Autor: Stefan Niggemeier

Die Welt versteht uns

Süddeutsche Zeitung

Der Grand Prix – eine kleine, kollektive Wochenendpsychose.

Und so wird also im Mai ein finnischer Fernsehkommentator vor der Herausforderung stehen, seinen Zuschauern erklären zu müssen, was Wadde hadde dudde da heißt, wo da Sinn und Witz drin liegen, und was die Deutschen der Welt damit sagen wollen. Das ist nicht das Schlechteste. Hätte der Schlagersänger Marcel gewonnen, hätten die ausländischen Fernsehkommentatoren ihren Zuschauern übersetzen dürfen, was der nette junge Mann, der in drei Minuten nur zufällig mal den richtigen Ton traf, in Adios mit der Zeile meinte: „Nie war so tief jemand bei mir.“

Stefan Raab also fährt nach Stockholm: der Mann, der das Nicht-Ernstnehmen des Grand Prix ernst nimmt wie kein anderer. Mit einem albernen Lied, einer albernen Riesenbrille, albernen Riesenplateausohlen und einer albernen goldenen Uniform. Von über 1,5 Millionen Anrufern stimmten am Freitag bei der deutschen Vorausscheidung 57 Prozent für ihn. Das ist ein so riesiger Vorsprung, dass gleich die Diskussion wieder begonnen hat, ob man mit Handy, dessen Besitz besonders Raab-Fans zugesprochen wird, leichter durchkam als übers Festnetz. Aber er ist so riesig, dass solche Diskussionen unsinnig sind. Interessanter ist da schon die Frage, ob Wadde hadde dudde da nicht nach Say You’ll Be There von den Spice Girls klingt. Natürlich klingt es frappierend nach den Spice Girls. Man würde sich nicht wundern, wenn Raab eine Plagiatsaufregung einfach mal mit eingeplant hat.

Freitag abend also. Natürlich war es schrecklich. Da stehen diese traurigen hoffnungsvollen Figuren, üben sich in großen Posen und versuchen mit dünnen Stofffetzen von noch dünneren Stimmen abzulenken, vom grausamen Reglement zum Live-Gesang gezwungen. In einem Heim-Video treffen wir Marcel in seinem Wohnzimmer, wo er mit Vater und Mutter Reise nach Jerusalem um ein braunes Ledersofa spielt, (das wir bestimmt bald in TV total bei Raab wiedersehen). Die Lieder decken zwar mehr Musikstile ab als je zuvor, aber in jedem ihrer Heimatsegmente sind sie, wenn es sehr hoch kommt, Mittelmaß. Das meiste ist musikalisch so originell wie eine deutsche Version eines Cher-Hits von Mary Roos. Und am Ende stehen alle zusammen auf der Bühne, singen Thank you for the music von Abba und bei soviel Wir-sind-Konkurrenten-aber-haben-uns-trotzdem-lieb möchte man die Titelzeile schon aus Trotz für Ironie halten. Furchtbar.

Einerseits. Andererseits, mal angenommen, es müsse so etwas geben wie einen europäischen Schlagerwettbewerb. Wie sollte eine Vorentscheidung dann aussehen? Doch so: Mit einem Star, der die Menschen polarisiert und vor den Bildschirm treibt. Mit Verrückten, die ihr Plüsch-Keyboard zertrümmern und sich auf der Bühne wälzen, von einer durch genmanipuliertes Fleisch hervorgerufenen Verwandlung in ein Schwein singend (Knorkator, Platz vier!). Mit anderen Verrückten, die glauben, dieser Wettbewerb sei nachgerade dazu verpflichtet, junge Frauen gewinnen zu lassen, die in schwülstigen Arrangements von etwas Frieden oder ganz viel Gott singen (Corinna May, traf den Ton leider auch nur selten, aber das bombastisch, Platz zwei).

Mit vielen Interpreten, von denen man weiß, dass man nie mehr von ihnen hören wird, und wenn doch, dann nur, bis man den Knopf zum Umschalten gefunden hat (ein Gruseleffekt, der traditionell einer der Hauptgründe war, sich diese Vorentscheidung überhaupt anzusehen). Mit ein, zwei Newcomerbands von den Tausenden, die über die Dörfer ziehen und sehr ordentliche Musik machen, für die der Grand Prix die Chance ist, groß rauszukommen – wie in diesem Jahr für die Hamburger Band Kind of Blue, die den dritten Platz für ihr wirklich sehr schönes Lied Bitter Blue feierte, als wäre es ein erster. Mit einer perfekten Inszenierung. Und mit einem Medienhype, für den der ganze Zirkus überhaupt da ist. So gesehen: eine tolle Veranstaltung.

Das mit dem Keyboard-Zertrümmern fand die Bild am Sonntag in offenbar sehr verzweifelter Suche nach einem Aufmacher an einem stinklangweiligen Wochenende ganz, ganz schlimm. Und auch, dass da einer auf der Bühne geraucht hat. Grand-Prix-Senior Ralph Siegel hat – schon wieder – angekündigt, nie mehr teilnehmen zu wollen. „Ich fürchte, das Ausland lacht sich über uns kaputt“, kommentiert einer, der es wirklich wissen muss: Tony Marshall. Die deutsche Frage, was denn die Welt wieder von uns denken soll.

Ach, Tony: Die Welt, die versteht das schon! Am Freitag erzählte der britische Independent seinen Lesern die ganze Geschichte vom Maschendrahtzaun und bezeichnete Stefan Raab als den Mann, der den Deutschen ihren Sinn für Humor wiedergegeben habe. Womöglich wird Raab im Ausland gar nicht unter-, sondern sogar überschätzt. Aber wenn er doch beim Finale ganz hinten landen sollte, wie Siegel – der dort hinten schon war – prognostiziert, dann wäre das auch nett: Mal gucken, was er dann wieder daraus macht.

Gaga? Nur äußerlich!

Süddeutsche Zeitung

Hinter ihrer Prolo- und Fäkalfassade ist die Grand Prix Vorauswahl betrüblich bürgerlich.

Fußball ist unser Leben, und der Grand Prix auch. Nicht für dieselben Leute, klar, auch nicht für ganz so viele, aber doch. Der europäische Schlagerwettbewerb ist genau so unendlich wichtig wie eine Europameisterschaft. Und natürlich genau so unendlich egal. Aber erheben sich vor dem Endspiel oder nach einem 0:3 gegen Kroatien mahnende Stimmen, die sagen: „Regt Euch ab, ist doch nur Fußball?“ Also.

Der Grand Prix ist eine ernste Sache. Er ist wichtig, für ein paar Tage wenigstens, viel länger hält die Aufregung beim Fußball auch nicht an. Danach bleiben von der Schande nur noch geseufzte Kurzverweise, wie „Cordoba 1978!“ (Fußballpleite gegen die Ösis) oder „Berti 1998!“ (Fußballpleite bei den Franzosen) oder „Dublin 1995!“ (Grand Prix-Pleite bei den Iren). So ist das. Es mag ganz großartig sein, wenn Stefan Raab „für Deutschland“ singt. Oder ganz furchtbar. Nur egal ist es nicht, was heute abend so beim deutschen Countdown (20.15 Uhr, ARD) passiert. „Die Politik stellt sich selbst eine Bankrott-Erklärung aus, und wir schicken dann zu allem Überfluss womöglich noch Herrn Raab nach Stockholm“, schreibt einer vorab im Internet ins Gästebuch des Grand-Prix-Fanclubs, sowie den bemerkenswerten Satz: „Als ob die Deutschen in ihrer Geschichte nicht schon genug Schlimmes erlebt hätten . . .“

So schlimm wie dieses Jahr war’s noch nie. Aber das war schon immer so. 1995 wegen Stone & Stone, die später exakt einen Punkt bekamen. 1998 wegen Guildo Horn. 1999 wegen nicht mal Guildo Horn. Seit der MDR 1994 drei Babyhupfdohlen namens Mekado nominierte, die „Wir geben ’ne Party“ trällerten, ist es für Deutschland und den Grand Prix überhaupt schwer geworden, so schlimm zu sein wie noch nie. Bild aber hat die diesjährige Vorentscheidung schon zum „Gaga-Grand-Prix“ erklärt. Also ist es, wenn schon nicht schlechter, wenigstens anders als je zuvor. Stimmt, sagt Jürgen Meier-Beer, Leiter der TV-Unterhaltung beim NDR und Grand-Prix-Beauftragter der ARD. Anders, weil die Titel bis vor einer Woche nicht gespielt werden durften. Deshalb habe niemand über die Musik schreiben können, sondern alle nur über das Image der Beteiligten.

