Autor: Stefan Niggemeier

Flausch am Sonntag (13)

Oxytocin is the most important social-bonding hormone, present notably between mother and child but also in just about any interaction involving pair bonding, social affiliation, and trust. More specifically, it’s involved with the gaze between infants and mothers. Researchers at Azabu University in Japan found last year that the dog’s gaze at its owner increases the owner’s oxytocin level.

No one believes, in his conscious mind, that the dog is a person. But that may not matter. The oxytocin study, while providing the key to understanding the myriad health benefits of dog ownership — oxytocin is a serious stress reducer — also makes scientifically clear what’s obvious anecdotally: The dog is an honorary human, accorded many of the same considerations. It can be a surrogate child, brother in arms, solace of otherwise lonely urban lives. Serpell’s central insight is that these kinds of social functions are at the center of the relationship of dogs and people.

[via Andrew Sullivan, für Ommelbommel]

Sterne, die nicht gleich verglühen

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Ab Dienstag sucht Stefan Raab den deutschen Vertreter beim Eurovision Song Contest. Aber will überhaupt noch jemand eine Castingshow sehen, der es ernsthaft darum geht, Talente zu entdecken?

· · ·

So standen sie im Nobelrestaurant oben im Berliner Reichstag, die Chefs von Pro Sieben und der ARD und der eigentliche Gastgeber, Stefan Raab, und sprachen relativ unironisch davon, dass es eine „nationale Aufgabe“ sei, den richtigen Vertreter Deutschlands beim Eurovision Song Contest zu finden. Raab hatte darauf bestanden, dass die Pressekonferenz hier stattfindet, selbst als sich herausstellte, dass der früheste freie Termin eigentlich viel zu knapp vor dem Sendestart lag und die Programmzeitschriften darüber gar nicht mehr berichten könnten. Aber auf dieses Symbol wollte er nicht verzichten.

Natürlich hätte Raab solche Pressekonferenzen auch vor zehn Jahren schon vor ähnlich historischer Kulisse veranstalten können. Damals hätte der Reiz im Kontrast zwischen der Bedeutung des Ortes und der Albernheit des Moderators bestanden. Heute liegt der Witz darin, dass Raab tatsächlich zu einem unwahrscheinlichen Symbol für Ernsthaftigkeit, Seriosität und Nachhaltigkeit geworden ist – jedenfalls was Musik angeht.

„Nachhaltigkeit“ ist das Wort, das Thomas Schreiber, der Unterhaltungskoordinator der ARD und deutsche Grand-Prix-Chef, benutzt, um den zentralen Wert des diesjährigen Vorentscheids und einen Grund für die Zusammenarbeit mit Raab zu beschreiben. Natürlich hofft die ARD darauf, dank Raab und Pro Sieben auch ein paar junge Zuschauer zu gewinnen, aber die hat der Song Contest aus nicht immer leicht zu erklärenden Gründen meist eh. Raab hat sich Vertrauen erarbeitet. Aus seinem eher als Quatsch entstandenen „Bundesvision Song Contest“ ist etwas geworden, das Raab ganz unbescheiden die „Leistungsschau der deutschen Musikbranche“ nennt. Es ist eine Plattform, auf der sich Stars, Newcomer und Möchtegern-Newcomer präsentieren, und die Teilnahme ist attraktiv auch für die, die nicht gewinnen.

Bereits zweimal hat er in seiner Sendung „TV Total“ Sänger gecastet. Es war der programmatische Gegenentwurf zu „Deutschland sucht den Superstar“: Es ging darum, dass junge Musiker zeigen, was sie können. Nicht darum, zuzusehen, wie sie zu dem gemacht werden, was von einem Superstar vermeintlich erwartet wird. Max Mutzke, der 2004 gewann, musste sich nicht die Brauen rasieren und konnte die Augen beim Singen zulassen. Und Stefanie Heinzmann, die Siegerin von 2008, sieht auch heute noch nicht aus wie ein Popstar, sondern wie sie selbst (und schon das Piercing im Gesicht hätte ihr Dieter Bohlen sicher nicht durchgehen lassen).

Wenn am Dienstag der Show-Marathon beginnt, in dem in sechs Wochen und nicht weniger als acht Shows aus zwanzig Kandidaten der deutsche Vertreter beim Grand-Prix in Oslo herausgemendelt wird, soll es in einem erstaunlichen Maße um Musik gehen. Die lustigen oder „lustigen“ Ausschnitte, in denen sich erfolglose Bewerber für die Show blamiert haben, wurden vollständig nach „TV Total“ ausgelagert. Es gibt keine Homestorys über tragische Kindheitserlebnisse oder verarmte Familienangehörige, nur Kandidaten, die vorgestellt werden, live auftreten und von einer prominenten Jury aus Raab und wechselnden Musik- und Show-Kollegen halbwegs seriös bewertet werden.

