Autor: Stefan Niggemeier

Monica Lierhaus und der schöne Schein

Wenn die Dinge nicht gut laufen für Monica Lierhaus, wenn es Schwierigkeiten in ihrer Beziehung geben sollte oder Komplikationen bei ihrer Genesung, dann wird „Bild“ da sein. „Bild“ wird sich dann das Recht herausnehmen, die Öffentlichkeit auch an den Dingen teilhaben zu lassen, die die Moderatorin am liebsten für sich behalten würde. Und wenn Frau Lierhaus sich darüber dann beklagen sollte, dann wird sie sich vom Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer AG wohl als „Heuchlerin“ bezeichnen lassen müssen, als eine von denen, die „erst von der Plattform profitieren“ wollen und sich hinterher beschweren, „wenn’s mal unangenehm wird“.

Matthias Döpfner hat das Prinzip der „Bild“-Zeitung einmal so beschrieben:

„Wer mit ihr im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr im Aufzug nach unten. Diese Entscheidung muss jeder für sich selbst treffen.“

Monica Lierhaus hat diese Entscheidung für sich getroffen. Und der Springer-Verlag hat ihr dafür, dass sie zu ihm in den Fahrstuhl gestiegen ist, eine ganz besonders prächtige Plattform geschnitzt. Sie besteht nicht nur aus einer Goldenen Kamera und der zugehörigen Bühne. Sie besteht auch aus einer großen, sehr angestrengt sensiblen Titelgeschichte in der „Bild am Sonntag“, mehreren Titelgeschichten in der „Bild“-Zeitung und der Verklärung von Frau Lierhaus zur vielleicht besten Moderatorin aller Zeiten.

Das ist ein zugegeben kleines, aber bezeichnendes Detail in der ganzen Heuchelei: Warum genügt es nicht, Monica Lierhaus für ihre Lebensmut zu bewundern und zu feiern, für die Kraft, die es gekostet haben muss und noch kosten wird, die Folgen ihrer Erkrankung zu überwinden. Warum genügt es nicht, dass sie eine beliebte Moderatorin war und ist? Warum muss sie nachträglich die beste werden?

Stefan Hauck schreibt in „Bild am Sonntag“:

Wegen ihrer Art, sich vor der Kamera zu präsentieren, hat Monica Lierhaus, geboren 1970 in Hamburg, eine Menge Männer zunächst verrückt gemacht und gelegentlich auch ein bisschen garstig; aber die allermeisten Männer akzeptierten schließlich, dass dieser rothaarigen Frau praktisch nie ein Fehler unterlief. Egal ob sie mit Fußballern sprach, mit Radfahrern oder mit Wintersportlern.

Hauck ist offenbar der Grund, warum sich Monica Lierhaus und ihr Lebensgefährte die „Bild am Sonntag“ als das Medium ausgesucht haben, dem sie all das erzählten, was zwei Jahre lang niemand wissen sollte und schreiben durfte. Hauck begleitet das Wirken von Lierhaus schon seit Jahren mit freundlichen Texten und Interviews. Am vergangenen Sonntag machte er aus ihrem Leben einen Rosamunde-Pilcher-Roman.

Stefan Hauck kann auch anders. Vor fünfeinhalb Jahren richtete er einen damals ohnehin schon am Boden liegenden Fernsehmoderator publizistisch hin, nannte dessen Leben „erbärmlich“ und bedeutungslos, mokierte sich über die angeblich überschaubare „Summe seiner Begabungen“ und erweckte den Eindruck, dass der Mann es verdient hatte, einer Vergewaltigung angeklagt zu sein, selbst wenn er unschuldig sein sollte.

Haucks Charakterlosigkeit ist ein Grund, warum sein Lierhaus-Text so eklig ist. Die Charakterlosigkeit der Zeitungsgruppe, für die er arbeitet, ist ein anderer. Vor zwei Jahren ignorierte „Bild“ den ausdrücklichen Wunsch und das unbestrittene Recht von Lierhaus‘ Umfeld, Details ihrer Erkrankung geheim zu halten. Hauck verbirgt diese Tatsache in folgender Formulierung:

Man kann das jetzt ruhig ein bisschen ausführlicher erzählen, weil Monica Lierhaus seit fast zwei Jahren kein freiwilliges Wort darüber verlieren wollte, was in all der Zeit mit ihr und ihrem Leben geschehen ist.

