Autor: Stefan Niggemeier

Dieter Nuhr

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Vielleicht funktioniert Dieter Nuhr auf RTL so gut, weil die Zuschauer ihn für ein neues Modell von Oliver Geißen halten, in dem der Kumpel-Simulator gegen einen dezenten Intelligenz-Ausstrahler ausgetauscht wurde. Er hat eine ähnliche Art, unterwältigt zu wirken von dem, was er da macht. Das wäre ein angenehmer Kontrast zu den Schreylhälsen, die das Medium sonst dominieren, würde nicht dieser leere Blick, diese monotone Stimme, dieses ganze körperliche Beiläufigkeit regelmäßig einen Ausschaltreflex bei mir auslösen, in der Fernbedienung, manchmal im Gehirn.

Dieter Nuhr hat es geschafft, die Welten des Kabaretts und des Klamauks miteinander zu versöhnen: Er wirkt — wenn man es schafft, die Augen offen zu halten — wie ein Komiker, nur klüger, oder ein Kabarettist, nur lustiger. In dieser Woche hatte er passenderweise zwei Premieren: Auf RTL moderiert er die Show „Typisch Frau – typisch Mann“, die tatsächlich noch egaler ist als ihm. (Eigentlich müsste man klagen, wie schlimm sie zusammengeschnitten war, andererseits möchte man sich die nicht-zusammengeschnittene Version nicht vorstellen.)

Und im Ersten ist er der neue Gastgeber im doppelt irreführend benannten „Satire Gipfel“, einer Sendung, in der Matze Knop auftritt und grundlos erzählt, dass bei der Nationalmannschaft Kondome fehlen, weil Philip Lahm sie als Schlafsack benutzt. Nuhr versuchte immerhin, zwischen viel routinierter Langeweile, einen interessanten Spagat: Er machte sich über die Reflexe des klassischen Kabaretts und seines Publikums lustig. „Kunstjammern“ nannte er das und sagte, nicht offenkundig ironisch: „Wir haben die positive Weltsicht den Geisteskranken und volkstümlichen Musikanten überlassen.“

Nuhr hatte eine Botschaft, aber eine andere, als das Studiopublikum hören wollte. „Natürlich gibt es immer Alternativen“, sagte er. „Rette ich die Banken? Oder sollte man von dem Geld nicht lieber Kindergärten bauen?“ Demonstrativer Endlich-sagt’s-mal-einer-Applaus. Nuhrs Argumentation ging aber weiter: „Das Problem ist: Ohne Euro gäb’s auch keine Kindergärten mehr.“ Die Bankenrettung sei tatsächlich „alternativlos“ gewesen. „Aber man kann doch trotzdem darüber empört sein!“ Beim rituellen Beschimpfen der Politiker gehe es nur darum, sich gut zu fühlen.

Das wäre fast entlarvend gewesen. Wenn es jemand bemerkt hätte.

Wider die sprachliche Kleingärtnerei!

Es lässt sich viel gegen den Verein Deutsche Sprache und seine Aktivitäten sagen, und zum Glück tut der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch das in seinem Sprachlog regelmäßig. In den Mitteilungen des Vereins, dessen Mitglieder er liebevoll „Dortmunder Sprachnarren“ oder „sprachliche Kleingärtner“ nennt, findet er statt Sprachpflege immer nur „Sprachnörgeleien, die in ihrer humorbefreiten Blödhaftigkeit zum Verzweifeln sind“. Das Niveau der Diskussionsbeiträge des VDS wird ganz gut durch die ältere Äußerung ihres Vorsitzenden Walter Krämer markiert, Deutsch verkomme zur „Schimpansensprache“.

Ende vergangenen Jahres fand der Verein einen passenden Medienpartner für seine langjährige Forderung, die deutsche Sprache ins Grundgesetz aufzunehmen: die „Bild“-Zeitung. Die machte daraus eine irre Petition, die groben Unfug mit billigen Ressentiments verband, etwa:

Ich will keine Politiker, die sich in Parteiprogrammen für mehr „street worker“, für „gender mainstreaming“ oder „social networks“ einsetzen.

UND: Ich will keine Zuwandererfamilien, die sich bis in die dritte Generation weigern, die Sprache des Landes korrekt zu lernen, in dem sie leben!

Es fanden sich anscheinend 46.000 Menschen, die das unterschrieben; bei einer Online-Petition kamen noch ein paar Tausend hinzu.

Anatol Stefanowitsch nimmt das zum Anlass, eine Gegenaktion zu starten. Er argumentiert:

  • Es besteht keine Notwendigkeit einer Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz. Das Deutsche ist im Bund und in allen Bundesländern Amtssprache und es ist unzweifelhaft die Hauptsprache des öffentlichen Lebens.
  • Da keine Notwendigkeit zu einer Aufnahme ins Grundgesetz besteht, wäre eine solche ein rein symbolischer Akt, dessen Symbolgehalt nur die Ausgrenzung von sprachlicher und kultureller Vielfalt sein kann.
  • Eine Aufnahme in das Grundgesetz könnte unvorhersehbare sprachpolitische Konsequenzen nach sich ziehen; es ist anzunehmen, dass die Sprachpuristen auf dieser Grundlage eine Verfassungsklage nach der anderen einreichen würden — gegen Englisch in Werbung, Bildung, Wissenschaft, Wirtschaft, gegen Migrantensprachen auf Schulhöfen, vielleicht sogar gegen Minderheitensprachen wie das Friesische und Sorbische.

Er lädt „alle Menschen, denen kulturelle und sprachliche Vielfalt am Herzen liegt und die der deutschen Sprache zutrauen, ihr Ausdrucksstärke und Schönheit auch im Miteinander mit anderen Sprachen weiterhin ohne grundgesetzliche Hilfe zu entfalten,“ dazu ein, diese Petition zu zeichnen.

Ich schließe mich dem gerne an.