Nun ist angesichts der Protagonisten nicht damit zu rechnen, dass „Unser Star für Oslo“ ein Hochamt gediegener Hochkultur wird. Aber der Purismus ist dennoch erstaunlich – und mutig: Denn es ist keineswegs sicher, dass es überhaupt eine große Zahl von Fernsehzuschauern gibt, die gerade das sehen will: eine Musiksendung, in der es um Musik geht. Einen Wettbewerb, in dem sich die Teilnehmer nur in der Disziplin beweisen müssen, in der sie bei einem Erfolg auch glänzen sollen.

Der Erfolg der Castingshows beruht zu einem Großteil auf dem gegenteiligen Effekt. Die erfolgreichsten Sendungen von „Deutschland sucht den Superstar“ sind die Pannenshows mit den unfähigen Kandidaten als Kanonenfutter und Witzvorlage. Auch die späteren Sendungen hat RTL immer mehr zu einer Art Soap mit Reality-Elementen ausgebaut; im vergangenen Jahr mussten die Mädchen im sogenannten „Recall“ mit einer Schlange um den Hals singen, die Jungs kopfüber an einem Seil hängend.

Um Talent und gute Musik geht es auch beim Pro-Sieben-Produkt „Popstars“ nur noch am Rande: Es ist eher eine „Big Brother“-Variante mit verschärfter Psychofolter in Form von Detlef D. Soost.

Diese Uneigentlichkeit der Castingshows ist nicht verwerflich: Das wichtigste Ziel der Sender ist es nicht, echte Superstars, Popstars oder Topmodels zu kreieren, sondern möglichst hohe Einschaltquoten zu generieren. Und wenn das Zweite nur auf Kosten des Ersten geht, fällt die Entscheidung leicht. Bemerkenswert ist allerdings, dass auch das Publikum offenbar längst nicht mehr auf die Illusion, die diesen Shows eigentlich zugrunde liegt, hereinfällt. Sie gucken diese Sendungen offenkundig allein für den flüchtigen Unterhaltungswert, nicht aus einem Glauben, dass hier echte, gar dauerhafte Stars gemacht werden.

Das zeigt sich schon daran, wie erfolglos die jeweiligen Gewinner inzwischen sind. Daniel Schuhmacher, dessen Sieg bei „DSDS“ gerade einmal acht Monate zurückliegt, muss heute um jedes bisschen Aufmerksamkeit kämpfen; der Terminkalender auf seiner Homepage ist wochenlang leer. Vanessa Meisinger und Leo Ritzmann, die vor wenigen Wochen das Finale von „Popstars“ gewannen und nun unter dem unfreiwillig treffenden Namen „Some & Any“ auftreten müssen, hatten sogar nicht einmal einen kurzen gleißenden Moment an der Spitze, bevor ihr Stern verglühte. Schon ihre erste Single kam nicht in die Top Ten; ihr Album erreichte einen miserablen 47. Platz.

Vielleicht ist es auch bezeichnend, dass das Publikum bei RTL zuletzt einen sympathischen jungen Mann zum „Supertalent“ wählte, der mit seinem Hund lustige Tricks vormachte. Das war nettes Entertainment für einen Abend oder zwei, ohne die Aussicht, dass der Mann nun gleich seinen Tagesjob aufgeben musste. Auf das Versprechen einer großen Karriere konnten die Leute offenbar verzichten. Sie wollten ein „Supertalent“ für einen Tag.

Umso erstaunlicher ist es, dass die ARD und Pro Sieben sich anscheinend trauen, die Sendung als Talentsuche ernst zu nehmen. Raab hat in seinen beiden größeren Casting-Aktionen bei „TV Total“ gezeigt, dass er einen Rahmen bietet, in dem das gelingen kann: Stefanie Heinzmann schaffte mit ihren Soul-Pop-Stücken zwar keinen bohlesken Nummer-Eins-Hit. Aber ihre erste Platte erreichte Platin, sie gewann Preise, sang live Duette mit Lionel Richie und ihrem Idol Joss Stone – und es spricht viel dafür, dass ihr Erfolg vielleicht unspektakulär, aber nachhaltig ist. Es ist ein Erfolg als Sängerin, nicht als Fernsehstar. Der Wettbewerb bei Raab, den sie gewann, war ein seltenes Beispiel dafür, dass sich das Fernsehen auch für etwas anderes interessieren kann als sich selbst. Aber das Finale begann um 23.20 Uhr und endete gegen kurz vor zwei – und hatte am Schluss keine halbe Million Zuschauer mehr.

