Autor: Stefan Niggemeier

Journalismus?

Frank Schirrmacher brauchte nur einen einzigen ironischen Satz, um deutlich zu machen, wie wenig erstrebenswert eine Zukunft ist, in der es keine Zeitungsverlage mehr gibt, sondern in der „Konsumhersteller ihre eigenen Nachrichten produzieren“:

Wir freuen uns schon, wenn Apple über die Arbeitsbedingungen in China berichtet oder Coca-Cola über die Segnungen der Globalisierung.

Ja, das ist ein guter Test für die Qualität, für die Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit eines Mediums: Wie es mit Themen umgeht, die es selbst betreffen.

Die deutschen Zeitungen versagen gerade in spektakulärer Weise bei diesem Test. Sie demonstrieren jedem, der es sehen will, dass sie uns im Zweifel nicht zuverlässiger informieren, als es irgendein dahergelaufener amerikanischer Konsumhersteller täte.

Es ist eine bittere Ironie, dass sie diesen Beweis im Kampf für ein Gesetz liefern, dessen Notwendigkeit sie im Kern damit begründen, dass sie als zuverlässige Informanten der Bürger unverzichtbar und unersetzbar sind.

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Am Donnerstag lobte die FAZ in einem Artikel den „virtuosen Eiertanz“, den die „New York Times“ gerade in ihrer Berichterstattung über die Skandale bei der BBC vollbringt. Mark Thompson, der darin verwickelte frühere Generaldirektor der BBC, ist nämlich seit kurzem Vorsitzender der Geschäftsführung der „New York Times“. „Dem amerikanischen Verständnis von journalistischer Objektivität entspricht es“, staunte FAZ-Korrespondent Patrick Bahners, „dass ein Presseorgan eigene Angelegenheiten in gleicher Form darstellt wie die Geschäfte Dritter.“

Meinem Verständnis von journalistischer Objektivität hätte es entsprochen, wenn die deutsche Presse versucht hätte, ihre Leser fair, umfassend und zutreffend über das geplante Leistungsschutzrecht für Verlage zu informieren. Ich hätte es für selbstverständlich gehalten, sich darum zu bemühen, dass die nachrichtliche Berichterstattung in eigener Sache bzw. über einen unmittelbaren Konkurrenten oder Gegner ganz besonders unangreifbar ist.

Auf der Grundlage einer solchen ausgewogenen, sachlichen Darstellung könnten die Redaktionen dann natürlich Kommentare veröffentlichen, in denen sie für die eigene Position werben, die anscheinend mit der ihrer Verleger identisch ist (auch wenn ich mir als Leser vermutlich trotzdem wünschen würde, dass sie ohne den Kniff auskämen, das konkurrierende Unternehmen gleich als einen Agenten Amerikas zu dämonisieren).

Meinem Verständnis von gutem Journalismus hätte es entsprochen, die Gegenseite mindestens so ausführlich zu Wort zu kommen wie die eigene Seite, und zum Beispiel Gastkommentare nicht ausgerechnet von denen schreiben zu lassen, die ohnehin meiner Meinung sind. Das wäre kein Zeichen von Masochismus, sondern von Selbstbewusstsein. Und es würde beim Leser offensiv den möglichen Verdacht ausräumen, dass man ihm in einer solchen Situation abweichende Meinungen oder unliebsame Tatsachen verschweigt, wie man es offenbar von Apple und Coca-Cola erwarten muss.

(Dass das nicht ausschließt, sich kritisch mit Google und seinen höchst beunruhigenden Geschäftspraktiken auseinanderzusetzen, versteht sich von selbst.)

Stattdessen haben sich weite Teile der deutschen Presse dafür entschieden, Propagandaorgane in eigener Sache zu sein. Sie sehen es als ihre Aufgabe, dazu beizutragen, dass sie ihr Leistungsschutzrecht bekommen. Sie sehen es nicht als ihre Aufgabe, die Bürger gut zu informieren.

Nun kann man mir natürlich Naivität vorwerfen, dass ich etwas anderes erwartet hatte. Das ändert aber am Ergebnis nichts: Die deutschen Zeitungen haben genau den Test nicht bestanden, anhand dessen die Untauglichkeit möglicher Ersatz-Verleger wie Apple und Coca-Cola dargestellt werden sollte. Sie haben ihre eigenen Leser verraten, als würden sie die nicht mehr brauchen, wenn sie nur Google besiegen könnten.

Es findet keine kritische Berichterstattung statt über die Verleger-Kampagne und ihre Lobby-Arbeit, über die U-Boote, die in die Debatte geschmuggelt werden, über die würdelose Praxis, dass Chefredakteure zu nickenden Stichwortgebern ihrer eigenen Geschäftsführer werden, über das erbärmliche Agieren des früheren Journalisten Christoph Keese, der in dieser Sache als Sprecher der gesamten deutschen Verlagsbranche auftritt und sich offenbar entschlossen hat, dass die Wahrheit in diesem Kampf nicht sein Verbündeter ist.

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Neulich habe ich die Journalismus-Krisen-Berichterstattung der „Zeit“ kritisiert und als „Wohlfühljournalismus“ bezeichnet. In seiner Erwiderung verteidigte Chefredakteur Giovanni di Lorenzo nicht nur ausdrücklich einen solchen „Wohlfühljournalismus“. Er beschwerte sich zudem:

Man könnte ja auch sagen, dass wir weniger für die ZEIT, sondern für die ganze Branche eine recht ordentliche Titelgeschichte hinbekommen haben.

