leute, die Sie in der Presse hochjubeln, Sie auch deswegen toll finden, weil sie Ihre Sendung nie sehen?

Keine Ahnung. Vielleicht wird sich das mit dem Loben eh ändern, wenn die neue Sendung beginnt. Jeder Kritiker, der mich jetzt lobt, denkt vielleicht noch, er lobt einen Geheimtip, und das läßt ja auch den Lobenden gut aussehen. Das wird in dem Moment vorbei sein, wo ich in der „ersten Reihe“ sitze.

Glauben Sie, daß der Wechsel ins Erste einen ganz anderen Grad an Popularität bedeuten wird?

Natürlich. Aber ich werde damit besser umgehen können, als die, die privat mit mir sind. Und die Art von Popularität, die Olli Kahn, Boris Becker oder Günther Jauch das Leben schwermacht, das bin ich sowieso nicht.

Warum nicht?

Becker und Kahn sind Idole, Jauch ist wie Gottschalk ein Ausnahmetalent der Unterhaltung. Das bin ich einfach nicht.

Sie haben gesagt, mit Florian Illies‘ „Generation Golf“ können Sie wenig anfangen, weil Sie zu den engagierten Friedenslatschenträgerinnen gehörten, über die er sich da lustig macht. Wo ist heute Ihr Engagement?

Ich begreife meinen Job schon als Engagement. Aber das Jäger-Gefühl, diese „Spiegel“-Haltung: den jagen wir aus dem Amt, das habe ich tatsächlich nicht.

Kein Weltverbessern mehr?

Doch, das tue ich ja. Im besten Fall gebe ich jemandem eine Information, die er vorher nicht hatte. Ich sortiere ihm den Irak-Krieg, indem ich verschiedene Arten aufzeige, ihn zu sehen, so daß er sich selber eine Meinung bilden kann. Das nenne ich Weltverbessern: Bildung, Information, Wissen verbessert die Welt. Aber ich habe nicht den Ehrgeiz und meistens auch nicht die nötige Kenntnis, aktiv zu werden.

Jetzt wäre wohl der Zeitpunkt, die Schröder-Frage zu stellen…

Machen Sie bloß keinen Fehler!

Rundfunkgebühren

Gebt’s ihnen! Die Interessen der Privatsender sind nicht unsere: Warum die Rundfunkgebühr für ARD und ZDF erhöht werden muß.

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Die ARD hat etwas Schlimmes gemacht. Sie hat vergangenen Monat ihre Online-Angebote so umsortiert und zusammengefaßt, daß man sie sogar nutzen mag. Wer nach aktuellen Meldungen und Hintergrundinformationen im Internet sucht, wird unter tagesschau.de tatsächlich fündig. „Eine scharfe Attacke auf Angebots- und Meinungsvielfalt im digitalen Bereich“, nennt Spiegel Online das. „Während allerorten Premiuminhalte oder Archivrecherchen kostenpflichtig werden, gibt es bei den öffentlich-rechtlichen Adressen weiterhin alles umsonst.“ Pfui! Ein reichhaltiges Angebot zuverlässiger Informationen im Internet für jeden? Nicht nur für die Reichen, die dafür zahlen können? Was für ein Skandal! Wie kann es die ARD wagen, unsere Rundfunkgebühren einfach für etwas zu nutzen, das für uns alle so nützlich ist?

Die Empörung der Kollegen von Spiegel Online läßt sich noch erklären: Sie konkurrieren mit ihrem Nachrichtenangebot direkt mit dem Internetauftritt der „Tagesschau“. Da kann man das eigene unternehmerische Interesse schon mal mit dem der Leser verwechseln. Das wäre nicht der Erwähnung wert, entspräche es nicht exakt dem Muster, in dem jede Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seine Finanzierung geführt wird. Die Prämisse ist immer dieselbe: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse eingedämmt werden, alles andere koste uns nur unnötig Gebühren und die Privatsender Arbeitsplätze; überhaupt sei die natürliche Form des Rundfunkveranstalters die eines privatwirtschaftlichen Unternehmens. Der Diskurs ist so fest in diesen Annahmen verankert, daß es fast tollkühn scheint, sie in Frage zu stellen. Aber ist es nicht viel abwegiger anzunehmen, daß einer Gesellschaft am besten damit gedient ist, wenn sie ihre Information, ihre Unterhaltung, fast ihr ganzes Weltbild von Firmen bekommt, deren einziger Zweck es ist, möglichst viel Geld zu verdienen?

Das Bundesverfassungsgericht ging in seinen Urteilen eher nicht davon aus, daß kommerzielle Anbieter die gleiche Qualität und Bandbreite liefern würden wie öffentlich-rechtliche Programme, und wenn doch, könnten sie es zumindest nicht auf Dauer garantieren. Die Anforderungen an das Programm der Privatsender sind nicht so hoch – das sei zu akzeptieren, entschied das Gericht 1986, solange die Öffentlich-Rechtlichen alles liefern, was eine Gesellschaft, eine Demokratie, eine Kultur an Rundfunk braucht, vom Bildungsfernsehen bis zur Unterhaltungsshow. Für dieses umfassende Angebot erfand das Gericht den Begriff der „Grundversorgung“. Damals war eindeutig, welcher Teil im „dualen Rundfunksystem“ die beste Garantie für ein gutes Programm ist und welcher der Luxus, den sich eine Gesellschaft zusätzlich leisten kann.

Heute hat sich dieses Verständnis umgekehrt: Die Bedeutung des Wortes „Grundversorgung“ ist in der öffentlichen Diskussion geschrumpft vom Anspruch der Komplettversorgung, die auch dann ausreicht, wenn die Privaten ausfallen sollten, zur Mindestversorgung. Man denkt an klassische Konzerte, Schulfernsehen, schwierige Dokumentationen, philosophische Diskussionsrunden und das Wort zum Sonntag, Sachen, die keiner wirklich sieht, aber die es natürlich schon irgendwie geben sollte, Luxus halt, den man den Privatsendern wirklich nicht zumuten kann.