Um 20.15 Uhr wird ein Vielfaches davon einschalten müssen. Thomas Schreiber hofft, dass sich die Quote über die Wochen aufbaut, und setzt darauf, dass „die Ernsthaftigkeit als Ernsthaftigkeit erkannt wird“. Das wäre als Erfolgsrezept im Fernsehen ganz was Neues.

Zwerge

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Als sich die UN-Menschenrechtskommission 2002 mit dem kommerziellen Zwergenweitwurf beschäftigte, ging es formal nicht um die Frage, ob diese Praxis gegen die Menschenwürde verstößt. Im Gegenteil: Es ging darum, ob durch ein Verbot des Zwergenweitwurfs in Frankreich kleine Menschen diskriminiert werden. Geklagt hatte einer kleiner Stuntman, der sich professionell in Bars und Clubs als Wurfgeschoss anbot und sich durch das Gesetz entmündigt sah: Als ob kleine Menschen nicht selbst entscheiden könnten, was sie mit sich machen lassen.

Das würde RTL gefallen. Ist es nicht auch ein Menschenrecht, sich von dem Schlager- und Fäkalienproduzenten Dieter Bohlen vor einem Millionenpublikum demütigen lassen zu dürfen? Es wird ja niemand gezwungen, sich bei „Deutschland sucht den Superstar“ zu bewerben oder den damit verbundenen Vertrag zu unterschreiben, der es den Fernsehleuten erlaubt, ungefähr alles mit den Aufnahmen anzustellen. Und nach all den Jahren könnte man wissen, wie in dieser Show mit Menschen und ihren Schwächen umgegangen wird.

Aber zum Zwergenwerfen gehören zwei: Einer, der sich werfen lässt. Und einer, der werfen will. Das muss man auch erst einmal wollen: Einen verstörten jungen Kandidaten vor der Kamera Liegestütze machen lassen, damit man hinterher Sex-Geräusche darunter legen und sein Schwärmen für Jurorin Nina Eichinger veralbern kann. Auf jedem Missgeschick, jeden körperlichen Makel eines Bewerbers herumreiten und seine Selbstüberschätzung, seine Naivität, seine Erfolgssucht ausnutzen. Einen Dieter Bohlen mit seinem asozialen Verhalten zum bewunderten Vorbild aufbauen.

Die Diskussion um „DSDS“ wird von RTL erfolgreich auf die Frage reduziert, ob man so mit Menschen umgehen darf. Verdrängt wird dadurch die Frage, ob man so mit Menschen umgehen muss. Ob für die Mitarbeiter des Senders und der sich selbst für besonders verantwortungsvoll haltenden Produktionsfirma Grundy nicht auch Grenzen gelten könnten, die durch eigene Verantwortung bestimmt und nicht durch Gesetze vorgegeben sind. Bezeichnenderweise wird die „Es wird ja niemand gezwungen“-Formel nie auf die Fernsehmacher angewandt: Es wird ja niemand gezwungen, jemanden bloßzustellen, nur weil der sich bloßstellen lässt.

Die Uno hat die Beschwerde des kleinen Stuntman übrigens abgelehnt.

Klare Ansage bei dpa: Lieber spät als falsch

Wolfgang Büchner, seit Jahresbeginn Chef der Nachrichtenagentur dpa, will in den Köpfen seiner Mitarbeiter einen „Check-Reflex“ aktivieren, um seltener auf Falschmeldungen hereinzufallen. „Nachdem die dpa nun zum dritten Mal innerhalb weniger Wochen auf eine Fälschung hereingefallen ist, müssen wir unsere Arbeitsweise und Sicherheitssysteme noch einmal überprüfen“, schreibt er in einer internen Mitteilung.

Vor zehn Tagen hatte dpa gemeldet, dass sich der Bundesvorsitzende der Republikaner, Rolf Schlierer, von seinem Amt zurückziehe – und sich dabei auf eine gefälschte E-Mail verlassen. Zuvor war dpa bereits auf eine von Aktivisten lancierte Pressemitteilung hereingefallen, die behauptete, die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ wolle ihren Stiftungsrat um drei Personen mit aktueller Vertreibungserfahrung erweitern. Und im September berichtete dpa, dass es in einer amerikanischen Kleinstadt Bluewater ein Selbstmordanschlag von Deutschen gegeben habe — in Wahrheit eine Inszenierung von Filmemachern.

Bereits nach dem „Bluewater“-Debakel hatte Büchner intern „sechs Lehren“ daraus für den Umgang mit exklusiven Informationen und zweifelhaften Quellen verfasst. Jetzt sah er sich dazu veranlasst, neue, verschärfte Regeln zu formulieren, denn: „Bei schwerwiegenden Fehlern mit negativen Auswirkungen auf den Ruf der Agentur können wir (…) nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.“ Die Anweisungen würden „zweifellos dazu führen, dass die dpa weniger Meldungen produzieren und in einzelnen Fällen später berichten wird“:

Informationen, die der dpa angeboten werden, SOLLEN immer überprüft werden.

