Autor: Stefan Niggemeier

Pixelnazi

Das T-Shirt, das der 24-jährige André Z. trägt, ist weiß mit groben schwarzen Pixeln. Wenn man nicht genau hinschaut, könnte man es für ein cooles T-Shirt für Computer-Nerds halten. Aber André Z. ist kein Computer-Nerd, und das T-Shirt zeigt in Wahrheit auch keine Pixel. Die Leute von RTL haben die Verpixelung im Nachhinein hinzugefügt, um den eigentlichen Schriftzug unkenntlich zu machen. Auf dem T-Shirt steht groß: MASTERRACE. „Masterrace“ ist das englische Wort für „Herrenrasse“ und der Name einer einschlägigen Kleidungsmarke.

Doch das Thema dieser Ausgabe der Nachmittags-Doku-Reihe „Mitten im Leben“ lautet nicht „Mein Sohn ist ein Neonazi“. Es lautet: „Streit um jungen Freund der Mutter“. Die 48-jährige Mutter von André Z. hat sich in den 22-Jährigen Cihan verliebt, und ihre Söhne lehnen diese Beziehung massiv ab. Es ist das Personal, das Thema, der Umgang, die Sprache, die stolze Dummheit, wie man es aus der Hoch-Zeit der Nachmittagstalkshows kennt – nur dass die Menschen ihre privaten Probleme nun nicht mehr in einem Fernsehstudio austragen, sondern vor einem Kamerateam bei sich zuhause.

Die Aggression, mit der André Z. seine Mutter und ihren unsicheren jungenen Freund beschimpft, beleidigt und bloßstellt, ist erstaunlich. Aber die Fernsehleute haben sich entschieden, dass dieser unangenehme Mensch nicht als Neonazi auftreten darf und jedesmal den Schriftzug unkenntlich gemacht, wenn er oder seine Verlobte eines ihrer „Masterrace“-Shirts trugen. An keiner Stelle wird ihre politische Einstellung thematisiert. Nur das dauernde Flimmern auf der Brust und den Ärmeln zeigt, dass hier etwas nicht stimmt.

Womöglich ist RTL oder der Produktionsfirma Schwartzkopff erst im Nachhinein aufgefallen, dass der private Konflikt, den sie hier ausstellen, noch eine andere Dimension hat — aber Wegschmeißen oder Neudrehen wäre natürlich viel zu teuer gewesen. Und nun könnte man natürlich fragen, warum der Sender nicht einmal in der Lage ist, einen Schriftzug so unkenntlich zu machen, dass man ihn tatsächlich nicht mehr lesen kann. Vor allem aber müsste man fragen, ob der Zuschauer (und womöglich sogar André Z.) nicht ein Recht darauf hat, diesen Mann so zu sehen, wie er ist und sich darstellt.

Aber einfacher als eine Auseinandersetzung ist es natürlich, ihren äußeren Anlass zu verpixeln. So einfach kann der Umgang mit Neonazis sein: Man muss nur so tun, als ob sie keine sind. Dann lässt sich ganz unverkrampft mit ihnen im RTL-Nachmittagsprogramm über ihre Vorstellungen von einer ordentlichen Familie diskutieren.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

[via Indymedia]

Nachtrag, 3. März. RTL hatte die Folge am 30. Dezember 2008 schon einmal ausgestrahlt, damals noch unverpixelt.

Zwanziger gegen Zwanziger

Wenig Stoff hier im Moment, tut mir leid, und die nächste Zeit wird es nicht besser. Ich fahre morgen ein paar Tage weg und muss dann auch wieder die Kommentarbürgersteige hochklappen.

Aber vorher muss ich noch über die Sache mit Jens Weinreich geschrieben haben. Das ist der sehr geschätzte Kollege, der es wagte, sich in einem Blog-Kommentar kritisch über den Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes, Theo Zwanziger, zu äußern — was der mit juristischen Schritten und einer Diffamierungskampagne beantwortete (meine Blog-Beiträge zum Thema). Die Gerichte haben Jens Weinreich zwar in diversen Entscheidungen Recht gegeben. Trotzdem ist die Auseinandersetzung für ihn nicht nur extrem zeitraubend und anstrengend, sondern auch mit erheblichen Kosten verbunden. Ein fünfstelliger Betrag ist inzwischen zusammengekommen. Für einen freien Journalisten (mit Familie) ist das sehr viel Geld.

Nach langem Zögern hat er sich jetzt entschlossen, um Spenden zu bitten, und ich möchte mich dem gerne anschließen. Das hat nicht nur Jens verdient. Das haben auch Theo Zwanziger und seine Leute verdient.

Ich finde es empörend, wie Zwanziger es ausnutzt, dass er es sich leisten kann, die Auseinandersetzung in die Länge zu ziehen und das finanzielle Risiko immer größer werden zu lassen. Ich finde es eklig, wie Zwanziger noch damit kokettiert, dass er im Falle einer Niederlage Geld für einen guten Zweck spendet (aber natürlich nicht für Weinreich, den er bis dahin in den Ruin getrieben haben könnte). Ich finde es widerlich, dass der DFB sich immer noch weigert, seine Lügen zuzugeben, richtig zu stellen und sich dafür zu entschuldigen. Ich finde es skandalös, dass der DFB-Kommunikationsdirektor Harald Stenger noch im Amt ist, obwohl ihm inzwischen Gerichte bescheinigt haben, dass er Unwahrheiten über Weinreich verbreitet hat, und dass der DFB-Generalsekretär Wolfgang Niersbach noch im Amt ist, der Stengers Lügen stolz an eine dreistellige Zahl wichtiger Menschen verschickt hat, mit der Aufforderung, sie zu verbreiten.

Wenn man verfolgt hat, wie ungeschickt, dumm und entlarvend der DFB agierte, und wie groß die Sympathiewelle war, die Jens Weinreich (nicht nur) im Internet trug, kann man leicht zu dem Schluss kommen, dass der David in diesem Spiel nur gewinnen und der Goliath nur verlieren kann. Aber der David kämpft gerade ums Überleben, und Goliath und seine Apparatschiks sitzen, mit ein paar blaue Flecken, bräsig und ohne Existenzangst auf ihren Positionen.

Daran werden wir nichts ändern können. Aber wir können verhindern, dass ihre Gegner sogar beim Rechthaben und Rechtbekommen noch auf der Strecke bleiben. Deshalb: Zwanziger gegen Zwanziger! (Über kleinere und größere Beiträge freut er sich aber bestimmt auch.)

Koch & ich

Ich habe heute meinen ersten Ministerpräsidenten interviewt.

Und zum ersten Mal die erste Seite des F.A.Z.-Feuilletons vollgeschrieben.

Jetzt bin ich ein bisschen erschöpft.

Nun würde eigentlich gerne ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern, mit was für Aufregung eine solche Geschichte verbunden ist — insbesondere, weil Roland Koch (der eigentlich gerade im Urlaub ist) sich bis zu diesem Interview nicht zu der von ihm betriebenen Demontage des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender geäußert hatte. Aber erstens weiß ich nicht, wie die F.A.Z. das fände, und zweitens fehlt mir die Zeit.

Interessant wäre aber die Frage, ob das eigentlich journalistisch in Ordnung (oder schlichter: nett) ist, die Aussagen eines Interviewpartners in derselben Ausgabe gleich kritisch zu kommentieren.

Und dank der Prozesshanselei des angeblich ersten Journalisten von Burda, Helmut Markwort (der ebenso wie sein früherer „Spiegel“-Kollegen Stefan Aust gerade effektiv für Einschränkungen der Pressefreiheit in Deutschland kämpft), ist da auch noch eine andere Frage: Wenn ich als Interviewer nach Ansicht von Markwort, Aust und Gerichten auch dafür verantwortlich bin, keine falschen Tatsachenbehauptungen des Interviewten zu veröffentlichen — wie gehe ich dann damit um, dass Koch behauptet, dass die „Heute“-Sendung 2008 von weniger Menschen gesehen wurde als „RTL aktuell“ (was nicht stimmt, ich aber erst hinterher nachschlagen konnte). Oder damit, dass er Claus Kleber als den Rädelsführer hinter dem Offenen Brief so vieler leitender und prominenter ZDF-Mitarbeiter darstellt (was anscheinend auch nicht der Wahrheit entspricht)?

Mit Mistelpräparaten gegen Krebs: Die ARD wirbt wieder für Pharma-Unternehmen

Vor dreieinhalb Jahren deckte der Journalist Volker Lilienthal auf, dass in Serien, die von ARD-Firmen produziert und im Ersten ausgestrahlt worden waren, jahrelang systematisch und rechtswidrig Schleichwerbung betrieben wurde. Gegen Geld konnten zum Beispiel Pharma-Unternehmen in der Krankenhaussoap „In aller Freundschaft“ ganze Handlungsstränge bestimmen. Bis zu 30.000 Euro pro Folge zahlten die Firmen dafür, dass zu bestimmten Krankheitsbildern passende Wirkstoffe genannt wurden.

Das war 2005 – zufällig dem gleichen Jahr, in dem die ARD damit begann, nachmittags die Telenovela „Sturm der Liebe“ auszustrahlen. Deren Handlung wird in diesen Tagen von der Leukämie-Erkrankung der Figur der Viktoria Tarrasch bestimmt. Oder genauer: von der angeblich viel versprechenden Wirkung von Mistel-Präparaten im Kampf gegen den Krebs.

„Sturm der Liebe“, Folge 789, 18. Februar 2009:

Viktoria: Du hast mir doch von der Misteltherapie erzählt. Wie funktioniert die genau?
Fred: Möchtest du dir doch keine dritte Chemo antun?
Viktoria: Jedenfalls keine hochdosierte, die mein Knochenmark komplett zerstört.
Fred: Transplantation.
Viktoria: Die letzte Chance, sagt meine Ärztin.
Fred: (lacht) Jaja, die lieben Möchtegerngötter in Weiß. (ernst) Was eine Mistel ist, weißt du.
Viktoria: Die Zweige mit den weißen Beeren, die man zu Weihnachten aufhängt.
Fred: Unter denen der Herr die Dame küssen darf, genau. Aus denen wird ein Extrakt gewonnen. Das kannst du entweder als Tropfen einnehmen oder unter die Haut spritzen.
Viktoria: Und das hilft gegen Krebs?
Fred: Die Krankheit schreitet langsamer voran oder bildet sich im günstigsten Fall sogar zurück, ja.
Viktoria: Im Ernst?
Fred: Was nicht heißt, dass du schmerzfrei bist. Dagegen musst du noch was andere nehmen.
Viktoria: Aber es ist erwiesen, dass die Misteltherapie anschlägt?
Fred: Es gibt Studien dazu, ja, und vor dir sitzt ein lebender Beweis.
Viktoria: Weil die Ärzte dir vor einem Jahr nur noch ein paar Wochen gegeben haben.
Fred: Genau. Und jetzt sitze ich hier mit dir in diesem wunderschönen Hotelzimmer und genieße das Leben.

(Später. Fred besucht Viktoria und bringt ihr ein Paket mit.)

Fred: Für dich.
Viktoria: Was ist das?
Fred: Das Mistelpräparat. Ich war grad in der Apotheke und da dachte ich, ich bring dir gleich mal was mit.
Viktoria: Danke.
Fred: Du warst gestern so interessiert, und ich hatte mir überlegt, bevor du dich in die Klauen der klassischen Medizin begibst, kannst du’s ja einfach mal ausprobieren.
Viktoria: Wenn bei mir die Therapie genau so gut anschlägt wie bei dir, sehen mich die Ärzte nie wieder.
(Beide lachen.)

„Sturm der Liebe“, Folge 790, 19. Februar 2009:

(Viktorias Bruder Felix versucht, seiner Schwester ins Gewissen zu reden und sie zu der Knochenmarkstransplantation zu raten.)

Felix: Bitte, überleg dir, was du machst!
Viktoria: Recherchier du lieber im internet. Es gibt tausend Studien zur Misteltherapie. Und ihre Erfolge.

(Viktorias Bruder Felix besucht ihre Ärztin.)

Felix: Ich versteh‘ nicht, wieso Sie meiner Schwester diesen Unsinn nicht schon längst ausgeredet haben.
Ärztin: Ich wusste nichts davon!
Felix: Dieser Neumann verblendet sie total mit seinem Humbug.
Ärztin: Naja. Misteltherapie. Ist bei Leukämie kein geeigenetes Mittel, da geb ich Ihnen Recht.
Felix: Aber?
Ärztin: Naja, es gibt Tumorerkrankungen, da hat man tatsächlich eine Besserung feststellen können. Aber immer nur als begleitende Therapie.
Felix: Das hab ich auch gelesen.

(Die Ärztin besucht Viktoria.)

Ärztin: Ich habe gehört, dass Sie sich selbst behandeln mit einem Mistelpräparat.
Viktoria: Stimmt.
Ärztin: Darf ich mir das mal ansehen?
Viktoria: Wozu? Sie halten es sicherlich auch für wirkungslos.
Ärztin: Nein, das würde ich so nicht sagen. Welche Dosierung nehmen Sie denn?
Viktoria: Ich halte mich genau an die Anweisungen im Beipackzettel.
Ärztin: Da kann man nämlich viel falsch machen, und dann ist das Präparat wirkungslos.
Viktoria: Sie denken also nicht, dass die Misteltherapie unsinnig ist?
Ärztin: Neinnein, bei manchen Krebserkankungen hat man ganz gute Erfolge damit.
Viktoria: Also kann ich es weiter nehmen?
Ärztin: Sie haben es von einem anderen Patienten?
Viktoria: Ja. Fred Neumann. Er ist Gast hier im Haus. Er ist wirklich unglaublich. Fred hatte einen Hirntumor, und die Ärzte haben ihn vor über einem Jahr abgeschrieben. Seitdem er es nimmt, geht es ihm wieder gut. Ja, und ich fühl mich auch schon wieder viel besser.
Ärztin: Frau Tarrasch, das freut mich. Aber Ihr Körper erholt sich gerade von der letzten Chemotherapie, und das empfinden Sie als Besserung. Die Mistel-Therapie schützt die noch gesunden Zellen, deshalb kann sie in manchen Fällen begleitend zur Schulmedizin angewendet werden.

Nun muss man wissen, dass die Wirkung von Misteln in der Krebstherapie sehr umstritten ist. Das Deutsche Krebsforschungszentrum urteilt: „Bis heute fehlen zweifelsfreie wissenschaftliche Beweise dafür, dass Mistelpräparate das Tumorwachstum hemmen oder gar Tumore heilen können.“ Dass dank Misteltherapie Krebspatienten länger lebten, sei „nicht belegt“, mögliche Nebenwirkungen seien nicht erforscht. Fazit: „Nach wie vor ist umstritten, ob und wie die Mistelpräparate Krebserkrankungen überhaupt beeinflussen – mit guten wie mit schlechten Folgen für den Patienten.“

Mistelpräparate, die Linderung und mögliche Hemmung der Tumorbildung versprechen, sind in Deutschland rezeptfrei in Apotheken erhältlich. Die Dialoge aus „Sturm der Liebe“ lesen sich bis ins Detail wie Werbefilme für diese Produktgattung – bis hin zum ins Drehbuch eingearbeiteten Hinweis, dass die Misteltherapie selbstverständlich nur ergänzend zu einer klassischen Therapie angewandt werden darf.

Alles, was sich ein Hersteller wünschen würde, ist vorhanden: Immer wieder, sogar in den Programmtexten, fällt der zentrale Begriff „Misteltherapie“. Empfohlen wird das Mittel von einem Krebskranken, der ihm die Verantwortung dafür gibt, überhaupt noch am Leben zu sein. Er demonstriert gleich, wie einfach das Präparat in der Apotheke zu bekommen ist. Später wird der betroffene Zuschauer fast unverhohlen dazu aufgefordert, im Internet nach vermeintlichen Beweisen für die Wirksamkeit zu suchen. Und selbst die Schulmedizinerin behauptet am Ende, dass die Mistel „ganz gute Erfolge“ verzeichnen könne – und ihre ganze Skepsis lässt sich auf die Warnung reduzieren, die Packungsbeilage zu beachten und den Arzt oder Apotheker zu fragen.

Eine Zuschauerin, die sich beim SWR und der ARD über die Schleichwerbung beschwerte, bekam von der Zuschauerredaktion unter anderem zur Antwort, um Schleichwerbung könne es sich ja deshalb schon nicht handeln, weil Schleichwerbung Werbung für ein Produkt sei: „Eine Misteltherapie ist jedoch kein Produkt und wird auch nicht im Zusammenhang mit einem bestimmten Firmennamen erwähnt.“ Die ARD bekomme „auf keinen Fall Geld dafür“, dass sie die Misteltherapie in „Sturm der Liebe“ erwähne, denn: „Dafür hat die ARD eigens eine Clearing-Stelle gegen Schleichwerbung aufgebaut.“

In der Tat. Das war eine Konsequenz aus der Aufdeckung des Schleichwerbeskandals 2005. Man fragt sich, was diese Stelle wohl macht, wenn ihr nicht einmal komplette Handlungsstränge und minutenlange Dialoge auffallen, die so offenkundig im Dienst der Pharma-PR stehen wie die Mistelkampagne im „Sturm der Liebe“.

Produziert wird „Sturm der Liebe“ von der Bavaria. Das ist die ARD-Tochterfirma, die 2005 im Zentrum des Schleichwerbeskandals stand.

Kein Dankeschön vom „Spiegel“

Der „Spiegel“ will von mir wissen, ob Obamas Präsidentschaft der Wirtschaft helfen wird:

Wenn ich ihm meine Meinung sage („k.A.“), komme ich auf eine Seite, die nicht dem „Spiegel“ gehört, sondern der Finanzholding avantaxx, die mir als „Dankeschön“ für meine Meinung die Gewinnchance auf ein Auto verspricht.

Genau genommen scheint es sich dabei nicht um das Dankeschön für meine Meinung, sondern für meine E-Mail-Adresse und die Erlaubnis zum Weiterverkauf zu handeln, denn im „Hinweis zur Datennutzung“ heißt es:

Ihre E-Mail-Adresse und Ihren Namen speichert und verwendet die SPIEGEL-Gruppe auch über die Dauer des Gewinnspiels hinaus, um Sie künftig über interessante Angebote auch von Partnerunternehmen zu informieren.

Was ich mich nur frage: Wie viele Leute, die an der Verlosung eines Autos teilzunehmen glauben, werden wohl voher die Teilnahmebedingungen gelesen haben?

Warum ist die „Zeit“ nicht besser? (2)

Ich muss nochmal kurz auf das etwas verunglückte „Zeit“-Dossier zum anhaltenden Niedergang von ARD und ZDF zurückkommen. Die beiden Autoren Stephan Lebert und Stefan Willeke schreiben nämlich auch:

Als der Hamburger Dokumentarfilmer Hubert Seipel im Auftrag des NDR nach Afghanistan fliegt, weil er einen Beitrag über den Einsatz der Bundeswehr vorbereiten will, sucht er sich in Kabul als Erstes einen zuverlässigen Fahrer und schaut sich das Land an. Mai 2008. Seipel will die Lage sondieren. Er hat erfahren, dass die Sendeanstalt ihm keinen eigenen Kameramann stellen wird, zu gefährlich. Seipel wird selbst einen Kameramann engagieren, und er wird noch drei weitere Male nach Afghanistan reisen, immer für ein bis zwei Wochen.

Der Norddeutsche Rundfunk nennt diese Darstellung „schlicht falsch“:

„Tatsache ist: Der Autor hat keinen eigenen Kameramann engagiert, selbstverständlich hat der NDR dies für Hubert Seipel getan. Der NDR hat als Kameramann einen erfahrenen Kollegen beauftragt, der in Afghanistan bereits mehrfach gedreht hat. Der NDR nimmt seine Fürsorgepflicht für das gesamte Team bei einem so gefährlichen Einsatz sehr ernst.“

Auch Seipel selbst soll der Darstellung der „Zeit“ in einem Brief widersprochen haben.

Und ganz übersehen hatte ich diese bezeichnende Stelle in dem Artikel:

Von ihrem Publikum ist den Öffentlich-Rechtlichen nach 25 Jahren Privatfernsehen nicht einmal die Hälfte geblieben, aber noch immer haben die Anstalten ihre Gebühreneinzugszentrale, noch immer all ihre Funkhäuser. 1983, im letzten Jahr des öffentlich-rechtlichen Monopols, hatten die ARD-Sender 18400 Angestellte, heute sind es 23000.

Die Zahlen sind offenbar nicht falsch (obwohl man sich natürlich den Hinweis hätte erlauben können, dass vielleicht die Funkhäuser noch da sind, aber zum Beispiel die beiden Anstalten SWF und SDR zum SWR fusionierten). Nur ist zwischen 1983 und 2009 etwas passiert, das für die Angestellten-Explosion vielleicht eine mindestens so gute Erklärung ist wie die scheinbar grenzenlose Molochhaftigkeit der ARD: Es nennt sich deutsche Einheit. Von 1991 an sendete die ARD für ein Viertel mehr Bürger.

Stephan Lebert ist übrigens einer der Reportagechefs der „Zeit“, Stefan Willeke vielfach preisgekrönter Chef des „Zeit“-Dossiers.

Neues von deutschen Klickproduzenten

stern.de, das Online-Angebot des „Stern“, das das Ziel, so erfolgreich zu werden wie der „Spiegel“, mit dem Ehrgeiz getauscht hat, so trashig zu werden wie „RP-Online“, hat aus der britischen Boulevardzeitung „The Sun“ die Geschichte über den Briten abgeschrieben, der meint, Atlantis entdeckt zu haben — bei Google Earth seien die Spuren westlich von den Kanaren als Relief auf dem Meeresboden zu erkennen. (Die Sache hat sich inzwischen aufgeklärt.)

Für ein Angebot mit dem Anspruch von stern.de ist das natürlich nur ein Thema, wenn man eine mindestens sechsteilige Bilderstrecke daraus machen kann. Ist in dem Fall aber leicht:






Nachtrag, 17:05 Uhr. Ralf Klassen, der Vizechef von stern.de, antwortet in den Kommentaren.

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Dann schalten wir doch gleich weiter zum schon erwähnten Online-Auftritt der „Rheinischen Post“. Seit sich die Sängerin Rihanna und ihr Freund vor knapp zwei Wochen gestritten und er sie geschlagen haben soll, steht das „R“ in RP-Online für „Rihanna“. Gesicherte Fakten sind zwar dürr, aber zum Glück meldet sich jeden Tag irgendein anonymer Bekannter von einem der Beteiligten zu Wort und anscheinend klicken die Menschen das Thema wie blöd, so dass RP-Online tut, was RP-Online halt tut (und schon bei Salma Hayek letztens so gut funktioniert hat):








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Beim Kölner „Express“ hat man unterdessen etwas anderes Feines entwickelt, um die Page-Impressions künstlich in die Höhe zu treiben: Das Klickstrecken-Interview bzw. die Interview-Klickstrecke. Sieht dann zum Beispiel im Ansatz so aus:

Geht aber auch mit Uli Hoeneß:

Die Leute von express.de haben das übrigens so geschickt konstruiert, dass man am Ende der Interviews vorne wieder rauskommt, so dass man sich leicht versehentlich zweimal durchklickt, bevor einem eine gewisse Redundanz auffällt.

[mit Dank an Kaspar Klippgen, Jan Miebach und Paul Neuhaus]

Warum das mit dem „Freitag“ nix wird

Ein Supermarkt in Berlins Osten, kurz vor Feierabend. Der Verkäufer ist schon dabei, die nicht verkauften Tageszeitungen zu einem Paket zusammenzuschnüren, das dann zurückgeht.

Verkäufer: Wasn ditte?
Kassiererin: Was?
Verkäufer: Haste die schon mal gesehn? „Der Freitag“.
Kassiererin: Tse. Heute ist Donnerstag!
Verkäufer: Nee, die heißt so.
Kassiererin: Ja, klar. Nee, noch nie gesehn.

Kopfschüttelnd entsorgt er die unverkauften Exemplare der heute erschienenen Ausgabe der Wochenzeitung „Der Freitag“ mit all den abgelaufenen Tageszeitungen.