Autor: Stefan Niggemeier

Waterloo

Beim deutschen Schlager Grand Prix stirbt die Figur Zlatko.

Schwäbisch-mazedonisches Schimpfwort mit neun Buchstaben? Kotzköppe. Nicht gerade der verbreitetste Schmähruf. „Vielen herzlichen Dank, liebe Kotzköppe“ lautet der Satz, mit dem sich Zlatko am Freitag entnervt von den buhenden Zuschauern beim Grand Prix verabschiedete – und von der großen Bühne überhaupt. Denn es war nicht so, dass am Freitagabend in der Hannoveraner Preussag-Arena nur die notorisch schlageraffinen Grand Prix-Insider buhten. Außer einer Hand voll Jubelperser, die der Containerbetreiber Endemol bestellt hatte, buhten alle. Dabei wäre in der Halle durchaus Platz gewesen für ein paar Hundert Zlatko-Fans. Doch Unterstützung gab es hier so wenig wie bei der Abstimmung per Telefon, wo Zlakto angeblich auf Platz sieben, sicher aber nicht unter den ersten Dreien landete.

Der Star Zlatko ist Geschichte. RTL und Bild, die ihn erst zu dem machten, was er am Freitag war, haben längst die Seiten gewechselt und sind nun ganz vorne bei denen, die nachtreten. Zlatkos Auftritt war so verheerend, dass man immerhin hoffen kann, dass ein paar Leute bei Endemol und Bertelsmann – deren Produkt er ist, deren „Schützling“ er sein sollte und die ihn in eine Rolle drängten, der er nicht gewachsen war und ihm ein Lied schrieben, das er nicht singen konnte – dass also ein paar von denen jetzt schlecht schlafen. Wenn schon nicht aus Sorge um Zlatko, dann wenigstens aus Sorge um die verschenkten Millionen, weil sie ihre Milchkuh nicht gemolken, sondern geschlachtet haben.

Es war ein denkwürdiger Abend. Voll von diesen Grand Prix-Momenten, die sich ins Gehirn brennen und Therapeuten auf Jahre hinaus beschäftigen: Wie Rudolph Moshammer darum bat, für ihn zu stimmen, damit er das Geld den Obdachlosen geben könne. Wie sich die Begleiterinnen von DJ Baloon am Ende je einen Wassereimer griffen und über sich ausschütteten, damit man einen deutlicheren Blick auf ihre Anatomie werfen konnte. Wie Joy Fleming in einer Art Komposthaufen auf die Bühne kam, einem Kleid von so unfassbarer Schrecklichkeit, dass alle Sinne minutenlang mit der Verarbeitung und Verdrängung beschäftigt waren, anstatt auf das nette Lied zu achten. Und wie Joy die Gewinnerin Michelle umarmte, wobei sich irgendetwas an Michelle in den Stoffbergen verfing, weshalb eine Minute lang ein kleines Grüppchen von Frauen auf der Bühne stand, das aneinander herumnestelte.

Über neun Millionen Menschen sahen sich das an, und die ARD, die auch nicht alle Tage eine solche Quote hat, stellte sich als gefällige Werbeplattform zur Verfügung: für die Telekom, für T-D1, für den Verlag Hoffmann und Campe, für Jeanette Biedermann und diverse Tonträger. Nur für die inzwischen sehr ansehnliche und erfolgreiche deutsche Popmusikszene, dafür warb sie nicht. Kein deutscher Soul von Ayman, kein Mainstream-Hip-Hop der 3. Generation, kein moderner Pop eines Laith Al-Deen.

Mit Michelles Wer Liebe lebt gewann zwar ein klassischer Schlager, aber wenigstens der fast einzige zeitgemäße und ordentlich produzierte Beitrag des Abends. Der ARD Grand Prix-Chef Jürgen Meier-Beer hat es geschafft, dass der Wettbewerb an Aufmerksamkeit gewonnen hat.

An Relevanz nicht.

König der Zwerge

Die Sonne geht unter, der Schlager-Grand-Prix kommt.

Ich steh hier für euch / Das Mikro in der Hand / Ich steh hier meinen Mann / Tu alles was ich kann. / Ich steh hier für euch / Ich sag’s total direkt / Ich bin zwar nicht perfekt / Doch ich geh hier nicht weg. / Denn wir ham keine Angst . . .

Falsch! Wir ham Angst! Das Schlimmste ist nicht, dass Zlatko mit diesem Lied bei der Vorentscheidung zum Schlager-Grand-Prix antritt. Das Schlimmste ist, dass ihm trotzdem der Titel des peinlichsten Beitrages nicht gewiss ist. Dass es soweit gekommen ist, dass man der Bild-Zeitung recht geben muss in ihrem furchtbaren Lamento, wie weit es gekommen ist. Und dass man am Ende erleichtert sein wird, falls Michelle gewinnt, die ein konventionelles Schlagerlied im Stil der 80er über die Liebe singt, aber wenigstens eins, bei dem man von „Lied“ und „Stil“ und „singen“ sprechen kann.

Drei Arten von Beiträgen treten am 2. März an: die Unauffälligen, die Gutgemeinten und die Durchgeknallten. Michelle gehört zur ersten Gruppe, wie ein Trio um Joy Fleming. Nett, belanglos, Grand-Prix-Material halt, das noch in zehn Jahren auf kultigen Parties bejubelt wird und sonst nirgends. Mit gutem Willen kann man auch zwei Beiträge Ralph Siegels dazu zählen, der seine alten Ideen mit neuen Sängern recycelt, aber vorsichtig sein sollte mit der Forderung, manche Beiträge zu verbieten, weil er sonst selbst halb im Knast stünde.

Dann sind da die, die sich erschreckenderweise für die Retter des Grand Prix halten: Wolf Maahn, der die Idee zu seinem Lied in Sarajewo hatte und am Anfang ruft: „Welcome, yeah, this is Radio Open Mind, broadcasting to all humankind. “ Oder anständige Jungs namens Tagträumer, die man für Pur halten könnte, wäre ihr Lied nicht weitgehend eine Kopie des Hits Never had a dream come true von S Club 7. Womit wir bei Zlakto und den Durchgeknallten wären. Natürlich haben auch Leute, die keinen Ton treffen, das Recht zu singen. Aber doch nicht die Pflicht! An einem selbst für Billig-Techno-Verhältnisse entsetzlich entsetzlichen Stück haben fünf Leute mitgeschrieben! Und Donna Moshammer groovt: „Hier spricht der König der Welt. “

Was soll das? Fragen wir die Gruppe Illegal2001: „Ist Dieter Bohlen musikalisch oder fehlt im das Talent? Hat unser Schumi nen kleinen Penis, weil er so große Autos fährt? Kann man dem lieben Gott vertrauen, wenn’s ihn wirklich gibt? Ich weiß es nicht, und trotzdem bin ich am Leben. Doch steht die Sonne tief am Himmel, werfen Zwerge lange Schatten, und dann weiß ich, dass ich nicht klein und unbedeutend bin. “

Eine geplante Striptease-Nummer der Mädchencombo Love Rocket hat der NDR gerade noch verhindert. Trotzdem steht die Sonne verdammt tief vor der ARD.

(c) Süddeutsche Zeitung

Michael Bully Herbig

Tschuldigung, verbeamt! Die außerordentlich irre „Bullyparade“ hat den Durchbruch geschafft – ihren Erfinder Michael Herbig erfüllt das mit Sorge.

Und wieder einmal, wie so oft in der Filmgeschichte, ist eine Maschine außer Kontrolle geraten und kein Pilot mehr einsatzbereit. Alle Hoffnung ruht auf einem Amateur, der, instruiert durch alte Hasen im Tower, das Ding heil runterbringen muss. Was für ein unglückliches Gefährt ist es diesmal? Ein Hubschrauber? Eine Boeing? Ein Raumschiff?

