Hummel. 520 Gramm. Neuzugang im Haus Pantelouris.
Hummel. 520 Gramm. Neuzugang im Haus Pantelouris.
„Die Axel Springer AG oder Mathias Döpfner verbreiten keine ‚Untergangsstimmung‘, und schon gar nicht aus ’strategischen Gründen‘.“
Christoph Keese, Außenminister der Axel Springer AG.
„Wir kämpfen um unsere Existenzgrundlage.“
Mathias Döpfner, 25. Juni 2011, „Süddeutsche Zeitung“
„Wenn sich bezahlte Applikationen auf mobilen Geräten nicht durchsetzen, wird dies Tausende Arbeitsplätze in der Verlagsbranche kosten.“
Mathias Döpfner, 28. Dezember 2009, „Focus“.
Obwohl interplanetare Kommunikation schwierig ist, muss man sich, fürchte ich, mit dem auseinandersetzen, was Christoph Keese sagt. Als Außenminister der Axel Springer AG ist er der amtierende Lautsprecher einer leider großen Allianz von Verlagen im Kampf gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dieser Kampf wird einerseits juristisch geführt, mit einer Klage gegen die Aufbereitung der Inhalte von tagesschau.de für Smartphones. Und andererseits publizistisch.
Steffen Grimberg hat in der „taz“ dazu vor einigen Tagen festgestellt:
Ein Kollateralschaden der Debatte liegt jetzt schon auf der Hand: der Medienjournalismus. Die klageführenden Blätter beherbergen das Gros der relevanten Medienseiten in diesem Land. Und so wird die Tagesschau-App ganz nebenbei zum Elchtest für die innere Pressefreiheit.
Keese erwidert:
Warum sagt [Grimberg] nicht, was er damit sagen will? Unterstellt er seinen Kollegen, dass sie nach der Pfeife ihrer Verlage tanzen und willfährig über deren geschäftliche Interessen berichten? Dann müsste er Belege für die Beschuldigung anführen, was er aber nicht tut. Eine Sammlung von Belegen würde zeigen, dass die Zeitungen durchaus unterschiedlich auf die Klage ihrer Verlage reagiert haben. Von nachrichtlicher Berichterstattung über abwägende Kommentare bis hin zur leidenschaftlichen Verteidigung. Einen der härtesten Angriffe auf die Öffentlich-Rechtlichen hat Konrad Lischka bei Spiegel Online geschrieben — der Spiegel Verlag gehört jedoch gar nicht zu den Klägern.
Es ist ein typisches Beispiel für die argumentative Unredlichkeit von Christoph Keese. Die Tatsache, dass ein Medium, das nicht an der Klage beteiligt ist, besonders scharf gegen ARD und ZDF schießt, sagt exakt nichts darüber aus, ob und wie die Klage der Verlage die redaktionelle Berichterstattung der dort arbeitenden Journalisten beeinflusst.
Aber ich will Keese gern den Gefallen tun und hiermit meinen und Grimbergs Kollegen unterstellen, dass sie nach der Pfeife ihrer Verlage tanzen und willfährig über deren geschäftliche Interessen berichten. Belege? Bitteschön:
„Die Welt“
22. Juni. Die Überschrift der vermeintlich nachrichtlichen Meldung auf Seite 1 nimmt das Ergebnis der Klage schon vorweg:
Verleger klagen gegen die ARD
„Tagesschau“-App verzerrt Wettbewerb
Am selben Tag erscheint ein langer Artikel von Ekkehard Kern: „Die aggressive Expansionspolitik von ARD und ZDF im Internet torpediert den deutschen Medienmarkt“. Er schreibt:
Sinnvolle Investitionen ins Fernseh-Programm zum Beispiel — das wäre für alle Zuschauer ein Gewinn. Stattdessen fließen bei den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunksendern seit geraumer Zeit Millionen an Gebührengeldern in Online- und Mobil-Portale. Doch davon profitiert lediglich eine geringe Anzahl von Smartphone- und Tablet-Benutzern.
Die „Tagesschau“-App, von der lediglich eine so geringe Anzahl von Menschen profitiert, ist zu diesem Zeitpunkt 1,7 Millionen Mal installiert worden. Zum Vergleich: Das ist knapp sieben Mal soviel wie die tägliche Verkaufsauflage von gedruckter „Welt“ und „Welt kompakt“.
Der juristische Vorstoß kann als ein erster Schritt gesehen werden, um auf die von ARD und ZDF geschaffenen Zustände in der Verlagsbranche öffentlich aufmerksam zu machen.
Die von ARD und ZDF geschaffenen Zustände in der Verlagsbranche. Das steht da wirklich. Und er schreibt es gleich noch einmal:
In Anbetracht des vielfältigen Online- und Mobilangebots der deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenlandschaft ist der aggressive Expansionskurs der Öffentlich-Rechtlichen in diesem Bereich ebenso unverständlich wie überflüssig. Die wirtschaftlichen Folgen für die deutsche Medienbranche waren schon im vergangenen Jahr vielerorts zu spüren. Die von ARD und ZDF künstlich und ohne ersichtlichen Grund herbeigeführte Konkurrenzsituation mit der Privatwirtschaft sorgt für einen verzerrten Wettbewerb. Dadurch oft nötig gewordene finanzielle Einsparungen auf Seiten der Verlage sorgen mittelfristig dafür, dass die deutsche Medienlandschaft insgesamt ärmer wird.
Weil ARD und ZDF einfach ins Internet gegangen sind, mussten die Verlage bereits sparen und können deshalb nicht mehr so gut sein wie früher oder wie sie sein könnten?