Unter dieser Voraussetzung steht von vornherein fest, wie jede Diskussion um eine Gebührenerhöhung für ARD und ZDF verlaufen wird. Entsprechend wenig Mühe geben sich die beteiligten Politiker und Lobbyisten, wenigstens sprachliche und argumentative Mindeststandards zu erfüllen. Der medienpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion verschickte eine Pressemitteilung, in der das Signalwort „Abzocke“ schon in der Überschrift steht (als entschieden ARD und ZDF selbst über ihre Gebühren) und in der er sich beschwert, daß die Öffentlich-Rechtlichen einen „kräftigen Schluck aus der Gebührenpulle nehmen“ wollen, was gleich mehrere Fragen aufwirft: Wo steht diese Flasche? Wem gehört sie? Wieviel ist noch drin? Und wer trinkt sie aus, wenn ARD und ZDF was drinlassen?

Voller Empörung werden die zehn Prozent Zuschlag zitiert, die ARD und ZDF bei der zuständigen Kommission KEF beantragt haben. Zehn Prozent! Nur gelegentlich steht in den Artikeln, daß die Gebührenperiode vier Jahre dauert, zehn Prozent also nicht einmal zweieinhalb Prozent jährlich entsprechen, was immer noch etwas mehr ist als ein Inflationsausgleich, aber die Massen kaum auf die Barrikaden bringen würde. Natürlich ist es skandalös, wenn ARD und ZDF das Geld dazu verwenden, absurd teuere Preise für WM- oder Bundesliga-Übertragungen zu zahlen. Natürlich ist das beste Argument gegen eine Gebührenerhöhung Johannes B. Kerner, der in einem Interview fragte: „Wissen Sie, wie viel Geld ich verdiene? Es ist unglaublich, wie viel Geld ich mit diesem Image machen kann. Besser geht’s nicht.“ (Der Mann redet von unseren Gebühren.) Natürlich ist der Soap- und Boulevard-Wahn von ARD und ZDF ein Ärgernis. Doch darum geht es nicht. Auch wenn die Forderung von Edmund Stoiber und anderen erfüllt würde, die Gebühren „einzufrieren“, sprich: netto zu senken, müßte kein Beckmann, kein Kerner um sein Auskommen bangen, leider.

Wer fordert, ARD und ZDF de facto weniger Geld zu geben, will ihren Einfluß und ihre Möglichkeiten beschneiden und sie langfristig marginalisieren. Das freut Bertelsmann, die Kirch-Nachfolger und, wenn es ums Internet geht, auch die Verlage. Ob es im Interesse der Gesellschaft und der Zuschauer ist, ist eine andere Frage.

Die Realität als Konkurrent von ARD und ZDF ist manchmal bitter und nicht immer gerecht: Als sie ihren Kinderkanal starteten und dafür beste Kabelplätze bekamen, bedeutete das das Aus für die private Konkurrenz von Nickelodeon, die ein sehenswertes und innovatives Kinderprogramm gemacht hatten. Das wurde, zu Recht, von vielen beklagt. Aber auf einen werbe- und gewaltfreien Kinderkanal würden Millionen Eltern, gerade angesichts der täglich zu betrachtenden Programmalternative namens RTL 2, nicht verzichten wollen.

Die privaten Veranstalter fordern eine Art Chancengleichheit: Weil sie unter den wegbrechenden Werbeerlösen leiden, sollen sich auch ARD und ZDF stärker einschränken. Das Gegenteil ist richtig: Gerade weil die Qualität, die die Privaten liefern, immer von Konjunkturschwankungen abhängen wird, müssen die Öffentlich-Rechtlichen davon frei sein. Damit wir auch in schlechten Zeiten gutes Fernsehen bekommen.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Mein Freund das Wort ist tot

Jörg Walberer, Noch-Chefredakteur der „Hörzu“, entblättert seine Seele.

Es ist nicht leicht, Jörg Walberer zu sein. Neulich wieder wurde er schief angesehen, nur weil er mitten in einem „ernsten Gespräch“ (Krebs? Arbeitslosigkeit? Tod?) sagte: „Das Leben ist doch schön.“ Einfach so. Grundlos. „Weil mir danach war.“ Und stimmt es nicht? „Des Frühlings wärmende Sonnenstrahlen, das morgendliche Vogelkonzert und bald der Blick auf Wiesen voller Gänseblümchen?“ Also! „Ich glaube, die meisten von uns haben, auch wenn sie weniger haben, immer noch mehr als genug.“

Seit Jörg Walberer die Fernsehzeitschrift „Hörzu“ vor einem Jahr nach seinen Wünschen umgestaltet hat, hat sie viel weniger Anzeigen. Aber es sieht nicht so aus, als ob siebzig Prozent des Vorjahres genug sind, geschweige denn mehr als das. Der Axel Springer Verlag hatte ihn als Chefredakteur von der „Gala“ geholt, um aus dem altmodischen Familiendampfer ein flottes Promiblättchen zu machen, was vielleicht ein paar der ohnehin weniger werdenden Leser verschrecken könnte, aber wenigstens bei der Werbebranche super ankommen würde.

Dachte man.

Nach Lesern und Anzeigenkunden verlassen jetzt leitende Redakteure das Blatt; womöglich ist Walberer selbst bald dran. Es wäre ein Verlust. Kein anderer Chefredakteur schreibt Editorials wie er. Früher stand vorn in der „Hörzu“ eine kommentierte Führung durchs Heft, Walberer führt die Leser durch das Labyrinth in seinem Kopf: bizarre Felsformationen, dahinter, im Nebel, die Abgründe seiner Seele. „In eigener Sache“ steht darüber.

Man ahnt, daß Walberer gefällt, wie Franz-Josef Wagner in „Bild“ schreibt. Wie er scheinbar sinnlos Satzfragmente und Wörter aneinanderreiht und trotzdem nicht als wahnsinnig gilt, sondern als genial. Walberer versucht das auch. Er schreibt: „Das Leben war immer mühsam, immer anders mühsam, so wie es immer schön war, weil es immer anders schön war.“ Walberer gefällt sein Satz, er druckt ihn fett und in Großbuchstaben. Sicher ist er überzeugt, daß das „weil“ darin kein Fehler ist, sondern Kunst.