Ein Rasenmäher. „Hallo, ich hab‘ a Problem“, ruft die Frau am Steuer in ein Handy, während sie unkontrolliert auf einer Grünfläche im Kreis fährt, „Sie müssen mir helfen, ich kann meinen Rasenmähertraktor nicht mehr anhalten!“ Zwei Männer im Kontrollturm wissen, was sie in solchen Situationen zu tragen (Sonnenbrille), zu tun (schwitzen) und zu sagen haben: „Lady, haben Sie so ein Ding schon mal gesteuert?“ – „Naa, normalerweise mäht mein Mann den Rasen, aber der ist heut‘ zur Kur!“ Panik. Nur Stryker kann die Frau noch retten. Todesverachtend hat er einen anderen Traktor gesattelt, holt Meter um Meter auf, greift nach ihrer Hand – und verpasst sie. „Wenn sie ins hohe Gras kommt, verlieren wir sie!“ Schließlich schafft er es, die völlig verängstigte Hausfrau zu sich herüberzuziehen. „Stryker“, sagt sein Kollege im Tower, „ich bin kein Freund großer Worte, aber hier sitzen ein paar Männer, die sind mächtig stolz auf Sie. “ Stryker fährt, die Gerettete quietschend auf dem Schoß, in Richtung Horizont, wo goldgelb die Sonne untergeht.

Das muss man gesehen haben. Gesehen, nicht gelesen. Aufgeschrieben sind die Sketche aus der Bullyparade vor allem eines: gaga. „Prall“, sagt Bully, Chefautor, Produzent, Regisseur, Frau auf Traktor und Mann in Tower. „Das Gefährlichste, was du machen kannst, ist, einen Sketch irgendwohin zu faxen“, sagt er. „Das funktioniert nie, nie, nie. Wenn es gar nicht anders geht, schreiben wir wenigstens dazu: Wir sind gleich bei Euch und tanzen Euch das vor. “ Das ist nötig, hilft aber auch nur ein bisschen. Bullys Sketche erreichen regelmäßig ein Maß von Sinnfreiheit, dass selbst nach dem Vorspielen mit Dialekt, Grimassen und dem ganzen parodistischen Talent der durchschnittliche Vorgesetzte gerne sagt: „Hä?“, oder „Und die Pointe?“

Hilft alles nichts, man muss Bully das drehen lassen. Dann zeigt er sein Gespür für Filmstandards, Details und Musik, inszeniert die unendlich blödsinnige Idee, Katastrophenfilme mit einer Frau auf dem Rasenmäher nachzuspielen, stilsicher mit allen Versatzstücken des Genres. Funktioniert auch nicht immer und provoziert gelegentlich die naheliegende Frage nach dem Drogenkonsum der Beteiligten. Aber dem ratlosen Zuschauer bleibt wenigstens das Gefühl, dass das gerade vielleicht unglaublicher Schrott war, aber ganz sicher höchst origineller Schrott.

Es ist eines der kleinen Wunder des Privatfernsehens, dass es so weit kommen konnte, dass heute um 23. 15 Uhr auf Pro Sieben schon eine fünfte Staffel der Bullyparade auf Sendung geht – überhaupt, dass sie jemals jemand auf den Bildschirm gelassen hat. Es war Oliver Mielke, damals Unterhaltungschef bei Pro Sieben und heute noch Bullys Co-Produzent. Vorher hatte Bully, der eigentlich Michael Herbig heißt, mit seinen Freunden Christian Tramitz und Rick Kavanian schräge Kleinsthörspiele fürs Radio gemacht, eine legendäre Morningshow und eine Endlos-Mini-Comedy-Serie für TV München namens Die Bayern-Cops. Mielke bot ihm eine eigene Sketch-Sendung an. Und weil Bully einer ist, der Sachen gerne selbst macht, sagte er unter der Bedingung zu, auch Regie führen zu dürfen. Schon als Teenager beschloss er nach ausführlichem Spielberg- und Hitchcock-Filmstudium, dass es besser ist, Regisseur zu sein, weil er nur so „authentisch erzählen kann, was in meinem Kopf passiert“. Um den Umgang mit Bildern zu lernen, ist er erst einmal Fotograf geworden. Danach war ein Studium an der Filmhochschule vorgesehen, aber die haben ihn nicht genommen. Darunter leidet er heute noch.

Die ersten Folgen der Bullyparade waren nicht gerade das, was man einen Erfolg nennen würde oder einen verheißungsvollen Anfang. Aber Pro Sieben hatte den seltenen Mut, abzuwarten. Knapp tausend Sketche hat das kleine Team inzwischen aufgenommen. Die kann man lieben oder hassen; nur Konfektionsware sind sie nicht. Nicht, dass die Ideen durch Komplexität beeindrucken würden. Die beiden Freunde Pavel und Bronko beenden einfach jedes zweite Wort auf die pseudoslawische Endung „-tsch“, der Grieche Dimitri lädt zum „Klatschkaffee“, weil ihm die Reihenfolge zusammengesetzter Wörter ein Mysterium geblieben ist. Die neue Soap Die Latrine spielt auf dem Klo: Diesmal hat sich Ulf aus seiner Kabine ausgesperrt, und bei Nachbar Willy ist kein Platz, weil die Eltern zu Besuch sind. Freundlich lächeln sie auf der Brille.

So doof die Figuren sind, so liebevoll und genau sind sie gezeichnet. In der Raumschiff-Enterprise-Variante sind ausschließlich Tunten an Bord – ein Schwulenwitz, den selbst Schwule originell finden. Die Besatzung um „Käpt’n Kork“ kämpft wie fast alle Bully-Figuren mit Alltagsproblemen: Sprit ist alle, Wäschetrockner kaputt, die Klingonen schicken böse Faxe und, schlimmstes Missgeschick: „Tschuldigung, verbeamt!“ Vor dem Zelt von Winnetou (natürlich auch ein Bayer) flattern seine frisch gewaschenen Hosen auf einem Wäscheständer, und bevor Old Shatterhand hineingeht, drückt er auf eine Klingel am Zelt, die ein fröhliches Ding-Dong macht.

Filme wollte er immer machen, selbst Radio verstand Bully als Medium, das Filme im Kopf entstehen lässt. Seine größten kleinen Witze inszeniert er wie Hollywood-Kino, nicht wie die meisten Kollegen im Fernseh- oder Bühnenformat. Ein Kabarettist, der durch Kleinkunsttheater zog, war Bully nie.

Auf der Bühne sieht er aus wie ein verwirrter Clown, der nicht wirklich begreift, was er da macht und warum die Leute lachen. Ein Clown ist das nicht, der in München mit seiner Firma Herb X inzwischen stattliche Büroräume besitzt – aber der unsichere Blick auf der Bühne ist nicht nur kokett. „Das ist mir schon ein bisschen unheimlich, wie mich da 300 Menschen angrölen. “ Ein Comedian habe er nie werden wollen, sagt er, ein Star schon gar nicht. Er sieht so aus, als könnte er das gar nicht werden.

„Wir werden nie sechs Millionen Zuschauer haben. Dazu müsste ich mich so verbiegen, dass ich kein glücklicher Mensch mehr wäre. Ich will das tun, was von mir kommt – auch wenn die Leute mit einem großen Fragezeichen dastehen. “ Dass immer mehr Leute mit leuchtenden Augen dastehen, ist durchaus ein Problem. „Ich glaube, dass die Bullyparade funktioniert, weil wir mit einer Unbefangenheit und Risikobereitschaft darangegangen sind, ohne auf die Quote zu schielen. Mit wachsendem Erfolg tendierst du dazu, doch öfter nachzusehen. Das will ich vermeiden. Ich will den kindlichen Spaß nicht verlieren. “ Eine Pause nach dieser Staffel wäre gut, sagt Bully.