Ja, das hätte man auch sagen können. Ich wollte das aber nicht sagen, weil das nicht meine Meinung ist. Ich fand, es ist keine recht ordentliche Titelgeschichte geworden.

Bestürzend an di Lorenzos Satz finde ich nicht nur, dass sich ein leitender Journalist so nach Zustimmung sehnt. Bestürzend finde ich vor allem den Versuch einer doppelten Vereinnahmung: Dass die „Zeit“ da etwas für die ganze Branche geleistet hätte. Und dass ich das dann als Angehöriger dieser Branche doch bitte zu schätzen hätte.

Offenkundig ist der „Zeit“-Chefredakteur in der Branche nicht allein mit dem Wunsch, den ich aus seinen Texten herauslese: Dass die Zeitungen und der Journalismus von Kritik möglichst verschont werden sollen. Er suggeriert, dass es etwas Unanständiges und Selbstzerstörerisches ist, wenn ausgerechnet Zeitungs-Mitarbeiter und Journalisten diese Kritik üben.

Dahinter steckt womöglich der Gedanke, dass wir Journalisten einander in diesen schlechten Zeiten gegenseitig schonen müssen. Dass wir zusammenrücken sollen, zusammenhalten, gegen Google, zum Beispiel. Dass die Lage zu schlecht ist, um sich eine kritische Beschäftigung mit sich selbst und eine wahrhaft unabhängige Berichterstattung über die eigenen Themen leisten zu können.

Das Gegenteil ist richtig. Journalismus hat nur dann eine Chance zu überleben, unter welchen Rahmenbedingungen auch immer, wenn die Menschen ihn für unverzichtbar halten. Wenn sie davon überzeugt sind, dass sie ihm trauen können, auch und gerade dann, wenn es um Themen geht, die ihn selbst betreffen.

Der „New York Times“-Leser, der bemerkt, wieviel Mühe sich das Blatt gibt, ihn trotz der Verwicklung des eigenen Chefs zuverlässig über den BBC-Skandal zu berichten, der wird diesem Blatt zutrauen, sich grundsätzlich darum zu bemühen, ihn gut zu informieren. Der ist im Zweifel sogar bereit, für einen solchen Journalismus Geld auszugeben und für seine Existenz zu kämpfen.

Ich finde das naheliegend und keine amerikanische Eigenart. Die deutsche Presse aber scheint gerade zu jeder Unwahrheit bereit, um zu beweisen, wie wahrhaftig ihre Berichterstattung ist. Sie beteuert mit maximaler Einfalt ihre Vielfalt.

Der Kollege Richard Gutjahr bringt es auf die treffende Formel:

Journalismus. War das nicht genau das, was uns von Google unterscheidet?

Ich habe mich selten so unwohl gefühlt, Mitglied dieser Branche zu sein.

FAZ: Was wissen Professoren schon vom Geldverdienen?

Die deutsche Presse setzt ihre Desinformations- und Diffamierungskampagne fort. Im publizistischen Kampf für ihr eigenes Leistungsschutzrecht setzt heute Reinhard Müller auf der Titelseite der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ einen drauf drunter.

Zunächst überrascht er mit der Feststellung, dass Google „kein internationaler Wohlfahrtsverband“ sei, „sondern auch mächtiger Arm der amerikanischen Regierung“. Das war mir tatsächlich neu.

Dann erwähnt Müller immerhin, dass es noch andere Kritiker an dem Gesetzesvorhaben gibt:

Aber sind nicht auch die Jugendorganisationen aller Parteien dagegen? Erklärt uns nicht der öffentlich-rechtliche Rundfunk, die Verlage müssten eben mehr investieren? Weisen nicht Professoren auf das angeblich überholte „Geschäftsmodell Zeitung“ hin? Gewiss: Wer sein Geld nicht selbst verdienen muss oder vom Staat bezahlt wird (also von allen Steuerzahlern unabhängig von seiner Leistung getragen wird), der kann leicht den Marktliberalen spielen. Es kostet ja nichts.

Das ist ja praktisch. Die FAZ muss sich nicht inhaltlich mit der Kritik auseinandersetzen, weil sie eh nur von Schnorrern und Soziale-Hängematten-Bewohnern kommt. Weil in den Jugendorganisationen von CDU/CSU, FDP, SPD, Grünen und Piraten, die gemeinsam vor dem Leistungsschutzrecht warnen, auch Schülerinnen und Schüler sind, die möglicherweise noch keine Zeitung austragen, kann man ihre Äußerungen getrost ignorieren. Und Professoren sollen erst mal schön in der privaten Wirtschaft ihr Geld verdienen, ehe sie uns mit ihrem Expertentum belästigen.

Die FAZ hat — ebenso wie die „Süddeutsche Zeitung“ — ihre Leser bis heute nicht darüber informiert, dass es eine gemeinsame Erklärung namhafter Urheber- und Medienrechtler gibt, in der sie vor „unabsehbaren negativen Folgen für die Volkswirtschaft und die Informationsfreiheit in Deutschland“ warnen, wenn das Leistungsschutzrecht kommt. In dieser Erklärung ist übrigens in keiner Weise von einem angeblich überholten „Geschäftsmodell Zeitung“ die Rede.

Die FAZ verschweigt ihren Lesern relevante Kritik und diffamiert pauschal die Kritiker. Ausgerechnet die FAZ, die bei diesem Thema seit Jahren beweist, dass sie zu einer unabhängigen, ausgewogenen, fairen Berichterstattung nicht willens oder fähig ist, spricht den Professoren ab, vernünftig urteilen zu können, weil sie ja vom Staat bezahlt werden.