Auftritt Knorkator, fäkalverliebtes Trio mit tätowierter Haut. Auftritt Lotto King Karl, angeblicher Hamburger Aufsteiger Vom-Gabelstaplermonteur-zum-Millionär mit eigentlich unerklärlicher Mediendauerpräsenz. Auftritt Stefan Raab, Profi-Provokateur und Komponist von „Guildo hat Euch lieb“. Auftritt Fancy, aus den 80er Jahren gefallener „King of Disco-Fox“. Auftritt E-Rotic, großbusige Blondinentruppe („Greatest Tits“). Gaga? Keine Frage. Äußerlich.

Dann singen sie, und man wünschte sich, sie wären wirklich Gaga. Aber Fancy hat jemand ein Stück geschrieben, das sich anhört, als sänge die Fußballnationalmannschaft „Go West“. Lotto King Karl erinnert daran, dass man für Geld nicht alles kaufen kann, besonders keine Stimme. Stefan Raab beherrscht als viel beschäftigter Medienprofi das Gesetz der Aufwandsminimierung und hat sich mit einem durchschnittlichen Ritt auf der aktuellen Earth-Wind-and-Fire-leben-doch-noch-Welle beschränkt. Und bei Knorkators „Ick werd‘ zun Schwein“ wollte einer ein bisschen auf Ramstein machen, nun klingt das Ganze noch dümmer als das Original. Dass Bernd Meinunger und Ralph Siegel („Ein bisschen Frieden“) ihnen Talent und Können bescheinigen, muss dazu kein Widerspruch sein. Die Lieder sind furchtbar peinlich oder furchtbar eingängig, meist aber furchtbar belanglos. Und das ist doch eigentlich das, was man von einer deutschen Vorentscheidung zum Grand Prix erwartet – neben Meldungen wie der in der Schlager-Prawda Bild, dass Siegel den Proben in Bremen zeitweise wegen einer Diarrhö fern bleiben musste.

Allerdings ist nur ein echter deutscher Schlager dabei: Marcel, der tapfer versucht, bei seinem Refrain „A-a-a-adios, u-u-u-mon-amour“ ernst zu bleiben. Meier-Beer ist stolz: „Endlich bilden wir das Spektrum der Musik einigermaßen ab.“ Mit Ausnahme des Hip Hop. Eingereicht werden die Titel von den Plattenfirmen. Die meisten Beiträge sprechen dafür, dass dort ein Praktikant mal eben das Demotape seines besten Freundes weiter geleitet hat. Das ist aber gar nicht so. „Das ist in jeder Firma Chefsache“, sagt Meier-Beer: „Wenn ein Titel floppt, sind die blamiert.“ Und dass die Künstler, äh, Teilnehmer in diesem Jahr versuchen, sich mit zur Schau gestellter Gleichgültigkeit zu überbieten, sollte man ihnen nicht abnehmen: „Die haben alle Riesenschiss, nicht zu gewinnen.“ Was wiederum unnötig wäre, weil doch vor zwei Jahren Rosenstolz und Die drei Tenöre nur zweite und dritte wurden, aber hinterher viel mehr Platten verkauften als der große Sieger Guildo Horn.

Knorkator haben übrigens gestreut, sie würden bei ihrem Auftritt in Bremen auf der Bühne onanieren – aber so ein Gerücht reicht inzwischen auch nicht mehr für eine Meldung auf der ersten Seite im Boulevard. Wer heute abend einschaltet, um einen Skandal zu sehen, diesen oder einen anderen, wird enttäuscht.

Bastian Pastewka

Süddeutsche Zeitung

Der Große mit dem warmen Bruder.
Deutschland lacht – Bastian Pastewka, ein stiller Star in einem lauten Gewerbe. Heute startet „Brisko’s Jahrhundert-Show“.

Wenn einer, so lange er denken kann, das Fernsehen als besten Freund hatte, weil es „immer das Beste war, was es gab“, er mittwochs nicht schlafen konnte aus Sorge, donnerstags Sindbad der Seefahrer zu verpassen, er heimlich bei der Oma Aktenzeichen XY guckte und sich an die ARD-Kindersendung Spaß am Montag erinnert, wenn einer vier Videorekorder hat, um das Nachtprogramm zu konservieren, dann ist es für einen erst 27-Jährigen ein großer Tag – wenn Wetten dass . . .? anruft!

Zum Glück passierte das bei Bastian Pastewka erst kurz vor der Sendung, so dass er nicht viel Zeit hatte, Freunde und Kollegen vor Aufregung in den Wahnsinn zu treiben. Aber da für Leute wie ihn eine Unterhaltungssendung nicht nur eine wichtige, sondern auch eine ernste Sache ist, hüpfte Pastewka, längst mehr als ein Nachwuchs-Komiker aus der Sat 1-Wochenshow, natürlich nicht einfach aufgeregt neben Gottschalk aufs Sofa. Es sollte unterhaltsam und überraschend und passend sein. Eine eigene Wette vom Wettpaten, das hatte es noch nie gegeben. Gemeinsam mit der Redaktion überlegte er, wie man das so machen könnte, dass es nicht aussehen würde wie ein Fake.

Er wettet also, dass er 40 Titel der Kinderkrimis Die drei ??? auswendig kann – und gewinnt. Nicht nur die Wette. Gottschalk fragt eingangs: „Hat der junge Mann schon Wetten-dass-Größe?“ Später titelt die B.Z: „Wenn Gottschalk ehrlich ist, dann hat ihm dieser junge Mann die Show gestohlen“. Das findet Pastewka nicht korrekt, weil es eine unzulässige Zuspitzung sei, um Aufmerksamkeit auf einen Artikel zu lenken. Ein Gefühl für Gerechtigkeit hat er auch noch.

Die Leute von Wetten dass . . .? wollten, dass er den Brisko Schneider gibt, seine populärste Figur. Das hat er abgelehnt. Weil ein Auftritt als Kunstfigur „rätselhaft“ sei. Weil Brisko als Zugabe lustiger sei. Und weil Brisko neben realen Menschen verpuffe. Pastewka ist einer, der ganz viel reflektiert. Die Fernsehbranche handelt ihn als eines der größten Talente der letzten Jahre. Oberflächlich besteht dieses Talent aus einem unerschöpflichen Repertoire unglaublich dämlicher Gesichtsausdrücke. Weniger oberflächlich aus der Fähigkeit, verschiedensten Figuren in der Wochenshow in drei Minuten gleichzeitig Tiefe, Glaubwürdigkeit und Witz zu geben. Es ist keine Parodie; es ist, wie Pastewka sagt, „eher der Mensch, den man erkennt, ohne ihn zu kennen“. Ein Stereotyp, dem er das Gefühl nimmt, es schon zu oft gesehen zu haben. Wie Ottmar Zittlau, ein unangenehmer, aber harmloser Typ im Trainingsanzug, scheinbar einem Daily Talk entsprungen, mit sonnigem Gemüt. Oder Brisko Schneider. Brisko ist nicht seine beste Rolle. Aber was wäre Pastewka ohne ihn? Noch nicht der neben Anke Engelke beliebteste TV-Komiker.

Eigentlich gibt es Brisko nur wegen Ingolf Lücks großen Füßen. Der wollte eine Lilo-Wanders-Parodie machen, was daran scheiterte, dass es keine Stöckelschuhe in 47 gibt. Das ist Lücks Erklärung, die Pastewka diplomatisch, wie es seine Art ist, die „inoffizielle Version“ nennt. Tatsächlich sei bei den Wanders-Proben deutlich geworden, dass die Rolle anders besetzt werden müsse. Und weil die Wochenshow gerade auf eine Stunde verlängert worden war, habe man entschieden, stattdessen eine ganze Erotik-Sendung-Parodie namens Sex-TV einzuführen. Moderiert wird sie von einem Mann mit festgegelter Playmobil-Männchen-Frisur in zu enger Kleidung, die seine Arme wie Strohhalme erscheinen lassen, die an den Gelenken nur im 90-Grad-Winkel abknicken können und deshalb ausladend herumwirbeln. Brisko kann eine einzige Silbe über drei Oktaven ziehen. Eine siedende Mischung aus Verklemmtheit und Erotik.