Ohnehin ist er erst einmal damit ausgelastet, seinen zweiten Kinofilm Der Schuh des Manitou in diesem Sommer ins Kino zu bringen, vom Herbst an dreht er eine Fortsetzung von Erkan und Stefan. Dann will er sich entscheiden, wie es weitergeht. Eigentlich ist es ein Traum: In den letzten zehn Jahren hat er sich eine eigene Firma aufgebaut, 15 Mitarbeiter, Tonstudio, Freunde und Autoren, die über das Gleiche lachen wie er. So wie es jetzt läuft, könnte er daraus ein kleines Medienimperium machen, vielleicht wie Brainpool. Aber das wird er nicht tun. Dazu sei ihm seine Freiheit zu wichtig, sagt er. Auch wenn er nur Sklave seiner selbst wäre. „In dem Moment, wo du fragst, wem das gefallen könnte, was du machst, hast du verloren. “

Sagen das nicht alle? Aber Bullys Sendungen sieht man es an.

(c) Süddeutsche Zeitung

Deutsche Leitmusik

Beim Schlager-Grand-Prix treffen sich Nationalstolz und Popkultur, und einer der Kandidaten heißt Moshammer.

Bumm-bomm bumm-bomm . . . Die Pauken aus Also sprach Zarathustra künden von einem großen, billigen Höhepunkt. Ein Dutzend Kamerateams drängeln sich um ein Rechteck im Teppichboden, livrierte Bedienstete versuchen, sie vom eingelassenen Metallrahmen weg zu bewegen, eine Rotte von 80 Journalisten späht durch ihre Beine. Es ist die Pressekonferenz, auf der die ARD bekannt gibt, wer an der deutschen Vorausscheidung zum europäischen Song Contest teilnehmen wird. Jürgen Meier-Beer, offiziell Unterhaltungschef des NDR, tatsächlich deutscher Schlager-Grand-Prix-Ober-Verwaltungschef, hat gerade dieNamen vorgelesen, darunter Zlatko Trpkowski, bekannt durch 39 Tage Aufenthalt im Fernsehcontainer, und Rudolf Moshammer, bekannt durch jahrelange Darstellung des Rudolf Moshammer. Sänger waren auch unter den Nominierten, und einige standen sogar hinter Meier-Beer auf der Bühne. Doch dahin schaut niemand mehr, seit er noch eine „kleine Überraschung“ angekündigt hat, die aus dem Fahrstuhl in der Mitte des Raumes aufsteigen soll.

Eine kleine Überraschung? Zlatko, das Fett verteilend, das er sichgerade öffentlich hat absaugen lassen? Moshammer als König Ludwig – oder Königin Elisabeth? Oder, bestimmt, Stefan Raab, der gleich, höhö, in einer absurden Verkleidung mit der Hebebühne mitten in die Runde platzt?

Das letzte Taa-Daaa-Daaaa! Dann ein trauriges metallisches Klonk. Dann nichts. Stille in den Kopfhörern, Bewegungslosigkeit auf den Monitoren. Die Medienöffentlichkeit hält den Atem an. Jetzt bewegt sich was. Die Bühne fährt hoch. Noch ein Klonk, dann ist es da. Es ist: das Buffet! Die Journalisten lassen ihre Schreibblöcke und Kameras sinken, aber enttäuscht sieht keiner aus.Das ist das Schöne an Phänomenen wie Zlatko und Moshammer: Die pompöse Leere und dramatischen Anti-Höhepunkte, die sie uns bescheren, kriegt man notfalls locker ohne sie hin.

Sladdi und Mosi also. Gott ja. Nachdem der Schlager-Grand-Prix schon wegen Guildo Horn und Stefan Raab partout nicht untergehen wollte, geschweige denn das Abendland, hält sich die Aufregung in Grenzen. Beruhigend auch zu erfahren, dass es nicht das erste Mal ist, dass Moshammer als Sänger auftritt: In der Goldenen-Eins-Hitparade hat er es schon einmal getan, er errang den letzten Platz. Selbst Mark Pittelkau, Unterhaltungsreporter bei Bild und Erster Frontberichterstatter in Sachen Grand Prix, hat die Reise zur Endausscheidung in Kopenhagen noch nicht gebucht. Er glaubt nicht, dass sich mit den Kandidaten genügend Aufregung produzieren lässt. Und dass es für Zlatko ein Jahr nach seinem Auszug bei Big Brother noch ein Durchmarsch werden wird, glaubt er auch nicht.

Meier-Beer formuliert das so: „Wer glaubt, hier eine billige PR-Nummer machen zu können, wird sich wundern.“ Für ihn ist das Kandidatenfeld ein Glücksfall. Zlatko und Moshammer sorgen für die nötigen Schlagzeilen (und Quote). Wolf Maahns Teilnahme bringt alte Deutschrocker zum Weinen. Joy Fleming bildet mit zwei anderen Sängerinnen ein Team, das sich aber nicht Mütter Mannheims nennt, sondern White Chocolate. Schlagersängerin Michelleist nach Angaben von Menschen, die sich mit sowas auskennen, in entsprechenden Kreisen außerordentlich populär.

Seit Meier-Beer dafür gesorgt hat, dass die großen Plattenfirmen selbst entscheiden, wen sie ins Rennen schicken, stehen den peinlichen traditionellen Beiträgen auch peinliche moderne gegenüber, etwa der Hamburger DJ Balloon. Wer noch? „Was wäre der Grand Prix ohne Ralph Siegel?“, fragt Meier-Beer freundlich und fügt, etwas weniger freundlich, hinzu: „Und was wäre Ralph Siegel ohne den Grand Prix?“ Für gleich zwei Beiträge schrieb er die Musik.

Nun darf man aber nicht den Fehler machen, aus Meier-Beers breitem Grinsen zu schließen, dass es um nichts geht: Für Moshammer zum Beispiel geht es um viel Geld. Für Zlatko um viel PR. Für die Nachwuchsbands um eine Karriere. Und für Deutschland um alles. „Wir wollen siegen“, hat das Erste die Vorentscheidung in diesem Jahr genannt, was sich ausdrücklich nicht nur auf diese Runde bezieht, sondern auch aufs Finale. Moderator Axel Bulthaupt soll die Zuschauer ermahnen, den zu wählen, von dem sie glauben, dass mit ihm oder ihr „Deutschland“ die größten Chancen hat.

Wenn Meier-Beer die Bedeutung der Veranstaltung erklärt, kommt er gerade so um das Wort „Leitkultur“ herum: „Das deutsche Volk entscheidet, was Ausdruck unseres Nationalstolzes ist.“ Dann philosophiert er, dass der Song Contest die einzige Gelegenheit sei, bei der Nationalstolz und Popkultur aufeinander treffen; das Ergebnis sei „oft eine Skurrilität, aber oft auch eine ernst zu nehmende Leistung“. Soviel Pathos ist neu, liegt aber im Trend. Und genau um den geht es ja: „In den vergangenen Jahren gab es offenbar ein Bedürfnis der Deutschen, dem Ausland zu zeigen: Wir haben Humor. Wir werden sehen, ob das Bedürfnis auch in diesem Jahr noch so groß ist.“

Wir lernen: Der Grand Prix ist groß, wichtig, unterhaltsam – und beruhigend noch dazu. Wer glaubt ernsthaft, dass die Deutschen diesmal der Welt zeigen wollen: Wir haben Moshammer?

(c) Süddeutsche Zeitung

Ingo Appelt

Abgrundtief. Ingo Appelt muss gehen, aber die Politik schaut zu, wie das Privatfernsehen insgesamt am hellichten Tag Schmutz verbreitet.

