Autor: Stefan Niggemeier

Kurz verlinkt (42)

Während andere Journalistinnen noch nach dem Sinn von Blogs suchen, hat Eva C. Schweitzer anscheinend einen gefunden. Zumindest für sich und ihren Anwalt.

Spreeblick: „Journalistin lässt Blog abmahnen, fordert 1.200 Euro Schadensersatz für Textzitate“

Nachtrag, 9.30 Uhr. Frau Schweitzers Antwort ist ein Manifest der Arroganz und als solches womöglich nicht untypisch und unbedingt lesenswert. Offenbar hat sie tiefsitzende Probleme mit Männern, Deutschen, Bloggern (und Apple).

Nachtrag, 13.10 Uhr. Johnny Haeusler veröffentlicht eine weitere Stellungnahme von Frau Schweitzer und antwortet ihr — wie ich finde, sehr angemessen.

Nachtrag, 15.55 Uhr. Frau Schweitzer lässt weitere Masken fallen.

„Galileo“ und die 50-Autos-Lotterie

Wenn Sie sich bitte diesen kurzen Ausschnitt aus dem Umfeld der ProSieben-Sendung „Galileo“ anschauen mögen, ich hätte danach dann zwei Fragen dazu:

Erstens, ohne zu spicken: Was kostet die Teilnahme an dem „Galileo-Wissensquiz“?

Die Antwort „nichts“ ist natürlich falsch, obwohl das Wort „gratis“ ewig im Bild ist und der Sprecher zweimal „kostenlos“ sagt. Die Information, dass die Handy-Nachrichten, mit denen man an der Verlosung der Autos teilnimmt, jeweils 50 Cent kosten, hat Pro Sieben sicherheitshalber im Kleinstgedruckten versteckt. Sie steht allerdings immerhin in den SMS mit den Fragen, die man täglich bekommt, wenn man sich für das Spiel anmeldet.

Die zweite Frage ist schwieriger: Wer veranstaltet dieses Gewinnspiel? ProSieben? „Galileo“? Muss ja, steht ja groß drauf. Und als Ort für weiterführende Informationen sind der Teletext und die Homepage von ProSieben angegeben. Andererseits findet sich in den dortigen „besonderen Teilnahmebedingungen für das Galileo-Wissens-Quiz“ folgender Hinweis:

Veranstalter:
Hauptveranstalter der Gewinnaktion ist die imobic GmbH, Malkastenstraße 3, 40211 Düsseldorf

Kein Wunder: Bei der „Gewinnaktion“ handelt es sich um dasselbe imobic-Geschäft, für das auch die Programmzeitschrift „TV Spielfilm“/“TV Today“ auf ihrem Titel wirbt, und bei den 50 Autos, die es zu gewinnen gibt, um dieselben 50 Autos.

Komischerweise ist das aber nicht die Antwort, die ich von Christoph Körfer, dem Unternehmenssprecher von ProSieben, bekommen habe. Er teilte mir mit:

„Es handelt sich um ein klassisches Gewinnspiel von ProSieben in Zusammenarbeit mit dem Kooperationspartner imobic GmbH. Die Abwicklung läuft über ProSieben.“

Das glaube ich nicht. Dagegen sprechen nicht nur die eigenen Teilnahmebedingungen und die Tatsache, dass dasselbe Geschäft mit denselben Autos auch mit anderen Werbepartnern und ohne den Namen „Galileo“ stattfindet. Auch die Kurzwahl für die Premium-SMS, über die die Teilnehmer mitmachern (2010), und die Gratis-SMS-Nummer zur Anmeldung (2009) sind auf die Firma imobic GmbH registriert. Als technischer Dienstleister sind ebenfalls nicht ProSieben oder die hauseigenen Spezialisten für teure Telefonspiele von 9live für die Abwicklung zuständig, sondern die Digame GmbH.

Weiterführende Fragen ließ ProSieben unbeantwortet, dabei wollte ich zum Beispiel bloß wissen, ob das, was man oben im Film sieht, nun bezahlte Werbung oder Eigenwerbung von ProSieben ist und ob ProSieben an den durch die Werbung generierten Einnahmen beteiligt wird.