Und ein Phänomen. Er sagt „Hallo, liebe Liebenden“, und das Volk tobt. Brisko ist eine Variante des uralten Tunten-Klischees aus Warmbadetag- und Mikrofon-Ständer-Witzen, erweitert um innovative Elemente wie große Tollpatschigkeit und röchelndes „Hähähä“-Lachen. Das führt erstaunlicherweise dazu, dass die Massen nicht nur über ihn lachen, sondern sogar mit ihm. Pastewka sagt nüchtern: „Briskos kindliche Naivität und seine Lust am Ausprobieren, mit der er scheitert, sind ein System, das viele Figuren sympathisch macht.“

Jetzt bekommt er auf Sat 1 eine Serie. Brisko’s Jahrhundert-Show, ab heute Abend sechsmal. Pastewka dementiert schon im Voraus den Verdacht, der Sender könnte ihn zum Einsatz seiner Kultfigur zwangsverpflichtet haben: „Mich hat niemand überredet.“ Und nein, er habe Brisko nicht über. Und grundsätzlich: „Es zieht mich keiner in eine Richtung, in die ich nicht will.“ Sat 1 fragte: Was machen wir mit Pastewka? Antwort: die Parodie eines Jahrhundertrückblicks. Pastewka sagte: Das ist was für Brisko. Weil noch so schöne Elemente nicht funktionieren ohne einen dramaturgischen Rahmen. Um den zu spannen, sei Brisko die optimale Figur. Soweit der Theoretiker. In der Praxis ist es eine große Last für eine Figur, die Pastewka zwar atemberaubend perfekt verkörpert, deren Tiefe aber bislang aus kaum mehr als einem Schwulenwitz bestand und nur für Fünf-Minuten-Sketche reichen musste.

Singend treibt Pastewka diesen Brisko in der Jahrhundert-Show dennoch zu neuen Höhen, mit einer Version von Queens „Bohemian Rhapsody“ etwa. In Filmen verwandelt er sich in Christo, Peter Alexander und Freud, parodiert Dalli Dalli und den Internationalen Frühschoppen. Opulent, mit Liebe fürs Detail. Nur die Drehbücher, die sind mau. Ein hungriger Hitler, der Deutschländerwürstchen braucht? Puh!

Die Serie ist Pastewkas Chance zu zeigen, was er kann. Auf den Titel der Hörzu hat sie ihn schon gebracht. Der ersten Zeitschrift, die er in seinem Leben gelesen hat! Er ist da, wo er immer hin wollte: „Ich sage nicht: Was für ein Zufall, dass es mich getroffen hat. Ich habe dieses Ziel viel zu kompromisslos verfolgt!“ Seine ersten Komik-Versuche unternahm er mit Bonner Freunden. Sie spielten vor 20 Leuten; der Sprit war teurer als die Gage. Er studierte Geschichte und Pädagogik, mit der vagen Aussicht, Museumspädagoge zu werden – aber damit lege man sich ja mehr fest als mit drei Jahren Brisko. Er war Komiker in der WDR-Jugendsendung Lollo Rosso, was seine Bewerbung für die Wochenshow wurde. Heute hat er im Ensemble die bequemste Position: Weder von Boulevard-Hysterie überrollt wie Anke Engelke. Noch ungnädig übersehen wie Ingolf Lück und Markus Maria Profitlich.

Einer wie Pastewka ist in solchen Zeiten zufrieden, aber nicht euphorisch. Auch nicht, wenn er erfährt, dass er eine eigene Show bekommt: „Ich bin keiner, der sofort ausrastet. Ich bin ein ewiger Skeptiker. Bevor die Kiste nicht durch ist, glaub ich nicht, dass sie läuft.“ Kollegen erzählen, dass sich Pastewka manchmal lange, lange in sein Büro zurückzieht, kaum ansprechbar. Er ist 1,90 Meter groß, aber er wirkt nicht so. Nicht dass er sich duckt. Aber selbst als Mittelpunkt steht er da wie eine Nebenperson. Sympathisch, aber distanziert, vorsichtig. Im Gespräch kein kritischer Halbsatz über Sat 1, seinen Arbeitgeber Brainpool oder die Last mit Brisko.

Parallel zur Wochenshow hat Pastewka die neue Reihe entwickelt, gedreht und promotet. Das schlaucht, das ist nicht das entspannte Leben eines Promis, das man sich so vorstellt. „Stimmt“, sagt Pastewka: „Aber ich bin jemand, der es schön findet, jeden Tag mit geregelten Arbeitszeiten irgendwo hin fahren zu müssen.“ Die große Samstagabend-Show, für die er eingeflogen wird, sei nicht sein Traum: „Ich wünsche mir lieber ein schönes kleines Projekt, das lange währt, an dem man basteln kann. Ich bin Ausbesserer, Sachbearbeiter.“

Das mit dem „Promi“ will ihm nicht in den Kopf. Rückblickend findet er keinen Moment, an dem ihm klar wurde, dass mit Wochenshow plötzlich die Post abging: „Es gab nie einen Punkt, wo man sagen konnte: Jetzt bist du berühmt. Das möchte ich mir auch so lange wie möglich erhalten. Weil ich in erster Linie für eine Sendung arbeiten und nicht ein öffentliches Interesse wecken oder befriedigen will.“ Sagt er, und fügt statt des üblichen „ein Stück weit“, das seine Sätze sonst immer relativiert, ein „ganz ehrlich“ hinzu.

Gag-Academy

Stern

Lachen nach Lehrplan. Seit aus dem Comedy-Boom eine Industrie geworden ist, hungert die Branche ständig nach neuen Witzen. Mit Seminaren werden jetzt erstmals Nachwuchstalente auf den ernsten Beruf des Gag-Schreibers vorbereitet.

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Fischhaltefolie. Fischlein deck dich. Woran erkennt man das Geschlecht eines Fisches? An Brust- oder Schwanzflosse. Seit 45 Minuten sammelt eine Gruppe junger Humor-Azubis Wortspiele mit Fisch. Inzwischen haben sie mehrere Blätter gefüllt, aber eine witzige Angel-Szene für Bastian Pastewka ist nicht entstanden. Sie lernen: 97 Kalauer machen noch keinen guten Sketch. Der steht heute auf dem Lehrplan. In Theorie und Praxis. Mit Referat und Gesprächsrunde. 13 Comedy-Schüler und zwei Schülerinnen sitzen in einem humorlos eingerichteten Seminarraum in Köln. Vorne die Lehrer: Regisseure und Autoren der „Harald Schmidt Show“, „Sieben Tage, sieben Köpfe“, „TVTotal“ — und Pastewka selbst, der Brisko Schneider aus der „Wochenshow“.

Jeder von ihnen sagt, die Möglichkeit, an einem Expertengespräch namens „Der gute Sketch“ teilzunehmen, sei ein Traum. Nicht nur, weil sich das selbst nach einem Stück Comedy anhört. Sondern auch, ganz ernsthaft, weil sie so etwas selbst gern gehabt hätten, als sie ihre ersten Schritte in Richtung Fernseh-Humor machten.

Zum Beispiel 1992, als Martin Keß anfing, für die erste Late Night Show mit Thomas Gottschalk zu schreiben. Damals schaute sich Keß Stunde um Stunde einschlägige US-Sendungen an. Schrieb jeden Witz auf, analysierte ihn, kategorisierte ihn. Aber das wirkliche Wissen, was zündet und was im Rohr krepiert, kam erst mit den Jahren. Heute ist Keß 34, Chefautor der TV-Produktionsfirma „Brainpool“, und aus dem Comedy-Metier ist längst eine Industrie geworden. Immer hungrig nach neuen Lachern.

Da muß Nachwuchs und Ausbildung her. Seit wenigen Wochen gibt es drei Versuche, aus Humor ein Lehrfach zu machen. Die Kölner Comedy-Schule etwa, mit RTL im Boot, kümmert sich um Talente vor der Kamera; zwei anderen Comedy-Unternehmen geht es um Autoren: „Frühstyxradio“ schult in Hannover für den Hörfunk; „Brainpool“ lud potentielle TV-Mitarbeiter zur „Gag-Academy“ nach Köln.