Nachtrag, 27. Januar. Stefanowitsch antwortet auf Kritik an seiner Initiative: Warum die Petition „Keine Aufnahme der deutschen Spache ins Grundgesetz“ sinnvoll ist“

Medienaufsicht gesucht

Ein Zuschauer hat sich formell über eine Folge der RTL-Show „Schwiegertochter gesucht“ beschwert. Er findet, dass die partnersuchenden Kandidaten in einer Art als Volltrottel präsentiert würden, die nicht mehr akzeptabel sei.

Der Anwalt Udo Vetter dokumentiert in seinem Blog Auszüge der Antwort, die der Zuschauer von der Programmreferentin der zuständigen Niedersächsischen Landesmedienanstalt bekommen hat und die ihn fragen lässt, wie ernst die NLM ihren Job nimmt. (Udo Vetter hat offensichtlich nicht so viel mit Landesmedienanstalten zu tun, sonst würde er sich das längst nicht mehr fragen.)

Die NLM teilte dem Zuschauer mit, sie habe „die Sendung und die von Ihnen angesprochenen Szenen gesichtet und vorab bewertet“ und keinen „Anfangsverdacht für einen Verstoß gegen die Bestimmungen des Staatsvertrages über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien“ feststellen können.

Drei Monate ließ sich die NLM Zeit mit dieser Antwort. Udo Vetter vermutet, dass das womöglich daran lag, dass sie „erkennbar an originellen Formulierungen feilte“. Das kann man ausschließen.

Die originellen Formulierungen stammen aus einem „Welt Online“-Artikel.

 

NLM, 14.12.2010 „Welt Online“, 8.10.2010
Die Sendung „Schwiegertochter gesucht“ steht für Partnervermittlung à la RTL. Partnervermittlung, à la RTL.
Moderatorin Vera Int-Veen versucht hier für allein stehende Männer das große Liebesglück zu finden. Und deren Mütter wünschen sich nicht nur einen glücklich verliebten Sohn, sondern auch, dass dieser endlich zu Hause auszieht. Vera-Int Veen versucht für alleinstehende Männer das große Liebesglück zu finden. Und die Mütter der Jungs wünschen sich nicht nur einen glücklich verliebten Sohn, sondern auch, dass dieser endlich zu Hause auszieht.
Nach drei Staffeln jedoch, so scheint es, ist das Reservoir an vorzeigefähigen Junggesellen, die noch zu Hause wohnen, nahezu erschöpft. Nach drei Staffeln jedoch, so scheint es, ist das Reservoir an vorzeigefähigen Junggesellen, die noch zu Hause bei Mutti wohnen, nahezu erschöpft.
Die auch als die „Mutter Theresa“ apostrophierte Int-Veen muss also in der aktuellen Staffel arg benachteiligte männliche „Restposten“ an die Frau bringen. Die Mutter Teresa unter den privaten TV-Sendern hilft sogar schwer verbeulten Töpfen bei der Suche nach einem passenden Deckel. (…) Das fragen sich besorgte Zuschauer, seit RTL im September wieder neue Restposten auf den Markt gebracht hat, um im Jargon der Branche zu bleiben.
Zum Angebot gehört dabei unter anderem auch der von Ihnen angesprochene schüchterne „Kratzbild-Fan“ Peer, dessen unfreiwillig komische Kuppelmanöver ein Millionenpublikum verfolgte. Am vergangenen Sonntag verfolgten insgesamt 4,84 Millionen Zuschauer die unfreiwillig komischen Kuppelmanöver
In medienrechtlicher Hinsicht ist dabei zu beachten, dass in der Sendung zwar eine gewisse Zurschaustellung von Menschen mit körperlichem und seelischem Handicap nicht von der Hand zu weisen ist, dass aber auf Grund der Dramaturgie und Inszenierung der Sendung keine Lächerlichmachung bzw. Diffamierung der Protagonisten mit denunziatorischer Absicht erkennbar ist. Um seinen überdurchschnittlichen Marktanteil von 20,9 Prozent zu halten, ist dem Sender offenbar beinahe jedes Mittel recht — sogar die Zurschaustellung von Menschen mit körperlichem und seelischem Handicap.
Dass die gezeigten männlichen Kandidaten vielleicht etwas beschränkt oder schüchtern wirken heißt ja nicht, dass sie geistig behindert sind. Sie sind auch nicht etwa entmündigt, sondern es ist davon auszugehen, dass sie sehr genau wissen, was sie tun und dass sie die Show als große (und vielleicht einzige) Chance auf eine Beziehung sehen. RTL-Sprecherin Anke Eickmeyer kann die Empörung nicht nachvollziehen. In einer schriftlichen Antwort auf eine Anfrage von WELT ONLINE heißt es: „Alle Kandidaten wissen sehr genau, was sie da tun und sehen die Show als große Chance auf eine Beziehung.“

Dass diese Männer vielleicht etwas unbeholfen oder schüchtern seien, heiße nicht, dass sie geistig behindert seien.

Das letzte Beispiel ist besonders bemerkenswert, weil die NLM sich hier Argumentation und Formulierung des Senders zu eigen macht, den sie (theoretisch) beaufsichtigt.

Nun wäre es ungerecht, der NLM-Programmreferentin vorzuwerfen, sie habe ihre ganze Antwort bei „Welt Online“ abgeschrieben. Manche Formulierungen scheint sie auch woanders abgeschrieben zu haben:

 

NLM, 14.12.2010 tv blog, 30.3.2010
Es sind Kandidaten mit vielerlei Marotten, die man sich wohl angewöhnt, wenn man es mit „Mutti“ über die übliche Halbwertzeit eines solchen Arrangements hinaus ausgehalten hat. „Schwiegertochter gesucht“ wird auch in der neuen Staffel wieder etliche Junggesellen präsentieren, die es bislang noch der Bequemlichkeit halber in der mütterlichen Wohngemeinschaft weit über die übliche Halbwertzeit eines solchen Arrangements ausgehalten haben. Dazu werden Kandidatinnen für die Jungs gesucht, die sich mit den alteingesessenen Marotten und oftmals überprotektiven Müttern konfrontiert sehen.

