Autor: Stefan Niggemeier

Die Schwulen sollen wieder verschwinden

Philipp Gut mag keine Schwulen mehr sehen. Wo er auch hinguckt, sind Homosexuelle: in der Politik, im Militär, auf der Straße, im Internet, selbst in den Schulen. Philipp Gut fühlt sich davon belästigt. Er hat nichts gegen die Leute an sich, und eigentlich auch nichts gegen ihre Homosexualität. So lange sie sie nur verstecken. Jetzt, da Homosexualität nicht mehr diskriminiert werde, sagt er, gebe es auch keinen Grund mehr, sie zu zeigen.

Philipp Gut ist Kultur- und Gesellschaftschef der „Weltwoche“. Die Schweizer Wochenzeitung hat sich unter Roger Koeppel geschickt eine publizistische Nische erobert, indem sie all die überwundenen geglaubten Ressentiments von ihrem muffigen Geruch befreit und neu als frischen Kampf gegen vermeintliche Denkverbote des vermeintlichen Mainstreams verkauft.

Guts Beschwerde über die „Homosexualisierung der Gegenwart“ erschien dort im Sommer, und der Text war dumm und homophob genug, um gestern von der „Welt“ recyclet zu werden. Über dreieinhalb Monate später wirken die konkreten Beispiele in dem Artikel zwar merkwürdig inaktuell, aber die Ignoranz und Bösartigkeit der Argumentation ist zweifellos zeitlos.

Philipp Gut verbrämt seine Ablehnung von Homosexualität hinter der Behauptung, sie sei „zu einer Art Religion“, ein „Glaubenssystem“ geworden:

Wer sich outet, wird zum leuchtenden Märtyrer einer bekennenden Kirche.

Nun ist es ein bisschen bedrückend, dass ein Kulturchef die Bedeutung des Wortes „Märtyrer“ nicht kennt. Vermutlich wollte er einfach „Helden“ oder gar „Heiligen“ sagen. Aber er belegt ohnhin nicht einmal im Ansatz, worin eigentlich dieses „Glaubenssystem“ besteht, was das quasi Religiöse daran sein soll, dass viele Menschen ihr Schwul- und Lesbischsein nicht mehr verstecken.

Nein, es geht nicht um Religion. Es geht darum, dass Philipp Gut eine Art gesamtgesellschaftliches „Don’t Ask Don’t Tell“ fordert. Er schreibt:

Man braucht nur ein paar Minuten im Internet zu surfen, um auf alle möglichen Interessen- und Lobbygruppen zu stoßen.

Das Angebot reicht von den Schwulen Eisenbahnfreunden in Deutschland über die Schwulen Väter und den LesBiSchwulen Jugendverband bis zu schwulen Offizieren und Polizisten.

Ist das nicht schön? Menschen mit gleichen Interessen tun sich zusammen. Solange der Verein Schwuler Eisenbahnfreunde niemanden zwingt, bei sich Mitglied zu werden, wüsste ich nicht, was man dagegen haben könnte – oder was es Herrn Gut überhaupt angeht. Andererseits kann ich mir vorstellen, dass es gerade für Soldaten oder Polizisten auch im Jahr 2009, auch in Deutschland nicht immer ganz einfach ist, schwul zu sein oder gar zur eigenen Homosexualität zu stehen, und so ein Verband sehr hilfreich sein kann.

Philipp Gut spricht von einem „Siegeszug des schwulen Lifestyles“. Ich weiß nicht, was er damit meint. Ich weiß allerdings, dass sich ein Guido Westerwelle von den Oliver Pochers dieser Welt immer noch schlechte Schwulenwitze anhören muss. (Gut selbst macht auch einen kleinen Witz, der aus den sechziger Jahren oder der sechsten Klasse kommen könnte, und spricht von der „pardon: Penetrierung des öffentlichen Lebens mit der Homosexualität“. Da weiß man wenigstens, wovor er sich am meisten fürchtet.)

Der Punkt scheint erreicht, wo die Propagierung des eigenen Lebensstils auf Kosten der Meinungsäußerungsfreiheit ins Intolerante kippt. Jüngstes Beispiel ist der Fall von Carrie Prejean, die den Titel einer Miss California wegen kritischer Äußerungen zur Homo-Ehe abgeben musste.