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Vielleicht muss man ein bisschen Mitleid haben mit Ingo Appelt, der doch nur ein Komiker ist, wie es sie zu allen Zeiten gegeben hat. Einer, der nicht durch Talent oder Handwerk auffällt, sondern dadurch, dass er auffällt. Einer, der Tabus bricht, den die Kinder lieben, weil die Eltern ihn hassen. Einer, dessen Witze nicht gut sein müssen, weil das Publikum statt „hahaha“ immer noch „hohoho“ lachen und „Was der sich traut!“ denken kann. So einer hat es nicht leicht heute. Wie soll man provozieren, wenn jede besonders krasse Übertreibung täglich im Fernsehen von Jenny und Alex und Ramona und Jürgen getoppt wird?

Das Mitleid mit Appelt hat Grenzen. Aber bedauernswert der Zuschauer, dessen Fernsehprogramm so weit gekommen ist, dass es einer wie Appelt kaum schafft, abgesetzt zu werden. Es ist ja nicht so, dass er sich nicht lange schon bemüht hätte. Hat wieder und wieder „Ficken“ gerufen. Hat dumme Witze über den Bundespräsidenten gemacht, als der sich von einer Operation erholte. Hat ein Kind epileptische Anfälle vortäuschen lassen, um schneller einen Parkplatz zu bekommen. Aber er musste erst so tun, als schieße er Kinder auf eine Torwand, um von Pro Sieben endlich abgesetzt zu werden.

„Wir sind verwundert“, sagt Jörg Grabosch, Geschäftsführer der Firma Brainpool, die die Ingo Appelt Show produzierte. Was habe der Sender denn erwartet, fragt er, als er einen Komiker unter Vertrag nahm, der in seinem Bühnenprogramm einen Graf Dracula spielt, der das Blut nicht aus dem Hals seiner Opfer saugt, sondern aus ihren Tampons. Ja, was wohl? Quote! Die von Appelt war schlecht, aber auch nicht so mies, dass man nicht noch die restlichen Folgen hätte ausstrahlen können. Für die vorzeitige Absetzung spricht nur eins: Dass sich Pro Sieben zum Saubersender stilisieren kann. „Die Ingo Appelt Show genügt dem Qualitätsanspruch der Marke Pro Sieben nicht“, säuselt Programmchef Nicolas Paalzow in einer Pressemitteilung und „bekennt“ sich zu „qualitativen Maßstäben“. Kling, Glöckchen!

„Es gibt Dinge“, sagt Paalzow, „die gehen auf einer Bühne, vor einem geschlossenen Benutzerkreis, aber im Fernsehen kann man sie nicht machen. “ Mit dieser Ansicht steht er offenkundig allein in der Fernsehlandschaft. Und er erklärt nicht, warum dem Sender diese Erkenntnis nicht vorher kam, nach der Aufzeichnung zum Beispiel. Sei’s drum. „Der Zuschauer honoriert Geschmacklosigkeiten nicht“, sagt Paalzow. Ob Appelt weitersenden dürfte, wenn die Zuschauer dessen Geschmacklosigkeiten honoriert hätten, bleibt offen.

Am Nachmittag sitzen in der Talkshow Andreas Türck bei Pro Sieben Menschen, die drastische Ansichten über den Körpergeruch eines Freundes, das Sexualverhalten eines Partners oder die Rolle der Frau an sich haben, aber große Probleme, diese verständlich zu artikulieren, worüber sich der Moderator zur Unterhaltung des Publikums lustig macht. Das ist nicht geschmacklos und lässt sich mit dem Qualitätsanspruch von Pro Sieben vereinbaren. „Türck ist ein Idol für viele Teenager und sehr populär“, sagt Paalzow. Brainpool-Chef Grabosch findet es merkwürdig, was Fragen des Geschmacks mit der Absetzung von Sendungen zu tun haben sollen. Das ist nicht zynisch, sondern realistisch: In der vergangenen Woche holte Ramona Drews vor laufender Kamera eine Brust aus der Bluse und bewies durch gezielte Massage, dass daraus fünf Jahre nach der Geburt ihres Kindes noch Milch spritzt, weil ihr Mann Jürgen sie regelmäßig heraussaugt. RTL zeigt diese Szene ungefähr ein Dutzend Mal, auch mittags in Punkt 12. In Explosiv beglückt der Kölner Sender um 19. 30 Uhr die versammelten Kinder und Erwachsenen mit Großaufnahmen einer anderen Frau, die ihre Muttermilch in einen Behälter melkt, um sie Männern auf der Straße zum Trinken anzubieten. In Exclusiv Weekend fragt der gleiche Sender, zu welchen TV-Exzessen es noch kommen wird, und zeigt bei dieser Gelegenheit außer Frau Drews zwei Komiker, die sich vorn in ihre Hosen Bockwürste gesteckt haben, die sie während der Aufnahmen massieren, sowie den Komiker Niels Ruf, dessen Beitrag zur Diskussion die Andeutung von Analverkehr mit einer Gummipuppe und ein Auftritt mit der Unterwäsche von Anke Engelke sind. Die Berliner Verkehrsbetriebe stoppen am Wochenende die Aufnahmen zu Christoph Schlingensiefs neuer MTV-Show U 3000, weil dabei ein Mann, in dessen Hintern Mohrrüben stecken, auf einem Bahnsteig nackt auf ein Go-Kart gefesselt wird. In einer anderen Folge interviewt Schlingensief Maria und Margot Hellwig mit nacktem Unterkörper und frei schwingendem Glied, Aufnahmen, die andere Privatsender vorher zeigen, am frühen Abend.

In der RTL-Comedy Freitagnacht News wird ein Darsteller von einer Gruppe Skinheads gejagt, bis einer der Angreifer ihm mit einem Baseballschläger den Kopf abschlägt. Explosiv berichtet über eine extrem übergewichtige Frau, die mitsamt ihrem Bett mit einem Kran von der Feuerwehr aus dem Haus gehieft werden muss, und vermutet dabei, dass sie mit der Scham der Zurschaustellung kaum leben kann. Bei Sonja auf Sat 1 drohen sich zur Mittagszeit Gäste gegenseitig Gewalt an, während ihnen Zuschauer unter dem Beifall des Publikums vorwerfen, auszusehen „wie ein schwules Stück Kacke“. Explosiv lässt ein nacktes Paar so bemalen, dass ihre Brüste zwei Möpse darstellen und sein Glied den Rüssel eines Elefanten, filmt sie beim Bummel durch Wien und zeigt das um 19 Uhr. Alles wird überall wiederholt, spätestens in der Endlosschleife des Dauerlächlers Stefan Raab, der auch ein in einer Talkshow weinendes Mädchen zigmal vorführt, weil ja nicht er darunter leidet, sondern das Mädchen, das dann auch noch in Raabs Sendung eingeladen wird und vor Angst kaum einen geraden Satz herausbringt. Was bleibt ihr übrig?

So simpel ist Privatfernsehen: sind Tränen oder Titten zu sehen, steigt die Quote. Deshalb gibt es im deutschen Privatfernsehen keine Zeit mehr, zu der nicht Riesenbrüste, operierte Brüste, bemalte Brüste, Schwabbelbrüste oder (bei RTL) die Frau mit den vier Brustwarzen zu sehen sind. Was, wenn Eltern ihre fernsehenden Kinder nicht rund um die Uhr bewachen können?

Man läuft Gefahr, sich anzuhören wie ein Wanderprediger, aber die Degeneration des Fernsehens hat zweifellos neue Ausmaße erreicht, und das, nachdem Politiker die Talkshow- und Real-Life-Show-Sau je einmal durchs Dorf getrieben haben, fast ohne öffentliche Diskussion. Was in der Zeitschriften-Landschaft mit Coupé oder dem National Enquirer Randerscheinungen sind, ist im Privatfernsehen Alltag.