Die zuständige Programmreferentin hat Udo Vetter die Veröffentlichung ihrer Antwort untersagt. Ich kann das gut verstehen.

[via Kommentar bei Udo Vetter]

Im Dschungel des Leistungsschutzrechtes

Die Logik klingt spontan einleuchtend: Man darf nicht sich einfach an fremden Inhalten bedienen, um daraus ein eigenes Geschäft machen.

Das ist ein Argument der Verlage im Kampf für ein Leistungsschutzrecht, und es ist ein besonders wichtiges, weil es in der komplexen Materie ungewöhnlich anschaulich und überzeugend ist. Es richtet sich vor allem gegen Suchmaschinenbetreiber wie Google und liest sich zum Beispiel in den Worten von Hubert Burda, dem Präsidenten des Verbandes der Zeitschriftenverleger, so:

Suchmaschinen, aber auch Provider und andere Anbieter profitieren überproportional von unseren teuer erstellten Inhalten. Doch wer die Leistung anderer kommerziell nutzt, muss dafür bezahlen. Dieses ökonomische Grundprinzip muss auch im digitalen Zeitalter mit seiner „Link-Ökonomie“ gelten. Sonst sehen wir der schleichenden Enteignung der Inhalte-Produzenten tatenlos zu.

Es gibt vermutlich kaum eine Branche, in der so systematisch gegen dieses vermeintliche „ökonomische Grundprinzip“ verstoßen wird, wie die Medienbranche. Zeitungen und Zeitschriften leben zu einem erheblichen Teil davon, die Leistungen anderer kommerziell zu nutzen. Allein das Feuilleton! Es lebt davon, über Filme zu schreiben, die jemand anders gedreht hat, über Bücher, die jemand anders verfasst hat, über Gerichte, die jemand anders gekocht hat.

Nun kann man natürlich erwidern: Journalismus ist eine Dienstleistung für den Leser, ihn zum Beispiel über die gerade anlaufenden Kinofilme und ihre Qualität zu informieren — und letztlich profitieren doch die Filmproduzenten davon! Aber auch Suchmaschinen erbringen eine Dienstleistung für ihre Nutzer, und auch von ihr profitieren letztlich die Inhalteproduzenten, die dadurch ein größeres Publikum finden.

Man könnte auch erwidern: Journalismus schafft auf der Grundlage dessen, was jemand anders gemacht hat, etwas Neues. Aber auch das gilt für Suchmaschinen, nur dass der Schöpfungsprozess technologisch ist und nicht kreativ.

„‚Dein Inhalt, mein Geschäftsmodell‘ — diese Devise ist nicht akzeptabel“, formuliert der FDP-Bundestagsabgeordnete Stephan Thomae. Das ist auch so ein Satz, den man spontan unterschreiben möchte, obwohl er womöglich gar nicht stimmt. Jedenfalls gilt er offenkundig nicht für die ehrwürdigen Verlage, die der Satz argumentativ unterstützen soll.

Das wird in diesen Tagen ganz besonders deutlich anhand der Inhalte, die der Privatsender RTL für viel Geld im australischen Dschungel produziert. Aus diesem fremden Inhalt und dem gewaltigen öffentlichen Interesse daran versuchen die Online-Angebote der Zeitschriften und Zeitungen möglichst viel eigenen Profit zu schlagen. Um Journalismus, selbst im weitesten Sinne, handelt es sich dabei nicht zwingend. Der Begriff „Zweitverwertung“ trifft es besser.

Nehmen wir das Online-Angebot der „Welt“. Es bietet seinen Lesern ein eigenes „Dschungelcamp-Special“. Der Inhalt jeder Folge wird darin mindestens viermal nacherzählt:

  • unmittelbar nach der Ausstrahlung nachrichtlich, also: auf der Grundlage einer RTL-Pressemitteilung
  • am nächsten Morgen als Besinnungsaufsatz unter ungelenkem Einsatz verschiedener Stilelemente, die Humor, Intelligenz und Distanz zum Berichtgegenstand suggerieren sollen
  • in Form einer vielteiligen Bildergalerie
  • und schließlich in einem Video unter dem Label „Welt TV“, das das Fotomaterial noch einmal als Diashow aufbereitet, mit Offkommentar einer Sprecherin („Doch es gibt auch Grund zum Ärger im Dschungelcamp: Immer wieder ist das Klopapier alle“)

In einer umfangreichen Klickstrecke werden die „besten Sprüche der ‚Dschungelcamp‘-Moderatoren“ aufgelistet.

Für jeden der elf Teilnehmer der „RTL-Ekelshow“ hat „Welt Online“ einen eigenen Artikel angelegt, in den meisten Fällen ergänzt um eine eigene Bildergalerie, teilweise auch in Form von zu einem Film montierten Standbildern und im Fall von Indira Weis natürlich einer zusätzlichen eigenen, extra großen Klickstrecke mit Fotos aus dem „Playboy“.

Darüber, wie das „Dschungelcamp“ „funktioniert“, informiert einer Klickstrecke in 13 Teilen, auf die die Journalisten von „Welt Online“ eine entsprechende RTL-Pressemitteilung im Wortlaut verteilt haben. Zudem sollen die Leser abstimmen, wer die besten Chancen hat, das „Dschungelcamp 2011“ zu gewinnen.

All das ist durchsetzt mit Werbung, und jetzt wüsste ich gerne, was das anderes ist als die kommerzielle Nutzung der Leistung anderer.