Reinhard Müller verantwortet bei der FAZ die Seite „Staat und Recht“, auf der vor drei Jahren Jan Hegemann, ein bezahlter Interessensvertreter von Axel Springer, als scheinbar unabhängiger Experte für das Leistungsschutzrecht werben durfte. An gleicher Stelle erschien in diesem Jahr erneut versteckte Eigenpropaganda: ein weiterer Gastkommentar pro Leistungsschutzrecht von einem vermeintlich unabhängigen Experten, der in Wahrheit ein Verlagsvertreter ist.

Laut Reinhard Müller diskreditiert es Teilnehmer an der Debatte, wenn sie möglicherweise vom Staat (oder von ihren Eltern) bezahlt werden. Es diskreditiert sie nicht, wenn sie von den Verlagen bezahlt werden.

Frederic Schneider hat vor drei Tagen sein FAZ-Abo gekündigt, weil deren einseitige Berichterstattung über Google und das Leistungsschutzrecht „der journalistischen Institution FAZ nicht würdig“ sei. Aber Schneider ist ja bloß Kreisvorsitzender der Jungen Union Main-Taunus. Auf solche Leute, die womöglich nicht einmal ihr eigenes Geld verdienen, können die FAZ und Reinhard Müller gut verzichten.

Zwischenstand im Presse-Limbo zum Leistungschutzrecht

Das Wettrennen um die verlogenste, einseitigste, falscheste und irrste Berichterstattung in der deutschen Presse über das Leistungsschutzrecht ist noch im vollen Gang. Insofern wäre es voreilig, heute schon einen Gewinner küren zu wollen, selbst wenn man sich kaum vorstellen kann, dass die bisherigen Teilnehmer noch zu übertreffen sind.

Bis vorhin zum Beispiel dachte ich, dass der „Mannheimer Morgen“ unmöglich einzuholen sein würde. Der hat einen Kommentar von Rudi Wais veröffentlicht, der auch in „Augsburger Allgemeiner“, „Main Post“, „Straubinger Tagblatt“ und „Landshuter Zeitung“ erschienen ist und mit den Worten beginnt:

Diesen Kommentar gibt es nicht umsonst.

Das ist ein Satz, der auf den ersten Blick nicht sehr spektakulär wirkt, es sei denn, man liest den Kommentar auf den Internetseiten von „Mannheimer Morgen“, „Augsburger Allgemeine“ oder „Main Post“. Dort gibt es ihn umsonst.

Diesen Kommentar gibt es nicht umsonst. Unsere Leser bezahlen am Kiosk oder im Abonnement für ihre Zeitung — und unser Verlag bezahlt den Autor, der diesen Kommentar schreibt, das Papier, auf dem der nachts gedruckt wird, die Druckmaschinen und natürlich auch Fahrer und Zusteller, die die Zeitungen dann in aller Frühe ausliefern. Im Idealfall haben am Ende alle fünf etwas von diesem Kommentar: Leser, Verlag, Journalist, Fahrer und Zusteller. Sie leben mit der Zeitung oder von ihr. Nur Google will nicht bezahlen.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber für mich verlieren diese Sätze ein bisschen ihre Überzeugungskraft dadurch, dass sie alle auf dem ersten Satz aufbauen, der so eindeutig falsch ist.

Wie übrigens auch der nächste:

Der amerikanische Internetriese sammelt Texte ohne Rücksicht auf Urheber- und Verlagsrechte in speziellen Nachrichtenportalen.

Nein. Was Google macht — Texte indizieren und mir kurzen Ausrissen verlinken — verstößt nicht gegen das Urheberrecht. Und wenn die Verlage es trotzdem nicht zulassen wollen, könnten sie es einfach verhindern, sogar ohne darauf verzichten zu müssen, über Google trotzdem gefunden zu werden. Die falsche Behauptung ist Teil der gezielten Desinformation der Leser durch die Verlage, was insofern ironisch ist, weil der Kommentator ein paar Sätze weiter schreibt, dass „unkundige Besucher“ von Google „gezielt desinformiert“ würden.

Der Kommentar endet mit den Worten:

Guter Journalismus kostet Geld — und deshalb darf ihn auch Google nicht umsonst bekommen.

Bevor Sie jetzt ein schlechtes Gewissen bekommen, falls Sie auf den Link geklickt und den Text umsonst gelesen haben: Keine Sorge. Es handelt sich ja nachweislich bei ihm nicht um „Guten Journalismus“.

Dieser Kommentar also, dachte ich, wäre schwer zu unterbieten. Andererseits hat sich die „Sächsische Zeitung“ wirklich alle Mühe gegeben. Die schreibt heute:

Nun ruft uns Google auf, für die Freiheit im Netz zu kämpfen. Auf wessen Kosten der Konzern das tut, ist doch egal, solange er es für unsere Freiheit tut. Dafür darf er auch beliebig viel Wissen über uns sammeln und an ihm beliebige Stellen weiterreichen. Oder beliebig geklaute Inhalte zum eigenen Nutzen verwerten. Ja, Google ist toll und für die Freiheit. Wie gaga — oder eben google — muss man eigentlich sein, um an ein solches Märchen zu glauben?

Als Laie würde ich sagen, dass das justiziabel sein dürfte. Nein, nicht das lustige Wortspiel am Ende, sondern die Unterstellung, dass Google Straftaten begeht und mit „beliebig geklauten Inhalten“ handelt. Aber mal angenommen, der Suchmaschinenkonzern würde dagegen vor Gericht ziehen, dann wär aber was los! Es wäre, jede Wette, für die deutschen Print-Medien und ihre Lobbyisten und Verbündeten ein Angriff auf die Pressefreiheit und der letzte fehlende Beweis, dass Google schlimmer ist als Hitlerkrebs.

