Autor: Stefan Niggemeier

Vorurteil im Schnellgericht (2)

Das „Medium Magazin“ versucht seit dem Wochenende, das zu tun, was die Zeitschrift „Journalist“ unterlassen hat: Die Hintergründe der Vorwürfe gegen den Kollegen W.* genau und gründlich zu recherchieren.

W., der auch zwei Beiträge für BILDblog geschrieben hat, deren Inhalt aber unumstritten ist, hat in Artikeln für „Welt Online“ und „Spiegel Online“ immer wieder einen Rechtsanwalt Carsten Penkella zitiert, den es zumindest unter diesem Namen nicht gibt. Es gibt jedoch Schriftwechsel und eine Art Bekennermail des angeblichen Mannes, in der er behauptet, er habe die Redaktion von „Spiegel Online“ und ihre Recherchemängel bloßstellen wollen, und von einem „kleinen Test“ spricht, für den er sich W. ausgesucht habe. Der Absender dieser Mail ist unbekannt. Die beiden Medienhäuser haben Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Titelmissbrauch und Betrug gestellt, um mithilfe der Staatsanwaltschaft herauszufinden, wer hinter der falschen Identität steckt.

„Spiegel Online“ hat sich im vergangenen Herbst von W. getrennt und auf diese Weise anscheinend auch eine Rüge durch den Presserat verhindert. Ein Leser hatte sich über den falschen Anwalt in einem Artikel beschwert, „Spiegel Online“ ging daraufhin der Sache nach und nahm alle Artikel W.s vom Netz. Ob der Autor, den die Redaktion seit Jahren als verlässlichen Mitarbeiter kenne, die Experten tatsächlich erfunden habe, oder es sich um tragische Zufälle handele, ließ die Redaktion bewusst offen.

Diese Frage ist auch heute nicht geklärt. Es gibt auch diverse weitere Ungereimtheiten in Zusammenhang mit anderen Namen in den Texten. Als Tatsache kann gelten, dass W. mindestens schlampig gearbeitet hat und erhebliche Fehler gemacht hat. Ob er mutwillig Zitate erfunden oder gefälscht hat, was er ausdrücklich bestreitet, ist aber offen. Bislang hat er jedoch auch nicht geforderte Belege für umstrittene Textstellen in seinen Artikeln vorgelegt. Dies soll in den nächsten Tagen endlich geschehen.

Der Fall ist außerordentlich komplex. Viele Fragen sind unbeantwortet. Ich sehe mich zur Zeit aufgrund der mir vorliegenden Informationen nach wie vor nicht in der Lage, ein Urteil in der Sache und über den betroffenen Kollegen zu fällen. Daran hat sich seit gestern nichts geändert.

Aber gerade weil die Faktenlage so unübersichtlich und widersprüchlich ist, habe ich von meiner gestrigen Kritik an der vorverurteilenden, falschen, identifizierenden Berichterstattung auf journalist.de nichts zurückzunehmen.

*) Nachtrag, 1. April. Aus juristischen Gründen habe ich den Namen des Beschuldigten nachträglich anonymisiert, auch in den Kommentaren.

Vorurteil im Schnellgericht

Wer SPUTNIK hört oder auf SPUTNIK.de klickt, kann sich sicher sein, dass alles, was wir erzählen auf Fakten basiert. Mit der journalistischen Sorgfaltspflicht nehmen es aber nicht alle Medien so genau. (SPUTNIK.de)

Die Zeitschrift „Journalist“, die MDR-Jugendwelle „Sputnik“ und der Online-Dienst „Meedia“ erheben schwere Vorwürfe gegen w., einen 25-jährigen Journalisten, der auch für BILDblog arbeitet. Er soll in Artikeln, die er an „Spiegel Online“, „Welt Online“ und den „Südkurier“ verkauft hat, Zitate frei erfunden haben.

W. erwidert auf seiner Homepage:

Ich habe keine Zitate erfunden. Ich habe keine Zitate gefälscht. Aufgrund einer Leserbeschwerde beim Presserat hat sich herausgestellt, dass ein vermeintlicher Anwalt, den ich in mehreren Artikeln zitiert habe, ein Hochstapler war. Das ärgert mich und war ein Fehler von mir – ich hätte den Hintergrund dieser Person genauer prüfen müssen. Ich protestiere aber gegen die vorverurteilende und mich identifizierende Berichterstattung über diesen Fall auf journalist.de und meedia.de. Sie ist einseitig und falsch.

Ich habe W. als zuverlässigen und vertrauenswürdigen Kollegen kennengelernt. Mir fehlen aber bislang die Grundlagen, um die konkreten Vorwürfe gegen ihn abschließend beurteilen zu können. Unabhängig davon halte ich die Art, wie das vermeintlich seriöse Branchenblatt „Journalist“ sowie der Abschreibedienst „Meedia“ in ihrer Berichterstattung mutwillig oder fahrlässig die Existenz eines jungen Journalisten riskieren, für skandalös.