Wenn es sich um sensible oder überraschende Informationen handelt, MÜSSEN sie ausnahmslos überprüft werden.

Büchner beschreibt in seiner internen Mail, dass der Aufwand, eine bei dpa eintreffende Information zu überprüfen, oft überschaubar sei und die Veröffentlichung nicht lange verzögern müsse. Aber er fordert:

Wenn wir ein Thema für meldungswürdig halten, müssen wir in der Regel auch die Zeit für Prüfung/Nachrecherche investieren, womit ja kein schlichtes Verifizieren der Echtheit des Absenders gemeint ist, sondern die Recherche weiterer Informationen, Details, Zitate. Wenn der Preis dafür weniger und dafür bessere Meldungen sind, sollten wir diesen Preis zahlen.

Büchners dramatisches Fazit:

Für den Erhalt unserer Glaubwürdigkeit ist kein Preis zu hoch, wir werden sie mit allen Mitteln schützen.

Wie schon bei seiner ersten Mail im vergangenen September lesen sich Büchners Anweisungen teilweise wie Selbstverständlichkeiten — insbesondere wenn man berücksichtigt, dass das, was dpa meldet, von einer Vielzahl von Medien ungeprüft und teilweise sogar automatisch weiterverbreitet wird. Andererseits macht der Text auch deutlich, wie groß der Druck in der Agentur und auf die Agentur ist, vor allem schnell zu publizieren. Mehrfach betont Büchner, dass kein dpa-Mitarbeiter mit Sanktionen rechnen müsse, wenn eine Berichterstattung dadurch verzögert wurde, dass er „im erforderlichen Umfang prüft und nachrecherchiert“. Auch im internen Protokoll dürfe er dafür nicht kritisiert werden.

Nach Ansicht Büchners gibt es zu dieser Herangehensweise für dpa keine Alternative:

Eine Agentur, die nicht viel mehr leistet, als Pressemitteilungen auszuwählen und umzuschlagen, braucht niemand. Wir wissen alle: Die dpa ist weit davon entfernt, simplen press release journalism zu betreiben. Aber ein Mehrwert (den die Kunden mit einem hohen Premium bezahlen sollen) einer Nachrichtenagentur mit Qualitätsanspruch muss genau darin bestehen, grundsätzlich mehr zu liefern als Informationen, die man auch bei OTS [Originaltextservice, der Pressemitteilungen verbreitet] bekommt. Und mit „mehr“ meine ich nicht nur „netter formuliert“.

· · ·

Im Folgenden einige Konsequenzen, die Büchner im Detail formuliert:

1. Journalistische Sorgfalt ist die Grundlage unserer Arbeit (…)

2. Richtigkeit geht IMMER vor Geschwindigkeit (…)

3. Alle Informationen, die der dpa angeboten werden, SOLLEN überprüft werden

Das Anrufen und Nachfragen bei schriftlichen Mitteilungen (Post, Fax, E-Mail) ist die Regel, nicht die Ausnahme.

Natürlich soll dabei nicht einfach die Echtheit der Absender überprüft werden. Beim Anrufen und Nachfragen sollten gute Zitate, weitere Details und zusätzliche Informationen eingeholt werden. So entsteht ein echter Mehrwert für unsere Kunden. Genau mit dieser anstrengenden und aufwändigen Arbeit bleiben wir unverzichtbar und erarbeiten uns den entscheidenden Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten, die die dpa verzichtbar machen wollen. (…)

6. Mitteilungen zu Themen auf dieser Check-Liste MÜSSEN IMMER überprüft werden (…)

  • alle Mitteilungen, die den geringsten Zweifel an Inhalt und Authentizität aufwerfen
  • alle Meldungen, die wir mit „überraschende Wende“ oder ähnlichen Formulierungen aufmachen müssten
  • Mitteilungen zu Todesfällen (im Inland nie ohne zuständige, eigene Quelle melden, im Ausland auf seriöse Quelle und deren Formulierung achten (NYT…)!)
  • alles rund um Privates /Persönliches: Krankheit, Scheidung/Trennung
  • weitreichende Entscheidungen: Rücktritte, Entlassungen, Personalien generell
  • börsenkursrelevante Mitteilungen (z.B. Übernahmen, Gewinnwarnungen, Insolvenzanträge)
  • alle Meldungen über geschäftliche und personelle Vorgänge in Medienunternehmen (insbesondere bei unseren Medienkunden!)
  • kritische Äußerungen von Parteikollegen übereinander (z.B. Wulff fordert die Ablösung Merkels)
  • Informationen über spektakuläre Kriminalfälle (z.B. Geiselnahmen, Amokläufe und Prominente als Täter, Opfer oder Mitwisser), sofern sie nicht von offiziellen Stellen wie Polizei und Staatsanwaltschaft oder aus zuverlässigen Augenzeugenberichten stammen
  • Staatsanwaltschaft teilt Aufnahme oder Nichtaufnahme von Ermittlungen in brisanten Fällen mit
  • Mitteilungen über brisante Gerichtsurteile
  • Informationen über Terroranschläge
  • (vermeintlich) echte Terror-Drohanrufe
  • angeblich bahnbrechende neue Erkenntnisse in Forschung und Wissenschaft, sofern sie nicht aus den renommierten Fachorganen (Science, Nature etc.) stammen