Sie sind in der Regel zwischen 20 und 30 Jahre alt. Etwas Erfahrung haben die meisten, echten Erfolg die wenigsten. Vier Academy-Teilnehmer aus Recklinghausen haben es immerhin schon geschafft, für die Chaos-Sendung „Viva Family“ zu schreiben — aber die ist eingestellt worden. Roland Slawik ist es gelungen, dem ZDF eine Sitcom zu verkaufen. Die vom Sender überarbeitete Fassung hat er gerade zurückbekommen: „Jetzt versuche ich, die Witze wieder reinzuschreiben.“ Tanja Sawitzki ist erst 18, hat aber schon mit 13 bei Stefan Raab als „Zuschauerin der Woche“ den Kopf hingehalten und seitdem zwei humorige Bücher veröffentlicht.

Witzigsein lohnt sich. Ralf Husmann zum Beispiel, einer der Referenten bei der Gag-Academy, 34 Jahre alt, früher Chefautor bei Harald Schmidt, heute für Anke Engelke, hat sich schon vor Jahren mit eigenem Kabarett seinen Lebensunterhalt verdient. „Mit freiem Theater“, sagt er, „wäre das viel schwieriger gewesen.“ Vor allem der Verkauf einzelner Witze bringt Geld: Bei einer guten Handvoll TV-Shows gibt es etwa 200 Mark pro Pointe. Wer würde dagegen einen einzelnen Bühnendialog, einen genialen Reim kaufen?

Wo Scherze industriell produziert werden, zählt nicht Kunst, sondern vor allem Handwerk. Harald Schmidts Monologe, sagt sein Ex-Chefschreiber Husmann, beruhten letztlich nur auf der Kombination immer gleicher Standards mit aktuellen Themen. Mal treten Figuren wie Jürgen Drews in den Witzen als Sexmonster auf, mal Bill Clinton. Und wenn eine Susan Stahnke kommt, darf an ihr das ganze Repertoire von Blondinenwitzen durchgespielt werden.

Handwerk heißt auch, zu einer bestimmten Zeit Brauchbares abzuliefern. Wer auf den Kuß der Muse wartet, hat verloren. Deshalb sieht der Radio-Nachwuchskomiker Rene Steinberg gerade gar nicht amüsiert aus. Noch zwei Stunden: Dann muß er einen Hörfunksketch produziert haben. Und die Schlußpointe fehlt immer noch. Mit seiner Grundidee ist er ganz zufrieden: Ein Professor wird interviewt, der alte Tonbandaufnahmen von Goethe gefunden hat, auf denen der Meister sich als Schweinigel outet. Aber wie das Ding zum Ende bringen?

Das „Frühstyxradio“-Team um Oliver Kalkofe kennt Tricks für Notfälle: sich dreimal versprechen und im Chaos enden. Lachen, bis alle mitlachen. Eine Katze platzen lassen. Steinberg entscheidet sich am Ende dafür, Goethes Sauereien ins Absurde zu steigern. Nicht genial, aber sendbar. Die Schüler lernen: Irgendwas geht immer, wenn es gehen muß.

In den USA ist Comedy-Autor bereits ein Büro-Job wie jeder andere. Er kommt um neun und geht um fünf. In Deutschland können immerhin schon um die 100 Leute vom TV-Gagschreiben leben, schätzt Martin Keß. Und der Bedarf nach frischen Albernheiten ist groß: „Ich kenne keine Sendung, die Beiträge von neuen Autoren ablehnt, weil sie genug Material hätte“, sagt Husmann. Das ist für die jungen Comedy-Macher, die bislang allein vor sich hingewitzelt haben, durchaus eine ermutigende Erfahrung.
Die wenigsten von ihnen sind mit dem Vorsatz nach Hannover oder Köln gefahren, aus der Begeisterung für Comedy einen Beruf zu machen — nicht, weil sie davon nicht träumten, sondern weil sie es nur für einen Traum hielten. Wie Rene Steinberg: Plötzlich ärgert er sich, daß er gerade im Uni-Prüfungsstreß steckt und nicht sofort die offenen Türen einrennen kann, die er entdeckt hat.

Doch die Anforderungen sind hoch, gerade beim Hörfunk, wo man am liebsten fertige Serien-Dauerbrenner bekäme. Und bei allen Schulregeln: Humor bleibt eine Frage des Geschmacks — im Zweifelsfall hat der entscheidende Redakteur einen anderen.

Für solche Fälle gibt „TV Total“-Moderator Stefan Raab seinen Schülern die vermeintliche Antwort, warum jemand über etwas lacht oder nicht. Seine Mitarbeiter haben sie — als steten Quell von Trost und zugleich Verzweiflung — – in ihrem Büro aufgehängt. Sie lautet: ‚Witzig ist witzig.“ Das erklärt nichts und stimmt immer. Und der Nachwuchs erkennt: Alles kann man eben doch nicht lernen.

Wo falsche Schlampen mit falschen Haaren werfen

Süddeutsche Zeitung

Hans Meiser zeigt, daß frei erfundene Talkshows am erfolgreichsten sind — die Konkurrenz sieht es mit Grausen.

Wenn Hans Meiser nach einem kleinen Spaß zumute ist, steckt er sich seinen Klaus-Kopka-Button ans Revers. Klaus Kopka war früher CSU-Landtagsabgeordneter und ist heute Vorsitzender des Medienrates der Bayerischen Landesmedienanstalt. Er hat viel Zeit fernzusehen, und viele Möglichkeiten, mit seinem Urteil über das, was er sieht, in die Schlagzeilen zu kommen. Meiser ist Kopkas Lieblingsgegner, und Kopka der von Meiser. Deshalb trägt Meiser gelegentlich in seiner Talkshow den Anstecker mit Kopkas Bild und sagt ironisch, wie sehr die beiden doch das Streben nach „sauberen Talk“ eine.

Wenn Hans Meiser nach einem großen Spaß zumute ist, macht er Sendungen, von denen er weiß, daß sie Leute wie Kopka besonders ärgern werden. Er läßt seine Gäste übereinander herfallen, intimste Geheimnisse offenbaren, sich gegenseitig das Leben ruinieren — und in dem Moment, wenn der Abspann läuft und Kopka vermutlich gerade zum Hörer greift, um seine Empörung einem Journalisten anzuvertrauen, verrät er, daß alles nur ein Spaß war. Frei erfunden, von Schauspielern dargestellt. Als Aprilscherz hat er das in diesem Jahr gemacht, der verwirrenderweise schon am 31. März ausgestrahlt wurde. Und am Montag dieser Woche wieder.

Es war der Tag nach Muttertag; die Sendung hieß „Mami, mit dir hab ich noch eine Rechnung offen“. Sie bestand im Wesentlichen daraus, daß sich Familienmitglieder gegenseitig beschimpften, mit ihren Liebhabern konfrontierten, handgreiflich wurden und bekannten, mit ihren Schwiegersöhnen geschlafen zu haben, was sie anhand des Intimschmucks beweisen konnten. Nachdem die Geschichten sich ins Absurdeste gesteigert hatten, enthüllte Moderator Meiser am Schluß, daß es tatsächlich nur Geschichten waren. „Märchen“, wie in der erfolgreichen Aprilscherz-Sendung. Die habe ja, erklärte Meiser, „so manchen Medien- und Moralapostel aufgeregt“.

Und nicht nur Kopka. Auch die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), die von den Privatsendern mit der Überwachung des Jugendschutzes betraut ist, war über Meisers Idee nicht glücklich. „Wenn die Sendung am 1. April gelaufen wäre, hätten die Zuschauer sie vielleicht von vornherein mit anderen Augen angesehen“, sagt Geschäftsführer Joachim von Gottberg. „So aber haben die Leute das übliche Geschäft erwartet.“ Das sei problematisch. Meiser ist der einzige Talkmaster, der sich an anderen Tagen als dem 1. April traut, das eigene Genre und sich selbst unangekündigt zu parodieren — in seiner eigenen Show Meiser und in der Sendung Birte Karalus, die auch von seiner Firma Creatv produziert wird. Creatv-Sprecherin Jutta Oellig erklärt, man habe nach der Aprilscherz-Sendung so viele Zuschauerpost mit Talk-Märchen bekommen. Und warum zum Muttertag? Weil diese Einrichtung doch „eigentlich absurd“ sei, sagt Oellig.