Mal abgesehen davon, dass ich nicht sehe, wo Schwule ihren Lebensstil „propagieren“ (das Wort knüpft wohl nicht zufällig an die uralte Mär an, man könne oder wolle heterosexuelle junge Menschen für sich rekrutieren), und mal abgesehen davon, dass es ja so dramatisch nicht zu sein scheint, mit der Einschränkung der Meinungsfreiheit, wenn das „jüngste Beispiel“ Monate zurückliegt: Carrie Prejean musste den Titel einer Miss California nicht wegen kritischer Äußerungen zur Homo-Ehe abgeben.

Philipp Gut behauptet, Homosexuelle übten „heute selbstverständlich alle erdenklichen Bürgerrechte aus“ und spricht von einer „rechtlichen Gleichstellung“. Ich weiß nicht, von welchem Land er spricht, aber in Deutschland haben schwule Paare nicht die gleichen Rechte wie heterosexuellen Paare, und in den Vereinigten Staaten fliegen sie sogar aus der Armee, wenn ihre Homosexualität bekannt wird.

Gut schreibt:

In Berlin zogen auch dieses Jahr aus Anlass des Christopher Street Day Zehntausende von Lesben und Schwulen zur Siegessäule, angeführt vom schwulen Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Riegelt man für diskriminierte Minderheiten ganze Innenstädte ab?

Das ist die verquere Logik des Herrn Gut: Wenn die Schwulen noch diskriminiert würden, dürften sie nicht auf die Straße. Wenn sie aber nicht diskriminiert werden, haben sie auch auf der Straße nichts zu suchen.

Nun gebe ich zu, dass die CSD-Veranstaltungen eine verwirrende Mischung sind: Es sind Partys, in denen man öffentlich die eigenen Sexualität feiert, es sind ultra-kommerzielle Werbeveranstaltungen, und es gibt gleichzeitig einen von Stadt zu Stadt unterschiedlich großen Rest politischer Demonstration für echte Gleichberechtigung und Toleranz. Das muss man nicht mögen, als Schwuler so wenig wie als Hetero, aber man muss es hinnehmen, jedenfalls in dem gleichen Maße wie man jede andere Großveranstaltung mit Absperrung der Innenstadt hinnehmen muss. Und was ist schlimm daran, wenn relativ weltoffene Städte wie Berlin, Zürich und Amsterdam erkannt haben, dass es sich auch wirtschaftlich für sie lohnt, sich dieser Zielgruppe positiv zu verkaufen?

Die Opferrolle, mit der [Homosexuelle] nach wir [sic!] vor kokettieren, passt nicht mehr. Ihre Demonstrationen sind zu hohlen Ritualen gutmenschlicher Bekenntnisse geworden, die nichts kosten. Wer hingeht, kann sich besser fühlen — eine Gratistoleranz.

Er war offensichtlich nie da. Die Gay-Pride-Veranstaltungen sind keine Gutmenschen-, sondern Hedonisten-Veranstaltungen. Man hat Spaß und feiert sich und die Vielfalt menschlicher Lebensformen. Und die Heteros, die mitfeiern oder zugucken, tun dies sicher nicht aus dem Gefühl, damit ein Opfer gebracht zu haben und bessere Menschen zu sein. Sondern weil das „gutmenschliche Bekenntnis“ für sie eine Selbstverständlichkeit ist, und weil sie Spaß daran haben. Weil sie das, was Philipp Gut als eine Bedrohung und eine Belästigung empfindet, als eine Bereicherung erleben: dass Menschen verschieden sind.

Und dann, natürlich, die armen Kinder. Gut schreibt, dass „selbst vor Kindern und Schulen die schwulen Pressure-Groups nicht halt machen“. Er reibt sich daran, dass es Forderungen gibt, das Thema der sexuellen Orientierung „sowohl mit der allgemeinen Sexualerziehung als auch fächerübergreifend im jeweiligen Kontext in allen Altersstufen“ zu behandeln. Vielleicht weiß er nicht, was es bedeuten kann, in der Provinz oder in einem traditionellen muslimischen Milieu in einer deutschen Großstadt als Schwuler aufzuwachsen. Vielleicht glaubt er, man dürfe Kindern in der Schule deshalb nicht über Homosexualität und die Normalität von Homosexualität aufklären, weil sie dann alle schwul werden.

Er schreibt:

Ein bekannter Schriftsteller, der in Berlin lebt, erzählt, dass der Lehrer seines Sohnes der Klasse schon am ersten Schultag die Information aufdrängte, dass er schwul sei.