Die Tatsache, dass sich ARD und ZDF neben — so lautet die Definition von Rundfunk — Fernsehen und Radio seit geraumer Zeit auf unnachgiebige Weise als Konkurrent der Print-Branche gebärden, sorgt schon seit Jahren bei vielen Branchenexperten für Unbehagen.
Man beachte, dass Kerns Definition von Rundfunk das elektronische Medium Internet ausschließt, seine implizite Definition von Print aber das elektronische Medium Internet einschließt. Ganz abgesehen davon, dass er — falsch — suggeriert, ARD und ZDF würden schon durch ihre Existenz im Internet ihren rechtlichen und gesellschaftlichen Auftrag überschreiten.
Ekkehard Kern ist übrigens der lustige Mensch, unter dessen Namen bei „Welt Online“ immer noch unkorrigiert die nicht nur falsche, sondern völlig abwegige Behauptung steht, der ZDF-Kulturkanal wolle einen eigenen Jugendkanal. Schon Ende April hatte er in diesem Zusammenhang herrlich unbeschwert getextet:
Schelte für ihre oft wenig durchschaubare Expansionspolitik haben ARD und ZDF reichlich kassiert. Man denke nur an die herrlich überflüssige „Tagesschau“-App für das iPad und überhaupt die digitale Ausbreitung im Internet — einem Terrain, das die Öffentlich-Rechtlichen unangetastet lassen müssten, denn „Rundfunk“ beinhaltet eben schon per definitionem nur Radio und Fernsehen.
„Süddeutsche Zeitung“
22. Juni. In einem scheinbar nachrichtlichen kurzen Artikel, in dem Medienredakteurin Katharina Riehl über die Klage der Verlage gegen die „Tagesschau“-App berichtet, bezeichnet sie ARD und ZDF als „quasi staatlichen Rundfunk“.
25. Juni. Medienredakteur Christopher Keil betätigt sich als Stichwortgeber für Mathias Döpfner und attestiert ihm unter anderem: „Bisher sind Sie immer wieder zu Kompromissen bereit gewesen.“ Er erklärt das nicht.
„Hamburger Abendblatt“
22. Juni. Kai-Hinrich Renner kommentiert:
Der Streit zwischen Zeitungsverlagen und der ARD über die „Tagesschau“-App ist das Symptom eines grundsätzlichen Problems: In der digitalen Welt können bisher — bis auf ganz wenige Ausnahmen — nur gebührenfinanzierte Sender aufwendigen, rechercheintensiven Journalismus finanzieren.
Wirklich? Wenn es so wäre, spräche das nicht dafür, die Position der gebührenfinanzierten Sender im Internet zu stärken? Um aufwendigen, rechercheintensiven Online-Journalismus zu ermöglichen? Andererseits: Kann mir jemand ein Beispiel dafür zeigen, wo ARD und ZDF in der digitalen Welt aufwendigen, rechercheintensiven Journalismus finanzieren?
Nun zeichnet sich ab, dass die Nutzer bereit sind, zumindest für Inhalte auf mobilen Medien zu zahlen. Die Befürchtung der Verlage ist berechtigt, dass es mit dieser Bereitschaft schnell vorbei sein könnte, sollten sich Gratis-Apps wie die der „Tagesschau“ durchsetzen. Wer aber auf die „Tagesschau“-App — die ja nicht wirklich kostenlos, sondern gebührenfinanziert ist — nicht verzichten will, muss sagen, wie sich die Wettbewerber der Öffentlich-Rechtlichen künftig finanzieren sollen. Denn die unabhängige Presse wird in diesem Land vom Grundgesetz garantiert. Sie hat einen hohen Stellenwert: Es gibt keinen Grund, daran etwas zu ändern.
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“
22. Juni. Michael Hanfeld kommentiert auf Seite 1 unter der Überschrift „Für eine unabhängige Presse“:
Mit der Klage und der Beschwerde bei der Europäischen Wettbewerbskommission ergreifen die Verlage die letzte Möglichkeit, ihre Position zu behaupten. Sie kämpfen für das Überleben der unabhängigen Presse.
26. Juni. Im Leitartikel der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (für die ich regelmäßig arbeite) schreibt Alard von Kittlitz:
Es geht bei der Klage ganz sicher nicht darum, dass die Presse die Konkurrenz von Funk und Fernsehen furchtet. Die Presse hat sich nie darüber beklagt, dass der Staat per Gebühren Anstalten finanziert, die Leute vom Lesen zum Hören, Sehen bringen. Jetzt aber treiben die Öffentlich-Rechtlichen selbst Printjournalismus, und zwar im großen Stil.
Stimmt doch nicht, könnte man einwenden. Gibt es etwa eine gedruckte Tagesschau-Zeitung, ein Tagesthemen-Magazin? Nein. Gegenfrage: Was ist eine App? Apps sind alles Mögliche, aber sie erinnern eher an Papier denn an einen Bildschirm. Die Geräte, auf denen sie laufen, bedient man mit dem Finger. Wie ein Buch, wie eine Zeitung. Man blättert. Man kauft Apps wie Zeitungen an einem digitalen Kiosk. (…)
Die Presse in Deutschland hat schon so zu kämpfen. Staatliche Konkurrenz, aus einem üppigen öffentlichen Topf finanziert, macht ihr das Leben schwer. Dabei erfüllt gerade die Presse den Auftrag, mit dem die Gebührenfinanzierung eines öffentlich-rechtlichen Journalismus in Deutschland begründet wird: dass die Bürger sich vernünftig informieren können.
„Bild“
Die „Bild“-Zeitung hat bislang nur in Form einer kurzen Meldung über die Klage berichtet. Man darf annehmen, dass der Seite-1-Aufmacher von Paul Ronzheimer von Ende 2009 noch Bestand hat, Schlagzeile: „Der Irrsinn mit unseren TV-Gebühren“.