Es ist mit der Konjunktion „weil“ und der verblüffenden Formulierung „kein freiwilliges Wort“ ein Satz, an der ganze Linguistik-Klassen ihre Freude haben können. Und Psychologen natürlich. Er verbindet den Hauch einer Andeutung, dass der Wille der Betroffenen bei so etwas in Haucks Kreisen nicht für entscheidend betrachtet wird, mit dem Stolz, trotzdem die Exklusiv-Geschichte bekommen zu haben.

„Bild“-Leute sind wie Tiere, die sich nicht selbst im Spiegel erkennen. Hauck schreibt:

Monica Lierhaus möchte [in Zukunft] ein Spiel im Stadion besuchen und sie hofft, dass sich die Fotografen dann auf die Spieler auf dem Rasen konzentrieren. Und nicht darauf, wie schnell sie, die Zuschauerin, die Stufen zu ihrem Platz hochsteigt.

Für welche Zeitungen mögen solche Fotografen arbeiten? Und wo mögen wohl die Artikel erscheinen, die interpretieren, wie schnell oder langsam, behende oder ungelenk, Frau Lierhaus inzwischen die Treppe hinaufsteigt?

Gut, womöglich ausnahmsweise nicht in „Bild am Sonntag“ und auch nicht in „Bild“, weil Frau Lierhaus jetzt eine besondere Freundin des Hauses ist und diese Zeitungen nicht undankbar sind, jedenfalls nicht, solange sich das lohnt.

Irgendwo stand, dass Lierhaus und ihr Lebensgefährte hoffen, dass sich dadurch, dass sie das Private der vergangenen zwei Jahre jetzt so spektakulär öffentlich gemacht haben, das Interesse des Publikums schnell wieder allein auf ihre Arbeit konzentrieren wird. Was für eine Illusion. In Zukunft wird sich jeder Boulevardreporter beim Blick in ihr Privatleben darauf berufen können, dass sie selbst die Tür dazu einmal weit aufgemacht hat.

· · ·

Monica Lierhaus hatte das Recht, Berichte über ihre Krankheit und ihre Genesung zu untersagen. Und sie hat das Recht, ihre Rückkehr in die Öffentlichkeit so spektakulär zu inszenieren, wie sie es möchte. Das ist nicht nur juristisch gemeint: Womöglich war es genau die Kombination der erzwungenen Stille vorher mit der maximalen Lautstärke jetzt, die ihr hilft, den Weg ins Leben und in den Beruf zurück zu finden — wer wollte darüber urteilen?

Und doch stellt sich bei aller Sympathie ein merkwürdiges, irrationales und etwas unfaires Gefühl ein: Die Erkennbarkeit einer Inszenierung, die Offenkundigkeit eines Deals mit Springer, die Berechnung, die hinter all dem steht, lässt den Zuschauer und Leser zu einem Teil des Plans werden, ebenso wie übrigens das Publikum im Saal. Das Erzwingen des Schweigens vorher wirkt im Nachhinein so nicht als Grundrecht, sondern fast als dramaturgischer Kniff, um den Überraschungseffekt beim Wiederauftritt auf der Bühne noch größer werden zu lassen.

Das ist kein gutes Gefühl.

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Und dann war da noch der öffentliche und womöglich unabgesprochene Heiratsantrag von Monica Lierhaus. Erstaunlicherweise scheint das für viele Beobachter der eigentlich grenzwertige Moment der Inszenierung gewesen zu sein — entweder aus dem Gefühl heraus, dass das einfach ein Zuviel der Emotionen für einen einzelnen Fernsehmoment gewesen sei, oder weil sowas nun wirklich nicht in die Öffentlichkeit gehöre.

Das begreife ich nicht. Eine Ehe ist doch nicht zuletzt ein äußeres Bekenntnis von zwei Menschen, zusammen zu gehören. Warum soll es ausgerechnet eine Grenzüberschreitung darstellen, das dazugehörige, leicht anachronistische Ritual öffentlich zu zelebrieren (noch dazu, da es seit vielen Jahren in diversen Varianten zum festen Repertoire und zur Folklore des Fernsehens gehört). Die Gefahr ist hier höchstens die, dass der Moment abgeschmackt erscheint – aber zu intim? Eine prominente Frau erscheint nach zwei Jahren wieder in der Öffentlichkeit, in vielerlei Hinsicht gezeichnet von einer schweren Krankheit, und die Zumutung soll sein, dass sie ihrem Freund einen Heiratsantrag macht?