Die Sorge, daß viele Zuschauer vor dem Schluß der Sendung umgeschaltet und die Auflösung verpaßt haben, scheint unbegründet: Die Muttertags-Sendung schaffte es, die Zuschauer zu fesseln. Bis zum Finale wuchs die Quote kontinuierlich, von einer auf über zweieinhalb Millionen. Das ist bei Meiser sonst nicht immer der Fall. Jugendschützer Von Gottberg zweifelt jedoch, ob ein 13jähriger wirklich in der Lage sei, sich im Nachhinein von dem Gesehenen zu distanzieren. „Wenn Menschen eine Stunde lang nach allen Regeln der Kunst vorgeführt werden und das erst in den letzten drei Minuten aufgelöst wird, stellt sich die Frage: Wird die Wirkung der ganzen Fürchterlichkeiten, des Hasses und der Verletzung der Menschenwürde dadurch relativiert? Oder sind die vorher geweckten Emotionen viel zu groß?“

Kollegen und Konkurrenten von Meiser gehen auf Distanz: „Wir würden das nie machen“, sagt Talk-Produzent Peter Schwartzkopff (Sonja, Andreas Türck, Pilawa). Die Versuche Meisers beeinträchtigten die Glaubwürdigkeit aller. „Es ist nicht in Ordnung, wenn ein echter Moderator plötzlich in einer Talkshow mit nicht echten Gästen steht.“ Wenn Meiser Märchen ansagen wolle, dann auch immer und konsequent — in einer Show wie dem Comedy-Talk TV Kaiser. Was immer Meiser geritten habe — als Provokation der Medienanstalten seien seine Aktionen in jedem Fall „unklug“.

Angesichts der anhaltenden Schmuddel-Diskussion haben Meisers Späße Sat 1-Sprecherin Kristina Faßler gerade noch gefehlt. Damit würde ausgerechnet das Kernargument der Privatsender konterkariert, daß die Talkshows „einfach Realität“ abbildeten. Die Glaubwürdigkeit ist der wunde Punkt der Shows: Einerseits leben Meiser, Sonja, Arabella und Co davon. Sat 1 kündigt seine Talkshows gar als „Information“ an. Andererseits hat der Sender in einem Verfahren, das ein Mann, der in Vera am Mittag als gewalttätiger Alkoholiker geoutet wurde, gegen den Sender angestrengt hatte, argumentiert: Die Zuschauer wüßten, daß es sich nicht um Journalismus handle, sondern die Talks Gästen nur eine Art „Tanzfläche“ böten. Also doch eher Fiktion als Realität?

In den getürkten Shows geht es noch heftiger zu als im Talkalltag von Meiser und den anderen. „Wenn das wahre Geschichten wären, würden wir das nicht zeigen“, räumt creatv-Sprecherin Oellig ein. Der Gedanke liegt nahe, daß Meiser auf die fiktive Ebene wechselt, um sich richtig austoben und neue Grenzen erproben zu können. Von Gottberg fragt, ob so der Verhaltenskodex, den sich die Privatsender gegeben haben, unterlaufen werden solle. Ein Freibrief wäre der Einsatz von Schauspielern allerdings nicht. „Allein als Ausrede für Exzesse reicht mir das nicht“, sagt Von Gottberg. „Es gibt keine Legitimation“, sagt Sat 1-Sprecherin Faßler, „mit Schauspielern Verhaltensweisen zu zeigen, die mit real existierenden Menschen nicht gezeigt werden dürften.“

Creatv versichert, weitere Fakes seien vorerst nicht geplant. Allerdings sahen am Montag über 900 000 junge Zuschauer zu, wie die „Tochter“ ihrer „Schlampe“ von „Mutter“ die Perücke vom Kopf riß. So viele erreichte Meiser in den Wochen davor mit keiner Sendung. Die beiden erfundenen Sendungen hatten die höchsten Marktanteile aller Meiser-Sendungen der letzten Zeit. Es wäre das erste Mal, daß ein Privatsender auf den Einsatz eines dramaturgischen Mittels verzichtete, das besseren Quoten bringt.

Meiser treibt ein gewagtes Spiel: Ausgerechnet in einem Genre, in dem falsche Gäste ohnehin eher Regel als Ausnahme sind, spielt er mit Erwartungen und Vertrauen des Publikums. Aber vielleicht protestieren die Konkurrenten auch deshalb so laut, weil Meiser einen Trend entdeckt haben könnte: Daß es den Zuschauern möglicherweise egal ist, ob die Leute, denen sie beim Streiten zusehen, echt sind oder nicht. Dann hätten die Produzenten sich die Auseinandersetzungen um verletzte Persönlichkeitsrechte sparen können. Und das bißchen Recherche noch dazu.

Ein glorreicher Halunke

Süddeutsche Zeitung

Der Viva-Star Stefan Raab will jetzt bei Pro Sieben die TV Kollegen hochnehmen — einige finden ihn gar nicht komisch.

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So hatte man sich das Zuhause eines grinsenden Jungkomikers, eines respektlosen Mistkerls nicht vorgestellt. Stefan Raab wohnt in Köln, und zwar in Köln-Sülz. In Sülz stehen viele graue Häuser mit wohnzimmergroßen Kneipen und Läden im Erdgeschoß. Auf einem dieser Häuser steht in orangefarbenen Buchstabenquadraten „Metzgerei“ und in Schreibschrift darunter „Raab“. Eine traurige Gardine hängt inzwischen im Schaufenster, die Metzgerei ist nicht mehr in Betrieb. Und die Tür öffnet nicht eine charmante Assistentin, sondern Raabs Mutter.

Stefan Raab, 32, TV-Moderator und Musikproduzent, ist nicht da. Das ist erst einmal ein Glücksfall. Denn so geht es mit Mutter Raab in die Wohnküche, in der Raabs Freund Guildo Horn gerne sitzt und ihre Mettbrötchen ißt. Frau Raab erzählt, daß sie manchmal eine Stunde braucht, um zur Bank an der Ecke zu kommen, weil sie alle paar Minuten jemand auf der Straße anspricht. Aber das seien sie, die Raabs, als eingesessene Kaufleute gewohnt. Den Stefan kennt hier noch jeder von damals, als er im Laden gestanden und seine Metzger-Lehre gemacht hat. Und daß sich viel verändern wird, wo er jetzt von Viva zu Pro Sieben geht, das glaubt Frau Raab nicht. Eigentlich sei das mit der Karriere immer einfach so passiert. Der Stefan sei als Kind nie groß aufgefallen, nicht mal Schülersprecher gewesen. Eigentlich ein ganz ruhiger, naja, vielleicht nicht ganz ruhiger, naja, wie Jungs halt sind.

Ja, klar, Frau Raab. „Der tut nichts“, ruft das Herrchen am Horizont, während der Hund mit sabbernden Lefzen auf sein Opfer zugalloppiert. „Der spielt nur“, brüllt der Mann, während das Tier zubeißt. So ist Stefan Raab. Er will keinem etwas Böses. Aber läßt man ihn von der Leine, stürmt er los, und zerbeißt das Lieblings-Spielzeug der anderen. Schreibt ein Lied für Guildo Horn und versaut damit Ralph Siegel seinen Schlager-Grand-Prix. Sprengt die Hitparade, weil er sich an den Moderator fesselt. Ärgert Dieter Thomas Heck, indem er bei der Verleihung der Goldenen Stimmgabel die Lippen nicht zum Playback bewegt. „Mein Mann und ich fanden es nicht witzig“, sagte Frau Heck hinterher. Und Raab steht da wie der Hund im Blumenbeet und versteht nicht, wofür man ihn prügelt. „Ist doch nur Spaß“, sagt er. „Wer den nicht versteht, ist selber schuld. Es gibt zuviele Leute, die sich und das, was sie machen, zu ernst nehmen.“ Das kann Stefan Raab nicht passieren.