Die nächste große „Bild“-Kampagne ist allerdings in Arbeit. In der ARD bereitet man sich auf das Schlimmste vor und rechnet damit, dass die echten oder vermeintlichen Enthüllungen der „Bild“-Zeitung in den nächsten Tagen oder Wochen maßgeschneidert zum juristischen Vorgehen der Verlage erscheinen werden.
Fazit
Zur Erinnerung noch einmal Keese:
Eine Sammlung von Belegen würde zeigen, dass die Zeitungen durchaus unterschiedlich auf die Klage ihrer Verlage reagiert haben. Von nachrichtlicher Berichterstattung über abwägende Kommentare bis hin zur leidenschaftlichen Verteidigung.
… und bis hin zu beeindruckender Beklopptheit wie in der „Welt“. Ja, das Temperament der Reaktionen und die journalistische Qualität ist unterschiedlich; die Stoßrichtung aber ist identisch.
Ja, ich glaube, dass die Journalisten der klagenden Verlage keine Chance hätten, gegen deren Position zu schreiben. Es bedarf dazu gar keines Pfiffs aus einer Pfeife, weil sie wissen, welcher Tanz von ihnen erwartet wird. Ich glaube nicht an eine große Abstimmung der Beteiligten untereinander, aber es fällt schon auf, wie oft nun bei jeder Gelegenheit der Begriff „öffentlich-rechtlich“ durch „staatlich“ ersetzt und dass plötzlich Online-Artikel in einer fast orwellschen Umdefinition „Print“-Journalismus“ darstellen sollen.
Das bedeutet nicht, dass jeder einzelne der Journalisten von ihnen gegen seine eigene Überzeugung anschreiben muss, wenn er gegen die ARD wettert. Keese suggeriert in seiner gut gelaunt perfiden Art ohnehin, dass die Erklärung für den Gleichklang ist, dass man in dieser Sache als Journalist, der nicht bei ARD und ZDF angestellt ist, gar nicht anderer Meinung sein könne.
Die Gretchenfrage ist eine andere. Wenn der Journalismus der Verlage so gut ist, wie sie behaupten, wenn gerade die Presse, wie Kittlitz behauptet, den Auftrag erfüllt, „dass die Bürger sich vernünftig informieren können“ — warum zeigen sie der Öffentlichkeit und der ARD nicht, was das bedeutet? Warum machen sie sich nicht unangreifbar und lassen — gerade weil ihre Verlage bei diesem Thema selbst Partei sind — die Gegenseite ausführlich zu Wort kommen? Warum führt die „Süddeutsche“, wenn sie schon mit ihrem Klagepartner Döpfner so viel Raum gibt, nicht ein Interview, das an kritischen Nachfragen keine Wünsche offen lässt? Warum schafft die „Welt“ es nicht einmal, eine Nachricht zu dem Thema streng nachrichtlich zu formulieren? Warum ist es undenkbar, dass in einem Objekt eines der beteiligten Verlage ein Kommentar erschiene, der der Position der Kläger widerspricht?
Was wäre das für ein Beweis für die Qualität des privat finanzierten Journalismus, wenn man sich darauf verlassen könnte, trotz der Parteilichkeit der Verlage in dieser Sache, umfassend und fair und vielleicht sogar sauber nach Nachricht und Meinung getrennt über den Komplex informiert zu werden! Gerade der Verlag, dessen Außenminister Keese ist, scheitert an diesem Test jedesmal.
Die große Stärke von Richterin Barbara Salesch ist ihre Fähigkeit, nicht zu urteilen. Vor ihr spielen sich die erschütterndsten Szenen ab: Arme werden in die Luft geworfen, Hände gerungen, Stimmen gepresst und überschlagen, Gesichter verzogen, Augen aufgerissen und gerollt. Doch all diese Gewalttaten, begangen im Auftrag eines Fernsehsenders von Menschen, die große Gefühle und dramatische Überraschungen ausdrücken sollen und dafür ungefähr so viel Talent haben wie eine Autobahnbrücke, bleiben ungesühnt. Barbara Salesch schafft es, im Angesichts dieses Grauens mit keiner Wimper zu zucken. Sie prustet nicht laut los, kichert nicht in sich hinein und bricht nicht weinend über dem Richtertisch zusammen. Sie spricht nicht einmal, was das Mindeste wäre, ein lebenslanges Fernsehauftrittsverbot aus. Nur ganz gelegentlich ruft sie die Zeugen und Angeklagten, Verwandten, Geliebten und Prostituierten, in einer Heftigkeit zur Ordnung, dass nicht ganz klar ist, ob das nur der Rolle gilt oder auch ihrem Darsteller.
Mit der Umstellung der täglichen Sat.1-Show „Richterin Barbara Salesch“ von echten kleinen Fällen vor einem Schiedsgericht zu gespielten Verhandlungen über Mord- und Totschlag-im-Swingerclub-Dramen begann vor elf Jahren der Siegeszug der Darstellerlaien im deutschen Fernsehen. Viele spielen sich in ihren Rollen geradezu in einen Rausch (wobei genauso wahrscheinlich ist, dass sie den schon zu den Dreharbeiten mitgebracht haben), schaffen es aber trotz allem Bemühen regelmäßig nicht, auch nur annähernd so geistesgestört zu wirken wie Drehbücher.