Man muß davon ausgehen, daß er die deutsche Sprache für seinen Freund hält. Das Wort, schreibt er, „vermag wie eine Ameise das Vielfache des eigenen Gewichts zu tragen, so als sei es nichts. Wir können es anfassen, können es drehen und wenden und biegen und brechen, wie einen Wurm können wir Sätze auseinandertrennen, und jedes Ende kann weiterleben für sich. Vielleicht hat es dann sogar mehr Kraft.“ Also dreht, wendet, biegt und bricht Walberer das Wort, und niemand hindert ihn, Sätze „auseinanderzutrennen“ wie ein Sechsjähriger einen Wurm, obwohl längst kein Ende mehr lebt. „Krieg ist kein Wort“, schreibt er zum Thema Irak. „Unsere einzige wirkliche Waffe ist das Wort. Auch wenn wir nichts tun können, wir haben etwas getan. Wenn die Welt aufgehört hat zu reden, fängt es an. Egal, wie es ausgeht.“ Hier endet der Text.

Einmal erklärt er, warum es nichts bringt, Leute zu entlassen. „Menschen kosten Geld. So oder so. Vielleicht ist es ein bißchen weniger unter dem Strich, wenn sie arbeitslos sind. Aber vielleicht sparen diese Leute dafür viel mehr, als sie weniger haben. Auch schlecht für unsere Unternehmen.“ Womöglich will Walberer sagen, daß Arbeitslose auch schlecht für die Wirtschaft sind, weil sie wenig konsumieren. Aber warum einen banalen Gedanken banal formulieren, wenn man den Leser sich stundenlang in der Rechenaufgabe verlieren lassen kann, wieviel ein Arbeitsloser mehr spart, als er viel weniger hat?

„Der Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit ist etwa so wie der zwischen Besitz und Eigentum. Ich kann in einer Wohnung wohnen, auch wenn sie mir nicht gehört.“ Aber ist das nicht der Unterschied zwischen Miete und Eigentum? „Ich muß nicht einsam sein, auch wenn ich gerade allein bin.“ Ah: Also wie der Unterschied zwischen Betrunkensein und Blödsein. „Alleinsein kann man genießen, Einsamkeit muß man ertragen. Aber ertragen heißt auch sich arrangieren. Sich arrangieren heißt etwas tun.“ Sekunde: Heißt sich arrangieren nicht nichts tun? „Wir können etwas gegen die Einsamkeit tun. Wir können reden, wir können auch zu zweit oder zu dritt durch den rauschenden Wald gehen.“ Gut, dann sind wir nicht mehr allein. Aber vielleicht noch einsam? „Sich arrangieren heißt nicht unbedingt hinnehmen.“ Doch! „Mit dem Alleinsein kann man umgehen.“ Aber was ist mit der Einsamkeit? Kann man mit der umgehen? Sich arrangieren? Sie hinnehmen?

Andere Frage: Wie kann man sich mit diesem Chefredakteur arrangieren? Mit einem, der nichts weiß, nichts wissen will und nicht weiß, wie man es aufschreibt, so daß andere es verstehen?

Vor zwei Wochen schreibt Walberer uns: „Auch wenn ich mir möglicherweise ein Armutszeugnis ausstelle: Wenn ich anfange, nachzudenken, was ich wirklich genau wissen will, fällt mir nichts ein. Ich möchte nicht wissen, was ich kann und was ich nicht kann, was andere über mich denken, was sie mir zutrauen oder nicht zutrauen. Ich möchte mir diese kleine Illusion vorbehalten, ich könnte das eine oder andere eigentlich noch schaffen, wenn ich es nur wollte. Ich möchte nicht wissen, wenn es zu spät ist.“

Herr Walberer? Jetzt.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Iiiieh, eine Tunte!

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Das Fernsehen hat den Schwulenwitz wiederentdeckt und hält ihn für modern.

Gäbe es keine Schwulen, das Fernsehen müßte sie erfinden, allein für seine Comedys. Nicht nur, weil sie so faszinierend abartig sind, so schräg, lustig, lächerlich. Sie bringen auch so viel Tempo in die Handlung. Der schnellste Weg zur Pointe führt über eine Tunte. Wir sehen jemanden mit abgewinkeltem Handgelenk und wissen alles von ihm: seine Sexualität, seine Platten von Marianne Rosenberg, seine Unfähigkeit, Fußball zu spielen, sein Talent, eine Wohnung geschmackvoll einzurichten, und daß er sich nichts sehnlicher wünscht, als einen Heterosexuellen „umzudrehen“, um mit ihm ins Bett zu gehen. Das wissen schon die 16jährigen pickligen Jungs, die auf dem Schulhof zusammenstehen und sich einig sind, daß sie nichts gegen Schwule haben, „solange sie mir nicht an den Hintern gehen“, obwohl so, wie sie aussehen, kein Mädchen auf die Idee käme, sich ihnen zu nähern, aber jeder Schwule würde die Chance nutzen, wenn man nicht aufpaßt, sofort.

Und so braucht die neue Sat.1-Sitcom „Bewegte Männer“ kaum dreißig Sekunden, um den Plot einer ganzen Folge zu entwickeln: Der schwule Norbert hört durch die geschlossene Tür, wie sein heterosexueller Mitbewohner Axel dafür übt, ihm seine Liebe zu gestehen. Es ist natürlich, das weiß der Zuschauer, ein Mißverständnis. Vor allem aber weiß er, daß Norbert Axel sofort zurückliebt. Keine langwierigen Diskussionen, ob er überhaupt sein Typ ist, und daß er die sich zart anbahnende Liebesgeschichte mit einem schwulen Verehrer dafür sofort beendet, versteht sich von selbst. Klar: Der Schwule wird jeden „richtigen Mann“, also jeden heterosexuellen Mann, lieben, den er kriegen kann. Und die anderen noch viel mehr.

Schwulen-Comedys sind in. RTL hat gerade die zweite Staffel seiner Sitcom „Trautes Heim“ abgedreht, in der eine Achtzehnjährige zu ihrem schwulen Vater und dessen Freund zieht. Sat.1 zeigt seit Freitag „Bewegte Männer“, das auf dem Szenario des Kinofilms „Der bewegte Mann“ minus dessen Happy-End beruht – Axel hat sich nicht mit Ex-Freundin Doro versöhnt, sondern lebt weiter mit dem Norbert zusammen. Die Serie ist handwerklich erbärmlich, aber beim Sender ist man bis in die höchsten Etagen mächtig stolz auf sie, vermutlich, weil die Leute glauben, daß sie Modernität, Liberalität, Aufgeklärtheit ausstrahle.