Im übrigen ist die „Sächsische Zeitung“ in bester Gesellschaft: Auch der Zeitungsverlegerverband BDZV hat Google neulich mit einem Ladendieb verglichen.

Aber reicht das, um das publizistische Wettrennen in den Kategorien Unverfrorenheit und Wahnwitz zu gewinnen? Oder hat Stephan Richter, Sprecher der Chefredakteure des Schleswigholsteinischen-Zeitungsverlages, bessere Chancen? Er kommentiert unter dem Titel „Freiheit des Ausschlachtens“ und stellt gleich im zweiten Satz fest, dass „jeder halbwegs vernünftige Mensch“ für ein Leistungsschutzrecht sein müsse (das nicht zuletzt von führenden Urheberrechtsexperten, wir erinnern uns, abgelehnt wird).

Richter punktet vor allem damit, dass er es auf kürzestem Raum schafft, jedes einzelne Feld auf der netzpolitischen Bullshit-Bingo-Karte anzukreuzen:

Der parlamentarische Gang des Leistungsschutzrechtes wäre schnell beendet, lebte das Internet nicht von einer Scheinfassade, die die Netzjünger im Schlepptau der Suchmaschine Google glauben retten zu müssen. Die wichtigste Lüge: Im Internet herrscht Freiheit, die durch das Gesetz bedroht wird. Doch wo — bitteschön — ist die Freiheit im Netz? Allein der illegale Datenklau, mit dem täglich Geschäfte gemacht werden, verletzt Persönlichkeitsrechte und ist Bespitzelung. Hinzu kommt die Manipulation — auch bei den Suchmaschinen. Keiner kennt die Algorithmen, nach denen die Treffer bei Google angezeigt werden. Und schließlich ist da noch die Kostenlos-Mentalität, die es Internetanbietern erlaubt, mit dem puren Ausschlachten von Inhalten anderer Geld zu verdienen. Modernes Raubrittertum nennt man dies.

Zu würdigen ist auch die zugehörige Karikatur, die sich, um es positiv zu formulieren, um eine innovative Umsetzung des Themas bemüht und deshalb zeigt, wie Google einen Internetbenutzer dazu zwingt, die harte Nuss Leistungsschutzrecht zu knacken. Man kann es schlecht erklären, vielleicht schauen Sie einfach selbst.

Weitere Kandidaten-Vorschläge werden gern entgegengenommen.

Dann reden wir mal über „Zensur“

Die Präsidenten der deutschen Verlegerverbände haben einen gemeinsamen Brief an die Bundestagsabgeordneten geschickt. Sie beklagen sich darin über die angeblich „irreführenden Aussagen und unbegründeten Behauptungen“, mit denen der Suchmaschinenanbieter Google Stimmung gegen das Leistungsschutzrecht macht. Sie schreiben:

Jeder sollte wissen, Google ist noch zu viel mehr im Stande – ohne sich wie die deutsche Presse der Wahrheit verpflichtet zu fühlen.

Die zweite Hälfte dieses Satzes ist erstaunlich. Die erste aber auch. Was wollen Hubert Burda und Helmut Heinen mit diesem Geraune andeuten? Wovor sollen wir Angst und Panik haben?

Der Text, der gleichzeitig beklagt, dass Google „perfide mit Angst und Panik arbeite“, lässt das bezeichnenderweise offen. Aber einen Hinweis, was gemeint sein könnte, liefert heute das „Handelsblatt“. Es schreibt:

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hatte wegen der Onlinekampagne von Google indirekt zum Boykott des Suchmaschinenbetreibers aufgerufen: „Es gibt noch andere Suchanbieter als Google“, sagte sie dem Handelsblatt.

Google hat offenbar darauf auf seine Weise reagiert. Auffällig war, dass gestern über Stunden die aktuelle Debatte über das Leistungsschutzrecht und den Boykottaufruf gegen Google der Justizministerin über eine Google-Suche nicht zu finden war. Bei Yahoo hingegen gab es bei gleichen Stichworten sofort Treffer zur aktuellen Debatte. Manch einer im Justizministerium sprach darum gestern von „Zensur“.

Darin steckt ein ungeheurer Vorwurf: Google soll Nachrichten, die dem Unternehmen nicht genehm sind, verschwinden lassen. Das wäre in höchstem Maße alarmierend. Falls das „Handelsblatt“ diesen Verdacht belegen können sollte, wäre es erstaunlich, ihn nur eher unauffällig am Ende eines Textes zu bringen, der die unscheinbare Überschrift „RTL fordert klares Bekenntnis zum Urheberrecht“ trägt.

Ein Google-Sprecher wies die „Handelsblatt“-Behauptung auf meine Anfrage zurück: „Ein solcher Vorwurf ist durch nichts begründet und absurd.“

Aber dann reden wir doch mal über „Zensur“. Oder genauer: über das Verschwindenlassen missliebiger Informationen.

Am Dienstagnachmittag hat der geschäftsführende Direktor des Max-Planck-Institutes für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht eine Pressemitteilung verschickt. Sein Institut, die Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR) sowie mehrere weitere Wissenschaftler üben in einer Stellungnahme vernichtende Kritik an dem Gesetzentwurf, der heute Nacht in erster Lesung im Bundestag beraten werden soll.