Nun weiß ich nicht, ob Philipp Gut oder der unbekannte bekannte Schriftsteller darüber weniger empört wären, wenn der Lehrer seinen Schülern das am dritten Tag oder erst bei der Abi-Feier erzählt hätte. Ich kann mir nur vorstellen, was es heißt, als schwuler Lehrer Schüler zu unterrichten, für die „schwul“ eines der schlimmsten Schimpfwörter ist; in der Angst zu leben, dass das rauskommt und irgendwann Gerüchte und böse Sprüche die Runde machen. Ich kann mir vorstellen, warum sich ein schwuler Lehrer, der einen wesentlichen Teil seines Lebens nicht verleugnen will, in dieser Situation dafür entscheidet, es gar nicht erst darauf ankommen zu lassen, sondern vom ersten Tag an reinen Tisch zu machen und zu sagen: So ist das. Nehmt’s hin. Ein solcher Lehrer kann das machen, um ein Vorbild zu sein für die, statistisch gesehen, vermutlich zwei, drei, vier Kinder in seiner Klasse, die auch homosexuell sind. Oder er kann es machen, damit es, im Gegenteil, gar kein Thema mehr ist.

Philipp Gut ist ein besonders heuchlerischer Schwulengegner: Er hat nichts gegen schwule Lehrer, solange sie ihr Schwulsein verstecken. Im Klartext heißt das: Er hat nichts gegen schwule Lehrer, solange sie nicht schwul sind. Ich bin mir sicher, er findet sich aufgeklärt, tolerant und modern.

Sein Artikel endet mit einem Missverständnis, das für seinen Text zentral und leider weit verbreitet ist:

Nach der erfolgreichen Emanzipation der Schwulen dürfte man eigentlich erwarten, dass die Homosexuellenbewegung etwas lockerer wird. Welche Bedeutung hat die penetrante, ja das öffentliche Leben bedrängende „Sichtbarkeit“ noch?

Schwulsein wäre dann einfach eine sexuelle Veranlagung, eine Privatsache, die nach den Regeln des guten Geschmacks in der Öffentlichkeit endlich wieder diskret behandelt würde. Man läuft ja auch sonst nicht dauernd mit offenem Hosenladen herum.

Man darf nicht auf die treuherzige Harmlosigkeit hereinfallen, in der er das formuliert. Philipp Gut will, dass Schwule und Lesben aus der Öffentlichkeit verschwinden und ihr Schwul- und Lesbischsein wieder verstecken. Aber es geht nicht um eine „sexuelle Veranlagung“, um die eigene Intimsphäre, um Diskretion und „guten Geschmack“. Jemand, der sagt, dass er schwul ist, gibt damit nicht mehr von sich Preis als jemand, der sagt, dass er verheiratet ist. Als Klaus Wowereit öffentlich verkündete, dass er schwul sei, hat er damit nicht mehr von sich verraten als jeder Politiker, der sich mit seiner Frau zeigt, genau genommen weniger.

Komisch, dass Herr Gut sich von sichtbaren Schwulen belästigt fühlt, aber nicht von sichtbaren Heterosexuellen. Wo bleibt sein Aufschrei, dass die deutsche Bundeskanzlerin, zum Beispiel, kein Geheimnis daraus macht, dass sie mit einem Mann zusammenlebt? Ist das nur Ausdruck ihrer „sexuellen Veranlagung“? Warum, könnte man mit Gut fragen, müssen Heterosexuelle (Ehe-)Männer und (Ehe-)Frauen ihr Intimleben auf diese Art öffentlich machen und damit, man merke sich die Formulierung: „das öffentliche Leben bedrängen“?

Philipp Gut, Ressortleiter bei der sich auf irgendeine verquere Art für liberal und freiheitlich haltenden „Weltwoche“, meint, dass nur Heterosexuelle das Recht haben, ihre Partner der Öffentlichkeit vorzustellen. Natürlich fühlt er sich von denen nicht bedrängt, denn die sind ja wie er: normal. (Es sei denn, ich täte ihm Unrecht, und er sagt bei jeder Veranstaltung, wo ihm ein Mann seine Lebensgefährtin vorstellt: „Iiiieh, verschonen Sie mich mit diesen sexuellen Details, ich renne hier ja auch nicht mit offener Hose rum.“) Er spricht damit sicher vielen anständigen Bürgern (und dem Udo Walz natürlich) aus der Seele, die es auch eklig finden, wenn zwei Männer sich auf offener Straße küssen.