(Hinzu kommt noch die Doppelmoral, sicher über die Ekligkeit der Show zu empören und gleichzeitig möglichst stark von ihr profitieren zu wollen. Überhaupt vermisse ich in den rituellen Aufzählungen, was das Internet der Menschheit Schlechtes gebracht hat, regelmäßig die Erfindung und Inflation der Fernsehsendungsnacherzählung: Nach jeder „Anne Will“-Sendung, nach jeder „Deutschland sucht den Superstar“-Folge setzt sich ein Heer von traurigen Schreibern hin, um minutiös, ausufernd und einfallslos für Medien wie „Welt Online“ aufzuschreiben, was geschehen ist, unabhängig davon, ob etwas geschehen ist, aber ich schweife ab.)

Medien nutzen ununterbrochen die Leistung anderer zu eigenen kommerziellen Zwecken, und im Fall von „Ich bin ein Star — holt mich hier raus“ in besonders schamloser Weise und mit besonders wenig eigener Leistung. Ich bin Gegner eines Leistungsschutzrechtes, wie es die Verlage fordern, um ihre fehlenden Online-Werbeerlöse auszugleichen. Aber wenn es eines gäbe, wenn wir die kommerzielle Nutzung der Leistung anderer kostenpflichtig machten — sollten die Verlage dann nicht auch selbst für das bezahlen müssen, wofür sie von anderen bezahlt werden wollen? Wäre dann nicht vielleicht für jede Fernsehkritik, aber ganz sicher für jedes Dschungelshow-Special eine Lizenzabgabe an RTL fällig?

Würden wir das wollen?

Das „ökonomische Grundprinzip“, von dem Hubert Burda spricht, dass bezahlen muss, wer die Leistung anderer kommerziell nutzt: Es klingt so plausibel, aber es ist nur eine weitere Erfindung, um mit Gewalt eine Sonderabgabe zur Subvention der Verlage zu legitimieren.

Der Tom-Kummer-Kasten der HNA

Weil der Bürgermeister von Hofgeismar nicht bereit war, ihre Fragen zum gescheiterten Projekt eines gigantischen Ferienresorts zu beantworten, hatten die Redakteure der „Hessischen/Niedersächsichen Allgemeinen“ (HNA) eine richtig schlechte Idee: Sie dachten sich seine Antworten einfach aus.

Sie schrieben:

Alle Bemühungen [um ein Gespräch] waren wieder einmal erfolglos. Daraufhin hat sich die Redaktion die Mühe gemacht, die an Sattler gerichteten Fragen selbst zu beantworten.

Wir legten bekannte Tatsachen zugrunde und nutzten frühere Aussagen Sattlers. Manche Antworten in unserem fiktiven Interview ergeben sich indes aus einem logischen Sinnzusammenhang.

Schon die erste Antwort lässt erahnen, wieviel Spaß sie an der Retourkutsche hatten:

Herr Sattler, warum haben Sie in der Stadtverordnetensitzung am 17. Dezember, als Sie das Aus für das Beberbeck-Projekt erklärten, fluchtartig den Saal verlassen?

Sattler: Das war keine Flucht. Ich konnte mich nur in dieser für mich hoch emotionalen Situation nicht auch noch den lästigen und penetranten Fragen der Opposition aussetzen.

Nicht alle waren amüsiert. Und am nächsten Tag entschuldigte sich der Chefredakteur:

Der Artikel hätte so nie erscheinen dürfen. (…)

Eine Dokumentation von Antworten, die nie gegeben wurden, ist nicht nur unlogisch, sondern schlechtes journalistisches Handwerk. Wir entschuldigen uns in aller Form für diese Fehlleistung.

Beides — das fiktive Interview und die klare Entschuldigung — ist bemerkenswert. Aber fast am erstaunlichsten ist, wie souverän die Zeitung in ihrem Online-Auftritt mit dem Thema umging. Anstatt das ausgedachte Gespräch einfach kommentarlos zu löschen, wie es schätzungsweise 207 Prozent aller deutschen Online-Medien getan hätten, verlinkte sie an dieser Stelle auf die Entschuldigung des Chefredakteurs und behielt die Kommentare der ursprünglichen, sehr kontroversen Leserdiskussion. Das fiktive Interview verschwand nicht ganz, sondern blieb als PDF online, was die Distanzierung von dem Text deutlich machte, aber gleichzeitig jedem die Möglichkeit gab, sich ein eigenes Bild über den journalistischen Fehltritt zu machen.

Ich habe keinen Schimmer, wie gut oder schlecht die Berichterstattung der HNA in Hofgeismar ist (einem Ort, von dem ich gerade zum ersten Mal gehört habe). Aber dieser Umgang mit erkannter eigener Beklopptheit ist vorbildlich.

[mit Dank an Silke L.!]

Vergessen und vergessen machen

Neulich schrieb ein Mann, der früher an prominenter Stelle für „Bild“ gearbeitet hat, eine Mail an BILDblog. Es ging um einen Eintrag, inzwischen zwei Jahre alt, in dem wir ihm vorwerfen, einen Artikel anderswo abgeschrieben zu haben. Angeblich hatte das Plagiat (oder seine Aufdeckung) Folgen, jedenfalls endete die Zusammenarbeit mit „Bild“ wohl wenig später. Nun arbeitet der Mann frei und leidet. Er fragt uns:

Könnten Sie den Artikel aus ihrem Archiv löschen? Es wäre nett, da ich bei jedem Bewerbungsgespräch auf Bildblog angesprochen werde. Das mag Sie stolz machen, für mich ist das Ganze aber inzwischen existenzgefährdend.

Macht mich das stolz? „Stolz“ ist das falsche Wort, aber, zugegeben: Es ist ein gutes Gefühl, wenn die eigene Arbeit Wirkung zeigt und wenn sie nicht flüchtig ist. BILDblog hat immer eher darauf abgezielt, die Rezeption der „Bild“-Zeitung zu verändern als die „Bild“-Zeitung selbst — schon weil wir uns nicht vorstellen konnten, die „Bild“-Zeitung zu verändern. Gerade deshalb ist es immer wieder etwas besonderes, wenn wir auf irgendeinem Weg erfahren, dass unsere Arbeit
gelegentlich Folgen hat für die Leute von „Bild“. Es nimmt ein winziges Bisschen von der Macht von „Bild“.