Von 1993 an hat er auf dem Musiksender Viva die Sendung Vivasion moderiert. „Viva hat mir die Gelegenheit gegeben, fünf Jahre lang On-Air zu proben“, sagt Raab. Das ist kokett, aber nicht falsch. Zur öffentlichen Dauerprobe gehört, daß Raab von seiner Redaktion markierte Stellen aus der Bravo oder aus Zuschauerfaxen vorliest. Das Besondere besteht schlicht darin, daß Raab in das Manuskript exakt in dem Moment zum ersten Mal sieht, in dem er es vorliest. Dann nimmt ein Sänger oder Halb-Promi neben ihm Platz und Raab fängt an, in dessen Biographie zu blättern: „Mensch, Du hattest ja letzthin, wollen wir mal gucken, was Du da alles gemacht hast, äh, ach ja hier, wie war das denn..?“ Freunde gewinnt man damit nicht. Aber Fans. Und das alles ist doch kein Grund für die Gäste, beleidigt zu sein: „Ist doch nur Spaß.“

Spaß ist für Raab ein anderer Ausdruck für „gute Unterhaltung“. Die schafft er, meint er, indem er mal die Gala zur Verleihung der Goldenen Stimmgabel aufmischt. Und freut sich, wenn ein Mini-Skandal daraus wird. „Provokation ist ein Mittel, um für Aufmerksamkeit zu sorgen“, sagt Raab“,aber keines, mit dem man langfristig Entertainment machen kann“. In den letzten zwei Jahren habe er schon versucht, „nicht nur über Randale zum Spiel zu kommen“, wie er es am Anfang fast ausschließlich tat.

Daß man ihn ein „Arschloch“ nennt, läßt er sich gefallen. Gegen den Ausdruck „arrogant“ hingegen wehrt er sich. „Vielleicht kommt das so rüber“, sagt er und legt Wert darauf, daß er das Fußvolk hinter der Bühne auch im Streß nett behandelt. „Was ich im Fernsehen mache, ist Show. Es hat zwar mit dem privaten Raab zu tun, ist aber immer sehr überspitzt“, sagt er. Als Alf Igel peitscht er beim Grand Prix die Massen in goldener Glitzerjacke an; bei der Echo-Verleihung fährt er auf dem Dach eines Wagens vor und gibt eine Michael-Jackson-Parodie. Wenn er aber ganz privat auf die Straße geht, zieht er sich die Baseballkappe tief ins Gesicht und schaut auf den Boden. Bei Filmpremieren ist er kaum zu sehen. Und tatsächlich gibt es weder Stefan-Raab-Schlüsselanhänger noch einen Fanclub. Als zu seiner Hoch-Zeit bei Viva Mädels in Schlafsäcken vor seiner Tür übernachteten, habe er das als „totale Eingrenzung seines persönlichen Bereiches“ empfunden, sagt er pikiert.

In der ehemaligen Wurstküche der Metzgerei hat sich Raab ein großes Studio eingerichtet, in dem er seiner Hauptberufung nachgeht: Künstler zu produzieren und sich gelegentlich selbst immense Hits wie „Börti Vogts“ oder „Hier kommt die Maus“ zu schreiben. Wenn’s um seine Musik geht, soll ihm bloß keiner dumm kommen: Dann hält er schon mal Kurzreferate, warum sich hinter der scheinbaren Schlichtheit eine komplexe Struktur verbirgt, und erwähnt dezent, daß der Spitzen-Jazztrompeter Till Brönner ein guter Freund von ihm ist: „Wenn ich mich entscheiden müßte für die Musik oder das Fernsehen, würde ich mich sofort für die Musik entscheiden.“ Alt möchte er nicht werden im Fernsehen: „Vielleicht erwachsen.“

Den Sprung aus der Kinderecke des Fernsehens hätte Raab längst machen können. Dutzendweise hatte er Angebote vorliegen: TV Kaiser, Cashman, eine Prominenten-Karaoke, Samstagabendshows auf RTL und Sat 1. Er hat alles abgelehnt: „Da war viel Müll dabei.“ Und weil der Zeitpunkt nicht der richtige war: „Es bedurfte noch einer Entwicklung bei meinem Image. “ Seit er sich mit seinem Hit „Hier kommt die Maus“ auch in Kinderzimmer und Elternherzen gesungen hat, ist er wenigstens nicht mehr nur der Rabauke: „Die Maus war mir sehr dienlich.“

Es ist immer noch alles nur Spaß, was Raab im Fernsehen macht, aber heute nennt er es „Entertainment“. Sein neuer Chef Jobst Benthus, „Abteilungsleiter Show“ bei Pro Sieben, kirrt ihn zur Verkörperung „der Generation der jungen Entertainer“. Ab März hat er dort seine eigene wöchentliche Show TV Total. Bald wird er dort wohl, wie Arabella Kiesbauer, auch als Werbeträger für den Sender auftreten und beide Seiten sind glücklich: Pro Sieben läßt Raab erwachsen werden und ein breiteres Publikum ansprechen. Raab bringt zu Pro Sieben im Idealfall einige jüngere, vorzugsweise weibliche Zuschauer von Viva mit.

Zum Erwachsensein gehört, daß Raab in Zukunft die Sende-Manuskripte vorher durchlesen wird. „Major-TV“ nennt Raab Pro Sieben respektvoll im Gegensatz zum Mini-Sender Viva. TV-Total ist die Raab-Version von Kalkofes Mattscheibe auf Premiere: Die Dauerglotzer von der Firma Brainpool, die auch die Wochenshow auf Sat 1 produziert, suchen nach Pannen, Katastrophen oder Originalen wie Gustav Lommerzheim, der im Offenen Kanal Berlin einen Tanzclub für Senioren veranstaltet. Die besten Geschichten aus den täglichen Talkshows werden als Märchen nacherzählt. Zwischendurch darf Raab machen, was er am liebsten macht: Unschuldige Menschen auf der Straße oder am Telephon mit blöden Fragen nerven — drauf zutraben und freundlich zubeißen.

Einen riesigen Schritt sieht er in dem Wechsel dennoch nicht: „Es bleibt ja dabei, was ich nicht witzig finde, kommt nicht in die Sendung.“ Seine Hauptstärke wird weiterhin in dem Mut bestehen, mit einer Mini-Gitarre die Show-Ikone Rudi Carrell zu überraschen und zu singen: „Wann wirst du endlich wieder witzig? So witzig, wie du früher schon nie warst…“ Herr und Frau Heck und viele andere auch werden immer noch nicht drüber lachen können.

Vera

Süddeutsche Zeitung

Ne ne ne ne. Ne ne. Ne ne. “Vera am Mittag”: Michaela hat Harry, Andreas hat Michaela.

Harry, 39, ist arbeitslos, Alkoholiker und eine Niete im Bett – das sollte für ein erfülltes Leben reichen. Doch jetzt weiß Harry außerdem, daß seine Frau Michaela, 25, ihn betrügt. Und der Rest der Welt weiß es auch, denn rausgekommen ist alles bei Vera am Mittag auf Sat 1. Eigentlich waren Harry und Michaela nur gekommen, um über eine uralte Geschichte zu reden. Peter, 27, hatte sich zum Thema „Warum hast du mir das angetan?!“ gemeldet. Er war vor acht Jahren kurz mit Michaela zusammen; sie betrog und verließ ihn. Und heute, sagt er, ist Michaela nicht mit Harry, sondern mit einem Andreas zusammen.

Andreas, 25, ist am Telephon. Stimmt, sagt er, ich habe ein Verhältnis mit Michaela. Die sieht plötzlich nicht mehr ganz so glücklich aus. Ihr Mann Harry noch weniger. Peter lacht und sagt, daß ihm das eine Genugtuung sei, nachdem er Michaela damals in flagranti mit Harry erwischt habe. „Peter, das war, nachdem die mit dir Schluß hatte“, widerspricht Harry. Aber Peter: „Ne ne ne ne ne ne ne. Ne ne ne ne. Ne ne. Ne ne.“ Michaela erklärt, warum sie Peter damals verließ: „Ich frag mal hier im Publikum, ob eine der Frauen Lust hat, mit einem zusammen zu sein, der sich auf die Brücke stellt und umbringen will.“ – „Ja wegen dir, blöde Kuh!“ schreit Peter zurück. Beifall. Vera, bekümmert: „Ist da soviel Haß in dir, Peter?“

Dann will sie wissen, was Michaela eigentlich bei Harry vermißt, und zwar „ganz ehrlich, denn wir haben uns drauf geeinigt: Wir sind da ganz ehrlich!“ Also gut: Weil er Alkoholiker ist und nicht weiß, wie man eine Frau richtig behandelt. „Ist ein Problem in der Sexualität da?“ fragt Vera. „Ein bißchen ja. Ich bin nur noch wegen der Kinder mit meinem Mann zusammen.“ Jetzt wird es etwas kompliziert. Andreas sagt, daß Harry Michaela mal mit dem Messer ins Bein gestochen habe, was man aber, wie Vera feststellt, hier nicht beweisen kann. Andreas will Michaela. Die aber stört, daß er arbeitslos ist. Sie sei fassungslos, daß er „das hier in aller Öffentlichkeit auf den Tisch kehrt“.