Es geht nicht um eine „sexuelle Veranlagung“ und nicht um das Intimleben, weshalb es nicht nur diskriminierend, sondern vor allem dumm ist, wenn Gut fragt: „Wie sehr interessiert es uns eigentlich, wer welchen sexuellen Praktiken nachgeht und warum? Kommt als Nächstes die Latexfraktion? Oder beglücken uns die Tierliebhaber mit ihren Vergnügungen?“

Es gibt bei der Emanzipation von Homosexuellen einen entscheidenden Unterschied zu anderen Gruppen wie Frauen, Schwarzen oder Behinderten, die gegen ihre Diskriminierung kämpfen: Homosexualität ist unsichtbar. Die Schwulenbewegung hat nicht nur um Rechte gekämpft wie das, überhaupt einen anderen Mann lieben zu dürfen, sondern auch darum, sich nicht länger verstecken zu müssen. Jemand müsste dem sich so bedrängt fühlenden Philipp Gut vielleicht erklären, was der Begriff des „Coming Out“ bedeutet und warum er so zentral ist für Schwule und Lesben. Dass das Sichtbarmachen von Homosexualität nicht nur ein Mittel war im Kampf um Bürgerrechte, sondern wesentliches Ziel dieses Kampfes: das Recht, sein Schwul- oder Lesbischsein nicht verstecken zu müssen.

Philipp Gut plädiert dafür, dass die Homosexuellen schön wieder in den Schrank zurück gehen. In diesem Schrank, soweit reicht seine Scheintoleranz, dürfen sie dann machen, was sie wollen, da gelten dann auch die Bürgerrechte und so.

Gut schreibt:

Die Schwulen bestimmen heute, wie über Schwule zu denken und zu sprechen ist — und vor allem, worüber man nicht sprechen darf.

Er merkt nicht, wie ironisch der Satz ist, wenn man den ganzen Rotz nun schon zum zweiten Mal in eine große Zeitung schreiben durfte.

Aber das darf man den modernen Schwulengegnern wie ihm am wenigsten durchgehen lassen: dass sie sich auch noch als Opfer stilisieren.

Andreas Englisch

Gott sei Dank war Jürgen Fliege da. Das ist ein Gedanke, den man sonst auch nicht so oft hat, aber an diesem Donnerstag war Andreas Englisch, der Vatikan-Korrespondent der „Bild“-Zeitung, in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz zu Gast, um von den angeblich wundersam erfüllten „Prophezeiungen“ der katholischen Kirche zu schwärmen, und als er gerade richtig in Fahrt gekommen war und sich das Glück des Leichtgläubigen in seinem wirren Blick materialisierte, unterbrach ihn Fliege mit einer wirschen Handbewegung und sagte den schönen Satz: „Mit welcher Leichtfertigkeit jeder Pups, der da gelassen wird, als Heiliger Geist offenbart wird . . .!“

Es ist jedes Mal ein Ereignis, wenn Andreas Englisch im Fernsehen zu sehen ist. Er sitzt dann da wie ein Sechsjähriger beim Abendessen, übersprudelnd von all den wundersamen Dingen, die er wieder erlebt hat, glucksend, hibbelig. Die Füße hat er rechts und links hinter die Stuhlbeine geklemmt, weil es ihn sonst vermutlich gar nicht über mehrere Minuten ruhig am Platz halten würde, mit großen Augen staunt er das an, was um ihn passiert. Jede Art von Distanz, Fassung oder Besinnung ist ihm fremd, weshalb es auch fast ganz normal ist, dass er anfängt zu weinen, als er vom Tod seiner Mutter erzählt und davon, dass er durch eine Eingebung wusste, wann sie sterben würde, und deshalb alle wichtigen Termine im Vorhinein abgesagt hatte.

Heide Simonis, die frühere schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin, saß auch in der Runde, aber zu ihrer entspannten Rationalität, der alles Spirituelle fremd ist, gibt es von dem Planeten, auf dem Englisch lebt, keine Verbindung. Neulich habe es bei ihr in der Küche geknackt, da habe sie gesagt: „Teufel, hau ab, sonst mach‘ ich ein Kreuzzeichen“, und danach sei es ruhig gewesen, erzählte sie gutgelaunt. Englisch aber missverstand die Lehre, die in dieser kleinen Geschichte stecken sollte, drehte sich zu Simonis und fragte mit sich hysterisch überschlagender Stimme: „Also? ALSO? AL-SO?!“

Das war ein bisschen beunruhigend – nicht nur, wenn man wusste, dass das ZDF mit diesem Mann einen dreiteiligen Film über Wunder dreht.