Pro-Sieben-Programmchef Paalzow sagt, dass er in letzter Zeit massenhaft Formate angeboten bekomme, die schärfer sind als Appelt war. Kein Wunder, dass der zum Äußersten gehen musste, um überhaupt bemerkt zu werden. Das Aus für seine Show ist kein Beleg dafür, dass es Selbstreinigungseffekte im Privatfernsehen gibt. Es ist ein Beleg dafür, wie verkommen das Privatfernsehen ist.

Es ist auch Beleg dafür, dass Politik und Fernsehwächter der Entwicklung tatenlos zusehen. Ihnen bringt eine zünftige Einmal-Erregung über Big Brother mehr Beifall als die Beschäftigung mit dem inzwischen normalen Schmutz, der aus den Kanälen, die diese Politiker fördern, zur besten Sendezeit vor Menschen ausgeschüttet wird. Vor Menschen, die sich dagegen nicht immer wehren können. Vor Kindern zum Beispiel. Frohes Fest.

(c) Süddeutsche Zeitung

Fort Boyard

Der Star ist die Festung. Ab Sonntag läuft FORT BOYARD — eine Abenteuershow, die vom Atlantik aus fü die ganze Welt produziert wird.

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Das Ding ist wirklich eine Attraktion. Kein Andenkenladen an der französischen Atlantikküste rund um La Rochelle, der nicht Postkarten, Wanduhren und Aschenbecher vom Fort Boyard hat. Künstler verkaufen Miniaturen; Boote nehmen Kurs auf die 150 Jahre alte Festung — doch rein kommt man nicht als Tourist, rein kommt man nur als Kandidat. Vor elf Jahren hat der Staat das Fort, dessen Bau Napoleon begann, an den heute 76-jährigen Jacques Antoine verpachtet, einen Verrückten, der sich für alles begeistert, was mit Abenteuer zu tun hat: Seine Firma Expand benutzt die Feste als Spielfeld für Fernsehshows, die sie in alle Welt verkauft. Zuvor wurden für sieben Millionen Dollar bröckelnde Mauern repariert, die Fassaden poliert und Kabel verlegt, Verließe in Spielkammern, Regieräume und Garderoben verwandelt. Selbst eine Kantine für die 100 Mitarbeiter gibt es. Jetzt ist Fort Boyard den ganzen Sommer ausgebucht. Bis September kommen Teams aus zehn Ländern und nehmen insgesamt 150 Shows auf. Mitbringen müssen sie nur ihre Kandidaten und Moderatoren — alles andere macht Expand. Für Länder wie Ungarn, Polen oder Argentinien die einzige Möglichkeit, sich eine aufwendige Abenteuershow leisten zu können.

Auch Deutschland ist dieses Jahr wieder da. Vor zehn Jahren lief „Fort Boyard“ schon einmal auf Sat 1, doch damals wollte es kaum einer sehen. Nun versucht es Pro Sieben vom kommenden Sonntag an mit sechs neuen Folgen, immer um 18 Uhr. Und mit Prominenten wie Suzanne von Borsody und Ingo Appelt, die durch Spinnen krabbeln oder Bungee springen müssen, nur um ihr Preisgeld am Ende für einen guten Zweck ihrer Wahl zu spenden. Alles läuft am Fließband: Bei der letzten deutschen Aufzeichnung sind schon die Argentinier da, um am nächsten Tag anzufangen, ihre Folgen aufzunehmen.

Die Produzenten aus dem Ausland können aus einem Expand-Katalog von 55 unterschiedlich schweren Aufgaben diejenigen auswählen, die sie ihren Kandidaten zumuten wollen. „Psychologie und Emotionen funktionieren überall auf der Welt gleich“, sagt Patrice Laurent, der Abenteuerchef bei Expand, die Details lassen sich anpassen: „Ein Produktionspartner aus dem Zielland ist immer dabei und weiß, was dort ankommt.“ Die Skandinavier etwa sehen ihre Stars gern in Extremsituationen, die Franzosen selbst mögen Mystery in ihren Shows; Pro Sieben hat sich für Harmloseres entschieden. Sie ersetzten etwa einen greisen Turmwächter mit Zaubererbart durch die „Glücksrad“-Buchstabenfee Sonya Kraus.

Wenn im Herbst die See um das Fort zu rau wird, zieht ein Teil des Expand-Teams in die jordanische Wüste, vor die Dominikanische Republik oder nach Mexiko, um dort ähnliche Abenteuerspiele im Sand, unter Wasser und auf Eisenbahnschienen aufzunehmen. Für die Zug-Show hat Expand acht Kilometer Gleise verlegt — mit Parallelstrecke für die Kameras. Der Aufwand ist nötig, behauptet Laurent: Gameshows im Studio hätten nie den gleichen Reiz. Jahrhundertealte Steine, echte Tiger oder die Brandung des Meeres wie rund ums Fort Boyard lassen sich nicht nachbilden. Dass die Fluten der Atlantik sind oder der Sand in Jordanien liegt, ist dem internationalen Publikum egal. Burg, Meer, Wüste — so etwas funktioniert immer und überall.

Deshalb könnten Abenteuershows nicht nur Ländergrenzen überschreiten, sondern auch Trends wie den Reality-Boom überdauern. Von Experimenten wie dem „Inselduell“ hält Laurent wenig: „Die Angst auf den Gesichtern der Kandidaten kriegen wir auch hin, ohne sie echter Gefahr aussetzen zu müssen.“

Pro Sieben hat sich eine Option auf alle Expand-Shows gesichert; Tresor-TV, der deutsche Produktionspartner, will zum Experten für das Genre werden. Und in ein paar Jahren wird vielleicht eine Sehenswürdigkeit in Deutschland zum Spielfeld, auf dem Kandidaten aus aller Welt herumturnen. Muss ja nicht gleich Neuschwanstein sein.

(c) Stern

Aufstand alter Männer

Der Eurovisions-Song-Contest in Stockholm: Schlichtheit siegt, und Stefan Raab muss die Schlagerwelt auch nicht retten.

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Sie kommen aus einer anderen Galaxie. Tauchen aus einem gleißenden Lichtrechteck auf. Schreiten gemessen durch ein Spalier aus Bildern des Blauen Planeten. Treten an die Bühne. Rücken Gitarren und Mikrofone zurecht. Singen. Und 13 000 ergeben sich ihrer Macht.

Gut, aus einer anderen Galaxie kommen sie vielleicht nicht, die Olsen Brüder, die am Samstag den Eurovisions-Song-Contest gewonnen haben, eher schon aus einer früheren Zeit dieser Welt. Sie sehen aus wie Kenny Rogers und Unscheinbarer-Mann-neben-Kenny-Rogers. Sie sind Ende 40 und haben vor 22 Jahren zum ersten Mal versucht, zum Grand Prix zu kommen. Ihr Fly on the wings of love beruht auf genau der Folge von vier Harmonien, die schätzungsweise der Hälfte aller konventionellen Popsongs ihr Gerüst gibt. Das Lied rettet sich über die drei Minuten – wie Millionen Schlager vor ihm -, indem es kurz vor Schluss die Tonart wechselt. Halbwegs aus heutiger Zeit ist nur der Effekt, Jorgen Olsens Stimme einmal durch einen Vocoder verzerren zu lassen, wie bei Cher – aber den Effekt hat inzwischen selbst Mary Roos entdeckt. Nein, als irgendwie innovative Veranstaltung geht der Grand Prix nach dem Sieg der Dänen nicht durch.

Muss er auch nicht. Das furchtbare Erfolgsgeheimnis des Schlagerwettbewerbes ist seine Schlichtheit. Schon bei der Wiederholung des Siegertitels zum Finale konnte fast jeder in der Stockholmer Globen-Arena mitsingen. Am Tag zuvor wurden die Dänen plötzlich Favoriten, als das harmlose Lied bei der ersten öffentlichen Probe das überwiegend schwedische Publikum zur Raserei trieb. So gesehen geht der Sieg völlig in Ordnung. Auch in ein paar Jahren noch werden es die merkwürdigen Grüppchen von Grand-Prix-Fans rauf und runter spielen. Und wenn einer dazukommt, wird er sich erinnern und mitsingen. Und wenn er sich nicht erinnert, kann er es trotzdem nach zwei Strophen.