Fürs Fernsehen entdeckt wurde Salesch, die richtige Richterin in Hamburg ist, ursprünglich, weil sie so munter, volkstümlich und extrovertiert ist. Inzwischen fällt sie eher dadurch auf, wie gleichmütig und unbeeindruckt sie das Beklopptheitengetöse in ihrem falschen Gerichtssaal hinnimmt. Leise fragt sie zum millionstenmal den Beruf eine Befragten ab und weist ihn darauf hin, dass er vor Gericht die Wahrheit sagen muss. Wenn sie selbst Fragen stellt (was sonst meist die Staatsanwälte und Verteidiger übernehmen, die echte Staatsanwälte und Verteidiger sind, die Laiendarsteller spielen, die Staatsanwälte und Verteidiger spielen), tut sie das mit einer Behutsamkeit und in einem Tonfall, als ob sie mit Drei- oder Hundertdreijährigen spricht.
Ähnlich routiniert beantwortet sie inzwischen Journalistenfragen. Ein zehn Jahre altes Zitat des ehemaligen Präsidenten des Bundesgerichtshofes muss immer noch als Beleg dafür dienen, dass ihre Justizparodie auch gut sein könnte für die Justiz. Noch länger bezeichnet sie sich als „Deutschlands bestbeobachtete Richterin“ und schließt daraus, dass die Urteile über den Quatsch seriös sein müssten.
Nun hat sie bekanntgegeben, dass sie zum Ende des Jahres aufhören will. Sie will sich mehr der Malerei widmen. Ich hätte angenommen, dass sich das auch während der Show machen ließ, hinter dem Richtertisch, zwischen zwei Nichtvereidigungen von Zeugen. Irgendwas hat sie da immer schon vor sich hingekritzelt. Aktennotizen werden es ja nicht gewesen sein.
Vermutlich gilt „die aktuelle“ verlagsintern (also im Gong-Verlag bzw. der WAZ-Gruppe) tatsächlich als qualitätsjournalistisches Hochglanzprodukt. Im Vergleich jedenfalls zum Schwesterblatt „die zwei“, das vor einigen Wochen berichtete, dass der Fernsehmoderator Günther Jauch einen „liebevollen Kontakt“ zu seiner Mutter pflege, die „in einem Altenheim unweit seiner Villa in Potsdam“ lebe. Jauchs Mutter ist, wie der „Spiegel“ berichtet, vor sechs Jahren gestorben.
Die dänische schwedische Kronprinzessin Victoria hingegen lebt wenigstens noch, wenn auch mutmaßlich immer noch noch unschwanger.
Victoria und Daniel sind zum vierten Mal in zwei Monaten mit einer Baby-Suggestion auf dem Cover der „aktuellen“ — „bitte nicht wiederwählen“, hätte Dieter Thomas Heck gesagt, aber die Ausgabe vor zwei Wochen scheint sich so gut verkauft zu haben, dass die „aktuelle“ fast dasselbe Foto jetzt einfach noch einmal verwendet (man hat ja als Zeitschrift, die nicht journalistisch arbeitet, viele Freiheiten).
In unserer heutigen „Bingo“-Ausgabe jedenfalls geht es zum zwei andere Schlagzeilen auf dem Cover der aktuellen „aktuellen“:
Kuno Haberbusch: Im Rückblick: Das ist kein Ruhmesblatt für unsere Branche generell, die Kachelmann-Berichterstattung, oder?
Sabine Rückert, „Die Zeit“: Ich bin mit meiner sehr zufrieden.
(Dialog auf der Jahrestagung des „Netzwerkes Recherche“ am vergangenen Freitag; irreführende Links von mir.)
Ullrich Fichtner und Mathieu von Rohr schreiben im neuen „Spiegel“ über die neuen Entwicklungen im Fall Dominique Strauss-Kahn:
Der Mann, der wochenlang zum Sexverbrecher gemacht wurde, ohne dass er schuldig gesprochen war, erschien am Freitag schon fast wieder rehabilitiert. (…)
Die Frage ist nun, was für die Öffentlichkeit schwerer wiegt: die unappetitlichen Details aus dem Leben des potentiellen Präsidentschaftskandidaten oder die Euphorie über die wiedergefundene Unschuld und das schlechte Gewissen über die massive Vorverurteilung.
Zum Sexverbrecher gemacht ohne Schuldspruch? Massiv vorverurteilt? Wer macht denn sowas?
Ullrich Fichtner und Dirk Kurbjuweit, „Spiegel“, 23. Mai 2011:
Strauss-Kahn ist nur der vorerst letzte in einer langen Kette gleichgestrickter Brüder, die an ihrer herausragenden gesellschaftlichen Stellung irre wurden, die alles Maß verloren und die machttrunken glaubten, die ungeschriebenen und auch die geschriebenen Gesetze gälten nicht für sie.
Dies trifft auf Strauss-Kahn ganz unabhängig davon zu, ob ihm im Sofitel-Fall die Schuld nachgewiesen und er als Vergewaltiger wirklich verurteilt wird. Man muss diesen Angeklagten, der am Ende mutmaßlich zum Verbrecher wurde, aber bis zu einem Urteil natürlich als unschuldig zu gelten hat, trennen von dem Mann, der mit dem fragwürdigen Ruhm eines Schürzenjägers durch die Welt lief, eines geilen Bocks, dem Frauen immer wieder vorwarfen, sie bis an den Rand der Nötigung und darüber hinaus zu bedrängen, ohne damit weiter anzuecken, ohne aufzufliegen. (…)
Der letzte Halbsatz seiner Rücktrittserklärung an den IWF lautet, „ich möchte nun vor allem – vor allem – all meine Kraft, all meine Zeit, alle meine Energie dem Ziel widmen, meine Unschuld zu beweisen“. Es ist nur ein Gefühl, aber beim Lesen der Erklärung, die nicht sehr lang ist, stellt sich der Eindruck ein, dass sie nicht so klingt wie die eines Mannes, der zu Unrecht einer ungeheuerlichen Straftat angeklagt ist und seine Ehre wiederherstellen will.