Und fast müsste man die Beteiligten dafür bewundern, mit welcher journalistischen Sorglosigkeit sie anderen journalistische Sorglosigkeit vorwerfen, wenn es nicht so ein trauriges Lehrstück darüber wäre, wie Medien aus dem Nichts den Anschein eines Zeitdruck produzieren, dem sie dann alle Sorgfaltspflichten opfern.

· · ·

Als die Medienzeitschrift „Journalist“, das Verbandsorgan des Deutschen Journalistenverbandes, am Freitagnachmittag die Vorwürfe auf ihrer Internetseite und mit einer Pressemitteilung öffentlich machte, ließ sie keinen Zweifel an der Schuld des Betroffenen, den sie auch namentlich nannte. Schon im Bildtext heißt es unmissverständlich: „Von Welt bis Spiegel Online brachte ein Journalist ausgedachte Experten-Statements unter“, im Text selbst wirft der Autor ihm „Betrug“ vor. W. kommt nicht zu Wort. Der Artikel endet mit dem Satz:

[W.] war trotz mehrerer Anfragen per E-Mail und Telefon für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Zwischen der ersten Anfrage bei W. und der Veröffentlichung lagen gerade einmal 26 Stunden. Das Presseratsverfahren, das die ganze Geschichte auslöste, liegt fast ein halbes Jahr zurück. W. hat nach eigenen Angaben seit November 2009 über den Fall nichts mehr gehört. Aber als der „Journalist“ Monate später das Thema aufgriff, erwartete er von dem Beschuldigten, innerhalb eines Tages zu antworten.

Ohne einen erkennbaren Grund wird aus einer höchstens sehr latent aktuellen Geschichte eine Eilmeldung, die um jeden Preis so schnell wie möglich veröffentlicht werden muss. Und natürlich von anderen Medien, wiederum so schnell wie möglich und wiederum journalistische Pflichten dieser Eile opfernd, weiter verbreitet werden muss.

Der „Journalist“-Autor hatte am Donnerstag Nachmittag erstmals versucht, W. zu erreichen. Der aber hatte gerade Urlaub, war mit seinen Eltern unterwegs und kontrollierte deshalb nach eigenen Angaben weder Anrufe noch E-Mails. Er hatte keinen Grund zur Annahme, dass es einen aktuellen Anlass geben könnte, dessentwegen er unbedingt erreichbar sein müsse.

Am Freitagnachmittag versuchte der „Journalist“-Autor auch über andere Wege, W. zu erreichen. Er fragte BILDblog-Chef Lukas Heinser nach der Nummer, und als der ihm die spontan nicht geben konnte, sagte er sinngemäß: Es eilt ja nicht, es ist ja für ein Monatsmagazin. In einer Mail an W. kündigte er allerdings an, „auf jeden Fall etwas Kleines“ veröffentlichen zu wollen, „möglicherweise heute noch“.

Kurz darauf veröffentlichte der „Journalist“ die Anschuldigungen, ohne mit W. gesprochen zu haben. Der Autor erklärt auf meine Anfrage, „wir hatten den Eindruck, dass Herr [W.] sich nicht mehr äußern wird – egal, wie lange wir noch warten“ und begründet das unter anderem damit, dass W. am Freitagnachmittag seines Wissens im Internet-Netzwerk Xing eingeloggt gewesen sei, also Zugang zu seinen Mails gehabt habe.

Irgendwann berichtete der „Journalist“-Autor offenbar auch im Programm von MDR-„Sputnik“ über die Vorwürfe. Auf der Senderhomepage wird W. zum „Spiegel-Online Redakteur“.

Der Branchendienst „Meedia“ machte aus den Vorwürfen des „Journalist“ noch am selben Tag eine „Top-Story“. Wie bei „Meedia“ üblich wurden die Formulierungen des „Journalist“ fast wörtlich und mit nur geringsten Änderungen übernommen.

Aber „Meedia“-Chef Georg Altrogge hat auch recherchiert. Er hat zwar nicht versucht, W. zu erreichen, aber mir und Lukas Heinser eine eilige Mail geschickt, in der er wissen wollte, ob W., den er [mit dem falschen Vornamen] Stefan nennt, Autor oder Mitarbeiter bei BILDblog ist, und uns wörtlich fragte: „Ziehen aus dem Verdacht Konsequenzen?“

„Meedia“ beließ es nicht bei der Namensnennung, sondern zeigt W. auch groß im Bild. Das Foto hat „Meedia“ kurzerhand und ohne Genehmigung von dessen Homepage genommen.

Auch die Nachrichtenagentur ddp nahm den Fall auf. Sie anonymisierte aber den Beschuldigten, und widersprach in einem entscheidenden Punkt der Darstellung von „Journalist“, „MDR Sputnik“ und „Meedia“: Der Springer-Verlag habe nach eigenen Angaben Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet, nicht gegen W. Auf einen entsprechenden Hinweis von W. hin, der inzwischen die Kontaktversuche und die Berichterstattung auf journalist.de bemerkt hatte, wurde dem Text dort ein Nachtrag mit einer entsprechenden Aussage W.s hinzugefügt.