Auch von Lutz Carstens, dem Chefredakteur von „TV Spielfilm“ und „TV Today“, habe ich auf ähnliche Fragen keine Antworten bekommen. Dort waren die Anzeigen von imobic sogar in den redaktionellen Programmteil integriert:


Nein, lesen kann man das auch im Original nicht vollständig, und ein Hinweis, dass es sich um Werbung handelt, fehlt natürlich. Carstens stellt sich auf meine Anfragen inzwischen tot. (Ich glaube aber, dass er noch lebt und mir nur seine komischen Schleichwerbegeschäfte nicht erklären will.)

Gemeldet hat sich dafür aber Roman Tietze, der Chef der imobic GmbH. Zu der Art, wie „TV Spielfilm“ in sein Geschäft mit den Autos und den SMS eingespannt ist, möchte er mir auch nichts sagen. Immerhin erklärt er aber, dass „die Bob Mobile AG ein Investor bei der imobic GmbH ist. Die imobic GmbH ist jedoch operativ vollständig unabhängig und veranstaltet das Gewinnspiel komplett eigenständig.“

Ausgerechnet Bob Mobile. Die Firma hat im Geschäft mit Premium-SMS einen schlechten Ruf und ist berüchtigt dafür, sehr weit zu gehen, um Ahnungslose in teure Abo-Fallen zu locken. Unter anderem wirbt Bob Mobile mit dem (falschen) Versprechen eines IQ-Tests und verwendet dabei graphische Elemente, die es wie ein Angebot des sozialen Netzwerkes MeinVZ aussehen lassen, wie hier vor wenigen Tagen auf Bild.de:

MeinVZ erklärte dazu gegenüber BlogWave.de, dass sich Bob Mobile schon einmal dazu verpflichtet habe, diese „rechtswidrige und vor allem die Verbraucher massiv irreführende Werbung“ einzustellen.

Soviel zur Seriösität von Bob Mobile, einem Investor der erst ein paar Tage alten Firma imobic, die es irgendwie geschafft hat, eine riesige Kampagne für eine Auto-Lotterie zu starten, mit Medienpartnern, die das Angebot als ihr eigenes ausgeben, um es nicht als Werbung deklarieren zu müssen, und sich weigern, ein paar einfache Fragen nach der Art der Zusammenarbeit zu beantworten.

Falls es sich um ein seriöses, alltägliches Geschäft handeln sollte, geben sich alle Beteiligten aber viel Mühe, den gegenteiligen Eindruck zu erwecken.

„Focus“-Redakteure zu kaufen

Im Sommer machte ein Brief Furore, den Hans-Dieter Wichter, der Pressesprecher der nordrhein-westfälischen Landesregierung, an „Focus“-Chefredakteur Helmut Markwort geschickt hatte. Er beklagte sich darin, dass ein NRW-Sonderteil im „Focus“, den die Landesregierung durch Werbung unterstützt hatte, auch einen kritischen Bericht über die Zeitungsgruppe WAZ enthielt.

Der Brief [pdf] warf Fragen auf nach der Intelligenz des Regierungssprechers und seinem Verständnis von Pressefreiheit, aber auch, wie er überhaupt darauf kam, dass man sich beim „Focus“ die gewünschte Berichterstattung durch Anzeigen erkaufen könne, was ja eine völlig aberwitzige Idee ist.

Und damit zu einem ganz anderen Thema.

Der aktuelle „Focus“ enthält ein 28-seitiges „Focus-Spezial“ über digitale „Innovationen, die unseren Alltag wirklich erleichtern“:

Es handelt sich nicht um eine Werbebroschüre oder eine Anzeigensonderveröffentlichung: Das Impressum weist die „Focus“-Chefredakteure Helmut Markwort und Uli Baur als Chefredakteure auch dieses „Spezials“ aus, verantwortlich für „Konzept & Redaktion“ ist der langjährige „Focus“-Wirtschaftsredakteur Michael Franke, die Autoren sind „Focus“-Mitarbeiter.

Auf dem Titel steht allerdings der Hinweis:

Das ist eine grandiose Untertreibung. Das gesamte Heft ist eine einzige Werbeveranstaltung für Microsoft. Mit einem Interview mit Microsoft-Deutschland-Chef Achim Berg, den die „Focus“-Redakteure als „Marathon Mann“ und „unermüdlichen Kämpfer“ preisen und ihm „Freude an der Arbeit“ und „Gute Ausdauer“ attestieren:

Mit einer ausführlichen Würdigung des tollen neuen Betriebssystems „Windows 7“, die so verpackt ist:

Und einer doppelseitigen Vorstellung der tollen neuen Funktionen von Microsoft Office:

Die Aufmachergeschichte ist angeblich eine Reportage über eine „total vernetzte Familie“, die „man“ „plötzlich mit Super-Handys, Laptops und einem Großbild-Fernseher“ ausgestattet hat. „Man“?