Vor vier Jahren schrieb uns einmal ein Ressortleiter von „Bild“ wegen eines Eintrags, in dem es um ein angeblich exklusives „Bild“-Interview ging, dessen Inhalt erstaunlicherweise wörtlich mit einer Pressekonferenz zwei Tage zuvor übereinstimmte. Der Ressortleiter beklagte sich, dass die Mitarbeiterin wegen unseres Eintrages nun dauernd von Kollegen und Bekannten darauf angesprochen würde und sich rechtfertigen müsse. Ich weiß nicht, ob er dachte, dass uns das bestürzt.

Sollen sie sich wenigstens erklären müssen.

Aber wie weit geht das? Was, wenn ein alter BILDblog-Eintrag wirklich existenzgefährdend für einen ehemaligen „Bild“-Mann ist? Im konkreten Fall ist das schwer vorstellbar, aber auch nicht auszuschließen.

Es ist eine merkwürdige Sache mit dem Internet, das von so vielen Leuten, nicht zuletzt Verlagsmanagern, behandelt wird, als wäre es ein flüchtiges Medium. Wäre der Artikel über das Plagiat des ehemaligen „Bild“-Mannes in einer Zeitung erschienen, wäre er heute zwar nicht unauffindbar, aber gut genug versteckt, um in Vergessenheit zu geraten. So taucht er schon bei einer flüchtigen Google-Suche nach dem Namen des Mannes weit vorne auf. Andererseits erscheint dabei auch noch ein bizarr lobhudelnder Bild.de-Artikel über ihn — anscheinend
geht es ihm nicht darum, diese ganze Periode seines Schaffens vergessen zu machen, sondern nur den heute lästigen Teil.

Ich weiß nicht, warum es ihm offenbar unmöglich ist, potentiellen Arbeit- oder Auftraggebern zu erklären, wie das damals passiert ist.

Vielleicht wird es noch einige Zeit dauern, bis wir uns alle an diese Nebenwirkung des Internets gewöhnt haben, dass es plötzlich ganz leicht ist, Dinge über uns herauszufinden, von denen wir wünschten, sie wären in Vergessenheit geraten, nicht nur die peinlichen Party-Fotos, auch die journalistischen Fehltritte. Das wird normaler werden und Personalchefs werden damit umgehen können. Andererseits gibt es journalistische Fehltritte, die auch nicht jeder gemacht hätte, auch nicht als Jugendsünde.

Totale Erinnerung ist nicht unbedingt ein Segen. Ich halte es durchaus in einigen Fällen für richtig, Namen aus kritischen Blog-Einträgen zu löschen — wenn mir die dauerhafte Form der Bestrafung, die damit verbunden sein kann, unangemessen erscheint.

Es wäre sicher auch falsch, so gnadenlos zu sein, wie es die „Bild“-Zeitung sicher bei ähnlichen Fragen wäre. Aber warum sollten ausgerechnet Menschen, die sich dafür entschieden haben, für ein skrupelloses Lügenblatt wie „Bild“ zu arbeiten, besondere Rücksichtnahme bekommen, wenn sich das im Nachhinein als nicht in jeder Hinsicht karrierefördernd herausstellt?

Manche Fälle finde ich trotzdem einfacher zu entscheiden als diesen.

Vor ein paar Monaten schrieb ein Moderator, der mehrere Jahre lang im Fernsehen Zuschauer mit irreführenden Versprechungen dazu animiert hat, ihr Geld für zweifelhafte Anrufsendungen auszugeben. Wenn man heute seinen Namen bei Google eingibt, steht an erster Stelle ein Eintrag aus diesem Blog, in dem die Frage diskutiert wird, ob Leute wie er sich womöglich des Betruges strafbar gemacht haben.

Das ist für ihn nicht ganz ideal, also schrieb mir der Mann:

Wäre es von Ihrer Seite aus möglich meinen Namen aus diesem Blog herauszulöschen?

So wie Sie die Dinge hier darstellen, wird mein Name mit Betrug in Verbindung gebracht, dass nicht gerade ruffördernd für mich ist. (…)

Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Sie es besonders klasse fänden, wenn Ihr Name unnachweislich mit Betrug in Verbindung gesetzt wird und Sie somit bei Suchmaschinen als erstes in dem Zusammenhang auftauchen würden.

Es folgte später eine Abmahnung, in der es hieß:

Den Zuschauern der gegenständlichen Sendungen (…) sind die Namen der Moderatoren weder bekannt, noch sind diese für die Zuschauer von Interesse. Insoweit besteht lediglich ein Bedürfnis der Allgemeinheit, über das Geschäftsgebaren des Senders und dessen rechtliche Einordnung informiert zu werden. (…)

Dem Informationsinteresse und ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung steht das Persönlichkeitsrecht der jeweiligen Moderatoren entgegen, deren Namensnennung in ihren Beitrag für mögliche Auftrag- und Arbeitgeber unmittelbar in Zusammenhang mit der Verwirklichung eines Straftatbestandes gebracht wird.

Immerhin wird das Motiv der Abmahnung deutlich formuliert: Auch diesem Mann erschwert das, was er früher gemacht hat, nun die Jobsuche.

Mein Anwalt musste eine Antwort formulieren, dann habe ich nichts mehr von der Sache gehört. Ob der Moderator vergeblich versucht hat, eine einstweilige Verfügung gegen mich zu erwirken, weiß ich nicht.

Das ist die andere Seite dieses merkwürdigen Mediums: Es bleibt zwar viel für die Ewigkeit erhalten, aber die Leute glauben, sie können das, was ihnen nicht gefällt, einfach entfernen lassen. Teilweise haben sie damit sogar Erfolg, wie der Fall eines Hamburger Geschäftsmanns gezeigt hat.