7. Check-Verfahren

Die drei Grundregeln zur Überprüfung von Informationen lauten:

a) Immer den unbequemen Weg gehen!

b) Treffen Sie weniger denn je einsame Entscheidungen, diskutieren Sie mit Kollegen!

c) Je größer und unwahrscheinlicher eine Story ist, desto gründlicher müssen wir sie überprüfen. (…)

Für alle zwingend zu überprüfende Mitteilungen gilt (vor allem wenn uns der Absender nicht bekannt ist):

  • Mitteilungen mit ausreichend Zeit und Konzentration lesen
  • Plausibilität prüfen: Kann es wirklich sein, dass diese oder jene Behauptung/Aussage/Forderung von der betreffenden Organisation/Person erhoben/getätigt wird – oder liegt die Mitteilung weit neben dem Erwartbaren?
  • Gerade für potenziell sensationelle Mitteilungen gilt, was wir schon nach dem Bluewater-Debakel festgestellt haben: Eine Story, die zu gut ist, um wahr zu sein, ist vermutlich genau dies: nicht wahr.
  • Namen von unbekannten Sprechern oder handelnden Personen zur ersten Verifikation in der Doku DB, der dpa-Plattform suchen und/oder googeln – wenige Treffer bei Google oder keine Fundstellen in der dpa-Plattform sind ein Alarmsignal!
  • Beim leisesten Zweifel an der Echtheit einer Mitteilung gilt darüber hinaus: Nicht die Telefonnummer zurückrufen, die in einer (womöglich gefälschten) E-Mail angegeben ist, nicht nur die Website aufrufen, die dort angegeben wurde. Besser Telefonnummern bei www.telefonbuch.de oder über die Auskunft nachrecherchieren.
  • Bei zweifelhafter Quellenlage ist die Berichterstattung – vor allem im Ausland – über einen zusätzlichen „Ring der Überprüfung“ abzusichern. Nicht nur die lokalen Behörden, sondern mindestens eine übergeordnete Stelle muss die Information bestätigen können (z.B. in den USA: die Heimatschutzbehörde oder der jeweilige Bundesstaat). Bei Auslandsthemen sind unbedingt die großen nationalen Medien zu beobachten.
  • Absender möglichst über bekannte Ansprechpartner persönlich verifizieren. Wenn es keine bekannten Ansprechpartner gibt: Ansprechpartner über andere – mit dem Thema verknüpfte – übergeordnete Stellen erfragen (Beispiele: Bundespresseamt, Parteien, Verbände, etc.).

Bei der Überprüfung von Webseiten/Internet-Auftritten gilt insbesondere:

  • In dubiosen Pressemitteilungen angegebene Internetseiten schon auf ihren Namen hin prüfen (klingt er merkwürdig?)
  • Wie ist die angeblich offizielle Webseite aufgebaut? Fallen Ungereimtheiten auf? Gibt es Bestandteile, bei denen man stutzig werden könnte?
  • Webseiten immer mit der Netcraft Toolbar checken
  • Für einen Gegencheck Webpräsenz eines Absenders googeln und auch die so recherchierten Seiten mit der Netcraft Toolbar checken
  • Im Zweifel fachkundige Kollegen zur Überprüfung von Mailadresse und Internetadresse hinzuziehen

10. Transparenz

(…) In Fällen, in denen die dpa eigentlich sofort berichten müsste, wir aber Zweifel an Fakten oder dem Absender einer Information haben, müssen wir versuchen, diese Zweifel umgehend auszuräumen. Falls das nicht gelingt, müssen wir auf die Berichterstattung verzichten, bis bestehende Zweifel ausgeräumt sind. Dabei sollten wir verstärkt auf die Möglichkeit von Achtungsnotizen an die Kunden zurückgreifen. Beispiel: „Der dpa wurde mitgeteilt, dass … Wir konnten diese Information bisher nicht überprüfen. Eine Berichterstattung folgt, sobald …“

11. Medien-Infos

Für (Vorab-)Informationen deutscher Medien (vor allem unserer Medienkunden) gilt, dass die dpa diese Informationen bei entsprechendem Nachrichtenwert aufgreifen kann, auch wenn diese nicht bei der Erstquelle überprüft wurden. Wir unterstellen, dass seriöse Medien an uns übermittelte Fakten selbst hinreichend geprüft haben.