Vor vier Wochen wurden sie von dem Software-Giganten Microsoft mit einer ganzen Ladung High Tech ausgerüstet: zwei Smartphones mit aktueller Software Windows Mobile 6.5 (s. S. 7), zwei Laptops mit dem neuen Betriebssystem Windows 7 sowie ein Flachbildschirm-TV, mit dem man nicht nur normal Fernsehen schauen kann, sondern sich abends beim Familientreff auch Fotosl, Filme oder Musik vom Laptop auf die MAttscheibe und Boxen bringen lässt (…).

Marlon, 12, ist indes sofort fasziniert. Er sitzt gern am Computer und durchforstet die digitale Welt. Gerade untersucht er Windows 7 ganz genau — an dem neuen großen Laptop mit dem drehbaren Bildschirm — und findet es gut, dass sich die Internet-Seiten viel schneller öffnen als früher: „Ich kannte die Vorgänger-Software Vista, aber die war irgendwie langsamer“, meint er (www.windows7.de).

In der Rubrik „Neue Ideen aus dem Web“ stellen die „Focus“-Leute ausschließlich Angebote des Microsoft-Portals MSN vor.

Unter der Überschrift „Sicher surfen im Netz“ halten sich die „Focus“-Leute nur einen Satz lang mit den Virenscannern auf, die man verwenden sollte, ganz gleich, welchen Browser man benutzt („ob Firefox, Safari oder den neuen Internet Explorer 8“) — um sich dann den ganzen Rest des eineinhalb Seiten langen Artikels mit den tollen neuen Sicherheitseinstellungen des Internet Explorer und des Microsoft-eigenen tollen Viren-Scanners zu beschäftigen.

Und die Xbox 360 von Microsoft ist „von einer Gamer-Box zur Multimedia-Zentrale für die ganze Familie“ geworden, weiß „Focus“, berichtet ausführlich und verlässt sich auf die zuverlässigen Einschätzungen von Microsoft-Leuten.

Produkte der Konkurrenz, seien es Google, Nintendo oder Apple, kommen in diesem Heft, das laut „Focus“ „Antworten“ auf die Frage nach der klugen Vernetzung von Handy, Laptop und PC geben soll, praktisch nur vor, um darauf zu verweisen, dass Microsoft jetzt mindestens genau so gut sei.

An keiner Stelle steht in dieser „Focus-Spezial“ ein Wort wie „Anzeige“, „Werbung“ oder „Promotion“.

„Focus“-Redakteure kann man kaufen. Und Microsoft hat’s getan.

[mit Dank an René!]

Trauern mit der „Frankfurter Rundschau“

Man kann lange Aufsätze darüber schreiben, wie sich der Charakter der Online-Medien regelmäßig von ihren Print-Müttern unterscheidet, wie Qualitätsstandards, die in der gedruckten Zeitung selbstverständlich sind, plötzlich im Internet keine Rolle mehr spielen, wie so viele ihrer Klickgeilheit erliegen und versuchen, dem Gossenjournalismus der „Bild“-Zeitung Konkurrenz zu machen.

Man kann es aber auch anhand einer einzigen Bildergalerie im Online-Ableger der „Frankfurter Rundschau“ zeigen.

Die „Frankfurter Rundschau“ hat sich Fotos herausgesucht.

Ein Foto von dem Skifahrer Hermann Maier, wie er weint, weil er aus gesundheitlichen Gründen seine Karriere beenden muss. Ein Foto von dem Schriftsteller Günter Grass, wie er weint, weil er an den Krebs-Tod seiner Mutter im Alter von 57 Jahren denkt; das größte Unglück seines Lebens, wie er sagt. Ein Foto von der Schauspielerin Sibel Kekilli, wie sie weint, als sie 2004 den Bambi entgegennimmt und eine wütende, verzweifelte Rede hält gegen die feinen Leute von „Bild“ und „Kölner Express“, denen sie zu Recht eine „dreckige Hetzkampagne“ und „Medienvergewaltigung“ vorwirft. Ein Foto von dem Sänger Herbert Grönemeyer, wie er weint, als er 2003 den Echo für die Single „Mensch“ bekommt, einem Lied, in dem er beschreibt, wie sehr er seine verstorbene Frau vermisst.