Tatsächlich sind die Zeiten vorbei, als Schwule im Fernsehen nur als schrille Tunten vorkamen. Die Hauptdarsteller von „Trautes Heim“ und „Bewegte Männer“ demonstrieren „Normalität“: Sie ziehen sich männlich an, schwuchteln nur ganz wenig und unterscheiden sich von heterosexuellen Männern nur dadurch, daß sie sensibler sind und kochen können (und daß beim „Bewegten Mann“ Norbert dann doch gelegentlich die Hand abknickt und sich Familienvater Paul im „Trauten Heim“, wenn es stressig wird, exaltiert mit Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel greift). Sie sind, kurz gesagt, ein bißchen exotisch, aber unauffällig, durchaus vorzeigbar und so normal, daß sie nicht mal Sex haben. Norbert nicht, weil er schüchtern und erfolglos ist, Paul nicht, weil er monogam und häuslich lebt.

Ist das nicht praktisch? Ein Homosexueller ohne gelebte Sexualität ist gleich viel massentauglicher. Die 16jährigen pickligen Jungs auf dem Schulhof finden ihn nicht bedrohlich, selbst der ultra-konservative republikanische Senator Rick Santorum sagt: „Ich habe kein Problem mit Homosexualität. Ich habe ein Problem mit homosexuellen Handlungen.“ Der Schwulenfeind Santorum hätte kein Problem mit den neuen deutschen Schwulen-Comedys.

Sex haben darin nicht die sympathischen Hauptdarsteller, Sex haben ihre tuntigen Freunde. Die sind nicht mehr die einzigen Repräsentanten von Homosexualität im deutschen Fernsehen, aber sie sind immer dabei, und sie sind so häßlich wie eh und je. Im „Trauten Heim“ ist es Ulf, genannt Ulla, der Ex-Freund, der oben im Haus lebt, in den „Bewegten Männern“ der beste Freund Walter, genannt Waltraud. Sie vereinen all das, was der heterosexuelle Mann an Homosexuellen bedrohlich findet: Sie gehen abends in die Szene, haben Spaß, leben promisk, flirten offensiv mit allem, was keine Frau ist, ignorieren die Grenzen zwischen maskulinen und femininen Rollen. Sie zahlen dafür einen hohen Preis: Sie werden verachtet.

Wenn Ulla oder Waltraud die Szene betreten, reagieren alle anderen, egal ob Homo oder Hetero, gleich: Sie rollen mit den Augen. Die Tunten müssen versteckt werden, wenn Besuch kommt. Die Tunten müssen raus, wenn ernste Dinge besprochen werden. Sie sind unglücklich, besessen von Sex und ihrem Aussehen, und ihre bösen Kommentare, ihr schwuler Witz, der im Englischen einen eigenen Gattungsbegriff bekommen hat: „camp“, wirken nur bitter.

Die Tunte muß demaskiert werden, ihre Häßlichkeit und Armseligkeit unter all dem Make-up, der Verkleidung, der Haltung bloßgestellt werden. In den „Bewegten Männern“ geschieht das am drastischsten in der Folge „Die Erbtante“, in der Norbert seiner reichen Tante vorspielen will, daß er heterosexuell ist, und die tuntige Waltraud ungebeten und aufgetakelt hereinplatzt und die Rolle der Freundin spielt. Sie gibt ein erbärmliches Bild ab, aber nicht halb so erbärmlich wie das einige Minuten später, als ihre Perücke in Brand geraten ist und sie versucht, sie in der Suppenterrine zu löschen, Axel sie mit Brot bewirft, damit sie endlich abhaut, ihr Freund Norbert, statt sie zu bemitleiden, nur „ksch“ macht und sie auf einem einzelnen Pumps aus der Wohnung humpelt, das Gesicht zur Fratze verzerrt. Tosendes Gelächter vom Band. Schreibt Sat.1 in seiner Pressemappe: „Die nervtötende Klischeetunte und ähnlich billig Diskriminierendes sind in der Serie nicht willkommen.“

Solche Szenen sind nicht neu. Es sind Varianten des „Käfigs voller Narren“ vor fünfundzwanzig Jahren mit seinen männlichen Schwulen, die ihre Würde bewahren, und den tuntigen, die sie verlieren, bloßgestellt als die Freaks, die sie sind. Daß die schrille Tunte – die ja keine Erfindung von Film und Fernsehen ist, sondern Realität – auch stolz sein könnte, selbstbewußt, unabhängig, selbstironisch und beißend komisch, ist im deutschen Fernsehen immer noch undenkbar. Fast: In „Nikola“, der Hochglanz-Comedy von RTL mit Mariele Millowitsch, schafft Oliver Reinhard als ihre „beste Freundin“ Tim häufig die Balance. Ist ein Mensch, kein Freak, und hat die Lacher fast so häufig auf seiner Seite wie gegen sich.

In anderen Genres, den Krimis und den Soaps, ist das deutsche Fernsehen im unverkrampften, oft beiläufigen Umgang mit homosexuellen Rollen längst weiter. Für die Comedyautoren sind die alten Vorurteile aber viel zu bequem. Würden sie sich etwa von der Idee verabschieden, daß Schwule mit jedem Hetero sofort ins Bett hüpfen würden, müßten sie fast jedes Drehbuch wegwerfen!

Mit solchen Klischees zu leben, das sind die Schwulen seit Jahrzehnten gewohnt. Aber die alten Witze als neue Toleranz zu feiern, da hört es wirklich auf.

Seine Show, sein Publikum, seine Wahrheit

Ein Besuch in der Welt des Carsten Spengemann, in der Deutschland den Superstar schon gefunden hat.

Sie springen von ihren Sitzen, als er auftritt. Er läuft schwungvoll die Treppe herunter, und alle Menschen stehen in der Halle. Sie toben, brüllen, applaudieren. Seine Augen glänzen. „Hallo!“ ruft er. „Hallo!“ Es ist nicht nur eine Begrüßung, es ist auch ein Ausdruck des Staunens. Er rollt die Karten, die er in den Händen hält, und sagt: „Eins ist klar: Das nenn‘ ich schon mal richtig großen Applaus. Denn: Sowohl das Studiopublikum als auch Sie zu Hause haben natürlich lange — “ Er bricht ab und lacht. Keine Chance. Das Publikum hat sich noch nicht beruhigt.