Ebenfalls noch am selben Abend schrieb W. an „Meedia“, dass die Vorwürfe gegen ihn falsch seien, und forderte den Mediendienst auf, das Foto zu entfernen. Altrogge hielt sein Schreiben für merkwürdig und ignorierte es.

Nachdem sich W. am Freitag beim „Journalist“ über die Berichterstattung beschwert hatte, macht dessen Chefredakteur Matthias Daniel ihm am Samstag ein Angebot, sich in einem Interview mit dem Autor der Geschichte nachträglich zu dem Sachverhalt zu äußern. Das halte er „für die sauberste Lösung“, schrieb er ohne erkennbare Ironie. W. aber machte zur Bedingung, dass zunächst die fehlerhaften Passagen in dem journalist.de-Text korrigiert werden. Weil er nicht mit einer fairen Berichterstattung rechnete, nahm er das Interview-Angebot nicht an und behält sich juristische Schritte gegen den „Journalist“ vor.

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Ich habe „Meedia“-Chefredakteur Georg Altrogge Freitagnacht per Mail gefragt, ob er vor der Berichterstattung versucht hat, W. zu erreichen und auf welcher Rechtsgrundlage er glaubt, sein Foto zeigen zu dürfen. Erst 19 Stunden später und auf nochmalige Nachfrage bekomme ich eine Antwort, die ich aber nicht zitieren darf. Er sei über die Sache gut genug informiert, um sich ein Urteil erlauben zu können, und kenne beide Seiten.

Das ist ein bisschen erstaunlich, denn noch am Tag zuvor teilte er mir mit, dass er nicht beurteilen könne, was an den Vorwüfen von „Journalist“ und „Sputnik“ dran ist. An dem „Meedia“-Bericht hat jemand in der Zwischenzeit offenbar in großer Hektik Reparaturarbeiten ausgeführt. Hinzugefügt wurde u.a. auch folgender Nachtrag:

Nachtrag, 27. März: Wie aus dem MEEDIA-Artikel hervorgeht, ist dort nicht die Behauptung aufgestellt worden, das [sic!] Springer eine Anzeige gegen Stefan [sic!] [W.] erstattet hätte, sondern lediglich, dass der Verlag Strafanzeige erstattet hat. Auf Wunsch des Autoren hat MEEDIA in einem Nachtrag oben deutlich gemacht, dass die Anzeige (wie offenbar eine weitere der Spiegel-Gruppe) gegen Unbekannt erfolgten.

Bei dem von Stefan [sic!] [W.] genannten „Kölner Rechtsanwalts“ [sic!] handelt es sich um einen aller Wahrscheinlichkeit nicht existenten Anwalt, unter dessen Namensnennung Zitate in mehreren Texten des 25-Jährigen zu verschiedenen Themen enthalten waren. Mit diesem Thema sind derzeit die Staatsanwaltschaften in Berlin und Hamburg befasst, wobei zu klären ist, wer was erfunden hat und ob unter Umständen ein unbekannter Dritter den Autoren [sic!] hinters Licht geführt haben könnte. Wie dem Artikel oben zu entnehmen ist, geht es aber offensichtlich um weitere von [W.] angeführte Experten, deren Existenz ebenfalls strittig ist. Bis zur endgültigen Aufklärung wird also noch einige Zeit vergehen.

Heute vormittag bekam ich folgendes Statement von Altrogge:

Ein Autor, der sich selbst so exponiert zu Fragen der journalistischen Berufsethik äußert, muss es auch hinnehmen, dass über die Methoden und Qualität seiner Artikel ebenso öffentlich diskutiert wird. Nach unserem Kenntnisstand gibt es dabei eine solche Fülle von Ungereimtheiten, dass es abwegig erscheint, dies durch Zufälle oder Pech bei der Recherche zu erklären. Dafür spricht auch, dass mehrere große Medienhäuser wie berichtet nach intensiver Prüfung die Zusammenarbeit mit diesem Autoren beendet und die betroffenen Artikel aus dem Archiv gelöscht haben.

Ich habe auch den „Journalist“-Chefredakteur Mathias Daniel gefragt, warum er die die Vorwürfe veröffentlicht hat, ohne eine Stellungnahme des Betroffenen abzuwarten, ob die Sache eine besondere Dringlichkeit hatte, die es nicht erlaubt hätte, eine Antwort von W. abzuwarten, und ob er es für gerechtfertigt hält, den Namen des 25-jährigen Studenten zu veröffentlichen und per Pressemitteilung zu verbreiten und damit seinen beruflichen Ruin zu riskieren. Daniel antwortete:

Bei [W.] handelt es sich eben nicht um einen 25-jährigen Berufsanfänger, sondern um einen bereits etablierten Journalisten, der nach Aussage mehrere Medien Zitate erdichtet hat. Nachweislich gibt es den mehrfach zitierten Experten nicht.