Die „Frankfurter Rundschau“ hat diese und andere Fotos genommen und stellt sie jetzt in einer 15-teiligen Bildergalerie aus. Sie hat ihr den Titel „Prominente Heulsusen“ gegeben.

Ich hoffe, dass es mir nie so schlecht geht, für ein solches Medium arbeiten zu müssen.

Das Wundersalbenmassaker

Nach einer Woche, in der der ARD eine Dokumentation über ein angebliches Wundermittel gegen Neurodermitis und Schuppenflechte um die Ohren geflogen ist, lohnt es sich, noch einmal zu nachzuschlagen, was die „Süddeutsche Zeitung“ am Anfang jener Woche, am Tag der Ausstrahlung, über diesen Film geschrieben hatte:

(…) Mehr als ein Jahr lang hat Klaus Martens für seine Dokumentation Heilung unerwünscht. Wie Pharmakonzerne ein Medikament verhindern die Geschäftspraktiken der Branche recherchiert. Das Ergebnis ist ein Beitrag, in dem sich die Guten und die Bösen sehr klar voneinander unterscheiden lassen, fast so, dass es einen schon wieder misstrauisch machen könnte. Dass man es am Schluss doch nicht ist, spricht für Martens Recherche und seine Art der Aufarbeitung — und gegen einen Wirtschaftszweig, der zwar wie jeder andere Geld verdienen muss, dabei aber zu oft vergisst, dass er mit einem besonderen Gut handelt: der Hoffnung von Menschen auf Gesundheit. (…)

Geschickt nutzt der Film die emotionalen Momente. Wenn Mitentwickler Thomas Hein mit brüchiger Stimme sagt, für ihn sei die Welt zu Ende, wenn die Kamera einen kleinen Jungen in die Sprechstunde begleitet, wo seine geschundene Gesichtshaut neu bandagiert wird, nur Augen, Nase und Mund bleiben frei. Doch so stark diese Bilder sind, erkennt man dank der gut dokumentierten Recherche und des sachlichen Tonfalls, dass der Film mehr will als Mitleid wecken für acht Millionen Patienten und zwei gescheiterte Erfinder. Die Sorgfalt des auf Wirtschaftsthemen spezialisierten WDR-Journalisten Klaus Martens zahlt sich aus: Mit jedem Gesprächspartner, jeder weiteren Information wird der Irrsinn, in den die Profitgier der Pharmakonzerne mündet, deutlicher. (…)

Wie es sich der hochverschuldete Mann leisten kann, jahrelang in einer offensichtlich nicht ganz billigen Schweizer Klinik zu leben, ist eine von zwei Fragen, die dieser ansonsten schlüssige Film unbeantwortet lässt. Die andere Frage ist, ob die rosafarbene Creme jemals auf den Markt kommen wird.

Im Nachhinein, wenn man um die, gelinde gesagt, Schwächen der Dokumentation weiß, wirkt der SZ-Artikel fast ironisch: Wie die Kollegin für einen winzigen Moment skeptisch wurde angesichts der Schwarz-Weiß-Malerei des Films. Wie sie auf die Suggestion hereinfiel, die Creme könne Neurodermitis nicht nur lindern (was durchaus möglich ist), sondern heilen. Wie sie mit der Frage endet, ob das Mittel doch noch vertrieben werden wird — eine Frage, die am Tag nach der Ausstrahlung, dem aus Marketingsicht perfekten Termin, öffentlich mit Ja beantwortet wird, aber in Wahrheit schon Wochen vorher beantwortet war.

Schon am 29. September hatte die Katholische Nachrichtenagentur (KNA) eine Vorschau auf den Film veröffentlicht und sich die Aussagen vollständig zu eigen gemacht — interessanterweise mit dem Hinweis, dass man das, was man da sieht, eigentlich gar nicht glauben möchte, es dann aber augenscheinlich doch tat:

Eine Creme, die den Juckreiz lindert, die schuppigen Ekzeme zum Abklingen bringt und gar nicht teuer ist – für Patienten, die unter Schuppenflechte oder Neurodermitis leiden, klingt das wie ein Märchen. Diese Creme gibt es wirklich, und doch ist sie für die allermeisten Patienten unerreichbar. (…)

Was Martens zu berichten hat, ist eine beinahe unglaubliche Geschichte aus dem Dschungel der Pharmaindustrie, die gerade, weil sie kein Märchen ist, bislang auch kein Happy-End gefunden hat. (…)

Ich zitiere das nicht, um mich darüber lustig zu machen. Ich fand den Film zwar ganz und gar nicht überzeugend. Aber ich habe ihn mir auch erst am Donnerstag angesehen, als ich die Kontroverse um ihn schon kannte. Wer weiß, ob ich ihm nicht sonst auch auf den Leim gegangen wäre — und der nachfolgenden PR der Vertriebsfirma. Noch am Mittwoch brachte „Spiegel Online“ ein Stück, das von keinem Zweifel an der wunderbaren, wundersamen Geschichte getrübt war und Vorlage war für weitere unkritische Berichterstattung.

