Autor: Stefan Niggemeier

Eine für alle

Machen Sie doch kommende Woche mal ganz was Verrücktes: Schalten Sie um 18:50 Uhr die ARD ein und schauen sich eine Folge der Daily Soap „Eine für alle — Frauen können’s besser“ an. Sie bekommen nicht nur das aufregende Gefühl, etwas zu tun, was sonst keiner tut. Sie werden auch in ein paar Tagen noch etwas zu kichern haben: Wenn die ARD die Serie vorzeitig einstellt und erklärt, dass das deutsche Fernsehpublikum für so realitätsnahe Fiktion leider doch nicht zu haben sei, obwohl man sich doch alle Mühe gegeben habe, zeitgemäß und hochwertig zu produzieren…

Sie werden auch den Witz besser verstehen, dass sich jemand beschwert haben soll, dass die Werbung für die Serie Männer diskriminiere. Dabei stammen die Frauen in ihr direkt aus einem Fünfziger-Jahre-Film – außer dass sie nicht Näherinnen, sondern Schweißerinnen sind, und die lebensklugen Sprüche jetzt lauten wie: „Männer kann man sich schönsaufen, Arbeitslosigkeit nicht.“ Ununterbrochen schmachten sie irgendwelchen anbetungswürdigen Traummännern hinterher. Der revolutionäre emanzipatorische Akt der ersten Folge besteht darin, dass eine Frau sich einmal nach der Arbeit weigert, noch die Probleme ihrer Familie zu lösen („Ach wisst ihr was, klärt doch einfach mal was ohne mich“, hoho!). Dass dieselbe kleine Arbeiterin dann für einen Euro die Firma kauft, die von bösen Heuschrecken ausgesaugt werden soll, hat auch nichts mit Klugheit zu tun, im Gegenteil: Frauen sind doch so impulsiv!

Jeden Moment erwartet man, dass Doris Day zur Tür rein kommt und die anderen mit ihrer Modernität überfordert — außer, dass man schon nach Minuten aufhört, überhaupt etwas zu erwarten. Der alte Firmenbesitzer sagt: „In jeder Muffe steckt mein Herzblut und das meiner 463 Angestellten.“ Und die Frauen stehen beim Streik auf dem Hof: „Es kann kein Zufall sein, dass die Schwalben schon so früh aus dem Süden zurückgekommen sind.“ — „Hoffentlich sind’s keine Geier.“ — „Oder schräge Vögel.“

Machen Sie sich nichts draus, wenn Sie die ersten sechs Folgen verpasst haben: Die Geschichte ist so zäh erzählt, dass in jedem Fernsehfilm zum Thema erst eine Viertelstunde vergangen wäre. Als Zeitvertreib können Sie versuchen, das Wetter in der jeweils nächsten Szene zu erraten. Faustregel: Wenn die Sonne richtig durch die Studiofenster zu knallen scheint, kommt garantiert gleich jemand aus einem Schneesturm rein.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Gute und weniger gute Gründe gegen Pro Reli

Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich eine Sache ablehne, nur weil „Bild“ für sie kämpft.

Das ist natürlich kindisch, aber vielleicht nachvollziehbar, wenn man sieht, mit welchen Mitteln diese Zeitung für Sachen kämpft, die sie zu ihrer Sache gemacht hat. Ihre aktuelle Kampagne für das Volksbegehren „Pro Reli“ in Berlin, die auch vor dümmsten Lügen nicht zurückschreckt, ist wieder so ein Fall. Nicht genug damit, dass „Bild“ sich vollends die Werbestrategie von „Pro Reli“ zu eigen gemacht hat, die darauf setzt, dass sich nicht genügend Berliner für einen Kampf für den Religionsunterricht mobilisieren lassen würden, und ihn deshalb kurzerhand zu einem Kampf „für die Freiheit“ umgedeutet hat. „Bild“ blendet die Argumente der Gegenseite und Nachrichten, die in deren Sinne sind, fast vollständig aus.