Nicht wir haben behauptet, dass gegen [W.] eine Strafanzeige gestellt wurde; das hat Welt Online getan.

Wir haben selbst keine Vorwürfe erhoben, sondern über bestehende Vorwürfe berichtet.

Den Namen haben wir genannt, weil ein Journalist qua seines Berufes in der Öffentlichkeit steht und agiert. Was er publiziert, ist stets öffentlich und nicht privat. Wenn ihm vorgeworfen wird, zu lügen oder Dinge zu erfinden, ist das von Bedeutung für die Öffentlichkeit, jedenfalls in unserer Branche. Wir haben aber in der Tat länger darüber diskutiert, ob die Namensnennung klug ist. Letztlich stehen aber die Vorwürfe seine öffentliche Funktion betreffend im Raum, und nachdem wir mit allen Beteiligten gesprochen haben (und davon ausgehen mussten, dass [W.] nicht mit uns reden will), haben wir uns entschlossen, den Namen zu nennen.

Dass der „Journalist“ selbst keine Vorwürfe erhoben hat, ist natürlich falsch. Und bei der Frage der Namensnennung geht es nicht nur darum, was „klug“ ist, sondern auch, was journalistisch und juristisch erlaubt ist.

Immerhin wurde auf meine Nachfrage unauffällig die Bildzeile geändert. Statt „Von Welt bis Spiegel Online brachte ein Journalist ausgedachte Experten-Statements unter“ steht da nun plötzlich: „Falsche Zitate in Spiegel Online, Welt Online und Südkurier?“ Ob das bedeutet, dass die Leute vom „Journalist“ mit einem Mal auch nicht mehr der Meinung sind, dass der Sachverhalt „ziemlich klar ist, bloß Autor äußert sich nicht“, wie sie gestern noch twitterten, weiß ich nicht.

· · ·

Da sind also gestandene Journalisten und Chefredakteure von Medienmagazinen. Sie glauben genau zu wissen, was passiert ist, müssen es aber kurz darauf zurücknehmen. Sie schaffen es nicht, den Verdacht anderer so zu zitieren, dass sie ihn sich nicht zu eigen machen. Sie verzichten auf elementarste Grundregeln von Fairness, Recherche und Journalismus. Ihre Artikel sind hastig zusammen geschludert und strotzen teilweise vor Fehlern. Sie glauben, in größter Eile eine Monate alte Geschichte berichten zu müssen. Und sie sind überzeugt, mal eben die Glaubwürdigkeit, die Existenz eines 25-jährigen Journalistikstudenten zerstören zu dürfen, weil der sauberer hätte arbeiten müssen?

*) Nachtrag, 1. April. Aus juristischen Gründen habe ich den Namen des Beschuldigten nachträglich anonymisiert, auch in den Kommentaren.

Elisabeth Noelle-Neumann, brontal

Die ernsthaften Nachrufe auf Elisabeth Noelle-Neumann stehen anderswo, aber ich habe mich gestern wieder an das mit Sicherheit erstaunlichste Interview erinnert, das sie in ihrem Leben gegeben hat. Erkan & Stefan hatten 2002 für ihre Pro-Sieben-Sendung „Headnut.TV“ dem britischen Komiker Ali G. nachgeeifert und Gespräche mit Experten geführt, denen anzusehen war, dass sie bis zuletzt nie sicher waren, ob es sich um einen Witz handelte oder um die verstörende Art junger Menschen aus irgendeiner Subkultur, heutzutage miteinander zu kommunizieren. Sie fragten den Kunsthistoriker: „Koksen – hilft das beim Malen?“ und den Astrophysiker aus der DDR: „Warum heißt der Mond Trabant? Man könnte ihn ja auch BMW nennen!“

Mit der damals 85-jährigen Professorin sprach der damals 22-jährige Erkan über Meinungsforschung — und sie schlug sich in dieser kaum zu gewinnenden Situation bewundernswert wacker:

Erkan: Jo, jetzt wird’s kompliziert. Paßt du auf! Beispiel: Isch weiß ganz genau, daß die Juleila auf mich stehen tut. Aber was sie sonst für Meinung hat … keine Ahnung. Steht sie mehr auf tiefergelegte BMW? Und auf kraß aufgebaute goldene 500er S-Klasse, ja? Keiner weiß, was unterm Brain, unter dem Kopftuch von der Juleila abgehen tut. Außer der Frau Doktor Professor Noelle-Neumann, weil sie ist kraß Meinungsforscherin, und sie kennt jede krasse Meinung. Stimmt’s, Frau Dr. Noelle-Neumann. Kraß willkommen! Erste Frage: Was ist Ihre Meinung?

Noelle-Neumann: (Zögert lange.) Wenn ich so allgemein gefragt werde, da bin ich schon stolz darauf, überhaupt eine Meinung zu haben.

Cool. Wie funktioniert das mit der Meinungsforschung überhaupt?