Wenn wenigstens Fliege als Co-Autor mit dabei wäre! Als Englisch mit glänzenden Augen erzählte, dass auch Ärzte und weltliche Kommissionen sich fragten, warum es zum Beispiel an Orten wie Lourdes so oft zu Heilungen komme, unterbrach der ihn: „Weil es auf dem Kölner Hauptbahnhof nicht gemessen wird!“

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Flausch am Sonntag (7)

Ich bin bekanntlich größter lebender Fan von Martin Reinl, seinen Puppen und seinen Kalauern. Sein Hund Wiwaldi lebt seit Jahren schon hinterm Gästesofa von „Zimmer frei“, und seit einiger Zeit bringt er immer wieder befreundete Tiere mit in die Sendung, so dass Martin dann zwei Puppen gleichzeitig spielt und spricht, was die Zahl der guten schlechten Witze noch einmal potenziert. Seine Firma Big Smile hat jetzt dankenswerterweise einen Großteil des Werkes bei YouTube hochgeladen, so dass ich hier jetzt einige meiner Favoriten präsentieren kann. Viel Vergnügen!

Ebenfalls sehenswert: Wiwaldi und Nina Ruge, Outtakes mit der „Schwulen Sau“ von Timm-TV und natürlich die Klassiker: das Sperma und der Tofu.

Rangierpanne auf Burdas Verschiebebahnhof

Klitzekleines Problem mit dem Titelbild der aktuellen „TV Today“:

— es ist gar kein Stromberg-Interview drin!

Das angekündigte „Exklusiv-Interview“ steht nämlich nicht in der „TV Today“, sondern in der „TV Spielfilm“:

Das ist nicht ganz so überraschend, wie man denken könnte.

Seit „TV Today“ (ehemals Verlag Gruner+Jahr) und „TV Spielfilm“ (ehemals Milchstraße) beide bei Burda erscheinen, sind die Zeitschriften im Kern identisch. Die Produktion einer „TV Today“ funktioniert im Wesentlichen so: Man nimmt die „TV Spielfilm“, baut ein neues Cover, rechnet die Daumen-hoch- und -runter-Symbole im Programmteil in Punkte um, ersetzt das Wort „TV Spielfilm“ durch „TV Today“, ändert die Überschriftentypografie …


… tauscht Kalkofes Kolumne gegen Fotos mit lustig gemeinten Texten aus und verschiebt alibimäßig den ein oder anderen Artikel, so dass „TV Spielfilm“ vier Fragen an Anke Engelke stellt, „TV Today“ aber nur drei.

Aber irgendetwas ist diesmal bei der journalistischen Hütchenspielerei schief gegangen: Anstelle des Interviews mit Bernd Stromberg in der „TV Spielfilm“ steht in „TV Today“ ein Interview mit Anne Ratte-Polle, und das groß auf dem Titel angekündigte Stromberg-Interview fehlt ganz.

Jetzt wäre natürlich die Frage, ob Menschen, die die „TV Today“ gekauft haben, um ein „Exklusiv-Interview mit Deutschlands Lieblings-Stinkstiefel“ zu lesen, ihr Geld zurückverlangen können. Andererseits bekommen die „TV Spielfilm“-Leser dafür unerwarteterweise ein „Exklusiv-Interview“, das tatsächlich wenigstens nicht wortgleich in einer anderen Zeitschrift steht.