Außer den tausend im Studio sehen ihn jetzt zwölf, dreizehn, vierzehn Millionen Menschen zu Hause vor ihren Fernsehgeräten. Sehen ihn, Carsten Spengemann, den Moderator von „Deutschland sucht den Superstar“: 30 Jahre jung, strahlend lächelnd, braungebrannt, haargegelt, schlank, groß, makellos.

Er bekommt Fanpost in Kisten. 800 Briefe passen in jede. Er hat vorher am Vorabend in der ARD-Soap „Verbotene Liebe“ gespielt, da schmachteten ihn die Mädchen auch an. Das war Zielgruppenfernsehen. Jetzt bittet ihn am Flughafen der Geschäftsmann im Maßanzug um Autogramme. Für Frau, Kinder, Zimmermädchen. Wie groß die Show wird, wie groß er wird, merkt er im Dezember. „Als der Pizzabote vor mir stand und den Karton fallen ließ.“ Spengemann erklärt ihm: Doch, er sei es wirklich, und sortiert den Belag wieder auf die Pizza. „Das ist ein Moment, den werde ich mein ganzes Leben nicht vergessen“, sagt er.

„Ich wollte diesen Job immer machen, ich habe viel dafür getan. Ich habe das von der Pieke auf gelernt. Deshalb ist es für mich das schönste Gefühl zu wissen: morgen ist Probe. Ich freue mich wie ein kleines Kind darauf. Das ist, wie auf den Abenteuerspielplatz zu gehen.“ Er sagt, es sei bei ihm wie bei den Kandidaten: „Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen.“ Nein, diese Riesenchance spüre er nicht als Last. „Wenn ein Rennfahrer eine Testfahrt in der Formel 1 angeboten bekommt, was geht ihm durch den Kopf? Ich glaube, der denkt nicht über den Druck nach, sondern will einfach fahren, Spaß haben, das Auto ausprobieren. Genauso ist es bei mir. Natürlich ist mir klar, daß RTL mich ausgesucht hat und es da auch eine Erwartungshaltung gibt. Diese Erwartung habe ich, glaube ich, erfüllt.“

Carsten Spengemann ist über Nacht berühmt geworden. Die ganze Welt kennt ihn. Für Stefan Raab ist er „die Elster“. Die „Bild“-Zeitung nennt ihn „Pannemann“. Radiosender machen lustige Serien über ihn und wünschen sich Aufsager wie: „Hallo, ich bin Carsten Spengemann, und ich klaue nur Radios, auf denen Radio X. läuft.“ Ein Richter hat ihn verurteilt, weil er den Cartier-Ring einer flüchtigen Frauenbekanntschaft unterschlagen haben soll. Ein Kollege behauptet, Spengemann habe einen Koffer entwendet. Spengemanns Mutter soll eine uneheliche Tochter von Hans Albers sei, was diverse Hans-Albers-Fanclubs für einen Witz halten.

Tagelang diskutiert die halbe Nation, schenkelklopfend, aber detailverliebt, ob Spengemann beim Alsterradio ein Volontariat (wie er sagt) oder ein Praktikum (wie der Sender sagt) absolviert hat. Daß den meisten vorher — völlig zu Recht — die Existenz eines „Alsterradios“ gänzlich unbekannt war, tat der Ernsthaftigkeit der Diskussion und der Schwere der Anschuldigungen keinen Abbruch.

Die Welt ist verrückt geworden. Und Carsten Spengemann?

Sitzt im Eßzimmer seiner Managerin und ist glücklich. Er sieht in Natur noch perfekter schön aus als im Fernsehen, falls das überhaupt vorstellbar ist. Die Haut noch gebräunter, die Augen faszinierend hellgrau, das weiße Hemd weit genug geöffnet, den Blick auf kurzgeschorene Brusthaare freizugeben. Er raucht Kette, sagt „du“, wirkt edel, aber ungeschliffen und mit seinem Hamburger Dialekt sehr kumpelhaft. Und er freut sich darauf, wie es weitergeht mit seiner Karriere, jetzt, nach diesem unfaßbaren Erfolg, den er hat.

Er hat gute Argumente gegen das, was ihm vorgeworfen wird. Wenn man ihm zuhört, wie das abgelaufen sei, im Prozeß zum Beispiel, klingt das plausibel, und auch die ungeschickte Geschichte von seinem „Opa“ Hans Albers will er nie selber lanciert haben, sondern eine Ex-Freundin, Journalistin, die dabei war, am Totenbett der Großmutter. Es ist leicht, ihm zu glauben, daß ihm übel mitgespielt wurde. Die Managerin ruft, noch ehe man richtig in ihrem Büro ist: „Er ist ein Opfer! Carsten ist hier das Opfer!“

Carsten Spengemann hat eine These, warum er ein Opfer wurde. „Von 17.55 Uhr auf 21.15 Uhr zu wechseln — das gab es noch nie in Deutschland“, sagt er. „Es gab noch nie den Sprung, daß jemand aus einer Soap kam und die Chance hatte, ganz großes Fernsehen zu machen. Das bringt viele Leute auf den Plan, die meinen: Es kann nicht sein, daß jemand aus einer Soap kommt — zwar Schauspielerei gelernt hat und jetzt auch noch moderieren kann — plötzlich eine Quote hat, die es sonst nur bei ,Wetten, dass …?‘ gibt.“

Das wäre soweit nicht unplausibler als andere Verschwörungstheorien, gäbe es nicht einen Haken: Es beruht auf der Annahme, daß der ehemalige Hamburger Türsteher und Soap-Darsteller Carsten Spengemann gerade einen unglaublichen Erfolg feiert, den ihm die Welt neidet. Bei RTL selbst sagt man, daß das Moderatorenpaar ungefähr das Unwichtigste an der Sendung ist. Spengemann dagegen hält „Superstar“ für seine Sendung und ihren Erfolg für seinen Erfolg, etwa so, wie Susan Stahnke die „Tagesschau“ für „ihre“ Sendung hielt. Er erfindet zwar im Gespräch kluge, treffende Metaphern: „Ich bin ein Rädchen im Uhrwerk. Vielleicht, wie bei einer Glasuhr, das Rädchen im Boden, das man als erstes sieht. Ich bin ein Teamspieler.“ Aber jedesmal, wenn es um die Sendung geht, sagt er „ich“ statt „wir“ und spricht von seinen 15 Millionen Zuschauern.