Wir interessieren uns nicht für die einzelnen Menschen. Wir interessieren uns für den sogenannten repräsentativen Querschnitt.

O.k., dann machen wir Querschnitt. Wir machen 19 Jahre alt, blond, gut gebaut, Single.

Das ist kein Querschnitt. Querschnitt heißt, eine Gruppe von Personen, zum Beispiel tausend, die genau so zusammengesetzt sind wie die ganze Bevölkerung.

O.k.: Tausend 19jährige Blondinen, Rothaarige, Schwarzhaarige, gut gebaut, Single.

Wo finden Sie denn das? Da muß man ja lange nach suchen, nach so einem Idealmuster von Frau.

Tja, willkommen im Club! – Wie wollen Sie das verändern, daß die Leute, die Sie befragen tun, daß die lügen tun?

Das Herrliche ist: Lügen ist so anstrengend. Lügen Sie mal! Probieren Sie das mal.

Isch kann das ganz gut. Isch schwöre! Weil, Wahrheit sagen ist ja voll langweilig. Lügen ist viel cooler.

Ich muß sagen, viel, viel langweiliger ist es, sich irgendwas ausdenken zu müssen für nichts und wieder nichts.

Isch lüg‘ schon, wenn ich ein Bunny ins Bett kriegen will. Dann lüg‘ isch sie halt voll, daß sie voll süß ist, voll sexuell und so, und dann funktioniert das.

Vielleicht wechseln wir das Thema?

O.k. Es gibt ja auch Meinungsforscher, die foltern tun, ja? Verfälscht das die Meinung?

Was tun diese … Meinungsforscher?

Foltern. Damit die Leute, wenn die sagen, isch will nicht reden oder so. Wenn sie sich weigern, was zu verraten.

Dann sollten sie einen anderen Beruf ergreifen und nicht Meinungsforscher sein.

Vielleicht macht’s ja Spaß.

Nein.

Fragen Sie mich mal was!

Glauben Sie, daß es mehr dankbare oder undankbare Menschen gibt?

Coole Frage … (überlegt): Ja.

Was denn – mehr dankbare oder mehr undankbare?

Ach so, ist ’ne Entweder-Oder-Frage, oder? Isch glaube, es gibt mehr dankbare Menschen.

Also der allgemeine Querschnitt sagt, es gibt mehr dankbare Menschen.

Cool. Sehen Sie, ich hab‘ gelogen, isch glaub‘ nämlich, daß mehr undankbar sind.

Ja also.

Das haben Sie also gewußt.

Ich möchte sagen, lügen Sie ruhig noch ein bißchen mehr.

Wieviele Meinungen gibt es so ungefähr?

Meinen Sie zu einem Thema?

Mehr so generell, wieviele Meinungen es gibt.

Da könnten Sie mich genauso fragen: Wieviel Fliegen gibt’s denn in der Welt?

Tja, die Stubenfliege, dann gibt es noch die Mistfliege, die Eintagsfliege … also mir fallen jetzt drei Stück ein. – Wenn jetzt einer die brontal falsche Meinung hat, was machen Sie mit dem?

Also jetzt nehmen Sie mal an, der ist vielleicht ein Anhänger von Wowereit…

Das ist der Rapper, oder?

Was?

Wowereit.

Wowereit?

Der Rapper?

Bitte?

Der Rapper? Der Rapper: N-tss-n-tss-n-tss. Wowereit. Der DJ. Rapper.

Also das ist offenbar zu kompliziert.

Cool.

Was ist das Gegenteil von cool?

Schwul.

Naaa. Kann nicht sein.

Doch, man sagt ja: Der hat eine coole Karre, einen coolen Style, und der hat einen schwulen Style.

Aha. Da sehen Sie mal: Wie gut, wenn ich frage und nicht Sie.

Isch würde jetzt gerne aufhören, wie ist Ihre Meinung dazu?

Nichts lieber als das.

[Mit Dank an Murmel Clausen für den Screenshot!]

Eckart von Hirschhausens Hybris

Schade, dass die „Süddeutsche Zeitung“ ihre schöne Seite-3-Geschichte über den unheimlichen Aufstieg des neuen ARD-Alles-Moderators Eckart von Hirschhausen und seine Hybris nicht online gestellt hat. Dies ist sein darin dokumentierter Versuch, Journalisten vorzuschreiben, was sie über ihn schreiben:

Schon die Anbahnung des Treffens war dann schwierig verlaufen, weil Hirschhausen zunächst — anders als zum Beispiel Hollywoodstars, Nobelpreisträger oder die Kanzlerin — auf Monate keinen Termin finden konnte. Aber er ist wahrscheinlich wirklich viel beschäftigt, und als sich dann doch eine Lücke im Terminkalender auf getan hatte, schien einem Treffen nichts mehr im Wege zu stehen.

Dann schickte Frau H., seit mehr als zehn Jahren seine Managerin („die unermüdliche Strategin hinter meinem Erfolg“, wie er schreibt), die Bedingungen (…).