Die führenden deutschen Zeitungen haben ihren Lesern die Existenz dieser Kritik namhafter Fachleute an dem geplanten Gesetz bis heute verschwiegen.

Es ist unwahrscheinlich, dass sie ihnen nicht bekannt ist. Die Nachrichtenagentur dpa hat erstmals gestern Vormittag in einer Meldung darüber berichtet („Wissenschaftler: Leistungsschutzrecht ’nicht durchdacht'“). In mindestens vier weiteren dpa-Meldungen ist die Stellungnahme erwähnt.

Trotzdem steht kein Wort davon in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, in der „Süddeutschen Zeitung“, in der „Welt“, im „Handelsblatt“ — alles Blätter, deren Verlage für ein Leistungsschutzrecht kämpfen und deren Redakteure gestern und heute teilweise wuchtigst Google für seine vermeintliche Desinformation kritisiert haben.

Es scheint nicht nur eine Platzfrage gewesen zu sein. Auch auf den Online-Seiten der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, der „Süddeutschen Zeitung“ und der „Welt“ ist nichts von der Kritik zu lesen. (Nachtrag: Ausnahme sind die automatischen Newsticker, die automatisch alle dpa-Meldungen übernehmen.) Immerhin bildet das „Handelsblatt“ hier eine überraschende positive Ausnahme; auch „Spiegel Online“ hat über die Kritik berichtet.

Aber in den überregionalen Zeitungen ist es, als gäbe es diese Stellungnahme gar nicht. Als wäre die missliebige Information „zensiert“ worden.

Das ist kein Einzelfall.

Als vor gut zwei Jahren in einem außergewöhnlichen Schritt 24 Wirtschaftsverbände unter Federführung des Bundesverbandes der Industrie (BDI) eine „gemeinsame Erklärung“ herausgaben, in der sie ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger „vollständig“ ablehnten, berichteten darüber weder die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ noch die „Süddeutsche Zeitung“ noch die „Welt“.

Die Leser der FAZ erfuhren von der Existenz dieser Kritik nur indirekt zwei Monate später. In einem Interview wies der Verlegerpräsident Hubert Burda die Vorwürfe des BDI zurück — Vorwürfe, über die die FAZ nie berichtet hatte.

So ist das: Was den großen renommierten deutschen Zeitungen bei ihrem Kampf für ein Leistungsschutzrecht im Weg steht, findet in den großen renommierten deutschen Zeitungen im Zweifel nicht statt. Eine unabhängige, von Eigen-Interessen unbeeinflusste Berichterstattung kann man von ihnen nachweislich nicht erwarten. Manch einer irgendwo könnte da schon von „Zensur“ sprechen.

PS: Ich habe heute beim Zeitungsverlegerverband BDZV nachgefragt, wie man denn die furchteinflößende Äußerung zu verstehen hat, dass Google „noch zu viel mehr im Stande“ ist als die aktuelle Kampagne. Die Antwort:

Google hat in Deutschland unbestritten eine marktbeherrschende Stellung. Das versetzt das Unternehmen in die Lage, diese Kampagne im eigenen wirtschaftlichen Interesse massenwirksam zu fahren. Zugleich zeigt Google damit das Instrumentarium vor, das nötig ist, jede wie auch immer geartete Kampagne mit höchster Aufmerksamkeitswirkung durch den digitalen Flaschenhals zu lancieren.
 
Man kann das, sehr geehrter Herr Niggemeier, völlig in Ordnung finden, man kann das, wie die Zeitungs- und Zeitschriftenverleger, aufgrund der Vormachtstellung der Suchmaschine im Internet aber auch für einseitig und deshalb bedenklich halten. Unser Ziel ist es, eine ernsthafte Debatte anzustoßen und die von Google gesetzten Bedingungen nicht einfach nach dem Prinzip „Friss Vogel oder stirb“ zu akzeptieren.

Lügen fürs Leistungsschutzrecht (2)

Genau genommen, hätte ich anstelle der „(2)“ im Titel auch „(1)“ schreiben können, denn die Lügen, die Christoph Keese, Außenminister der Axel Springer AG, gerade wieder verbreitet, sind keine neuen Lügen, sondern wieder die alten.

Im Deutschlandfunk diskutierte er heute mit dem Google-Sprecher Kay Oberbeck:

Oberbeck: Sie selber können selbst bestimmen, ob Sie entweder durch Google indiziert werden wollen, ob Sie gefunden werden wollen oder nicht. Sie können selber festlegen, welche Teile von Seiten, welche Teile Ihres Angebotes überhaupt auffindbar gemacht werden sollen oder gar nicht. Also insofern haben hier die Verlage schon jetzt sämtliche Hebel in der Hand, um selber festzulegen, was hier im Internet von ihren Angeboten sichtbar ist oder was auch nicht. (…)

Keese: (…) Was Herr Oberbeck auch gerade sagt, dass man angeblich frei die Möglichkeit hätte einzustellen, was man veröffentlicht sehen möchte: Genau das Gegenteil ist der Fall, und da liegt sozusagen der Kern des Problems. Google bietet einen einfachen Lichtschalter an, und diesen Lichtschalter kann man auf „An“ oder „Aus“ setzen. Wenn man ihn auf „An“ setzt, ist man im Internet sichtbar, erteilt damit nach Interpretation von Google aber die Einwilligung, dass alles kopiert werden darf, was man macht. Umgekehrt kann man sagen, ich möchte den auf Null setzen, ausschalten, diesen Lichtschalter; dann bin ich mit nichts, was ich mache, im Internet sichtbar. Ich bin gar nicht mehr auffindbar, ich bin für niemanden mehr auffindbar, selbst für Google nicht. Es wäre schön, wenn es solche differenzierten Möglichkeiten gäbe, wie Herr Oberbeck sie gerade schildert, aber die gibt es im Augenblick nicht.