Bei der Diskussion um den „digitalen Radiergummi“ geht es vor allem um irgendwelche Dokumente, die man einmal von sich ins Netz gestellt hat und von denen man sich wünschte, sie wären nicht mehr da. Aber wie ist das mit ganzen Teilen der eigenen Biographie? Kriminelle haben in gewissem Rahmen ein Recht auf einen Neuanfang und auf die Chance, dass ihre Taten nach Verbüßung der Strafe in Vergessenheit geraten. Aber die Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und dem Recht auf Meinungs- und Medienfreiheit ist außerordentlich knifflig, wie der Fall der beiden Männer zeigt, die wegen des Mordes an dem Schauspieler Walter Sedlmayr verurteilt wurden und seit einiger Zeit versuchen, ihre Namen aus den Online-Archiven zu klagen. Der Bundesgerichtshof wies ihre Unterlassungsforderung zurück — wollte daraus aber keine pauschale Regel ableiten.

Müssen auch ehemalige Call-TV-Moderatoren eine Chance zur Resozialisierung bekommen? Und bin ich dazu verpflichtet, ihnen dabei zu helfen?

Der österreichische Informationstheoretiker Viktor Mayer-Schönberger sagt:

„Vergessen und vergeben sind ungemein wichtig. Wer sich der Erinnerung an eigene Fehler oder die der anderen nicht entledigen kann, räumt der Vergangenheit zu viel Macht ein. Nur durch Vergessen können wir uns von alten Verhaltensmustern frei machen. Das schafft Raum für neue Ideen, lässt Individuen und ganze Organisationen wachsen und sich weiter entwickeln.“

„Vergessen“ und „vergeben“ sind zwei sehr unterschiedliche Dinge, und bei ersterem bin mir nicht so sicher, dass Mayer-Schönberger recht hat. Natürlich lässt es, zum Beispiel, eine Fernsehmoderatorin, die heute beim Evangelischen Rundfunk die christliche Talkshow „Gott sei Dank“ präsentiert, leichter „wachsen und sich weiter entwickeln“, wenn sich niemand mehr daran erinnert, dass sie vorher als Animateurin beim sehr unchristlichen Call-TV gearbeitet hat.

Aber führt es nicht, umgekehrt, oft zu wünschenswerteren Entscheidungen, wenn Menschen davon ausgehen müssen, dass das, was sie tun, nicht hinterher gleich wieder vergessen ist? Es geht nicht darum, dass Menschen keine Fehler machen dürfen oder ihr Leben lang unter Jugendsünden leiden sollen. Es geht auch nicht um einen allumfassenden Pranger. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen für das eigene Tun — ganz besonders, wenn dieses Tun, wie bei Journalisten, in der Öffentlichkeit und genau genommen sogar für die Öffentlichkeit geschieht.

Es gibt dazu letztlich keine Alternative. Die merkwürdigen technischen Konstruktionen, mit denen dem Internet das Vergessen beigebracht werden soll, werden nicht funktionieren — außer, womöglich, für diejenigen, die die schlechtesten Motive und die größten Mittel haben.

Wir werden lernen müssen, mit all dem ungewollten Informationsgerümpel über uns zu leben, und deshalb werden wir es lernen, die vielen Dinge einzuordnen, die wir plötzlich mühelos über andere Leute herausfinden. Wir müssen sie dazu nicht vergessen oder vergessen machen.

Diese theoretisch-philosophische Frage bekommt natürlich eine ganz andere Ebene, wenn man selbst plötzlich derjenige ist, der dafür sorgen könnte, dass jemand nicht mehr bei jedem Vorstellungsgespräch auf die Geschichte angesprochen wird, die in einem BILDblog-Eintrag steht, die der dritte Treffer ist, wenn man bei Google nach seinem Namen sucht.

Eine grundsätzliche und allgemeingültige moralische Antwort, wie mit Löschwünschen zu verfahren sei, habe ich nicht. Wenn man weder gnadenlos sein noch seine Arbeit pauschal mit einem Verfallsdatum versehen will, bleibt wenig übrig, als sich in jedem einzelnen Fall ein Urteil zu bilden, das einem gerecht erscheint.

Im Fall des ehemaligen „Bild“-Journalisten vom Anfang haben wir uns dafür entschieden, seinen Namen nicht zu löschen.

Nicht mein Willy

In unserer Reihe „Etablierte Medien beklagen die Fehlerhaftigkeit der Wikipedia“ lesen Sie heute: die „Berliner Zeitung“.

Seit Bestehen der Internet-Enzyklopädie gab es immer wieder inhaltliche Fehler oder Auslassungen, die teilweise bewusst eingestreut wurden. Der Medienjournalist Stefan Niggemeier prüfte mittels Wikipedia die Recherchemethoden deutscher Redaktionen, als er Karl-Theodor zu Guttenberg nach dessen Ernennung zum Wirtschaftsminister einen weiteren Vornamen andichtete.

Nee.

Dschungel-Journalismus aus erster Hand

Immer mittags verschickt RTL in diesen Tagen eine Pressemitteilung, in der (mit einer Sperrfrist bis nach der Sendung) steht, was am vergangenen Tag im Dschungelcamp passiert ist und am späten Abend im Fernsehen gezeigt werden wird. Das ist ein Angebot, das von einem Qualitätsmedium wie welt.de für die eigene, äh, Nachberichterstattung natürlich dankbar angenommen wird.
 