Auf den Straßen und in den Bars Stockholms liefen in der vergangenen Woche die Grand-Prix-Hits aus 45 Jahren in der Endlosschleife, aber auch beim zweiunddreißigsten Mal Waterloo und A-ba-ni-bi und Ring-A-Dong gerieten die Menschen aus ganz Europa, jung und alt, noch in Extase.

Es hätte alles viel schlimmer kommen können. Mit Irland als Sieger zum Beispiel. Die Iren schickten einen freundlichen, aber viel zu schönen Mann mit Vokuhila-Frisur, der vor dem Hintergrund brennender Kerzen derart kalkuliert vom Jahrtausend der Liebe schmachtete, dass es selbst den Schlagerfans zu viel war. Hohe Punkte für ihn wurden vom Publikum gar mit Buhrufen kommentiert.

Vor Irland aber lag am Ende ein ganzer Ostblock: Russland, Lettland, Estland. Dass die 16-jährige Russin Alsou mit ihrem modernen, aber belanglosen Stück auf Platz zwei kam, nahmen Song-Contest-Verantwortlichen aus aller Welt mit Erleichterung auf: Vielleicht gibt sich ihr Vater damit zufrieden. Der Herr ist Multimillionär, ließ ausrichten, dass auch Herr Präsident Putin für das Lied sei und drohte ernsthaft, das Schwedische Fernsehen zu kaufen, wenn deren Regisseure nicht tun, was er will.

Der Erfolg von Estland und Lettland, die mit MTV-kompatiblen jungen Nummern angetreten waren, gab denen Hoffnung, dass der Schlagerwettbewerb nicht nur ein skurriles Ritual sein muss, bei dem am Ende die simpelste Hymne gewinnt. Dahinter Stefan Raab auf Platz fünf: „Das ist das perfekte Ergebnis für mich“, sagte der deutsche Delegationsleiter Jürgen Meier-Beer vom NDR. Was schließt man daraus? Ist der Grand-Prix 2000 nun ein Zeichen für die Allmacht des zeitlosen Kitsch (wegen Platz 1) oder für das Aufholen des zeitgemäßen Pop (wegen Platz 2 bis 4)? „Ist mir egal“, sagt Meier-Beer, „solange die Leute nur ausgiebig darüber diskutieren.“ Über zehn Millionen sahen bei der ARD am Samstag im Schnitt zu.

Ein bitterer Abend war es für Österreich und die Schweiz. Beide dürfen im kommenden Jahr wohl nicht zum Finale nach Dänemark reisen – ihr Punkteschnitt der letzten Jahre ist zu schlecht. ORF-Leute glauben, dass ihnen das Anti-Österreich-Klima in Europa geschadet habe – obwohl sich der Auftritt der Rounder Girls, drei schwere Damen verschiedener Hautfarbe mit einem Motown-Stück, gerade als Anti-Haider-Demonstration werten ließ. Der Schweiz will Deutschland 2001 anbieten, wie bereits 1999 wenigstens mit einem Beitrag an der deutschen Vorausscheidung teilzunehmen.

Stefan Raab lag mit seinem fünften Platz deutlich über den Prognosen der Wettbüros. Dabei war sein Auftritt eigentlich ein Missverständnis. „Ich habe gehört, Sie wollen den Song Contest retten“, sagte die schwedische Moderatorin mit dem Charme eines Gefrierbeutels bei seiner Pressekonferenz. „Das ist ja nett.“ Die Veranstaltung braucht – anders als vielleicht die deutsche Vorentscheidung – keinen Retter-Raab. Sie ist trotz ihrer ganzen Rituale und Albernheiten ziemlich lebendig und vielfältig. Schon deshalb fiel Raab in Stockholm nicht so sehr auf. Außerdem kommentierten viele seinen Auftritt nicht mehr mit: „Hey – die Deutschen haben ja Humor!“, sondern mit: „Hatten wir den gleichen Witz nicht schon vor zwei Jahren?“

Eine Schlager-EM hat die gleiche Bedeutung wie eine Fußball-EM: Sie ist exakt so wichtig, wie man sie nimmt. Da schneidet der Grand Prix im Vergleich nicht mal schlecht ab: Einige Länder baten die Sänger in Stockholm zu offiziellen Empfängen in ihre Botschaften. Den Dänen ist es traditionell eine Party mit Freibier wert. Und die Engländer, die ihre Zielgruppe kennen, luden in eine Schwulenbar.

Dafür braucht die Welt den Grand Prix: Damit Leute wie die Olsen-Brüder Hoffnung auf eine neue Karriere haben und Leute wie Stefan Raab Material für ihre Comedy. Damit ein Fernsehzwerg wie Schweden der Welt zeigen kann, wie man die alte Veranstaltung als modernes Spektakel inszeniert. Damit wir feststellen, dass auch in Mazedonien (I love you 100 percent, yes I do) Mädchen nicht singen können müssen, um erfolgreich zu sein, wenn sie nur sehr jung sind und entsprechend wenig anhaben.

Und natürlich, damit einmal im Jahr Millionen Fernsehzuschauer eine knappe Stunde lang zusehen, wie nacheinander 240 Punktewertungen je drei Mal vorgelesen werden. Zwölf Punkte von Mazedonien an Rumänien – hurra! „Ist doch toll“, sagte eine norwegische Journalistin, „das hier ist die größte unwichtige Veranstaltung des Jahres.“

(c) Süddeutsche Zeitung

Der Mann, der nur Spaß versteht

Süddeutsche Zeitung

Der deutsche Grand-Prix-Vertreter Stefan Raab feiert vielleicht deshalb Erfolge, weil ihn an der Welt nur eines interessiert: Ob sie für einen Witz taugt.

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Stockholm, 10. Mai — Einer hat die Quelle entdeckt. Ein einziger, das genügt. Seine Kamera verrät ihn, er bleibt nicht lang allein. In Sekunden sind nach gutem Stoff hungernde Fernsehteams aus allen Ecken des Stockholmer Stadthauses zusammen geströmt und haben eine Oase gebildet. Der Mann in ihrer Mitte trägt, wie seine Freunde, eine wattierte penatenblaue Polyester-Jacke, die an die Ausgeh-Uniformen von Fußballern bei einer WM erinnern soll. Trotzdem wäre er unscheinbar, unrasiert wie er ist, mit Baseballkappe, Cargo-Hose und Turnschuhen, würden nicht sieben, acht Fernsehjournalisten, ihre Kameramänner und Mikrofonträger erwartungsvoll ihre Blicke auf den Mann richten, von dem sie wissen, dass er sie alle satt machen wird: Stefan Raab.

Es ist der Empfang des Bürgermeisters für die Teilnehmer des Europäischen Schlagerwettbewerbs, der an diesem Wochenende in Stockholm stattfindet. Wenige Zentimeter vor Raab, bedrängt von den Massen hinter ihm, steht ein junger schwedischer Reporter. Raab läuft jetzt wie aufgezogen. Nach jedem Satz zeigt er sein Nussknackergrinsen — ein breites, hölzernes Lächeln. „Na, bin ich lustig“, fragt dieses Grinsen, wenn er in die Runde schaut. Gerade erzählt er dem jungen Mann, der ihn anstrahlt, dass Wadde, Hadde und Dudde die drei meistverkauften Regale bei Ikea seien. „Das ist doch der ganze Witz bei meinem Lied Wadde hadde dudde da“, sagt Raab, legt den Kopf schief und schaut dem Reporter herausfordernd ins Gesicht, „wussten Sie das nicht?“ Kein Wort davon stimmt. Aber Raab hat großen Spaß, die Geschichte zu erzählen. Er hätte auch erzählen können, dass ihm der Text eingefallen ist, als er im Park sah, wie eine Frau mit ihrem Hund sprach. Aber das hat er schon zu oft erzählt. Und in Schweden jedenfalls passt die Ikea-Geschichte besser. „Die Hälfte von dem, was ich erzähle, von allem, was ich die ganzen letzten Jahre erzählt habe, ist erlogen“, sagt Raab. Er kann das ruhig sagen. Es wird keiner ankommen und sich beschweren. Aber wenn er die Wahrheit erzählte, und die Wahrheit langweilig wäre: dann würden sie sich beschweren.