Oberbeck hat Recht, Keese hat Unrecht.

Der Schalter, den Google (und die anderen Suchmaschinen) anbieten, kennt nicht nur die Positionen „An“ und „Aus“. Er kennt auch die Position „Nimm meine Inhalte in Deinen Suchindex auf, mach sie auffindbar, aber zeige keinen Textausschnitt daraus an“. Durch diese Vorgabe („no snippet“) können Verlage, wenn sie das wollen, Google veranlassen, keine kurzen Anrisse der Artikel zu zeigen, ohne dass sie unsichtbar werden.

Und diese Vorgaben lassen sich für jeden Artikel einzeln einstellen.

(Ganz abgesehen davon, dass die Position „An“ natürlich nicht bedeutet, dass Google ganze Artikel kopieren und veröffentlichen darf. Es geht immer nur um kurze Ausschnitte.)

Keese weiß das natürlich. Er verbreitet diese Lüge schon länger und macht, wenn er damit konfrontiert wird, verrückte Ausflüchte. Den Punkt, den Keese selbst den „Kern des Problems“ nennt, stellt er immer wieder falsch dar.

Christoph Keese, meine Damen und Herren, Wortführer der deutschen Verlage im Kampf für ein Leistungsschutzrecht, der Wahrheit verpflichtet.

Google-Anzeigen jetzt auch in Print

Der Suchmaschinenkonzern Google unterstützt mit seinem Kampf gegen ein Leistungsschutzrecht die großen Zeitungsverlage finanziell. Er hat heute in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, der „Süddeutschen Zeitung“, in „Welt“, „taz“, „Zeit“, „Berliner Zeitung“, „Tagesspiegel“ sowie in „Bild“ folgende ganzseitige Anzeige geschaltet:

Der Listenpreis für eine solche Anzeige in der FAZ (Seite 5) beträgt 71.810,00 Euro und in der SZ (Seite 9) 75.200,00 Euro. Eine ganze „Bild“-Seite bundesweit zu buchen, kostet laut Anzeigenpreisliste 414.500,00 Euro.

Nachtrag, 13:45 Uhr. Nach Angaben von Google läuft die Kampagne auch in Online-Medien, und zwar:

  • Mobile: Spiegel und Stern
  • Desktop: Spiegel, Stern, Focus, SZ, Handelsblatt, Zeit, WiWo, FTD, FAZ, Neon, Zeitjung, CNN, Berliner Zeitung
  • Soziale Netzwerke und Portale: FB, Jappy, Localisten, Xing, LinkedIn, T-Online, Web.de, freenet, GMX

Google ist nicht das Netz, und Verlage sind nicht der gute Journalismus

Die Kampagne von Google gegen das Leistungsschutzrecht ist, um mal mit dem rein Faktischen zu beginnen, natürlich nicht „beispiellos“, wie Konrad Lischka auf „Spiegel Online“ schreibt.

Der Suchmaschinen-Konzern hatte Anfang dieses Jahres — die Älteren werden sich erinnern — einen schwarzen Balken über sein Logo gelegt und seine Nutzer dazu aufgefordert, gegen zwei Gesetze zu kämpfen. Der amerikanische Kongress plante unter dem Vorwand, gegen Urheberrechtsverstöße zu kämpfen, gravierend ins Internet einzugreifen. Google warnte die Nutzer vor einer angeblich drohenden „Zensur des Netzes“ — und sorgte sich natürlich gleichzeitig ums eigene Geschäft.

Insofern ist es also nichts Neues, dass der Konzern seine Startseite jetzt für eine Kampagne in eigener Sache nutzt. Und auch nicht, dass er beim Versuch, die Nutzer zu mobilisieren, nicht diese eigene Sache in den Vordergrund stellt, sondern die Interessen der Nutzer und sogar die angebliche Sorge um das Gemeinwohl. (mehr …)

Auf den Hund gekommen: Der Wärmestuben-Journalismus der „Zeit“

Die Welt ist nicht gerecht. Die „Financial Times Deutschland“ muss sterben, und Kuschelmagazinen wie „Landlust“ und „Zeit“ geht es bestens.

Die von Giovanni di Lorenzo geleitete Wochenzeitung ist so heimelig und gefühlig geworden, dass sie sich auch als Heizdecke fürs Innere vermarkten ließe. Jan Fleischhauer hat sie neulich als „Führungsblatt des feminisierten Journalismus in Deutschland“ bezeichnet, wobei ich mir gar nicht sicher bin, ob Frauenmagazine überhaupt noch so emotionalisiert und betroffen und flauschigweich daherkommen wie die „Zeit“ heute.

In dieser Woche macht „Die Zeit“ mit der Frage auf, wie guter Journalismus überleben kann, und das illustriert sie natürlich, wie sonst, mit einem süßen Hund.

(Die Frage, ob der Hund die Gefahr oder der Heilsbringer für den Journalismus ist, ist natürlich reine Ketzerei.)

Nun ist es das eine, seinen Lesern ein warmes Gefühl im Bauch zu machen. Was die „Zeit“ aber auch wie kaum eine zweite kann: sich selbst öffentlich ein warmes Gefühl im Bauch machen.