RTL-Pressemitteilung Welt.de-Artikel
Indira Weis und Mathieu Carrière müssen zur ersten Dschungelprüfung antreten. (…) Dirk Bach: „Die gute Nachricht: Ihr müsst nichts Unangenehmes essen. Die schlechte Nachricht: Ihr müsst etwas Unangenehmes in den Mund nehmen“. Indira Weis und Mathieu Carrière mussten zur ersten Urwald-Prüfung antreten. „Die gute Nachricht: Ihr müsst nichts Unangenehmes essen. Die schlechte Nachricht: Ihr müsst etwas Unangenehmes in den Mund nehmen“, kündigte Dirk Bach die Aufgabe für die beiden an.
Die Aufgabe: Auf einem Zahnarztstuhl sitzend müssen Indira und Mathieu nacheinander jeweils vier lebende Tiere für 20 Sekunden in den Mund nehmen. Dabei dürfen die Tiere nur mit den Lippen und so sanft wie möglich festgehalten werden, damit kein Tier verletzt wird. Was war konkret zu tun? Auf einem Zahnarztstuhl sitzend nacheinander jeweils vier lebende Tiere für 20 Sekunden in den Mund nehmen. Dabei dürfen die Tiere nur mit den Lippen und so sanft wie möglich festgehalten werden, damit kein Tier verletzt wird.
Und wie beim Zahnarzt üblich wird anschließend ein Abdruck genommen – in diesem Fall allerdings aus essbarem Schleim mit Mehlwürmern. Wenn das geschafft ist, kann jeder fünf Sterne holen (…). Den elften Stern gibt es für eine „Dschungel-Spülung“, die nur ein Kandidat vollständig austrinken muss. Und mit den magischen Worten „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ können Indira und Mathieu die Prüfung jederzeit abbrechen. Und wie beim Zahnarzt üblich wurde anschließend ein Abdruck genommen – in diesem Fall allerdings aus essbarem Schleim mit Mehlwürmern. Dafür bekam jeder fünf Sterne. Den elften Stern gab es für eine „Dschungel-Spülung“, die nur ein Kandidat vollständig austrinken muss. Mit den Worten „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ konnten Indira und Mathieu die Prüfung jederzeit abbrechen.
Tapfer nehmen Indira und Mathieu die Prüfung an und setzen sich auf die Zahnarztstühle. (…) Indira beginnt und bekommt in einer Nierenschale einen 20 cm großen Blauen Flusskrebs serviert. Sie greift das Schalentier, steckt es in ihren Mund und gibt mit Daumen hoch das „Go“. Tapfer nahmen Indira und Mathieu die Prüfung an und setzten sich auf die Zahnarztstühle. Indira begann und bekam in einer Nierenschale einen 20 Zentimeter großen Blauen Flusskrebs serviert. Sie griff das Schalentier, steckte es in ihren Mund und gab mit Daumen hoch das „Go“.
Der hintere Teil des Flusskrebses zappelt in ihrem Mund, die Scheren kneifen kräftig. Vor Schreck reißt Indira den Mund auf – der Flusskrebs fällt zu Boden, die Prüfung: nicht bestanden! Mathieu behält das Schalentier ohne Probleme 20 Sekunden im Mund. Der hintere Teil des Flusskrebses zappelte in ihrem Mund, die Scheren kniffen kräftig. Vor Schreck riss Indira den Mund auf – der Flusskrebs fiel zu Boden, die Prüfung: nicht bestanden! Mathieu behielt das Schalentier ohne Probleme 20 Sekunden im Mund.
2. Runde: Die Stars müssen nun eine Wasserspinne komplett in den Mund nehmen. Indira öffnet ihren Mund, empfängt die Spinne und lässt sie tapfer 20 Sekunden im Mund. (…) Indira: „Oh, Gott. Ich dachte, ich bekomme ein Zungenpiercing“. Die Stars mussten in der zweiten Runde eine Wasserspinne komplett in den Mund nehmen. Indira bestand dieses Mal. „Oh, Gott. Ich dachte, ich bekomme ein Zungenpiercing“, sagte sie.
3. Runde: Nun wird eine große Rhinozeros-Kakerlake gereicht. Deren Hinterteil muss in den Mund. Sonja Zietlow: „Du musst aufpassen, diese Kakerlake hat scharfe Füße und kann kratzen“. Indira öffnet den Mund (…). Das Tier spuckt, doch Indira hält durch. Mathieu Carrière wirft im Zahnarztstuhl seinen Kopf nach hinten, presst die Lippen zusammen und behält die Rhinozeros-Kakerlake 20 Sekunden im Mund. Eine große Rhinozeros-Kakerlake wurde in der dritten Runde gereicht. Deren Hinterteil muss in den Mund. Sonja Zietlow warnte: „Du musst aufpassen, diese Kakerlake hat scharfe Füße und kann kratzen“. Als Indira es in den Mund nahm, spuckte das Tier, doch die Sängerin hielt durch. Mathieu Carrière musste dieses Mal mit sich kämpfen. Er warf im Zahnarztstuhl seinen Kopf nach hinten, presste die Lippen zusammen. Geschafft.
Jetzt bekommen die Stars eine Stabheuschrecke in der Nierenschale serviert. Diese müssen sie quer in den Mund nehmen. Stabheuschrecken in der Nierenschale wurden als nächstes serviert. Diese mussten die beiden Dschungelcamper quer in den Mund nehmen.
Richtig zubeißen heißt es jetzt! Ein Abdruck aus essbarem Schleim mit Mehlwürmern muss in den Mund. Richtig zubeißen, hieß es zuguterletzt. Ein Abdruck aus essbarem Schleim mit Mehlwürmern musste in den Mund.
Die zweite Dschungelprüfung steht bereits fest: „Friedhof der Kuscheltiere“. Dafür wird der prominente Teilnehmer in einen Sarg gelegt, den er oder sie sich mit einigen Ratten teilen darf. Für jede ausgehaltene Minute erhält der Kandidat einen Stern. Doch damit nicht genug: Während des Sargaufenthalts wird die ursprünglich gläserne Kiste nach und nach freigelegt und dabei über eine 70 Meter hohe Schlucht gezogen. Nichts für einen Star mit Rattenphobie oder Höhenangst also! Der „Friedhof der Kuscheltiere“ wartet in der nächsten Folge von Dschungelcamp auf die prominenten Teilnehmer. Sie werden in einen Sarg gelegt, den er oder sie sich mit einigen Ratten teilen darf. Für jede ausgehaltene Minute erhält der Kandidat einen Stern. Doch damit nicht genug: Während des Sargaufenthalts wird die ursprünglich gläserne Kiste nach und nach freigelegt und dabei über eine 70 Meter hohe Schlucht gezogen. Nichts für einen Star mit Rattenphobie oder Höhenangst also.