Vera versichert, daß es doch gut sei, daß jetzt wenigstens alles raus sei, oder, Harry? Klar! „Der glücklichste Mensch“ sei er, sagt er, „wunderbar, daß der dahin geht und meine Familie kaputtmachen will.“ Zum Publikum: „Immer man drauf! Jetzt habt ihr alle die Chance dafür.“ Immerhin ist er – außer Vera – der einzige, der sich nicht umbringen will, während Andreas, Michaela und Peter abwechselnd damit gedroht haben, sich „hinter den Zug zu werfen“.

Keine Sorge, sagt Vera, wir haben eine Psychologin da. Eine ordentliche Talkshow läßt ihre Gäste nicht allein mit den Problemen, in die sie sie stürzt. Noch ein Rat von Vera an Anreas: Gib Michaela auf! „Aber . . .“ – „Nein, Andreas, jetzt reden wir nicht mehr darüber. Ganz, ganz lieben Dank, daß du Zeit hattest, ans Telephon zu gehen, und von hier aus viele Grüße. Tschüß!“

Hete Petete

Süddeutsche Zeitung

Nun ist er die Titelstory. Wenn sich ein Prominenter gegen den Satz wehrt, er sei schwul.

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Wie geschäftsschädigend ist es für einen Nachrichtensprecher, wenn er in der Öffentlichkeit als homosexuell gilt? Wie viele Schlagerfestivals wird er weniger moderieren dürfen? Auf wieviele Einladungen zu Firmenfesten und PR-Terminen wird er verzichten müssen? Konkrete Antworten konnte auch der Hamburger Nachrichtensprecher nicht geben, der in einem Buch über 500 berühmte Lesben, Schwule und Bisexuelle erwähnt wurde. Aber er verklagte den Berliner Quer-Verlag auf Schadensersatz. Diesen Anspruch wird er vorm Hamburger Landgericht wohl nicht durchsetzen können – mehr als ein Jahr nach der Veröffentlichung hätte man davon „etwas gemerkt haben“ müssen, der Betroffene aber sei anscheinend „gut im Geschäft“, so der Richter.

Für den Verlag bedeutet der Prozeß dennoch eine Bedrohung seiner Existenz. Der TV-Sprecher fordert nämlich 50 000 Mark Schmerzensgeld für die Verletzung seiner Intimsphäre. Der Anwalt des Verlags, Helmuth Jipp, rechnet damit, daß das Gericht ihm etwa die Hälfte zusprechen wird. Das könne ihr kleiner Verlag unmöglich aufbringen, sagte Geschäftsführerin Ilona Bubeck. Es bedeute den Konkurs. Deshalb kam auch ein Vergleich über 5000 Mark Schmerzensgeld nicht zustande — mitsamt den Gerichtskosten wären 14 000 Mark zusammengekommen. Der Berliner Förster-Verlag, der die Behauptung übernommen hatte, einigte sich mit dem Sprecher, ihm 15 000 Mark zu zahlen. Außerdem werden die — zumeist schwulen — Leser der Förster-Zeitschrift Adam in einer kommenden Ausgabe mit dem Hinweis überrascht, der Sprecher sei nicht wie dargestellt schwul, sondern, im Gegenteil: nicht schwul. Ob das stimmt oder nicht, spielte im Prozeß gegen den Quer-Verlag allerdings keine Rolle. Um eine schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechts handele es sich in jedem Fall, sagte der Vorsitzende Richter. Daß die Behauptung „offenbar falsch“ sei, mache es nur schlimmer. Die Beklagten konnten nur Indizien vortragen, die vom Kläger als „Geschwätz von Kollegen“ abgetan wurden.

Daß die Nennung des Mannes eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts darstellt, räumte Verlagsanwalt Jipp ein. In der Geldforderung sieht er aber ein Beispiel für die zunehmende Kommerzialisierung dieses Rechts. In einer Zeit, in der sich schwule und lesbische Paare in Hamburg registrieren lassen können und die künftige Regierung Anti-Diskriminierungs-Gesetze plane, könne von einem entstandenen seelischen Schaden nicht die Rede sein. Homosexualität sei kein Makel mehr. Gesellschaftliche Vorurteile, unter denen der Sprecher leiden könnte, würden durch solche Urteile gerade noch verstärkt, sagte Jipp.

Ein meßbarer Imageschaden könnte dem TV-Sprecher allerdings durch die Klage selbst entstanden sein. Bis Freitag hatten nur 3000 Käufer des Buches und ein paar tausend Adam-Leser von der Behauptung gewußt. Am Wochenende stand dies überall, die Hamburger Morgenpost brachte sein Photo auf den Titel.

Einer wird gewinnen

Süddeutsche Zeitung

Tomate Leandros. Fernsehkritik: Einer wird gewinnen (ARD).

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Als es 21.04 Uhr wurde am Samstagabend, lehnten sich einige Manager des Privatfernsehens entspannt zurück, schalteten das Erste aus und wußten, daß sie die Show-Offensive der ARD in aller Ruhe auf sich zukommen lassen konnten. Um diese Zeit rief ein Regie-Assistent in der Meirotels-Halle in Rotenburg an der Fulda Moderator Jörg Kachelmann live zu, die Zuschauer hätten das gerade gespielte Spiel nicht verstanden. Das war nicht weiter verwunderlich, denn auch den beiden Kandidatinnen konnte Kachelmann die Regeln nur erklären, indem er sie ihnen direkt ins Ohr brüllte. Hinter ihnen stand nämlich als Teil des Spiels ein tobender, singender, trötender Mob von Fußballfans aus 21 Ländern. Das hätte eigentlich auch schon während der Proben so gewesen sein müssen – falls der Hessische Rundfunk sich nicht einfach auf seine jahrzehntelange Erfahrung mit dem Blauen Bock verlassen und darauf komplett verzichtet hatte.

Dabei produziert die Neuauflage von Einer wird gewinnen kein Geringerer als Wolfgang Penk, Ex-Unterhaltungschef des ZDF. Er und sein Team haben sich von den erfolgreichen Shows der Privaten einiges abgeguckt: zum Beispiel, daß das Saalpublikum nett angeleuchtet werden sollte. Wie man das so macht, daß es nicht nach drei rotierenden 60-Watt-Lämpchen im Partykeller aussieht, haben sie leider nicht in Erfahrung bringen können. Nette Computertricks bastelten sie um die Vorstellung der einzelnen Kandidaten und dachten sich: Eine Version davon wird wohl reichen, die kann man ja achtmal zeigen. Und irgendwann werden sie vielleicht lernen, wie man Vicky Leandros in wabernden roten Nebel einhüllen kann, ohne daß sie aussieht wie eine Tomate.

Dabei ist das alte EWG-Konzept durchaus 90er-Jahre-tauglich. Interessanten Leuten zuzusehen, wie sie raten, wofür ein ausländischer Werbespot wirbt oder aus welchem Land eine Wetterfee kommt, kann durchaus für nette anderthalb Stunden vor dem Fernseher mit Familie und Chips sorgen. Doch dann müssen das Timing stimmen und diese ganzen Kleinigkeiten, die aus einem blöden Ratespiel eine „große“ Samstagabendshow machen.