Beides gleichzeitig versucht Giovanni di Lorenzo in seinem Leitartikel, dessen Überschrift schon alles sagt:

Das Blatt wendet sich

Hierzulande gibt es die wohl besten Zeitungen der Welt. Aber keine Branche betreibt so viel Selbstdemontage.

Er schreibt dann erst, worüber er alles nicht klagen will, weil klagen eh nicht hilft, und scheint dann zur „ungemütlichen Prüfung“ überzuleiten, ob ein Teil der Probleme von Zeitungen nicht „hausgemacht“ sei. An dieser Stelle, schreibt di Lorenzo, sei „allerdings ein Wutausbruch fällig“.

Es stellt sich heraus, dass er das zentrale, hausgemachte Problem der Zeitungen darin sieht, dass die sich selbst nicht gut genug finden. Er beschwert sich unter anderem, dass „Journalisten der Printmedien“ zu „manisch“ das Internet lobgepriesen und ihren treuen und teuren Print-Lesern damit suggeriert hätten, dass sie von gestern sind.

Vielleicht bin ich da als Medienjournalist übersensibel, aber ich lese darin, ein bisschen verschleiert, einen Aufruf, dass Print-Journalisten Print-Marketing betreiben sollen. Es setzt den wenigen verbliebenen professionellen Medienredakteuren bei Print-Medien weiter zu, die sich seit über zehn Jahren dafür rechtfertigen müssen, dass sie über die Probleme ihrer Branche so kritisch schreiben wie es ihre Kollegen bei anderen Branchen tun. Journalismus, der Probleme schonungslos benennt, ist offenbar nur dann eine gute Sache und ein fruchtbarer Prozess, wenn er nicht den Journalismus selbst betrifft.

Abgesehen davon wüsste ich gerne, wo di Lorenzo heute einen überkritischen Umgang der Printmedien mit sich selbst ausmacht. Umgekehrt könnte ich ihm Berge von Artikeln schicken, die sich lesen, als seien die Kollegen längst der verlängerte Arm der Marketing-, Lobby- und PR-Abteilungen ihrer Häuser und ihrer Branche.

Am Ende seines Leitartikels schreibt di Lorenzo, was das gedruckte Medium alles brauche:

Vor allem aber braucht es die Leserinnen und Leser, die in aller Regel wissen, was sie gutem Journalismus verdanken. Allerdings müssen sich die Blätter und ihre Macher diese Zuwendung im buchstäblichen Sinne auch verdienen. Wer für sich selbst keine Wertschätzung empfindet, kann sie auch nicht von anderen erwarten.

Das ist allen Ernstes sein zentraler Punkt. Er endet nicht damit, dass Zeitungen besser werden müssen, sondern dass sie sich selbst besser finden müssen.

Entsprechend versteht sich die Qualitätsjournalismus-Ausgabe der „Zeit“ als Wärmestube für die fröstelnden Kollegen.

Götz Hamann schreibt dort:

Das geschriebene Wort steht am Anfang jeder gesellschaftlichen Debatte, doch nun spürt es die volle Wucht der Digitalisierung. Es geht nicht um jedes Wort, sondern um jene, für die auch die ZEIT steht.

Dass das so ungelenk und grammatikalisch heikel formuliert ist, ist vermutlich die Folge davon, dass die „Zeit“ unbedingt ausdrücklich sagen wollte, dass sie nicht sterben darf. Dass das, was sie sagt, Gewicht hat, Relevanz. Auf beinahe elegante Art definiert sie Qualitätsjournalismus als das, was in der „Zeit“ steht.

Das kann man natürlich machen, und womöglich funktioniert es sogar im Sinne der Auto-Suggestion von „Zeit“-Machern und „Zeit“-Lesern. (Auch wenn es natürlich nicht wahnsinnig hilfreich ist, wenn gleich auf der nächsten Seite der „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann falsch geschrieben ist und ein falsches Alter hat.)

Zusammen mit Bernd Ulrich hat Götz Hamann dann noch „sieben Thesen zum Journalismus“ verfasst, von denen man wiederum eigentlich nur die Überschrift lesen muss:

Die Zukunft ist noch lang

Ich möchte trotzdem die letzte, siebte These vollständig zitieren:

Wird es in zwanzig oder dreißig Jahren noch Autos geben? Facebook? iPhones? Wir wissen es nicht. Wird es in zwanzig oder dreißig Jahren noch Zeitungen geben? Das wissen wir auch nicht. Was wir wissen, ist: Auch in Zukunft wollen die Menschen von A nach B, irgendetwas Autoartiges wird ihnen dabei helfen. Auch in Zukunft kann sich nicht jeder über alles selbst informieren, vermag nicht jeder alles einzusortieren, folglich wird es Menschen geben, deren Beruf es ist, dabei zu helfen, vermutlich werden diese Menschen Journalisten heißen. Solange es Worte gibt, wird es schreibenden Journalismus geben. Und so lange wird dieser Beruf einer der schönsten der Welt bleiben.

Mich hat diese hilflos-verzweifelt-verklärende Flucht ins Pathos unter dem Sinnbild des süßen gephotoshoppten Hundes heute depressiver gemacht als alle aktuellen Untergangs-Nachrichten von Print-Medien.

„Es ist manchmal so schlicht, wie man’s unterstellt“

Ich habe jetzt herausgefunden, warum ich schlecht über Markus Lanz schreibe: Weil er vor fünf Jahren die Anfrage, einen Gastbeitrag für BILDblog zu schreiben, abgelehnt hat.