Und falls Ihnen dieser Eintrag bekannt vorkommt, ist das kein Zufall. Manche Dinge ändern sich nicht.

(Auch beim Online-Auftritt des „Express“ verlässt man sich der Einfachheit halber auf die praktischen PR-Texte von RTL.)

Programmhinweis (35)

Am Mittwoch war ich zu Gast bei Jana Wuttke und Philip Banse im „Medienradio“. Wir haben zwei Stunden lang über alles Mögliche geplaudert, darunter, wenn ich mich recht erinnere, die Kontaktversuche Konstantin Neven DuMonts, die lustige Konstruktion des privaten Rundfunks in Bayern, die Spiegelhaftigkeit des aktuellen „Spiegel“-Titels, die Bedeutung von Facebook für meinen Hund sowie die Frage, was die Magazin-Apps auf dem iPad mit dem Einsatz von Blue-Box-Effekten in den siebziger Jahren im Fernsehen zu tun haben.

Ich hoffe, ich habe nicht zuviel Unsinn geredet. Es war spät und gemütlich und ich bekam Rotwein.

Mick Werup

Nach dem Tod von Robert Enke habe ich hier einen Eintrag über den sogenannten Werther-Effekt geschrieben. Er beginnt mit dem Satz: „Die Medien arbeiten seit einer Woche daran, die Zahl der Selbstmorde in Deutschland in die Höhe zu treiben.“

Es gab dafür vielfältigen Widerspruch. Einige waren der Meinung, es sei unrealistisch anzunehmen, dass Medien anders über Suizide von Prominenten berichten könnten. Andere sagten, es sei nicht Aufgabe von Journalisten, Informationen zurückzuhalten, selbst wenn sie eine negative Wirkung haben könnten. Manche bestritten, dass es überhaupt den von mir beschriebenen Zusammenhang zwischen der Berichterstattung über Selbsttötungen und der Zunahme von Selbsttötungen gebe.

Die Nachrichtenagentur dpa berichtete am 23. November 2010, dass die Zahl der Suizide nach dem Tod von Robert Enke sprunghaft angestiegen sei:

Für den November 2009 registrierte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden die höchste Steigerungsrate des Jahres. In anderen Monaten hatte es zum Teil Rückgänge gegeben.

Zudem war im Dezember auffällig, dass sich im Vergleich zum Vorjahr doppelt so viele Männer zwischen 20 und 25 Jahre das Leben nahmen.

Wie das Bundesamt auf Nachfrage mitteilte, ist in Deutschland die Zahl der Selbsttötungen im November 2009 um rund 15,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat angestiegen. Im Dezember waren es insgesamt noch 10,7 Prozent.

Nach Angaben der Deutschen Bahn nahm die Zahl der Schienensuizide drastisch zu. Der Vorstandsvorsitzende Rüdiger Grube sagte dem „Spiegel“, dass sich die Zahl der Menschen, die sich täglich von einem Zug überrollen lassen, nach dem Suizid von Robert Enke verfünft- bis versechsfacht habe, „wochenlang“.

Ich komme darauf, weil sich Mick Werup anscheinend das Leben genommen hat. Er hatte den Sohn Chris in den „Drombuschs“ gespielt und damit meine Fernsehbiographie maßgeblich mitgeprägt.

Die Boulevardzeitungen ignorieren auch diesmal wieder die zentralen Empfehlungen, durch die sich die negativen Folgen der Berichterstattung über Suizide minimieren ließen. „Bild“ und „Berliner Kurier“ machen groß mit dem Fall auf, sie und andere berichten detailliert über die Umstände des Todes, nennen mögliche Motive, wecken Verständnis und Mitleid.

Anders als vielleicht bei Robert Enke, dessen Sterben in jeder Hinsicht öffentlich geschah, kann mir niemand erzählen, dass das unvermeidlich war. Dass man diese Nachricht nicht auch klein, ohne Foto, abstrakt hätte vermelden können. Wenn man es gewollt hätte. Ich bleibe dabei: Der Preis für diese Art der Berichterstattung lässt sich in Menschenleben zählen.

Die Online-Version des „Bild“-Artikels von Mark Pittelkau und Thomas Knoop endet mit den Worten:

Zuletzt schien Werup der Tod als einziger Ausweg, seinem unendlich verlorenem Dasein zu entfliehen.

Das ist ein unfassbarer Satz. Nicht nur, weil er sich wie Werbung für die Selbsttötung als Ausweg aus schwierigen Situationen lesen lässt und vermutlich von Gefährdeten auch genau so verstanden wird.

Sein unendlich verlorenes Dasein? Immerhin musste er nicht für „Bild“ arbeiten.

 

Vermieden werden sollte in der Berichterstattung nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention u.a.

  • einen Suizid auf der Titelseite oder als „TOP-News“ erscheinen zu lassen
  • ein Foto der betreffenden Person (besonders auf der Titelseite) zu präsentieren und Abschiedsbriefe zu veröffentlichen.
  • den Suizid als nachvollziehbare, konsequente oder unausweichliche Reaktion oder gar positiv oder billigend darzustellen bzw. den Eindruck zu erwecken, etwas oder jemand habe „in den Suizid getrieben“. („Für ihn gab es keinen Ausweg“).
  • die Suizidmethode und den Ort detailliert zu beschreiben oder abzubilden