„Männer wie wir“

  • Brad Pitt ist ein Mann, und Männer löffeln keinen kakaobestäubten Milchschaum.
  • Männer reden nicht gern über sich.
  • Frauen sind ein Komma, Männer sind der Punkt im Satz.
  • So sind Männer, sie sagen manchmal mehr, wenn sie nichts sagen.
  • Nur Männer können sich schweigend unterhalten, you know?
  • Wie bei allen wirklichen Männern tut man Pitt den größten Gefallen, wenn man nicht nach seiner Ehe, seiner Frau, blödsinnigen oder weniger blödsinnigen Gerüchten fragt.
  • Über so was reden Männer vielleicht mit ihrem besten Freund oder ihrer Wodkaflasche. Aber nicht mit der Welt.
  • „Make it right“, nannte Pitt seine Kampagne, „Mach es richtig“, wie wir Männer sagen.
  • Nur Männer denken über ihr Dasein in Kapiteln, sie sind Bergsteiger des Lebens und lassen Gipfel gern hinter sich, wenn sich neue zeigen. Frauen nicht, Frauen sind Höhenflieger, sie werden nervös, wenn’s nur ruckelt.
  • [Brad Pitts] Maulfaulheit erinnert an die eigenen Momente, in denen man mit der Frau oder der Familie zu Hause einmal nach einem langen Tag nicht reden möchte.
  • Man hat als Reporter nach einer Pitt-Begegnung vielleicht nicht viel zu erzählen, aber als Mann fühlt man sich in diesem Zimmer mit der nicht angerührten Cola zu Hause.
  • Wirkliche Männer sind Feinde der Eitelkeit.
  • Er hat eine höfliche Eile, wenn er wieder aufsteht und sich verabschiedet. Es ist die Eile von Männern, die unbedingt draußen eine Zigarette rauchen wollen.

(Alle Zitate aus einem vorgeblichen Brad-Pitt-Porträt, der Titelgeschichte des neuen Satire- und Therapiemagazins „Gala MEN“. Mehr über die Testosteron-Offensive von Gruner+Jahr bei Oliver Gehrs.)

„Meedia“ lässt Strunz ein Erfolgsbad ein

Frage: Wo befinden Sie sich im Projekt "Abendblatt 3.0"? Antwort: Mittendrin. Wir machen sukzessive aus einem Traditionsblatt eine moderne multimediale Metropolen-Zeitung. Ganz entscheidend dabei ist die Geschwindigkeit. Zu schnell ist genauso falsch wie zu langsam. Wir gehen dynamisch, aber mit Sorgfalt voran. Frage: Sie haben ja auch schon einiges erreicht. Antwort: Danke.

Experten erkennen es gleich: Es war wieder einmal Zeit für den Online-Branchendienst „Meedia“, mit Claus Strunz vom „Hamburger Abendblatt“ zu reden — man trifft sich alle paar Monate zum Plaudern (April, Juni Oktober), und Strunz führt seinem Gesprächspartner Alexander Becker dann vor, dass er heiße Luft rosa schimmern lassen kann.

Ich vermute, dass sich an die oben zitierten Zeilen im Original-Gespräch noch die Frage: „Ich mag Ihre Krawatte, ist die neu?“ anschloss, aber die ist wohl bei der Autorisierung weggefallen. Inhaltlich lässt sich das Interview ohne größere Substanzverluste auf einen Wortwechsel von twitterbarer Länge reduzieren, etwa: „‚Und, alles gut?‘ – ‚Besser!'“ Die Gesprächsatmosphäre ist dabei so, dass die kritischste denkbare Frage ungefähr lauten würde: „Herr Strunz, macht Ihnen Ihr überragender Erfolg nicht manchmal selbst Angst?“

Immerhin erfahren wir, dass Strunz seinen Wechsel von der „BamS“ zum „Abendblatt“ „hart, aber schön“ fand, dass er im Jahr ungefähr 1500 Leseranfragen persönlich beantwortet und dass es ihm einen „wahre Freude“ ist, „jeden Tag zu sehen, wie viele Fachleute und kritische Geister in dieser Redaktion hochwertigen Qualitätsjournalismus produzieren“.

Nun wäre Strunz nicht Strunz, wenn er es schaffte, bei der Wahrheit zu bleiben. Und so brüstet er sich:

Innerhalb eines Jahres konnten wir die Anzahl der Nutzer und Zugriffe [auf abendblatt.de] mehr als verdoppeln. Und haben zudem die Printauflage weitestgehend stabilisiert.

Die Zahl der Zugriffe hat sich dank absurder Klickstrecken tatsächlich mehr als verdoppelt, die der Nutzer aber nicht — egal wie man sie misst. Die „Visits“ haben um 65 Prozent zugenommen, bei den „Unique Usern“ lässt sich gegenüber dem Vorjahr keinerlei Wachstum feststellen. Strunz‘ Formulierung sei „so nicht korrekt“, räumt „Meedia“-Chefredakteur Georg Altrogge auf Nachfrage ein. (Im Interview hätte ein entsprechender Widerspruch oder ein Hinweis für die Leser aber vermutlich nur die plüschige Atmosphäre gestört, nehme ich an.)