Von einem „schlechten Gewissen“ des Nachrichtenmagazins kann natürlich keine Rede sein. Ich finde es nach wie vor erstaunlich, wie viele Leute meinen, es gäbe zuviel Selbstbezüglichkeit in der deutschen Medienwelt, wo sie doch in Wahrheit — gerade in den großen, renommierten Blättern — mit soviel Selbstblindheit geschlagen ist.
Übrigens hatte derselbe „Spiegel“, der in dieser Woche über ein „Comeback Strauss-Kahns“ spekuliert, vor sechs Wochen noch behauptet:
Dominique Strauss-Kahn (…) war zu diesem Zeitpunkt längst erledigt. Die Bilder von ihm in Handschellen und die anderen, die ihn unrasiert, hilflos vor der Haftrichterin zeigten, löschten ihn aus als Figur der Macht, sie disqualizierten [sic] ihn für jedes denkbare Amt (…).
Wann ist aus Journalismus eigentlich der Versuch geworden, die Zukunft vorherzusagen, und die Praxis, die eigene Wahrsagerei als Tatsache auszugeben?
Was gestern mit Dominique Strauss-Kahn passiert ist, hätte eigentlich gar nicht passieren dürfen. Der „Stern“ hatte es in seiner erst einen Tag zuvor erschienenen Ausgabe quasi ausdrücklich ausgeschlossen, dass das passieren könnte: dass die Glaubwürdigkeit des Zimmermädchens, die den ehemaligen IWF-Chef der Vergewaltigung beschuldigt, erschüttert würde.
Nafissatou Diallo, das Zimmermädchen, sei eine Frau, „die kleine und große Geheimnisse hat“, heißt es am Anfang des Artikels. Um dann nach vielen Zeilen diesen Gedanken wieder aufzunehmen und zu dem Schluss zu kommen: „Anscheinend ist keines ihrer Geheimnisse groß genug, um aus Nafissatou Diallo eine Lügnerin zu machen.“
Heute weiß die ganze Welt, dass Nafissatou Diallo eine Lügnerin ist. Sie hat zugegeben, falsche Angaben gemacht zu haben über das, was sie nach der angeblichen Tat getan hat. Sie hat laut Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit ihrem Asylantrag gelogen und dabei systematisch geübt, überzeugend die Unwahrheit zu sagen. Und es soll laut „New York Times“ einige dubiose Verbindungen, Telefonate und Geldzahlungen geben.
Das bedeutet nicht, dass sie nicht möglicherweise tatsächlich von Dominique Strauss-Kahn vergewaltigt wurde. Aber es erschüttert ihre Glaubwürdigkeit, und wenigstens dieser Satz in dem „Stern“-Artikel stimmt: „Entscheidend ist (…) die Glaubwürdigkeit der Beteiligten, falls irgendwann eine Jury über das Schicksal Strauss-Kahns urteilen muss.“
Der „Stern“ tut so, als sei er dieser Frau ganz nah gekommen, eigentlich bis in ihren Kopf hinein. Der Artikel beginnt mit den Sätzen:
Hinterher war ihr klar, dass es einen Vorboten des Unheils gab.
An diesem Morgen, der für Nafissatou Diallo begann wie so viele in ihrem neuen Leben.
Nicht weit von ihrer Wohnung in der New Yorker Bronx bestieg die Frau aus Guinea die U-Bahnlinie 4, die über Hochtrassen und Tunnel zu ihrem Arbeitsplatz nahe der Fifth Avenue ruckelte. Der Rhythmus des Zuges übertrug sich auf sie. Eine Unruhe, die an diesem Samstag zu ihrer eigenen passte, wird sie später einem Vertrauten am Telefon erzählen.
Der „Stern“ behauptet, die Geschichte der Frau zu erzählen. Es ist ein Stück voller Mutmaßungen und Nebensächlichkeiten. Zum Beispiel über das Restaurant von Blake Diallo in Harlem, in dem sich die Frau zuhause fühlte:
Sie aß hier gern Lammragout oder frittierte Bananen. Es gibt viele, die erzählen, Blake Diallo sei sehr eng mit Nafissatou Diallo, einige meinen, er sei sogar ihr heimlicher Partner. (…)
Der Speiseraum mit den fünf Tischen ist gerade mal so groß wie die Küche, in der frittierter Fisch mit Reis, pikantes Hühnchen und Couscous zubereitet werden, kein Gericht kostet mehr als sieben Dollar. Es ist Mittagszeit, aber kein Gast sitzt im Lokal. Bahareh Jabbie schaut einen misstrauisch an, seine beleibte Frau Fatima schlurft aus der Küche herbei, murmelt etwas, man versteht es nicht. (…)
Im Januar zog sie in eine Zweizimmerwohnung in einem roten Backsteingebäude, wenige Blocks vom Baseballstadion der Yankees entfernt. Das Wohnzimmer stellte sie mit afrikanischen Statuen, Webwaren und Pfauenfedern voll. Dazu Fotos aus ihrer Heimat, die sie manchmal vermisste, wie eine Nachbarin erzählt, die bei ihr zu Gast war.
Sie betete in einer Moschee in Harlem, sie kaufte wenige Schritte weiter im Futa Market afrikanische Produkte ein – Blake Diallos Café liegt gleich auf der anderen Straßenseite. Sie erschien schüchtern und legte viel Wert auf Diskretion.