Das „Hamburger Abendblatt“ hatte sogar die euphemistisch als originell zu bezeichnende Idee, sicherheitshalber bei Moritz Freiherr Knigge nachzufragen, ob so was überhaupt statthaft ist. Der antwortete (mutmaßlich allen Ernstes) auf die Frage, ob sich Lierhaus den Antrag hätte verkneifen sollen:

Nein. Ein Heiratsantrag ist zwar etwas sehr Intimes, ebenso wie eine schwere Krankheit.

Das ist unglücklich formuliert. Knigge fügt hinzu:

Doch Monica Lierhaus ist nicht nur eine öffentliche Person, sondern eine sehr beliebte und respektierte obendrein.

Sehr beliebte und respektierte Personen können also ruhig öffentliche Heiratsanträge machen. Sie können sogar — möchte man angesichts der Parallele, die Knigge aufgemacht hat, hinzufügen — trotz erkennbarer Behinderung im Fernsehen auftreten, ohne dass es die Zuschauer zu sehr stört.

Vielleicht stürzt sich ein Teil der öffentlichen Diskussion auch deshalb auf die Frage nach der Zulässigkeit des Heiratsantrages, weil die andere Frage so viel unbequemer wäre: Wie behindert darf jemand sein, der im Fernsehen als Moderator arbeiten will?

Am Dienstag machte „Bild“ groß mit der Meldung auf, dass Monica Lierhaus jetzt „Ein Platz an der Sonne“ „macht“. „Botschafterin“ der ARD-Fernsehlotterie soll sie werden, Nachfolgerin von Frank Elstner. Später stellte die ARD dann klar, dass sie die Sendung nicht moderieren wird, das mache vorerst weiterhin Elstner. Was genau Lierhaus tun werde, stehe noch nicht fest. So sehr eine schwer sprechende, sich mühsam bewegende Monica Lierhaus die Menschen bewegte, so schwer wird sie dem Publikum im Alltag zu vermitteln sein — ich fürchte, die Frage, wann sie fit genug ist, wieder als Moderatorin zu arbeiten, hängt nicht nur von ihrem eigenen Urteil ab.

Als Behinderte darf Monica Lierhaus Fernsehbotschafterin für Behinderte werden. Das ist schön für sie. Und schrecklich typisch.

Es gibt eine Moderatorin mit sichtbarer Behinderung im deutschen Fernsehen: Bettina Eistel. Die Contergan-geschädigte Reiterin moderiert die wöchentliche Sendung „Menschen — das Magazin“ über die sozialen Projekte, die die ZDF-Fernsehlotterie unterstützt. Für die Redaktion sind ihre „Professionalität und Ausstrahlung die entscheidenden Kriterien für ihren Einsatz als Moderatorin — und nicht die Behinderung“, heißt es auf der Homepage der Sendung. Tatsächlich ist Eistel einfach eine gute Moderatorin. Aber die Frage ist: Warum gibt es keine andere Sendung, die sich allein auf die Kriterien Professionalität und Ausstrahlung verlässt? Warum ist für alle Sendungen außer denen, in dem es auch um Behinderte geht, Nicht-Behinderung ein entscheidendes Kriterium? Würden die Zuschauer, würden wir das nicht aushalten?

Wenn es beim Comeback von Monica Lierhaus nicht nur um Monica Lierhaus und das gute oder nicht so gute Gefühl gehen soll, das wir dabei haben, wäre das ein Thema, über das es sich lohnte zu diskutieren.

Aber möglichst ohne Ernst Elitz. Der Mann, der sich immer als „Gründungsintendant des Deutschlandradios“ bezeichnen lässt und zum „Bild“-Leitartikler geworden ist, behauptet heute in der „Frankfurter Rundschau“:

Lierhaus hat am Ort des schönen Scheins die Wahrheit verkündet: Wer von Krankheit gezeichnet ist, muss kein Verlierer sein.

Nein. Genau das ist der schöne Schein.

(Vermutlich bin ich heute abend auch im NDR-Medienmagazin „Zapp“ mit einigen Sätzen zu dem Thema zu sehen.)

Stranger In The Night

Vielleicht können Sie mir kurz helfen.