Nun gehört zum Repertoire richtiger Journalisten, wenn sie ihr verlorenes publizistisches Monopol beklagen, der beliebte Schlager „Journalisten recherchieren, Blogger schreiben nur ab“. Doch während die professionellen Journalisten noch am Abschreiben waren, hatte der anonyme Pharma-Blogger „Hockeystick“ in der „Stationären Aufnahme“ zwar noch nicht selbst recherchiert, aber etwas anderes, was eigentlich gute journalistische Tradition ist: Zweifel. Nach und nach trugen er und andere Indizien und Belege dafür zusammen, dass die Geschichte nicht ganz so eindeutig war, wie der Film und die auf ihm beruhenden Artikel glauben machen wollten, und die Markteinführung von „Regividerm“ keine Reaktion auf die Zuschauerresonanz nach dem Film gewesen sein kann.

Die ARD aber sah entweder nicht, was sich da zusammenbraute, oder entschloss sich zu einer verheerend falschen Trotzreaktion: In der Sendung „Hart aber fair“ sprach Frank Plasberg unbeirrt von den „besten klinischen Studien“, die die Wunderwirkung des Mittels bestätigten — Studien, deren überaus begrenzte Aussagekraft im Internet bereits gemeinschaftlich analysiert worden war.

Einer, der das getan hatte, heißt David Beck­wer­mert. Von ihm hatte ich zuvor genau so wenig gehört wie von dem Blog „Principien“, auf dem er schrieb. Ich habe am Donnerstagabend, als ich die verunglückte „Hart aber fair“-Sendung im Fernsehblog auf FAZ.net kritisierte, lange überlegt, ob das unter diesen Voraussetzungen eine Quelle für mich sein kann — schließlich bin ich Laie, was die Analyse medizinischer Studien angeht. Ob Beckwermert mit jedem seiner Urteile Recht hat, weiß ich bis heute nicht, aber ich weiß, warum ich ihn für glaubwürdig gehalten habe und halte: Weil er klar argumentiert und weil er mir mit vielen Links zu Quellen und Fachbegriffen Gelegenheit gibt, seine Argumentation nachzuvollziehen.

Bei Martens Film genügte hingegen schon eine relativ flüchtige Internetrecherche, um festzustellen, wie sehr er die Dramaturgie auf seine These von der böse Pharma-Industrie, die ein Wundermittel für zig Millionen Menschen verhindert, hingebürstet und Widersprüche etwa bei der Beurteilung der Nebenwirkungen von umstrittenen Neurodermitis-Mitteln wie Elidel schlicht weggelassen hat.

Zugespitzt formuliert: Ich traute dem mir völlig unbekannten Blogger mehr als dem preisgekrönten ARD-Filmemacher.

Ich bin überzeugt davon, dass das in Zukunft häufiger und mehr Menschen so gehen wird und den Journalisten das ganze dumme Gerede von ihrer naturgemäßen Überlegenheit über die neuen Nebenbei-Publizisten nichts helfen wird. Helfen wird ihnen nur, wenn sie sauber arbeiten, ihre Quellen offenlegen, sich im Nachhinein auf die Diskussion mit Kritikern einlassen und im Zweifel zugeben, an welchen Stellen sie Fehler gemacht haben und an welchen Positionen sie aber festhalten.

Natürlich gibt es auch umgekehrt keine natürliche Überlegenheit von Bloggern und Online-Kommentatoren. Sie sind auch nicht pauschal die besseren Journalisten und haben ihre eigenen unguten Reflexe: Zum Beispiel aus dem fehlenden Beweis, dass die Creme gegen Neurodermitis wirkt, zu schließen, dass sie nicht wirkt. Oder gleich die ganz große Verschwörungstheorie aufzumachen und aus der Tatsache, dass ein Film aufgrund journalistischer Fehler für eine Marketingkampagne für ein neues medizinisches Produkt eingespannt werden konnte, zu folgern, dass der Film bewusst zu diesem Zweck gedreht worden sein muss. Aber diese Überreaktion ist zum Teil auch die Folge einer übertrieben einseitigen und undistanzierten Bericherstattung.