Diese Regel entbindet uns allerdings nicht von der Pflicht, die Authentizität einer Medien-Vorab selbst sowie die Plausibilität und Justiziabilität der darin enthaltenen Informationen noch einmal zu überprüfen.

12. Medien im Ausland

In einigen Fällen ist es notwendig, dass die dpa die Berichterstattung anderer Medien aufgreift, weil ein Thema durch die Veröffentlichung eine so große Dimension bekommen hat, dass wir es nicht ignorieren dürfen. Wenn die halbe Welt über etwas spricht, muss sich auch die dpa um dieses Thema kümmern.

Das gilt auch dann, wenn wir diese Informationen nicht selbst verifizieren können.

Voraussetzung für eine Berichterstattung der dpa ist auch in diesen Fällen, dass die Information plausibel und ihre Verbreitung nicht justiziabel ist.

Besonders wichtig ist es, dass wir in diesen Fällen die notwendige Distanz zur Quelle wahren und gegebenenfalls vorhandene Zweifel artikuliert werden. (…)

· · ·

Ich dokumentiere diese Regeln hier auch deshalb so ausführlich, weil sie sehr brauchbar und anschaulich sind und natürlich nicht nur für dpa oder Nachrichtenagenturen insgesamt gelten sollten. Ich glaube, dass solche oder ähnliche Grundsätze für jedes journalistische Qualitätsmedium unverzichtbar ist. Die Zukunft des Journalismus kann nur darin liegen, noch stärker als bisher Mechanismen zu installieren, die ihn durch Verlässlichkeit, Glaubwürdigkeit und Transparenz von der Flut von Schein- und Desinformationen nicht nur im Internet absetzen und unverzichtbar machen.

Frustrierend ist für mich nur Büchners elfter Punkt, durch den all die schönen Sicherheitsmechanismen außer Kraft gesetzt werden, sobald irgendein Medium eine vermeintlich exklusive Meldung vorab an dpa schickt — und sei es die „Bild“-Zeitung, die dies gern spät abends macht, wenn kein Fachredakteur mehr Dienst hat. Die Nachrichtenagentur ist hier in einem gewissen Dilemma, weil die regelmäßig unzuverlässigen Quellen ihre eigenen Kunden und teilweise sogar Gesellschafter sind. Trotzdem wird sie ganz selbstverständlich auch diese sogenannten „Medien-Infos“ vor dem Weiterverbreiten nach den sonst üblichen Kriterien prüfen müssen, wenn sie nicht im Gleichschritt mit den anderen Agenturen auf jede Scheinenthüllung von Leuten wie dem „Bild“-Chefkorrespondenten Einar Koch hereinfallen will.

„Ich möchte das Reizende akzeptieren“

Es ist schon eine Woche her, dass LaToya Jackson für ihren Bruder Michael den St.-Georgs-Orden des Dresdner Semperopernballs entgegennahm. Ich habe ihre Dankesrede leider verpasst. Genau wie der Synchrondolmetscher des MDR.

Ich möchte das Reizende akzeptieren — aus Dresden. Ich weiß nicht, ob Michael das gewusst hat. Sie wissen: Er gab uns 39! Er gab sein Herz für die Menschen. Leute tanzten bei ihm. Und oftmals blieben sie noch bis zum nächsten Tag. Er freut sich, dass er so viel den Menschen hat geben können. Und seine Charity, von der er so viel gegeben hat. Er hat ein großes Herz, und das hat er den Menschen gegeben. Es zeigt die Güte. Sein Herz war so groß. Er dachte, alles. Meine Mutter, mein Bruder. Auch in anderen, verschiedenen Ländern. Meine Mutter würde schreien, mein Bruder würde schreien. (Unverständlich.) Lasst uns dafür etwas tun! Er würde sagen: Machen wir eine Spende. Und wir sollten den Kindern helfen. Kindern, die Liebe brauchen. Und das schon in einem jungen Alter, sehr jungen Alter. Zu spielen, mit ihnen sich hinsetzen. Und, er würde sagen: Ihr könnt noch jünger werden. Ihr könnt jünger bleiben. Kommt herein! Seid mit mir eine Familie. Das würde er sagen. Ich danke wirklich allen von Ihnen. In seinem Namen. Sein Lächeln. Das ist mit uns hier. Ich danke Ihnen so sehr. Ich. Es ist wunderbar. Danke schön.