Es sind viele bunte Informationskiesel, die vermutlich ein Mosaik ergeben sollen, aber doch nur Geröll sind, sobald der Kitt wegfällt, mit dem der „Stern“ sie aneinandergeklebt hat. Er erzählt die Geschichte einer schwer ergründlichen Frau, der trotzdem keinesfalls zuzutrauen ist, dass sie die Unwahrheit erzählt. Er beschwört den Kontrast zwischen dem armen machtlosen Opfer und dem reichen berühmten Täter Mann, erwähnt nur pro forma, dass niemand weiß, was tatsächlich passiert ist, und beschreibt, wie Strauss-Kahn entscheiden müsse,
ob er in der zu befürchtenden Schlammschlacht tatsächlich den Versuch machen soll, das Ansehen des mutmaßlichen Opfers zu zertrümmern.
Die Antwort scheint schon in der Frage zu stecken, und der „Stern“ zitiert am Ende noch einen Strafverteidiger, der davon abrät, „dass dieser reiche Mann seine Millionen dazu verwendet, diese mittellose Frau zu diskreditieren“.
Es war dann aber die Staatsanwaltschaft, die die Widersprüche in den Aussagen der Frau entdeckt hat.
Der Artikel im „Stern“ endet mit der Prognose des angeblichen Experten, dass Strauss-Kahn sich „irgendwann schuldig bekennen und mit der Staatsanwaltschaft eine Strafe aushandeln“ werde: „Die Faktenlage ist überwältigend“, sagt er. Strauss-Kahn werde sich „mit dem Gedanken abfinden müssen, ein paar Jahre im Gefängnis zu verbringen. Es sei denn, es kommt noch etwas hoch, womit niemand rechnet.“
Und der „Stern“ fügt hinzu:
Danach sieht es derzeit nicht aus.
Tja, da ist dann wohl doch noch etwas hochgekommen, wonach es seinerzeit nicht aussah.
Ich will gar nicht den Eindruck erwecken, als ob ich es besser gewusst hätte. Aber vielleicht wäre es, gerade weil man es eben nicht weiß, eine gute Idee, wenn Medien nicht so täten, als wüssten sie im voraus, wessen Glaubwürdigkeit fast unerschütterlich ist; wer schuldig ist und wer nicht; wer verurteilt wird und wer nicht.
Das ist eine so banale Erkenntnis, nicht erst nach dem Freispruch Kachelmanns. Und dennoch scheint es utopisch, dass ein Medium wie der „Stern“ (oder der „Spiegel“ oder die „Bild“) ihr je gerecht werden könnte.
siehe auch:
Das war eine der erstaunlichsten Erfahrungen, als Michael Reufsteck und ich damals versuchten, für unser „Fernsehlexikon“ herauszufinden, was eigentlich die letzten zehn, dreißig, fünfzig Jahre im Fernsehen gelaufen ist: Die Sender selbst wissen es auch nicht.
Beim NDR hat mich ein Kollege in weit abgelegene Räume geführt, wo Unmengen bestenfalls viertelsortierter Programmablaufpläne und Presseausschnitte vor sich hinrotteten. Bei RTL sagte man uns, dass man in den Anfangsjahren voll und ganz damit ausgefüllt war, Fernsehen zu machen, und sich nicht auch noch darum kümmern konnte, für die Nachwelt festzuhalten, was man da tat. Und bei Sat.1 bestand das historische Archiv, soweit die Kollegen sich erinnern konnten, im Wesentlichen aus einer Sammlung von Ausgaben der Fernsehzeitschrift „TV Movie“ ab 1991 oder so. (Und vermutlich hat auch die jemand nach der Zwangsumsiedelung zu ProSieben nach München kurzerhand entsorgt.)
So gesehen ist es kein Wunder, dass heute fast überall steht, Barbara Salesch – die zum Ende des Jahres ihre Gerichtsshow aufgeben will – hätte ihre Fernsehkarriere in einer Sendung namens „Schiedsgericht“ begonnen. Verbreitet wird das unter anderem von der Nachrichtenagentur dapd:
Salesch ist den Angaben [von Sat.1] zufolge Deutschlands dienstälteste TV-Richterin. Ihre Fernsehkarriere startete die Juristin am 27. September 1999 in der Sat.1-Sendung „Schiedsgericht“, in der echte zivilrechtliche Fälle verhandelt und rechtskräftige Urteile gesprochen wurden. (…) Seit Oktober 2000 werden in dem Format „Richterin Barbara Salesch“ ausschließlich fiktive strafrechtliche Fälle verhandelt.
Es gab aber nie eine Sendung namens „Schiedsgericht“. „Richterin Barbara Salesch“ hieß vom ersten Tag an „Richterin Barbara Salesch“. Der Fehler stammt aber nicht von den dapd-Leuten (denen das unbedingt zuzutrauen wäre), sondern von Sat.1 selbst, wo mit großer Wahrscheinlichkeit außer Frau Salesch und dem Comedy- und Show-Redakteur Josef Ballerstaller niemand mehr arbeitet, der dort auch schon 1999 gearbeitet hat.
Und weil offenbar die Neuen nichts mehr haben, wo sie es nachgucken könnten (außer, natürlich, hoffentlich, ein Exemplar des unverzichtbaren „Fernsehlexikons“), beginnt die heutige Pressemitteilung mit den Worten:
Unterföhring, 1. Juli 2011. Eine TV-Ära geht zu Ende: Am 27. September 1999 startete „Richterin Barbara Salesch“ in SAT.1 als „Schiedsgericht“.
Die Formulierung findet sich seit 2004 in den Pressemitteilungen des Senders (zur 1000. Sendung „Richterin Barbara Salesch“, zur 1500. Sendung „Richterin Barbara Salesch“, zur 2000. Sendung „Richterin Barbara Salesch“). Und das Lustige ist, dass sie stimmen würde, wenn man die Anführungszeichen um „Schiedsgericht“ wegließe, denn es handelte sich um ein solches.