Gerade lief die erste Vorentscheidsshow zum Grand Prix, und es gab einen Song für Lena, der cool war: „Taken By A Stranger“.

Der Beat, die Drums, das alles erinnert mich frappierend an:

Tja. Ich komm nicht drauf. Das Stück hat natürlich Ankläge an „Maneater“ und „Tainted Love“, aber das meine ich nicht.

Eh ich wahnsinnig werde (oder meine Umgebung mache): Ideen, anyone?

(Inhaltliche Diskussionen über die Sendung und die Klugheit der Idee, Lena noch einmal antreten zu lassen, bitte nicht hier, sondern hier.)

Wie die Print-Lobby Kinder indoktriniert

Die Bayerische Staatskanzlei hat im Herbst mit einem Pilotprojekt begonnen, das Grundschülern Medienkompetenz beibringen soll: Sie machen einen „Medienführerschein“, den sie in Form einer Urkunde ausgehändigt bekommen.

In der Unterrichtseinheit „Schau genau hin!“ für die dritte und vierte Klasse sollen die Kinder lernen, Nachrichtenwege zu erkennen und zu bewerten. Sie tun das anhand eines Überfalls, bei dem ein Junge auf Rollschuhen einer Frau die Handtasche entreißt. Leon, der kleine Löwe, erforscht mit den Schülern dann, auf welchen Wegen es die Nachricht in die Zeitung und ins Internet schafft. Und mit welchem Ergebnis:

Bernd, der blöde Blogger, hat ungefähr alle Fakten falsch verstanden. Das ist kein Wunder, denn im Internet werden ja, anders als bei der Zeitung, die Informationen vor der Veröffentlichung nicht überprüft. Oder wie es im Begleitmaterial für die Lehrer heißt:

Die Kinder sortieren die einzelnen Schritte der vorgeschlagenen Nachrichtenwege. Danach vergleichen sie: Einmal sind es drei, einmal vier Schritte. Welcher Schritt fehlt bei dem Nachrichtenweg ins Internet im Vergleich zum Weg in die Zeitung? Antwort: Es ist die Überprüfung der Information. Der Journalist hat bei der Polizei nachgefragt, die Fakten gesammelt und erst dann veröffentlicht.

(…)

Beim Blog-Text werden die Informationen ungeprüft ins Netz gestellt. Vielleicht hat Bernd einiges missverstanden oder erinnert sich nicht mehr genau. Fakt aber ist, dass seine Informationen nicht geprüft sind. An dieser Stelle bietet sich auch der Vergleich zu dem Spiel „Stille Post“ an. Auch da gehen Informationen auf dem Weg der Übermittlung verloren. Natürlich können auch Journalisten etwas falsch verstehen. Deshalb können in einer Zeitung ebenfalls fehlerhafte Informationen stehen. Sollte dies vorkommen, werden dort in der Regel aber Falschmeldungen korrigiert.

Am Ende der Unterrichtseinheit können die Kinder bei einem „Quiz für Medienprofis“ zeigen, was sie gelernt haben:

Unter dem Vorwand einer guten Sache, nämlich Kinder dafür zu sensibilisieren, dass nicht jeder Information zu trauen ist und dass Quellen unterschiedlich vertrauenswürdig sind, erzählt der bayerische „Medienführerschein“ ihnen das Märchen von der Überlegenheit gedruckter Nachricht. Es geht nicht nur um den Kontrast professionell ersteller journalistischer Informationen zu privaten Blogs — eine zumindest theoretisch sinnvolle Gegenüberstellung (auch wenn mit spontan gleich mehrere vermeintlich professionelle Medien einfallen, denen ich im Zweifel weniger Glauben schenken würde als einem unbekannten Blog). Die Unterrichtsmaterialen mischen das konsequent mit dem behaupteten qualitativen Unterschied zwischen Print und Online.

Die Rede ist immer wieder vom Nachrichtenweg „in die Zeitung“ im Gegensatz zum Nachrichtenweg „ins Internet“. Auch am Papier soll man also erkennen können, wie vertrauenswürdig eine Information ist. Und mit der anzukreuzenden Aussage „Jeder kann im Internet schreiben, was er will“ wird die Mär vom Internet als rechtsfreier Raum schon Drittklässlern vermittelt.