Springer bleibt seinen Grundsätzen treu

Ich hatte mir ein bisschen Sorgen gemacht um die Leute in der Springer-Pressestelle. Jahrzehntelang hatten sie sich hinter einer Mauer des Schweigens verschanzt und sich immer, wenn es interessant wurde, nur mit einer der Aussagen zitieren lassen:

  • zu Rechtsfragen geben wir grundsätzlich keine Auskunft.
  • zu Personalfragen geben wir grundsätzlich keine Auskunft.
  • zu Redaktionsinterna geben wir grundsätzlich keine Auskunft.

Wie mag es diesen Menschen und diesem traditionsreichen Teil der Springer-Kultur ergangen sein, da „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann plötzlich in seinem Blog eine angriffslustige Form der Öffentlichkeitsarbeit etabliert hat, die man beim flüchtigen Blick fast mit Transparenz verwechseln könnte?

Ich hätte mir keine Sorgen machen müssen. „Bild“-Sprecher Tobias Fröhlich ist ganz der Alte geblieben.

· · ·

Von: Stefan Niggemeier
An: Fröhlich, Tobias
Betreff: Rechtskosten kaidiekmann.de
Gesendet: Dienstag, 19. Januar 2010 16:38

Sehr geehrter Herr Fröhlich,

ich habe eine kurze Frage zu den Rechtskosten, die Herr Diekmann beim Bloggen so produziert (und die er ja in einer Art Uhr auf der Seite mitzählt): Übernimmt Herr Diekmann diese Kosten persönlich? Oder kommt die Axel Springer AG dafür auf?

Vielen Dank,
mit freundlichen Grüßen
Stefan Niggemeier

· · ·

Von: Tobias Fröhlich
An: Stefan Niggemeier
Betreff: AW: Rechtskosten kaidiekmann.de
Gesendet: Mittwoch, 20. Januar 2010 18:53

Sehr geehrter Herr Niggemeier,

bitte haben Sie Verständnis, dass wir zu laufenden Rechtsstreitigkeiten grundsätzlich keine Auskunft geben.

Viele Grüße
Tobias Fröhlich
Axel Springer AG
Information und Öffentlichkeitsarbeit

„Gier“ und Genügsamkeit: Schoener ist, wenn man die Musik schon kennt

Es wird, wenn Sie sich heute den neuen Wedel ansehen wollen, ein sehr langer Abend. Aber vielleicht vertreiben Sie sich die Zeit damit, auf die Musik zu achten. Harold Faltermeier („Axel F.“) hat sie komponiert, und Eberhard Schoener steuerte mehrere Lieder bei, die „besondere Highlights in der Dramaturgie des Films setzen“, wie es im Pressetext zum Soundtrack heißt. Tatsächlich hat besonders das von Anouschka Renzi nach gefühlt elf Stunden vorgetragene „Hello Joe“ das Potential, an längst vergessen gelaubte große, alte Fernsehzeiten zu erinnen.

Wenn Sie bitte mal hören möchten:

Ist das nicht beneidenswert? Eberhard Schoener schafft es seit fast dreißig Jahren, dem Fernsehen immer wieder dieselbe Melodie zu verkaufen. Aber im Gegensatz zu Wedel klaut er wenigstens bei sich selbst.

Der Urin-Fleck & Frau Schäferkordts Busen

Da ist also einem Kandidaten bei „Deutschland sucht den Superstar“ ein Missgeschick passiert. Als er vor der Jury stand, hatte er einen Urin-Fleck auf der Hose. Dieter Bohlen zeigte mit dem Finger auf ihn und machte sich lustig, dass er sich „in die Hose gepisst“ hätte. RTL bearbeitete die Szene so nach, dass die peinliche Situation noch peinlicher wirkte und die Bloßstellung des 18-Jährigen maximal war, und verwendete dafür auch Sätze Bohlens, die auf einen ganz anderen Kandidaten gemünzt waren. Das hauseigene Videoportal „Clipfish“ zeigte den Ausschnitt unter dem vollen Namen des Möchtegern-Superstars und der Beschreibung als „Pipi-Kandidat“ (inzwischen geändert).

