Autor: Stefan Niggemeier

Super-Symbolfotos (62)

Hö, werden Sie jetzt vielleicht fragen, was ist denn daran ein Symbolfoto? Das ist doch Miley Cyrus und womöglich stammt die Aufnahme sogar vom Tag nach kleines Mädchen.

Warten Sie, bis Sie den zugehörigen Bildtext gelesen haben:

In einer Pose wie dieser ließ sich Miley Cyrus für "Vanity Fair" von der Fotografin Annie Leibovitz ablichten.

Ist das nicht fantastisch? Üblicherweise stellen Symbolfotos abstrakte oder generische Begriffe dar oder Dinge, von denen es keine Aufnahme gibt. Dieses Symbolfoto aber symbolisiert ein anderes Foto: dieses hier.

Das ist einerseits bahnbrechend, andererseits mutlos. Konsequent wäre es natürlich gewesen, wenn der diensthabende Bildergalerienbefüller von „Spiegel Online“ zugunsten einer möglichst genauen Reproduktion der Pose auf die Posierende verzichtet hätte. Vielleicht lässt sich das ja nachträglich korrigieren — ich bin sicher, Lukas würde seinen Rücken zur Verfügung stellen.

Online first, Leser last

In den vergangenen Tagen könnte hier der Eindruck entstanden sein, die Arbeit professioneller deutscher Online-Medien bestehe vorwiegend darin, ungeprüft Agenturmeldungen durchzuschleusen. Dem ist natürlich nicht so.

Die „Berliner Morgenpost“ zum Beispiel hat in der vergangenen Woche auf ihrer Internetseite als Service die Information aufbereitet, welche Schulen in der Stadt wieviel Geld aus dem Konjunkturprogramm bekommen.

Und man muss sogar nur höchstens mehrere Hundert Male klicken, um die Zahl zu finden, die einen interessiert.






etc.

[eingesandt von CB]

Rechtsfreie-Zonen-Dialektik

(…) Im Internet darf es keine rechtsfreien Zonen geben. (…) Ungenehmigte Nutzung fremden geistigen Eigentums muss verboten bleiben. (…)

(Resolution mehrerer deutscher Großverlage, darunter Axel Springer und
Gruner+Jahr, 8. Juni 2009.)

· · ·

Beim Amoklauf am 11. März haben Petra und Uwe Schill ihre Tochter Chantal verloren. Immer noch erleben sie, wie Medien und Bilderhändler über das Bild ihrer Tochter verfügen, das ein Schulfotograf im Jahr 2008 aufgenommen hatte. Der „Stern“ hatte sich das Foto beschafft. Später tauchte es in „Emma“ auf, und die Agentur „ddp“ bietet es immer noch zahlenden Kunden zum Abdruck an. (…)

Der „Stern“ hat schon viel Verstecktes ans Licht der Öffentlichkeit gebracht, aber auf welchen Kanälen er Privatfotos von Mordopfern bezieht, das hält er geheim. Ein „Stern“-Fotoredakteur verweist auf seinen Chef. Der Chef verweist auf „die Chefredaktion“, ohne eine Telefondurchwahl herauszurücken. „Die Chefredaktion“ meldet sich am Telefon und erklärt, dass Anfragen nur schriftlich beantwortet werden. „Zu Quellen, die der Stern bei seinen Recherchen benutzt, sagen wir aus grundsätzlichen Schutzgründen nichts“, schreibt dann Katharina Niu im Auftrag der Chefredaktion.

Der „Stern“ ist unter Fotografen bekannt dafür, dass er immer den Bildnachweis abdruckt, den Fotografen und die Agentur nennt. Nur diesmal will die Chefredaktion denjenigen schützen, der die Bilder besorgt hat. Wovor eigentlich? Schämt sich jemand? Ist etwas illegal an diesen Bildern? (…)

Den Handel mit Bildern von Jugendlichen, die ermordet wurden, hält niemand auf.

(„Winnender Zeitung“, 30. Mai 2009.)