Denn Raab ist Entertainer. Der erfolgreichste im Fernsehen heute. Seine wöchentliche Show TV Total hat erst Ostern wieder ihre eigenen Rekorde gebrochen und soll im nächsten Jahr gar täglich kommen. Seine Single Maschendrahtzaun wurde über eine Million mal verkauft und versorgte die Boulevardindustrie mit Stoff für Wochen. Raabs Musikfirma ist erfolgreicher als Große wie EMI und Ariola. Jetzt sorgt er dafür, dass sich junge Menschen massenhaft für eine alte, merkwürdige Erfindung interessieren: den Schlager-Grand-Prix.

Raab ist 33 Jahre alt und seit sieben Jahren im TV-Geschäft — die meiste Zeit auf dem Musiksender Viva, der ihn alles machen ließ. Er kann nicht nur moderieren und Faxen machen. Er kann singen. Spielt Gitarre, Schlagzeug, Klavier. Komponiert und produziert. Er braucht, wenn nicht mehr Zeit ist, nur zehn Minuten, um mit einem Musiker, den er noch nie getroffen hat, live so zu spielen, dass das Publikum tobt. Ein Grand-Prix-Journalist bittet ihn, ein finnisches Lied anzuspielen, Raab denkt zwei Sekunden nach, greift zur Ukulele, spielt einen Schlussakkord und sagt: „Finished!“ Das ist Handwerk, das beherrscht er. Warum heute aus jedem kleinen Stein, den er ins Wasser wirft, eine riesige Welle wird, erklärt es noch nicht.

Raab nimmt das Wort Entertainment wörtlich. Alles, was er macht, muss unterhalten. Zuerst ihn. Dann die Fans. Die Medien sowieso. Zu seinen Pressekonferenzen, die er nach jeder Probe in Stockholm abhalten muss, können die Programme blind Sendezeit buchen. Selbst wenn alle anderen nur erzählen, ob sie nervös waren, was sie mit ihrem Lied ausdrücken möchten und was sie vom Grand Prix erhoffen. Für die geht es ja um was: um ihre Karriere, um Auftritte in Europa, um Patriotismus gar. Für Raab geht es nur um eins: Spaß. Gewinnen macht Spaß.

Die alten Grand-Prix-Fans murren, weil sie ihre Institution nicht ernst genommen fühlen. Jens Bujar, Chefautor und Raabs wichtigster Mann, zuckt mitleidslos die Achseln: „Das ist Demokratie.“ Raab sagt: „Ich habe einen guten Geschmack“, dann korrigiert er sich: „einen breiten Geschmack.“

Raab hat nichts gegen den Grand Prix, genauso wenig wie gegen die Frau vom Maschendrahtzaun, Karl Moik vom Musikantenstadl oder Zlatko aus dem Big-Brother-Haus. Sie sind ihm egal. Sie sind Material für seine Witze. Mehr als jeder andere befreit Raab die Realität und die Fernsehrituale von allem Inhalt, bis nur noch Spaß übrig bleibt. Er kann eine halbe Stunde lang witzig mit einem schwedischen Model plaudern, ohne je zu fragen, für wen sie Modell steht und was der Beruf ihr bedeutet.

Wenn Raab eine Frau in schwedischer Tracht sieht, zeigt er auf sie, lacht und ruft: „Guck mal, was hat die denn auf dem Kopf!“ Vor sechs Wochen hat er sich ein Kickboard gekauft, eine Art moderner Tretroller. Sein Lieblingsspielzeug heute. Keiner kommt in den Backstage-Bereich, ohne es bewundert zu haben. Nach der Aufzeichnung seiner Show kann er es kaum erwarten, damit zum Hotel zurück zu fahren. Auf halber Treppe dreht er sich noch einmal um und lacht: „Das ist geil, beim Rückweg geht’s fast nur bergab.“

Raab ist ein Kind, privat und auf der Bühne. Auf der Bühne nimmt er den Spaß ernst. Die Mitarbeiter, die mit ihm die Filmbeiträge schneiden, müssen eine große Leidensfähigkeit haben: Er gibt die Beiträge nicht eher frei, bis alles perfekt ist. Wenn es nicht perfekt wird, schmeißt er es weg. Als er einmal Will Smith traf und versuchte, ihn nachzumachen, schaute ihn der Amerikaner mitleidig an und sagte: „You’re trying too hard.“ Das hat Raab zum Kern seiner Philosophie gemacht: Wenn etwas nicht leicht ist oder nach harter Arbeit leicht wirkt, lass es ganz.

Die Menschen haben auf einen wie ihn gewartet. Wenn er in der Sendung einen neuen Running Gag einführt, ein Kelle zum Beispiel, auf der das Wort „Respekt“ steht, dann sitzen schon in der nächsten Woche Leute im Publikum, die sich selber „Respekt“-Kellen gebastelt haben, andere halten „Respekt“-Fahnen hoch. „Die Leute sind aufmerksam und wollen was zum Mitmachen“, sagt Raab. In der Südkurve beim 1. FC Köln tragen die Fans alle tiefblaue Hemden mit dunkelblauen Krawatten, seit Ewald Lienen Trainer ist, der sich so anzieht und den Verein nach vorne brachte. Das gefällt Raab. Er steht nicht in der Südkurve. Nicht am Big-Brother-Haus, um „Manu raus“ zu brüllen. Und nicht am Maschendrahtzaun. Aber wie den Leuten, die dort stehen und feiern, ist ihm völlig egal, wie Manu wirklich ist und was die Frau vom Maschendrahtzaun tatsächlich umtrieb. Wie sie hängt er im privaten Gespräch „weisse?“ ans Ende seiner Sätze.

Seine Moderationen liest er nicht ab. Sie sind spontan, wirken oft entsprechend unpoliert. Das ist typisch für Raab: Er macht das einfach, weil er so ist, und es ist geschickt, als wäre es kalkuliert. „Die Leute schätzen es viel mehr, wenn du etwas spontan machst“, sagt er. „Wenn einer einen Witz erzählt und die Pointe mittelmäßig ist, finden Leute den Witz schlecht. Wenn da aber einer sitzt, der spontan seinen Kommentar abgibt, wirkt das viel witziger, selbst wenn der Spruch nur mittelmäßig war.“

Raab hat für die Journalisten in Stockholm eine Fahrt auf einem Wikingerschiff organisiert. Gegen Ende trifft er einen, für den der Grand Prix das wichtigste Ereignis des Jahres ist. Voll Stolz will der ihm eine kleine Zeitschrift in die Hand drücken, die Euro Song News des Grand-Prix-Fanclubs, deren Chefredakteur er ist. Aus dem Heft könnte Raab viel erfahren, was der Wettbewerb, an dem er teilnimmt, anderen bedeutet. Leider ist es nicht witzig. „Ich geb’s ihm später“, sagt Raabs Managerin entschuldigend dem schreibenden Fan. Raab ist längst gegangen. Er hat nicht mal gewartet, bis sie die Artikel über ihn gefunden hat.

Hadder da Gummibärchen?