Mehrmals erzählt er, daß die Medien ja alles mögliche Schlechte über ihn erzählten, aber niemand, niemand werfe ihm vor, nicht moderieren zu können oder einen schlechten Job zu machen. Vielleicht hat er die „Süddeutsche“ nicht gelesen, deren positivste Formulierung war, ihn einen „professionellen Schön-Ausseher“ zu nennen. Oder die Fernsehbeilage des Stadtmagazins „Tip“, bei der im Programmteil stand: „Moderation, falls man das überhaupt so nennen kann: Michelle Hunziker und Carsten Spengemann.“ Oder die „Berliner Zeitung“, die schrieb: „Spengemann könnte für die Kandidaten zum lebenden Beweis werden, daß man es auch ohne alle Gaben auf die Bühne schaffen kann.“

Carsten Spengemann ist bestimmt kein dummer Mensch und wahrscheinlich auch kein Dieb oder chronischer Lügner. Aber er glaubt, daß er die Riesenchance, die er bekam, voll genutzt und sich durch seine professionelle Leistung für große zukünftige Fernsehaufgaben empfohlen hat. „Sein Realitätsverlust ist dramatisch“, sagt ein RTL-Mitarbeiter.

Doch der Moderator bekommt den Erfolg ja täglich bestätigt: In der Fanpost. Von den Menschen auf der Straße, die ihm auf die Schulter klopfen und sagen: Wir glauben an dich! Vom Berliner Bürgermeister, der ihm, wie er erzählt, beim „Echo“ gesagt habe, er solle bloß nicht hinschmeißen. Von seinem Sender, der öffentlich erklärt, Spengemann „ist und bleibt“ der Moderator. So sehr er die Kritik, die Wirkung der furchtbaren Boulevardgeschichten, seinen Status als aktuelle Lachnummer der Nation ausblendet oder als eine normale „Begleiterscheinung“ des Erfolges nimmt, so sehr nimmt er jedes positive Bekenntnis, das zu so einem öffentlichen Dasein gehört, für bare Münze. Ginge man mit ihm in ein Rockkonzert, würde er wohl hinterher glücklich sagen: „Wahnsinn! Wir waren das beste Publikum, das sie je hatten.“

Wie lebt einer, der es so heftig abbekommen hat? „Muhammad Ali hat es auch mal richtig auf die Augen gekriegt und stand am nächsten Morgen auf und fragte sich: Ist es das wert? Was hat er gemacht? Er hat sich den Typen vorgenommen und Revanche genommen und gewonnen. Weil er seinen Job geliebt hat. Und genauso ist es bei mir.“

Er vergleicht sich mit Robbie Williams, der ja auch, wie er, den Sprung vom belächelten Teenie-Star in die allererste Reihe schaffte. Über den ja auch, wie über ihn, so viele schlimme und wahrscheinlich zu 99,5 Prozent erfundene Geschichten geschrieben wurden. Bei dem es ja auch, wie bei ihm, das Publikum nicht mehr interessiere, weil seine Arbeit über jeden Zweifel erhaben ist.

Er glaubt, daß alles gut wird: „Ich habe keine Leichen im Keller. Die Presse hat jetzt meinen Keller, meinen Dachboden und die Tiefkühltruhe abgesucht und dreimal den Garten umgegraben. Das Gute ist: Die Gerüchte und Trittbrettfahrer sind jetzt hoffentlich durch und langweilig.“ Auch die „Bild“-Zeitung sei zumindest schon halb umgeschwenkt. Er folgert das aus einem Interview mit der „Bild am Sonntag“ vergangene Woche, in dem jede einzelne Frage ein Witz auf seine Kosten ist.

Es ist tragisch. In der Welt von Carsten Spengemann ist Carsten Spengemann ein erfahrener Live-Moderator, weil er regelmäßig einen Pausenfüller im WDR-Werbefernsehen namens „Studio 1“ moderiert hat, wo Leute anrufen und etwas gewinnen konnten.

Vielleicht ist er wirklich ein umgänglicher Kerl, auch wenn er ein paar Mal im Beisein des Reporters ausrastet, wenn ihn seine Managerin ins Wort fällt, und er mit rollenden Augen auf den Tisch haut und ein paar Sekunden wie ein Amok-Läufer vor dem Zücken der Waffe wirkt. Aber jemand müßte ihm sagen, daß es nicht geschickt ist, einen Richter zu beschimpfen, öffentlich Witze über die Co-Moderatorin zu reißen oder sich mit Robbie Williams zu vergleichen. Jemand müßte ihm erklären, warum Oliver Geißen, ein anderer junger Hamburger Moderator, öffentlich sogar jeden Vergleich mit Thomas Gottschalk ablehnt. Jemand müßte ihm erzählen, wie Leute von RTL und der Produktionsfirma Grundy reagieren, wenn man ihnen erzählt, daß Spengemann kaum Ferien machen will, um gegebenenfalls bereitzustehen für die nächste „Superstar“-Staffel: Sie schweigen, lang und unmißverständlich.

Jemand, der es gut mit ihm meint, müßte ihm sagen, daß ein längerer Urlaub gerade wirklich nicht schaden kann.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Johannes B. Kerner

“Ich hab’ ja nicht gefragt!” Und nicht fragen wird man wohl noch dürfen: Seit einem Jahr talkt Kerner täglich — ein Blick zurück im Zorn

Kerner: Sie haben ein Kochbuch geschrieben über Suppe, ja? Wie heißt das genau?

Marianne Sägebrecht: „Meine Überlebenssuppen – Geschichte und Rezepte“.

Kerner: Also geht’s nicht nur um die Suppen, das hab‘ ich mir auch gedacht, das wäre auch ein wenig dünn gewesen, also nicht die Suppen, sondern für das Buch, und das wäre Ihrem ereignisreichen Leben auch gar nicht angemessen.