Managerin Frau H. schreibt der SZ also: „Ich möchte meinerseits gerne noch einmal folgende Punkte festhalten, die wir mit allen Journalisten vereinbaren und die ich Sie unbedingt bitte zu respektieren. Verstehen Sie dies bitte als Voraussetzung für die Zusage zum Interview.

1. Wir gehen davon aus, dass Sie KEINE privaten Fragen stellen und auch keine privaten Informationen über Eckart von Hirschhausen in Ihrem Beitrag verarbeiten. Wir legen auf eine strikte Trennung von Berufs- und Privatleben wert; Eckart von Hirschhausen ist einer der Künstler, der sich ausschließlich über sein berufliches Wirken definiert.

2. Sie legen uns Ihren Beitrag in vollem Umfang vor dem Druck zur Autorisierung vor; bitte nicht nur die Hirschhausen-Zitate, sondern den gesamten Beitrag, damit wir den Zitatezusammenhang auch erkennen können.

3. Eckart von Hirschhausen bzw. das Management haben das Recht, Einwände zu äußern und eine Textänderung zu bewirken, wenn die Person ‚Eckart von Hirschhausen‘ nicht korrekt dargestellt wurde.

Eine Frage: Haben Sie einen Fotografen dabei? Wenn ja, dann bringen Sie doch bitte auch eine Maske mit.“

Die SZ hat den Interviewtermin daraufhin abgesagt.

Von Unschulds- und anderen Vermutungen

In viele Berichte über die Vorwürfe gegen Jörg Kachelmann mischt sich ein merkwürdiges Bedauern: Ja, es sei nicht auszuschließen, dass der Mann unschuldig ist, aber man müsse wohl davon ausgehen, dass seine Karriere in jedem Fall erledigt ist, auch wenn er freigesprochen wird oder es gar nicht zur Anklage kommen sollte, leider, die Welt ist da nicht gerecht.

Wie verlogen ist das, bitte?

Wenn das stimmt, wenn also schon die Berichterstattung über einen Verdacht gegen einen Prominenten sein Leben zwangsläufig zerstört, dann kann es daraus doch nur eine einzige Konsequenz geben: nicht über diesen Verdacht zu berichten. Die Abwägung zwischen den Interessen der Öffentlichkeit und denen des Betroffenen fiele in diesem Fall leicht. Wenn über jemanden nicht berichtet wird, der sich später als schuldig herausstellt, wäre das Opfer der Öffentlichkeit nur, spät davon erfahren zu haben. Wenn über jemanden berichtet wird, der sich später als unschuldig herausstellt, wäre sein Opfer seine ganze Karriere.

Die Medien tun so, als müssten sie über den Fall berichten, auch um den Preis, einen Unschuldigen zu ruinieren. Das ist wieder die alte Diskussion, ob Journalisten nur für den Inhalt dessen, was sie schreiben, verantwortlich sind, oder auch die Folgen. Zum Berufsethos von Journalisten gehört es, die Verantwortung für die Folgen ihrer Berichterstattung abzulehnen.

An einigen Stellen wird jetzt sogar nicht mehr darüber diskutiert, ob es erlaubt ist, über den Fall zu berichten, sondern ob es erlaubt ist, nicht über den Fall zu berichten. Stefan Winterbauer macht auf „Meedia“ der „Tagesschau“-Redaktion Vorwürfe, weil sie (aus guten Gründen, wie ich finde) den Fall nicht in der Sendung behandelte. „Spätestens, als Kachelmanns Anwalt sich öffentlich zur Sache geäußert hat, war der Fall ein Thema für jedes Medium“, schreibt er, und er meint damit offenbar, dass nicht nur jedes Medium berichten durfte (was auch zweifelhaft ist), sondern musste. Eine Informationspflicht hat, wenn ich ihn richtig verstehe, schon deshalb bestanden, weil sich Zuschauer, die die Dienstpläne von Meteomedia kennen, sich hätten wundern können, warum Kachelmann nicht den Wetterbericht macht. Ja, klar, dafür kann man natürlich schon mal die Karriere eines Menschen aufs Spiel setzen.

Als mahnendes Beispiel dafür, wie gefährlich genau das ist, was die Medien gerade tun, nennen dieselben Medien dann den Namen Andreas Türck. Das ist vermutlich gut gemeint, denn der Fall ist tatsächlich ein mahnendes Beispiel. Aber dadurch, dass man es erwähnt, macht man eigene Berichterstattung in Sachen Kachelmann noch nicht besser. Und womöglich geschieht auch der Hinweis, dass Kachelmanns Karriere vor der Kamera nun bestimmt ebenso zuende ist, wie sie es bei Türck trotz seines Freispruchs damals war, in bester Absicht. Aber der Effekt könnte der gegenteilige sein: Solche Sätze haben den Hang zur self-fulfilling prophecy. Wenn alle sich einig sind, dass es das ja wohl war mit Kachelmann als Wettermann, dann ist es das schnell tatsächlich gewesen mit Kachelmann als Wettermann.