Aber spätestens mit dem heutigen Tag ist die Sendung „Schiedsgericht“, die es nie gegeben hat, nachträglich Bestandteil der Geschichte des deutschen Fernsehens geworden.
Zur Überbrückung der Zeit bis zur Veröffentlichung eines Eintrags mit wenigstens rudimentärer Rest-Relevanz spielen wir das beliebte „Die aktuelle“-Bingo. Aufgabe ist es zu erraten: Welcher wahre Sachverhalt verbirgt sich hinter der Quatsch-Schlagzeile auf dem Titel der Qualitätszeitschrift aus dem Haus der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“.
Konkret:
Bonusfrage:
Es ist weniger ein Interview, das die „Süddeutsche Zeitung“ mit Mathias Döpfner geführt hat, als eine Möglichkeit für ihn, ausführlich und ungestört durch kritische Nachfragen die eigene Position darzustellen. Das ist vielleicht kein Zufall, denn die „Süddeutsche Zeitung“ klagt mit der Axel-Springer-AG, deren Vorstandsvorsitzender Döpfner ist, (und anderen Verlagen, darunter auch dem der FAZ, für die ich regelmäßig arbeite) gegen die kostenlose „Tagesschau“-Anwendung für iPhone und iPad.
Döpfner sagt, die ARD habe mit der „Tagesschau“-App (Abb.) eine „rote Linie“ überschritten. Das ist bemerkenswert, denn es gibt andere Stellen, an denen sich eine solche Grenze deutlich klarer ziehen ließe. Man könnte zum Beispiel, wenn man wollte, argumentieren, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Internet gar nichts zu suchen haben. Man könnte auch sagen, dass sie im Internet nur Videos und Audio-Aufnahmen publizieren dürfen, wahlweise mit der Einschränkung, dass die auch im Radio oder Fernsehen gelaufen sein müssen. Für Döpfner sind das aber bestenfalls andersfarbige Linien.
Die Grenze zieht er dort, wo die ARD Inhalte aus ihrem Internetangebot in einer für Tablets und Smart Phones optimierten Version anbietet. Das Kriterium gibt ihm die „SZ“ freundlicherweise in der Frage vor:
Markiert die Selbstverständlichkeit, mit der auf einem Markt überwiegend bezahlter Angebote ein kostenloses Produkt eingebracht wird, für Sie die Grenze der zumutbaren Aktivitäten von ARD und ZDF?
Döpfner bejaht.
Das ist ein erstaunlich komplexes Kriterium für eine „rote Linie“. Die Grenze besteht darin, dass es um einen Markt geht, in dem angeblich die Mehrheit der Anbieter Geld für etwas nimmt, das die „Tagesschau“ aufgrund ihrer Gebührenfinanzierung kostenlos anbieten kann. Natürlich hat das Angebot von tagesschau.de auch dann einen Wettbewerbsvorteil, wenn man es über einen Internet-Browser aufruft, weil es sich nicht durch Werbung finanzieren muss. Aber das Internet scheint Döpfner als Medium, in dem eine „Gratiskultur“ herrsche, ohnehin abgeschrieben zu haben. Auf Smartphones oder Tablets werde dagegen bezahlt, „für jedes Telefonat, jede SMS, MMS, für Apps“. Kostenlose Angebote wie das der „Tagesschau“ bedrohen nach dieser Logik die Bezahlkultur auf iPhone und iPad insgesamt und jedes einzelne kostenpflichtige Nachrichtenangebot.
Die Argumentation würde umgekehrt bedeuten, dass es tagesschau.de als kostenloses Angebot auch im Internet-Browser nicht geben dürfte, wenn es Döpfner und seinen Leuten gelungen wäre oder noch gelänge, eine umfassende Bezahlkultur im Internet zu etablieren, was vielleicht schon eine Ahnung davon vermittelt, wie wenig tragfähig diese Argumentation ist.
Schon eine einzige kostenlose App wie die der „Tagesschau“, suggeriert Döpfner, kann ein ganzes Geschäftsmodell zerstören. Aber wenn sich allein über den Preis solche erstaunlichen Nutzerzahlen erreichen lassen, ist das natürlich eine verführerische Nische auch für einen privaten Wettbewerber. In einer Welt voller kostenpflichtiger Apps kann es sich lohnen, der eine zu sein, der kostenlos ist und sich dank enormer Reichweite mit Werbung refinanzieren kann. Selbst wenn es Döpfner und seinen Mitstreitern gelänge, die „Tagesschau“ aus dem Wettbewerb im App-Store zu verbannen, wäre das ein erhebliches Risiko.
Schon vor eineinhalb Jahren hatte Döpfner die „Tagesschau“-App mit dem Verlust von „Tausenden Arbeitsplätzen in der Verlagsbranche“ in Verbindung gebracht. Er hat seine These seitdem eher noch weiter zugespitzt. Im Grunde scheint das Überleben des gesamten Qualitätsjournalismus jenseits öffentlich-rechtlicher Anstalten von der Finanzierung durch Apps abzuhängen: „Es geht schlicht um die Frage“, sagt er, „ob Qualitätsjournalismus als Geschäftsmodell noch Bestand haben wird.“ Auf Papier allein werde er sich nicht mehr finanzieren lassen, im Internet herrscht die angebliche Kostenloskultur, bleiben nur die Apps.