Süddeutsche Zeitung

Stefan Raab und die „Bild“ streiten sich ein wenig.

So viel steht fest: Stefan Raab war in Stockholm. Mark Pittelkau, Klatsch-Nachwuchshoffnung der Bild-Zeitung, auch. Sie haben sich getroffen, um ein Foto zu machen. Doch schon über die Frage, wo genau, gehen die Aussagen auseinander. Und darüber, ob Raab dabei vor dem Schloss mit Waffengewalt abgeführt wurde, ob ihm zwei 16-Jährige mit den Worten „Hadder denn da wat, un wenn ja, was hadder da“ in den Schritt griffen und ob er zum Frühstück Gummibärchen isst – wegen der Potenz. Es ist ein absurder Streit entstanden.

Raab sagt, der Bild-Artikel, der am Tag vor dem Grand Prix erschien, sei frei erfunden. Sein Management hat protestiert, Gegendarstellung und Widerruf gefordert; die Bild bleibt bei ihrer Darstellung, ist aber intern etwas desorientiert. Unterhaltungschef Manfred Meier sagt, man habe eine Unterlassungserklärung abgegeben, das sei Routine: dass man die Fakten nicht wiederhole, heiße nicht, dass sie nicht stimmten. Chefredakteur Udo Röbel widerspricht: Es gebe keine Erklärung; die Rechtsabteilung prüfe. Die Sache ist für beide Seiten keine Petitesse, Röbel hat sich Pittelkaus Darstellung als eidesstattliche Erklärung geben lassen. Dass Details nicht stimmen, muss nichts bedeuten: „Nicht alles, was wir schreiben, ist wahr, aber wir versuchen, wie alle seriösen Zeitungen, der Wahrheit möglichst nah zu kommen“ , sagt Meier. Ach ja.

Pittelkau ist für die Bild ein wichtiger Mann. Er kennt die Schlagerszene — und es gibt nicht viele Journalisten, die bereit sind, Nächte mit Jürgen Drews zu verbringen. Am Samstag bekommt er von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schlager einen Preis dafür, dass er versuche, „immer das Positive am deutschen Schlager herauszustellen“ . Manche sagen ihm Allmachtsphantasien nach. Nach einem geplatzten Termin bei Raab in Stockholm soll er gesagt haben: „Die Jagd auf Raab ist eröffnet; ich werde ihn in Grund und Boden schreiben.“ Pittelkau, sagt das Raab-Lager, leide darunter, dass nicht Corinna May zum Grand Prix durfte. Raab, sagt das Bild-Lager, leide darunter, dass er nicht so groß ins Blatt kam wie Guildo Horn. Und er gehöre offenbar zu einer neuen Generation von Stars, die selbst bestimmen wollen, wer wie über sie berichte. Jedenfalls sei er nicht halb so gut im Einstecken wie im Austeilen.

„Raab macht sich gegenüber Journalisten oft rar. Wir wollen nicht zulassen, dass die dann einfach Sachen erfinden“, sagt seine Managerin Gaby Allendorf. „Auf der Höhe, auf der sich Stefan jetzt befindet, müssen wir aufpassen, dass Leute ihn nicht für ihre Zwecke einspannen.“ Auf die Spitze treiben will sie den Streit nicht: Wenn Bild nicht nachlege, werde man die Sache auf sich beruhen lassen. Raab besteht nicht einmal mehr auf der Gegendarstellung. Im Herbst will er eine eigene Programmzeitschrift TV Total herausbringen — im Springer-Verlag. Und das ist halt der, in dem Bild erscheint.

Big Brother

Süddeutsche Zeitung

Wie es Euch gefällt. „Big Brother“ oder die Frage: Experiment außer Kontrolle?

Früher galten die Deutschen als Talkshow-untaugliches Volk. Anders als die Amerikaner wollten sie nur im Publikum sitzen. Mühsam mussten ihnen Anheizer vor der Sendung einschärfen, dass sie doch bitte ihren Teil sagen sollten. Aufstehen, urteilen. Gern auch unfundiert.

Die Deutschen haben gelernt. Heute reichen ihnen drei widersprüchliche Sätze über eine dubiose Familienfehde, um öffentlich zu urteilen. Bei Birte, Bärbel, Vera sagen täglich Zuschauer anderen Menschen, die sie nie gesehen haben, ins Gesicht, was sie von ihnen halten. Dass sie ihre Männer verlassen sollen. Dass sie zu ihren Männern zurückkehren sollen. Dass sie schlechte Mütter sind. Huren. Dumm.

Als Stefan Raab sich über Regine Zindler und ihren Maschendrahtzaun lustig machte, war sie genau so zum Abschuss frei. Jeder durfte urteilen, vor allem über den Geisteszustand der Frau. Man durfte sie vor ihrem Haus anpöbeln und Stücke aus ihrem Zaun schneiden. Das Fernsehen bescherte uns etwas Neues: Menschen, die es wirklich gibt und die wir scheinbar besser kennen als Frau Meier nebenan. Sie sind real, aber auch Kunstfiguren, weshalb wir auf sie nicht so viel Rücksicht nehmen müssen wie auf Frau Meier, sondern nur so wenig wie zum Beispiel auf Donald Duck. Es gibt keine Distanz mehr, keinen Ab- und keinen Anstand.

Und jetzt Big Brother: Noch mehr Nähe, Urteil, Anmaßung. Vor dem Container standen am Sonntag 5000 Fans, um ihren Stars zuzujubeln. Fans? Stars? Es sind ihre Stars, in jeder Hinsicht. Ohne sie, die Fans, wären sie nichts. Daraus folgt: Sie können mit ihnen machen, was sie wollen. „Manuela, du Schlampe“, stand auf einem Banner. Was für ein Spaß. 4,7 Millionen junge Leute haben Zlatkos Ausscheiden am Bildschirm verfolgt. Bei den 14- bis 29-Jährigen sah nur jeder zweite etwas anderes.

Gefährlich ist nicht, einigen Leuten beim Duschen und Pickelausdrücken zuzuschauen. Gefährlich ist, dass diese Leute zu Spielfiguren werden. Sie haben keine Kontrolle über das, was die Öffentlichkeit aus ihnen macht. Das ist gefährlich für die Kandidaten: Zlatko war vor sechs Wochen ein unbekannter arbeitsloser Schwabe. Als er am Sonntag den Container verließ, war er ein Popstar wie Frau Zindler: Bekannt bei Millionen, gleichzeitig Held und Witzfigur. Vielleicht kann er mit diesem plötzlichen Ruhm umgehen, vielleicht nicht. Es ist auch gefährlich für die Zuschauer, die anhand der Shows lernen können, dass es nur auf eins ankommt: Spaß haben. Nicht auf die, nun ja, Menschenwürde der Betroffenen. „Leb, so wie du dich fühlst“, fordert eine Zeile der Big-Brother-Titelmusik. Das ist nicht der Untergang des Abendlandes. Aber doch gespenstisch, die enthemmten Massen draußen zu sehen und die Kandidaten drinnen, die vergeblich versuchen, sich einen Reim auf das zu machen, was sie da hören. Und zu ahnen, dass die TV-Macher sich im Zweifel für Quote und gegen Deeskalation entscheiden würden. Ein Reiz von Big Brother ist es, dass das Experiment jederzeit außer Kontrolle geraten kann.

Reporterin Sophie Rosentreter war die Erste, die Zlatko mit seinem ironischen Spitznamen The Brain anredete. Moderator Percy Hoven interviewte ihn mit unglaublicher Überheblichkeit. Vielleicht erklärt das, warum sich Menschen mit solcher Begeisterung auf diese neuen Anti-Helden stürzen: Weil man sich über sie unabhängig von eigenen Schwächen lustig machen darf – wenn selbst das dümmste Moderatorenpaar im deutschen Fernsehen sich traut, so auf sie herabzuschauen.