Der Sender meint nicht, dass er den Kandidaten hätte schützen müssen und die Szene weglassen sollen. „Wir zeigen, was beim Casting passiert. Wenn sich ein Kandidat mit nasser Hose vor die Jury stellt, darf er sich nicht wundern, wenn er darauf angesprochen wird“, zitiert der Branchendienst „Meedia“ RTL-Sprecherin Anke Eickmeyer. „Wir sind jetzt in der siebten Staffel von DSDS. Wer sich bewirbt, sollte wissen, wie die Sendung abläuft.“

· · ·

Vor gut zwei Jahren ist RTL-Geschäftsführerin Anke Schäferkordt ein Missgeschick passiert. Nichts, was auch nur annähernd so peinlich gewesen wäre, aber sie hatte sich als Gastgeberin des Deutschen Fernsehpreises 2007 ein Kleid ausgesucht, das ihrem Dekolleté eine vermutlich eher nicht beabsichtigte Form gab, was auffiel, wenn die Kameras sie wieder einmal im Publikum einfingen. Ich habe mir die Übertragung der Sendung auf RTL angesehen und live darüber gebloggt, und als eine Kommentatorin auf den unglücklich gepressten Busen hinwies, griff ich das auf und band zur Illustration auch einen Screenshot von der Szene ein, nichts Dramatisches, wie gesagt, nur eine etwas unvorteilhafte Situation.

Christian Körner, der Pressesprecher des Senders, war darüber nicht glücklich. Er rief mich an, bat freundlich darum, das Bild zu entfernen, betonte aber, dass es auch juristische Folgen haben könne, wenn ich es nicht täte. Ich erfüllte seinen Wunsch und ersetzte den Screenshot durch einen entsprechenden Hinweis.

Als ich in der vergangenen Woche las, warum RTL es für richtig hält, das Missgeschick eines Kandidaten groß auszustellen, habe ich meine Entscheidung bereut.

Wusste Frau Schäferkordt damals etwa nicht, dass der „Deutsche Fernsehpreis“ im Fernsehen ausgestrahlt wird? Gilt für Frau Schäferkordt nicht: Wenn sich jemand mit einem unglücklich sitzenden Kleid bei einer eigenen öffentlichen Veranstaltung zeigt, darf sie sich nicht wundern, wenn andere Leute das kommentieren? Aus welchem Grund muss man Frau Schäferkordt mit einer sehr viel harmloseren Panne schützen („vor sich selbst“, wie es immer so schön heißt), einen jungen „DSDS“-Kandidaten aber nicht? Wie kann jemand, der eine Sendung wie „DSDS“ verantwortet, einen besonderen Schutz vor öffentlicher Zuschauerstellung für sich in Anspruch nehmen?

Das fragte ich mich. Und die Presseleute von RTL.

Christian Körner antwortete mir, er finde den Zusammenhang „konstruiert“. Ihm sei schleierhaft, warum ich „einzelne Casting-Auftritte einer Sendung mit der Garderobe der Geschäftsführerin der Sendergruppe/des Senders in unmittelbare Verbindung“ bringe. Es sei — auch juristisch — ein Unterschied, ob man zu einem TV-Casting gehe, „das wenig überraschend auch im TV gezeigt wird“, oder „ein Gast von vielen einer Veranstaltung im Publikum, dem vielleicht mal was verrutscht“. Er fügte hinzu: „Auch die Empörung kann ich nur bedingt nachvollziehen, weil Sie — anders als andere — vorzugsweise davon ausgehen, dass die Menschen, die zB zu einem Casting kommen, vor sich selbst und der Welt geschützt werden müssen.“

Nun wies ich darauf hin, dass Frau Schäferkordt keineswegs Gast, sondern Gastgeberin war, und fügte hinzu, dass ich — anders als er mir unterstellte — gar nicht wisse, ob die Menschen vor sich selbst und der Welt geschützt werden müssen. Ich fragte mich nur, warum Frau Schäferkordt nicht selbst aushalten muss, was sie anderen zumutet.

Es kam darauf keine wirkliche Antwort. Nur, dass die Geschäftsführerin ja „in der Regel nicht persönlich die Sendung schneidet“. Und ich doch machen solle, was ich wolle, denn: „Empörung rund um DSDS kommt sicher nicht nur in Ihrer Redaktion oder Ihrem Blog gut an — und der Beifall ist Ihnen sicher.“

Aber meine Frage ist unbeantwortet: Warum stellen die RTL-Leute andere Menschen auf eine Art und Weise bloß, die sie bei sich selbst schon in viel harmloserer Form unerträglich finden?

Programmhinweis (34)

Morgen bin endlich mal wieder zu Gast bei Holgi im „Blue Moon“. Ab 22 Uhr reden wir auf Fritz zwei Stunden lang miteinander und mit allen, die anrufen und durchkommen, über Medien — und wenn’s nach mir geht, vor allem über die schrille Diskussion um Bezahlinhalte im Internet und die Frage, ob und unter welchen Bedingungen Menschen in Zukunft bereit sein werden, Geld für Journalismus auszugeben.

  • Montag, 11. Januar, 22 Uhr auf Fritz (RBB).

Hier zum Nachhören:

[audio:http://download.fritz.de/bluemoon/BM_100111.MP3]