Geht sterben (7)

Es hat etwas merkwürdig Irreales, von einer Veranstaltung zurückzukehren, auf der Journalisten zwei Tage lang über Qualitätsjournalismus geredet haben, über die Notwendigkeit, eigene Geschichten zu erzählen, unverwechselbar zu sein und Fakten zu überprüfen, über die Gefahren, einfach irgendwelche Meldungen zu übernehmen oder irgendwelchen Bloggern zu trauen, über die Möglichkeiten, im Internet Geld zu verdienen und die eigene unverzichtbare Aufgabe notfalls von Stiftungen oder dem Staat finanzieren zu lassen…

…und dann mit der real existierenden journalistischen Qualität und Vielfalt der professionellen Online-Medien konfrontiert zu werden:












Ist es nicht beeindruckend, in welchem Maße vermeintliche Qualitätsmedien bereit sind, ihre ebenso vermeintlich guten Namen über Inhalte zu setzen, über die vor der Veröffentlichung kein Mitarbeiter von ihnen auch nur eine Zehntelsekunde drübergeschaut hat? Und ist es nicht beeindruckend, in welchem Maße vermeintliche Qualitätsmedien glauben, es sei eine gute Idee, ihre Online-Angebote automatisch generiert mit exakt den Inhalten zu füllen, die wortgleich, fehlergleich überall, überall, überall sonst stehen?

[via „Medium Magazin“]

Nachtrag, 9. Juni. Nach 36 Stunden sind die „Westfälischen Nachrichten“ die einzigen, die es geschafft haben, den falschen Text einfach durch die richtige dpa-Meldung zu ersetzen. Die Online-Ableger von „Stern“, „Zeit“ und „Berliner Zeitung“ halten weiter an Beyoncé fest.

So einfach ist das

Und das hier ist das Niveau, auf dem sich RTL in seiner „Verantwortung als führender Programmveranstalter“ der Diskussion um die Reality-Show „Erwachsen auf Probe“ stellt:

„Tamara und Basti wollen ein Kind. Jetzt sind sie nur dummerweise selbst noch welche. Und noch dümmererweise sind die beiden mit ihrer Idee überhaupt nicht alleine. Sechstausend Teenie-Mütter gibt es pro Jahr in Deutschland. Und das ist eine Zahl, die die neue Sendung bei RTL, ‚Erwachsen auf Probe‘, eben sechstausendmal rechtfertigt.“

(Janine Steeger gestern im RTL-Elendsmagazin „Explosiv“)

[via Peer]

Von Fliesentischen und Tischdeckenblusen

Mein persönliches Highlight in der ersten Folge von „Erwachsen auf Probe“ war ja diese Szene:

Hatte die Frau noch Tischdeckenstoff übrig und hat daraus eine Bluse gemacht? Hatte sie noch Blusenstoff übrig und hat daraus eine Tischdecke gemacht? Oder gibt es Läden, in die man gehen kann und sagen: Ja, schöne Tischdecke, und jetzt hätte ich dazu gerne noch eine passende Bluse, für wenn das Fernsehen mal kommt?

Ich weiß auch nicht, ob das total menschenverachtend ist, dass die Fernsehleute die Frau gleich bloßstellen und Bluse und Tischdecke gleichzeitig in einem Split-Screen zeigen. Oder ob die Frau womöglich darauf bestanden und gesagt hat: Aber ich mach nur mit, wenn ihr zeigt, dass ich zu der Bluse auch eine passende Tischdecke habe.

Aus irgendeinem Grund hat mich das Arrangement an die frappierende Dominanz von Fliesentischen in den Wohnzimmern der Art Menschen erinnert, die Kamerateams von RTL oder Pro Sieben in ihr Haus lassen. Gerade gestern bin ich (in einer ohnehin überdurchschnittlich bizarren Folge von „Mitten im Leben“) auf folgende Wohnzimmersituation gestoßen:

Persönlich kenne ich exakt null Menschen, die einen Fliesentisch ihr eigen nennen oder eine Tischdecke passend zur Bluse haben. Aber das entspricht ja genau der Zahl der Menschen, die ich kenne, die schon mal bei „Mitten im Leben“, „Erwachsen auf Probe“ oder in ähnlichen Sendungen mitgewirkt haben.

Der Dirk hat jedenfalls im Fernsehen eine beeindruckende Kollektion solcher Exemplare gesammelt und stellt sie in seinem „Deutschen Fliesentischmuseum“ aus. Vielleicht sind ja die Tischdeckenblusen auch so ein Trend.