Ich frage mich, ob der Film in diesem Maße berechtigten Widerstand produziert hätte, ob die ARD-Leute auch dann Fehler hätten einräumen müssen, ob in der „Süddeutschen“ und auf „Spiegel Online“ schließlich doch noch so kritische Artikel über Regividerm stehen würden, wenn es keine Blogger gegeben hätte, die zweifelten und recherchierten statt zu glauben und abzuschreiben.

(Entschuldigung, wenn das schon wieder wie eine Ansammlung von Banalitäten wirkt. Aber die Wahrheit ist, dass es immer noch als klug gilt, sich damit brüsten, Blogs zwar nicht zu kennen, aber doof zu finden, und es Online-Medien nicht zu blöd ist, das auch noch zu veröffentlichen.)

„TV Spielfilm“ und die 50-Autos-Lotterie

Das Titelbild der aktuellen „TV Today“ ist nicht nur wegen des angekündigten, aber nicht enthaltenen Interviews mit „Stromberg“ bemerkenswert. Es lockt zum Kauf des Fernsehzeitschriftenüberbleibsels mit der Möglichkeit, 50 VW-Polos zu gewinnen:

Weil es sich bei „TV Today“ seit einiger Zeit im Wesentlichen nur noch um eine umverpackte „TV Spielfilm“ handelt, findet sich der Hinweis auch dort auf dem Cover, diesmal praktischerweise sogar mit Seitenangabe:

Auf Seite 31 findet sich aber kein Gewinnspiel von „TV Spielfilm“ oder „TV Today“, sondern eine Anzeige:

Die Firma imobic wirbt für die kostenpflichtige Teilnahme an einer Art Quiz, bei dem unter den richtigen Antworten auf wechselnde Fragen (heute: „Was scheint meistens nachts? A) Sonne B) Mond?“) angeblich täglich ein Auto verlost wird (50autos.de). Die Anmeldung ist gratis, aber jede Teilnahme-SMS kostet 50 Cent; wer während der gesamten Dauer mitmacht, zahlt also 25 Euro für den Spaß.

In Blogs und Foren beklagen sich Handybesitzer, unaufgefordert eine SMS mit der Gewinnspieleinladung bekommen zu haben („Gewinnen Sie in Kooperation mit T-Mobile 50 Tage je 1 von 50 VW Polo! Mitspielen? Einfach Gratis-SMS mit POLO an 2009 senden. Teiln. ab 18 Jahre.“), sprechen von „Spam“ und haben insgesamt nicht das Gefühl, es mit einem seriösen Angebot zu tun zu haben.

Die gerade erst gegründete imobic GmbH selbst bietet keine direkte Kontaktmöglichkeit an; die Support-Telefonnummer führt zur Firma Digame Mobile. Deren Mitarbeiter erklärt, dass T-Mobile, Vodafone, O2 und e-Plus Partner bei diesem Gewinnspiel seien, die Daten aber nicht an imobic weitergegeben, sondern die SMS-Nachrichten selbst verschickt hätten — angeblich nur an Kunden, die einer werblichen Nutzung ihrer Nummer ausdrücklich zugestimmt hätten. Erst nach der Anmeldung beim Gewinnspiel habe imobic Zugriff auf die jeweilige Nummer, sichere aber zu, die so gesammelten Daten nicht für andere Zwecke zu verwenden. Das sei vergleichsweise seriös.

Auf eine E-Mail-Anfrage von mir hat die Firma imobic bislang nicht reagiert. Ich hatte darin auch gefragt, ob das von Roman Tietze gegründete Unternehmen Verbindungen zur Firma „Bob Mobile“ hat, die an derselben Adresse wie imobic sitzt und seit einiger Zeit durch besonders hinterhältige Abo-Fallen auffällt.

Aber zurück zu „TV Today“ und „TV Spielfilm“, die für die (möglicherweise ganz und gar seriöse, aber kostenpflichtige) Auto-Lotterie der Firma imobic auf ihren Titelbildern werben, als handle es sich um eigene (redaktionelle) Inhalte. Ich habe Chefredakteur Lutz Carstens per Mail gefragt, ob es sich bei der imobic-Werbung im Heft nicht um eine Anzeige handelt und auch die Hinweise auf dem Cover entsprechend gekennzeichnet werden müssten. Er schrieb:

Da TV SPIELFILM Kooperationspartner des Gewinnspiels und in dieses integriert ist, darf dieses unserer Meinung nach auch auf der Titelseite angekündigt werden.