Und damit ein herzliches Willkommen zu unserem Jahresrückblick „Kerner 2002“ – vielen Dank für den freundlichen Empfang.

Es war das erste Jahr, in dem Johannes B. Kerner sich fast werktäglich hinter einen wuchtigen Schreibtisch setzte, auf Karteikarten schaute und mit Leuten redete, gern je einem Politiker, Schauspieler und Opfer, 150 Sendungen insgesamt. Und weil es die Zeit ist und Kerner heute im ZDF wieder den Rückblick „Menschen 2002“ moderieren darf, wollen auch wir zurückschauen, auf ein Jahr Kerner täglich – mit vielen bunten Ausschnitten aus seiner Show.

Kerner: Ich glaube, du bist genauso nett wie ich.

Dieter Bohlen: Das kommt nur nicht so rüber.

Kerner: Dann versuchen wir jetzt mal, den Leuten das zu beweisen.

Doch, er hat es immer noch, am Ende dieses Jahres: das Etikett „nett“. Die Journalisten haben es ihm so oft angeklebt, und er hat so oft empört gefragt, was die Leute denn von ihm erwarten: „Soll ich randalieren? Mich besaufen?“, daß er es inzwischen sicher selber glaubt. Dabei ist Johannes B. Kerner fast so nett wie ein Schaulustiger, der vorbeikommt, wenn Brandstifter einem das Haus angezündet haben, Öl ins Feuer gießt, einem dann anteilnehmend auf die Schulter klopft und kopfschüttelnd fragt, was für Leute so was nur machen.

Ein Fernsehjournalist, der die Schlagersängerin Michelle eingeladen hätte, der von einigen Blättern eine Affaire mit Oliver Kahn nachgesagt wurde, hätte sie gefragt: „Läuft da was?“ Und sie hätte antworten können: „Ja.“ Oder: „Nein.“ Oder: „Das geht Sie einen Dreck an.“ Aber so läuft das nicht bei Kerner.

Kerner: Hallo Michelle, herzlich willkommen. Ja, übrigens Oliver Kahn war eigentlich angesagt für diese Sendung. Der FC Bayern hat ihm nach den glorreichen Spielen zuletzt verboten, die Stadt zu verlassen, und deshalb konnten wir das schöne Treffen mit Ihnen . . . Hätten Sie ihn gerne mal kennengelernt?

Michelle: Das ist schade, weil man sagt ja, ich hätte ein Verhältnis mit ihm, und ich hätte ihm zumindest vorher gerne einmal die Hand geschüttelt.

Kerner: Ach, Sie haben ihn noch nie getroffen?

Michelle: Nein, ich kenne ihn leider nicht.

Kerner: Ich kannte das Gerücht. Ich hätte nicht die Frechheit besessen, Sie darauf anzusprechen. Aber er ist ja glücklich verheiratet, wird Vater, zum zweiten Mal, das müßten Sie eigentlich wissen?

In Zeitlupe: Kerner lädt Michelle und Kahn ein. Er spricht Michelle noch vor dem Hinsetzen auf Kahn an. Dann stellt er sich neben den Schlamm, in den er sie geschubst hat, und zeigt auf seine sauberen Hände. So einen kann man natürlich als „nett“ bezeichnen. Zwingend ist es nicht.

150 Sendungen, das sind für Kerner fast 150 Stunden Angst. Angst, Stellung zu beziehen. Angst, etwas zu sagen, womit er aneckt. Dabei hat ein Talkmoderator in seiner Rolle wenig Gelegenheit, das Falsche zu sagen – doch Kerner hat sogar Angst, das Falsche zu fragen. Deshalb ist er zum Meister im Nichtfragen geworden. Mit Bastian Pastewka sprach er vor der Bundestagswahl darüber, ob er Brief-, Stamm- oder Wechselwähler sei, dann passierte dieser Dialog:

Kerner: Wenn ich sozusagen jetzt die eine Frage stelle, die man natürlich geneigt ist zu stellen, dann rufen immer Menschen an und sagen: Wir haben geheime Wahl, und da muß man doch gar nicht – und dann sag‘ ich immer: Man darf ja fragen! Man muß ja nicht antworten. Ne?

Pastewka: Was ich gewählt habe?

Kerner: Ja. (Pause.) Na, ich hab‘ ja nicht gefragt.

Pastewka: Natürlich.

Kerner: Nein, ich hab‘ ja nicht gefragt.

Pastewka: Natürlich.

Kerner: Nein, ich hab‘ erklärt, warum es nicht kommt.

Pastewka: Gut.

Kerner: So, und jetzt aber . . . (wechselt das Thema).

Das macht ihm keiner nach. Niemand kann ihm vorwerfen, eine unverschämte politische Frage gestellt zu haben. Und niemand kann ihm vorwerfen, das heikle Thema nicht angesprochen zu haben. Niemand kann ihm irgend etwas vorwerfen. Außer diese seine Glitschigkeit natürlich. Aber dann antwortet er wörtlich, wie jetzt in der „Hörzu“: „Wissen Sie, wie viel Geld ich verdiene? Es ist unglaublich, wie viel Geld ich mit diesem Image machen kann. Besser geht’s nicht. Ich habe alles richtig gemacht!“

Pastewka: Der MDR ist toll.

Kerner: Ein Sender aus Leipzig, der für die umliegenden Regionen sendet.

Pastewka: Aus der Zone, seien wir ehrlich.

Kerner: Das wäre nicht meine Formulierung.

Das war auch nicht seine Formulierung — das war Pastewkas Formulierung. Kerner distanziert sich sogar von den Aussagen seiner Gäste. Besser ist das. Man weiß ja nie. Er hat nämlich schlechte Erfahrungen gemacht. Manchmal hat er Fragen gestellt, aus denen die Befragten fahrlässigerweise schlossen, daß er damit etwas sagen wollte.

Kerner: Sie erwarten, wenn ich so viel Details verraten darf, Ihr zweites Kind vom zweiten Mann. (Was er meint: Ihre Kinder haben verschiedene Väter.)

Alexa Hennig von Lange: —

Kerner: Stimmt doch, oder?