So wie er es schildert, ist es extrem schwierig, in Zukunft überhaupt noch guten Journalismus unter kommerziellen Bedingungen zu produzieren. Daraus schließt er, dass der Staat alles tun muss, um jedes potentielle Hindernis für die Verlage (die wohl synonym sind mit Produzenten hochwertiger journalistischer Inhalte) auszuräumen. Das hat natürlich eine gewisse Logik. Es hat aber auch einen großen Haken. Niemand, auch nicht Döpfner, kann garantieren, dass das Katastrophenszenario, das er beschreibt, nicht trotzdem eintritt, obwohl die „Tagesschau“ und ähnliche öffentlich-rechtliche Angebote verboten werden.
Es gäbe natürlich eine andere Antwort auf die Herausforderung, die Döpfner beschreibt. Wenn unklar ist, wie sich unter den Bedingungen der digitalen Welt überhaupt hochwertiger Journalismus finanzieren lässt und ob Verlage nicht womöglich massenhaft eingehen, obwohl die kostenlose „Tagesschau“-App verboten wurde, ist es aus gesellschaftlicher Sicht doch begrüßenswert, sich wenigstens darauf verlassen zu können, öffentlich-rechtliche Anbieter die Menschen gut informieren.
Döpfners Katastrophenszenario verschafft ARD und ZDF im Netz eine neue mögliche Legitimation, genau genommen die alte: durch verlässlich und von allen gemeinsam finanzierte Medien eine umfassende Grundversorgung sicherzustellen, selbst wenn die privaten Anbieter in schlechten Zeiten oder aus grundsätzlichen Problemen das nicht in befriedigendem Maße tun können. Aber das habe ich ja alles schon mal geschrieben.
Es ist bemerkenswert, in welchem Maß Döpfner die „rote Linie“, die ARD und ZDF keinesfalls überschreiten dürfen, davon abhängig macht, was private Unternehmen tun. Die Grenze soll davon abhängen, welche Refinanzierungsmodell die Mehrheit der Unternehmen in einem noch extrem jungen und beweglichen Markt wie dem der Nachrichten- und Medien-Apps wählt. Das Bundesverfassungsgericht, das mit seinen Rundfunkurteilen das Duale System in Deutschland maßgeblich gestaltet hat (weil die Politik es noch nie konnte oder wollte), hat die Rechte von ARD und ZDF aber immer aus sich selbst heraus definiert. Was Unternehmen, die sich mit journalistischen Inhalten unter kommerziellen Bedingungen auf einem Markt bewähren müssen, unter bestimmten Umständen zu leisten vermögen, war für das Gericht bislang ausdrücklich nicht entscheidend, weil es keine Gewähr dafür gab. Ich wüsste gerne, woher die Verlage den Optimismus nehmen, dass das Bundesverfassungsgericht in diesem Fall plötzlich anders urteilen sollte.
Döpfner und seine Mitstreiter sind nicht zu beneiden. Sie müssen argumentieren, dass es erst die App der „Tagesschau“ war, durch die die ARD eine endgültige Grenze überschritten hat, weil sie es versäumt haben, schon gegen das Internet-Angebot tagesschau.de vorzugehen. Dabei verstößt auch das ihrer Meinung nach gegen den Rundfunkstaatsvertrag, weil es nicht nur Videos, sondern auch Artikel enthält. (Nach Ansicht des FDP-Medienpolitikerclowns Burkhardt Müller-Sönksen handelt es sich deshalb um eine „Printausgabe“ der „Tagesschau“.)
Die Konzentration auf die Kostenlosigkeit der „Tagesschau“-App führt zu schmerzhaften Verrenkungen der Verleger. Springers Außenminister Christoph Keese sagt: „Im Supermarkt kann man für den Joghurt auch keinen Euro nehmen, wenn daneben kostenlose Ware steht.“ Dem ist gleich zweierlei zu erwidern: Erstens, natürlich kann man. Wenn der eigene Joghurt besser ist als das Gratis-Angebot oder auch nur einzigartig. Menschen bezahlen für Zeitungen, obwohl es vielfältige Möglichkeiten gibt, sich kostenlos zu informieren — weil sie die besondere Qualität von Zeitungen insgesamt oder ihrer Stammzeitung zu schätzen wissen. Und zweitens: Wenn Keese Recht hätte, könnte er seine Joghurtproduktion gleich dichtmachen. Es wird immer jemanden geben, der Nachrichten kostenlos im Netz oder auf Smartphones anbietet. Ich fürchte, ein Geschäftsmodell, das nur funktioniert, wenn alle Konkurrenten mitmachen und niemand andere Wege nutzt, den Joghurt zu finanzieren, ist kein Geschäftsmodell.
Die „Tagesschau“ ist nicht die einzige kostenlose Anwendung, die den kostenpflichtigen Verlagsangeboten im App-Store Konkurrenz macht. Auch der Fernsehsender n-tv bietet gratis eine, Müller-Sönksen würde sagen: dicke Printausgabe an. Nun ist es natürlich in vielerlei Hinsicht ein Unterschied, ob ein privatwirtschaftliches Unternehmen einen solchen Schritt geht oder eine durch „Zwangsgebühren“ finanzierte Anstalt. Aber wenn Döpfner und Keese mit ihrer Alles-oder-nichts-Argumentation Recht hätten, wäre das Ergebnis dasselbe: der Tod des Qualitätsjournalismus.
Ich weiß nicht, wie die Gerichte entscheiden werden. Aber ich bin mir sicher, die rote Linie, die Döpfner da auf den Boden gemalt hat, ist keine.
PS: Auf meinem iPad ist die angeblich kostenpflichtige „Welt HD“-App aus dem Hause Springer installiert. Das Abo ist angeblich „seit 28. Oktober 2010“ abgelaufen. Aber die App funktioniert. Ist das auch eine Form von Gratiskultur? Und versündige ich mich am Qualitätsjournalismus, wenn ich die App trotzdem benutze? (Zahlen würde ich dafür allerdings nicht.)