Die Fragen, in welcher Form „TV Spielfilm“ und ihre Umverpackung „TV Today“ „Kooperationspartner“ sind und ob die Redaktion oder der Burda-Verlag an den Einnahmen, die sie für imobic generieren, beteiligt werden, ließ Carstens unbeantwortet.

Aufklärung unerwünscht? Frank Plasberg und das Wundermittel gegen Neurodermitis

„Besonders bedrückend ist es, wenn man sieht, wie sehr kleine Menschen unter Neurodermitis leiden“, sagt Frank Plasberg. Dann zeigt er, wie sehr der kleine Mensch Bastian unter Neurodermitis leidet, was tatsächlich besonders bedrückend ist, aber nicht nur in dem Sinne, wie Plasberg es meint. Mit den erschütternden Bildern stellte „Hart aber fair“ gestern den Jungen in den Dienst einer zweifelhaften Berichterstattung in der ARD, die wie eine gigantische Werbeaktion für eine Vitamin-Salbe gegen Neurodermitis wirkt, die demnächst auf den Markt kommt, nachdem sie die Pharma-Industrie angeblich jahrelang verhindert hat.

Der Immunologe Beda Stadler fand in der Sendung deutliche Worte:

„Ich bin schwer betroffen. Herr Plasberg, was Sie hier abziehen, ist wirklich eine Schande. Sie missbrauchen ein Kind. Das Kamerateam und der Regisseur hätten dem Kind die blöde Salbe anstreichen sollen, dann wäre es ja anscheinend jetzt wieder gesund. Wenn man hier so tut, als würde ein blödes Avocadoöl mit Vitaminen drin eine schwere Krankheit vom Erdboden verschwinden lassen, dann ist das Betrug.“

Plasberg versuchte zurückzuruden und erklärte, man habe doch gerade „herauspräpariert, dass das Medikament nicht heilt, aber lindert“. Das ist in der Tat ein wesentlicher Unterschied, und vielleicht hätte ihn auch jemand den ARD-Verantwortlichen erklären sollen, die die Dokumentation über die angebliche Verhinderung des angeblichen Wundermedikamentes durch die Pharma-Industrie, aus der auch die bedrückenden Bilder von Bastian stammen, ausgerechnet „Heilung unerwünscht“ nannten.

Oder dem Autor dieser Dokumentation, dem WDR-Redakteur Klaus Martens, der sein demnächst erscheinendes Buch über dasselbe Thema nicht nur ebenfalls „Heilung unerwünscht“ nannte, sondern es auch zuließ, dass auf dessen Umschlag ein Tigel mit der durchaus irreführenden Aufschrift „Inklusive Rezeptur gegen Neurodermitis“ zu sehen ist.

Martens behauptet in seinem Film, der am Montag in der ARD lief, dass ein Tüftler vor zwanzig Jahren eine einfache Rezeptur gefunden habe, die sensationell gegen Neurodermitis und Schuppenflechte helfe und „keine Nebenwirkungen“ habe. Die Pharmaindustrie weigere sich aber, das Mittel auf den Markt zu bringen, weil es nicht so gewinnbringend zu vermarkten sei oder den Verkauf ihrer anderen Produkte gefährde, die aber viel mehr Nebenwirkungen hätten. Seit einigen Tagen macht die Geschichte Furore und wird von vielen Medien undistanziert verbreitet, obwohl es durchaus Zweifel an der Darstellung und insbesondere der Überzeugungskraft der Studien gibt, die die Wirkung der Salbe belegen sollen.