Und was die „weitestgehend stabilisierte Printauflage“ angeht, hilft vielleicht ein Blick auf folgende Grafik (ohne die unrentablen „sonstigen Verkäufe“, auf deren Reduzierung Strunz den Auflagenrückgang um vier Prozent im Interview schiebt):

Wenn Sie ganz genau hinschauen, können Sie erkennen, dass beide Abwärtskurven tatsächlich wieder einen winzigen Tick flacher geworden sind. Die Zahl der Abonnenten ist nur noch um 2,4 Prozent gesunken (nach 3,0 im Vorjahr); im Einzelverkauf betrug der Rückgang nur noch 4,9 Prozent (nach 8,0 im Vorjahr).

Ja: wow.

Nun muss man es natürlich nicht dramatisch finden, wenn der Interviewte seine eigenen Leistungen schönfärbt. Ich finde es aber dramatisch, wenn der Interviewer sich daran beteiligt:

Strunz: In der Redaktion existiert zudem ein großer kreativer Spirit.

Meedia: Sie haben auch die Redaktion umgebaut?

Strunz: Das gehört dazu. Für die erfolgreiche Umsetzung des Projekts „Abendblatt 3.0“ brauche ich eine schlagkräftige Mannschaft: Einige Kollegen haben uns verlassen, einige haben neue Aufgaben erhalten und einige sind neu dazu gekommen. (…)

Meedia: Sie unternehmen den Umbau aus einer Position der Stärke, Sie haben einen modernen Newsroom — was passiert, wenn Sie trotzdem scheitern?

Strunz: Wieso scheitern? Mit der Abendblatt 3.0-Strategie sind wir bestens für die Zukunft gewappnet.

Sensationelle letzte Frage übrigens, aber: Wer würde ahnen, dass hinter der nichtssagenden Formulierung vom „unternommenen Umbau“, die Alexander Becker benutzt, die rabiate „Freistellung“ von über 30, teils langjährigen „Abendblatt“-Redakteuren gehörte: Die Kollegen mussten offenbar von einem Tag auf den anderen ihre Schreibtische räumen und die Karten abgeben, mit denen sie in die Redaktion gelangten. Ein Mitarbeiter schrieb mir: „Empörend ist nicht nur, was der Mann macht, sondern auch, wie er es macht.“

Auch „Meedia“ berichtete damals; das war aber eine Gelegenheit, zu der Strunz sich ausnahmsweise nicht einmal gegenüber seinem Kuschelpartner äußern wollte. Auf meine Frage, warum „Meedia“ jetzt auf eine kritische Frage dazu verzichtete, antwortete mir Altrogge:

Die Freistellung von rund 30 Abendblatt-Redakteuren ist mit der Frage nach dem Umbau der Redaktion angesprochen worden, und darauf antwortet Claus Strunz auch.

Okay.

Letzte Frage von mir an den Interviewer: „Läuft da was zwischen Ihnen und dem Claus?“ An seiner Stelle antwortete der „Meedia“-Chefredakteur, er finde die Frage „irritierend“:

Was auch immer Sie damit meinen, die Antwort ist nein.

Dabei hätte das so viel erklärt.

Sonntagsredner telefonieren billiger (2)

„Bei ‚Bild‘ haben wir Dessous, Volksbibeln und Handytarife vermarktet. Diese Zeitung ist in Wahrheit eine Marketingmaschine. Da muss man schauen, was davon übernommen werden kann. Erfolg kann man nicht genug haben.“

(WAZ-Geschäftsführer Christian Nienhaus auf die Frage, was er von seiner Zeit als Verlagsgeschäftsfüher der „Bild“-Gruppe mitgenommen habe; „Süddeutsche Zeitung“, 19. September 2008.)

Das Gute ist natürlich, dass dieser Mann, der aus Zeitungen Marketingmaschinen machen kann, es bei der WAZ-Gruppe mit Blättern zu tun hat, die es mit der Trennung von journalistischen und werblichen Inhalten (wie berichtet) ganz genau nehmen, aber ganz genau. Schließlich dürfe das „Vertrauenskapital“, über das Regionalzeitungen in besonders hohem Maße verfügten, „nicht gefährdet werden“.