Auf die Gefahr hin, dass meine Haltung paradox klingt: Ich bin nicht der Meinung, dass die Medien über den Fall Kachelmann hätten berichten sollen geschweige denn müssen, denn der tatsächliche und potentielle Schaden für den möglicherweise Unschuldigen ist riesig. Aber ich bin auch nicht der Meinung, dass jetzt schon fest steht, dass Kachelmanns Karriere damit beendet ist. Bei aller Misanthropie, die mir nicht fremd ist: Das wäre schon sehr erschütternd, wenn die Mahnung „irgendwas bleibt immer hängen“ zwingend eine so unausweichliche, folgenreiche Tatsache wäre.

Bei Andreas Türck übrigens war es nicht irgendein Naturgesetz, das dazu führte, dass er bis zu seinem Freispruch und auch noch danach wie ein Schuldiger behandelt wurde. Es war die Folge einer verachtenswerten Kampagne vor allem von „Bild“ und „Bild am Sonntag“, auf deren Höhepunkt ein Mann namens Stefan Hauck, der auch heute noch für „Bild am Sonntag“ arbeitet, über Türcks Leben richten und es als „erbärmlich“ abtun durfte. (Nicht zu vergessen die lustige Kolumnistin Evelyn Holst, die den Moderator nach seinem Freispruch noch zur „peinlichen Person“ erklärte.)

Der von vielen Medien häufig mit einem Experten verwechselte In-Mikrofone-Sprecher Jo Groebel hat laut dpa im Radio gesagt, es gebe „einen schweren Imageschaden“ für Kachelmann, und wie zum Beiweis hinzugefügt: Auch bei Roman Polanski werde nach 30 Jahren immer noch darüber geredet. Irgendwie scheint Groebel vergessen zu haben, dass Polanski damals unbestritten Geschlechtsverkehr mit einem 13-jährigen Mädchen hatte, dass er vor dem Urteilsspruch aus den USA geflohen ist und dass über die Sache deshalb gerade wieder geredet wird, weil er erst vor kurzem aufgrund eines internationalen Haftbefehls verhaftet wurde.

Aber wenn er Kachelmann nicht gerade mit Polanski vergleicht, ist sicher auch Jo Groebel total dafür, niemanden vorzuverurteilen.

Lesenswert zum Thema:

Kommt’n Meteorologe in’n Knast…

Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob Twitter die Menschen doof macht oder nur ohnehin vorhandene Doofheit sichtbar. Aber als heute bekannt wurde, dass der Fernseh-Wettermann Jörg Kachelmann unter dem Verdacht verhaftet wurde, eine Frau vergewaltigt zu haben, scheint das der Startschuss zu einem Twitter-Witzewettbewerb zu den lustigen Themen „Wetter“ und „Vergewaltigung“ gewesen zu sein, frei nach dem alten „Der Preis ist heiß“-Motto: aber nicht überbieten.

Und als wäre es nicht genug, dass das Thema so witzuntauglich, das Identifizieren des Verdächtigen durch sämtliche Medien so zweifelhaft und die Unschuldsvermutung so vergessen scheint — die Sprüche, an denen sich die Westentaschen-Harald-Schmidts aufgeilen, sind auch noch von erbärmlicher Unlustigkeit:










Dieser Idiot hier konnte gar nicht wieder aufhören:


Das hier ist ARD-Moderator Dennis Wilms („W wie witzig Wissen“):

Und das hier der erfrischende Humor der Koblenzer „Rhein-Zeitung“:

Den Sonderpreis für den dümmsten Tweet zum Thema könnte allerdings diese Frau gewonnen haben:

[Nachtrag/Offenlegung: Jörg Kachelmann hat für mein Blog schon einmal einen Gastbeitrag veröffentlicht, ebenso für BILDblog.]

Nachtrag, 20.49 Uhr: Dennis Wilms twittert:

#Niggemeier macht auf Moralist und bekämpft die Dynamik, der er seine Brötchen verdankt. Wer Twitter journalistisch betrachtet amüsiert mich

Sicherheitshalber hat er aber seinen ursprünglichen Tweet gelöscht.

Anwalt Schertz verliert gegen „Stalker“ (2)

[Vorbemerkung: Die Kanzlei von Christian Schertz hat mich in mehreren rechtlichen Auseinandersetzungen vertreten; er hat mich und BILDblog unterstützt. Ich habe mich jedoch vor einiger Zeit aus Gründen entschlossen, seine Dienste nicht mehr in Anspruch zu nehmen. 2. Vorbemerkung: Ich bin freier Mitarbeiter der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Dieser Eintrag gibt nur meine persönliche Meinung wieder.]