Auch Frank Plasberg, der sich sonst mit seiner journalistischen Distanz brüstet, machte sich ganz zum Anwalt seines Kollegen Klaus Martens und der Creme. Von „besten klinischen Studien“ sprach er gleich in der Einleitung zu dem Thema, und als seine Experten – Vertreter der Pharma-Industrie ebenso wie ihre Kritiker – genau daran zweifelten, wies er dreimal darauf hin, dass man diese Studien am heutigen Donnerstag online stellen werde, im „Faktencheck“ auf hartaberfair.de. „Die gibt es“, sagte er, „das haben wir recherchiert, sonst hätten wir [die Creme] nicht vorgestellt.“

Der Schweizer Immunologe Stadler nannte den Filmautor Klaus Martens unumwunden einen „Scharlatan“ und forderte, Leuten wie ihm „keinen Platz zu geben, um Verschwörungstheorien loszulassen“ gegen die (von ihm sonst kritisierte) Industrie. Plasberg aber gab ihm nicht nur einen Platz, sondern bewahrte ihn vor berechtigten kritischen Nachfragen. „Nochmal“, widersprach er auch dem renommierten „Spiegel“-Journalisten und Pharma-Industrie-Kritiker Markus Grill, der Martens Geschichte aus dem ARD-Film ebenfalls anzweifelte: „Wir werden auch Studien dazu morgen veröffentlichen.“

Der „Faktencheck“ ist inzwischen online, aber von den versprochenen eindeutigen Studien fehlt jede Spur. Der WDR wirbt zwar für die Creme, indem er ihre Rezeptur veröffentlicht, kann aber mit Links zu wissenschaftlichen Untersuchungen nicht aufwarten. Auf einer eigenen Seite dokumentiert WDR.de die Kontroverse und räumt ein, dass sich der Dermatologe Markus Stücker von der Ruhruniversität, der die Studien vor zehn Jahren geleitet habe, heute „verhalten“ zeige und nur von einer „eher schwachen Wirkung“ spreche. Die ARD hat auch einen „offenen Brief“ von Klaus Martens an die Zuschauer veröffentlicht, in dem er allerdings ebenfalls keine Quellen für die „klinischen Studien“ nennt, die „in allen Fällen“ bestätigt hätten, dass durch die Creme „die Symptome verschwinden“.

Immerhin räumt der WDR online ein, dass Martens auch ein Buch zu dem Thema veröffentlicht hat – eine Tatsache, die der „harte“ Frank Plasberg noch als „Verschwörungstheorie“ abzutun schien, als Siegfried Throm, der Geschäftsführer des Verbandes forschender Pharmaunternehmen, das aussprach, was viele Kritiker Martens und der ARD vorwerfen:

„Herzlichen Glückwunsch, das ist ein genialer Marketingcoup. Mithilfe eines Filmes ein Buch zu protegieren, das demnächst herauskommen soll, und dann passend auch noch die entsprechende Salbe. Da können sich selbst unsere Marketingabteilungen noch eine Scheibe abschneiden.“

Ist das nicht bemerkenswert? Dass eine Sendung die angebliche Verhinderung eines Medikamentes dokumentiert, das ihr Autor als außerordentlich wirksam und frei von Nebenwirkungen beschreibt, und diese Salbe dann passend zur Ausstrahlung plötzlich doch auf den Markt kommt? Ein kleines Schweizer Unternehmen hat sich aufgeopfert, und vertreibt plötzlich die „Regividerm B12 Salbe“ – angeblich als Reaktion auf die große Resonanz der Fernsehausstrahlung, was zeitlich allerdings höchst unwahrscheinlich ist.

Und Frank Plasberg? Erwähnte diese erstaunliche Koinzidenz nicht einmal.

Mehr über die Zweifel an dem ARD-Film und die Wirkung der Salbe im Pharma-kritischen Medizinblog „Stationäre Aufnahme“.

Nachtrag/Korrektur: Die Studien sind, offenbar seit spätem Nachmittag, auf der Rezeptseite verlinkt – halten aber einem kritischen Vergleich mit den vollmundigen Versprechen von Martens und Plasberg kaum stand. So wurde zum Beispiel die Wirkung der Salbe nur mit wenigen Probanden und über einen kurzen Zeitraum überprüft.

Unappetitlich

„Rätselhaft blieb, warum der unappetitliche Tod des höchstens mittelmäßigen sogenannten Sängers Stephen Gately der längst abgehalfterten sogenannten Boygroup ‚Boyzone‘ auf der in noch anderer Hinsicht unappetitlichen Insel Mallorca den Weg in die respektable Öffentlichkeit fand.“

Redakteur Richard Wagner in seiner Kolumne „Das war’s“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“, 18. Oktober 2009, Seite 12 (vollständiges Zitat zu dem Thema)

[Ich schreibe regelmäßig für die FAS und habe mir deshalb vorgenommen, nicht über die FAS zu schreiben, was leider Herrn Wagner und seine Kolumne mit einschließt.]