Wobei nicht alles, was online steht, schlecht sein muss. Das Begleitmaterial behauptet:

Informationsseiten von Zeitungen oder Sendeanstalten unterliegen dem Presserecht (Sorgfaltspflicht der Presse) und sind daher in der Regel geprüft.

Vielleicht könnte man die Kinder im Rahmen des „Medienführerscheins“ einmal suchen lassen nach den Korrekturen, mit denen Journalisten, wenn sie etwas falsch verstanden haben, ihre Fehler „in der Regel“ richtigstellen. Oder Leute fragen, die versucht haben, eine solche Korrektur durchzusetzen. Vielleicht ist das aber auch erst etwas für die fünfte oder sechste Klasse.

„Schau genau hin!“ heißt die Lerneinheit. Zu ihren ehrenwerten Zielen gehört es, dass die Kinder (jedenfalls im Internet) auf den Urheber einer Nachricht achten sollen, um die Glaubwürdigkeit von Informationen bewerten zu können. „Firmen verfolgen eigene Interessen“, warnt das Begleitmaterial, „und werden vor allem sich selbst oder ihre Produkte ins rechte Licht rücken.“

In der Tat. Herausgeber der Unterrichtseinheit ist übrigens zufällig der Verband Bayerischer Zeitungsverleger (VBZV). Ich hoffe, Kinder und Lehrer schauen genau hin, entdecken dessen kleines Logo auf der Titelseite und denken sich ihren Teil, was von dieser Printpropaganda zu halten ist.

[via Ulrich Fries und seine Eck.Dose]

Nachtrag, 2. Februar. Gunnar Sohn hat erfolglos versucht, eine Stellungnahme der Bayerischen Staatsregierung zu bekommen, hörte aber nur vom Verlegerverband:

Um 17,30 Uhr rief mich der VBZV-Geschäftsführer Dr. Markus Rick an. Die Printlastigkeit der Broschüre könne nicht überraschen, da ja der VBZV der Herausgeber sei. Das ist nachvollziehbar. Da das Projekt aber modular aufgebaut sei, würden auch die anderen Medienformate nicht zu kurz kommen. Die Staatskanzlei hatte die Initiative für einen Medienführerschein wegen mehrerer Vorkommnisse gestartet. Dazu zählt auch der Amoklauf von Winnenden. Hier sah die Landesregierung politischen Handlungsbedarf. Mittlerweile lägen Erfahrungen mit dem Medienführerschein in 30 Pilotschulen vor und man werde das Projekt auf freiwilliger Basis ausweiten. Steuergelder wurden dafür nach Angaben von Rick nicht in Anspruch genommen. Das wird über die Zeitungsverlage finanziert. Das Printmodul sei dem Kultusministerium vorgelegt und geprüft worden. Es würde den Lehrplänen der dritten und vierten Klasse entsprechen. Die Darstellung der Bloggerwelt hält Rick für eine pointierte Verkürzung. Als zentrale Botschaft soll vermittelt werden, dass es sich bei der Zeitung um ein geprüftes Produkt handeln würde.

Das Dschungelcamp und das Sich-Ekel-Fernsehen von „Spiegel-TV“

Es ist immer wieder ein Kulturschock, wenn im RTL-Programm „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“ an das Magazin von Spiegel-TV stößt. Auf der einen Seite diese läppische Sendung mit ihren albernen Witzen und schlechten Kalauern, die fast nur von Häme lebt. Und auf der anderen Seite das Dschungelcamp.

Dabei haben sich die Spiegel-TV-Leute viel Mühe gegeben in den vergangenen beiden Wochen, von der Aufmerksamkeit für die Dschungelshow zu profitieren. Sie haben einen Bericht gemacht über Rainer Langhans und einen über „Promis in der Schuldenfalle“. Sie haben berichtet über den „Dschungel unter deutschen Dächern“, über „Neues aus der Ekel-Forschung“ und, natürlich, über Hitler. Hitler war nämlich, genau wie Sarah Dingens im Camp, Vegetarier! „Die vegetarische Fangemeinde lässt es gern unter den Tisch fallen, doch es ist wahr: Adolf Hitler aß zu Lebzeiten kaum Fleisch.“

Und nun das Finale. Keine Werbepause, kein Sponsor, unmittelbar nach der letzten Szene aus dem australischen Dschungel wird die Temperatur auf Frösteln heruntergedreht:

Maria Gresz steht da und sagt:

„Jetzt ist es also soweit: Des Deutschen liebstes Hassobjekt ist am Ende und seine Hauptdarsteller irgendwie auch. Ab morgen können wir nur hoffen, dass im Kanzlercamp wieder die Post abgeht. Dass Angela mit Guido rumknutscht. Dass Claudia rot sieht und ausplaudert, dass die Regierungsarbeit nur Show ist und dass die Abgeordneten nur mitspielen, weil sie dafür Geld vom Privaternsehen bekommne. Ich weiß, das wird nicht passieren. Wär aber lustig. Derartige Unterhaltung gibt es eben nur im Dschungel. Dort wo die Zivilisation freiwillig ihre Hüllen fallen ließ und damit Millionen Zuschauer zu glücklichen Voyeuren machte.“

In zwei Wochen im Dschungel wird den Kandidaten, den Tieren und der Menschenwürde nicht so viel Gewalt angetan wie der deutschen Sprache in einer einzigen Spiegel-TV-Anmoderation. Wer danach nicht sofort abschaltet, steckt sofort knietief in einem Metaphernschlammbad, gefüllt mit gammeligen Teekesselchen. „Die vermeintliche Machtausübung“ der abstimmenden Zuschauer, sagt der Sprecher, „sorgt für besonderes Kribbeln – auch am Körper des Altkommunarden Rainer Langhans.“ Das Bild dazu:

Später heißt es: „Ehemalige Camp-Bewohner können ein Lied davon singen“ – bitte schön: Werner Böhm tut es.

Spiegel-TV-Leute leiden unter einer schlimmen Synonymzwangsstörung. Über Rainer Langhans darf nicht berichtet werden, ohne ihn mindestens einmal den „Apo-Opa“ zu nennen. Mit der Alternative „Gleichmut-Guru“ gibt es später noch Alliterations-Bonuspunkte. Und überhaupt, was ist der Dschungel? „Das Guantanamo der Z-Prominenz.“

Auf den ersten Blick ungewöhnlich ist es, dass Spiegel-TV ausgerechnet das Berliner Rumpelblatt „B.Z.“ als Beleg dafür zeigt, dass „das deutsche Feuilleton – ganz im Geiste Brechts – eine reflektorische Metaebene beim Miteinander von Mensch und Made“ entdeckt habe. Vermutlich bringt aber der Autor des entsprechenden Beitrags selbst die fehlende behauptete Fallhöhe mit:

Ross Antony, der die Show vor drei Jahren gewann und dabei auf sympathisch-schockierend-lustige Weise seine eigenen Phobien überwand, wird im Spiegel-TV-Deutsch zum „bekennenden Homosexuellen“, der „etwas Gutes für seine Community tun wollte“.

Und fast jeder Satz trieft von Herablassung. Es ist Sich-Ekel-Fernsehen bis hin zur Anmaßung, den Teilnehmern pauschal „verunglückte Lebensentwürfe“ zu unterstellen. Dann ist der Dschungelbeitrag vorbei (oder wie Spiegel-TV sagen würde: am Ende), und die Moderatorin leitet wie folgt zum nächsten Thema über:

„Es soll in dieser Welt noch Menschen geben, die weniger scharf auf Kameras sind. Waffenhändler zum Beispiel.“

Den Beitrag auf spiegel.de ansehen

Im Internet das Gute im Fernsehen finden

Gestern sind die Nominierungen für den den Grimme-Preis 2011 bekanntgegeben worden. Das ist eine gute Gelegenheit, für die Seite tittelbach.tv zu werben.

Rainer Tittelbach ist freier Journalist und TV-Kritiker. Er schreibt über Fernsehfilme und Krimi-Reihen und sieht sie im Zweifelsfall alle. Auf seiner Internetseite, die er seit Herbst 2009 betreibt, sammelt er nicht einfach nur seine Texte. Er verlinkt und sortiert, er empfiehlt und analysiert, es ist eine gewaltige Datenbank, eine ideale Kombination aus Service und Feuilleton.

Zum Beispiel jetzt zu Grimme. Ich wüsste nicht, an welcher Stelle man so umfassend, zugänglich und zuverlässig informiert würde über die nominierten Filme wie hier. Tittelbach analysiert kurz die Entscheidung und nennt seine eigenen Favoriten. Er hat zu jedem nominierten Film eine Kurzkritik verfasst, die zur Langfassung verlinkt. Dort finden sich, wie zu jedem der Hunderte besprochenen Filme, Inhaltsangabe und Kritik, ein Urteil in Form von bis zu sechs Sternen, Angaben zu Besetzung und Stab, Sendetermin, Einschaltquote, manchmal Verweise auf YouTube-Clips. Hinter vielen Namen in der Übersicht liegen Links zu Interviews und Portraits.