Hennig von Lange: —

Kerner: Ist doch o.k., ist doch auch bekannt, oder?

Hennig von Lange: Welches Jahrtausend haben wir denn überhaupt?

Kerner: Nee, völlig o.k. Im übrigen kann jeder, wie er möchte.

Dazu macht er mit beiden Händen eine abwehrende Bewegung, die sagt: „Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten“, aber auch: „Treten Sie mir nicht zu nahe!“ Was ihn so unwahrscheinlich massenkompatibel macht, ist, daß seine demonstrative Toleranz deutlich unterfüttert ist mit eigener Abgrenzung von allem, was Toleranz verlangt. Kathy Karrenbauer, die für ihre Rolle als klassische Klischee-Kampflesbe in „Hinter Gittern“ bekannt wurde, begrüßt er mit größtmöglichem körperlichen Abstand von jenseits des Schreibtisches und erklärt:

Kerner: Ich wahre respektvolle Distanz.

Später wird er sich hoffnungslos festbeißen an der Frage, wie das für sie war, eine Frau zu küssen, und noch lange, nachdem sie gesagt hat, daß es für sie keinen Unterschied macht, ob sie einen Kuß mit einem Kollegen oder einer Kollegin spielt, erkundigt er sich erregt nach der „Überwindung“, die sie das gekostet habe. Vielleicht beruht sein Image, „normal“ zu sein, auf dieser Haltung eines aufgeklärten Spießers, der brav sein konventionelles Leben führt und sich unschuldig interessiert nach den Verirrungen der anderen erkundigt, sich manchmal sogar bemüht, sie zu verstehen. Obwohl es ihm nicht immer gelingt: Mathieu Carrière erzählt, ein Kind könne bei getrennten Eltern auch zwei Zuhause haben, und Kerner findet das — nicht so gut.

In Kerners Sprache ist von dem Versuch seiner frühen Jahre bei Sat.1, „natürlich“ zu wirken, nichts übriggeblieben. Heute schafft er es gerade noch, die Frage „Wann haben Sie angefangen zu schreiben“ unverkrampft herauszubringen. Kompliziertere Gedankengänge klingen deutlich angestrengter. Am Jahrestag des 11. September ist er so erfüllt von Bedeutung, daß er die ZDF-Kollegin, die damals am Ground Zero war, fragt:

Kerner: Julie, Sie haben ja nicht nur über Sachverhalte berichtet, sondern in der Hauptsache auch in den Tagen und Wochen danach über Menschen, über Schicksale, auch über Helden. Das sind ja Sachen, die einem sehr nahegehen, auch als Berichterstatter — oder als Berichterstatterin. Sind daraus Kontakte geworden, haben Sie zu einigen Menschen, über die Sie damals Bericht erstattet haben, heute noch Kontakt?

Kein Journalist, der bei ihm zu Gast ist, verläßt das Studio, ohne daß Kerner ihn mehrfach mit seinem Lieblingswort „Bericht erstatten“ eingenebelt hätte. Auf das schlichte „berichten“ kommt er nur, wenn er vorher wenigstens „Sachverhalte“ sagen durfte. Vermutlich glaubt Kerner, daß „Bericht erstatten“ nicht nur wichtiger klingt, sondern auch korrekter ist, und wenn es etwas gibt, an das Kerner glaubt, dann ist es Korrektheit.

Kerner: Als Sie den Job bekommen haben, hat Herr Schröder Sie angerufen? – Also, der Herr Bundeskanzler, wir wollen ja die Form wahren.

Korrektheit ist gut gegen Angst, und das Kokettieren mit Korrektheit ein schöner Weg, ein Gespräch zu beginnen und sich in Sekunden so winzig klein zu machen, daß seine Gegenüber wissen, daß auch sie keine Angst haben müssen.

Kerner: Die Vorstandsvorsitzende der Firma Veronas Dreams AG.

Verona Feldbusch: Richtig.

Kerner: Gut, dann habe ich das ordentlich ausgesprochen.

Fernsehen besteht aus Ritualen. Es braucht Menschen, die uns Tag für Tag erzählen, daß sie sich freuen, daß wir eingeschaltet haben, und sich Tag für Tag entschuldigen, daß das leider schon alles war, wofür die Sendezeit reichte. Weil Kerner aber, wie er der „Hörzu“ verriet, „in allen Dingen der Beste sein“ will („Oberstes Drittel reicht mir nicht. Eins b reicht mir nicht. Eins b kann jeder andere sein“), hat er die üblichen Talkmaster-Floskeln auftoupiert: mit großen Adjektiven. Seit er viermal die Woche Dienst hat, sind sie ihm in dieser Form im Ritual erstarrt. Er kündigt „außerordentlich interessante“ Gäste an, bedankt sich „sehr herzlich für das sehr offene Gespräch“, und wenn er versucht, seine Standard-Beteuerungen mit individuellen Bemerkungen zu schmücken, schwurbelt es ihn vollends aus der Kurve. Der schwangeren Alexa Hennig von Lange sagt er zum Abschied nicht: „Schön daß Sie da waren, alles Gute für die Geburt.“ Sondern:

Kerner: Ich bedanke mich sehr herzlich für das offene Gespräch und freue mich, wenn wir uns alsbald wiedersehen. Wichtig ist allerdings, daß Sie unsere Wünsche entgegennehmen, nämlich daß wir Ihnen alles Gute wünschen für die bevorstehende Geburt Ihres zweiten Kindes.

Es war ein gutes Jahr für Kerner. An seinem Ende sagte er, er konkurriere mit Reinhold Beckmann um die „Talk-Krone“. Kerner hatte Kohl zu Gast und war bei Giuliani, sprach mit Bohlen und Feldbusch, lachte über Konsul Weyers Reichtum und entschuldigte sich dafür, klärte mit Hilde Knef Details ihrer Krankheit und wiederholte, als sie starb, das Krankengespräch, um sie zu „würdigen“.

Kati Witt: Ich find’s schade, daß eigentlich heutzutage alles an die Öffentlichkeit gezerrt wird und nichts mehr privat wird, was sich zwischen zwei Menschen abgespielt hat.

Kerner: Nicht in jedem Fall, in manchem.

Witt: In manchem, ja.

Kerner: Dann beenden wir das jetzt.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung