Autor: Stefan Niggemeier

Warum Günther Jauch den ZDF-Bundeskanzler wählt

Als Das Erste im November 2007 eine neue Show mit Frank Elstner namens „Das unglaubliche Quiz der Tiere“ startete, warb der Sender dafür nicht nur mit dem eigenen Moderator, sondern auch mit einem Mann von der Konkurrenz: Es sei der erste Auftritt von Günther Jauch als Kandidat in einer Quizshow.

Ein gutes Jahr später saß der RTL-Moderator wieder als Quiz-Kandidat in einer ARD-Show: Diesmal hieß sie „2008 – Das Quiz“ und wurde von Frank Plasberg moderiert.

Und was eint beide Sendungen? Sie werden von Jauchs Firma I&U produziert. Ein Sender, der sich eine Show von I&U produzieren lässt, bekommt als Bonus, wenn er mag, Jauch als Gast mit dazu. Das ist kein schlechter Deal: Jauchs Prominenz trug sicher mit dazu bei, dass beide Sendungen jeweils knapp sieben Millionen Zuschauer hatten, was viel ist.

Jauchs Gastauftritte helfen dem Sender – und ihm selbst als Produzenten. Der Markt der Fernsehproduzenten wird in Deutschland – auch deshalb – inzwischen im erstaunlichen Maß von Fernsehmoderatoren dominiert, und Jauchs Kollegen greifen zum Anschub einer neuen Sendung gerne auf denselben Trick zurück. ZDF-Moderator Johannes B. Kerner saß im vergangenen Dezember als Kandidat in der ARD-Show „Deutschlands größter Gedächtnistest“, die von seiner Firma Die Fernsehmacher für das Erste Programm hergestellt wurde. Und sogar ARD-Allesmoderierer Jörg Pilawa fand im November die Zeit, sich für die Premiere der ZDF-Show „Das will ich wissen“ als Gast zur Verfügung zu stellen. Produziert wurde sie von einer Firma namens White Balance. Deren Geschäftsführer heißt, richtig: Jörg Pilawa.

Mit diesem Hintergrundwissen können Sie nun sogar selbst erraten, wer in der Jury sitzen wird, wenn das ZDF in diesem Sommer in einer Art Casting-Show Nachwuchstalente sucht, die sich zutrauen, Bundeskanzler zu werden. Sie müssen dazu nicht einmal wissen, dass die Show „Ich kann Kanzler“ heißt (der schöne Alternativvorschlag „Ich will hier rein“ konnte sich leider nicht durchsetzen), dass sie von ZDF-Nachrichtenmann Steffen Seibert moderiert wird, dass sich Teilnehmer online mit Fotos, Videos und einer „Idee für Deutschland“ bewerben können und die Jury aus den 40 besten Bewerbern vier auswählt, die in einer Live-Show am 19. Juni gegeneinander antreten und um den Titel „Kanzler für einen Abend“, ein „Kanzlergehalt“ und ein Praktikum in Berlin kämpfen.

Alles, was sie wissen müssen, um auf die Lösung zu kommen, ist, dass das ZDF den Auftrag zur Produktion an Günther Jauchs Firma I&U vergeben hat.

Na?

Bingo!

Im Original der Show, das seit drei Jahren in Kanada als „The Next Great Prime Minister“ läuft, sind es ehemalige Premierminister, die in der Jury über die Bewerber entscheiden. Aber Günther Jauch, den die Deutschen in Umfragen regelmäßig als ihren Wunsch-Bundeskanzler angeben, ist für das ZDF natürlich auch ein Coup. Quasi als bester Bundeskanzler, den wir nie hatten.

Warum ist „Die Zeit“ nicht besser?

Alle paar Jahre veröffentlicht die „Die Zeit“ einen großen, wuchtigen Artikel, in dem der Untergang des guten öffentlich-rechtlichen Fernsehens beklagt wird. Im Grunde reicht es, einen davon zu kennen, zum Beispiel Jens Jessens Seite-1-Kommentar vom 31. August 2000:

Die Quoten-Idioten
Warum ARD und ZDF die Zuschauer verachten

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat sich in eine ausweglose Lage manövriert. Schon jetzt verstehen die Bürger nur noch mühsam, warum sie staatliche Sendeanstalten mit zwangsweise erhobenen Gebühren unterstützen sollen, während sich die privaten allein durch Werbung finanzieren. Bald werden die Zuschauer das Gebührenprivileg gar nicht mehr verstehen. Denn ARD und ZDF arbeiten planmäßig daran, die letzten Unterschiede in Programmangebot und „Bildungsauftrag“ (so lautete ein längst vergessener Rechtfertigungsgrund) zu tilgen, mit denen erklärt werden konnte, warum das eine Fernsehsystem bezahlt werden muss, während das andere gratis ist. (…)

In diesem Jahr hatten Stephan Lebert und Stefan Willeke die Aufgabe, das einfach alles noch einmal aufzuschreiben, als Titelgeschichte:

Und als vierseitiges Dossier unter dem Titel:

Unser Gott, die Quote

Und vieles von dem, was sie schreiben, ist ja nicht falsch. Ein großer Teil der Kritik an der Verzagtheit, Ideenlosigkeit und Quotenfixiertheit von ARD und ZDF ist immer noch und immer wieder berechtigt.

Es ist nur so, dass Fernsehen ein Thema ist, mit dem sich die Autoren der rituellen ARD-ZDF-Qualitäts-Untergangs-Geschichten der „Zeit“ chronisch schlecht auskennen. Lebert und Willeke scheinen zwar einen umfangreichen Reiseetat gehabt, sämtliche Funkhäuser dieser Republik bereist und mit ungefähr jedem in der Branche gesprochen zu haben. (Herausgefunden haben sie dabei unter anderem, wie abgehoben die Fernsehmacher sind: ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut sitzt laut „Zeit“ in „Büro 1454, Hochhaus am Lerchenberg, 14. Stock“, NDR-Kulturchefin Patricia Schlesinger im „Eckbüro im 13. Stock des NDR-Hochhauses“.) Aber manches haben sie einfach nicht verstanden.

Zum Beispiel die Sache mit dem Marktanteil. Sie schreiben über die Dokumentation „Das Schweigen der Quandts“, die die ARD „erst um 23.30 Uhr“ gesendet habe:

(…) dass die Einschaltquote trotz der Nachtzeit noch bei 14 Prozent lag, ermutigte den Sender zu keinem Umdenken, im Gegenteil. Erzielen späte Filme Überraschungserfolge, ist das kein Argument für den Film, sondern für die Uhrzeit.

Nun ja, das ist der Fluch mit der Messgröße Marktanteil: Sie bezieht sich nicht auf alle Zuschauer, sondern nur auf die Zahl derer, die gerade den Fernseher eingeschaltet haben. Später am Abend, wenn bei der Konkurrenz nicht mehr so viel läuft, ist es leichter, einen hohen Marktanteil zu erzielen — aber die absolute Zahl der Zuschauer wird natürlich kleiner. Zu formulieren, dass die Einschaltquote „trotz der Nachtzeit“ noch bei 14 Prozent lag, ist jedenfalls völliger Unsinn.

(Dass der NDR „Das Schweigen der Quandts“ kurz darauf in einer XXL-Version immerhin um 21.15 Uhr zeigte, erwähnt die „Zeit“ sicherheitshalber gar nicht. Die Ausstrahlung spät abends im Ersten hatte übrigens 1,3 Millionen Zuschauer; die Ausstrahlung im NDR-Fernsehen immerhin 0,9 Millionen — bei einem bundesweiten Marktanteil von nur 2,9 Prozent.)

Die „Zeit“ schreibt:

Der erfolgreiche Produzent Oliver Berben lässt sich immer nachts um drei die Quoten mailen, wenn einer seiner Filme am Abend vorher lief.

Das wäre allerdings erstaunlich. Die offiziellen Zahlen, die die GfK im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung erhebt, gibt es jedenfalls auch für die Fernsehmacher erst am nächsten Morgen so gegen neun Uhr.

Rüdiger Schawinski, ehemaliger Chef des privaten Senders Sat.1, beginnt noch heute seinen Tag damit, die Quoten anzuschauen, obwohl es ihm schon lange egal sein könnte.

Rüdiger Schawinski, der kleine Bruder von Roger Schawinski?

Bis zum Jahr 1984 sprach niemand vom Quotendruck. Erst als die Privatsender zugelassen wurden, änderte sich das.

Dieser Mythos ist ebenso weit verbreitet wie falsch. Man lese in alten „Spiegel“-Artikeln nach, wie dramatisch zum Beispiel im Herbst 1973 oder im Sommer 1976 die internen und öffentlichen Diskussionen über den Quotendruck waren.

Erstaunlich ist auch, dass die Autoren bei ihrem Wunsch nach mehr gutem öffentlich-rechtlichen Fernsehen indirekt anregen, dass die ARD doch „Wer wird Millionär“ hätte kaufen und dafür „mehrere Plätze zur Primetime freischlagen“ sollen. Bei aller berechtigten Kritik an der Trägheit und dem föderalen Alptraum der ARD und bei aller Liebe zu „Wer wird Millionär?“: Ich glaube, dass das ein ganz gesunder Unterschied zwischen privatem und öffentlich-rechtlichem Fernsehen ist, dass RTL für ein solches Quiz drei Primetime-Plätze freischlagen kann — und die ARD nicht.

Zum „Dossier“ gehören neben dem langen Artikel noch ein paar Tabellen und Statistiken, zum Beispiel diese:

Ja, das ist nicht uninteressant, was die Menschen 2007 so im Fernsehen geguckt haben, und vermutlich muss man froh sein, dass die „Zeit“ nicht die meistgesehenen Sendungen von 2005 oder 1998 dort präsentierte. Die Zahlen von 2008 liegen ja auch erst seit sieben Wochen vor.

So gesehen ist die „Zeit“-Übersicht über die Reichweite der Fernsehnachrichten immerhin scheinbar aktuell:

außer, dass die „Newstime“ von ProSieben schon seit Anfang 2007 nicht mehr gegen 20 Uhr läuft, sondern um kurz vor sechs, dafür aber die „Sat.1 News“ seit fast einem Jahr unter dem Namen „Sat.1 Nachrichten“ um 20 Uhr zu sehen sind.

Man kann das alles natürlich als Kleinigkeiten und Nachlässigkeiten abtun, aber wir reden hier immerhin vom Dossier der „Zeit“. Mich bestätigt das alles eher in meiner These, dass man keinen Artikel über ARD und ZDF zu lesen braucht, in dem die Wörter „Zwangsgebühren“ und „Staatsfernsehen“ vorkommen.

Ich hätte übrigens eine These, warum die „Zeit“ alle paar Jahre groß auf Seite 1 den Niedergang von ARD und ZDF beschreibt. Gut, bei Zeitungen nennt man es nicht „Quote“.

Nachtrag, 20. Februar: mehr hier.

Robert Stromberger

Diese schmalen Lippen, der leidende Blick, die Frage: „Ist das fair?“, dieser ganze fleischgewordene Vorwurf namens Vera Drombusch – das ist die prägende Erfahrung einer Fernsehgeneration. Am schlimmsten war es, wenn sie auch noch Recht hatte. Wenn man bei allem Widerwillen gegen ihre Wehleidigkeit und ihr demonstratives Sich-Aufopfern zugeben musste, dass das wirklich nicht fair war, was sie ertragen musste, und man es womöglich verdient hatte, auch als Zuschauer, sich zur Strafe für das Sympathisieren mit den Falschen eine mehrminütige Moralpredigt von ihr anzuhören.

Aber zum Glück hatte Vera Drombusch nicht immer Recht, und je länger „Diese Drombuschs“ liefen, desto deutlicher wurde, dass ihr Unglück auch ein selbstgesuchtes Unglück war, und ganz am Schluss befreite ihr Schöpfer Robert Stromberger sie sogar und ließ sie, ganz ohne Verantwortung, Onkel Ludwisch nach Mauritius folgen.

Stromberger war der Meister der Familienserie. Niemand schaffte es wie er, die alltäglichen Konflike zu zeigen, die sich aus aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und zeitlosen menschlichen Verhaltensweisen ergaben. Seine Familien in den „Unverbesserlichen“ (mit Inge Meysel, ab 1965) und den „Drombuschs“ (mit Witta Pohl, ab 1983) verhandelten unterhaltsam Möglichkeiten des Zusammenlebens zwischen den notwendigen Kompromissen und den ebenso notwendigen Ausbrüchen – manchmal mit zu Dialogen geronnenen ethischen Diskursen, aber immer mit einem großen Gespür für Dramaturgie und Situationen und einer ungemein genauen Kenntnis, wie Menschen sind und was sie sich und einander vormachen. Bei Stromberger ging es nicht um Konflikte von Gut und Böse. Es reichte, dass alle es „gut meinten“ oder sich das zumindest selbst einredeten, um das Zusammenleben unerträglich zu machen. Er schaffte es, die Auseinandersetzungen aus der Sicht aller Beteiligten zu schildern – im Selbstmorddrama „Tod eines Schülers“ (1981) erzählte sogar jede Folge dasselbe Geschehen aus anderer Perspektive.

Stromberger ist am Samstag vergangener Woche im Alter von 78 Jahren in Darmstadt gestorben, seiner Heimatstadt und der seiner Figuren. Er hat die Generation geprägt, die in Deutschland am meisten durch das Fernsehen geprägt wurde. Wenn man wissen will, wie es war in der Bundesrepublik, das Leben und das Fernsehen, muss man sich nur seine Serien anschauen.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Besuch für Willy

Soviel Wirbel wie mit der „Wilhelm“-Guttenberg-Geschichte hat BILDblog lange nicht ausgelöst — obwohl das Treiben der feinen Frau Wittig bei „Bild“ (vgl. „‚Bild‘ macht Mann zum ‚Kinderschänder'“, „‚Bild‘-Redakteurin war LKA-Informantin“) meiner Meinung nach mindestens so viel Aufmerksamkeit verdient hätte.

„Spiegel Online“ hat unseren BILDblog-Eintrag ebenso verlinkt wie sueddeutsche.de und das für die oft durchschlagende Wirkung seiner Links berüchtigte amerikanische Blog „Slashdot“. Es wäre schön gewesen, wenn wir den Umzug auf den neuen Server schon hinter uns gehabt hätten — der alte ächzte, hielt aber zum Glück durch.

Und woher kamen die Leser wirklich zu BILDblog? Das ist erstaunlich:

Link Besucher
Titanic 3.797
stefan-niggemeier.de 3.137
Slashdot 1.966
sinn-frei.com 1.782
menéame 1.168
Wikipedia 1.026
Spiegel Online 890
Nachdenkseiten 782
shortnews.de 539
sueddeutsche.de 539
Schandmännchen 495
forum.mods.de 442
MacUser.de 431
Telepolis 420
Futurezone 332
taz.de 317
Twitter 314
Facebook 308
Netzeitung 300
DotaSource.de 259
Rivva 210
Meedia 77
Turi2 42

(11. und 12. Februar 2009. Die angegebenen Besucherzahlen beinhalten sämtliche Klicks von der jeweiligen Seite. Insgesamt hatte BILDblog an den beiden Tagen 108.985 Visits.)

Wikipedia & der verschobene Tod in Venedig

Die Briten haben die viel bessere Wikipedia-Manipulations-Geschichte.

Premierminister Gordon Brown erzählte neulich eine Anekdote über den venezianischen Maler Tizian, der seine besten Werke im hohen Alter geschaffen habe und 90 Jahre alt geworden sei. Gestern piesakte ihn daraufhin der konservative Oppositionsführer David Cameron im Unterhaus, der Regierungschef kriege ja wohl wieder mal seine Fakten nicht auf die Reihe: Tizian sei schon mit 86 gestorben.

Zu diesem Zeitpunkt gab die englische Wikipedia allerdings Gordon Brown recht. Also machte sich ein Mitarbeiter in der Parteizentrale der Tories kurzerhand an dem Eintrag zu schaffen und ließ Tizian vier Jahre früher sterben. Er übersah allerdings, dass jemand anders, womöglich mit der gleichen Intention, schneller war und seinerseits schon das Geburtsjahr um fünf Jahre heraufgesetzt hatte, so dass Tizian laut Wikipedia nun nicht einmal mehr 86, sondern höchstens 82 Jahre alt geworden war.

Die Konservative Partei hat sich inzwischen entschuldigt und zugegeben, dass ein „übereifriger“ Mitarbeiter am Werk war. Die genauen Lebensdaten von Tizian sind unbekannt.

Kevin Wilhelm Kuranyi

Nächster Versuch in diesem anscheinend groß angelegten Live-Experiment über die Zuverlässigkeit von, hust, professionellen Medien: Reicht es eigentlich, die Homepage eines Fußballclubs zu hacken und draufzuschreiben, dass ein Stürmer fristlos entlassen wurde?

Aber ja!

Er sacht Willem, ich sach Wat?

„Spiegel Online“ hat jetzt eine Erklärung abgegeben, wie es dazu kommen konnte, dass sie den falschen Namen des neuen Wirtschaftsministers aus der Wikipedia abgeschrieben haben, eine Bankrotterklärung.

Der anonyme Autor des „Spiegel Online“-Artikels ist hörbar genervt. Er schreibt:

Ein Fälscher, der sich inzwischen in einem Blog damit brüstet, hatte in der Internet-Enzyklopädie Wikipedia den Guttenberg-Eintrag verändert.

Dann macht er diverse Nebenkriegsschauplätze auf:

Guttenbergs Vornamen werden allerdings nicht im von SPIEGEL ONLINE standardmäßig genutzten biographischen Archiv „Munzinger“ aufgelistet. Sie werden weder auf seiner eigenen Homepage, der Seite der Unionsfraktion im Bundestag, der CSU-Landesgruppe, im Bundestagshandbuch noch auf den Internetseiten der CSU oder des Wirtschaftsministeriums genannt.

Ja. — Und?

(Die Leute von „Spiegel Online“ hätten den kompletten Namen übrigens in einer dpa-Meldung vom 31.10.2008 finden können, sogar mit Quellenangabe: „Der Name des neuen CSU-Generalsekretärs ist lang und eindrucksvoll: Als Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jakob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg führt ihn das Handbuch des Adels.“)

„Übrigens“, schreibt „Spiegel Online“ weiter:

Nahezu alle Medien saßen am Montag dem „Wilhelm“-Fälscher auf. Und der Zeitdruck war groß. Selbst Guttenbergs Mitarbeiter hatten bei der SPIEGEL-ONLINE-Namensrecherche am Mittwochmorgen keine schnelle Antwort parat.

Der Zeitdruck war groß? Die wesentliche Information über den neuen Minister, die am Montag unverzüglich der deutschen Öffentlichkeit mitgeteilt werden musste, war die komplette Liste seiner Vornamen? Obwohl der Minister selbst, wie es in ungefähr jedem Artikel über ihn heißt, auf all diese Namen nicht einmal Wert legt? Und obwohl es Guttenberg bei der Rettung der deutschen Wirtschaft auch nicht helfen würde, wenn er zwanzig, dreißig oder acht Milliarden Vornamen hätte?

Wie war da die Vorgabe bei „Spiegel Online“ genau? „Jungs, ich habe gehört, bei der Konkurrenz arbeiten sie schon an einem detaillierten Vergleich der Vornamen von Guttenberg und dieser Frau Langstrumpf, wir müssen da als Leitmedium sofort einen eigenen Vornamens-Artikel raushauen, verdammtnochmal ZACK-ZACK-ZACK“?

Die „Spiegel Online“-Leute merken schon gar nicht mehr, was sie da produzieren und wie dumm ihre Regeln sind und wie sehr sie sich ihnen ausgeliefert haben. Sie halten ihre Hysterie, gegen die ein Börsenhändler fast gelassen wirkt, ganz ernsthaft für notwendig — und für Qualitätsjournalismus.

Dass „Spiegel Online“ am Montag schnell den Namen bei Wikipedia abgeschrieben hat, ist ein Fehler, den ich verstehen und leicht verzeihen kann. Nicht aber diese lächerliche Rechtfertigung mit ihrer Mischung aus selbstgemachten Zeitdruck und kindischem „Die anderen aber auch“ und „War aber auch schwer rauszukriegen“.

Den vielleicht dümmstmöglichen Beitrag zum Thema (abgesehen natürlich von der „Glosse“ auf sueddeutsche.de, die aber in einer eigenen Liga spielt) hat taz.de veröffentlicht. Da musste es anscheinend auch schnell gehen, jedenfalls hat den Artikel offenbar niemand mehr gelesen:

Lang ist die Liste der Namen des neuen Bundeswirtschaftsministers Freiherr von und zu Guttenberg. So lang, dass ein Vorname weniger [sic] schon nicht auffallen wird – dachte sich ein gewisser „Anonym“ – und fügte dem Wikipedia-Eintrag über von Guttenberg einfach einen weiteren hinzu: Wilhelm. (…)

Journalisten wissen das [dass Wikipedia-Einträge fehlerhaft sein können]. Doch auch sie möchten öfters informieren, um dies dann in ihren Medien zu verbreiten. Das nennt sich im Fachjargon Recherche – ein Vorgang, der stets gründlich geschehen sollte.

Das Stück endet wie folgt:

„Anonym“ hat uns hinters Licht geführt und uns daran erinnert, dass nicht immer alles so ist, wie es scheint. In Zukunft werden wir misstrauischer sein, aber solche Täuschungsversuche dürfen nicht zur Regel werden. Dann nämlich ist auf Wikipedia gar kein Verlass mehr. Wär‘ schade drum.

Das ist niedlich. Das lässt sich fast wie eine Drohung lesen: Wikipedia, reiß Dich gefälligst zusammen, sonst schreiben wir Journalisten nicht mehr ungeprüft aus Dir ab.

Solche Täuschungsversuche wird es bei Wikipedia immer geben, und im Zweifelsfall werden sie handfestere Motive haben als der in diesem Fall harmlose „Fälscher“. Journalisten sind anscheinend die einzigen, denen das bis gestern Abend nicht klar war.

Der Fall des „Wilhelm“ Guttenberg beschädigt nicht in erster Linie die Wikipedia. Er zeigt allerdings die gefährliche Macht der Rekursion, wenn Belege sich plötzlich selbst belegen.

Der Fall des „Wilhelm“ Guttenberg beschädigt meiner Meinung nach vor allem die Glaubwürdigkeit der professionellen Medien und entlarvt ihr Gerede von der eigenen Überlegenheit als eitle (Selbst-)Täuschung — oder bestenfalls als theoretisch einzulösenden Anspruch. Und ist es nicht komisch, dass keines dieser ganzen Qualitätsmedien, die den Namen aus der Wikipedia oder „Spiegel Online“ abgeschrieben haben, auf die Idee kam, die Quelle anzugeben?

Geht sterben (6)

Wenn Sie bitte einmal kurz diesen BILDblog-Eintrag lesen würden.

Die Medien, die da allesamt auf einen Witzbold hereingefallen sind, der den Wikipedia-Eintrag des neuen Wirtschaftsministers Karl-Theodor zu Guttenberg in einem kleinen Detail verändert hat, sind übrigens im Zweifelsfall dieselben, die Ihnen morgen wieder erzählen, dass wir deshalb auch in Zukunft nicht auf Zeitungen und etablierte Medien verzichten können, weil in ihnen im Gegensatz zum bösen Internet verlässliche, überprüfte Informationen stehen.

Beeindruckend ist aber auch, wie sich ein einmal ins System eingepflanzter Fehler selbst bestätigt: Erst übernimmt ihn „Spiegel Online“ von Wikipedia; dann ist „Spiegel Online“ für Wikipedia die Quelle, die seine Richtigkeit bezeugt. (Und natürlich funktioniert das auch mit gravierenderen, folgenreicheren Manipulationen als dieser.)

Für den Tiefpunkt der Geschichte sorgt diesmal das Online-Portal der im Abbruch befindlichen „WAZ“-Gruppe, DerWesten. Dort ist jemandem eingefallen, was man aus einem Mann mit so vielen Vornamen natürlich machen muss: eine Klickstrecke.











Da erkennt man doch gleich die Qualität einer Autorenzeitung.