Als Bonusmaterial sammelt Tittelbach Informationen zu Soundtracks in Fernsehfilmen. Man kann sich die Filme eines Tages anzeigen lassen und in den besten Premieren und Wiederholungen der nächsten Tage stöbern.

Rainer Tittelbach sucht und findet (anders als ich) das Gute und Wertvolle im Fernsehen. Er schreibt über das Selbstverständnis seiner Seite:

Die Spitzenproduktionen innerhalb des Fernsehfilms und TV-Reihen wie „Tatort“, „Bloch“ oder „Bella Block“ sind im internationalen Vergleich seit Jahren Weltspitze.

In den Medien aber fristen diese oft außergewöhnlichen Filme ein Schattendasein. Mit der Medienkrise schrumpfen die Fernsehseiten vieler Tageszeitungen, Agenturen übernehmen die Rolle der TV-Kritik. Das Zufallsprinzip und der Zwang zum Populären bestimmen die Auswahl der Themen. (…)

tittelbach.tv richtet sich an Zuschauer, die gute Fernsehfilme zu schätzen wissen und sich auf einen „Tatort“ genau so freuen können wie auf einen gelobten Kinofilm. Auf der Seite befinden sich pro Monat bis zu 100 Vorbesprechungen von TV-Premieren und sehenswerten Wiederholungen — kompetent, knapp, klar, vorurteilsfrei, vergleichend, verlässlich, bei einem Vorlauf von zwei bis drei Wochen. Die so entstehende Fernsehfilm-Datenbank wird nach und nach aufgestockt um einige Kritiken der besten Fernsehfilme der letzten zehn Jahre.

Schwer zu glauben, dass ein einziger Journalist all das stemmt. Es imponiert mir, wie konsequent er die Möglichkeiten des Mediums Internet nutzt. Eine „hochwertige, systematische Fernsehfilmkritik-Datenbank“ soll tittelbach.tv werden, und Rainer Tittelbach hofft natürlich, dass sich damit einmal auch Geld verdienen lässt. Vom Print-Journalismus verspricht er sich nicht mehr viel.

Ich wünsche ihm, dass tittelbach.tv sein Publikum findet. Nur über die fünfeinhalb Sterne für die ZDF-Klimakterium-Klamotte „Klimawechsel“ müssten wir vielleicht nochmal reden.

Langsam brauche ich ein Meta-Maß

Vorsicht Hyperselbstreferentialität. In diesem Eintrag schreibe ich darüber, was „Welt Online“ darüber schreibt, was ich darüber geschrieben habe, was „Welt Online“ über das RTL-Dschungelcamp schreibt. Wenn Sie jetzt schon Kopfschmerzen haben, lesen Sie bitte nicht weiter.
 

Jedenfalls steht auf „Welt Online“, dass die RTL-Show „Ich bin ein Star — holt mich hier raus“ „auf verschiedenen Ebenen den Zustand von Fernsehen und Gesellschaft“ zeigt. Der Artikel nennt zehn Stichpunkte, „was man deshalb wissen sollte“. Einer davon heißt „MEDIENKRITIK“:

Der Blogger und Medienjournalist Stefan Niggemeier wirft vielen Medien Heuchelei vor. Was er meint? „Die Doppelmoral, sich über die Ekligkeit der Show zu empören und gleichzeitig möglichst stark von ihr profitieren zu wollen“. Für viel Geld produziere der Privatsender RTL eine Show und alle betreiben „Zweitverwertung“, schrieb Niggemeier in seinem Blog. Genervt ist er von der „Inflation der Fernsehsendungsnacherzählung“ und sogenannten Besinnungsaufsätzen, die scheinbar humorvoll Distanz suggerieren.

Die Information, wen ich damit konkret gemeint habe, wollte „Welt Online“ seinen Lesern wohl nicht zumuten.

Nachtrag/Korrektur, 16:15 Uhr. Der „Welt Online“-Artikel ist eine dpa-Meldung. Das macht, zugegeben, meine Pointe ein bisschen kaputt.