An Kachelmann lag’s am wenigsten. Der arme Kerl war nicht nur furchtbar nervös (und überzog eine halbe Stunde), er hatte sich auch noch erkältet. Richtig glücklich wirkte er in seiner neuen Show („ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein großer Sprung für mich“) nicht, er redete wiederholt von den Zeitungen, die er am Montag lieber nicht lesen wolle, und vom „Generalanschiß“ nach der Sendung. In guten Momenten aber schaffte er die Balance zwischen den Ritualen öffentlich-rechtlicher Unterhaltung und ironischer Distanz. Als der deutsche Kandidat, den seine Freundin gerade verlassen hat, mit null Punkten ausschied, sagte Kachelmann: „Jetzt verstehe ich, warum sie gegangen ist.“

Guildo Horn

Süddeutsche Zeitung

Unser Mann in Birmingham. Wie der Schlagersänger Guildo Horn mit Hilfe der Medien unschlagbar wurde.

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Der neue Meister des Grand Prix ist klein, hat seine Haare auf Millimeterlänge rasiert, trägt graue Anzüge und heißt Johannes Kram. Ein paarmal ist er dem alten Meister des Grand Prix, Ralph Siegel, vor der Veranstaltung in die Arme gelaufen. Der hat ihn an sich herangezogen und den Journalisten vorgestellt als den Mann, der eigentlich den Preis verdient hätte: für die geniale PR-Kampagne. Kram hat leicht gequält gegrinst, etwas gemurmelt von ‚Möge der Bessere gewinnen‘ und sich entschuldigt.

Johannes Kram ist der Manager, der die Nußecke in die deutsche Medienwelt gebracht hat. Regelmäßig zelebriert sein Schützling Guildo Horn seine Liebe zu diesem Gebäck der Mutter — eines von vielen Ritualen, die den Rummel um den Künstler ausmachen, der am Donnerstag die deutsche Vorausscheidung zum europäischen Schlagerwettbewerb gewonnen hat. Am 9. Mai vertritt er Deutschland in Birmingham. Horn ist 35 und zieht seit sieben Jahren mit seiner Band Die orthopädischen Strümpfe durch Dörfer und Städte. Zum Geheimtip wurde er nicht nur dadurch, daß er als einer der ersten das Potential entdeckte, das der deutsche Schlager der 70er und 80er als Popkultur für die Jugend der 90er hat. Sein Auftreten mit wirrem Haar, nacktem, speckigem Oberkörper und Kostümen, die jede Geschmacksgrenze sprengen, ist zu skurril, um ernstgenommen zu werden. Und seine Musik und Show sind zu gut, um ihn als bloße Comedy abzutun, die den Schlager lächerlich macht.

Was skeptische Beobachter ins Grübeln bringt, läßt die Fans rasen. Seine Fans nennen ihn „Meister“ und unterstützten ihn bei der Vorentscheidung in Bremen mit „Guildo für Deutschland“-Rufen, Spruchbändern und T-Shirts. Horn weiß, was er tut: Er hat Pädagogik studiert, Musik- und Theaterarbeit mit Behinderten gemacht und seine Diplomarbeit über „Die Befreiung von der Vernunft“ geschrieben.

Seit drei Wochen spaltet Guildo Horn angeblich die Nation und eint die Medien. Damals titelte die Bild-Zeitung „Darf dieser Mann für Deutschland singen“ und befragte ein paar ausrangierte Schlagersänger, die mit einem empörten „Oh mein Gott, wo kämen wir denn da hin?“ antworteten. Der Artikel sorgte dafür, daß außer der überschaubaren Masse ursprünglicher Guildo-Anhäger auch Gegner von Bild und des klassischen Schlagers aktiv wurden, und erfüllte damit genau seinen Zweck. Johannes Kram und sein Team hatten ihn selbst geplant. Exklusiv arbeiten sie mit dem Blatt zusammen, dessen Reporterin ihm sogar die Haare föhnen darf.

Am Tag der Entscheidung legte Bild noch mal nach: „Dramatischer Zwischenfall: Guildo Horn — Notarzt! Klinik!“ Der Sänger hatte sich mit einem Handtuch die Augen gerieben, auf dem ausgerechnet der Siegel-Klan Rheumasalbe zurückgelassen haben soll. Daß das rechtzeitig zur Endphase der Proben und vor der Abreise zur Harald-Schmidt-Show ein Unfall gewesen sein könnte, glaubt in Bremen zwar niemand — spielt aber auch keine Rolle: Horn hatte die erste und die letzte Schlagzeile vor der Grand-Prix-Wahl. Er gewann die Abstimmung mit 62 Prozent der TED-Anrufe.

Dazwischen lagen drei Wochen, in denen die meisten Medien in eine kollektive Hysterie verfielen. „Es war eine Entscheidung der Menschen auf der Straße“, sagte Guildo Horn nach seinem Sieg, den er als „Perestrojka“ des deutschen Schlagers sieht. Das ist bei 420 000 Fans, die für ihn stimmten, unbestreitbar. Wäre dies ein Umsturz nach osteuropäischem Vorbild, hätte das Volk allerdings mit tatkräftiger Unterstützung durch Prawda und fast allen anderen Medien des Landes gekämpft. Viele Fernsehsender und Zeitungen brachten die Bild-Geschichte in Variationen. 40 Interviews habe er in den vergangenen Tagen gegeben, sagte Peter Plate von der Gruppe Rosenstolz, die den zweiten Platz belegte, in 20 sei es nur um Horn gegangen. Die meisten Jugendradios riefen ihr Publikum dazu auf, massenhaft für Guildo zu stimmen. Sie bejubelten, daß da endlich jemand aufgetaucht ist, der die für sie immer größere Unerträglichkeit des deutschen Grand Prix gleichzeitig personifiziert und persifliert. Und Viva-Moderator Stefan Raab, der besonders heftig für Horn warb, verriet erst zum Schluß, daß er selbst als Komponist und Produzent von Horns Titel Guildo hat euch lieb hinter dem Pseudonym Alf Igel steckt.

Die Wucht der Medienmaschinerie, die er selbst mit in Bewegung gesetzt hatte, überrollte schließlich auch Johannes Kram. Daß die Medien Guildo, und zwar nur Guildo wollten, überfordete nicht nur sein Team, sondern gefährdete auch das Image von Horn als nettem Irren unter lieben Schlagerkollegen. Am Ende zog Kram ein überraschendes Fazit: „Beschämt“ habe ihn die Unfähigkeit der Medien, noch andere Themen zu behandeln. Dasselbe Wort wählte NDR-Organisator Jürgen Meier-Beer. Er freute sich über das Interesse und die doppelt so hohen Quoten wie üblich (knapp acht Millionen). Die Bedeutung, die dem Ereignis beigemessen wurde, treibt ihn aber zur Aussage: „Das hier hat größere Dimensionen als die Niedersachsenwahl.“

Selbst seinen Sender NDR 2 konnte er nicht davon abhalten, längere Auszüge aus Horns Stück zu spielen — obwohl das Reglement das untersagt. Fast alle Fernsehsender zeigten Horns Auftritt vorab. Die „Wettbewerbsverzerrung“, die Ralph Siegel beklagte, interessierte im allgemeinen Horn-Fieber niemanden.

Manager Kram versuchte, gegen die schlechte Stimmung hinter den Kulissen zu kämpfen und sagte den Konkurrenten, sie hätten sich ja auch eine nette PR-Strategie überlegen können. Er erntete ein müdes Lächeln: Ein solches Produkt, mit dem das möglich gewesen wäre, hatte keiner zu bieten. „Der Grand Prix hat den skurrilen Reiz, Popmusik und so was wie nationale Ehre miteinander zu verbinden“, versucht Meier-Beer eine Erklärung. „Das Thema Horn funktioniert hervorragend, weil es eine Provokation auf beiden Ebenen darstellt.“ Ein Reporter der Berliner B.Z., die als eines der wenigen Blätter Front gegen Horn machte, meinte, der Medienrummel beruhe schlicht auf Faulheit, sich die Mühe zu machen, andere Themen zu recherchieren. Denn nicht nur Horn brachte neue Ideen und bereitete den Siegelschen Produkten ein Debakel. Fokker sang: „Sie trat mir in die Hoden, in mein Leben trat sie nicht.“ Auch Die drei jungen Tenöre und der Punk-Pop von Maria Perzil sprengten die Grenzen der bis dahin bekannten Grand-Prix-Kunst. Gegen die Medienmacht für Horn hatten sie keine Chance. „Ich hätte mich schon gefreut, wenn wir gewonnen hätten“, sagte Rosenstolz-Mann Plate. Vor der Abstimmung.