Das ist so üblich bei „Bild“, und das finde ich immer wieder doppelt erstaunlich. Nicht nur, dass Journalisten das für eine zulässige Form der Berichterstattung halten. Sondern dass sie so wenig von der Belastbarkeit ihres eigenen Standpunktes, der Kraft der eigenen Argumente überzeugt sind, dass sie glauben, die Gegenseite gar nicht erst erwähnen zu dürfen. Die „Bild“-Zeitung traut sich nicht, ihren Lesern halbwegs fair beide Seiten vorzustellen und ihre eigene Position durch Kommentare deutlich zu machen. Spricht daraus ein mangelnder Glaube an die Klugheit ihrer Leser? Oder nur ein mangelnder Glaube an die eigene Argumentationsfähigkeit?

Wäre es zu riskant gewesen, wenn „Bild“ den Lesern nicht nur die Namen der Prominenten verraten hätte, die für „Pro Reli“ sind, sondern auch die, die die Gegenkampagne „Pro Ethik“ unterstützten? Wäre es zu riskant gewesen, wenn „Bild“ am Freitag nicht fünf junge Leute für „Pro Reli“ hätte sprechen lassen, sondern nur vier — und eine einzige Gegenstimme auf der Seite untergebracht hätte? Wäre es zu riskant gewesen, wenn „Bild“ gestern neben 21 „Pro Reli“-Bekenntnissen (darunter einem grob irreführenden Zitat der ehemaligen Fernsehmoderatorin Tita von Hardenberg, die entweder nicht weiß, worum es bei dem Volksentscheid geht, oder nicht will, dass andere es wissen) zwei oder drei „Pro Ethik“-Leute hätte zu Wort kommen lassen? Manchmal glaube ich, die Menschen, die bei dieser Zeitung arbeiten, halten ihr Blatt nicht für halb so mächtig, wie alle anderen das tun. Sonst würden sie nicht mit einer solchen Gewalt, mit einem solchen Krampf, jede Transparenz, jede Fairness daraus fernhalten – als könnte ein Hauch von Pluralismus schon alles zusammenstürzen lassen.

(Immer wieder beunruhigend auch, dass hohe, nun ja: Würdenträger der Kirche bei diesen Gelegenheiten dem Busen-, Hetz- und Lügenblatt ihre Aufwartung machen. Ich meine, man muss „Bild“ ja nicht ächten, aber… oh Gott, was red‘ ich denn da? Natürlich muss man. Was denn sonst?)

In diesen Wahlkämpfen schlägt auch immer die große Stunde eines lokalen „Bild“-Kolumnistenclowns namens Reimer Claussen. Als es um den Erhalt von Tempelhof als Flughafen ging, schrieb er: „Wer Tempelhof schließt, würde auch das Stadtschloss noch einmal sprengen.“ Nun behauptet er, die Gegner von „Pro Reli“ entlarvten sich dadurch quasi als Linksfaschisten, dass sie vom „Wahlzwang“ zwischen Ethik und Religion sprechen, den sie ablehnen:

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. „Wahlzwang!“ Was für ein Wort! Damit offenbart sich die Linke alias PDS vulgo SED endgültig.

Jemand, der es schafft, den Begriff Wahl mit dem Begriff Zwang zu verbinden, der muss einfach aus einer Tradition kommen, wo man auch die Reisefreiheit für eine üble Sache hielt. 40 Jahre lang haben sie es geschafft, die Bevölkerung der DDR von der schrecklichen Last, frei zu wählen, zu erlösen. Jetzt sollen auch unsere Schüler in den Genuss kommen.

Der Gedanke, dass auch dieser Mann womöglich wählen darf, erschreckt mich ein bisschen. Ich wünsche Reimer Claussen aber, dass er sich seine Ahnungslosigkeit bewahren kann und niemals erfahren muss, dass sich das, was der Volksentscheid aus dem Fach Religion machen will, ganz offiziell „Wahlpflichtfach“ nennt. Kinder würden nicht mehr Ethik und Religion belegen können, sondern zwischen beiden wählen müssen. Aber das muss man sich mal irgendwo zergehen lassen: Wahl. Pflicht. Wahlpflicht. Leute, die sich solche Wörter ausdenken, fressen auch kleine Kinder. ((Oh, ich sehe gerade, exakt den Witz haben wir damals schon bei BILDblog gemacht.)) (Die Suche in Zeitungsarchiven nach dem Wort „Wahlzwang“ fördert übrigens weniger Artikel über die DDR und mehr über Belgien zutage.)

Ich glaube, dass die Art, wie „Bild“ diese Wahlkämpfe führt, der Demokratie schadet. Weniger durch die Einseitigkeit. Sondern vor allem dadurch, dass sie jede dieser Fragen zu einem Kampf für die Freiheit stilisiert, zu einem Überlebenskampf, bei dem bei falschem Ausgang der Untergang droht. In der „Bild“-Welt gibt es kein Ringen um den besten Weg, bei dem beide Seiten bedenkenswerte Argumente haben. In der „Bild“-Welt sind die Gegner das Böse und müssen mit allen Mitteln bekämpft werden.

Zwei große Kämpfe in Berlin hat „Bild“ jetzt schon verloren (außer den um Tempelhof auch den gegen die Umbenennung eines Teils der Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße). Nicht auszudenken, wenn Berlin heute wieder gegen Das Richtige, gegen „Bild“ und gegen die Freiheit stimmt.

Vielleicht ist also nachvollziehbar, warum ich mich manchmal dabei ertappe, gegen eine Sache zu sein, nur weil „Bild“ dafür ist. Aber es bleibt kindisch.

Im Fall von „Pro Reli“ jedoch glaube ich, gute inhaltliche Argumente gefunden zu haben, zum Beispiel in dieser Pressemitteilung des LSVD, vor allem aber in diesem „Spiegel“-Essay von Julia Franck. Ich werde deshalb — nicht (nur) wegen „Bild“ — nachher mit Nein stimmen.

(Und anders, als gerne kolportiert wird und das „Handelsblatt“ unfassbarerweise verbreitet hat, reicht es im Zweifelsfall nicht, einfach zuhause zu bleiben, wenn man gegen den Gesetzesentwurf ist.)

Nachtrag, 19.20 Uhr. „Pro Reli“ ist gescheitert.

Haftzettel-Revolte im HR

Es ist noch nicht ganz so weit, dass Mitarbeiter des Hessischen Rundfunks in den Hungerstreik getreten wären oder mit der öffentlichen Verbrennung von Onkel-Otto-Figuren begonnen hätten. Der sichtbare hausinterne Protest gegen Kürzungen im Programm, die auch die öffentlich-rechtliche Restkompetenz des Senders treffen könnten, hat bislang nur Post-It-Größe — aber immerhin.

In den Anstaltsgängen hängen Fotos vom Sender und seiner Mitarbeiter mit Motivations- und Ermahnungs-Sprüchen, die aus einem Volkseigenen Betrieb der DDR stammen könnten. Heute früh hatte jemand kleine Botschaften daran gebappt:


„Wir sind ein HR“ — „WIR AUCH! Die freien Mitarbeiter. Rettet das Programm“


„Wir verwenden die Mittel verantwortungsbewusst und wirtschaftlich“ — „…aber NICHT transparent!!! Wo gehen die 485 Mio pro Jahr genau hin? Rettet das Programm“

Verlorene Ehre

Inken Ramelow, die Geschäftsführerin von „Hamburg On Air“, die für Blätter wie „Stern“ und „Bild“ und Sendungen wie das ZDF-Magazin „Hallo Deutschland“ die Drecksarbeit erledigt, droht dem NDR mit juristischen Schritten, weil das Medienmagazin „Zapp“ in „ehrverletzender, unwahrer und missverständlicher Art und Weise“ über sie berichtet habe.

Obwohl sie bislang keine einstweilige Verfügung gegen den Sender erwirkt hat, ließ der NDR in vorauseilendem Gehorsam den Beitrag von seiner Homepage entfernen. Auch die reguläre Wiederholung der Sendung auf 3sat heute Nachmittag entfällt.

Ramelows Anwalt beschwert sich u.a. darüber, dass das Magazin seine Mandantin in die Öffentlichkeit gezerrt habe. Fast könnte man darüber lachen.

Der „Zapp“-Beitrag:

Nachtrag, 29. April. Das Video ist nun wieder auf der „Zapp“-Homepage zu sehen. Der NDR hat das Unterlassungsbegehren von Frau Ramelow und ihrer Firma zurückgewiesen.

Nachtrag, 28. April 2013. Nach meinem Eindruck hat sich Frau Ramelow jetzt seit einigen Jahren von dieser Form des Journalismus verabschiedet.

Möchtegern-Medienjournalisten gesucht!

Eigentlich müssten sie überrannt werden mit Bewerbungen, aber irgendwie tun sich die Grimme-Akademie und der Deutschlandfunk Jahr für Jahr schwer, genug Nachwuchsjournalisten zu finden für ihr dreitägiges Seminar über Medienberichterstattung in Köln. Dabei gibt es für eine Kostenpauschale von 150 Euro eine geballte Ladung Branchenprominenz: Zu den Referenten gehören Hans Leyendecker („Süddeutsche Zeitung“), Hans-Jürgen Jakobs (sueddeutsche.de), Kuno Haberbusch („Zapp“), Steffen Grimberg („taz“) und Hans Hoff (u.a. „Süddeutsche“). Und die Zahl der Teilnehmer ist auf entspannte zwölf begrenzt.

Ich habe viel Gutes davon gehört (und war einmal selbst Referent). In diesem Jahr findet das Seminar vom 16. bis 19. Juni statt; Bewerbungsschluss ist der 4. Mai.

Siegmund Ehrmann und die Biowaffe HIV

Am Montagnachmittag habe ich eine E-Mail an den SPD-Bundestagsabgeordneten Siegmund Ehrmann geschrieben:

(…) Die „Bild“-Zeitung zitiert Sie im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die [Sängerin], der vorgeworfen wird, vor Jahren trotz HIV-Infektion ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, mit dem Satz: „Wenn jemand seinen Körper als Bio-Waffe einsetzt, ist umfassende Berichterstattung ein dringendes öffentliches Anliegen und wichtiger als die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen.“

Ich möchte Sie gerne fragen:

  • Stimmt das Zitat?
  • Haben Sie Informationen darüber, dass [die Sängerin] absichtlich jemanden mit HIV infiziert hat, wie es die Formulierung von der „Bio-Waffe“ nahelegt? Soweit ich weiß, ist ihr das bislang nicht vorgeworfen wurden, sondern nur, dass sie eine mögliche Infektion durch den ungeschützten Geschlechtsverkehr in Kauf genommen habe.
  • Bislang ist [die Sängerin] nicht angeklagt, geschweige denn verurteilt worden. Offenbar halten Sie die umfassende Berichterstattung dennoch für gerechtfertigt. Heißt das nicht in der Konsequenz, dass nach Ihrer Argumentation jemand auch dann diese Berichterstattung über sein Intimleben hinnehmen muss, wenn er seinen Körper nicht als Bio-Waffe einsetzt?
  • Halten Sie den Körper eines jeden HIV-positiven Menschen für eine Bio-Waffe?

Ich habe keine Antwort bekommen.

Nachtrag, 20:02 Uhr. Plötzlich ging’s ganz schnell. Soeben schreibt mir Herr Ehrmann:

I.

In der BILD-Zeitung vom 17.04.2009 werden meine Ausführungen auf die Frage des Redakteurs

„War es richtig, dass die Staatsanwaltschaft Darmstadt die Ermittlungen gegen [die Sängerin] öffentlich gemacht hat?“

(mit einem wörtlichen Zitat von mir unterlegt) zusammengefasst wieder gegeben:

„Der stellvertretende Vorsitzende des Bundestags-Medienausschusses Siegmund Ehrmann (SPD) lobt die Staatsanwaltschaft ausdrücklich für ihre Informationspolitik: ‚Wenn jemand seinen Körper als Bio-Waffe einsetzt, ist umfassende Berichterstattung ein dringendes öffentliches Bedürfnis und wichtiger als die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen'“.

II.

Dieses Zitat hat zum Teil kritische Reaktionen ausgelöst. Zur Klarstellung ist mir deshalb daran gelegen, die wesentlichen Aspekte meiner Argumentation gegenüber dem BILD-Redakteur darzulegen.

a) Ob der Verdacht der gefährlichen Körperverletzung letztendlich gerechtfertigt ist, kann ich nicht beurteilen. Dies aufzuklären, bleibt einem geordneten Verfahren vorbehalten. Bis dahin gilt auch für [Frau B] die Unschuldsvermutung.

b) Gleichwohl erachte ich eine Berichterstattung über die Tatsache eines Vorwurfes für gerechtfertigt:

•   Der verantwortliche Schutz gegen die weitere Verbreitung von HIV-Infektionen droht trotz aller Aufklärungsbemühungen bagatellisiert zu werden.

•   Wenn eine Person des öffentliches Interesses, wie sie [Frau B] ohne Zweifel darstellt, trotz eigener Kenntnis ihrer HIV-Infektion allem Anschein nach leichtfertig durch ungeschützte Intimbeziehungen die körperliche Unversehrtheit Dritter gefährdet, ist dies ein gegebener Anlass, Partner/innen eindringlich an ihre gegenseitigen Verantwortlichkeiten zu erinnern.

c) Die Formulierung „Körper als Bio-Waffe“ habe ich in der Tat benutzt. Ich würde ihn heute so nicht mehr verwenden, weil sich durch ihn die weit überwiegende Zahl der sich verantwortlich verhaltenden HIV-Infizierten diskreditiert fühlen können. Das lag und liegt mir fern.

d) Und schließlich:

Ich habe die Informationspolitik der Staatsanwaltschaft Darmstadt nicht ausdrücklich gelobt, diese aus dargelegten Gründen aber auch nicht beanstandet.

Blutiges Geschäft

Wenn Kinder sterben, schlägt die große Stunde der Inken Ramelow.

Im „Stern“ steht ihr Name über Artikeln wie „Die Mutter, die ihre fünf Söhne tötete“ und dem Stück „Und alle haben es geahnt…“, das von dem elenden Leben und Sterben des zweijährigen Tim handelt und mit einem großen Foto aufgemacht ist. Unter dem Bild, das Ramelow wohl besorgt hat, ist zu lesen:

Tim, nur mit Höschen und Strümpfen bekleidet, versucht, sich ein T-Shirt anzuziehen.Auf seiner linken Wange, dem Ellenbogen und dem Oberarm sind blaue Flecken zu erkennen. Die Aufnahme stammt aus der Kamera des Mannes, der ihn getötet haben soll, sie entstand drei Tage vor Tims Tod.

In „Bild“ erscheint 2005 ein Artikel von ihr: „Verhungerte Jessica — jetzt spricht ihr Bruder (15): Sperrt meine Mutter für immer weg!“. Ein echter Scoop.

Zwei Wochen später formuliert Ramelow, ebenfalls in „Bild“, über den gleichen Fall:

Jessicas Vater hat eine Säuferleber. Das heißt, er kann sich vielleicht damit rausreden, im Dauersuff gewesen zu sein, während das Kind verhungerte. Für Jessicas Mutter wird es schwieriger. Sie trinkt wenig, warum wurde sie zur Horrormutter?

Verdacht: Weil sie selber eine hatte …

Im Rest des Artikels erklärt sie die Mutter der damals Tatverdächtigen dann mithilfe exklusiver Aussagen ihres Ex-Ehemanns öffentlich zur Horrormutter.

Auch der Gerichtsmediziner in diesem Fall sprach zuerst mit Hamburg On Air, der Firma von Inken Ramelow, und dann erst im Gericht. Die „Süddeutsche Zeitung“ zitierte später den Staatsanwalt mit den Worten: „Wenn wir vorher davon gewusst hätten, wäre dieses Gespräch untersagt worden.“

Die „B.Z.“ verdankt Ramelow Artikel wie: „Irrwege der Liebe — In diesem Bad erschlug ihr Freund ihr Baby. Sie will ihn trotzdem heiraten“, für „Bild“ schrieb sie: „Mein Nachbar ist ein riesiges SEX-Ferkel — Gestern wurde er festgenommen“ — und lieferte gleich die Fotos: „Heimlich aufgenommen: So zeigte sich das Sexferkel jeden Sonntag an seinem Wohnzimmerfenster“.

Bilder sind das Hauptgeschäft von Hamburg On Air, und nach eigenen Angaben gehört nicht nur die halbe private Medienszene Deutschlands zu den Abnehmern der Firma, sondern auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen. (Ich würde mich nicht wundern, wenn das ZDF mit seinem Gaffermagazin „Hallo Deutschland“ einer der besten Kunden wäre.)

Natürlich ist es nicht immer ganz leicht, an diese tollen Aufnahmen zu kommen, die alle sehen wollen. Hier zum Beispiel versucht ein rücksichtsloser Pastor (zweiter von rechts) einfach zu verhindern, dass Inken Ramelow (rechts) und ihr Kamermann gegen den Willen der Familie auf den Friedhof gehen, um die Beerdigung der neun Monate alten Lara filmen zu können:

(Inken Ramelow hat „Zapp“ übrigens mitteilen lassen, ihr Job sei das Fragenstellen und nicht das Beantworten von Fragen. Lustig, das sehen ihre Freunde vom „Stern“ genauso.)

Nachtrag, 24. April. Der NDR hat das Video aus dem Netz genommen.

Nachtrag, 28. April 2013. Nach meinem Eindruck hat sich Frau Ramelow jetzt seit einigen Jahren von dieser Form des Journalismus verabschiedet.

Phoenix und die Kinderporno-Expertin

Julia von Weiler ist die Geschäftsführerin der deutschen Sektion von „Innocence in Danger“, einem Verein, der sich dem Kampf gegen Kinderpornographie „insbesondere im [sic] und über die neuen Medien verschrieben hat“. Insofern war es für Phoenix naheliegend, unmittelbar nach der live übertragenen Bundespressekonferenz, auf der die Minister Guttenberg, von der Leyen und Zypries einen Gesetzesentwurf zur „Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen“ vorstellten, mit ihr zu sprechen, um das Gesehene für den Zuschauer einzuordnen.

Vielleicht ein bisschen zu naheliegend.

Ausriss: FacebookJulia von Weiler hatte im vergangenen August gemeinsam mit Jörg Ziercke, dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes, ein Gesetz gefordert, mit dem der Zugang zu kinderpornographischen Seiten erschwert werden soll. Die „Welt“ deutet an, dass Julia von Weiler auch nicht unbeteiligt daran war, Familienministerin Ursula von der Leyen von der Notwendigkeit eines solchen Gesetzes zu überzeugen. Eilig vorangetrieben wurde es jetzt von Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, dessen Ehefrau Stephanie Freifrau zu Guttenberg zufällig Präsidentin des Vereins „Innocence in Danger“ ist, dessen Geschäftsführerin bekanntlich Julia von Weiler ist (die auch Julia Freifrau von und zu Weiler heißt — angesichts des Vorstands schiene „Adelige für Kinder“ auch ein treffender Name für die Organisation).

Irgendwie wünschte ich mir, dass ich mir all das nicht selbst hätte zusammengoogeln müssen, sondern Phoenix das für mich übernommen hätte. Wenn sie schon keinen unabhängigen Experten gefunden haben.

Die gute Nachricht des Jahres

Johannes B. Kerner gibt größere Teile des ZDF wieder frei. Sat.1 nimmt ihn.

Nachtrag. Im Vorspann zu seiner ersten „Johannes B. Kerner Show” 1998 im ZDF ist schon alles Schlimme drin, insbesondere der Ich-frag-ja-nur-Blick bei 0:17:

[Ich habe versehentlich den gleichlautenden Original-Eintrag gelöscht, samt der vielen lustigen Kommentare. Entschuldigung!]