Ich hatte das längst vergessen. Lanz nicht. Und so kam es, als er kurz vor seiner ersten „Wetten, dass“-Sendung beim österreichischen Radiosender Ö3 zu Gast war, zu folgendem Dialog:

[audio:http://www.stefan-niggemeier.de/blog/wp-content/lanz3.mp3]

Claudia Stöckl: Jetzt hast du auch schon in einem „Focus“-Interview gesagt: Eigentlich spürst du schon lange, seit du in der Fernsehbranche bist, man bekommt Dresche. Die Kritik ist hart. Das merkst du jetzt, glaub ich, besonders. Es gibt Leute, die sagen, sie trauen dir das nicht zu. Und da gibt es ja diesen „Spiegel“-Redakteur, den Stefan Niggemeier, der einen ganz bösen Blog über dich geschrieben hat. Zum Beispiel hat er geschrieben: „Es sind ja nicht nur diese Posen, das Finger-an-den-Mund-legen, der Dackelblick, dieses sich Spreizen, die Witzelsucht, die konsequente Unterforderung des Zuschauers, die persönlichen Zudringlichkeiten, die Phrasen, die Wichtigtuerei, das ganze streberhafte Gehabe.“ Ja, also, er hat’s ganz böse über dich geurteilt.

Lanz: Das war ein Pamphlet!

Stöckl: Kann man dich vergiften so? Im Sinne: Trifft dich dieses Gift?

Lanz: Ich beschäftige mich, ehrlich gesagt, nicht damit, aber speziell in seinem Fall habe ich eine Vermutung, diesem Menschen mal wirklich auch das Gewicht zu geben, das er eigentlich in meinem Leben nicht hat. Der hat vor vielen Jahren mich mal angefragt, ob ich an seinem Anti-„Bild“-Zeitungs-Blog mitwirken möchte. Ich hab damals zu ihm gesagt, ich mache das nicht. Ich habe kein Interesse daran, in irgendeiner Form gegen die „Bild“-Zeitung zu hetzen, genauso wenig wie ich ein Interesse daran habe, mich mit der „Bild“-Zeitung gemein zu machen. Ich hab mein journalistisches Handwerk gelernt und versuche immer, so ne gewisse Distanz zu wahren. Und als ich das so gelesen hab, hatte ich schon das Gefühl: Da sind noch ein paar alte Rechnungen offen. Es ist manchmal so schlicht, wie man’s unterstellt.

Ich habe, als ein Kommentator mir diese Stelle vorhielt, natürlich erst alles abgestritten: Lanz, am BILDblog mitwirken, wie lächerlich ist das denn?

Dann fiel mir ein, worauf er sich beziehen könnte. Ende 2007 haben wir viele bekannte und weniger bekannte Persönlichkeiten gefragt, ob sie für uns einen Gastbeitrag schreiben, als „BILDblogger für einen Tag“ für unsere damalige Adventsaktion. Darunter war auch Markus Lanz (oder „Mario Lanz“, wie es auf einer Liste mit über 50 Namen von Wunsch-Teilnehmern steht), damals noch Moderator des RTL-Sprengstoffmagazins „Explosiv“.

Ich habe sogar die Mail wiedergefunden, die ich damals an den RTL-Pressesprecher geschickt hatte:

Von: Stefan Niggemeier [mailto:[email protected]]
Gesendet: Donnerstag, 29. November 2007 16:02
An: Körner, Christian [RTL Television]
Betreff: Anfrage für Markus Lanz / BILDblogger für einen Tag

Lieber Herr Körner,

darf ich Sie mal als Boten missbrauchen? Könnten Sie für mich die folgende Anfrage an Markus Lanz weiterleiten? Das wäre supernett!

Vielen Dank,
schöne Grüße
Stefan Niggemeier

Lieber Herr Lanz,

wir brauchen Sie. Für unsere große, natürlich 24-teilige Adventsaktion „BILDblogger für einen Tag“.

Unser Weihnachtswunsch ist es, im Advent jeden Tag einen anderen Gastautor zu präsentieren, der uns einen BILDblog-Eintrag schenkt. Der aufschreibt, was ihm an der „Bild“-Zeitung aufgefallen ist: die kleinen Merkwürdigkeiten oder das große Schlimme. Das können Fehler oder journalistische Entgleisungen des jeweiligen Tages sein, aber auch grundsätzliche Ärgernisse oder Gedanken zur „Bild“-Zeitung, was Sie immer schon mal bloggen wollten — am liebsten natürlich mit Bezug zur aktuellen „Bild“-Ausgabe. Gerne im BILDblog-Stil, gerne aber auch ganz anders: in der Form und Länge, die Sie sich wünschen.

Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie dabei wären. Können Sie sich das grundsätzlich vorstellen? Wenn Ja: Sagen Sie uns schnell Bescheid, damit wir gemeinsam nach einem passenden Termin suchen können. Und wenn Sie noch zögern, sagen Sie uns, was Sie zweifeln lässt — wir überreden Sie gern (mit guten Argumenten natürlich und mit Details über das Wie, Mit Wem und Warum).

Eine Antwort von Lanz habe ich nicht gefunden, und ich kann mich nicht erinnern, ob Lanz oder der RTL-Pressesprecher telefonisch abgesagt haben. Fest steht nur: Markus Lanz war damals nicht dabei, beim „Hetzen“ gegen die „Bild“-Zeitung.

Und deshalb schreibe ich heute schlecht über Markus Lanz. Woran soll es auch sonst liegen? An seinen Moderationen?

Manchmal ist es so schlicht, wie man’s unterstellt.