Es sieht nicht so aus, als ob der klagefreudige Medienanwalt Christian Schertz gegen meinen Blog-Eintrag über ihn und seine Niederlage vor dem Landgericht Berlin vorgehen würde. Er tut es aber gegen einen kurzen Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zum gleichen Thema. Der Kollege Joachim Jahn schrieb darin:

Kein „Cyberstalking“
Niederlage für Berliner Anwalt

Der Prominentenanwalt Christian Schertz ist mit dem Versuch gescheitert, einen Kritiker mit den Vorschriften des Gewaltschutzgesetzes außer Gefecht zu setzen. Das Landgericht Berlin lehnte eine Berufung von Schertz gegen eine Entscheidung des Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg ab, das eine von ihm beantragte Verfügung gegen den Internetpublizisten Rolf Schälike aufgehoben hatte. (…) Das Landgericht hielt die Berufung von Schertz für verspätet und damit unzulässig. Auch räumte die Mitarbeiterin, die er zur Verhandlung geschickt hatte, einen Fehler in ihrem Schriftsatz ein. Die Vorsitzende Richterin machte deutlich, dass Schertz sein Anliegen im Hauptsacheverfahren klären solle. Schälike bestreitet den Vorwurf, er sei ein „Cyberstalker“.

Schertz fordert nun von der FAZ und ihrem Online-Ableger FAZ.net Unterlassung, Widerruf und Gegendarstellung. Er stört sich im Grunde an einem einzigen Wort: der Formulierung, das Landgericht habe seine Berufung für „verspätet“ gehalten. Er stellt fest: Die Berufung sei fristgerecht eingelegt worden, und das Landgericht habe das in der mündlichen Verhandlung auch ausdrücklich betont.

Das stimmt. Aber das, was die „FAZ“ schrieb, stimmt auch.

In Jahns Artikel ist nicht die Rede davon, ob die Berufung „fristgerecht eingelegt“ wurde. Verspätet war Schertz‘ Berufung nach Ansicht des Gerichtes insofern, als der Zeitraum längst abgelaufen ist, in dem die Einstweilige Verfügung gegen den vermeintlichen „Stalker“ gegolten hätte, die Schertz wieder in Kraft gesetzt sehen wollte. Die Richterin sagte es im Juristendeutsch: „Die Beschwer ist weggefallen, die Zeit ist abgelaufen.“ In diesem Sinne hielt das Gericht Schertz‘ Berufung zweifellos für verspätet. Es erklärte seiner Anwältin in der mündlichen Verhandlung (bei der ich Zuhörer war), er müsse, wenn er in dieser Sache weiter gegen Schälike vorgehen wolle, in der Hauptsache klagen.

(Auch von dem Internetdienst „Meedia“, der die Formulierung aus der FAZ übernommen hatte, fordert Schertz Unterlassung. Der entsprechende Artikel ist deshalb nicht mehr online. Nachtrag, 22. März: Jetzt ist er wieder online; nur die beanstandete Formulierung fehlt.)

Es geht also in der Auseinandersetzung scheinbar um komplizierte juristische Verfahrensdetails oder, wenn man mag, schlicht um Wortklauberei. Deshalb liegt die Frage nah, warum Schertz so viel daran liegt, dieses seiner Meinung nach falsche Detail zu korrigieren, und warum er dabei sofort mit einer gewaltigen Keule angerannt kommt.

Meine Frage an Schertz, warum ein solches juristischen Vorgehen notwendig ist, beantwortete er nicht. Andere Antworten von ihm auf meine Fragen darf ich nicht zitieren.

Aber angesichts der Häufigkeit und Heftigkeit, mit der Schertz immer wieder auch in eigener Sache vorgeht, liegt der Verdacht nahe, dass dahinter eine Abschreckungsstrategie steht. Die Botschaft an die Journalisten scheint zu lauten: Überlegt euch zweimal, ob ihr wirklich über mich und meine Fälle schreiben wollt. Denn auch wenn Schertz eine solche juristische Auseinandersetzung um ein Wort oder einen Satz am Ende nicht gewinnen sollte: Der Kampf ist für den betroffenen Journalisten ungemein zeitaufreibend.

Entsprechend verführerisch ist es, ihn dadurch zu vermeiden, dass man gar nicht erst etwas schreibt, was Herrn Dr. Schertz nicht gefallen könnte. Zum Glück gibt es auch den gegenteiligen journalistischen Reflex: sich gerade wegen dieser unterstellten Abschreckungsstrategie nicht einschüchtern zu lassen.

Die FAZ hat die von Schertz geforderte Unterlassungserklärung abgegeben. Schertz interpretiert das fälschlicherweise als Beweis dafür, dass die Meldung falsch war. In Wahrheit ist es wohl eher Folge der verhängnisvollen „Stolpe-Enscheidung“ des Bundesverfassungsgerichtes: Danach kann ein Unterlassungsanspruch schon dann begründet sein, wenn man eine Formulierung auf mehrere Arten deuten kann, von denen eine unzulässig ist.

Schertz‘ Forderung nach Gegendarstellung und Widerruf hat die FAZ hingegen noch nicht nachgegeben.