Im „Ehrenkodex“ (Motto: „Journalisten sind nicht käuflich“), der von den Verantwortlichen sogar mit richtiger Tinte unterschrieben wurde (sehen Sie selbst), stehen Sätze wie: „Werbebotschaften dürfen nicht in einer Aufmachung (Schriftart und Typographie) präsentiert werden, die für redaktionelle Beiträge üblich ist“.

Also zum Beispiel nicht so:

(„Thüringer Allgemeine“, WAZ-Grupe)

Oder so:

(„Westdeutsche Allgemeine Zeitung“, WAZ-Gruppe)

Oder so:

(„Südanzeiger / Stadtspiegel Essen“, WAZ-Gruppe)

(Gut, das letzte ist ein kostenloses Anzeigenblatt, keine richtige „Regionalzeitung“, das wird lustig, wenn die „WAZ“-Leute in Zukunft den Lesern den Unterschied erklären wollen.)

„Werbetexte, Werbefotos und Werbezeichnungen sind eindeutig kenntlich zu machen“, heißt es im Kodex.

Also nicht so wie hier:

(„Neue Ruhr-Zeitung“, WAZ-Gruppe)

Am besten gefällt mir dieses Zitat aus der werberedaktionellen Berichterstattung der „NRZ“:

„Auch in der Redaktion“? Die Leser kommen wirklich auf die verrücktesten Ideen.

[mit Dank an Rolf Dennes!]

„Die Blog-Konfrontation“

Bayern 2 hat am vergangenen Sonntag in der Rubrik „Zündfunk – Generator“ eine Sendung über das Verhältnis der Blogosphäre zu den klassischen Medien ausgestrahlt (in der ich auch mit ein paar Sätzen zu Wort komme). Es ist kein Stück mit bahnbrechenden neuen Einsichten, aber es ist keine schlechte Einführung in den merkwürdigen Konflikt (auch wenn es am Ende zu einer Werbesendung für Jakob Augstein und seinen „Freitag“ wird).

Und den legendären Eingangsdialog zwischen „Focus“-Herausgeber Helmut Markwort, dem „Ersten“ „Journalisten“ von Burda, und dem Demokratie- und Medienexperten Ulrich Hoeneß zum Thema „Artikel 5 Grundgesetz — das kann doch keiner wollen?!“ kann man gar nicht oft genug hören und ausstrahlen.

[audio:http://gffstream-7.vo.llnwd.net/e1/imperia/md/audio/podcast/import/2009_10/2009_10_09_14_58_17_podcastgeneratorblog_konfronta_a.mp3]

(Am schönsten ist ja, dass Helmut „ich als professioneller Journalist“ Markwort nur von der „üblichen journalistischen Sorgfaltspflicht“ spricht, die von Medien wie seiner Illustrierten und ihrem Online-Ableger eingehalten werde. Das schließt offenbar die Möglichkeit der Verleumdung sowie die Chance, das Gegenteil dessen zu veröffentlichen, was stimmt, ohne sich hinterher korrigieren zu müssen, nicht aus.

Ich hatte damals, als „Focus“ meldete, dass Ulla Schmidt unter keinen Umständen zum Wahlkampfteam von Frank-Walter Steinmeier gehören würde, was sich als nicht hunderprozentig treffend herausstellen sollte, dem Autor der Geschichte, Kayhan Özgenc, Leiter der „Focus“-Parlamentsredaktion, eine Mail geschrieben:

Sehr geehrter Herr Özgenc,

ich würde Ihnen gern eine Frage zu Ihrer Exklusivmeldung von vergangener Woche stellen, dass Ulla Schmidt „keinesfalls in Steinmeiers Wahlkampfteam nachrücken“ werde. Diese Information hatte sich ja noch vor Erscheinen des „Focus“ als falsch herausgestellt.

Nun habe ich im aktuellen „Focus“ nach irgendeinem Hinweis gesucht, einer Korrektur, vielleicht auch einem kleinen Hintergrundstück, warum der „Focus“ in diesem Fall so falsch lag. Ich habe aber nichts gefunden. Habe ich etwas übersehen? Oder glauben Sie nicht, dass ein Medium solche Fehler richtigstellen oder ihr Entstehen erklären sollte — auch als vertrauensbildende Maßnahme? Oder ist sowas dem „Focus“-Leser egal?

Ich möchte darüber gern in meinem Blog stefan-niggemeier.de/blog berichten und würde mich über eine Antwort freuen.

Ich habe keine Antwort bekommen. Vermutlich ist Özgenzc als Journalist einfach genau so professionell wie sein Chef.)